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3. Kapitel

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Am Freitagabend fuhren sie alle gemeinsam ins Elsass. Simon, Sandras Freund, hatte sich zuerst dagegen gewehrt, aber gegen die zwei Damen, hatte er keine Chance gehabt. Krüger, ebenfalls skeptisch, hatte dann seine Meinung schnell geändert. Er und Simon, verstanden sich auf Anhieb.

Simon studierte Archäologie, Krügers alten Traumberuf. Bald standen sie in einer äußerst interessanten Diskussion über Neandertaler im südlichen Europa, während sich die Grassels, ungestört über Mode und Frauenthemen unterhalten konnten.

Krüger erzählte Simon vom originalen Neandertal, das dieser bisher noch nicht besuchen konnte. Mit der Erforschung der dort gefundenen Knochen war Krüger an einem Fachseminar, schon einmal direkt in Berührung gekommen.

Gerade legte Krüger noch etwas Holzkohle auf den Gartengrill.

Simon erschien mit zwei Flaschen Bier. „Kannst du eins gebrauchen?“, fragte er. „Oder trinkst du lieber gleich Wein.“

Krüger streckte die Hand aus. „Kommt genau zur richtigen Zeit“, antwortete er. „Wie sieht’s in der Küche aus?“, fragte er nach. „Alles im Griff?“

Simon zuckte mit den Schultern. „Sie haben mich gleich weggeschickt, als ich helfen wollte.“

Krüger grinste. „Na dann prost, auf unsere Liebsten.“

Die Flaschen stießen zusammen. Simon brummte, „zum Wohl und danke für die Einladung.“

„Gern geschehen“, gab Krüger zurück.

„Wir stören euch wirklich nicht?“, fragte Simon nach. „Ganz ehrlich nicht“, antwortete Krüger.

***

Am Samstagmorgen stand Krüger als Erster auf. Keineswegs geplant. Er setzte Kaffee auf und schmierte sich ein Brot. Ein heller, trockener Tag, stellte er mit einem Blick durchs Fenster fest. Die erste Möglichkeit, die Gegend zu Fuß zu erkunden. Mit Elisabeth am Arm.

Auf dem hügeligen Wald hinter dem Haus ließ sich eine markante Burg erkennen. Chateau de Kintzheim, wie er inzwischen herausgefunden hatte.

Elisabeth schlenderte schnuppernd in die Küche. „Morgen!“ Eine feste Umarmung mit Kuss folgte. „Du hast mir schon Kaffee gemacht“, stellte sie fest, während sie sich auch sein Brot schnappte.

„Nehmen sie Platz, gnädige Frau. Ich hoffe, es ist alles zu ihrer Zufriedenheit“, dienerte Krüger lachend.

„Machst du mir noch eins, bitte?“, gab sie kauend zurück.

Krüger seufzte vernehmlich. Trug den Kaffee auf, schnitt Brot in Scheiben, begann mit dem Schmieren. Sie sah interessiert zu.

„Gehen wir heute spazieren?“, fragte er beiläufig.

„Spazieren?“, wiederholte sie fragend. „Ja. Ganz einfach nur spazieren.“

Sie antwortete nicht gleich. Krüger warf ihr einen aufmunternden Blick zu.

„Ich wollte eigentlich mit Sandra in die Stadt“, antwortete sie verlegen.

„Kintzheim ist nur ein Dorf“, stellte Krüger trocken fest.

Sie nickte. „Wir wollen nach Schlettstadt oder Sélestat, wie es auf Französisch heißt.“

Krüger war doch ein wenig enttäuscht. Trotzdem lächelte er. Sie schien es zu bemerken. „Sei mir bitte nicht böse. Aber Sandra ist nicht so oft da. Wir möchten die Gelegenheit gern nutzen.“ Krüger hatte nicht überlegt. Natürlich hatte sie Recht. „Soweit habe ich nicht gedacht. Entschuldige, Spatz! Soll ich euch hinbringen?“

„Wenn du möchtest.“

***

So kam es dazu, dass Krüger seinen Spaziergang mit Simon, anstelle von Elisabeth, unter die Füße nehmen musste.

Sie hatten sich schnell darauf geeinigt, dass die bewaldeten Hügel hinter dem Dorf, archäologisch als interessant, einzustufen seien.

Simon hatte eine kurze Pflanzschaufel aus dem Garten eingesteckt. Unter Felsvorsprüngen findet sich fast immer etwas, wenn man der Erste ist, der sucht, hatte er Krüger erklärt.

Sie besuchten erst die Burg, genossen kurz die weite Aussicht, bevor sie sich tiefer in den Wald bewegten. Für März war es bereits angenehm warm. Dazu der steile Anstieg. Beides trieb Krüger den Schweiß auf die Stirn.

Simon schien das nichts auszumachen. Zielstrebig steuerte er eine helle Fläche an, die durch den Wald schimmerte. „Perfekt“, stellt er fest. „Leicht überhängend, ideal als Rastplatz für die Nacht.“

Die Felswand, entpuppte sich eher als Felswändchen. Knapp drei Meter hoch, mit einer leichten Einbuchtung am Grund, wo sie aus dem Laub auftauchte.

Simon begann gleich damit, die trockenen Blätter präzise schichtweise abzutragen. Sein Vorgehen ließ den angehenden Fachmann schon deutlich erkennen. Unter dem Laub, der erste Fund, eine rostige Konservendose.

Krüger grinste. „Zwanzigstes Jahrhundert, würde ich sagen.“

Simon bestätigte, erstaunlich ernsthaft. Die nächste Schicht bestand vor allem, aus locker aufeinanderliegenden, kleinen Felsbrocken. Krüger begann, mitzuhelfen.

„Woher kommen die alle?“, fragte er schließlich. „Die können ja nicht alle von diesem kleinen Felsen abgefallen sein, oder?“

Simon zuckte mit den Schultern. „Weiß ich auch nicht so genau“, antwortete er.

Gemeinsam trugen sie die Brockenschicht ab. Simon holte die Stücke aus der Grube, Krüger schichtete sie am Rand auf. Sie hegten kaum noch Zweifel, dass hier etwas vergraben lag.

Einen halben Meter tiefer erschien eine dunkle Schicht aus schwarzen Nadeln und noch erkennbaren Fichtenzweigen. Die Zweige ließen sich problemlos entfernen. Jedoch die Nadeln verdeckten weiter die Sicht. Simon begann, sie mit der mitgebrachten Pflanzschaufel, auf die Seite zu schieben. Plötzlich blieb er hängen. Ein Stofffetzen? Die Struktur ließ darauf schließen. Senkrecht ragte er aus dem Nadelgewirr. „Da ist etwas!“, stellte Simon atemlos fest. Krüger begann vorsichtig am Stoff zu ziehen. Dunkle Stäbe erschienen. „Holz“, brummte Krüger.

„Eher Knochen“, widersprach Simon.

Krüger sah genauer hin. „Möglich“, brummte er schließlich. Er zog den Stofffetzen weiter nach oben. Eine Metallplatte erschien zwischen lose liegenden Rippen.

„Ein Soldat“, sagten sie gleichzeitig.

Die Platte hatte sich ziemlich stark verfärbt. Trotzdem deutlich erkennbar die ovale Form, mit der quer verlaufenden Bruchleiste. Eine Erkennungsmarke.

„Wehrmacht“, stellte Krüger knapp fest. „Ich kenne die Form. Ein Soldat, den wahrscheinlich seine Kameraden hier begraben haben.

Simon zuckte mit den Schultern. „Was machen wir?“, fragte er schließlich. „Einfach wieder zudecken?“

Krüger schüttelte den Kopf. „Wir müssen das melden.“

„Und wo?“

„Bei der örtlichen Polizei“, antwortete Krüger. „Sprichst du Französisch?“

„Nein!“

Krüger überlegte kurz, dann zog er sein Telefon aus der Tasche.

Michélle meldete sich sofort. „Hallo Chef.“

Er erklärte ihr die Situation und fragte, ob sie bereit sei, herzukommen. „Wir könnten uns beim Chateau de Kintzheim treffen“, schlug er vor. Als er damit begann, ihr den Weg zu beschreiben, unterbrach sie ihn. „Ich weiß, wo das liegt.“

„Sehr gut“, lobte Krüger. „Könnten Sie auf dem Weg, die Gendarmerie gleich mitnehmen?“

Michélle versprach, sich darum zu kümmern.

Krüger wandte sich an Simon. „Uns bleibt nur, zum Schloss zurückzugehen und dort zu warten.“

***

Kommissar Guerin fühlte sich ziemlich genervt, dass er am Samstagmorgen angerufen wurde. Gerade hatte er sich im Bistro mit einer Zeitung hingesetzt. Kaffee und Croissants bestellt. Sein Unmut legte sich schnell, als er begriff, wer ihn störte. „Madame Michélle. Wie schön, Ihre Stimme zu hören. Was kann ich für Sie tun?“

Michélle bat ihn lediglich darum, einen Gendarmen zum Schloss in Kintzheim zu schicken. Jedoch Guerin ließ sich die Gelegenheit, sie zu treffen, nicht entgehen.

„Selbstverständlich komme ich selbst, Madame Michélle. Stellen Sie sich vor, bis ich den Gendarmen alles erklärt habe. Ich bringe auch gleich einen Pathologen mit. Bis wann können Sie eintreffen?“

„In etwa einer Stunde“, antwortete sie.

„Dann bis später, Madame. Ich freue mich.“

Michélle starrte ihr Telefon an. Der hatte ja richtig begeistert reagiert, dachte sie. Guerin befand sich in Hochstimmung. Endlich würde er die vielversprechende Stimme auch zu Gesicht bekommen. Er spürte, dass sie keine gewöhnliche Polizistin sein konnte. Außerdem blieb auch noch genug Zeit, um den Kaffee in Ruhe zu trinken.

***

Michélle wartete auf dem großen Parkplatz, unterhalb des Schlosses auf Guerin. Sie stellte sich so hinter ihr Fahrzeug, neben das deutsche Kennzeichen, dass er sie gleich erkennen konnte.

Guerin rollte mit einem Streifenwagen im Schlepptau, auf den Platz. Die attraktive Blondine, die ihm interessiert beim Parken zusah, fiel ihm sofort auf. Hoffentlich ist sie das, dachte er.

Michélle ging ihm entgegen. Sie fühlte sich durch seine Umarmung mit drei Küsschen auf die Wangen, zwar überrumpelt. Andererseits war das in Frankreich, wie sie natürlich wusste, durchaus üblich. Zumindest im privaten Umgang.

„Kommissar Guerin“, stellte sie trocken fest.

Er strahlte sie an. „Madame Michélle, es ist mir eine große Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen. Sie sind ja noch viel hübscher, als ich mir vorgestellt habe“, fügte er an.

Sie antwortete nicht darauf. „Gehen wir?“, fragte sie nur knapp.

Guerin bot ihr seinen Arm. „Bitte Madame!“

Um nicht respektlos zu erscheinen, hakte sie sich bei ihm ein.

Die zwei Gendarmen und der ältere Herr, die Guerin mitgebracht hatte, folgten in diskretem Abstand.

Diese Franzosen, ging Michélle durch den Kopf. Immer gleich mit vollem Einsatz. Einerseits ungewohnt, andererseits vermisste sie das zuweilen in Deutschland. Er sah dazu auch noch gut aus, wie sie sich eingestehen musste. Etwa fünf Jahre älter als sie konnte er sein, schätzte Michélle. Kein Bauch, markantes Kinn, außerdem roch er gut. Unwillkürlich zog es sie während des Aufstiegs, immer näher an ihn heran.

Michélle wünschte sich eigentlich schon seit langem einen Partner. Sie war inzwischen fast dreißig. Für eine eigene Familie wurde es langsam Zeit, sich zu entscheiden. Trotzdem hatte sie es bisher absolut ausgeschlossen, etwas mit einem Kollegen anzufangen. Andere Freundschaften hatte es gegeben, die jedoch stets daran scheiterten, dass sie als Polizistin arbeitete. Wenn sich einer damit abfinden konnte, dann erledigten die Dienstzeiten den Rest.

Im Schlosshof trafen sie auf Krüger und Simon. Michélle hatte keine Zeit mehr, ihren Gedanken nachzuhängen. Alle mussten einander vorgestellt werden. Michélle übersetzte. Ein paar Höflichkeiten wurden ausgetauscht, bevor sie sich auf den Weg in den Wald machten. Michélle blieb bei Krüger mit Guerin neben sich. Weiter an seinem Arm zu bleiben, so direkt neben ihrem Chef, fand sie dann doch eher peinlich. Sie glaubte, bemerkt zu haben, dass Krüger sie bereits eigenartig gemustert hatte, während sie von Guerin ins Schloss geleitet wurde.

Am Fundort inspizierte Claude, der französische Pathologe, als Erster, die Knochen. Michélle übersetzte wieder: „Die Knochen, eindeutig menschlich, liegen schon einige Jahrzehnte im Freien, wie die Verfärbung zeigt. Die Plakette weist auf einen deutschen Soldaten hin, auch wenn man die Gravur nicht mehr lesen kann. Das Labor wird sie sicher rekonstruieren können“.

Guerin nickte zufrieden. „Also hast du keine Zweifel?“

„Nein, ich habe schon so viele von diesen Funden gesehen. Alles wie immer.“

Simon zeigte nicht so ganz überzeugt. Ohne jede Analyse wollten die sicher sein. Das entsprach nicht dem, was er in seinem Studium lernte. „Die Plakette sollte doch an einer Kette um den Hals hängen oder nicht? So wie sie daliegt, könnte sie ihm auch einfach auf die Brust gelegt worden sein?“, fragte er, an Michélle gewandt.

Claude nickte. „Dass die Schnur fehlt, es war keine Kette, stimmt. An der Art der Einschleifung kann man sogar erkennen, aus welcher Periode des Krieges, sie stammt.“

„Ist das ungewöhnlich?“, fragte Guerin nach.

„Am Ende des Krieges“, antwortete Claude, „zumindest hier im Grenzgebiet, konnte es manchmal von Vorteil sein, zwei Erkennungsmarken parat zu haben. Je nachdem, wem man sich am Schluss ergeben musste“.

Claude wandte sich jetzt direkt an Simon. „Wissen Sie, junger Mann, ich finde es positiv, dass Sie genau hinschauen wollen. Selbstverständlich werden die übrigen Beifunde, wie zum Beispiel die Schuhe, Uniformteile und so weiter, auch noch ausgewertet. Trotzdem bin ich jetzt schon überzeugt, dass es sich hier um die Reste, eines im Krieg gefallenen deutschen Soldaten handelt.“

Guerin nicke erneut. „Dann können wir zurückgehen. Die Gendarmen kümmern sich um den Abtransport. Ich schlage vor, dass wir uns im Dorf in einem Restaurant zusammensetzen, um ein kurzes Protokoll zu verfassen, das Sie dann nur noch unterschreiben müssen.“

Er sah Simon und Krüger fragend an, die nach der Übersetzung von Michélle, zustimmten.

„Michélle“, fragte Krüger vorsichtig nach, „erkundigen Sie sich bitte, ob wir etwas Verbotenes gemacht haben? Darf man hier einfach so, im Wald graben?“

„Guerin grinste ein wenig, bevor er antwortete. „Sie sollen sich darüber keine Gedanken machen, das weiß ich selbst nicht so genau. Das Protokoll beginnt erst beim Fund. Was davor passiert ist, lassen wir einfach weg.“

***

Guerin begleitete Michélle zu ihrem Wagen. Die übrigen Beteiligten hatte Guerin inzwischen ganz offiziell und ohne Auflagen entlassen. Trotz des unkomplizierten Vorgehens hatte die Sache zuletzt doch bis gegen Abend gedauert.

Er umarmte sie zum Abschied. Sie fragte aus Gewohnheit, ob sie noch etwas für ihn tun könnte.

„Ja, Madame Michélle“, antwortete Guerin verschmitzt. „Sie könnten mit mir zu Abend essen.“

„Sie meinen, jetzt?“, fragte sie zurück.

Guerin nickte. „Jetzt gleich. Ich kenne hier ein ganz ausgezeichnetes Lokal.“

Michélle zögerte. „Ich bin doch gar nicht angezogen, für ein Essen im Restaurant“, schützte sie vor.

„Ich weiß, was Sie meinen, Madame“, antwortete Guerin. „Wenn Sie sich vielleicht für einmal zu einer Ausnahme entschließen könnten, um mir einen Herzenswunsch zu erfüllen?“

„Bedeutet Ihnen das wirklich so viel?“, fragte sie lächelnd.

„Ja, Madame Michélle. Ich möchte Sie nicht einfach so weggehen lassen“, gab er zurück.

Er wirkte ehrlich. Und außerdem, was konnte sie schon verlieren. Sie fühlte sich ja auch wohl, in seiner Gesellschaft.

***

Luzia Hehl tigerte seit einer Stunde in ihrer Wohnung herum. Einfach auszugehen, wäre das Beste gewesen. Aber dann hätte sie ihm widerstandslos nachgegeben. Außerdem würde er es bestimmt wieder versuchen. Sie musste ihn gleich an der Tür abweisen. Ihm absolut klar machen, dass er sie nicht mehr interessierte.

Pünktlich um acht klingelte er. Luzia lief ein kalter Schauder über den Rücken.

In deutlicher Abwehrhaltung stellte sie sich an die Tür. Sie holte noch einmal tief Luft, bevor sie den Schlüssel drehte. Seit sie hier wohnte, hatte sie immer vorgehabt, sich eine Sperrkette anbringen zu lassen. Dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, hatte sie jedoch nie geschafft. Jetzt ärgerte sie sich wieder einmal darüber.

Sie öffnete nur einen kleinen Spalt und starrte ihn eiskalt an.

„Hallo, meine Süße!“, begrüßte er sie lächelnd.

Luzia hatte ihren sorgfältig vorbereiteten Text total vergessen. Sie war schlicht unfähig zu antworten.

„Komm, lass mich rein!“, forderte er sie auf.

Sie blieb wie eine Statue stehen.

Erst seine Hand, die sich suchend an ihre Hüfte schlängelte, ließ sie instinktiv ein Stück zurückweichen.

Ein grober Fehler. Schon war er eingetreten und schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab.

Ohne zu zögern, setzte er sich auf die Couch im Wohnzimmer. Den kleinen Koffer, den er mitgebracht hatte, stellte er neben sich auf den Boden.

Endlich löste sich ihre Starre. Sie schaffte es bis zur offenstehenden Wohnzimmertür. Dort blieb sie erneut stehen. Er musterte sie interessiert. „Schön eingerichtet“, stellte er schließlich fest. „Diese Stühle, Bauhaus oder?“

Ohne richtige Absicht bestätigte sie: „Ja, ganz seltene Stücke.“

Sorgfältig strich er mit der Hand über das Geflecht. „Und in bestem Zustand. Wie bist du daran gekommen?“, fragte er in lockerem Plauderton.

„Jahrelanges Suchen auf Flohmärkten“, antwortete sie. „Ich konnte es erst gar nicht glauben. Aber sie sind echt, ohne jeden Zweifel.“

Er bewunderte schon das nächste Möbel. Sie half, ohne zu überlegen. „Paris, siebzehntes Jahrhundert.“

„Renaissance. Gerade noch vor Louis dem Vierzehnten“, bestätigte er.

„Willst du etwas trinken?“, fragte sie.

„Ja, gern.“

Sie verschwand in der Küche. Was machst du da?, fragte sie sich selbst. Eigentlich ist er ganz sympathisch, ging ihr durch den Kopf. Heute trug er ganz normale, adrette Kleidung. Welch ein Unterschied zum letzten Mal.

Mehr als eine halbe Stunde diskutierten sie über antike Möbel und vergangene Epochen. Sein Wissen auf diesem Gebiet fand Luzia absolut beeindruckend.

Endlich fand er es an der Zeit, zum eigentlichen Thema des Abends zu kommen. Er öffnete seinen Koffer und zeigte ihr, was er mitgebracht hatte. Ein Paar Handschellen. Nylonseile mit angefügten Karabinerhaken. Verschiedene Teile aus Ketten. Knebel, Lederteile, dazu einige Gerten. Ein Besteckkasten mit unterschiedlichen Scheren und Klemmen sowie Kleinkram wie Pinzetten und Nadeln. Ein martialisch wirkender Rasierpinsel, in dessen Handgriff sich ein klassisches Klapprasiermesser verstauen ließ.

Luzia schluckte leer. Trotzdem griff sie nach den Stahlarmbändern, um sie eingehend zu betrachten.

Er erklärte ihr die Funktion, indem er sie um ihre Handgelenke legte.

Ein unbeschreibliches Gefühl aus Empörung und Erregung durchströmte Luzia. Sie hatte sich widerstandslos fesseln lassen. Jetzt war sie ihm hilflos ausgeliefert. Seltsamerweise empfand sie überhaupt keine Angst.

Er zeigte ihr einen Knebel, der aus einer Kugel an einem Lederriemen bestand. Wie beim Zahnarzt öffnete sie den Mund und ließ ihn gewähren.

***

Holger schlenderte an diesem Samstagabend, zum ersten Mal, an Riemenschneiders Einfamilienhaus vorbei. Er hatte sich dick eingepackt mit Schal und Wollmütze. Von seinem Gesicht ließ sich nicht viel erkennen. Gelegenheiten, sich zu verstecken gab es keine, wie er schnell feststellen musste. Riemenschneider schien zu Hause zu sein. Zumindest stand das ganze Gebäude hell erleuchtet da. In der kurzen Zeit, die Holger zur Verfügung stand, war im Innern niemand zu sehen. Trotz der großen Fenster, die noch nicht einmal über Vorhänge verfügten. Lebte er allein? Vermutlich nicht.

Noch einmal konnte Holger vorbeigehen. Sozusagen auf dem Rückweg. Danach würde er bestimmt jemandem auffallen.

Als er eine halbe Stunde später wieder einen Blick durch die Fenster riskierte, hatte sich nichts verändert. Missmutig fuhr er nach Hause.

Holger verfolgte Riemenschneider jetzt an jedem Abend, um festzustellen, ob er direkt nach Hause fuhr. In diesem Fall ließ er ihn in Ruhe. Irgendwann würde er Holger irgendwohin führen, wo er bessere Möglichkeiten finden konnte, um ihm eine Falle zu stellen.

Am Mittwoch schien es soweit. Riemenschneiders fuhr zu einer Art Spaßbad, mit Schwimmhalle und Saunabetrieb. Holger wartete draußen im Wagen. Riemenschneider blieb fast bis elf. Obschon der Laden um zehn Uhr schloss.

***

Am Donnerstagabend, Riemenschneider war ohne Umweg zu seinem Haus gefahren, sah sich Holger das Spaßbad genauer an. Er schwamm einige Runden, danach leistete er sich einen Saunabesuch. Er erhielt eine Einzelkabine mit Glastür, die sich von innen abschließen ließ, zugewiesen. Die Tür, zwar nicht durchsichtig, ließ eine vorbeigehende Person immerhin noch als dunklen Schatten bemerken. Also gab es keine Möglichkeit, unbemerkt von außen die Tür zu blockieren. Außerdem hing an der Wand in der Kabine, ein großer roter Knopf, in Leuchtfarbe mit Notruf beschriftet.

Holger überlegte zwar, dass sich ein Saunaunfall weit unter seiner Würde bewegte. Jedoch in diesem speziellen Fall konnte er eventuell eine Ausnahme machen. Wenn er denn eine brauchbare Möglichkeit finden sollte. Das setzte zudem voraus, dass Riemenschneider regelmäßig, dieses Bad besuchte. Immer noch im Bademantel schlenderte Holger in der Eingangshalle herum. Er schien im Moment der einzige Gast zu sein.

„Ist ruhig“, sprach er die junge Frau an der Theke an.

„Am Donnerstag immer“, gab sie zurück. „Am Wochenende sieht es aber ganz anders aus, vor allem im Winter.“

Holger nickte verständnisvoll. „Eine Frage: Wenn ich mit Freunden saunen möchte, muss dann bei Ihnen jeder allein sitzen?“

Sie lachte laut auf. „Nein, natürlich nicht. Wir bieten selbstverständlich auch größere Kabinen an.“

Holger sah sie fragend an.

„Möchten Sie sich eine ansehen?“

„Ja, gern“, antwortete Holger.

In den größeren Kabinen befand sich hinter der Tür ein Vorraum, stellte Holger befriedigt fest. Hier könnte es klappen, wenn er irgendwie, Riemenschneider in diesen Raum bringen konnte. Ihm einen Gutschein zum Geburtstag schenken, zum Beispiel.

***

Am Montagmorgen sah Krüger kurz bei Michélle vorbei. „Sind Sie am Samstag gut nach Hause gekommen?“, fragte er.

Sie fühlte, dass sich ihre Wangen aufwärmten. „Ja, danke, Chef. War kein Problem.“ Ihre eigene Stimme hörte sich fremd an.

Krüger murmelte eine Antwort, die sie nicht verstehen konnte und verschwand gleich wieder. Er befand sich weit davon entfernt, irgendetwas von Michélles Verlegenheit zu bemerken. Das Chaos seiner eigenen Gefühle beschäftigte ihn vollständig. Sobald Sandra, die er ja auch gern mochte, auftauchte, erschien ihm Elisabeth ganz fremd. Natürlich konnte er verstehen, dass sie ihre Tochter liebte. Sie sogar für einen Moment ihm vorzog. Das ist normal, schalt er sich selbst. Trotzdem hatte er, ohne dass er wollte, eifersüchtig reagiert wie ein junger Bursche. Das musste er sich eingestehen.

Heute Morgen, hatte er Elisabeth bei der Stadtbibliothek abgeladen. Ihr erster Arbeitstag stand an. Ein wenig nervös hatte sie doch gewirkt, auch wenn sie das nicht zugeben wollte. Möglicherweise spielte das auch eine Rolle, weshalb sie ihn gestern nicht so liebevoll wie sonst, behandelt hatte.

Er wehrte sich einfach gegen die weit verbreitete Ansicht, dass der erste Zauber nur kurz anhalten konnte. An ihm sollte es jedenfalls nicht liegen. Er würde fast alles in Kauf nehmen, um ihre Zuneigung nicht zu verlieren.

Hoffentlich geht es nicht so schnell vorbei, wie mit Nadja, schlich sich in seine Gedanken.

***

Auch Michélle dachte über ihre Erlebnisse des vergangenen Wochenendes nach. Das Abendessen war unbestreitbar nett gewesen. Er hatte gar nicht erst versucht, sie auch noch ins Bett zu kriegen. Irgendwie wäre es ihr in diesem Fall leichter gefallen, das Ganze gleich wieder zu beenden.

Was würde ihre Mutter dazu sagen? Michélle war die Tochter eines Franzosen, der sich schnell aus dem Staub gemacht hatte, als er erfuhr, dass er Vater werden würde.

Immerhin, dieser Kommissar Guerin, als Beamter, konnte nicht einfach so abhauen.

Aber Michélle erinnerte sich genau: Als junges Mädchen, hatte sie sich absolut fest vorgenommen, den Fehler ihrer Mutter auf keinen Fall zu wiederholen. Michélle hatte ihre Mama schlicht für zu naiv gehalten, um zu erkennen, worauf sie bei Männern achten musste.

Wie leicht Frau in eine solche Lage geraten konnte, sah sie jetzt viel klarer. Guerin war charmant, alleinstehend, sah gut aus und brachte sie in Wallung. Was erwartete sie denn noch mehr. Sollte sie Ihn bloß, weil er als Franzose geboren wurde, stehen lassen? Außerdem hatte er ihr beim Essen noch lächelnd gestanden, dass er genauso gut wie Französisch auch Elsässisch, also Deutsch sprach.

Weshalb empfand sie dieses Unbehagen? Schien er möglicherweise zu perfekt, um wahr zu sein.

***

Pünktlich um fünf stand Krüger vor der Stadtbibliothek und wartete auf seinen Spatz. Den Wagen hatte er zu Hause abgestellt, er wollte mit ihr gemeinsam spazieren. Zwar kein weiter Weg, aber er konnte ihr damit zeigen, für wie wichtig er ihre Gesellschaft hielt.

Erst nach fünfzehn Minuten erschien sie am Ausgang, angeregt mit einer mutmaßlichen Kollegin diskutierend.

Wenn er den beiden nicht nachgegangen wäre, hätten sie ihn überhaupt nicht bemerkt. Er biss sich unwillkürlich auf die Lippen. Schon wieder überflüssig?

Die Zweifel verflogen gleich, als sie ihn umarmte. „Wie nett von dir. Entschuldige, dass ich dich erst gar nicht gesehen habe. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet.“

„Es war ja auch nicht abgemacht“, brummte Krüger, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.

„Das ist meine neue Kollegin, Marianne Steiner, mein Partner, Max Krüger“, stellte sie vor.

Krüger nickte höflich.

„Wir sind schon ganz in unserem Element, wie du siehst“, erklärte Elisabeth.

„Schuhe“, riet Krüger grinsend.

„Aber nein“, sie strahlte. „Männer natürlich.“

Krüger wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Erst, als die Frauen gleichzeitig laut auflachten, dämmerte ihm, dass das Ganze vermutlich nur ein Spaß gewesen sein sollte.

Marianne verabschiedete sich eilig. „Bis Morgen!“, rief ihr Elisabeth nach, dann schmiegte sie sich aufs Neue an ihn. Krüger genoss ihre Nähe, nahm sie an der Hand.

„Wie lief der erste Tag?“, fragte er interessiert. „Findest du es spannend?“

„Ist ganz interessant“, gab sie zu. „Vor allem hätte ich nicht erwartet, dermaßen nett aufgenommen zu werden, als Fremde aus Österreich.“

„Das heißt, du könntest dich daran gewöhnen, hier zu arbeiten?“, fragte er vorsichtig.

„Ja sicher. Wir arbeiten hier auch nicht nur wie normale Sekretärinnen. Wir wechseln uns auch am Schalter und in den Leseräumen ab. Zumindest habe ich das heute so gehört“, schränkte sie ein.

„Ich dachte“, Krüger grinste so breit, wie er konnte, „es heißt Büro-fach-kraft.“

„Du kannst ruhig Sekretärin zu mir sagen, wenn du Mut hast“, forderte sie ihn heraus.

„Nein danke, gnädige Frau!“, wehrte Krüger ab. „Feigling.“

„Lieber ein gesunder Feigling, als ein invalider Held“, brummte Krüger.

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