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Erst als Mattis ins Haus ging, bemerkte er, was für ein schöner Abend es war. Der große See spiegelglatt. Die Hänge gegenüber am westlichen Ufer dunstverhüllt – wie auch sonst meist. Frühsommerduft. Auf der Landstraße, sie war von hier aus durch den Fichtenwald nicht zu sehen, surrten Autos wie zum Vergnügen. Und der Himmel war klar, diese Nacht würde es kein Gewitter geben.

Mitten durch den Blitz, dachte er mit einem Schaudern.

Mitten durch die Mitte, dachte er.

Wer das könnte.

Gedankenversunken stand er neben seiner Schlaftruhe.

Von klein auf hatte Mattis in der Schlaftruhe in der Stube geschlafen – er durfte behaupten, dass er sie kannte. Und so wollte er es den Rest seines Lebens über halten, hatte er beschlossen. An der Bank waren Kerben von damals, als der junge Mattis ein Messer bekommen hatte. Auf dem rohen Holz waren auch verblasste breite Striche aus der Zeit, als er einen Bleistift bekommen hatte. Diese Striche und merkwürdigen Figuren saßen auf der Unterseite des Deckels, er betrachtete sie allabendlich beim Einschlafen, und er mochte sie, weil sie sich nie veränderten. Sie waren, was sie sein sollten. Er konnte sich auf sie verlassen.

Hege schlief in der kleinen Schlafkammer hinten. Mattis riss sich los und ging hinein, denn dort hing der Spiegel. Er betrat ihre Kammer. Hier drin war ein sauberer Geruch, sonst nicht viel mehr. Und da war der Spiegel, den er jetzt brauchte.

»Hm«, meinte er zu sich selbst, sobald er sich darin sah.

Es war wirklich lange her, dass er sich so betrachtet hatte. Manchmal holte er sich den Spiegel von hier, wenn er sich rasieren wollte. Dann achtete er nur auf die Rasur, und trotzdem bekam er die Bartstoppeln nicht ordentlich weg.

Jetzt aber sah er diesen Mattis an.

Nein, nein, sagte etwas in ihm. Ein kurzer stummer Ruf, den er sich nicht weiter erklärte.

»Nicht viel zu sehen«, murmelte er.

»Nicht viel Fett«, sagte er dann.

»Und auch nicht viel Fleisch.«

»Schlecht rasiert«, sagte er.

Das klang für ihn bedrückend.

»Aber irgendwas ist da«, sagte er rasch und forschte weiter. Der Spiegel war auch schon alt, das Bild war verzerrt – aber daran hatten er und Hege sich mit den Jahren gewöhnt.

Nicht lange, und Mattis’ Gedanken schweiften ab, weil er in dieser kleinen, sauber duftenden Kammer einer Frau stand.

Jetzt schaue ich in den Spiegel wie ein Mädchen, dachte er mit Wohlbehagen. In diesem abgenutzten Spiegel haben sich sicher viele Mädchen angeschaut, bevor sie in die Kleider schlüpften.

Viele schöne Bilder dachte er sich aus, verlockende.

An die will ich denken.

Aber er hielt wieder inne.

Nein, nicht mitten in der Woche an Mädchen denken. Das gehört sich nicht. Das macht niemand.

Er war unsicher:

Doch, ich, manchmal, gestand er sich.

Aber das weiß niemand.

Er blickte sich selbst ins Gesicht. Begegnete seinen Augen, die sich sofort mit Trotz füllten. Ich darf das ja wohl, wenn ich es niemandem erzähle.

Ich bin wohl einfach so.

Wieder begegnete er seinem eigenen Blick – jetzt wurden die Augen groß und erwartungsvoll.

Was ist das?

Nein, also wirklich, sagte etwas in ihm verwundert, ins Leere. Manchmal musste man einfach so was sagen, fast ohne Grund, ja, auch mit sehr viel weniger Grund als jetzt.

»Was gibt es da schon zu sehen«, sagte er laut. Jetzt schnell wegschieben, was nicht hierher gehörte, aber Macht über ihn erlangt hatte.

Nachdenklich und hager war das Gesicht da vor ihm. Blass. Aber dieses Augenpaar zog ihn an und wollte ihn nicht loslassen.

Am liebsten hätte er den vor sich gefragt:

Wo kommst du bloß her?

Und warum?

Er würde keine Antwort kriegen.

Aber es stand eine in diesen Augen – Augen, die nicht ihm gehörten, sondern weit gereist waren und so vieles gesehen hatten. Etwas kam näher. Es leuchtete auf. Im selben Moment wurde auch das schwarz und war vorbei.

Er dachte kurz:

Mattis, Dussel.

Dussel.

Die würden lachen, wenn sie mich hier vor dem Spiegel sehen würden.

Endlich kam er wieder darauf, was er hier in Heges Kammer eigentlich wollte. Nach grauen Haaren schauen.

Vorn waren keine. Er senkte den Kopf und schielte unter den Strähnen hervor, die ihm ins Gesicht fielen, ob er wohl graue Haare entdeckte. Kein einziges. Dann schaute er so weit hinter den Ohren nach, wie es ging.

Nirgends auch nur ein einziges graues Haar. Dabei war er nur drei Jahre jünger als Hege, und die war vierzig.

Nein, der da, dem seine Haare bleiben noch lange so, dachte er.

Aber in drei Jahren hab ich die Hege eingeholt.

Kein einziges graues Haar. Das erzähl ich der Hege, die wird staunen, dachte er und vergaß, dass sie dieses Thema gar nicht mochte.

Mit großen Schritten ging er hinaus. Hege saß ja bestimmt noch immer mit ihrer Strickarbeit auf der Treppe.

Ja, genau. Die Jacke wuchs unter ihren flinken Fingern wie von selbst. Ihre Hände führten etwas wie einen stummen Tanz auf, und unterdessen strickte sich die Jacke ganz allein.

»Was ist denn?«, fragte sie, weil er so stürmisch ankam.

Mattis deutete auf seinen Haarschopf:

»Kein einziges graues Haar, Hege. Ich hab im Spiegel nachgeschaut.«

Hege wollte nichts mehr davon hören.

»Aha«, sagte sie kurz angebunden.

»Ist das nicht schön?«, fragte er.

Sie antwortete ruhig:

»Natürlich.«

»Schau dich selbst an«, sagte er, »ich bin ganz sicher, du hättest gern …«

Sie platzte heraus:

»Jetzt reicht’s!«

Er verstummte. Hege hatte auf einmal so was an sich, da war man gleich still.

»Ist was?«, fragte er ängstlich.

Jetzt stand sie auf.

»Du, Mattis.«

Er blickte sie gespannt an.

»Sag.«

»Ich finde es nicht lustig, wie du heute Abend redest. Kannst du nicht aufhören?«

»Haben wir es denn sonst lustig?«, gab er zurück. Seltsam, wie sie redet, dachte er.

Hege sah ihn hilflos an, wie in plötzlichem Schrecken. Jetzt musste schnell etwas passieren, sonst geriet Mattis in eine Laune, in der er für sie nicht mehr erreichbar war.

»Viel lustiger, als du jetzt denkst!« Sie schlug die Wörter ein wie Nägel. »Du denkst nur nicht darüber nach. Jeden Tag haben wir es lustig!«

Er wich zurück, fragte aber:

»Wann denn?«

»Wann?«, fragte sie hart.

Sofort versuchte sie es noch mal anders. Etwas musste aufgehalten werden.

»Denk mal nach, Mattis«, sagte sie, ohne an den Stich zu denken, den das Wort ihr sonst versetzte. Da stand sie fordernd über ihm, dabei war sie die Kleinere.

Mattis antwortete:

»Ich denk ja nach, dass es fast wehtut.«

»Dann fällt dir auch ein, wann wir es lustig hatten!«

Er überlegte angestrengt, antwortete nicht.

Hege legte nach. Sie musste es so hart und heftig tun, dass kein Schlupfloch blieb.

»Wir haben es lustiger als andere!«

»Stimmt das?«, murmelte er kraftlos, kaum hörbar.

»Ja! Das darfst du nie vergessen.«

Mehr kam nicht. Mattis richtete sich ein wenig auf, wagte aber keine Widerworte. Hege war klug, sie wusste sicher, was lustig bedeutet. Besser nicht widersprechen und dann dumm dastehen. Sie schaute ihn wütend an.

»Ich hab das nicht gewusst, nein«, sagte er nur.

Dann ging ihm ein großes Licht auf, und er sagte fröhlich:

»Ein Glück, hast du das gesagt.«

»Was?«

»Weil ich es nicht gewusst hab.«

Er war so froh, er lachte kurz.

»Willst du gehen?«, fragte er.

Statt einer Antwort nickte Hege etwas mühevoll und ging hinein.

Die Vögel

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