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G: Hugo Bauklotz – Ein Zaun: Ausschnitte aus den vier Geschichten

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Ausschnitt aus dem Vierten Goldenen Omega (Die Geschichte von Benjamin Anourthosis)

Anne Hoch Ein letztes Lächeln wurde ihm zuteil, hastig raffte das fremde Mädchen seine Sachen zusammen, und kletterte vom Wagen. Für einige Momente verharrte Benjamin noch, ohne sich zu bewegen, bis er schließlich dann auch herabstieg. Er eilte dem Mädchen hinter her, ohne genau zu wissen, in welche der engen und verwinkelten Dorfgassen es gelaufen war. Vorbei am Steinengel, der ihm zuwider war, bis er das Ende des Dorfes erreicht hatte. In einer Talsenke hatte sich eine Karawane aus Wagen und Pferden in Gang gesetzt, und auf einem stieg sein Mädchen mit den schwarzen Haaren hinzu. Die knallrote Bluse, der knallbunte Rock, Benjamin stürzte sich förmlich in die Talsenke hinunter. Zu allem Unglück stolperte er auch noch, so dass er auf allen Vieren und in Staub und Dreck lag. Noch waren die quietschenden Reifen der mehr und mehr an Fahrt aufgenommenen Wagen zu hören. Doch hatten sie sich bereits zu weit entfernt, um sie noch einholen zu können – irgendwie, nein, es war nichts mehr zu machen. Und nun war es nicht nur mehr das Knie, was wehtat, nicht mehr der Rücken – sondern gleich alles! Jeder einzelne Knochen des am Boden liegenden Benjamin, und es dauerte und dauerte, bis er sich aufraffen konnte, halbherzig, nach ein paar Schritten stieß er mit einem Fuß auf einen Gegenstand. Es war eine kleine Zigeunergitarre, als er zurück im Dorf war, war es bereits dunkel. Nur der Steinengel auf dem Steinbrunnen pinkelte und pinkelte, als ob nie was gewesen wäre.

Noch ausgelassener die Stimmung auf dem Dorffest, noch ausgelassener und heiterer, glückliche Pärchen, wo man auch hinsah, Benjamin sank erschöpft auf die einzige Bank, die noch immer frei war, und wo ihm sofort ein Bier vorgeknallt wurde.

Schankwirt Viereck Das erste geht immer auf Kosten des Hauses!

Ausschnitt aus dem Fünften Goldenen Ωmega (Die Geschichte von der Achterbande)

RLG Kurzerhand machten sich die vier Mädchen auf dem Weg zur Bank, vor der sie ihr Hüpfgummi ausbreiteten. Etliche Steinwürfe entfernt hatte Olias Frech mit seinem Streifenwagen Stellung bezogen, zu sehr ein mulmiges Gefühl hatte er. Untertan aber wandte seine Blicke in eine völlig andere Richtung, als Xuxu und Yuyu mit dem Hüpfen begonnen hatten. Aufgrund ihrer Nähe zu der Bank war das alles andere wie einfach.

Paxoline Was ist – wir stören Sie doch nicht etwa?

Untertan Wo ihr auf der riesigen Wiese hinter meiner Bank Platz zur Genüge hättet. Für eure Hüpferei.

Paxoline „Aber da kacken die Maulwürfe so arg. Oder wollen Sie, dass wir harmlosen, kleinen Gören über die Kacke stolpern?

RLG Untertan hatte begonnen, seine Sachen zusammen zu haschen,

Paxoline Oder magst du kleine Mädchen nicht?

Untertan D – doch, doch, natürlich, warum denn auch nicht?

Paxoline Genau das haben wir auch gehört – na ja.

RLG Xuxu und Yuyu hüpften jetzt nicht mehr, stattdessen hielten sie sich die Hände vor den Mündern. Während Payoline den Kopf schüttelte.

Untertan Na und, was soll dann euer Theater hier bei mir. Wenn ihr sowieso alle Bescheid wisst?

Paxoline Ach, in unserer Gegend braucht man sich überhaupt gar keine Sorgen machen, dass sich so etwas herumspricht. So schnell können nicht mal die Maulwürfe A – A machen, wenn jemand gerne kleine Kinder frisst.

Xuxu Bei uns wurde nämlich auch mal eine ermordet.

Yuyu Eine Zweitklässlerin.

Payoline Die traurigen Augen. Von ihrem Schwesterchen. Auf der Beerdigung, Oh je, manchmal muss ich immer noch daran denken.

Untertan Ja, ja, ich weiß, davon habe ich auch etwas mitgekriegt. Und es tut mir auch schrecklich leid, was mit der Kleinen geschehen ist. Natürlich auch das, was ich getan habe, und es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, es ungeschehen zu machen. Aber das geht leider nicht mehr.

Ausschnitt aus dem Sechsten Goldenen Ωmega (Die Geschichte von Frederik Wedelink)

Geisterhand Umso weniger er sich diesen verflixten Gören auskennt, fällt eines dann doch ins Auge, obwohl er dies so garantiert nicht will. Allerdings etwas, zudem es auch nichts Weiteres bedarf, denn die Kleidung der Kleinen mit einer blonden Wuschelfrisur ist – eine braune Cordhose und eine beige Windjacke – alles andere wie sommergemäß.

Mädchen aus dem Gebüsch Wirklich nicht?

Geisterhand Nein, wirklich nicht, ach herrje, schließlich möchte er doch endlich wissen, wie der dritte Gegner heißt. Bestimmt wieder ein Heimspiel, vom vierten oder fünften ganz zu schweigen, wie denn auch, ist ihm zudem überhaupt bewusst gewesen, dass jemand hinter ihm gewesen? Im Gebüsch? Hinter seiner Bank?

Frederik Wedelink Ich – ich hab doch überhaupt nicht gewusst. Dass jemand hinter mir war. Im Gebüsch.

Mädchen aus dem Gebüsch Ach so, aber dann hätten Sie gespickt. Wenn Sie es gewusst hätten.“

Frederik Wedelink Nein, natürlich nicht.“

Geisterhand Etwas, was der Frederik in hundert Jahren nicht wagen würde. Nein, so einer ist der Frederik nun ganz bestimmt nicht – ganz im Gegenteil.

Mädchen aus dem Gebüsch Na gut, dann will ich Ihnen mal glauben.

Geisterhand Frederik, oh Frederik, wenn das doch wenigstens alles gewesen. Bis jetzt, aber natürlich noch nicht, was sonst auch, denn nun erfolgt das nächste Unvorstellbare aus seiner Sicht, das Mädchen setzt sich. Neben ihn, auf seine Bank, das Kästchen auf dem Schoß, auf welchem sich das Augenmerk der Kleinen zu fixieren scheint. Ohne Frage, Frederiks Puls blubbert hoch bis zur Halsschlagader, blubbert und blubbert, ein ungeheuerlicher Vorfall, das Unberührbare der jahrelangen Bank zu durchbrechen, einfach so. Nervös will er aus seinem Fläschchen trinken. Aber Frederik, das Fläschchen ist doch schon leer. Es hilft nichts, das zweite muss her, dabei ist es bei weitem noch nicht Mittag. Das Kästchen von dem wie aus dem heiteren Nichts erschienenen Mädchen derweil geöffnet, zückt ein rosa, etwa handgroßes Kuscheltierchen hervor.

Mädchen aus dem Gebüsch Oh!

Geisterhand Kugelrund, mit einem rosa Fell überzogen, von Kopf bis Fuß, erstaunlich, dass es im Gegensatz zum Kästchen von einem jeglichen Schmutz vom Unterholz verschont geblieben scheint. Das Gesicht geprägt von großen, weißen Augen mit schwarzen Kullerpupillen, schwarz auch die Nase, während der Mund unter dem buschigen Haar bestenfalls zu vermuten ist. Unterhalb des Kopfes, der ungefähr vier Fünftel des Gesamtvolumens ausmacht, zwei riesige Patschfüße, während an den Seiten unterhalb der ebenfalls zu vermutenden Ohren ein paar dünne Ärmchen hervorblitzen.

Ausschnitt aus dem Achten Goldenen Ωmega (Die Geschichte von Wilhelm Andere)

ßilberling Bereits wenige Wochen nach der Rückkehr an dem Orte seiner Wiege war Wilhelm Andere allerdings des Müßiggangs überdrüssig geworden. Mehr wie das, am Gehstock hinkte er durch die engen Straßen und Gassen seiner Heimat, doch sehnte er sich längst zurück nach den Hafenkneipen. Beziehungsweise der guten, alten Seeluft. Abends wurde ihm indes bei einem guten Glas Rotwein von Isabellas Ehemann in durchaus endlosen Monologen die Vorzüge der Russischen Revolution vorgekaut. In allen noch so langweiligen Einzelheiten wohlgemerkt, und nahezu jedes Mal, wenn er ihr altes Jungenzimmer betrat, hielt er vor dem Kinderbettchen inne: der kleine Heinrich, und wie friedlich er schlummerte. Wilhelm fühlte Glück so nahe wie noch nie zuvor in seinem Leben.

Doch ob gelangweilt oder nicht, irgendwie verging die Zeit dann doch, und Ostern rückte bereits heran, als Isabella ihren wiedergewonnenen Bruder einmal bat, Kartoffeln aus dem Keller zu holen. Ja, und es war tatsächlich das erste Mal seit der Wiederkehr, dass er herabstieg. Mit Feuchtigkeit im Knopfloch rückte er jenen lockeren Ziegel beiseite, das Kästchen schien seit der Flucht vor jenen zweieinhalb Jahrzehnten von einem jeglichen Kellerschmutz verschont geblieben zu sein. Und scheinbar total unberührt geblieben, und noch größer wurde das Staunen von Wilhelm Andere nach dem langsamen Öffnen: die Stifte, die Murmeln, die Würfel – alles unverändert. Lediglich die Zeichnungen hatten an Vergilbung zugenommen, beim Auseinanderfalten von Paulas Zeichnung hätte es Wilhelm beinahe das Herz zerrissen. Isabella hatte unlängst von Paulas Wegzug erzählt, bereits vor dem Kriege. Und was aus ihr schließlich geworden war, wusste eigentlich niemand. Ein Nachbar hatte gemeint, sie wäre im Kloster gelandet, die Zeichnung war indes doch sehr verblasst. Fast genauso wie Piep und Blubb, und umso mehr wunderte sich Wilhelm Andere über das Kindergekrakelte von Reimi, denn das Papier war blütenweiß und glänzte, so als ob es erst gestern dem Kästchen zugeführt worden wäre. Und auch die Farben der grünen Striche, von oben nach unten, hin und her, waren voller und kräftiger denn je. Dem Wilhelm Andere aber war es so, als ob ein winzig kleines vierblättriges Kleeblatt zu ihm empor schwirrte. Von den grünen Strichen der Zeichnung, eines, zwei, drei, die vielen, vielen grünen Striche, immer mehr, Kleeblätter, immer mehr, vier, acht, sechzehn, immer mehr, zwanzig, fünfzig, hundert, mehr, mehr. Gegen Abend wurde er von Isabellas Poltern an der Kartoffelkiste geweckt.

Isabella Oh, Wilhelm, kleiner, kleiner Wilhelm. Dass man dich nicht einmal zum Kartoffel holen schicken kann.

ßilberling Am darauffolgenden Morgen packte Wilhelm Andere die Koffer.

Hugo Bauklotz - Ein Zaun

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