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Hallo, ich bin Kathi Dresen. Ich bin dreiundvierzig Jahre alt, wirke aber jünger, und darauf bin ich sehr stolz. Der Grund dafür liegt wohl unter anderem darin, dass ich moppelig bin. Die Moppeligen kriegen keinen Falten, sie haben keinen Platz dafür. Sie wundern sich vielleicht über diesen Ausdruck: 'moppelig'.

Dieses Wort gibt eine der vielen Möglichkeiten auf, meine Figur zu beschreiben; es ist meine Lieblingsbeschreibung. Es gibt viele Möglichkeiten, meine Figur zu beschreiben. Nette und böse. Nett ist zum Beispiel der Begriff 'Pummelfee', den der Comedian Kurt Krömer, glaube ich, geprägt hat. Neben 'moppelig' mag ich auch 'mopsig'. 'Dick' ist ein sehr sachlicher Ausdruck. Böse sind Worte wie 'Tonne' oder 'fett'. Das darf man nicht zu mir sagen, dann bin ich verletzt. Grundsätzlich bin ich aber sehr realistisch, meine Figur betreffend, wenn ich auch nicht gern in den Spiegel schaue, zumindest dann nicht, wenn ich nackt bin.

Was mich immer wieder verwundert sind Menschen, die mich fragen: 'Wieso bist du eigentlich dick?' Ich glaube nicht, dass mir schon eine dümmere Frage gestellt wurde. Je nach Lust und Laune beantworte ich diese Frage mit einer der folgenden Antworten:

1. Ich hab zugenommen.

2. Früher hatte ich einen Waschbrettbauch, aber das sah nicht gut aus an mir, deshalb hab ich was dagegen getan.

3. Bis vor wenigen Jahren war ich einen Meter 87 groß. Eines Nachts bin ich einfach geschrumpft, und wo soll das ganze Fleisch so plötzlich hin, wenn nicht rund um mich rum!?

4. Als die Göttin mich fragte: 'Möchtest du lieber schlank oder klug sein?', da hab ich mich für 'klug' entschieden. 5. Die tollsten, attraktivsten und modischsten Klamotten gibt es definitiv in Kleidergröße 48 - was bleibt einem da anderes als zuzunehmen!? Sollten Sie vorgehabt haben, mir dieselbe dumme Frage zu stellen - tun Sie es nicht! Suchen Sie sich stattdessen einfach eine der fünf möglichen Antworten aus. Eigentlich war ich ja dabei, mich zu beschreiben; es war gar nicht meine Absicht, gleich so intensiv über meine Figur zu reden. Sie wissen also jetzt, dass ich moppelig bin, und das bei einer Größe von einem Meter und zweiundsechzig. Wäre ich einen Meter und achtzig groß, hätte ich wohl Normalgewicht. Da es aber nun mal ist, wie es ist, muss ich zusehen, wie ich aus einem Meter zweiundsechzig das Beste heraushole. Es wäre toll, wenn ich öfter Pumps tragen würde, aber ich bin nun mal nicht der Typ dafür, weil ich grundsätzlich eher was für Jeans und T-Shirts übrig habe, also quasi die sportliche Variante bevorzuge. Dazu eignen sich nun mal am besten Turnschuhe. Ich versuche immer, einen Kompromiss zu finden; das ist allerdings nicht immer möglich, weil Plateau-Turnschuhe nur dann erhältlich sind, wenn sie gerade angesagt sind. Das betrübt mich. Ich habe blonde, gelockte Haare, die zu einem Pagenkopf geschnitten sind. Mein Gesicht ist, wie ich finde, ganz okay, nicht mehr und nicht weniger. Mein Busen ist ein durchschnittlicher dreiundvierzigjähriger Busen - ich stelle da in der Umkleidekabine meines Fitness-Studios schon mal heimlich Vergleiche an. Leider ist mein Busen vor drei Jahren optisch kleiner geworden. Vor drei Jahren wurde ich nämlich 40, und - zack - war der Bauch da, ob Sie's glauben oder nicht. Es ist kein riesengroßer Bauch, aber auch kein kleiner. Ein mittlerer Bauch eben. Optisch bewirkt das, dass der Busen kleiner aussieht, als er eigentlich ist. Mein Busen findet das ungerecht. Ich auch. Meine Beine sind, entsprechend meiner Körpergröße, angemessen kurz. Da ich schon seit dem Kindesalter Sport treibe, sind sie recht durchtrainiert. Da denken Sie jetzt möglicherweise, dass ich dann auch kurze Röcke tragen kann, obwohl ich moppelig bin, denn schließlich sind meine Beine trainiert. Das ist ein Wunschtraum! Ich habe so trainierte Beine, dass Philip Lahm neidisch auf meine Waden wäre, würde er sie sehen. Er wird sie aber nicht sehen, es sei denn, wir beide, der Philip und ich, entscheiden uns mal zu einer leidenschaftlichen Affäre. Dieser Umstand würde mich dazu bringen, meine Beine zu zeigen. Ansonsten trage ich nur lange Hosen und, wenn es mal ein Kleid ist, eben auch nur lange Kleider. Manchmal, im Beruf, muss ich schon mal schicki sein, und das sind die Anlässe, zu denen ich eben schon mal ein Kleid und Pumps anziehe. Dann komme ich mir manchmal verkleidet vor, aber nicht immer. Ich habe sehr niedliche kleine Füße, gerade groß genug, um keine Probleme befürchten zu müssen, würde ich regelmäßig Pumps kaufen wollen. Das ist ein Vorteil, der für mich eben nur theoretisch gilt, aber das Wissen darum ist beruhigend - man weiß ja nie, was mal kommt. Jetzt wissen Sie, wie ich von vorn aussehe. Meine Rückansicht ist unspektakulär bis auf die Tatsache, dass ich mir durch Leistungsschwimmen in meiner Kindheit und Jugend ein beachtliches Kreuz antrainiert habe, dass, obwohl ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr schwimme, geblieben ist. Damit Sie eine Vorstellung davon haben, verrate ich Ihnen, dass ich bei Oberteilen zwei Konfektionsgrößen mehr brauche als bei Hosen, eben, damit ich dieses Kreuz in den Klamotten unterbringe. Meine Figur damit als 'weiblich' zu beschreiben, ist nicht nur dämlich, sondern in höchstem Maße lächerlich. Meine besten Freunde, beide schwul, und auch meine beiden Schwestern finden, dass ich hübsch bin. Schließlich schließt Moppeligkeit nicht aus, dass man gut aussieht. Immer, wenn einer von denen zu mir sagt, dass ich doch ganz hübsch bin, verziehe ich das Gesicht, als wollte ich sagen "Sag das doch nicht, bitte!" Im gleichen Moment denke ich "Schön, dass Du es auch siehst". Zumindest denke ich das meistens, nicht immer. Manchmal denke ich auch "Lügner!". Ob ich mich schön oder hässlich finde, hängt nämlich ganz von meiner Tagesform ab. Überhaupt hängen viele meiner Meinungen über mich von meiner Tagesform ab. Meine Freunde nennen mich Prinzessin, aber ich weiß nicht, warum sie das tun. Ich bin nämlich alles andere als das. In meiner Phantasie, die sich, Prinzessinnen betreffend, seit meiner Kindheit nicht geändert hat, sind Prinzessinnen schlanke, feenhafte Wesen in eng anliegenden weißen Kleidern, Schuhen mit Absatz und hochtoupierten, blonden Haaren. Das einzige, was stimmt, sind die blonden Haare; schon bei der Frisur muss ich passen. Meinen Kleidungsstil würde eine Prinzessin nicht einmal dann bevorzugen, wenn sie pressegerecht auf einem Bauernhof des Landes den Schweinestall ausmisten würde. Wenn Sie das Gefühl haben, ich sei komisch, dann lassen Sie dieses Gefühl ruhig zu. Es stimmt nämlich. Davon abgesehen, dass ich eigentlich selbst nicht weiß, was ich über mich denke, habe ich einige seltsame Angewohnheiten. Ich finde es großartig, dem Schaum vom Spülwasser dabei zuzusehen, wie er langsam im Abfluss verschwindet. Ich kann dabei gut nachdenken. Wenn ich Lust auf Schnucki habe - Schnucki ist mein Lieblingswort für Süßigkeiten - dann esse ich vorher einen zuckerfreien Pfefferminz und bilde mir ein, dass diese Minzpastille eine Medizin ist, die die von mir mit dem Schnucki aufgenommenen Kalorien sofort nach der Aufnahme vernichtet. Diese Medizin funktioniert nur in Zusammenhang mit Schnucki, nicht mit anderen kalorienreichen Speisen - Eisbein zum Beispiel - und ich wende diese Minzpastillenmedizin nur sehr selten an, weil ich ja eigentlich weiß, dass das Quatsch ist. Wenn ich Wäsche gewaschen habe, dann hole ich sie aus der Waschmaschine und werfe sie in einen Korb. Dann spiele ich das Wäsche-Aufhäng-Spiel. Dabei geht es darum, dass ich immer das Wäschestück aus dem Korb nehmen muss, dass ganz, ganz oben auf liegt. Manchmal ist es schwer aus meiner Position, also von oben sozusagen, auszumachen, welches Wäscheteil zuoberst im Wäschekorb liegt. Dann lege ich mich neben den Wäschekorb auf den Bauch, damit ich auf gleicher Höhe bin und kann so feststellen, welches Teil am höchsten liegt. Das klingt sicher sehr anstrengend, und das ist es auch. Das Wäsche aufhängen dauert auf diese Weise manchmal mehr als eine Stunde, aber es macht Spaß. Wenn ich meine Wäsche im Sommer auf dem Hinterhof aufhänge, verzichte ich auf das Spiel. Ich möchte nicht, dass die Nachbarn falsch von mir denken. Vielleicht würden sie gar nicht falsch von mir denken, sondern eigentlich richtig, aber auch das, so finde ich, sollte ich vermeiden. Was denken Sie? Ich höre schlecht. Neulich hat ein Fernsehmoderator erklärt, dass sich durch den aufrechten Gang, der sich im Laufe der Menschheit entwickelt habe, die Jagdmethoden verbessert hätten. Ich verstand, dass sich die Jagd mit Hoden verbessert hätte. Da war ich verwirrt. Erst, als der Moderator weiter erklärte, die Menschen hätten so besser ihre Waffen bedienen und weiter schauen können, wurde mir klar, was er wirklich gesagt hatte. Ich lese manchmal zu schnell. Zu schnell heißt, dass ich dann Dinge lese, die da eigentlich gar nicht stehen oder die eigentlich einen Sinn ergeben, nur bei mir nicht. In einer Buchkritik hieß es mal, man könne das Buch in einem Zug lesen. Ich war kurz verwirrt, weil ich das Buch eigentlich zu Hause lesen wollte. Das Problem löste sich beim erneuten Lesen des Satzes schnell auf. Sonst hätte ich das Buch auch nicht gekauft, ich lese nämlich nicht gern in Zügen. Ich spreche oft mit mir selbst, wenn ich allein bin. Wenn ich mit mir rede, dann nenne ich mich immer Kind. Ich sage zum Beispiel so was wie "So, Kind, jetzt wird es aber mal Zeit, dass du dich fertig machst, du bist gleich verabredet." Mit meinen Pflanzen spreche ich nie, dabei komme ich mir blöd vor. Ich bin immer sehr laut. Ich glaube, das hat was mit Selbstbehauptung zu tun. Wenn Sie jemanden kennen, der auf dem Gebiet der Psychologie bewandert ist, fragen Sie ihn bei Gelegenheit, falls es Sie interessiert. Ich bin ein ausgesprochen friedfertiger Mensch und halte als solcher nichts von Aggressionen jedweder Art. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ich selbst welche habe. Meine Aggressionen waren lange Zeit ein Problem für mich, bis ich einen kleinen Mann in meinen Kopf habe einziehen lassen. Der Mann hat keinen Namen und trägt immer einen Frack in einer schrillen Farbe und einen Zylinder. Damit schaut der kleine Mann vornehm und modisch durchgeknallt zugleich aus. Ich mag ihn, den kleinen Mann. Er hat keine andere Aufgabe als die, meine Aggressionen, die ich nicht körperlich oder verbal raus lassen kann oder möchte, in meinem Kopf für mich auszuleben. Wenn ich aggressiv werde, schiebt sich der Vorhang meines Kopfkinos zur Seite und ich sehe den kleinen Mann, der Schilder von rechts nach links und wieder zurück trägt, auf denen 'Arschkrampe' oder 'Fick dich!' steht, oder der kleine Mann boxt auf einen Sandsack ein oder er haut mit der Faust gegen die Wand oder sonst was. Dem kleinen Mann fällt immer eine Möglichkeit ein, meine Aggressionen auf ein gutes, niedriges Level zu bringen, und manchmal wundere ich mich, wie er es in der kurzen Zeit schafft, die Kulissen dafür zu bauen und wo er die Ideen für meinen Aggressionsabbau so hernimmt. Er ist ganz schön kreativ, der kleine Mann! Ich hatte einmal einen Traum. Ich hatte mir fest vorgenommen, einmal im Leben etwas ganz Großes zu erreichen. Etwas, das die gesamte Menschheit in ihren Grundfesten erschüttern würde, nur wusste ich einfach nicht, was. Dieser Traum ist irgendwann einfach verpufft. Immer, wenn mich das traurig macht, mache ich mir klar, dass ich eh keine Zeit für sowas hätte. Dieser Gedanke tröstet mich. Sie denken mittlerweile wahrscheinlich, ich wäre total irre. In gewisser Weise mögen Sie da recht haben, aber ob Sie es glauben oder nicht: ich bin stolz darauf. Normal sein kann jeder, wenn ich auch bezweifle, dass nur einer von uns auf dieser Welt völlig normal ist. Einige von uns sind allerdings zumindest annähernd normal, und ich kann Ihnen sagen: je normaler der Mensch, desto langweiliger ist er. Finde ich. Nein, denken Sie bitte nicht, ich sei geistesgestört oder so was. Ich habe Abitur, eine Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten und arbeite heute als Vertriebsassistentin in einem Esoterikgroßhandel. Und wenn Sie immer noch meinen, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank, dann sollten Sie mal die Menschen kennenlernen, mit denen ich mich - mehr oder weniger freiwillig - umgebe! Da ist zum Beispiel mein Chef. Mein Chef ist Eigentümer des Esoterikgroßhandels, für den ich tätig bin; sein Name ist Kamillo Bolten. Er ist ein großer, kantiger, normalgewichtiger Mann mit einem nicht unattraktiven Gesicht, obwohl er eine Hakennase und ein fliehendes Kinn hat. Er trägt am liebsten Leinenklamotten, weite lange Hosen und darüber solche langen Hemden. Um seine Haare wird Kamillo von vielen weiblichen Angestellten beneidet. Er trägt sie lang bis auf den halben Rücken und macht sich nur selten einen Zopf. Das muss er auch nicht. Seine Haare wirken immer glatt und wie frisch gekämmt, sind allerdings von einem stumpfen Grau. Kamillo hat seinen Esoterikgroßhandel nicht einfach deshalb aufgemacht, weil er damit Geld verdienen wollte, sondern weil er von diesem Esoterikkram durch und durch überzeugt ist. Das hat er von seinen Eltern, und wie sie schon an seinem Vornamen sehen können, sind beziehungsweise waren die auch sehr speziell. Wenn man sein Kind auf diese spezielle Art und Weise erzieht, dann kommt eben so was wie Kamillo dabei heraus. Er ist ein freundlicher, friedlicher und friedliebender Mensch, der zur Erreichung seines friedlichen und harmonischen Lebens immer tief in die esoterische Trickkiste greift. Bei uns in der Firma stehen überall Duftöllampen rum, die irgendwelche ätherischen Düfte abgeben. Die sollen unsere Energie besser fließen lassen oder so was. Kamillos Sekretärin ist angewiesen, vor Besprechungen mit einem Aurabalance Spray durch den Raum zu gehen. Dabei sprüht sie das Zeug in jede Ecke, damit die Besprechung nicht nur harmonisch, sondern auch erfolgreich abläuft, denn das Spray hilft uns auch, unsere Energien zu sammeln und einzusetzen. Sagt Kamillo. Ja, ich duze meinen Chef. Wir duzen uns alle in der Firma - Anweisung von oben - dann lassen sich einige Dinge leichter auf den Punkt bringen, meint Kamillo. Es klingt komisch zu sagen: "Mit ihrem Kehlchakra scheint was nicht zu stimmen. Nehmen sie sich eine kleine Auszeit, finden sie sich und bringen sie ihre Chakren ins Gleichgewicht, bitte. Trinken Sie eine Tasse Salbeitee und stellen sie sich eine Manuka-Duftöllampe ins Büro, das wird ihnen helfen." Okay, wenn man sich duzt und sowas sagt, klingt es auch komisch. Wenn eine wichtige Entscheidung ansteht, dann fragt Kamillo die Engel. Er nimmt dazu eine kleine Engelfigur in die Hand, schließt die Augen und sagt Dinge wie: "Lieber lieber Engel, bitte hilf mir, Klärung in dieser und jener Sache zu schaffen." Und dann stellt er seine Frage. Wenn er die Engel in der Hand hält, scheint er sie auch zu spüren mit all ihren kleinen Engel-Chakren, und dann fragt er auch schon mal: "Was ist mit Deinem Herzchakra? Ich spüre Dissonanzen!" Und nach einer Pause sagt er dann: "Oh, das tut mir leid mit deiner Tante, ich hoffe, sie erholt sich wieder!" Der Teil der Firmenbelegschaft, der sich der Esoterik verschrieben hat, wartet immer darauf, dass sich eine Korona um Kamillos Kopf bildet, während er mit den Engeln spricht. Ich warte immer darauf, irgendwann eine kleine piepsige Stimme aus Kamillos Hand zu hören, wenn der Engel sagt: "Stell mich sofort ab, Arschloch, und klär Deine Scheiße gefälligst allein!" Wenn ich der Engel wäre, ich würde das sagen, da können Sie sich aber drauf verlassen! Wenn Sie jetzt meinen, ich mache mich über Esoterik lustig, dann liegen Sie falsch. Ich finde es immer gut, wenn Menschen etwas haben, an das sie glauben können, und ob es nun ein religiöser Glaube ist oder die Esoterik, das ist völlig egal. Ich finde allerdings, dass man alles übertreiben kann, und Kamillo übertreibt es absolut. Andererseits: er hat die Firma bisher sehr erfolgreich geleitet, soweit ich das beurteilen kann, und ich lebe nicht schlecht davon, denn mein Vertriebsassistentinnen-Gehalt kann sich sehen lassen. Deshalb hör ich jetzt auch auf, Kritik zu üben an meinem Chef und seinem Esoterik-Spleen. Von meinem Gehalt kann ich mir eine kleine, aber sehr schöne Wohnung leisten. Die liegt direkt am Rand eines großen Parks, aber gleichzeitig sehr zentral; um es mit dem Prospekt einer Ferienwohnungsanlage zu sagen: Einkaufsmöglichkeiten und Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sind gegeben. Bevor ich in diese Wohnung gezogen bin, habe ich in einer größeren Wohnung gewohnt, zusammen mit meinem jetzigen Ex-Freund, also meinem damaligen Freund. Konrad war einer dieser großen, dicken Teddybär-Typen mit einem voluminösen Bauch und diesem immer gleichen, gemütlichen Gesichtsausdruck. Ihn als einen schönen Mann zu bezeichnen, wäre mehr als übertrieben. Mir war das egal. Ich habe immer gesagt, dass ich große schlanke, dunkelhaarige Männer mag. Wenn aber der kleine dicke Blonde um die Ecke kommt, und der ist es, dann ist das so. Konrad war sozusagen der kleine dicke, Blonde. Wir haben uns über eine Internet-Partnerschaftsbörse kennengelernt. Ich sage Ihnen, sowas würde ich im Leben nicht mehr machen! Das hat nicht zwingend was mit Konrad zu tun. Ich habe viel mehr das Gefühl, dass es viel besser ist, dem Mann für's Leben auch da zu begegnen, also im wahren Leben. Ich habe dazu eine Art Wunschvorstellung, die ich allerdings mittlerweile zugunsten eines guten, zufriedenen Single-Lebens verworfen habe. Aber zurück zu Konrad. Er hatte mich auf dieser Internet-Plattform angeschrieben und wir haben uns dann, nach intensivem Schriftverkehr per Mail, getroffen. Die Zahl seiner guten Eigenschaften war für meine Begriffe zu diesem Zeitpunkt unendlich. Er war offen, witzig, klug, hilfsbereit und ein bisschen verrückt - ganz wichtig! Wir verliebten uns, und nach kurzer Zeit kamen noch weitere gute Eigenschaften hinzu: Zärtlichkeit, Hingabe, Verspieltheit, Kreativität, (das bezieht sich auf das Schlafzimmer, nur, um das mal klar gesagt zu haben, und das waren interessante Erfahrungen, die ich da gemacht habe! Das müssen Sie mir einfach so glauben, denn ich habe nicht vor, hier aus dem Nähkästchen zu plaudern). Nach einigen Monaten musste ich feststellen, dass das mit den guten Eigenschaften möglicherweise so unzählbar gar nicht war, aber das war nur realistisch, wie ich fand. Wir haben ja alle unsere Macken, und in der ersten Verliebtheit sieht man da gern drüber weg. Trotzdem fand ich Konrad nach wie vor tauglich als meinen Partner, und nach einem Jahr zogen wir in unsere gemeinsame Wohnung. Kennen Sie das, wenn Sie feststellen, dass Ihnen die rosarote Brille von der Nase rutscht? Meine Brille fiel mir nur wenige Monate nach dem Einzug von der Nase, und jetzt konnte ich Konrads Macken, die bis dahin liebenswert waren, als Fehler ausmachen, und noch viele mehr entdecken. Ich sage Ihnen, ich habe selten so einen Schmutzpuckel erlebt. Überall flog sein Zeug rum. Schmutzige Socken, leere Colaflaschen, Müll, abgeschnittene Fußnägel. Sie ekeln sich an dieser Stelle zu Recht. Ich habe versucht, mit ihm darüber zu reden, aber ich bin nicht zu ihm durchgedrungen. Es wäre einfacher gewesen, Putin von der gleichgeschlechtlichen Ehe zu überzeugen, und das auf Russisch. Immer, wenn ich kurz davor war, hinzuschmeißen, muss Konrad das irgendwie gemerkt haben. Dann brachte er Blumen mit nach Hause, entschuldigte sich wortreich und gelobte Besserung. Ich schmolz dahin, nahm Blumen und Entschuldigung entgegen und war wieder glücklich. Das ging dann drei Tage gut, und dann begann alles wieder von vorn. Irgendwann merkte ich, dass wir uns im Kreis drehten und fand, dass es an der Zeit war, einen objektiven Dritten dazu zu holen. Ich wandte mich an einen Paartherapeuten. Unsere erste Sitzung dort war auch unsere letzte, und sie verlief sehr speziell. Der Therapeut bat uns, Platz zu nehmen und wollte dann wissen, warum wir uns an ihn gewandt hatten. Ich schilderte unsere Beziehung und meine Probleme damit. Dann sprach der Therapeut mit Konrad, oder besser: er versuchte es. "Und, Herr Wolter, was fühlen sie, wenn sie das hören?" "Ich hab Hunger." Der Therapeut war sichtlich irritiert, ließ aber nicht locker. "Und was fühlen sie sonst noch?" "Na ja, ich bin müde. War ein langer Tag." Um diesen weltbewegenden Satz zu unterstreichen, schaute Konrad den Therapeuten an und nickte, als dieser nichts erwiderte. Es entstand eine Pause. Ich stellte mir vor, wie sich kleine Rädchen im Gehirn des Therapeuten drehten. Ich konnte ihr Klackern hören. Es war so eine Situation, in der jemand eine Frage stellt, eine Antwort erhält, mit der er nicht gerechnet hat und jetzt verzweifelt überlegt, wie er darauf reagieren soll. Ich denke, dass es zum Beispiel einem Standesbeamten so gehen muss, wenn die Braut oder der Bräutigam auf die Frage aller Fragen mit 'Nein' antwortet. Schließlich sprach der Therapeut weiter. "Ja - äh - gut, aber sie müssen doch sonst irgendwas fühlen, wenn sie hören, was ihre Freundin belastet!? Konrad wirkte irritiert. Er stellte eine Gegenfrage: "Was denn?" Ich kann den Gesichtsausdruck des Therapeuten hier nicht beschreiben, aber ich versichere Ihnen: sowas sieht man selten! Ich selbst hatte in diesem Moment eine Eingebung. Mit wurde klar, dass es mir bei dem Besuch beim Paarberater nie darum gegangen war, wie unsere Beziehung weitergehen soll, sondern ob sie weitergehen soll. Und die Antwort darauf war so klar! Aus verschiedenen Gründen bekam ich einen Lachanfall. Die Gründe waren 1. der Gesichtsausdruck des Therapeuten 2. Ich hatte fast zwei Jahre lang mit einem Mann zusammengelebt, der so viel Empathie wie ein Ring Fleischwurst besaß 3. Ich hatte einen Paartherapeuten gebraucht, um das zu erkennen. 4. Ich hatte eine Entscheidung gefällt und war erleichtert und glücklich darüber. Ich nahm Jacke und Tasche, ließ die beiden Männer in dem Sprechzimmer allein, fuhr nach Hause und begann, im Internet nach einer Wohnung zu suchen. Natürlich ging es mir in der Zeit nach der Trennung zunächst nicht sonderlich gut, denn auch wenn ich diejenige war, die die Beziehung beendet hat, heißt das ja nicht, dass ich Konrad nicht geliebt hätte. So eine Trennung muss verarbeitet werden, und ich war noch nicht fertig damit. Das soll aber nicht heißen, dass ich keine Übung darin gehabt hätte. Fragen Sie mich nicht, wie viele Beziehungen ich vor Konrad gehabt habe. Ich versichere Ihnen, dass einige Schmuckstücke dabei waren, und die wollen Sie nicht in Ihrer Schatulle haben. Da war zum Beispiel Michael, meine erste ernsthafte Beziehung. Wir haben acht Jahre lang zusammengelebt. Diese acht Jahre sind auch schon mein ganz persönlicher Rekord; keine andere meiner Beziehungen hat länger gedauert. Michael war zwanzig Jahre älter als ich. Wenn Sie glauben, dass ihn das davon abgehalten hätte, mich zu betrügen, dann täuschen Sie sich. Das war aber nicht mal der Grund dafür, dass ich mich von ihm getrennt habe. Ich wusste zwar von den anderen Frauen, aber als ich davon erfuhr, hat es mich schon kaum mehr interessiert. Ich trennte mich, weil ich mich weiterentwickelt hatte und gereift war, während er seinen Reifeprozess damals schon lange hinter sich hatte. Ich hatte ihn irgendwann überholt, war an irgendeiner Kreuzung unseres gemeinsamen Wegs anders abgebogen als er und musste dann feststellen, dass uns nichts mehr verband. Ich trennte mich, und weil wir uns so weit voneinander entfernt hatten, fiel mir das nicht mal sonderlich schwer. Umso schwerer trafen mich die Trennungen danach; diesen Schmerz war ich nicht gewohnt, und den hatte ich auch nicht erwartet. Später irgendwann kam Ralf. Er war zwei Jahre jünger als ich, von Beruf Diplomverwaltungswirt und arbeitete bei der Stadtverwaltung in der Finanzbuchhaltung. Umso erstaunlicher war, dass er nebenbei malte, und das nicht mal schlecht. Dumm war nur, dass er neben seinem Job und der Malerei keine Zeit für mich hatte, und immer, wenn ich welche einforderte, wurde er aggressiv, unfair, respektlos. Dann tat ihm das leid, und er war wieder der großartige Mann, in den ich mich verliebt hatte. Dieses Hin und Her hielt ich ein Jahr lang durch, bevor ich mich trennte. Das war die schmerzhafteste Trennung von allen, weil ich diesen Idioten wirklich geliebt hatte, auch noch, als ich mich trennte, bevor mich dieses Hin und Her ganz verrückt gemacht hatte. Dann war da noch Oliver, den ich wohl nur zufällig nüchtern kennengelernt hatte; die Beziehung dauerte nur ein halbes Jahr, bevor ich mich trennte. Ich drückte ihm als Ersatz für mich eine Flasche Korn in den Arm und bin noch heute davon überzeugt, dass ihn das mindestens für diesen Abend glücklich gemacht hat. Kai war ein immer unzufriedener Nörgler, ich verließ ihn nach neun Monaten. Mario verließ mich, ich wollte zu viel Sex, meinte er. Das war der erstaunlichste Grund unter den Gründen für all meine Trennungen! Giovanni war ein lieber Kerl. Als ich nach einem halben Jahr noch immer nicht seine Wohnung hatte sehen dürfen und wir immer nur bei mir waren, begann ich zu drängeln. Er erfand immer neue Ausreden, und irgendwann bekam ich raus, dass er mir eine falsche Anschrift genannt hatte und das deshalb, weil in der anderen Wohnung seine andere Freundin wohnte. Ich traf mich mit ihr, und wir wunderten uns beide, dass wir auf seine ständigen Tag- und Nachtdienste und Notarzteinsätze hereingefallen waren. Wollen Sie noch mehr hören? Wenn es nach mir geht, dann reicht es; ich will auch gar nicht mehr über all die Mikes und Andreas' und Ingos reden. Na ja, jedenfalls habe ich mir nach dem Reinfall mit Konrad vorgenommen, niemals wieder eine Beziehung einzugehen geschweige denn mit jemandem zusammenzuziehen. Ja ja, ich weiß, sagen Sie es nicht. Man nimmt sich sowas vor, aber wenn man 'ihm' dann mit dem Einkaufswagen in die Hacken gefahren ist, rollt alles, was man sich vorgenommen hat, zusammen mit einem Pfund Tomaten und einer Flasche Allzweckreiniger in dem Wagen davon. Nur, weil man zu dem Zeitpunkt keine Lust hat, mit jemandem zusammen zu ziehen, heißt das nicht, dass man zwei Jahre später immer noch so denkt. Trotzdem: Beziehung und eine gemeinsame Wohnung mit einem Mann sehe ich in meiner Lebensplanung nicht mehr, und heiraten gehörte noch nie dazu. Liebe, Beziehung, gemeinsame Wohnung - das war lange Zeit okay für mich. Mittlerweile ist davon nichts mehr übrig. Konrad war zwar einer der wenigen Männer, mit dem ich auch zusammengelebt hatte, aber dass nichts von Dauer ist, das ist mir ja nun mittlerweile klar, und warum sollte ich mir das alles noch mal antun? Ich will diesen ganzen Scheiß nicht nochmal erleben. Immer diese Neuanfänge, immer dieser Herzschmerz, immer dieses Wiederaufrappeln. Ich wüsste auch nicht, ob ich das nochmal schaffen würde. In meiner Theorie funktionieren Beziehungen nicht, und bei den bestehenden Beziehungen muss man nur mal einen Blick hinter die Kulissen wagen, um schnell festzustellen, dass mindestens einer leidet. Wenn andere Menschen meinen, dass es ihr Lebensweg ist, eine Beziehung zu führen, eine gemeinsame Wohnung zu haben und möglicherweise sogar zu heiraten, dann freue ich mich für diese Menschen, wenn sie ihre Ziele erreicht haben. Letztlich werden die aber auch nur ein Arrangement treffen mit dem Schicksal, um die Beziehung oder Ehe erträglich zu gestalten. Ich sehe für mich persönlich gar keinen Grund, eine Beziehung aufzubauen. Ich verdiene gut, habe eine schöne Wohnung, großartige Freunde und zwei wunderbare Schwestern. Warum sollte ich mir einen Kerl zulegen? Wenn ich sehen will, wie sich einer am Hintern kratzt, sich zum Pupsen vorbeugt oder sich im Wohnzimmer die Fußnägel schneidet, dann sehe ich mir Alfred Tetzlaff in einer Folge von 'Ein Herz und eine Seele' an. Ich bin einfach nicht für eine Beziehung gemacht. Klar, die Typen, die ich hatte, hatten alle eine Riesenmeise, aber ich hab ja nun auch meine Macken, und davon nicht wenig und ganz schön bekloppte. Ich bin auch nicht bereit, die abzulegen, mich verbiegen zu lassen für irgendeinen, der nach einer kurzen oder meinetwegen auch längeren Zeit einfach wieder weg ist. Ich will das mit der Beziehung nicht nochmal versuchen und habe deshalb beschlossen, mich in meinem kleinen, verrückten Leben allein einzurichten. Trotz all meiner Ablehnung gibt es Menschen in meinem Leben, die meinen, es sei ganz und gar nicht gut für mich, auf Dauer allein zu bleiben und dass ich dafür auch nicht gemacht wäre, sozusagen. Einer davon ist Marc Iffland. Marc ist meine beste Freundin. Ja, ich höre Euren Protest, liebe schwule Männer. Ich weiß, dass man das nicht sagt, denn nur, weil ihr auf Männer steht, heißt das ja nicht, dass ihr deshalb keine Kerle seid. Und ihr habt ja so recht. Ich sage das auch nur in diesem speziellen Fall über Marc, weil ich faktisch keine beste Freundin, also eine weibliche, habe, und Marc diese Position bei mir einnimmt. Diese Geschlechtsverdrehung stellt in diesem Falle sozusagen eine Auszeichnung dar, und deshalb nehmt es mir bitte nicht übel, wenn ich das so stehen lasse. Danke schön! Marc ist etwa einen Meter siebzig groß und hat eine schlanke, durchtrainierte Figur. Auf mich wirkt er immer ein bisschen so, als wäre er testosteronangefüllt, und damit habe ich wohl auch recht. Das dürfte auch der Grund sein, warum es bei Marc mit dem Haarwuchs nicht mehr so gut funktioniert, obwohl er gerade erst über vierzig ist. Seitdem Marc eingesehen hat, dass aus dem spärlichen Wuchs auf seinem Kopf keine Frisur mehr rauszuholen ist, rasiert er sich die Haare regelmäßig ab, und ich kann Ihnen sagen, er ist einer der attraktivsten Männer mit Glatze, die ich kenne, denn er hat eine sehr schöne Kopfform! Auch sein Gesicht ist schön, weich und männlich zugleich und absolut symmetrisch in seiner Form. Er ist der lässige, stylische Typ, auf den die Männer (und die Frauen) fliegen. Marc und ich kennen uns eigentlich noch gar nicht so lange, aber es fühlt sich für uns so an, als wären wir schon ein halbes Leben oder länger miteinander befreundet. Es gibt für mich zwei Dinge, an denen ich sowas wie Seelenverwandtschaft ausmachen kann. Das ist, wenn man gemeinsam schweigen kann, ohne, dass es unangenehm wird und man genau weiß, dass man sich ganz viel sagen könnte, wenn man nur gerade Lust dazu hätte, und das ist, wenn man sehr oft das selbe denkt wie der andere. Beides ist bei Marc und mir der Fall, und beides ist großartig. Wir trafen uns vor einigen Jahren in meiner damaligen Stammkneipe am Tresen. Es war eine Schwulenkneipe, und ich ging immer gern dahin, wenn ich ein bisschen Spaß auf meine Art haben wollte, also wenn ich mich nett unterhalten und auch ein bisschen flirten wollte, aber letztlich klar sein sollte, dass ich allein nach Hause gehe. Können Sie das verstehen, liebe Frauen? Leute kennenlernen - toll. Unterhalten - toll. Lachen, Spaß haben - toll. Flirten - großartig. Doofe Anmachen - doof eben. Einen Kerl abwimmeln müssen - noch doofer. Wenn Sie das genau so sehen wie ich, dann besuchen Sie eine nette Schwulenkneipe. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Aber jetzt zurück zu dem, was ich Ihnen eigentlich erzählen möchte. Marc und ich standen also da am Tresen und unterhielten uns, und wir waren beide irgendwie ganz angetan voneinander, und nach dem dritten Glas Wein sagte ich zu ihm: "Wenn Du nicht schwul wärst, dann würde ich Dich jetzt anbaggern." Er antwortete nach dem achten Glas Bier: "Wenn ich nicht schwul wäre, würde ich Dich heiraten!" Und obwohl damit klar war, dass wir irgendwie zusammengehörten, haben wir keine Telefonnummern ausgetauscht und trafen uns erst zwei Wochen nach diesem Abend zufällig wieder. Seitdem sind wir unzertrennlich. Verrückt, oder!? Na ja, jedenfalls war Marc immer der Meinung, dass ich nicht auf Dauer allein bleiben sollte. Interessant an dieser Aussage war, dass sie ausgerechnet von ihm kam. Marc hält nämlich gar nichts von Beziehungen. Das schränke seine Freiheit ein, meint er. Nun gibt es ja viele Menschen, die von sich behaupten, keine Beziehung zu wollen, weil das ihre Freiheit einschränke. Ein Großteil dieser Menschen sitzt Abend für Abend zu Hause auf der Couch. Da fragt man sich doch, welche Freiheit da genau gemeint ist. Die, das Fernsehprogramm allein bestimmen zu dürfen? Oder die, solange auf dem Klo sitzen zu dürfen, wie man möchte, ohne dass jemand vor dem Bad steht und meckert, weil er oder sie sich die Zähne putzen möchte? Das wäre in der Tat ein Fall für den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Bei Marc ist der Einwand mit der Freiheit insofern ernst zu nehmen, als dass er sie auch nutzt. Er sieht nicht nur gut aus, sondern ist dazu noch charmant und witzig, klug und eloquent, was ihn gleichzeitig in die Lage versetzt, mit viel Wortwitz zu jonglieren und ernsthafte und sachliche Diskussionen zu führen. Man merkt eben, wenn einer der Sohn einer Deutschlehrerin ist, ob er das nun will oder nicht. Aus all diesen Vorzügen zieht Marc seinen Erfolg bei Männern. Es vergeht kein Ausgehabend, an dem Marc nicht jemanden abschleppt oder sich abschleppen lässt. Und selbst, wenn wir gemeinsam ausgehen, und er seinem Aufriss erklärt, man müsse zunächst die Prinzessin nach Hause bringen, bevor man übereinander herfallen könne - sie gehen ihm alle ins Netz. Dann bestellen wir in der Regel ein Taxi - an solchen Abenden ist keiner nüchtern - und dann werde ich nach Hause chauffiert, und die Herren fahren weiter zur einen oder anderen Wohnung, je nachdem, welche näher liegt. Meistens geht es dann zu Marc nach Hause, denn wir wohnen - zufällig - nicht weit voneinander entfernt. So steht Marc zu mir, und dafür, und für viele andere Dinge, liebe ich ihn auf meine Art. Nachdem ich mich von Konrad getrennt hatte und in meine schöne, kleine neue Wohnung gezogen war, war ich also erst mal allein. Wie gesagt, ich hatte ja noch die Trennung zu verarbeiten und das war wie immer eine harte Zeit. Man steht den Tag im Job so durch und bemüht sich um Normalität, (wenn das in einem Esoterikgroßhandel mit einem Chef wie Kamillo auch ohne Trennung schon echt schwer ist!), und verdrängt den in irgendeiner Ecke des Körpers lauernden Schmerz. Abends sitzt man allein auf der Couch, man sieht fern oder liest ein Buch, aber letztlich ist man gar nicht bei der Sache, weil das Unterbewusste einen solchen Krach macht, dass man sich überhaupt nicht konzentrieren kann. Die Freunde und Schwestern fragen nur zögerlich, wie es einem geht, aber sie fragen permanent und mit so viel Mitgefühl in der Stimme, dass man sie erschlagen möchte, obwohl man sie sehr lieb hat. Meine Freunde und Schwestern im Speziellen versuchen mich auf jede nur erdenkliche Art und Weise aufzuheitern. Diese Versuche beginnen mit der Besorgung meiner Lieblingseissorte, (die sehr schwer zu finden ist!), führen weiter zu Fahrten zum Weindealer meines Vertrauens - ein Tagesausflug, der eigentlich ganz nett, aber unter den gegebenen Umständen nur anstrengend ist - führen weiter dazu, dass sie die 'Sinn und Sinnlichkeit'-DVD aus meinem Player schmeißen und sich stattdessen mit mir 'Grasgeflüster' oder 'Die fabelhafte Welt der Amelie' ansehen - Filme, die wir alle schon unzählige Male gesehen haben und die, nach ihrem Zweck gerichtet, austauschbar sind gegen jeden anderen Film, solange er nur witzig ist und die Geschichte gut ausgeht. Irgendwann, nach einiger Zeit, stellt man dann fest, dass einem das eigene Lächeln am Morgen zur Begrüßung der Kollegen gar nicht mehr mechanisch vorkommt, dass man plötzlich wieder versteht, was man gerade liest - das gilt für mich allerdings nur begrenzt - und den Ausführungen in der wöchentlichen Teambesprechung wieder folgen kann, und das ist der Punkt, an dem man weiß, dass es wieder aufwärts geht.

Kathis Kosmos

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