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2.

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Diesen Punkt hatte Marc über Monate abgewartet, und jetzt war seine Zeit gekommen. Für Marc ist die Prinzessin nur dann glücklich, wenn sie einen Prinzen hat. Solange ich Single war, hielt er mich für latent unglücklich, so musste ich feststellen. Das war eine völlig falsche Annahme, von der ich nicht weiß, wo Marc sie hernimmt. Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals über mein Single-Dasein beschwert zu haben. Klar, ich mache immer mal irgendwelche Bemerkungen zu Männern, die daraus schließen lassen, dass ich für mehr als nur eine Nacht interessiert wäre, hätte ich die Gelegenheit, aber das meine ich doch nicht so! Ich brauche keinen Mann, um glücklich zu sein, im Gegenteil. Ich liebe mein kleines Single-Leben, und auch, wenn ich manchmal abends auf der Couch sitze und denke, dass es schön wäre, wenn da jetzt jemand neben mir säße, heißt das noch lange nicht, dass ich eine Beziehung will. Marc will das einfach nicht verstehen, sondern versucht stattdessen mit allen Mitteln, mich zu verkuppeln. Da er aber nun mal schwul ist und nicht allzu viele Hetero-Männer kennt, die dann auch noch ungebunden sind und zu mir passen könnten, muss er eben in fremden Gewässern fischen. Damit ist in dem Fall die Anonymität gemeint. Nun ist es leicht, einen Freund oder Bekannten auf eine Frau aufmerksam zu machen. Wenn man aber einen Fremden dazu bringen möchte, sich mit einer Frau zu befassen und zu überdenken, ob es da gegebenenfalls Schnittpunkte geben könnte, die Anlass zu der Vermutung geben, dass man zusammen passen könnte, dann muss man sich schon was einfallen lassen.

Marc hatte sich etwas nach seiner Meinung Großartiges einfallen lassen, um mir einen Mann zu suchen. Da die Ausführung seines Plans jedoch ein gewisses Maß an Kreativität voraussetzte, über die Marc nicht verfügt und auch nie verfügt hat, brauchte er Hilfe, und die holte er sich bei seinem besten Kumpel und meinem anderen besten Freund.

Das ist Bastian. Bastian ist, gleich nach Marc, der großartigste Freund, den man sich vorstellen kann. Er ist, wie ich schon erwähnte, ebenfalls schwul, und wenn Marc und Bastian auch die dicksten Freunde sind, würden sie überhaupt nicht zueinander passen.

Im Gegensatz zu Marc (und zu mir) schwört Bastian nämlich auf die Liebe und das Beziehungsleben an sich und würde sich nur zu gern binden. Das Problem ist nur, dass er keinen potentiellen Partner findet. Das liegt an seinen Ansprüchen. Man kann nicht sagen, dass Bastian schlecht aussieht, im Gegenteil, aber er ist eben auch nicht der Schönste im Land. Bedauerlicherweise denkt er das allerdings. Bastian ist einen Meter und neunzig groß, hat einen etwas zu großen Kopf und ein Durchschnittsgesicht. Er glaubt, er sähe mindestens zehn Jahre jünger aus, als er tatsächlich ist, und die Rolle, die sich unter seinen immer viel zu engen Shirts abzeichnet, sei ein Sixpack. Nach Meinung von Marc und mir ist das, was Bastian da unter dem T-Shirt trägt, tatsächlich ein Behältnis für Getränke, allerdings halten wir es eher für ein Fässchen. Wir haben schon mehrfach versucht, ihm auf freundliche und vorsichtige Art und Weise mitzuteilen, dass er möglicherweise sein Selbstbild mal überdenken sollte, denn dann würde er auch verstehen, warum die knackigen braungebrannten zwanzigjährigen Modeltypen nicht total auf ihn abfahren, obwohl sie das seiner Ansicht nach tun müssten, und zwar alle durch die Bank. Er möchte uns aber nicht verstehen. Marc ist einmal deutlicher geworden. Daraufhin war Bastian schwer gekränkt und wurde zickig. Keiner von uns beiden hat seitdem noch einen Versuch gestartet, Bastian die Wahrheit zu sagen, und was Bastian angeht, sind Kuppelversuche von Marc zwecklos. Stellt er ihm einen Mann vor, der nach seiner Ansicht zu Bastian passen würde, beschwert der sich und fragt, was er mit dem alten fetten Kerl soll, (und wenn ein guter George-Clooney-Verschnitt alt und fett ist, dann hat Bastian auch recht, das ist eben alles Ansichtssache).*1 Stellt Marc ihm Jungs vor, die Bastians Beuteschema entsprechen, dann fragen die Marc, was sie mit dem alten fetten Kerl sollen, ( und wenn ein guter Hape-Kerkeling-Verschnitt alt und fett ist, dann haben die Jungs ebenfalls recht, und auch das ist eben alles Ansichtssache).*2

Ein weiteres Problem von Bastian ist, dass er seinen Beruf nicht verheimlichen kann. Er ist Friseurmeister und führt einen eigenen Salon. Darauf ist er zu Recht sehr stolz, aber selbst, wenn er die Türe seines Ladens abgeschlossen hat, beschäftigt er sich ständig mit Frisuren. Egal, ob er die Leute kennt oder nicht, er gibt ihnen ungefragt Tipps und Ratschläge zu ihren Haaren, und wenn es ganz schlimm ist, fängt er auch an, irgendwelche Menschen, deren Look ihm nicht so entgegenkommt, zu stylen. Es kann Ihnen passieren, dass Sie in bester Absicht durch die City spazieren und es kommt ein wildfremder Mann auf Sie zu und sagt: "Ihre Haarfarbe ist großartig; sie sollten allerdings mal überlegen, noch ein paar kastanienfarbene Strähnchen reinziehen zu lassen. Und wenn sie den Pony so tragen würden" - an dieser Stelle zieht der Mann einen Kamm aus der Hosentasche und beginnt so lange zu toupieren, bis er zufrieden nickt und sie wie ein Verkehrsunfall aussehen - "dann wäre das noch viel hipper! - Toll!". Wenn Ihnen so was mal passiert, dann haben Sie ziemlich sicher Bastian kennengelernt. Sie können sich sicher vorstellen, dass das nicht nur peinlich, sondern vor allem auch extrem nervig ist. Da wollen Sie ein nettes Gespräch mit einem Freund führen, und der springt plötzlich auf Sie zu und fummelt Ihnen auf dem Kopf rum! Wir können machen, was wir wollen, wir kriegen das nicht aus Bastian raus.

Auch Bastians Fremdwort-Legasthenie führt immer mal wieder zu Problemen. Er kann sich die Bedeutungen von Fremdworten nicht merken und schmeißt sie ständig durcheinander. Neulich hat ihm eine Kundin ihr Leid geklagt. Ihr Mann ist kürzlich verstorben, und sie erzählte Bastian, sie fühle sich, als befände sie sich in einem luftleeren Raum. Bastian tröstete sie, so gut er konnte, und gab ihr den guten Rat, eine Möglichkeit zu suchen, um ihre Vagina auszufüllen. Auf 'Vakuum' kam er in diesem Moment einfach nicht, wie er uns später versicherte, nachdem er der Kundin, die mit Lockenwicklern auf dem Kopf aus dem Salon gestürmt war, einen Riesenblumenstrauß nach Hause gebracht und seine Wickler bei ihr abgeholt hatte.

Bastian hat auch lange gedacht, ich wäre in einem Erotik-Großhandel tätig. Wahrscheinlich schaut er sich mit den Typen, die er abschleppt, auch regelmäßig Esoterik-Filme an.

Wenn man von diesem Selbstbild-Problem, den ab und zu auftauchenden Allüren, der 'Berufskrankheit' und der Fremdwort-Legasthenie absieht, ist Bastian, wie schon erwähnt, ein großartiger Freund und Kumpel, und Marc hatte ihn um Hilfe gebeten, weil ein Friseurmeister möglicherweise die Kreativität mitbrachte, die notwendig war, um Marcs Plan auszuführen.

An einem Samstagmorgen gegen Mittag (ich stehe samstags immer erst spät auf), etwa ein halbes Jahr nach dem Einzug in meine Wohnung, schellte es. Ich öffnete, noch im Nachthemd, die Türe. Draußen standen Marc und Bastian mit der Samstagsausgabe der Lokalzeitung. Ich ließ die beiden rein und schenkte jedem ungefragt eine Tasse Kaffee ein. Die Männer setzten sich an den Küchentisch, blätterten in der Zeitung und hielten mir dann eine Seite mit Kleinanzeigen unter die Nase. Wortlos und breit grinsend deuteten beide mit dem Finger auf eine Anzeige in der Sparte 'Bekanntschaften, Sie sucht Ihn'. Die Annonce lautete:

Unartige Prinzessin, ohne Erbse, mit

Gauklern bei Hofe, sucht einen wil-

den, aber holden Ritter ohne Tadel.

Wer Mut beweist und den berittenen

Boten eine Nachricht überbringen

lässt, muss drei Prüfungen beste-

hen, um mit mir verzaubert zu wer-

den. Chiffre 0110 123789 an diese Zei-

tung

Ich las und sagte dann mit ironischem Unterton: "Hübsch, bisschen kitschig." Das Grinsen in Marcs und Bastians Gesicht gefror, und Marc wiederholte ungläubig: "Hübsch, bisschen kitschig!? Hübsch, bisschen kitschig?" Mit jeder Wiederholung wurde seine Stimme ein bisschen lauter und ein bisschen schriller. Er sprach weiter: "Das ist die großartigste Annonce, die es in der Sparte 'Bekanntschaften' dieser Zeitung jemals gab!" "Aha!" gab ich nur zurück. Ich kam überhaupt nicht auf die Idee zu fragen, was es mit dieser Anzeige auf sich hatte. Ich sollte an dieser Stelle kurz erwähnen, dass ich grundsätzlich aus keinem Logikwettbewerb als Siegerin hervorgehen würde. Samstags vormittags würde man mich ziemlich sicher nicht mal zulassen. Meine Freunde schienen allerdings der Meinung zu sein, ich sei wach und absolut aufnahmefähig; jedenfalls schienen sie zu unterstellen, dass ich genau wüsste, warum sie mir das Inserat zeigten. Das lag möglicherweise daran, dass sie so überzeugt waren von ihrer Idee. Bastian erwähnte traurig: "Wir haben es doch nur gut gemeint!" Betrübt starrten beide Männer in ihre Tasse. Ich selbst begann langsam, ganz langsam zu verstehen; ein Teil von mir verweigerte jedoch die Wahrnehmung der Realität. Deshalb fragte ich vorsichtshalber nochmal nach: "Ihr habt diese Anzeige doch bitte, bitte nicht für mich geschaltet!?" Ich glaube, diese Frage klang sehr bedrohlich. In meinem Kopf schob sich der Theatervorhang wie von Geisterhand zur Seite und der kleine Mann trat in einem mintfarbenen Frack auf die Bühne. Nach einer kleinen Verbeugung, bei der er den Zylinder lüftete, begann er mit seiner Vorführung. Er nahm eine nach der anderen Zeitungen von einem Stapel, den er neben sich auf den Boden gelegt hatte und zerriss sie. Diesen Vorgang zelebrierte er, und wenn das Zerreißen einer Zeitung auch im eigentlichen Sinne keine Kunst ist - der kleine Mann machte eine daraus. Die Zeitungsstreifen warf er in eine Metalltonne im hinteren Bereich der Bühne, und als alle Zeitungen zerrissen in der Tonne lagen, warf er einen Streichholz hinein. Dann stellte er sich neben die Tonne und wies mit der rechten Hand darauf, so als wolle er das spektakuläre Ergebnis seiner Arbeit präsentieren, und tatsächlich loderten schon wenige Sekunden danach die ersten Flammen aus der Tonne. Ich fragte mich kurz, ob ich wohl auch einen kleinen Feuerwehrmann in meinem Kopf beherbergte, verwarf diesen Gedanken aber und wischte das Bühnenbild mit dem kleinen Mann und der brennenden Tonne beiseite.

Es war die ganze Zeit über still in der Küche geblieben. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Mir platzte der Kragen. Ich wurde laut: "Wie kommt ihr dazu, eine Bekanntschaftsanzeige für mich zu schalten?" Bastian antwortete: "Wir dachten, du freust dich." Das klang derartig kläglich, dass meine Wut verflog und mein Herz zu einer großen Portion Vanillepudding wurde. Entsprechend änderte sich meine Tonlage, und so, wie ich jetzt klang, klang wahrscheinlich auch meine Schwester Christine, wenn sie ihrer zehnjährigen Tochter erklärt, dass man zwar immer die Wahrheit sagen soll, es aber besser ist, der Nachbarin nicht mitzuteilen, dass sie immer dicker wird: "Ich weiß, sehr, sehr zu schätzen, dass ihr das für mich gemacht habt. Ihr habt euch auch bestimmt viel Mühe gegeben, und wahrscheinlich kostet so eine Anzeige auch noch ein Schweinegeld, aber ich will sowas nicht! Ich will keinen Mann, schon gar keinen Ritter. Ich will keine Beziehung!" Stille in meiner Küche; offenbar wurde erwartet, dass meine Standpauke länger als diese vier Sätze war. Möglicherweise sollte ich auch noch eine Erklärung anfügen. Das tat ich dann auch. "Ich bin eine glückliche, gut situierte Single-Frau mit zwei großartigen Freunden - theoretisch. Ich - will - keine - Beziehung! Und mal ganz davon abgesehen: Stellt Euch doch mal vor, ihr seid hetero und auf der Suche nach einer Partnerin, und dann entdeckt ihr diese Annonce in der Zeitung." Bastian verzog angewidert die Mundwinkel. Er hatte noch nie Sex mit einer Frau und die Vorstellung ekelte ihn. Schon, wenn man Bereiche ansprach, die auf Hetero-Sex hinauslaufen könnten, war Bastian pikiert. Ich sprach weiter: "Eine Prinzessin sucht. Was würdet ihr euch denn vorstellen, was da zum Date erscheint? An eine kleine Moppelige wie mich denkt ihr dann doch als Allerletztes, oder!? Da ist doch die Enttäuschung vorprogrammiert!" Marc sprach jetzt: "Für uns bist du eine Prinzessin, und zwar eine sehr hübsche!" "Ja ja", antwortete ich, "ihr wollt auch nicht mit mir vögeln." Bastian sah jetzt aus, als müsse er sich übergeben, und er gab auch ein entsprechendes Würgegeräusch von sich. Marc versuchte wieder, mich vom Gegenteil zu überzeugen: "Kathi, du bist toll! Du bist nicht schlank, aber wen interessiert das?" - "Die Kerle, die auf der Suche sind, interessiert das!" gab ich aufgebracht zurück, "die interessiert nicht, ob ich klug, witzig, interessant, kuschelig, entspannt oder sonst was bin." Marc erwiderte: "Was wollen die denn dann mit ihren Frauen? In die Ecke setzen und anschauen? Oder nur rumvögeln?" Ich hob die Schultern. Die Frage konnte ich wirklich nicht beantworten. Schweigend saßen wir um die auf dem Tisch liegende Zeitung herum. Die Jungs starrten wieder in ihre Tassen. Bastian schien sich einigermaßen erholt zu haben, er wirkte nicht mehr ganz so blass.

Ich nahm die Zeitung vom Tisch, las die Annonce nochmal und entdeckte den zweiten Haken. "Ist euch klar, dass sich auf so eine Anzeige auch einige SM-Freunde melden werden?" - Marc und Bastian schauten mich fragend an. "Wie kommst du denn darauf?", fragte Marc, passend zum Blick, dann auch. "Unartige Prinzessin", antwortete ich, "die meinen doch alle, ich will den Hintern versohlt kriegen." - "Ach Du Scheiße!" meinte Bastian nur, und begann zu kichern. Marc versuchte noch einen Moment, ernst zu bleiben, scheiterte jedoch schnell und fiel vor Lachen fast vom Stuhl. Er gluckste: "Gut, dass wir die Anzeige per Chiffre aufgegeben haben!" Die Situation war so absurd, dass ich einfach mitlachen musste, bis Marc sehr ernst meinte: "Na ja, über all das müssen wir uns ja glücklicherweise keine Gedanken machen, denn du bist ja eine glückliche Single-Frau und willst gar keine Beziehung."

"Genau!", antwortete ich nur, den ironischen Unterton in Marcs Stimme ignorierend. Bastian, dem dieser Unterton offenbar entgangen war, setzte ein trauriges, enttäuschtes Gesicht auf. "Soll das etwa heißen, wir haben uns all die Mühe umsonst gemacht!?" Wieder wurde es still, bis ich mich sagen hörte: "Na, wenn ihr euch schon so viel Arbeit gemacht habt, dann werde ich mir die in Frage kommenden Kandidaten wenigstens mal anschauen." So schnell können Fallen zuschnappen.

Wir verabredeten uns für den kommenden Donnerstagabend, um die eingegangene Post zu sichten. Das waren einige Tage, in denen ich darüber nachdenken konnte, warum ich mich auf die Sache eingelassen hatte. Eine vernünftige Erklärung konnte es dafür nicht geben. Ich musste mir allerdings eingestehen, dass ich die Post mit Spannung erwartete. Es fiel mir unendlich schwer, die Briefe nicht gleich aufzureißen und zu lesen, als der Umschlag des Zeitungsverlags am Mittwoch in der Post lag. Um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, holte ich den Umschlag auch erst am Donnerstagabend zusammen mit Marc und Bastian aus dem Briefkasten.

Das, was da an Zuschriften eingegangen war, war schlimmer, als ich es mir in meinen schlimmsten Träumen ausgemalt hatte. Ich möchte hier nicht auf alle Zuschriften eingehen, gebe Ihnen aber einen Einblick, damit Sie sich selbst ein Bild machen können.

Marc begann, den ersten Brief vorzulesen, der mit den Worten 'ich würde mich wirklich freuen, Dich einmal in meinem Studio begrüßen zu dürfen und Dir Deine Unartigkeit auszutreiben. Das wird Dir gefallen, wenn ich Dich ans Andreaskreuz binde und Dich auspeitsche' endete. "Das glaube ich nicht," erwiderte ich, nachdem Marc geendet hatte. Die Jungs ließen das unkommentiert. Bastian nahm den nächsten Umschlag vom Stapel, riss ihn auf und begann vorzulesen.

'Liebe unartige Prinzessin, mein Name ist Bodo, ich bin 54 Jahre alt und Diplomfinanzwirt. Meine Freizeit verbringe ich gern mit meinen Modellbausätzen. Ich habe unten meine Telefonnummer aufgeschrieben. Falls du anrufst, was mich sehr freuen würde, wundere dich nicht, wenn sich eine Frauenstimme meldet, das ist dann meine Mutter.' Marc schaute verständnislos in die Runde. "Das kann doch wohl nicht wahr sein!" kommentierte er, "ich hoffe, Prinzessin, Du willst den Kerl nicht treffen!"

"Ich bin sicher, seine Socken niemals so ordentlich falten zu können wie Mutti, daher versuche ich es erst gar nicht", erwiderte ich.

Den nächsten Brief verlas wieder Marc. Der Schreiber hatte sich außerordentlich knapp gehalten.

'Liebe Prinzessin, ich bin sicher, dich großartig verzaubern zu können. Bei all meinen Ex-Partnerinnen hat das immer gut geklappt!' "Genau", meinte Bastian, "deshalb ist er ja auch nach wie vor mit all denen zusammen!"

Er griff zum nächsten Brief und las jetzt wieder. Der Absender erzählte ein bisschen von sich, und im ersten Abschnitt klang alles ganz vernünftig. Dann aber kam Bastian zum letzten Abschnitt: 'Als Prinzessin bist du sicherlich nur das Beste gewöhnt. Ich werde dir ebenfalls das Allerbeste geben, wenn du möchtest, nämlich mich.' Marc schlug die Hände vor das Gesicht. "Den möchte ich nicht; ich befürchte, der könnte einfach zu gut für mich sein", erklärte ich und wunderte mich dabei, dass die Ironie nicht vom Tisch triefte.

Es war ein sehr lustiger Abend, wie sie sich vielleicht vorstellen können. Am Ende hatte ich eine Vorauswahl getroffen, und tatsächlich blieben von all den Zuschriften nur zwei übrig, mit denen ich mich auf ein Treffen einlassen wollte. Dabei redete ich mir ständig ein, dass ich das nur für Marc und Bastian tat - wie enttäuscht wären die beiden, wenn ich mich nicht eingelassen hätte auf ihre gutgemeinte Aktion! Letztlich stimmten die beiden meiner Auswahl zu. Ich bestand darauf, allein zu sein, wenn ich die Kandidaten anrufen würde, war aber gleichzeitig einverstanden, die Jungs als Bodyguards zu den Treffen mitzunehmen - natürlich sollten sich die beiden im Hintergrund halten!

Ich telefonierte mit Kandidat Nr. 1. Sein Name war Martin, er machte einen sympathischen und zurückhaltenden Eindruck auf mich. Im Gespräch erfuhr ich, dass er 38 Jahre alt war und als Dreher arbeitete. Wir verabredeten uns gleich für den Samstagabend in einem Café in der Innenstadt.

Ich informierte Marc und Bastian, und gemeinsam fuhren wir am Samstagabend in die City. Wenn Sie allerdings meinen, ich hätte einfach so ins Auto einsteigen dürfen, dann irren Sie gewaltig. Meine Freunde sind schwul; also wurde zunächst mein Outfit begutachtet - und abgeändert. Ich musste drei Mal das Oberteil, zwei Mal die Schuhe und vier Mal den Lippenstift wechseln, bevor ich in den Wagen steigen durfte.

Es ist aber auch schwer, ansprechend, vorteilhaft und sexy gleichzeitig gekleidet zu sein, wenn man dick ist. Sie werden jetzt fragen: warum nimmt sie denn nicht einfach ab? Wenn Sie wüssten! Aus den Kilos, die ich in meinem Leben abgenommen habe, könnte man einen neuen Menschen bauen, und zwar einen Erwachsenen! Aus den Pfunden, die ich nach dem Abnehmen wieder zugenommen habe, können Sie noch ein Kind daneben stellen. Die Wissenschaft nennt das den Jo-Jo-Effekt. Ich fand Jo-Jos als Kind schon doof, da können Sie sich jetzt mal überlegen, wie ich dann wohl den nach ihm benannten Effekt finde. Um die Wahrheit zu sagen: ich habe es aufgegeben mit der Abnehmerei. Stattdessen versuche ich, mich gesund zu ernähren und zwei Mal in der Woche ins Fitnessstudio zu gehen, und verrückterweise habe ich, seitdem ich im letzten Jahr damit angefangen habe, abgenommen, und zwar ganze vier Gürtellöcher! Wie viele Kilos ich verloren habe, kann ich nicht sagen; eine Waage benutz ich schon lange nicht mehr. Aus dieser Sklaverei habe ich mich vor Jahren befreit, nachdem ich einen schrecklichen Heulanfall hatte. Diese Scheißwaagen bedenken bei ihrer Anzeige nämlich nicht, dass Gewichtsschwankungen völlig normal sind. Da kann es passieren, dass man einen ganzen Tag lang hungert, und am nächsten Morgen zeigt dieses Ding ein Kilo mehr an als am Vortag. Ich finde, da könnte die Wissenschaft mal so kluge Waagen bauen, die solche Gewichtsschwankungen unter Berücksichtigung der Psyche des Benutzers kaschieren oder zumindest mit Begründung oder tröstenden Worten anzeigen. Gut fände ich da zum Beispiel ein kleines Banner, das aus der Waage rausspringt und 'Fuck weight control' anzeigt. Oder eine Anzeige, in der dann zu lesen ist 'Morgen ist es wieder gut' oder Mach Dir nix draus, Du bist gut, wie Du bist.' Möglich wäre auch ein Foto von Montserrat Caballé, das im Display erscheint, zusammen mit den Worten "Definitiv dicker als Du!" - bei einer handelsüblichen Personenwaage wäre das auch immer die Wahrheit.

Wenn man einen Bauch hat, dann hat das Abnehmen tatsächlich auch eine erheiternde Seite. Wissen Sie, was mit Ihren Hosen passiert, wenn Sie abnehmen und der Bauch weniger wird? Die Hosen werden nicht zu weit, sondern zu kurz, denn sie lassen sich plötzlich weiter hochziehen. Ich trage immer noch dieselben Jeans wie im letzten Jahr, habe aber schon einige davon aussortieren müssen, weil sie plötzlich Hochwasser am Fußknöchel zeigten.

Mit diesem Wissen ist vielleicht besser zu verstehen, warum mir die Auswahl meines Outfits immer wieder Probleme bereitet, und wenn ich Marc und Bastian auch immer wieder dankbar dafür bin, dass sie mir dabei Tipps und Ratschläge geben: Ich war schon angenervt, bevor wir überhaupt beim Treffpunkt ankamen.

Hundert Meter vor Erreichen des Cafés ließen Marc und Bastian sich zurückfallen und folgten mir in gebührendem Abstand; schließlich sollte Martin nicht wissen, dass ich Begleitschutz dabei hatte. Wie sieht das auch aus, wenn eine Frau zu einem Date mit zwei Männern auftaucht!? Martin und ich hatten ausgemacht, dass wir beide ein Buch von Kafka dabei haben würden, (ja, ich weiß, manchmal lese ich komischen Sachen!). Da es ein schöner, lauer Sommerabend werden würde hatten wir uns darauf geeinigt, einen Platz auf der Terrasse zu nehmen. Ich schaute von Tisch zu Tisch, sah aber nirgendwo Kafka liegen. Es waren einige Tische frei, es hätte also nicht sein können, dass Martin schlicht keinen Platz mehr gefunden hätte. Nachdem ich sicher war, dass er noch nicht da war, setzte ich mich an einen der freien Tische am Rand der Terrasse und legte den Kafka gut sichtbar auf den Tisch. Dann wartete ich. Marc und Bastian erreichten das Café und setzten sich einige Tische weiter. Es flanierten eine Menge Leute an uns vorbei. Immer, wenn ein sympathisch wirkender Mann vorbei kam, hoffte ich, dass es Martin war, aber keiner der Männer hatte ein Buch dabei. Als Martin eine halbe Stunde überfällig war, ging ich zu Marc und Bastian an den Tisch und setzte mich dazu. "Das war`s ja dann wohl", meinte ich. "Er hat dir doch seine Handynummer gegeben", meinte Bastian, " willst Du ihn nicht mal anrufen?" "Auf gar keinen Fall!" erwiderte Marc, und vertrat dabei genau meine Meinung, "unsere Prinzessin hat es nicht nötig, Kerlen hinterher zu rennen. Wer nicht will, der hat schon! Oder so!" Ich nickte nur. Dann fiel mir ein, dass Martin auch meine Handynummer hatte, und möglicherweise hatte er mir eine Nachricht zukommen lassen, weil er kurzfristig verhindert war, oder weil er sich verspätetet hatte. Ich fischte mein Telefon aus der Handtasche und fand dort tatsächlich eine Kurzmitteilung. Sie lautete: "Liebe Kathi, du siehst toll aus in der regenbogenfarbenen Bluse und der schwarzen Hose. Dein Dekolleté ist wunderschön! Du siehst, ich war auch hier, aber ich habe mich nicht getraut, zu dir an den Tisch zu kommen. Vielleicht schaffe ich es beim nächsten Mal. Sorry. Dein Martin" Wenn Sie mich jetzt fragen, was ich in dem Moment gedacht oder gefühlt habe, dann kann ich nur sagen, dass ich das Ganze unglaublich blöd und lächerlich fand. Ich las den Jungs die Nachricht vor. "Dein Martin", grummelte Bastian verächtlich, und Marc meinte nur: "Was für'n Spacko! - bist Du traurig, Prinzessin?" "Warum sollte ich traurig sein?" gab ich zurück, "mir ist ein Spacko entgangen!" "Na, so gesehen hast du natürlich recht." Marc grinste. Wir beendeten den Abend und die Nacht in unserer Stammkneipe 'Zahra' bei unserem Lieblingswirt Hans. Hans ist stadtbekannt, zum einen weil jeder, der was auf sich hält, mal im 'Zarah' gewesen sein muss, und zum anderen, weil Hans, der einen durch und durch fünfzigjährigen, männlichen Körper besitzt, nur in Frauenklamotten rumrennt. Seine Haare sind lang bis über den halben Rücken, und auch sie sind fünfzigjährig, also schon ein wenig dünn und strähnig. Hans trägt keine Kleider, aber Marlene-Hosen und Tuniken oder Blusen mit langer Strickjacke darüber, alles bevorzugt in schwarz. Seine Fingernägel sind zum Fürchten! Der Name seiner Kneipe rührt von seiner Begeisterung für Zarah Leander. Gäste, die nicht oft ins Zarah gehen oder das erste Mal da sind, nennen Hans wegen des Kneipennamens und seines Outfits auch selbst schon mal 'Zarah'. Das lässt Hans sich gefallen, wenn man von ihm allerdings als 'sie' spricht oder ihn eine Transe nennt, dann kann er böse werden und besteht darauf, ein ganzer Kerl zu sein, was ja auch nicht falsch ist. Als wir anfangs ins Zarah gegangen sind, hatte ich ziemlichen Respekt vor Hans. Er wirkt irgendwie gefährlich, und wenn er den Mund aufmacht, dann denkt man schon mal an diesen Spruch: 'Wer nichts wird wird Wirt.' Tatsächlich ist Hans unglaublich belesen, hochintelligent, und seine Kenntnisse vor allem in Geschichte sind bewundernswert. Mittlerweile mag ich Hans einfach, auch, wenn manche seiner Eigenschaften und Ansichten durchaus als gewöhnungsbedürftig zu bezeichnen sind. Grundsätzlich darf jeder in Hans' Laden tun und lassen, was er möchte, solange er nichts und niemandem schadet, Hans nicht auf die Nerven geht und seinen Deckel bezahlt. Wenn also jemand meint, auf der Theke einen Striptease hinlegen zu müssen, dann ist das eben so. Hans schreit dann möglicherweise schon mal "Pass bloß op, datte mir de Gläser nich' zerdeppers' " oder so, aber das war es dann auch an Veto. Hans Gäste sind an solche und andere Anblicke gewöhnt. Unter den zumeist mehr oder weniger normalen Menschen wie Marc, Bastian und mir selbst, befindet sich auch die eine oder andere 'spezielle Person' wie zum Beispiel Lotti, eine ältere Dame, die Angst vor Einbrechern hat und deshalb ihr wichtigstes und wertvollstes Hab und Gut in zwei Koffern und diversen Plastiktüten mit sich herumschleppt, egal, wo sie hingeht. Dann gibt es noch Biggi, von der ich nicht weiß, ob sich hinter der Schminke eine Frau oder ein Mann verbirgt, die gern in Reizwäsche tanzt und sich dabei unwiderstehlich findet; den Trompeter, der sein Spiel qualitativ so hochwertig wie das eines Louis Armstrong hält, der einem aber nur in den Ohren schmerzt mit seinem Spiel, oder den Fußfetischisten. Wenn er einem auf die Nerven geht, während er einem die Absätze leckt, darf man ihn keinesfalls wegtreten, dann kommt er erst recht in Fahrt. Man muss auch immer darauf achten, ob er nicht gerade irgendwo im Laden liegt, um an irgendwelche Absätze ranzukommen, die sich nun mal, bedingt aus der Natur der Sache, zumeist am Fußboden befinden. Einmal wäre ich fast über ihn gestolpert. Die Musik bei Hans ist ebenso ungewöhnlich wie der Rest des Ladens. Wenn es nach Hans ginge, würden nur Schlager aus den 20er und 30er-Jahren gespielt werden, und wenn er mal ganz verrückt drauf ist, dürfen es auch die Sampler des Eurovision Song Contest sein. Nachdem seine Kellnerinnen jedoch in einen Musikstreik getreten sind, dürfen sie jetzt an jedem zweiten Abend die Musik bestimmen. Dann werden zumeist die aktuellen Charts gespielt. Meistens wünsche ich mir dann, dass Hans die Musikauswahl treffen darf, denn ich finde Hans Albers oft weniger verstörend als Avicii, Eminem oder Pitbull. Kaum hatten wir das 'Zarah' betreten, hörten wir Hans auch schon in seinem unaussprechlichen, nicht festzulegenden Dialekt: "Kinders, is' dat schön, euch zu sehen! Kommt rinjekrabbelt inne Bude!" Marc und Bastian begrüßten Hans wie immer mit Umarmung und Küsschen. Was das anging, hielt ich mich zurück, dennoch war unsere Begrüßung Hans-entsprechend herzlich: "Dresensche, wie isset dir? Alles im Lot!?" Ich grinste und hob die Hand. "Alles super, Hans, danke!" Unser Stammplatz, die rechte Tresenseite, war frei. Meine Lieblingsfrau Marie nahm die Bestellung auf. Vielleicht sind Sie jetzt darüber verwundert, dass ich eine Lieblingsfrau habe. Das müssen Sie nicht. Ich bin zwar grundsätzlich heterosexuell, aber bei der einen oder anderen Frau, so finde ich, darf man auch als weibliche Hete mal schwach werden, und wenn es nur für eine Nacht ist. Als bisexuell oder lesbisch empfinde ich mich deshalb aber nicht - ich habe vor Jahren mal Beziehungen zu Frauen ausprobiert. Es war mir auf Dauer viel zu anstrengend. Marie ist jung, moppelig, sehr hübsch, unglaublich witzig und eben lesbisch. Ich bin nicht die einzige Frau, die auf Marie steht, und so ist Marie in gewisser Weise das weibliche Gegenstück zu Marc. Jeden Abend, den sie im Zarah verbringt, egal ob beruflich oder privat, wählt sie am Schluss eine Glückliche aus, die sie nach Hause begleiten darf. Ich durfte auch schon, und ich kann Ihnen sagen, dass ich es nicht bereut habe. Entsprechend intim fällt auch die Begrüßung zwischen Marie und mir aus. "Hallo meine Schöne!" Sie strahlte mich an und gab mir einen zärtlichen Kuss. Wenn mir mal sehr kalt sein sollte und ich das Gefühl habe, dass nichts auf der Welt mich wärmen kann, dann werde ich zu Marie gehen und mich nur einmal küssen lassen. Ich glaube, danach wird mir wieder warm sein. "Hallo du Wunderbare", gab ich lächelnd zurück. "Tz tz, da kann man ja fast neidisch werden", meinte Bastian, und Marc fügte hinzu: "Aber nur fast!" Wir Mädels grinsten, und Marie gab Marc und Bastian beiden einen feuchten Schmatz auf die Wange. "Ich mach mir keine Sorgen; ihr werdet euch schon auf eure Art zu vergnügen wissen", meinte sie und verschwand, nachdem sie die Getränkebestellung aufgenommen hatte. Wir begrüßten einige andere nahe und ferne Bekannte und hielten hier und da Small Talk. Man kannte sich, und die Zahl der fremden Gesichter war wie fast an jedem Abend im Zarah übersichtlich. Marie brachte unsere Getränke inklusive Kuss für mich. Ich hatte das Gefühl, ich würde an diesem Abend noch so einiges bestellen. Marc stieß mich an: "Schau mal, da vorne, der große in dem blauen Shirt - wäre das nichts für dich?" Bastian erwiderte: "Der ist nichts für Kathi, der ist nämlich mit diesem Knut, der die kleine Weinhandlung in der Innenstadt hat, kopuliert." Ich gluckste und hätte beinahe meinen Likör 43 über die Theke gespuckt. Marc verdrehte die Augen. "Hat der mit dem kopuliert oder ist der mit dem liiert?" Bastian zuckte die Schultern; er schien angestrengt zu überlegen. Ich erlöste ihn: "Ich schätze, beides." "Ja", stieg Bastian ein, "ich denke auch mal, beides", bevor er irritiert den Kopf schüttelte. Der Abend verflog mit netten Gesprächen, Maries Küssen, Jungs, die von Bastian umschwärmt wurden, Männern, die bei Marc Hof hielten, Dreißigerjahre-Schlagern, einer Stripperin und einem krakehlenden, gut gelaunten Hans, der es sich nicht nehmen ließ, uns auch immer mal wieder unaufgefordert die Gläser zu füllen. Irgendwann hatte ich genug. Es war ein guter Zeitpunkt, nach Hause zu fahren. Marc hatte bereits einen Begleiter aufgetan, und Bastian hatte auch schon angemerkt, dass es Zeit sei, als ich bemerkte, dass mich ein widerlicher knubbeliger kleiner glatzköpfiger ungepflegter alter Gnom anglotzte. Ich versuchte, dem Kerl keine Aufmerksamkeit zu schenken, aber es half nichts; er kam trotzdem auf mich zu und raunte mir ins Ohr: "Ich steh auf viel Fleisch." - Da es illegal ist, einen Menschen zu töten, selbst dann, wenn es sich um einen widerlichen knubbeligen kleinen glatzköpfigen ungepflegten alten Gnom handelt, der einem ekliges Zeug ins Ohr raunt, ließ ich ihn leben und antwortete stattdessen: "Dann kauf dir'n Kilo Koteletts, Wichser!" Der Typ zog beleidigt ab. Hans, der die Szene beobachtet hatte, stand hinter der Theke und krümmte sich vor Lachen. "Ich hab ja nun schon viel erlebt, Kathi, aber der Spruch gehört ziemlich sicher in meine ganz persönliche Top Ten!", meinte er, nahm ein Glas und die Flasche 43 aus dem Regal und schenkte mir ein. Wir prosteten uns zu. Hinter mir quengelte Marcs Aufriss. "Los, Süßer, lass uns fahren!" Marc erwiderte: "Ohne die Prinzessin fahr ich nicht, aber keine Angst, die ist 'ne Saufziege, die macht das auf Ex." Ich traute mich nicht, es zu sagen, aber das schaffte ich zu dieser späten Stunde mit dem bereits vorhandenen Alkoholpegel wirklich nicht mehr. Das machte aber nichts, denn Hans war eingefallen, dass ich Begleiter hatte, und die sollten nun auch nicht auf dem Trockenen sitzen bleiben, während ich noch mein Glas leeren musste. Also kriegten Marc und sein Stecher auch jeder noch ein Glas, und nachdem sie das geleert hatten, war die Aufbruchsstimmung bei uns allen dreien verflogen. Als das Taxi viel später vor dem Haus, in dem ich wohne, hielt, dämmerte es bereits. Gegen Mittag wachte ich auf. Es gibt keine passende Beschreibung für den Zustand, in dem ich mich befand. Ich sage einfach mal 'Es ging mir nicht gut'. Bei dem Versuch, das Bett zu verlassen, landete ich auf dem Fußboden. Ups! Ich krabbelte ins Bad und schaffte es, mich am Klo hochzuziehen und mich daraufzusetzen. Ich hatte, wie immer nach solchen Nächten, Glück im Unglück: noch nie habe ich mich wegen übermäßigen Alkoholgenusses übergeben müssen, dennoch rotierte mein Magen, ich hatte Kopfweh und meine Knochen waren aus Gummi. Gut, dass Sonntag war, wobei - Scheiße! Ich war mit diesem Holger, der auf die Annonce geantwortet hatte, verabredet! Ich hatte vorher schon keine Lust gehabt, mich mit ihm zu treffen; in meinem jetzigen Zustand hatte ich noch viel weniger Interesse an einem Date. Ich rief Marc und Bastian an. Marc schlief noch, als ich anrief. Er und Bastian hatten mir den Mist eingebrockt, und egal, in welchem Zustand sich Marc befand: er hatte die Suppe mit mir auszulöffeln! Marc war genau so wenig begeistert davon, das Haus verlassen zu müssen, wie ich, aber er war sich seiner Pflichten als Freund und Initiator bewusst und erschien zum verabredeten Zeitpunkt, um mich abzuholen. Einzig Bastian war fit und guter Laune; er hatte ja auch lange vor uns das Zarah verlassen und unseren ganz persönlichen Untergang des Abendlandes nicht mehr miterlebt. Wieder wurde mein Outfit begutachtet, geändert und schließlich, nach diversen Klamottenwechseln, für gut befunden. Holger hatte darauf bestanden, mich in dem kleinen Café im Park zu entdecken und mir eine rote Rose überreichen zu wollen. Bitte schön, dachte ich, wenn er unbedingt wollte, sollte er doch suchen. Marc, Bastian und ich waren bereits eingespielt, und wieder ließen die beiden sich fünfzig Meter vor Erreichen des Cafés zurückfallen, damit ich allein dort eintreffen würde. Ich schleppte mich also die letzten Meter ohne Begleitung zum Eingang. Auch das Telefonat mit Holger war sehr nett gewesen, aber wie ich mittlerweile wusste, hatte das absolut nichts zu bedeuten. Holger hatte mir erzählt, er sei 46 Jahre alt, jung geblieben, geschieden, Handballer, und er freue sich darauf, mich zu treffen. Ich hatte im Gespräch schon angedeutet, dass ich keine Heidi Klum sei, und Holger hatte freundlich erwidert, dass ihm das sehr entgegenkomme. Mit diesen mageren Dingern könne er nichts anfangen. Holger stand bereits mit einer roten Rose in der Hand am Eingang. Er war groß und durchtrainiert, ein typischer Sportler. Seine Haare waren dunkel und modisch kurz geschnitten. Sein Gesicht wirkte sehr sympathisch. Er trug ein Polohemd mit passendem Jackett, dunkelblaue Jeans und schwarze Lederschuhe. Er gefiel mir gleich. Als er mich kommen sah, strahlte er über das ganze Gesicht. "Du musst Kathi sein!" Ich reichte ihm die Hand. "Hallo Holger." Er geleitete mich zu einem Tisch auf der Terrasse, ließ mich Platz nehmen und überreichte mir die Rose. Marc und Bastian traten ein, und ich sah sie von Weitem feixen. Der Rosenkavalier war in ihren Augen wohl ein bisschen zu dick aufgetragen, aber mir gefiel es. Holger und ich unterhielten uns beinahe zwei Stunden sehr nett und ich hatte bereits beschlossen, dass ich ihn noch einmal treffen würde, wenn er Interesse daran hätte, als Holger unvermittelt fragte: "Zu dir oder zu mir?" - "Äh, was???" Er stellte die Frage noch einmal, diesmal etwas deutlicher: "Gehen wir zu dir oder zu mir?" Hier kam wieder mein fehlendes logisches Verständnis ins Spiel. "Ich hab nicht aufgeräumt", antwortete ich. Holger schaute mich belustigt an. "Meinst du wirklich, mich interessiert, ob deine Wohnung ordentlich ist? Solange dein Bett frisch bezogen ist, ist mir alles andere so ziemlich egal." Jetzt verstand ich. Das heißt aber nicht, dass ich es auch glauben wollte! Und wie das dann so ist, wenn man was nicht verstehen will, fragte ich, um es noch einmal klar und deutlich zu hören: "Du willst mit mir ins Bett???" - "Was glaubst du denn, warum ich mich hier mit dir getroffen habe?" Holger war irritiert. Ich übrigens auch, immer noch. In meinem Kopf wurde der Vorhang zur Seite gezogen, der kleine Man lief sich vor meinem geistigen Auge warm. "Ich dachte, du suchst eine Partnerin?" "Tu ich ja auch!" Er grinste anzüglich. "Für's Leben meine ich, nicht zum Vögeln!" Ich wurde ungehalten, und das war auch unüberhörbar. Der kleine Mann in meinem Kopf fuhr einen kleinen Wagen aus einer Ecke hinter dem Vorhang hervor, auf dem Ziegelsteine lagen. In der Hand trug er einen großen, schweren Hammer. Holgers Augen wurden kalt: "Schade, da haben wir uns wohl unter verschiedenen Voraussetzungen getroffen. Vielleicht auch ganz gut so, du bist mir nämlich doch ein bisschen zu dick." Der kleine Mann hob den Hammer und drosch auf die Ziegelsteine ein. "Ja, ganz gut so", bestätigte ich, "du bist mir nämlich doch ein bisschen zu doof. Ich nahm einen Fünf-Euro-Schein aus meinem Portemonnaie und legte ihn auf den Tisch in der Hoffnung, dass das ausreichend war für die zwei Latte Macchiato, die ich getrunken hatte, ließ Holger sitzen und verließ das Café. Marc und Bastian folgten mir bald. "Was war los?" fragte Marc. Ich erzählte ihm und Bastian von dem Date und von Holgers Vorhaben. "Ist doch toll!" meinte Marc und strahlte. "Sag mal! -" Ich schüttelte missbilligend den Kopf. "Das war mein Date, nicht deins!" "Ja ja, ist ja gut", erwiderte Marc, und nach einer kurzen Pause: "Ich hätte es toll gefunden!" Ich schüttelte noch einmal missbilligend den Kopf, nicht nur, weil ich das einfach gut kann, sondern vor allem, weil mir dazu nichts anderes einfiel. Bastian sagte nichts, sondern setzte stattdessen eine ernste Denkermiene auf. Ich glaube, er bereute, dass sie das Inserat aufgegeben hatten. Ich bereute ebenfalls, nämlich, dass ich mich auf diese Sache eingelassen hatte. Ich wollte an dem Tag auch nichts mehr hören und sehen, sondern wollte mich nur zu Hause einschließen und mich ein bisschen selbst bemitleiden. Das ist grundsätzlich nicht mein Stil, aber manchmal muss das einfach sein, auch, wenn mir an dem Tag selbst nicht klar war, warum ich so fühlte. Schließlich war für mich alles wunschgemäß ausgegangen. Ich hatte den Aufwand der Jungs gewürdigt, in dem ich mich mit den potentiell passenden Kandidaten getroffen hatte, und letztlich hatte sich herausgestellt, dass keiner der beiden es wert war, noch einen Gedanken daran zu verschwenden. Ich hätte nichts besser machen können; Marc und Bastian konnten mir also nichts vorwerfen, und ich hatte wieder meine Ruhe. Warum also ging es mir so schlecht? Nach dem Inserat und den damit verbundenen Treffen hielten sich meine Freunde merklich zurück, was Vorschläge für Dates oder Kennenlernen anging. Ich durfte für eine Weile wieder ungestört und ungestraft Single sein und war dankbar dafür. Es geschah auch einige Wochen nichts Spektakuläres auf diesem Sektor. Ich ging zur Arbeit, saß abends allein zu Hause, traf am Wochenende meine Freunde zum Essen oder in der Kneipe und hatte Zeit, mich um meine Familie zu kümmern, so zum Beispiel um meine kleine Schwester Christine

Kathis Kosmos

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