Читать книгу Kathis Kosmos - Tanja Reinhard - Страница 7
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ОглавлениеIch verdrängte den neuen Nachbarn und meinen damit verbundenen Ärger und packte meinen kleinen Koffer. Am nächsten Morgen musste ich zu einem Seminar mit dem Thema "Finde die göttliche Liebe in Dir". Es ging dabei vor allem darum zu lernen, sein Herz zu öffnen und heilende Energien fließen zu lassen. Kamillo hatte einige neue Produkte in unser Sortiment aufgenommen und erwartete natürlich von seiner Vertriebsassistentin, dass sie wusste, wovon sie sprach, wenn sie eben diese neuen Produkte bei den Kunden anpries. Ich hatte schon einige solcher Seminare besucht und wusste daher, was auf mich zukommt. Ich kann Ihnen sagen: es ist gar nicht so übel wie man denkt, und man lernt einige sehr spezielle Menschen kennen! Das Seminar sollte drei Tage dauern, und ich hoffte, dass es kurzweilig und das Hotel annehmbar sein würde.
Als ich am nächsten Mittag am Hotel ankam, war ich sehr überrascht. Zum einen schien es sich um einen Luxus-Tempel zu handeln. Das war insofern ein kleines Wunder, als dass solche Seminare sonst meist in kleinen, abgelegenen Häusern stattfanden, in denen die Unterbringung eher praktisch als luxuriös war. Das hier aber war ein schon von außen sichtbar sehr gepflegtes, gediegenes Haus mitten in einer netten kleinen Ortschaft. Am Eingang prangte ein Schild mit dem Namen des Hotels und fünf Sternen darunter. Ich ärgerte mich kurz darüber, dass Kamillo mich nicht vorgewarnt hatte; ich hatte nicht die richtigen Klamotten für so einen Luxusbunker bei mir. - Hätten Sie daran gedacht, das kleine Schwarze einzupacken, wenn Sie zu einem Esoterik-Seminar gefahren wären? - Das hab ich mir gedacht, und das beruhigt mich. Ich beschloss, das Beste daraus zu machen und schon, als ich den Empfangsbereich betrat, war ich sicher, dass mir das nicht schwer fallen würde. Ich checkte ein und ging auf mein Zimmer. Das Äußere des Hauses hatte nicht zu viel versprochen; ich war in meinem eigenen kleinen Palast gelandet. Die Stunde bis zum Seminarbeginn nutzte ich, um meine Koffer auszupacken, das Zimmer zu inspizieren und in dem hoteleigenen Café einen kleinen Imbiss zu mir zu nehmen, der aus einem Käsebrötchen bestand.
Pünktlich um 15 Uhr betrat ich den Seminarraum. Auf den ersten Blick zählte ich etwa zwanzig Teilnehmer, mehr weibliche als männliche. Wie nicht anders zu erwarten war, waren die meisten Anwesenden typische Besucher eines solchen Seminars. Viele trugen wallende weiße oder beigefarbene Hemden aus Leinen, und Sandalen. Sie trugen die Haare lang und offen. Die Frauen waren ungeschminkt und sonnengegerbt. Nur einer stach aus dieser Gruppe heraus. Ich fragte mich, ob der hier richtig war. Er sah aus wie ein Banker. Er war mittelgroß und ein bisschen dicklich. Das versuchte er zu kaschieren, in dem er nicht nur unter seinen dunkelgrauen Anzug eine Weste gezogen hatte, die wohl nur dazu da sein sollte, seinen Bauch optisch zu verkleinern. Die Krawatte passte ausgezeichnet zum Ensemble. Das Gesicht des Mannes machte einen freundlichen, lustigen und klugen Eindruck, letzteres wurde noch von der kleinen runden Brille, die er trug, unterstrichen. Trotz der steifen Kleidung und obwohl er kein schöner Mann war machte er insgesamt einen niedlichen Eindruck. Irgendwie war ich neugierig auf ihn; daher wartete ich gespannt darauf, dass er in der Vorstellungsrunde an der Reihe war. Endlich war es soweit.
Sein Name war Bernd Müser und er war 49 Jahre alt, wie er in der Vorstellungsrunde verriet. Seine Stimme war warm und dunkel, und wenn er lächelte, wirkte er unglaublich nett und sympathisch. Er stellte sich vor und erklärte, so wie auch die Vorredner, warum er an dem Seminar teilnahm: "Mein Vater führt eine Apotheke, in der ich der Geschäftsführer bin, aber noch nicht viel zu sagen habe, solange der alte Herr sich nicht zurückzieht." Er grinste. "Er hat kürzlich in dem leer stehenden Ladenlokal neben der Apotheke einen Esoterikladen eröffnet und schickt mich nun zu verschiedenen Esoterik-Seminaren, denn so viel Verstand hat er, dass ihm klar ist, dass wenigstens einer von uns Ahnung haben muss." Diese Erklärung fanden nicht alle Anwesenden gut, denn viele Esoteriker sind der Meinung, dass die Esoterik in einem sein muss und man sie deshalb nicht erlernen kann wie das Auto fahren. Ich fand diese Erklärung extrem witzig, zumal ich diesen Fehler bei meinem ersten Seminar auch gemacht hatte. Ich kicherte, und Bernd Müser schaute zu mir hinüber und zwinkerte mir zu. Holla! Jetzt war ich dran, mich vorstellen zu müssen. "Guten Tag zusammen, liebe Menschen", begann ich, "mein Name ist Kathi Dresen, und ich bin hier, um mein esoterisches Wissen zu erweitern. Ich bin bereit, mit Euch und bei Euch meine Chakren zu öffnen und viel mit euch und von euch zu lernen." Ich lächelte die Anwesenden, die mich gebannt anstarrten, an und dachte, dass ich heute aber ein bisschen dick aufgetragen hatte. Wahrscheinlich war genau das auch der Grund, warum Bernd Müser mich durchschaut hatte. Er schaute breit grinsend zu mir rüber und schüttelte den Kopf, als bewundere er meine Raffinesse. Das Seminar zog sich dahin, und immer wieder schauten Herr Müser und ich zueinander rüber. Das war ein Augenflirt, dass einem warm werden konnte, sage ich Ihnen! Den Mann wollte ich kennenlernen! Zu meiner Enttäuschung war Herr Müser nach dem Seminar gleich verschwunden und auch am Abend nicht mehr auffindbar. Ich sah ihn nicht beim Essen und nicht an der Bar. Ich suchte ihn im Fitnessraum, durchstreifte die Altstadt des kleinen Örtchens und versuchte, durch die beschlagenen Fenster in das hoteleigene Schwimmbad zu spähen. Herr Müser hatte sich in Luft aufgelöst. Ich fragte sogar an der Rezeption nach seiner Zimmernummer. Leider konnte mir die Rezeptionistin nur mitteilen, dass für das Seminar elf Einzel- und fünf Doppelzimmer gebucht worden waren, aber welcher Seminarteilnehmer nun in welchem Zimmer wohnte, wusste sie leider nicht. Sie können sich sicher vorstellen, wie enttäuscht ich war. Auch beim Frühstück am kommenden Morgen war Herr Müser nicht zu sehen. Ich fragte mich, wo der Kerl sich wohl rumtrieb. Die Antwort darauf erhielt ich zufällig im Laufe des Vormittags, wiederum nach einem heftigen Augenflirt mit ihm, als er in einem Gespräch mit dem Seminarleiter erwähnte, dass er im Nachbarort wohne. Daher esse und schlafe er zu Hause. Na super, dachte ich, wenn er sich heute nicht traut, mich anzusprechen, dann werde ich keine Gelegenheit mehr haben, mich an ihn ranzupirschen. Umso mehr freute ich mich, als der Seminarleiter Herrn Müser bat, an der letzten gemeinsamen Mahlzeit, dem Frühstück am nächsten Morgen, teilzunehmen. Herr Müser sagte zu. Was meinen Sie, wie ich mich gefreut habe! Selbst, wenn er mir am Mittag und Nachmittag wieder entwischen sollte, hatte ich zumindest beim Frühstück die Chance, ihn anzusprechen. Am Abend lag ich auf dem Hotelbett und träumte von Herrn Müser. Ich sagte ja schon, dass er keine Schönheit war, objektiv betrachtet, aber wenn er lächelte und mir zuzwinkerte, dann wurde mir warm. Ich legte mir gedanklich zurecht, was ich am nächsten Morgen zu ihm sagen würde. Es sollte verführerisch klingen, gleichzeitig aber witzig und intelligent sein. Vor Aufregung konnte ich kaum einschlafen, denn nach all dem Geflirte, Gelächele und Gezwinkere der vergangenen zwei Tage lag auf der Hand, dass ich erfolgreich sein würde, und darauf freute ich mich. Sie können mir glauben, dass ich von mir selbst überrascht war. Am nächsten Morgen gab ich mir besonders viel Mühe bei meinem Make up, dem ich sonst wenig Aufmerksamkeit schenke. Glücklicherweise hatte ich meine Knackarsch-Jeans und eine Bluse mit ziemlich tiefem Ausschnitt dabei. Frisch geschminkt, in diesen Klamotten und schwarzen Stiefeletten hängte ich mir die Handtasche über die rechte Schulter und schaute in den Spiegel. Ich war schön wie eine kleine pummelige Göttin, so fand ich, und sehr zufrieden. Ich ging in den Frühstücksraum und sah mich um. Bernd Müser saß an einem großen Tisch, zusammen mit einigen anderen Seminarteilnehmern. Als er mich reinkommen sah, ging es gleich wieder los, das Geflirte und Gelächele und Gezwinkere. Ich ging ans Buffet. Schließlich wollte ich nicht den Eindruck erwecken, als könnte ich es kaum abwarten, ihn zu sehen, und davon abgesehen hatte ich tatsächlich Hunger. Ich nahm einen Dessertteller in die Linke und nahm mir ein Brötchen, Aufschnitt, ein kleines Schälchen Marmelade und eine Portion Butter. Dann nahm ich einen dieser flachen Eierbecher, stellte ein gekochtes Ei hinein und trug diesen in der rechten Hand in Richtung Tisch. Was dann passierte, kann ich kaum beschreiben. Nicht, weil ich es nicht erklären kann, sondern weil es mir heute noch peinlich ist. Tun Sie mir bitte den Gefallen und lachen Sie leise oder freuen Sie sich anders, wenn Sie das hier jetzt lesen. Mit dem Teller in der Linken und dem Eierbecher mit Ei in der Rechten machte ich mich also auf den Weg zu dem Tisch, an dem Bernd Müser saß. Ich nahm erfreut zur Kenntnis, dass der Platz neben ihm noch frei war. Großartig, fand ich. Ich war noch drei Meter vom Tisch entfernt, als plötzlich meine Handtasche begann, von meiner rechten Schulter zu rutschen. Zu meiner Handtasche sollte ich kurz erklären, dass sie nicht einfach eine Handtasche ist, wenn man Marc glaubt. Der ist nämlich davon überzeugt, dass in meiner Handtasche auch eine Einbauküche integriert ist, einfach deshalb, weil ich alles, was gerade verlangt oder gebraucht wird, in dieser Tasche habe. Pflaster, Desinfektionsmittel, Erfrischungstuch, Eisbonbons, Kaugummi, einen Taschenaschenbecher, Taschentücher natürlich, ein Einkaufsbeutel, einen Spiegel, Lippenstift und Lippenpflegestift und ich weiß nicht was noch alles. Fragen Sie mich einfach, wenn Sie was brauchen, ich schaue nach, ob ich es dabei habe. Bastian behauptet sogar, ich hätte auch eine Stehlampe in meiner Tasche, so wie Mary Poppins in dem gleichnamigen Disney-Film. Meine Handtasche ist nicht so groß, wie Sie jetzt vielleicht glauben, aber sie können sich sicher vorstellen, dass sie nicht sonderlich leicht ist. Und diese Tasche rutschte immer weiter, bis sie schließlich das Ende der Schulter erreichte und mit Schwung am Arm herunterrutschte. Das ging so schnell, dass ich nicht gewappnet war. Die Tasche erreichte die Armbeuge und mein Arm schnellte reflexartig nach oben, um zu vermeiden, dass die Tasche auf den Boden fiel. Das konnte ich verhindern; den Eierbecher ließ ich dabei ebenfalls nicht fallen, aber das Ei darin flog in hohem Bogen quer durch den Frühstücksraum und traf den Seminarleiter, der gerade mit einem fröhlichen 'Guten Morgen' den Raum betreten hatte, genau in Stirnmitte. Haben Sie schon mal gespürt, wie Ihr Blut gesammelt in die Beine sackt und dann ebenso gesammelt rauf in Ihren Kopf schießt? Ich kann Ihnen sagen, dass das ein Scheißgefühl ist, und ich wünsche es Ihnen nicht. Im gesamten Frühstücksraum herrschte eisige Stille. Nach einer kurzen Schockstarre stellte ich Teller und Eierbecher auf dem nächsten Tisch ab und rannte aus dem Raum in mein Hotelzimmer. Dort nahm ich meinen Koffer, den ich bereits gepackt hatte, verließ in rasendem Tempo das Hotel und stieg in eines der Taxis vor dem Haus. Ich hatte keine Ahnung, wann der nächste Zug fuhr, und es war mir auch egal. Ich wollte nur vermeiden, dass ich noch einem der Menschen, die während dieser Szene im Frühstücksraum waren, begegnen musste. Meine Teilnahme-Bescheinigung für das Seminar würde man mir zusenden, so hoffte ich zumindest. Ich würde eh auch nur noch die Fragerunde und Verabschiedung verpassen. Was wohl Bernd Müser von mir denken mochte? Ich wollte es nicht wissen. Verdammt noch mal! Da lief mir mal ein Mann über den Weg, der mir gefiel, und dann passierte mir so ein Scheiß. Ich war sauer und ich schämte mich. Gleichzeitig machte sich aber auch ein kleines Gefühl der Erleichterung in mir breit. Mit dem Kerl musste ich mich schon mal nicht mehr beschäftigen. Am Bahnhof angekommen schaute ich auf den Fahrplan, um festzustellen, dass der nächste Zug nach Hause erst in einer Stunde fahren würde. Ich konnte nur hoffen, dass das Seminarende ein bisschen dauern würde, damit ich hier am Bahnhof nicht noch jemandem begegnen musste. Ich setzte mich auf eine der Bänke und war sehr beschäftigt damit, das am Morgen bereits Geschehene zu verdrängen, bis mein Zug einfuhr. Am Ziel angekommen ging ich noch schnell in den Supermarkt, um ein paar Teile einzukaufen.