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4. Kapitel

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Holgers Vorbereitungen für den „Unfall“ Riemenschneiders konnten inzwischen als abgeschlossen gelten. Die letzten drei Wochen hatte er ihn regelmäßig abends verfolgt.

Jeden Mittwochabend blieb Riemenschneider in der Sauna sitzen. Die Dame an der Theke schloss um zehn Uhr ab, dann verschwand sie für eine knappe Stunde auch in seiner Kabine.

Stets in der Gleichen, was Holgers Vorhaben äußerst begünstigte. Den Notschalter hatte er bereits einige Tage früher präpariert. Als neuer Stammgast ging er ein und aus, wie er wollte. Die Dame an der Theke legte regelmäßig draußen Rauchpausen ein. Die Zeit dazwischen hatte er genutzt um den Schalter zu öffnen und die Kontakte so umzubiegen, dass keine Verbindung mehr entstehen konnte.

Jetzt, am Mittwochabend, wartete er draußen seit neun Uhr als Frau verkleidet darauf, dass die Angestellte ihrer Sucht nachgab. Um sich unbemerkt in die Damengarderobe schleichen zu können.

Praktischerweise fand in der Handtasche, die er selbstverständlich auch dabei hatte, alles Platz, was er brauchte: Latexhandschuhe, eine Bleistiftlampe, zwei schlanke Hartholzkeile und eine Tube Sekundenkleber. Nur für den Notfall: Chloroform und große Kabelbinder, falls etwas schieflaufen sollte.

Endlich war es soweit. Die Angestellte schlurfte durch den Ausgang und verschwand um die Ecke des Gebäudes im Dunkeln.

Holger betrat das Bad ganz normal. Er konnte Überwachungskameras nicht hundertprozentig ausschließen. Ein kurzer Blick zur Theke. Ein deutliches Schulterzucken. Dann verschwand er in der Damengarderobe. Wie erhofft, stand der Raum völlig leer, so dass er niemandem etwas vorspielen musste. Für diesen Fall hatte er stundenlang vor dem Spiegel geübt, sich als Frau zu bewegen. Seine Darbietung hatte er ab und zu gefilmt, bis er zu einem überzeugenden, weiblichen Bewegungsablauf gelangte. Wenn auch für den Moment umsonst, aber das konnte ihm noch des Öfteren zugutekommen. Außerdem stand noch keineswegs fest, dass sich heute Abend nicht doch noch eine Frau in die Garderobe verirrte.

Holger setzte sich auf einen Stuhl. Vorübergebeugt, das Gesicht in die Hände gestützt. Es sah aus, als plagten ihn beziehungsweise sie, irgendwelche Bauchschmerzen. Auch den leidenden Gesichtsausdruck hatte er eingeübt.

Zäh verging die Stunde bis zehn Uhr, ohne dass er gestört wurde. Endlich löschte sich das Licht. Das Bad hatte jetzt geschlossen. Eine weitere Viertelstunde wartete er noch, dann zog er die Handschuhe über und öffnete die Tür.

Außer der einen Kabine lag das ganze Gebäude im Dunkeln, wie erwartet. Er schob den ersten seiner Keile unter die Garderobentür, um sie einen Spalt offenzuhalten. Von hier aus hatte er die gewisse Kabine bestens im Blick.

Natürlich wäre es professioneller gewesen, nur Riemenschneiders Kabine zu blockieren und gleich zu verschwinden. Aber Holger wollte einfach wissen, ob sein Plan aufgehen würde.

Er schlich sich zu der erleuchteten Glastür, blieb daneben stehen, unsichtbar von innen.

Deutliches Stöhnen ließ sich vernehmen. Die beiden schienen leidenschaftlich miteinander beschäftigt zu sein.

Ohne Hektik, trotzdem zügig, trug er den Kleber auf den vorgeschobenen Riegel auf.

Den Keil, ebenfalls auf der Unterseite mit Leim bestrichen, schob er mit einem festen Ruck unter das Glas. Der Kleber reagierte sofort. Das Holzstück ließ sich nicht mehr bewegen.

Holger schlenderte gelassen zur Theke, wo die Temperaturregler für alle Kabinen an einem Bedienpult zusammengefasst wurden.

Mit der Lampe in der Hand überflog er die Anzeigen. Alles auf null. Bloß bei Kabine elf lag die Einstellung bei achtundzwanzig Grad.

Riemenschneider hat gerne warm, beim Poppen, dachte er grinsend. Mit lockerer Hand drehte er auf bis zum Anschlag. Dann zog er sich auf seinen Beobachtungsposten zurück.

Es dauerte einige Minuten, bis er ihre Stimmen hörte. Hinter der Milchglastür erschien ein Schatten. Danach folgte ein Rütteln am Glas.

Eine zweite Gestalt erschien. Für Holger sah es aus wie ein Schattentheater. Riemenschneider begann lauthals zu fluchen. „Was für eine Scheiße!“ Die zweite Gestalt versuchte offenbar, ihn zu beruhigen.

Die Schatten verschwanden. Jetzt suchen sie nach einem Werkzeug, dachte Holger. Na dann, viel Erfolg.

Erneutes Rütteln. Danach Tritte an die Tür. Erfolglos.

Holger bedauerte nur, dass er das Gesicht Riemenschneiders jetzt nicht sehen konnte.

Ein paar Minuten passierte gar nichts mehr. Hatten sie etwa schon aufgegeben?

Plötzlich sah er einen schnellen Schatten von innen auf die Tür fallen. Dann ein lautes Krachen, Scherben klirrten. Ein weißes Bündel mit nackten Beinen rollte auf den Flur.

Der Saukerl hat das Weib durch die Tür geworfen, schoss Holger durch den Kopf.

Rasch zog er die Garderobentür bis auf einen kleinen Spalt zu, durch den er das Geschehen trotzdem noch weiter verfolgen konnte. Riemenschneider, mit hochrotem Kopf, stapfte über die knirschenden Scherben. Immerhin trug er Badeschlappen an den Füssen. Jetzt beugte er sich über das leblose Bündel auf dem Boden.

Er packte die Thekenfrau an den Schultern, um sie hochzuheben.

Auch Holger erschrak, als er den unkontrolliert hin und her schwingenden, nach unten hängenden Kopf sah, der offenbar nur noch von der Haut festgehalten wurde.

Riemenschneider ließ sie fallen, wie eine heiße Kartoffel. Er schien nachzudenken, dann verschwand er in der Saunakabine.

Nach kurzer Zeit erschien er, völlig angezogen, aufs Neue. Blieb noch einmal kurz neben der Leiche stehen. Er bedeckte ihren Körper soweit wie möglich mit dem Bademantel, bevor er verschwand. Die Türen, wie Holger auch bereits ausgekundschaftet hatte, ließen sich von innen jederzeit öffnen, so dass Riemenschneider ohne Schwierigkeiten das Gebäude verlassen konnte.

Holger wartete, bis draußen Scheinwerfer aufleuchteten und sich ein Wagen entfernte. Dann schlich er aus der Garderobe. Auch er blieb kurz neben der Leiche stehen. Die Sicht wurde jedoch schon stark durch die Dampfwolke erschwert, die aus der Saunakabine strömte.

Kurz entschlossen, drehte Holger den Regler herunter. Bevor sich noch irgendein Alarm auslöste, dachte er.

Ansonsten ließ er alles, wie es war. Seine Spuren komplett zu beseitigen wäre ohnehin nicht möglich gewesen. Bei einem Unfall erwartete schließlich niemand, dass zum Beispiel Fingerabdrücke verwischt oder sogar beseitigt wurden. Das würde absolut das Gegenteil der Absicht bewirken.

Das Ziel hatte er jedoch verfehlt. Viel mehr als ihn das Schicksal der Toten jemals beschäftigen konnte, ärgerte ihn, dass sein Plan nicht geklappt hatte.

Holger stopfte erst draußen seine Handschuhe in die Handtasche. Bevor er hüftwackelnd von dannen stöckelte.

Niemand zu sehen auf der Straße. Dass sich ein Vorhang in einer gegenüberliegenden Wohnung leicht bewegte, bemerkte er jedoch nicht.

***

Krüger hatte sein ganzes Team zur Fundstelle mitgenommen. Er und Michélle sahen sich am Fundort um und sammelten die bisher bekannten Fakten. Sieber und Grünwald befragten die Anwohner. Doktor Holoch, der Pathologe, untersuchte die Tote und Rohr sicherte mit seinen Leuten, die Spuren.

Die junge Frau mit dem unnatürlich abgewinkelten Kopf und ihrem grausig verfärbten Hals, schockierte alle Anwesenden. Bis auf Holoch, der sich zumindest nichts anmerken ließ.

Die Angestellte der Morgenschicht, die ihre Kollegin aufgefunden hatte, sei auf jeden Fall heute nicht mehr vernehmungsfähig, erklärte einer der uniformierten Beamten, deren Streife als erste vor Ort eingetroffen war. Es könnte vielleicht sogar noch länger dauern, bis sich die junge Dame von diesem Schock erholt habe. Andererseits habe sie am Fundort bestimmt nichts verändert. Sie habe einen großen Bogen um ihre daliegende Kollegin gemacht und gleich die Polizei angerufen.

Krüger nahm die Erklärung des Beamten zur Kenntnis und bat ihn um seine eigene erste Einschätzung anstelle der Zeugin. „Ja, Herr Kommissar“, begann der Beamte. „Für mich sieht es so aus, das die, ähh, das Opfer durch die Glastür gesprungen ist, die mit einem Holzkeil blockiert war.

Vermutlich eine Verzweiflungstat. Als letzter Ausweg. Dabei hat sie sich das Genick gebrochen. Ich denke, dass sich ihre Kollegen einen Scherz erlauben wollten.“

Krüger sah ihn ungläubig an. „Einen Scherz?“, wiederholte er. „Wie kommen Sie darauf?“

„Ja, sie wäre doch spätestens heute Morgen befreit worden. Wenn sie einfach abgewartet hätte“, antwortete der Beamte schulterzuckend.

„Kann man die Hitze denn eine ganze Nacht lang aushalten, Herr Doktor?“, wandte sich Krüger an den Pathologen.

„Das hängt natürlich davon ab, wie heiß es wirklich wird. Und auch davon wie viel Aufgusswasser zum Abkühlen zur Verfügung steht. Sie ist noch jung. Wenn ihr Herz in Ordnung gewesen ist, dann könnte es durchaus möglich sein“, brummte Holoch.

„Aber die Heizung war doch gar nicht eingeschaltet“, warf der Beamte ein.

Krüger musste tief Luft holen, bevor er darauf antworten konnte. „Das müssen wir erst sicher klären. So einfach läuft das nicht“, stellte er deutlich klar.

Der Beamte zuckte mit den Schultern. „Natürlich Herr Kommissar. Aber die Wände der Kabine fühlten sich auf jeden Fall kalt an, heute Morgen.“

Krüger wandte sich aufs Neue an Holoch. „Was können Sie über den Todeszeitpunkt schon sagen, Herr Doktor?“

„Etwa zwölf Stunden, ausgehend von der Kerntemperatur. Wenn der Körper in der Nacht zuvor durch die Sauna warmgehalten wurde, dann müsste sich der Zeitpunkt eher nach früher verschieben. Ich denke, bis maximal acht Uhr gestern Abend.“

„Zu dieser Zeit hatte der Laden geöffnet“, brummte Krüger. „Das können wir vermutlich ausschließen.“

Er sah Michélle an. „Was denken Sie?“

„Das bedeutet möglicherweise“, dachte sie laut nach, „dass die Tür auch durch einen Kunden blockiert werden konnte. Es muss also nicht zwingend ein Angestellter gewesen sein.“

„Ein unzufriedener Kunde, eventuell“, ergänzte Krüger. „Der jedoch wohl kaum die Absicht gehabt haben dürfte, sie auf diese Weise umzubringen.“

***

Holger war nicht erstaunt, dass Riemenschneider am Donnerstag nicht im Büro erschien.

Er hatte den Fehler gemacht, der ihn zu Fall bringen würde. Wenn er gleich die Polizei verständigt hätte, wäre er wahrscheinlich glimpflich davongekommen. Aber jetzt lag seine Zukunft in Holgers Hand.

Riemenschneider hatte sich krank gemeldet, war aber nicht zu Hause geblieben.

Seine Frau feierte mittwochs immer ihren „Mädchenabend“. Deshalb hatte sie nichts von seinem Zustand, gestern Abend, mitbekommen. Jetzt saß er schon einige Zeit in seinem Wagen, um nachzudenken. Seine Alte konnte das nicht gewesen sein. Das stand für ihn fest. Die hätte sich die günstige Gelegenheit bestimmt nicht entgehen lassen, ihn in einer demütigenden Situation mit seiner Geliebten zu überraschen. Eher ein eifersüchtiger Ex von Petra kam in Frage.

Viel hatte nicht mehr gefehlt. Er hatte kaum noch Luft bekommen, stand kurz davor, in der Kabine umzukippen.

Seine Brust hatte sich wie in einer Presse angefühlt. Dazu der stechende Schmerz. Eigentlich kein Wunder, direkt nach dem Sex. Zum Glück war er schnell auf die rettende Idee gekommen.

Er hatte sie gemocht. Eine so junge Geliebte hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Trotzdem empfand er keine Trauer, sondern vielmehr Ärger. Sein tolles Spielzeug. Buchstäblich zerbrochen. Und die Sache konnte ihn in größte Schwierigkeiten bringen.

Nicht wegen seiner Alten. Die hatte er durch einen klaren Ehevertrag von seinem Vermögen getrennt. Die wusste, dass er gelegentlich oder genauer, fast immer, noch etwas neben ihr am Laufen hatte.

Die Polizei würde bald bei ihm auftauchen. Als Stammkunde, immer mittwochs. Schon aus reiner Routine mussten sie auf ihn stoßen.

Dann brauchte er eine klare Aussage. Die er öfters wiederholen konnte, ohne sie zu verändern.

Das war ihm nicht ganz fremd. Wenn beim Bauen ab und zu etwas schieflief, wandten sie diese Taktik in der Firma auch jedes Mal an. Morgen würde er wieder arbeiten. Ganz normal, als wäre nichts gewesen.

***

Die erste Lagebesprechung im Fall Petra Gerking fand am Freitagnachmittag statt. Krüger hatte die Leitung an Grünwald delegiert, der solche Ambitionen hegte. Während Krüger in Sieber eher den introvertierten Denker sah, den das überhaupt nicht störte. Michélle ließ er ohnehin an allem teilnehmen. Er wollte unbedingt den Eindruck vermeiden, dass er sie benachteiligte.

Kriminalrat Vogel saß neben Krüger. Gemeinsam verfolgten sie die Präsentation, die Grünwald vorbereitet hatte.

Die Fundsituation. Den vermuteten Ablauf. Berichte der Spurensicherung, das Gutachten von Doktor Holoch. Alles lag bereits vor und war eigentlich allen Anwesenden bekannt. Trotzdem konnte eine akkurat vorgetragene Zusammenfassung aller Fakten immer auch wieder zu neuen Ansichten des Geschehenen führen. Mögliche Ursachen oder Zusammenhänge, die sich erst nach intensivem Nachdenken einstellten. Mal abgesehen von den seltenen Geistesblitzen, die durchaus an einer Lagebesprechung auch vorkommen konnten.

Ganz bewusst hatte Grünwald das Interessanteste aus seiner Sicht, bis zum Schluss aufgehoben. „Aus den Zeugenaussagen, meine Damen und Herren“, begann er, „ergibt sich möglicherweise eine Spur.“ Das Gemurmel verstummte. „Eine Zeugin hat regelmäßig beobachtet, dass immer mittwochs, erst ein Mann und danach eine Frau das Gebäude verlässt. Deutlich nach Ladenschluss.“

Grünwald genoss die Pause, die er an dieser Stelle eingeplant hatte. Die Anwesenden hingen gespannt an seinen Lippen. „Das war auch diesen Mittwoch der Fall. Der Mann erschien zuerst, wie immer. Kurz darauf wurde ein Wagen weggefahren. Die Frau, eine Blondine, so viel konnte die Zeugin erkennen, folgte etwa eine Viertelstunde später.

Anhand des Berichtes der Gerichtsmedizin überschneiden sich da die Zeiten erheblich. Also müssten die beiden, die Tote zumindest bemerkt haben.“

Vogel sah Krüger erstaunt an. „Wussten Sie davon?“

Krüger schüttelte den Kopf. „Nein Herr Kriminalrat“, gab er zerknirscht zu.

Vogel wandte sich an Grünwald: „Fahren Sie fort, Kriminalmeister Grünwald. Wir sind ganz Ohr!“

Der Angesprochene errötete. „Danke Herr Kriminalrat. Also, eigentlich war das schon alles. Ich wollte nur noch vorschlagen, dass wir am nächsten Mittwoch ein Team zur Beobachtung abstellen sollten. Falls ein weiteres Treffen der beiden stattfindet, könnten wir zugreifen.“

Krüger biss sich schmerzhaft in die Lippe. Halt endlich die Klappe, dachte er verzweifelt.

Vogel nahm seine Brille zur Hand und rieb sich die Augen, um nicht vor allen, laut loslachen zu müssen.

Krüger erhob sich. „Kollege Grünwald, danke für ihre Ausführungen. Wir werden die neuen Erkenntnisse noch vertiefen, sobald ich die Protokolle zu Gesicht bekommen habe. Deshalb unterbrechen wie die Besprechung an dieser Stelle. Wann die Fortsetzung stattfindet, gebe ich nächste Woche bekannt.“

Grünwald strahlte, er hatte die Aufmerksamkeit bekommen, die er sich erhofft hatte. Seiner nächsten Beförderung dürfte er damit um Monate nähergerückt sein.

War ja klar, dass Krüger sich zuerst mit ihm allein unterhalten wollte. Weil er eine entscheidende Spur entdeckt hatte.

Auch der Kriminalrat war beeindruckt gewesen. Selbst wenn er seine Begeisterung nicht so direkt gezeigt hatte.

Krüger beorderte Grünwald mit den Akten, gleich nach der Besprechung, in sein Einzelbüro im ersten Stock.

„Wer hat diesen Zeugen vernommen, Otto?“, fragte er freundlich.

„Ich, natürlich, Chef“, lautete die schnelle Antwort.

„Und weshalb haben Sie mich nicht darüber informiert, vor der Besprechung?“

„Ich war sehr beschäftigt damit, die Präsentation zusammenzustellen, Chef“, verteidigte sich Grünwald.

Krüger seufzte vernehmlich. „Halten Sie diesen Zeugen für glaubwürdig?“

„Ich denke schon. Das ist so eine alte Dame, die gegenüber wohnt. Sie beobachtet immer ganz genau, was draußen vor sich geht. Sie hält das Bad für ein verstecktes Bordell“, führte Grünwald aus.

„Haben wir dafür irgendeinen Anhaltspunkt, Otto?“

„Bisher nicht.“

„Wie hat sie das Fahrzeug beschrieben? Hat sie das Kennzeichen gesehen?“, fragte Krüger weiter.

Grünwald blätterte umständlich in seinen Unterlagen.

„Kein Kennzeichen, da steht eine Hecke davor. Das Fahrzeug, Moment? Groß, dunkel.“

„Groß und dunkel“, wiederholte Krüger. „Nicht sehr aufschlussreich. Finden Sie nicht auch, Otto?“

Grünwald zuckte mit den Schultern. „Trotzdem ist sie sicher, dass dieses Fahrzeug jeden Mittwoch da steht“, fügte er an.

„Na gut“, gab Krüger zurück. „Und wie kommen Sie darauf, dass dieses Fahrzeug und die blonde Dame am nächsten Mittwoch wieder vor Ort sein könnten, wenn die mit dem Fall zu tun haben?“

Grünwald zierte sich ein wenig. „Das war nur so ein Gedanke, Chef. Inzwischen ist mir auch klar geworden, dass das natürlich ein Quatsch ist.“

Krüger konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ein Geistesblitz also. Trotzdem werden Sie die Nacht auf Donnerstag vor diesem Gebäude verbringen, Otto. Ohne Ablösung, die ganze Nacht. Am Morgen erwarte ich einen sauberen Bericht über alles, was Ihnen aufgefallen ist. Mindestens zwei Seiten sollten es schon werden.“

Grünwald starrte ihn ungläubig an. „Aber was sollte das bringen?“

„Möglicherweise haben Sie dazwischen auch Zeit, um darüber nachzudenken, was Sie an der nächsten Besprechung in Anwesenheit des Kriminalrates vorbringen möchten“, sagte Krüger in ernstem Ton. „Haben Sie das verstanden, Kriminalmeister Grünwald?“

Grünwald klappte förmlich zusammen. „Ja, Chef. Ich denke schon.“

***

Riemenschneider arbeitete diesen Freitag auch das am Donnerstag in der Firma Liegengebliebene auf. Deshalb saß er bis nach zehn Uhr im Büro. Dass ihn Holger heute nach seiner Gesundheit gefragt hatte, obwohl sie sich nicht leiden konnten, war ihm gar nicht besonders aufgefallen. Todmüde kam er zu Hause an.

Die Gestalt, die sich verzog, während er den Wagen in die Garage fuhr, bemerkte er nicht. Er wankte eher, als das er ging, zu seiner Haustür.

Die weiße Ecke eines Briefes, der aus dem Briefschlitz ragte, ließ sich jedoch kaum Übersehen.

Riemenschneider zog den Umschlag heraus, bevor er aufschloss. Erst wollte er den Brief irgendwo ablegen, doch dann fiel ihm auf, dass der Briefumschlag weder Adresse noch Absender trug.

Seufzend öffnete er das Kuvert mit seinem Kugelschreiber. Ein halb zusammengefaltetes Blatt, das sich seltsam steif anfühlte. Auf der Innenseite ließ sich aus aufgeklebten Buchstaben eine Botschaft entziffern. „Ich weiß, was du getan hast. Will kein Geld. Aber du verschwindest aus Deutschland.“

Riemenschneider musste sich setzen. Er bekam keine Luft mehr. Und wieder dieser stechende Schmerz in der Brust. So heftig wie noch nie. Er wusste sofort, das musste der Infarkt sein. Sein Körper schlug hart auf dem gefliesten Boden auf. Das Blatt segelte an ihm vorbei, in eine Ecke. Das Letzte, das ihm noch durch den Kopf ging: Seine Alte, die musste bald nach Hause kommen. Nur noch solange durchhalten, bis die Hilfe rufen konnte. Dann verlor er das Bewusstsein.

Eine Stunde später war es soweit. Ein Schlüssel wurde in das Schloss geschoben. Die Tür war jedoch gar nicht abgeschlossen, wie Frau Riemenschneider erstaunt feststellte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als sie ihn liegen sah. Zitternd kniete sie neben ihm nieder und rüttelte an seiner Schulter.

Bloß sein Kopf rollte auf die andere Seite.

Sie konnte es gar nicht fassen. Er ist tot! Einfach so. Das, was sie sich seit langem erhofft und kaum für möglich gehalten hatte. Frei und reich.

Ihr Blick fiel auf das Blatt, das unter dem Tisch lag.

Sie hatte keinen Schimmer, womit ihn jemand bedrohte. Egal, den Brief würde sie natürlich verschwinden lassen.

Das konnte kein Zufall gewesen sein, dass sie ausgerechnet heute ein unglaublich elegantes, schwarzes Kleid gesehen hatte. Das sie gleich gekauft hätte, wenn sie ihn nicht erst um das Geld dafür anbetteln musste.

Solche Demütigungen gehörten ab jetzt der Vergangenheit an. Endlich. Leise Zweifel schlichen sich ein. War er wirklich richtig tot? Sie mochte ihn eigentlich nicht mehr anfassen. Jetzt wo er es nicht mehr als Gegenleistung verlangen konnte.

Eine Erinnerung stieg in ihr hoch. Sie kramte den Schminkspiegel aus ihrer Handtasche und hielt ihn vor seine Nase.

Sie erschrak. Undeutlich aber trotzdem. Der Spiegel beschlug sich. Also atmete er noch.

Jetzt durfte sie keinen Fehler machen. Er würde wahrscheinlich sterben, wenn sie ihn liegen ließ.

Zur Not konnte sie ihn immer noch mit einem Kissen ersticken, am frühen Morgen, bevor sie den Notarzt rief.

Sie setzte sich an den Tisch, ließ ihn nicht aus den Augen. Was sollte sie tun, wenn er plötzlich aufstand? Dann wäre es zu spät. „Stirb endlich!“, flüsterte sie ihm zu. Nervös holte sie sich ein Glas Kognak. Die Situation ließ sich fast nicht mehr aushalten.

Sie beobachtete ihn weiter. Schrie laut auf, als der Körper plötzlich zuckte. Arme und Beine begannen sich flimmernd zu bewegen für einige Sekunden, bevor sich der ganze Körper deutlich entspannte. Ein Röcheln drang aus seinem Mund. Dann war es vorbei.

Knapp erreichte sie das Bad, erbrach sich mehrmals, bevor auch sie sich entspannte. Geschafft.

Sie würde sich etwas zurechtmachen, bevor sie den Notarzt rief. Jetzt plagten sie keine Zweifel mehr, dass er das Zeitliche gesegnet hatte. Irgendwie stieg ein angenehmes Gefühl in ihr auf, es jetzt verdient zu haben, dass sie alles erbte. Wer hatte bis zum letzten Moment an seiner Seite ausgehalten? Damit er nicht allein sterben musste.

Sie hätte sich ja auch einfach irgendwo in eine Bar setzen und am Morgen nach ihm sehen können.

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