Читать книгу Verfluchtes Erbe Gesamtausgabe - T.D. Amrein - Страница 6
3.Kapitel
ОглавлениеSeit ein paar Tagen befand sich Merz wieder zuhause. Er hatte seinen Arbeitsplatz in der Redaktion geräumt, wollte nur noch gelegentlich für die Zeitung arbeiten. Das frische Grab vom Alten Fritz, hatte er auch schon besucht.
Seine Frau hatte wie jedes Jahr, Badeferien gebucht, es blieben noch wenige Tage bis zur Abreise. Das Neue daran war, dass sie in einem teuren Hotel in Saint Tropez wohnen würden. So etwas, hatten sie sich bisher nicht leisten können.
Cécile fühlte sich von den reichen und berühmten Leuten magisch angezogen. Erich folgte ihr, wohin sie auch gehen wollte, ohne Widerspruch.
Außerdem hatte sie in der Zwischenzeit einen standesgemäßen Wagen gekauft, ein Mercedes Cabriolet. Damit konnte sie sich überall sehen lassen, ohne sich minderwertig vorzukommen. Merz war zuerst nicht sehr begeistert, aber als er die ersten Kilometer gefahren war, änderte sich seine Meinung. Welch ein Unterschied zu den Kisten, die er bisher gehabt hatte. Langsam begann er sich an den Reichtum zu gewöhnen.
Sie genossen die Fahrt nach Frankreich, er sprach leidlich und sie perfekt Französisch. Und Merz hatte schon immer die etwas leichtere Lebensart in Frankreich bewundert.
An den Tagen, die sie vor allem am Strand verbrachten, konnte sich Merz einen Plan ausarbeiten, wie er weiter vorgehen wollte. Es war ihm bewusst geworden, wie völlig dilettantisch er es versucht hatte. So einfach nach Frankfurt zu fahren, ohne richtigen Plan, das würde ihm nicht mehr passieren.
Er brauchte professionelle Hilfe, am besten einen Detektiv aus Frankfurt, der die Verhältnisse vor Ort kannte.
Er selbst würde sich mehr im Hintergrund halten, um sich oder das Gelingen nicht zu gefährden. Nur, wie einen vertrauenswürdigen Mann finden, das schien ihm die größte Schwierigkeit zu sein. Nicht auszudenken, wenn er an jemanden geraten würde, der die Familie Dornbach kannte und vielleicht schon für sie gearbeitet hatte.
Trotzdem erschien ihm das eher unwahrscheinlich. Ich darf nicht mich nicht an eine große Firma wenden, dachte er. Er entschloss sich, wieder eine Kleinanzeige in der FAZ aufzugeben, die er auch in den Ferien jeden Tag las.
In der zweiten Ferienwoche begann ihn Cécile immer mehr auf den Tennisplatz zu schleppen, und er hatte immer weniger Zeit, um an seinem Plan zu arbeiten.
Außerdem lernte sie dauernd neue Leute kennen, zu denen sie dann zum Essen oder auf eine Jacht eingeladen wurden.
Sie bestürmte ihn, dass sie sich auch ein Boot kaufen sollten, um dazuzugehören. Merz hatte eigentlich keine Lust, aber er versprach, zuhause die Ausbildung zum Kapitän in Angriff zu nehmen.
Eines Tages waren sie wieder auf einer Jacht bei einer deutschen Familie eingeladen, die, wie Merz bald erfuhr, aus Frankfurt stammte.
Er brachte das Gespräch vorsichtig auf die richtige Schiene, um dann zu fragen: „Kennen Sie vielleicht eine gut situierte Familie Dornbach in Frankfurt?“
Sein Gastgeber antwortete sofort, „Ja, natürlich, Immobilien, Import-Export aus Südamerika, man munkelt, dass die Familie dort Verwandte hat, die sich in Deutschland nicht blicken lassen können.“
„Warum denn nicht?“, fragte Merz scheinbar erstaunt.
„Sie haben im Krieg möglicherweise auf der falschen Seite gestanden, das weiß man nicht so genau. Es gibt Familien, die schon immer reich waren, die Dornbachs gehören nicht dazu. Daher kommt die Vermutung, dass sie durch den Krieg reich geworden sind, aber wie gesagt, niemand weiß etwas Genaues. In diesen Kreisen machen Sie sich durch Fragen nach der Kriegszeit schnell unbeliebt, darüber wird nie gesprochen.“
Sein Gastgeber lächelte vielsagend: „Alle haben von nichts gewusst, verstehen Sie? Darf ich fragen, wie Sie auf diese Familie gestoßen sind?“
Merz wehrte ab. „Ach ich war gerade in Frankfurt, zufällig habe ich von der Familie erfahren, aber ich weiß nichts über sie. Ich frage nur, weil Sie auch aus Frankfurt stammen.“
Merz erzählte danach von der Suche nach seinen eigenen Wurzeln. Und es gelang ihm bald, die Unterhaltung wieder in eine ungefährliche Richtung zu bringen.
***
Endlich waren die Ferien zu Ende. Erich und Cécile fuhren wieder nach Hause.
Cécile musste viel aufarbeiten. Merz hatte deshalb Zeit, sich auf seine zweite Reise nach Frankfurt vorzubereiten. Die Chiffre-Anzeige hatte mehrere Anfragen gebracht, er wollte vor Ort mit den Detektiven sprechen, um sich einen auszusuchen. Für die zweite Reise nahm er den neuen Wagen, er wollte beweglich bleiben.
Außerdem konnte er mehr Gepäck und Ausrüstung mitnehmen. Damit war er wesentlich besser aufgestellt, als beim ersten Mal.
Diesmal stieg er in einem Hotel am Stadtrand ab. Er achtete darauf, dass es nicht ein zu großes Haus war. Dass man sich von verschiedenen Seiten nähern konnte. Und es musste eine Tiefgarage geben, damit der Wagen nicht auf der Straße stehen blieb, wo jeder sofort erkennen konnte, ob er anwesend war oder nicht.
Er hatte sich in den Ferien alles genau überlegt, um keine Anfängerfehler mehr zu machen. Inzwischen, hatte er auch die Adresse der Dornbach Import-Export, ausfindig gemacht.
Zwar konnte er noch nicht sicher sein, dass es sich um diese Familie handelte, aber die Wahrscheinlichkeit schien ihm groß genug zu sein.
Für den ersten Kontakt mit einer Detektei bestellte sich Merz ein Taxi. Um zu vermeiden, dass man ihn sofort identifizieren konnte. Er wusste ja noch nicht, ob er die ersten Detektive, die er traf, auch engagieren wollte.
In der Mannheimerstraße angekommen, stieg er die Treppe hoch, zu einem Büro, wo ihn zwei Herren mittleren Alters bereits erwarteten. Die beiden erhoben sich von ihren Stühlen und stellten sich vor. „Ich bin Uwe Anders“, sagte der Erste, während er ihm die Hand reichte.
„Freut mich, Erich Merz.“
Auch der Zweite reichte ihm die Hand. „Ich heiße Lothar Schelp.“
„Setzen Sie sich bitte.“ Anders deutete auf einen Stuhl. „Womit können wir Ihnen helfen?“
Merz setzte sich, und nach einer kurzen Pause begann er: „Meine Herren, bevor ich ihnen den Fall erkläre, muss ich sie warnen. Wir haben es mit sehr gefährlichen Leuten zu tun. Ich habe schon zwei Freunde verloren, sie müssen mit allem rechnen. Wenn sie sich nur mit untreuen Ehemännern und ähnlichen Dingen befassen, so sind sie für mich die falschen Leute. Sind sie sich dessen bewusst?“
Beide nickten. „Wir haben beide eine Polizeischule hinter uns, und arbeiten oft im Bereich Wirtschaftskriminalität“, sagte Anders. „Wir können auf uns aufpassen, machen Sie sich keine Sorgen.“
„Gut“, fuhr Merz fort, „dann erkläre ich ihnen, worum es geht.“
Er erzählte ihnen die ganze Geschichte, außer dem Umstand, dass sich sein Großvater genauso bereichert hatte.
Und weiter, dass er von seinem Opa auf dem Sterbebett erfahren habe, wie ein gewisser Dornbach und einige andere, auf diese hinterhältige Weise reich geworden waren.
„Es ging nur um eine Story, aber jetzt wo meine Freunde tot sind, will ich die Täter zur Rechenschaft ziehen. Die Polizei kann nichts beweisen, deshalb muss ich diesen Weg gehen. Auch wenn wir vielleicht die Morde nie beweisen können, diese Familie hat sicher noch andere Leichen im Keller. Wer so schnell mordet, muss etwas zu verbergen haben.“
Die beiden Detektive hatten ruhig zugehört, nur Lothar Schelp hatte laufend Notizen gemacht. „Es könnte sich also auch um eine andere Familie handeln?“, fragte er schließlich.
„Das ist natürlich möglich“, antwortete Merz. „Dieser Dornbach kann auch irgendwo leben, womöglich unter anderem Namen. Trotzdem denke ich, dass ich auf der richtigen Spur bin. Schade, ich weiß nicht, wie er heute aussieht, ich habe nur diese alte Fotografie. Sie sollen herausfinden, woher das Vermögen dieser Dornbachs stammt und ob sie in Frage kommen?“
„Das wird nicht einfach sein“, antwortete Uwe Anders. „Was, wenn es wirklich nur Zufall war? Den Tod ihres ersten Freundes wird die Polizei womöglich aufklären können. Was machen wir, wenn sie einen anderen Täter ermitteln?“
„Dornbach hat sicher nicht selbst jemanden umgebracht, aber er ist der Auftraggeber“, sagte Merz. „Davon bin ich überzeugt. Die Leute die mich verfolgt haben, stammen wahrscheinlich aus der Neo-Nazi Szene. Die arbeiten kaum aus eigenem Antrieb. Wir müssen herausfinden, wer sie bezahlt hat.“
Anders nickte. „Das glaube ich auch. Wir haben schon erlebt, dass solche Leute als Schläger oder Geldeintreiber gearbeitet haben. Trotzdem kann ich nicht ausschließen, dass es einen anderen Auftraggeber gibt. Aber wenn Sie wollen, werden wir das für Sie ermitteln. Was denkst du?“, wandte er sich an seinen Partner.“
„Wir können diese Dornbachs einmal unter die Lupe nehmen. Irgendwas wird sich schon finden. Interessanter Fall, ich bin dabei, wenn Sie wollen.“
Anders sah Merz fragend an. „Erteilen Sie uns den Auftrag?“
Merz nickte. „Wenn wir uns über die Kosten einigen können, ja, dann haben sie den Fall. Wie viel berechnen sie denn?“
„Vierhundert Mark für jeden von uns am Tag, plus Spesen.“
Merz griff in seine Brieftasche: „Hier haben sie fünfzehntausend Mark als Anzahlung.“
Anders nahm das Geld dankend entgegen. „Sie können sich auf uns verlassen.“
„Ich möchte in der ersten Zeit möglichst im Hintergrund bleiben“, sagte Merz. „Wenn sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen, sollte es diskret geschehen.“
„Aber natürlich“, beruhigte ihn Anders, „das gehört zu unserem Job. Wir werden uns stets an verschiedenen Orten treffen, wo wir vor neugierigen Ohren sicher sind. Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen.“
Merz fühlte sich erleichtert. Er hatte befürchtet, dass er nicht so schnell jemanden finden würde, der seine Geschichte ernst nahm. Doch diese zwei schienen geeignet, Dornbach zur Strecke zu bringen. Er verabschiedete sich, und fuhr zurück in sein Hotel.
Er konnte jetzt nur abwarten, was seine Detektive herausfanden. Um nicht wieder aufzufallen, wollte er möglichst nicht in die Stadt.
Ich kann auf meinem Zimmer an etwas anderem arbeiten, hatte er gedacht. Aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.
***
Die beiden Detektive begannen sofort damit, das Umfeld der Familie Dornbach zu untersuchen. Als ehemalige Polizeibeamte hatten sie noch Kollegen, die ihnen ab und zu ein paar Informationen aus dem Polizeicomputer zukommen ließen. Die Familie erwies sich wie angenommen, als wohlhabend. Willhelm Dornbach wohnte in einer schönen Villa am Grüngürtel Frankfurts. Er besaß etliche Liegenschaften in den besten Lagen der Stadt. Bürotürme, deren Mieten ihm jedes Jahr ein Vermögen einbrachten.
Er hatte zwei Söhne, Udo und Helmut. Eine junge Frau, die dritte Frau Dornbach, die ersten zwei hatte er mit viel Geld ruhiggestellt. Solange er ihnen regelmäßig die Konten auffüllte, kamen sie ihm nicht mehr in die Quere.
Er beschäftigte einen eigenen Chauffeur sowie einiges Hauspersonal.
Dazu verfügte er über ein Privatflugzeug, das er sogar selbst fliegen konnte. Eine Jacht an der Nordsee mit Mannschaft, mit der er gelegentlich Urlaub machte.
Dornbach war ein Mensch, der sich daran gewöhnt hatte, alles kaufen zu können. Er duldete keinen Widerspruch. Wer sich ihm in den Weg stellte, wurde mit allen Mitteln bekämpft.
Daraus ergab sich, dass er erbitterte Feinde hatte, die nur darauf warteten, ihm eins auszuwischen. Andererseits waren sich die meisten auch bewusst, dass dies sehr gefährlich sein konnte. Denn Dornbach begnügte sich nicht damit, jemandem nur zu schaden. Er vernichtete, wenn immer möglich, dessen ganze Existenz.
Die Südamerikageschäfte dienten lediglich dazu, seinen Verwandten in Argentinien ein Auskommen zu ermöglichen. Dornbach machte keine illegalen Geschäfte. Zu groß die Gefahr, durch polizeiliche Ermittlungen über die Vergangenheit, belastendes Material ans Licht zu bringen.
Trotzdem war seine Flucht zu jederzeit vorbereitet. Er hatte auf der ganzen Welt Geld angelegt. Sich mehrere falsche Pässe anfertigen lassen. Er konnte Deutschland innert Stunden verlassen, wenn es nötig werden sollte.
Doch nach außen erschien Dornbach als braver Bürger. Es gab nicht einmal eine Eintragung im Polizeicomputer.
***
Die Ermittlungen im Umfeld Dornbachs, die Anders und Schelp anstellten, brachten auch nach mehreren Tagen keine brauchbaren Ergebnisse. Wo sie auch suchten, alles schien in Ordnung, nichts Nachteiliges zu finden. Beim ersten Zusammentreffen mit Merz nach fünf Tagen, musste Anders ihm berichten, dass sie nur sein Geld verschwendeten.
„Dieser Dornbach ist so sauber, dass es schon auffällt. Nicht einmal ein Verkehrsdelikt ist bekannt. Er zahlt eine Menge Steuern, gibt Geld an eine Stiftung für heimatvertriebene Deutsche, alles vorbildlich, ich weiß nicht, wo wir noch suchen sollen.“
Merz war sehr enttäuscht. „Trotzdem, suchen Sie weiter. Irgendwas muss es geben. Haben Sie ihn beobachtet?“
„Nein, bis jetzt nicht, was sollte das bringen? Er macht kaum offen etwas Verbotenes. Und außerdem müssen wir uns vorsehen, dass er uns nicht bemerkt. Wenn er wirklich so empfindlich reagiert, wie Sie das annehmen, was könnten wir dann noch herausfinden?“
„Wir könnten versuchen, jemanden zu finden, der mit ihm unsaubere Geschäfte gemacht hat“, schlug Merz vor.
„Das machen wir schon“, antwortete Anders. „Aber bis jetzt haben wir niemanden gefunden.“
„Egal, suchen Sie bitte weiter!“
Merz hatte erwartet, dass sie rasch zu Ergebnissen kommen würden. So wie er Dornbach eingeschätzt hatte.
Aber jetzt saß er seit fünf Tagen in diesem Hotel, ohne einen Erfolg feiern zu können. Dabei war er so gut vorbereitet gewesen. Die Warterei begann an seinen Nerven zu zehren, und es gab kaum noch Aussicht auf ein Ende.
Ich muss ihm eine Falle stellen, dachte er immer wieder. Aber welche? Wie konnte man einen Dornbach aus der Reserve locken? Und außerdem müsste es ein Vorfall sein, den man ihm ankreiden konnte. Es hilft nichts, wenn wir ihn nur warnen, er muss einen Fehler machen, überlegte Merz.
Die Tage vergingen mit einer quälenden Zähigkeit. Merz dachte bereits daran, aufzugeben, bis ihm endlich doch eine Möglichkeit einfiel.
Was wäre, wenn man bei seinen Importen etwas Kokain finden würde? Ganz plötzlich war ihm diese Idee gekommen. Ich muss nur ein Kilo Kokain besorgen, das im Lagerhaus der Dornbach Import-Export verstecken und dann der Polizei einen Tipp geben.
Niemand würde Dornbach glauben, dass ihm jemand ein ganzes Kilo Kokain untergeschoben hatte. Dann musste er reagieren.
Merz war jetzt wieder in bester Stimmung. Nur, wo bekomme ich ein Kilo Stoff her, war jetzt noch die Frage? Sollte er sich mit seinen Detektiven absprechen? Was, wenn die nicht mitmachen wollten? Nein, das mache ich allein, entschloss er sich schließlich.
Am Abend des gleichen Tages fuhr er mit einem Taxi in die Stadt. Er hatte den Fahrer nach einem Nachtclub gefragt, wo wirklich etwas los sei, und dieser brachte ihn in einen Laden mit dem Namen The Flying Dutchman.
Merz wurde sofort umringt von mehreren Tänzerinnen aus verschiedenen Ländern. Spontan entschied er sich für eine kaffeebraune Südseeschönheit.
Es war noch etwas früh, für einen Nachtclub, deshalb hatte er freie Auswahl. Nachdem der unvermeidliche Champagner auf dem Tisch stand, fragte Merz sofort nach etwas Stoff.
Sie verstand ihn offenbar nicht gleich.
„Cocaine“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie war beleidigt. „Gefalle ich dir nicht?“
Merz ließ sich nicht beirren von ihren Händen, die sich an seiner Hose zu schaffen machten. „Besorg mir zuerst etwas Koks. Dann sehen wir weiter!“
Sie stand auf und verschwand in Richtung Toilette.
Etwas später, setzte sich ein kräftiger junger Mann zu Merz. „Sie haben einen besonderen Wunsch?“
„Ja“, antwortete Merz. „Können Sie mir Kokain besorgen?“
Der Mann zuckte zusammen. „Nicht so laut bitte. An wie viel haben Sie gedacht? Ich habe natürlich selbst nichts, aber vielleicht kann ich etwas besorgen.“
„Ein Kilo“, sagte Merz.
Sein Gegenüber sah ihn entgeistert an. „Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen. Ein Kilo Kokain!“
„Aber nein“, antwortete Merz ganz ruhig. „Ich brauche ein Kilo. Wie ist der Preis?“
Der Mann stand auf. „Bleiben Sie sitzen, ich komme gleich wieder.“
Nach ein paar Minuten setzte er sich erneut zu Merz. „Kommen Sie morgen um die gleiche Zeit nochmal. Es wird jemand da sein, der Ihnen weiterhelfen kann.“
Kaum war er gegangen, schmiegte die Tänzerin von neuem an ihn. Merz fühlte, dass er besser gehen sollte und verlangte die Rechnung.
Jetzt war sie noch beleidigter als vorher. „Magst du keine Frauen?“
Merz schubste sie von sich. „Jetzt gerade nicht!“
Er zahlte die gesalzene Rechnung und verließ den Club. Ein paar Schritte weiter steuerte er eine normale Bar an, um noch etwas zu trinken.
Wenn er den Stoff besorgen konnte, dann würde Dornbach aus seinem Versteck kommen müssen.
Er hob sein Glas, „prost Dornbach“, sagte er leise.
Er könnte heute Abend noch einen Blick auf die Firma von Dornbach werfen, fiel ihm ein. Solange es noch hell war.
In den Unterlagen, die Anders und Schelp zusammengetragen hatten, war auch die Adresse von Dornbachs Lager enthalten. Merz ließ sich in der Nähe von einem Taxi absetzen. Nur einmal vorbeispazieren, um sich das Gelände anzusehen.
Wie er gehofft hatte, handelte es sich um ein freistehendes Gebäude, nur mit einem einfachen Maschendrahtzaun umgeben. Über das Tor zu klettern würde keine Probleme bereiten. Merz rüttelte ein wenig daran, um festzustellen, ob er damit einen Alarm auslöste.
Nichts geschah. Er schlenderte noch ein Stück weiter, und dann wieder zurück. Alles blieb ruhig. Auch kein stiller Alarm. Rundum zufrieden suchte er sich eine Telefonzelle, um ein Taxi zu rufen, das ihn zu seinem Hotel brachte.
Am nächsten Abend erschien er pünktlich um die gleiche Zeit im Club. Der junge Mann von gestern scheuchte die Damen von ihm weg. „Der Herr kommt gleich, einen Moment bitte!“
Kaum hatte er sich verzogen, setzte sich ein gutangezogener Herr zu ihm. Nur die schwere Goldkette am Handgelenk wollte nicht so recht passen. „Sie möchten etwas kaufen, habe ich gehört?“
„Ja“, antwortete Merz. „Ein Kilogramm reines Kokain.“
„Gut“, lautete die Antwort. „Aber eine Bedingung stelle ich. Die Ware kommt nicht in Frankfurt auf den Markt.“
„Ganz bestimmt nicht“, wehrte Merz ab.
„Gut. Kommen Sie in zwei Tagen wieder. Dieser Junge“, er zeigte auf den jungen Mann, „wird Ihnen einen Zettel mit der Adresse geben, wo wir das Geschäft abwickeln werden. Kommen Sie allein und bringen Sie hunderttausend Mark mit. Haben Sie gebrauchte Scheine?“
Merz schüttelte den Kopf. „Ich muss das Geld von der Bank holen, da kann ich nichts machen.“
„Na gut, dann bringen Sie, was Sie haben. Wir werden schon einen Weg finden. Alles klar?“
Merz nickte. „Früher geht’s nicht?“, fragte er.
„Keine Chance“, antwortete der Mann. „Ein Kilo reine Ware hab ich auch nicht im Schrank.“
Der Mann schnippte mit den Fingern. „Etwas zu trinken bekommen Sie heute auf Kosten des Hauses.“
Er verbeugte sich rückwärtsgehend und verschwand. Ein Kellner eilte heran und fragte nach seinen Wünschen. Merz bestellte sich einen Kognak.
„Wünscht der Herr Gesellschaft?“
Merz hob abwehrend die Hand, „nein danke, ich bleibe nicht lange.“
Wieder in seinem Zimmer überlegte Merz, ob er sich nicht doch in Gefahr brachte. Diese Leute wussten, dass er hunderttausend Mark bei sich trug. Wird schon schief gehen, sprach er sich selbst Mut zu.
Sie haben auch ein gewisses Risiko, überlegte er weiter. Sie müssen damit rechnen, dass ich ein Spitzel sein könnte, in diesem Geschäft ist das einfach so. Es ist zwar viel Geld, aber dafür ihr Verteilnetz zu riskieren, wäre auch dumm. Ich brauche es einfach, dachte er. Etwas muss ich dafür aufs Spiel setzen.
Über das Geld machte er sich kaum Gedanken. Wenn ich das Ziel erreichen kann, ist es für mich gut angelegt, war seine Devise.
Er ging bereits am nächsten Tag auf die Bank. Zum Glück unterhielt seine Hausbank auch eine Filiale in Frankfurt. Er und Cècile hatten getrennte Konten, so dass sie nicht sehen konnte, dass er auf einmal, hunderttausend Mark abhob.
Der Kassierer machte zwar etwas große Augen, aber er zahlte ihm das Geld ohne Umstände aus.
Merz besorgte sich noch ein Paar Handschuhe, eine Rolle breites Tesaband, eine Zange und ein Taschenmesser. Damit schien er gerüstet für seinen ersten Einbruch.
Die übrige Zeit musste er mit Warten verbringen, was ihm immer schwerer fiel.
Endlich war der Abend gekommen. Merz betrat erneut den Nachtclub, um sich die Adresse abzuholen.
Er war wieder mit einem Taxi gekommen und fragte sich, wie er die Stelle finden sollte. Der junge Mann gab ihm den Zettel und erklärte: „Gehen Sie einfach zu Fuß. Die dritte Straße rechts, dann die Nummer vierzehn. Es ist eine kleine Bar. Drinnen fragen Sie nach Harry. Dann wird man Sie ins Hinterzimmer bringen, wo Sie bereits erwartet werden. Sie sind allein?“
Merz nickte.
„Dann machen Sie sich jetzt bitte auf den Weg!“
Merz ging, wie gewünscht, in die dritte Straße. Ohne Schwierigkeiten fand er die Bar und fragte nach diesem Harry. Jemand zupfte ihn am Ärmel, und begleitete ihn ins Hinterzimmer, wie besprochen. Ein dunkler Raum, nur das Licht über einem Billardtisch brannte.
Der gutangezogene Herr nickte zur Begrüßung mit dem Kopf und legte einen kleinen Koffer auf den Tisch ohne die Hand davon zu lassen.
Merz tat das Gleiche mit seiner Mappe. Der Koffer wurde von dem Herrn geöffnet. Zum Vorschein kamen zwei durchsichtige Plastiktüten mit schneeweißem Inhalt.
Merz wusste für einen Moment nicht, was er jetzt tun sollte. Bis der Gutangezogene ihn bat, seine Ware auch zu zeigen.
Merz schüttete das Geld einfach auf den Tisch. Einhundert Stück Tausendmarkscheine.
Er bekam ein winziges Messer gereicht. Wie er das schon im Film gesehen hatte, stach er ein kleines Loch in eine der Tüten und probierte den Inhalt vom Zeigefinger. Natürlich hatte Merz keine Ahnung, wie Kokain schmeckt. Aber dass es sich nicht um Zucker handelte, konnte er immerhin feststellen.
Der Gutangezogene sah ihn fragend an. „Beste Ware, nicht wahr?“
Merz nickte zustimmend, obwohl er keinen Schimmer hatte, was er da kaufte. Er bekam einen Klebestreifen gereicht. Einem Moment zögerte er, bis er begriff, dass er damit das Loch in der Tüte wieder zuzukleben sollte.
„Machen Sie das sonst nicht selbst?“, fragte sein Gegenüber.
„Doch, doch“, beeilte sich Merz, zu sagen. „Ich will nur nichts falsch machen, weil ich keine Handschuhe trage“.
„Kein Problem“, antwortete der Herr, der inzwischen das Geld durchblätterte. „Wenn Sie neue Ware brauchen, Sie wissen, wo Sie mich finden können. Bis zehn Kilo kann ich liefern. Nehmen Sie den Koffer ruhig mit, ich zeige Ihnen den Ausgang.“
Er brachte Merz zu einer Türe, die direkt nach draußen in einen Hof führte. Wieder deutete der Herr zum Abschied nur eine Verbeugung an. Merz passte sich an, und nickte auch nur mit dem Kopf.
Jetzt stand er draußen, mit dem Koffer in der Hand, und plötzlich wurde ihm etwas mulmig. Bloß schnell weg, dachte er. Aber alles blieb ruhig. Ohne Schwierigkeiten erreichte er eine Telefonzelle, bestellte ein Taxi, das ihn ganz normal ins Hotel brachte.
Zur Sicherheit ließ er den Fahrer etwas früher halten und ging ein paar Meter zu Fuß. Erst nachdem er sicher war, dass ihn niemand verfolgte, betrat er das Hotel und schlich auf sein Zimmer. Als Erstes musste er tief durchatmen, aber er war sehr stolz auf sich.
Er hatte das viel besser bewältigt, als befürchtet.
„Ich mache Fortschritte. Schon bald kann ich etwas tatsächlich Gefährliches machen“, sagte er mehr im Spaß zu sich selbst. Er genehmigte sich noch einen Schnaps aus der Zimmerbar, was sonst nicht seiner Art entsprach. Aber diesen hatte er sich redlich verdient.
***
Bereits am nächsten Abend fuhr er mit seinem eigenen Wagen in die Nähe des Lagers, in das er einbrechen wollte.
Er hatte die Tüten sorgfältig gereinigt und nicht mehr ohne Handschuhe angefasst.
Der Koffer blieb vorerst auf seinem Zimmer, er wollte ihn später loswerden.
Das Kokain trug er in einem unauffälligen Beutel mit sich. Sein Werkzeug hatte er in der Jacke verstaut, als er sich langsam dem Gebäude näherte.
Zuerst duckte er sich hinter einen Mauervorsprung und beobachtete eine Weile die Umgebung. Nichts rührte sich. Offenbar wohnte in dieser Gegend niemand, nur gelegentlich fuhr ein Wagen vorbei.
Merz schlich sich zum Tor. Kurzentschlossen kletterte er darüber. Auf der anderen Seite versteckte er sich sofort wieder. Nichts rührte sich.
Anders als bei seinem ersten Besuch, stand ein parkierter Sattelschlepper im Hof. Merz schlich sich hin. Vorsichtig öffnete er die Plane ein Stück weit, um hinein zu sehen. Hunderte kleiner Kartons auf Paletten gestapelt. Offenbar Textilien aus Argentinien.
Wunderbar, dachte Merz. So kann ich mir den Einbruch sparen. Er öffnete einen der Kartons, ließ die Tüten hinein gleiten und verklebte ihn mit dem mitgebrachten Band aufs Neue. Wieder lauschte er eine Weile, bevor er das Fahrzeug verließ. Immer noch alles ruhig. Merz machte sich leise davon. Er hatte sich das Kennzeichen des Lasters notiert. Falls er nicht hier entladen wurde, konnte ihn die Polizei damit trotzdem finden.
Unangefochten erreichte er seinen Wagen und fuhr ins Hotel. Die Falle ist eingerichtet, freute er sich. Morgen früh schnappt sie zu.
***
Er ließ sich um sieben in der Frühe wecken. Zu Fuß schlenderte er zur nächsten Telefonzelle. Über die Zentrale der Polizei ließ er sich mit dem Drogendezernat verbinden.
Er hatte, wie im Film schon gesehen, ein Taschentuch über den Hörer gelegt. Etwas verschlafen meldete sich ein Mann: „Drogendezernat Frankfurt. Polizeimeister Weber. Guten Morgen…“
Merz unterbrach ihn. „Hören Sie gut zu. Ich werde nichts wiederholen. Im Lager der Dornbach Import-Export an der Industriestraße vierundvierzig ist gestern eine Lieferung Kokain angekommen. Die Ware befindet sich in einem Textilkarton. Der Karton liegt auf einem Sattelschlepper mit dem Kennzeichen F, HB, drei, neun, vier. Möglicherweise ist er auch schon entladen. Dann müssten Sie im Lager suchen. Es sind kleine Kartons, voll mit Textilien. Haben Sie das?“
„Ja, aber…“
Merz hängte ein. Zufrieden fuhr er ins Hotel zum Frühstück. Selten hatte es ihm so geschmeckt.
***
Kommissar Hinrichs vom Drogendezernat Frankfurt hatte den anonymen Hinweis vor zehn Minuten erhalten. Er hielt eine schnelle Einsatzbesprechung ab. „Meine Herren, wir müssen eine Überprüfung der Firma Dornbach Import-Export vornehmen. Es gibt einen klaren Hinweis auf Einfuhr von Kokain. Wir untersuchen zuerst das Lager der Firma an der Industriestraße vierundvierzig. Zwei Mann beziehen gleichzeitig Stellung am Hauptsitz der Firma am Rottweiler Platz.
Sie unternehmen nichts, bis sie Instruktionen erhalten. Wer übernimmt das?“ Er warf einen Blick in die Runde.
Zwei Beamte standen auf. „Gut, fahren Sie schon vor! Rudolf, Sie holen unseren Fido ab! Wir treffen uns am Einsatzort. Die anderen halten sich bitte zur Verfügung, bis ich mich melde. Danke meine Herren.“ Er winkte seinem Assistenten. „Los, fahren wir.“
Auf der Fahrt unterhielt sich Kommissar Hinrichs mit seinem Assistenten. „Von dieser Firma habe ich noch nie etwas gehört im Zusammenhang mit Drogen. Aber Import-Export ist natürlich immer ein bisschen verdächtig. Wollen wir hoffen, dass es kein Scherz ist.“
Sie waren mit einem Zivilfahrzeug unterwegs, ohne Sirene. Deshalb konnten sie unauffällig vor dem Lagergebäude anhalten und auf Fido, den vierbeinigen Drogenschnüffler warten.
Im Hof waren offenbar einige Leute damit beschäftigt, einen LKW zu entladen. Kommissar Hinrichs überprüfte das Kennzeichen. „Stimmt, F, HB, drei, neun, vier. Sieht gut aus.“
Neben ihnen stoppte ein Lieferwagen. Polizeimeister Rudolf stieg aus und befreite Fido aus seinem Käfig. Der Hund war gut trainiert und wusste ohne Kommando, was er zu tun hatte.
Alle drei Beamten schritten hinter dem schnüffelnden Tier in den Hof. Jemand rief freundlich, „guten Morgen!“
Hinrichs grüßte zurück und zückte seinen Ausweis. „Kripo Frankfurt. Kommissar Hinrichs. Wir machen eine Kontrolle.“
Der Hund zeigte sich bereits unruhig. Er zog kräftig an seiner Leine. Als Rudolf ihm nachgab, sprang Fido zielstrebig auf die Rampe. Aufgeregt schnüffelte er an einer Palette. Schließlich begann er laut anzuschlagen.
„Treffer“, murmelte der Kommissar.
„Was bedeutet denn das?“, fragte einer der Arbeiter aus dem Lager.
„Wer sind Sie?“, fragte der Kommissar zurück.
„Ich bin der Verwalter. Ich trage hier die Verantwortung. Uwe Müller ist mein Name.“
„Sie sind vorläufig festgenommen“, knurrte der Kommissar.
„Wie bitte, aber warum?“, stammelte der Verwalter.
„Wie viele Leute sind hier anwesend?“, fragte der Kommissar weiter.
„Nur wir zwei“, lautete die Antwort. Der Kommissar wandte sich an den anderen. „Auch Sie sind vorläufig festgenommen.“
„Was ist denn eigentlich los?“, Herr Kommissar.
„Das wissen sie doch ganz genau. Tun sie nicht so!“
Inzwischen hatte Rudolf den Karton, an dem Fido wie verrückt gekratzt hatte, geöffnet, und zwei Tüten mit weißem Pulver herausgenommen.
„Was ist denn das?“, fragte der Verwalter entgeistert.
„Sicher Waschpulver“, knurrte der Kommissar. „Der Hund ist absolut zuverlässig. Es sind Drogen.“
Rudolf hatte inzwischen eine der Tüten angestochen und probierte mit dem Zeigefinger eine Prise des Pulvers. „Kokain, saubere Qualität. Etwa ein Kilo. Verschnitten bringt das locker eine Viertelmillion.“
Kommissar Hinrichs bestellte die Spurensicherung und uniformierte Kollegen, die den Ort sichern sollten.
Die erste Streife, die eintraf, informierte er kurz. Mit seinem Assistenten und Rudolf mit Fido im schlepp, verließ der Kommissar danach das Lagerhaus. „Wir fahren jetzt in die Büros der Firma“, erklärte er. „Würde mich nicht wundern, wenn wir dort auch noch was finden.“
Von unterwegs informierte er die Staatsanwaltschaft und seinen Vorgesetzten. Die würden alles Weitere in die Wege leiten, um ein Verfahren zu eröffnen.
Mit zügigen Schritten betrat Hinrichs Gruppe das Bürohaus. Am Empfang zeigten sie ihre Ausweise. „Wir wollen sofort mit dem Chef sprechen!“, verlangte der Kommissar.
Die Dame an der Theke antwortete trotzig: „Sie müssen sich zuerst anmelden. Ich weiß nicht, ob Herr Dornbach Sie jetzt empfangen will. Außerdem können Sie unmöglich mit dem Hund…“
Kommissar Hinrichs fiel ihr ins Wort. „Wir können, glauben Sie mir. Sie gehen jetzt voraus! Sonst verhafte ich Sie auf der Stelle!“
„Er wird mich sofort entlassen.“
„Gehen wir!“, beharrte der Kommissar.
Sie gab ihren Widerstand schulterzuckend auf. Wortlos führte sie die Gruppe am Empfang vorbei durch einen langen Flur.
An einer gepolsterten Türe blieb sie stehen. „Da ist sein Büro. Sie können klopfen, aber man hört nichts durch diese Türe.“
Der Kommissar schob sie sanft zur Seite, klopfte kräftig, und trat sofort ein.
Willhelm Dornbach hatte gerade einen Moment am Fenster gestanden, als plötzlich die Türe seines Büros aufging. Er fuhr herum. Niemand hatte die Erlaubnis, einfach so bei ihm einzutreten. Nicht einmal seine Söhne.
Fassungslos brüllte er den Kommissar an: „Wer zum Teufel sind Sie? Was fällt Ihnen ein! Verschwinden Sie! Auf der Stelle!“
Der Kommissar zückte seinen Ausweis. „Kommissar Hinrichs von der Drogenfahndung Frankfurt.“
„Und wenn Sie der Kanzler wären! Niemand platzt ungefragt in mein Büro!“ Dornbach war völlig außer sich.
Der Kommissar wurde nun auch eine Spur lauter: „Ich bin gekommen, um Sie zu verhaften.“
Dornbach erstarrte förmlich. „Was soll das? Sie wollen mich verhaften? Wissen Sie, wer ich bin?“
„Ja, ich denke, Sie sind der Chef der Dornbach Import– Export, in deren Lager wir heute Morgen ein Kilo reines Kokain sichergestellt haben.
Sie wollen mir sicher nicht erklären, dass Sie davon nichts wissen.“
Dornbach ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Kokain? Bei mir? Das ist völlig unmöglich. Das muss ein Irrtum sein. Ich habe auf jeden Fall nichts damit zu tun.“
„Wie Sie wollen. Wir werden auf jeden Fall hier alles durchsuchen. Und wenn wir noch etwas finden, sprechen wir noch einmal in Ruhe über die Sache.“
Dornbach sprang wieder auf. „Sie wollen alles durchsuchen“, schrie er. „Das kommt überhaupt nicht in Frage. Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl? Das lasse ich nicht zu!“
„Der Staatsanwalt ist unterwegs, er muss jeden Moment eintreffen“, antwortete der Kommissar ruhig. „Ich muss Sie bitten, sich etwas zu mäßigen! Sonst zwingen Sie uns, Ihnen Handschellen anzulegen.“
Hinrichs wollte die Situation entspannen. Aber er erreichte damit das Gegenteil.
Dornbach griff nach einem großen Aschenbecher, den er nach dem Kommissar schleuderte. Dessen Mitarbeiter überwältigten den Tobenden daraufhin, und legten ihm die angedrohten Handfesseln um.
Der Ascher hatte sein Ziel verfehlt und stattdessen eine beachtliche Schramme an einem Möbel hinterlassen.
Kommissar Hinrichs schüttelte den Kopf. „Sie sind ja gemeingefährlich.“
Dornbach schwieg. Durch den Lärm aufgeschreckt, kam Udo angerannt. „Was ist los? Was machen Sie hier?“
Er wurde blass, Rudolf hatte seine Waffe gezogen. „Ist das ein Überfall?“
„Polizei“, rief Rudolf. „Bleiben Sie stehen!“
Udo hob die Hände. Der Assistent von Hinrichs durchsuchte ihn kurz. „Er ist sauber.“
„Wer sind Sie?“, fragte der Kommissar.
„Ich bin Udo Dornbach. Was wollen Sie von uns?“
Fido hatte sich wie gelernt, bisher absolut ruhig verhalten. Jetzt trottete er auf Udo zu und bellte ihn an.
„Was will der Hund von mir?“ Udo wich langsam zurück.
Auf ein Zeichen von Rudolf, verstummte Fido.
„Haben Sie hier ein Büro?“, fragte der Kommissar.
„Ja, natürlich“, lautete die Antwort.
„Gehen Sie bitte voraus“, sagte der Kommissar zu Udo. Rudolf mit Fido folgte ihm. Der Assistent blieb bei Dornbach.
Als sie durch die offenstehende Türe in Udos Büro traten, hob Fido sofort den Kopf und begann zu schnüffeln.
An einer Schublade kratze er.
„Was ist in der Lade?“, fragte der Kommissar.
„Nichts, nur Papier“, stammelte Udo. „Was will der Hund?“
„Öffnen Sie!“, forderte der Kommissar.
„Ich habe den Schlüssel verloren“, antwortete Udo unsicher. „Es ist wirklich nichts Wichtiges drin.“
„In der Lade sind Drogen. Der Hund irrt sich nie. Wenn Sie nicht öffnen, werden wir sie aufbrechen.“
Udo gab sich geschlagen. Er zog seinen Schlüsselbund aus der Tasche und schloss auf. Er entnahm der Lade eine Stahlkassette, die separat abgeschlossen war. Unaufgefordert öffnete er auch diese. Einige typische Plastiktütchen mit weißem Pulver kamen zum Vorschein.
„Kokain?“, fragte der Kommissar.
Udo nickte.
„Woher haben Sie das Zeug? Importieren Sie direkt aus Südamerika?“
Udo sah ihn entgeistert an. „Das kann man in Frankfurt überall kaufen. Warum sollte ich das selbst importieren? Das wäre viel zu riskant.“
„Da haben Sie Recht“, antwortete der Kommissar lächelnd. „Sie sind wegen Drogenbesitz und Handel festgenommen.“
Inzwischen hatten sich weitere Beamte in den Räumen verteilt. Hinrichs übergab Udo an einen von Ihnen. „Bringen Sie ihn ins Präsidium!“
In Verlauf der Durchsuchung fand Fido auch im Büro von Helmut Dornbach, Udos Bruder, einen Vorrat an Kokain.
„Der Hund ist Gold wert, geben Sie ihm eine dicke Wurst von mir“, sagte der Kommissar zu Rudolf.
Dieser lachte. „Ich bringe Ihnen die Rechnung, Herr Kommissar.“
Hinrichs begab sich zurück zu Willhelm Dornbach, und erklärte ihm, was sie gefunden hatten. Dessen Wut hatte sich inzwischen in pure Verzweiflung verwandelt.
„Ich habe von nichts gewusst, glauben Sie mir. Dass meine Söhne Drogen nehmen, davon habe ich nie etwas gemerkt. Und dass sie das Zeug auch noch selbst importieren sollen? Das kann ich mir auf keinen Fall vorstellen. Woher sollten sie schon nur das Geld dazu haben?“
„Wir fahren Sie jetzt ins Präsidium“, antwortete der Kommissar. „Da können wir alles Weitere besprechen.“
Die Spezialisten der Drogenfahndung durchsuchten sämtliche Büros der Firma. Die Angestellten wurden nach Hause geschickt. Die Maßnahme würde den ganzen Tag in Anspruch nehmen. Kommissar Hinrichs rief seinen Assistenten. „Wir fahren inzwischen noch kurz zu Dornbachs Villa. Ich möchte mit zuerst seiner Frau sprechen. Wenn möglich, noch bevor sie bereits jemand gewarnt hat.“
Bei dem stattlichen Anwesen angekommen, wurden sie von zwei Schäferhunden durch das große Eisentor angeknurrt.
Der Gärtner musste sie zuerst einsperren. Fremde waren hier offenbar nicht willkommen.
Eine Hausdame nahm sie in Empfang. „Frau Dornbach erwartet die Herren bereits“, sagte sie. „Gleich wird sie zu ihnen kommen.“
„Hat also schon jemand angerufen“, bemerkte der Kommissar zu seinem Assistenten.
Gisela Dornbach war eine schlanke Blondine, mit tiefblauen Augen. Sie stammte aus einer verarmten Adelsfamilie. Dornbach hatte sie vor einigen Jahren praktisch an Zahlung genommen. Natürlich nicht so direkt. Sie war ihm schon früher aufgefallen.
Die Familie konnte ihr Schloss nicht mehr finanzieren. Dornbach gewährte ein unbefristetes Darlehen, und sie entsprach seinem Wunsch, seine dritte Frau zu werden.
Für Dornbach verkörperte sie eine ideale deutsche Frau. Er wünschte sich noch einen Sohn. Mit seiner zweiten Frau hatte er keine Kinder bekommen. Und bis jetzt auch nicht mit seiner Dritten. Dornbach hielt seine Söhne für Versager. Ihre Erziehung hatte er einfach seiner ersten Frau überlassen. Ein Fehler, der ihm später unverzeihlich erschien. Er wollte einen Nachfolger, der so hart und unerschrocken war, wie er selbst.
Falls ihm Gisela noch einen gebären sollte, würde er ihn selbst erziehen. Einen Titanen wollte er erschaffen. Zu seinem Leidwesen blieb sein Traum unerfüllt.
Dass Gisela seine Meinung womöglich nicht teilte, hatte er nie bemerkt. Er konnte sich sowas auch gar nicht vorstellen.
Die deutsche Frau diente nur einem Zweck: Kinder zu bekommen. Das entsprach Dornbachs tiefster Überzeugung. Nach Empfindungen oder sogar einer eigenen Meinung einer Frau in dieser Beziehung zu fragen, wäre ihm niemals eingefallen.
Sie hatte sich jedoch bereits kurz nach der Hochzeit bei einem kleinen Eingriff heimlich sterilisieren lassen.
Verlassen konnte sie ihn aus Rücksicht auf ihre Familie nicht. Er hätte sofort sein Geld zurückverlangt.
Sie kannte seine Methoden. Seine Lust sich zu rächen und die Schlägertrupps. Das konnte sie nicht zulassen. So blieb sie praktisch Dornbachs Gefangene. Die nicht alleine darauf wartete, dass ihm endlich etwas zustoßen möge.
Trotzdem würde sie vorsichtig bleiben. Wenn er nur für eine gewisse Zeit im Gefängnis landete, dann musste sie bleiben. Die Vorzimmerdame ihres Mannes hatte sie angerufen, dass er verhaftet worden sei. Den Grund kannte sie noch nicht.
Gisela betrat kerzengerade aufgerichtet den Salon, in dem Kommissar Hinrichs mit seinem Assistenten wartete. „Guten Morgen, meine Herren. Ich habe gehört, mein Mann wurde verhaftet. Können sie mir sagen, aus welchem Grund?“
Hinrichs stellten sich und seinen Assistenten vor. Dann begann er: „Wir haben in einer Lieferung aus Südamerika ein Kilogramm reines Kokain gefunden.
Im Weiteren auch kleinere Mengen in den Büros Ihrer Söhne, die wir übrigens auch im Gewahrsam haben. Möchten Sie dazu etwas sagen?“
Frau Dornbach war ehrlich erstaunt. „Die Jungs horten Kokain in ihren Büros? Davon weiß ich absolut nichts!“
„Es macht ganz den Anschein, dass sie auch damit handeln“, fuhr der Kommissar fort. „Die Lieferung beweist das. Wieweit Ihr Mann involviert ist, wissen wir noch nicht. Jedoch kann ich mir nur schwer vorstellen, dass sie ohne sein Wissen gehandelt haben könnten.“
„Ach wissen Sie Herr Kommissar. Ich sehe nicht viel von den Geschäften, die meine Männer machen. Aber der Handel mit Südamerika dient nur dazu, unseren dortigen Verwandten ein anständiges Auskommen zu ermöglichen. Es wirft für uns nicht viel oder sogar überhaupt keinen Ertrag ab. Gerade vor drei Wochen hat mein Mann hunderttausend Mark geschickt, damit sich ein frischverheiratetes Paar ein Haus bauen kann. Es geht ihm da wirklich nicht um den Gewinn.“
Der Kommissar runzelte die Stirn. „Das wäre in etwa der Betrag, den ein Kilo Kokain kostet. Sind Sie sicher, dass dieses Geld für ein Haus gedacht war?“
„Ganz sicher. Der Dankesbrief ist vor wenigen Tagen eingetroffen. Das Paar hat bereits mit dem Bau angefangen.“
„Wir werden das sicher klären können“, antwortete der Kommissar schulterzuckend. „Jedoch solange bleibt Ihr Mann in Untersuchungshaft. Und dazu sind natürlich auch noch die Ergebnisse der Durchsuchungen abzuwarten.“
„Wollen Sie unser Haus auch durchsuchen?“, fragte sie.
„Das kann ich Ihnen leider nicht ersparen. Bei dieser Menge Drogen, müssen wir sämtliche Möglichkeiten in Betracht ziehen.“
„Tun Sie, was Sie tun müssen“, antwortete sie resigniert.
„Bis das Team eintrifft, werden zwei Beamte bei Ihnen bleiben. Sie müssen sich von den beiden nicht stören lassen. Aber ich bitte Sie, solange das Haus nicht zu verlassen!“
„Ganz wie Sie wünschen. Ich wollte ohnehin nirgends hin“, antwortete Gisela Dornbach.
Kommissar Hinrichs verabschiedete sich und wies seine Beamten, die vor der Türe gewartet hatten, an, im Haus zu bleiben.
Auf dem Rückweg fragte er seinen Assistenten: „Was halten Sie von der Dame?“
„Ich glaube nicht, dass sie viel weiß. Auffällig scheint mir nur, dass sie uns sofort von der Zahlung erzählt hat. Vielleicht wollte sie uns auf eine falsche Fährte locken, weil sie sich denken kann, dass wir so oder so darauf gestoßen wären. Denken Sie, dass die Durchsuchung etwas ergibt?“
Der Kommissar zuckte mit den Schultern. „Den Jungs traue ich zu, etwas zu Hause zu lagern. Dem Vater nicht.“
***
Willhelm Dornbach war ins Polizeipräsidium gebracht worden. Er musste sich die Fingerabdrücke abnehmen lassen, wurde mit einer Platte in den Händen von zwei Seiten fotografiert, was ihm sehr demütigend erschien. Besonders missfiel ihm, dass der Beamte, der ihn in seine Zelle brachte, einen südländischen Teint hatte.
Muss sich ein Deutscher jetzt schon von einem Kanaken abführen lassen, dachte er verbittert.
Er hatte sich inzwischen jedoch so weit gefasst, dass er schweigen konnte. Zudem sah er ein, dass sich seine Ausbrüche ohnehin nicht lohnten.
In der Zelle hatte er erstmals Zeit, um über seine Lage nachzudenken. Woher konnten die Jungs das Geld haben, um so viele Drogen zu kaufen? Wenn sie wussten, dass eine Lieferung kommen sollte, weshalb waren sie nicht ins Lager gefahren, um die Ware in Empfang zu nehmen? Die Kartons wurden meistens sofort weitergeleitet. Damit konnten die Drogen überall landen. Dornbach gelangte zum Schluss: Die Jungs wussten von nichts.
Außerdem hatten sie viel zu viel Respekt vor ihm, um heimlich Geschäfte zu machen. Diese Weichlinge, dachte er. Wenn sie es getan hätten, würde er immerhin einen Funken Achtung aufbringen können, für die beiden. Dass sie jetzt für ihren eigenen Drogenkonsum verhaftet wurden, das geschah ihnen Recht.
Dornbach war weit davon entfernt, Mitleid mit ihnen zu empfinden.
Der Jude ist schuld, davon war er überzeugt. Sie sind verdorben durch die Schande ihrer Mutter. Seine erste Frau hatte ihm nach fünfzehn Jahren Ehe im Streit an den Kopf geworfen, dass ihr erster Freund ein Jude gewesen sei.
Sie hatte seinen Hass auf diese Menschen nie verstanden. Darauf hatte er sie verstoßen. Wenn sie sich noch einmal in seine Nähe begeben würde, hatte er ihr geschworen, sie eigenhändig zu erwürgen.
Sie kannte ihn gut genug, um ihm das zu glauben. Ohne Gegenwehr hatte sie sich von ihm scheiden lassen. Im Gegenzug wurde er dazu verpflichtet, weiterhin für sie zu sorgen.
Solange du schweigst, bekommst du dein Geld, hatte er ihr geschrieben.
Aber woher kommt dieses Kokain? Das war die große Frage. Dornbach überlegte hin und her. Eine Verwechslung? Oder Jemand hatte es ihm untergeschoben. Aber wer? In Frage kamen einige. Aber wer würde es tatsächlich wagen?
Jemand der Dornbachs Vergangenheit kannte, konnte viel billiger zum Ziel kommen.
Meine Feinde von früher kann ich ausschließen, überlegte er. Es muss jemand sein, der Geld hat. Wenn ich dich finde! Dann würde er ihm zeigen, was sie früher mit den Juden alles gemacht hatten, dachte er grimmig.
Auch seine Söhne wurden erkennungsdienstlich behandelt. Sie nahmen es hin. Ihr Vater hatte sie immer schlecht behandelt, eine weitere Demütigung war nichts Neues für sie.
Deshalb hatten sie doch überhaupt angefangen, Kokain zu nehmen. Dieser Vater ließ sich ohne Drogen kaum ertragen. Vor allem Udo hatte, seit er kokste, immerhin ab und an den Mut gefunden, ihm zu widersprechen.
Die zwei hatten auch schon darüber gesprochen, wie sie ihn loswerden könnten. Beide mussten in ihren Büros nur anspruchslose Schreibarbeiten erledigen. Entscheidungen traf er ganz allein. Falls sich doch einmal einer etwas vorwagte, wurde er sofort zurechtgestutzt.
Sie konnten sich nicht einmal einen anderen Job suchen. Ihr Vater wollte sie unter Kontrolle behalten. So gesehen, wurde das Gefängnis für sie fast zur Abwechslung. Die einzige Sorge blieb, keinen Stoff mehr zu haben.
***
Willhelm Dornbach saß zum Verhör durch Kommissar Hinrichs an einem dieser Tische in einem kahlen Raum. Gegenüber der Türe befand sich eine komplett verspiegelte Wand. Deren Zweck kannte natürlich auch Wilhelm Dornbach.
„Woher kommt die Ware?“, lautete Hinrichs erste Frage zum Sachverhalt. „Wer ist Ihr Lieferant?“
Dornbach antwortete nur zögernd: „Das hat mir jemand untergeschoben.“
Der Kommissar lachte geradeheraus. „Etwas Besseres fällt Ihnen dazu nicht ein. Sie erwarten doch nicht, dass ich Ihnen das abnehme?“
Dornbach zuckte resigniert mit den Schultern. „Ich habe keine andere Erklärung. Wenn ich gewusst hätte, dass das Zeug kommt, wäre ich doch heute Morgen nicht ins Büro gefahren, sondern ins Lager, um es abholen? Ich könnte doch nicht riskieren, dass es irgendjemand findet? Denken Sie bitte einmal darüber nach, Herr Kommissar.“
Hinrichs stutzte kurz. „Wenn Sie es nicht gewusst haben, dann vielleicht Ihre Söhne?“
„Aber das würde doch nichts ändern. Auch sie wären es holen gegangen.“
Der Kommissar kratzte sich am Kinn. Er hatte sich in der Tat noch keine weiterführenden Gedanken über diese, wie er zugeben musste, etwas seltsame Situation gemacht.
„Trauen Sie ihrem Lagerpersonal zu, selbst solche Geschäfte zu machen?“
„Das ist sicher nicht unmöglich. Aber die machen keine Bestellungen. Das läuft über unser Büro. Die Waren kommen auch nicht immer ins Lager. Wenn es sich um ganze Ladungen handelt, werden sie direkt an den Verkauf geliefert. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Und außerdem: Woher sollte das Geld stammen, bei diesen ganz normalen Leuten? Was kostet denn ein Kilo Kokain? Halten Sie das wirklich für möglich?“
Der Kommissar wirkte etwas verunsichert. Er hatte erwartet, dass Dornbach einfach alles bestreiten würde. Dass er sich mit Argumenten wehrte, die auch noch gut klangen, brachte seine ganze Verhörstrategie durcheinander.
„Also“, sagte Hinrichs. „Halten wir fest, Sie bestreiten, etwas mit dem in ihrem Lager aufgefundenen Kokain zu tun zu haben!“
„So ist es!“, stellte Dornbach trocken fest.
Hinrichs konnte ja nicht ahnen, wie viele Verhöre Dornbach selbst schon geführt hatte. Er war ein wahrer Meister gewesen, wenn es darum gegangen war, etwas zu erfahren von Leuten, die noch gebraucht wurden.
Mit Gewalt konnte jeder ein Geständnis herauspressen. Aber um nur mit sanften Methoden, etwas zu erreichen, brauchte man Talent.
Der Kommissar ließ ihn in seine Zelle zurückbringen. Zuerst wollte er die Untersuchung der Büros abwarten. Vor allem von den Bankkonten versprach er sich neue Gesichtspunkte. Er hatte rasch verstanden, dass er Dornbach mit auf den Busch klopfen, nicht beikommen konnte.
Das Verhör der beiden Söhne ergab auch nicht viel Neues. Sie gaben zu, Kokain zu nehmen, das sie in Frankfurt gekauft hatten. Aber mit dem Fund im Lagerhaus wollten auch sie nichts zu tun haben.
„Sie geben natürlich nur das zu, was wir ihnen beweisen können“, sagte Hinrichs zu seinem Assistenten. „Ihren Lieferanten in Frankfurt kennen sie nicht. Von der Lieferung aus Südamerika wissen sie auch nichts. Was denken sie?“
Für mich sind die zwei absolut normale Süchtige. Die sind doch nicht imstande, internationale Drogengeschäfte zu bewerkstelligen. Irgendwie erinnern sie mich eher an geprügelte Hunde.“
„Wir warten zwei, drei Tage ab“, entschied Hinrichs. „Sobald sie auf Entzug sind, lassen sie sich einfacher überrumpeln.“
***
Am nächsten Morgen stand Merz früh auf. Er konnte es gar nicht erwarten, in die Zeitung zu sehen. „Spektakulärer Fund der Drogenpolizei“, war zu lesen. „Import-Export Dornbach als Kokainhändler entlarvt!“
Merz genoss die Zeilen. Ein voller Erfolg, dachte er. Nach dem Frühstück rief er bei seinen Detektiven an. „Haben Sie die Zeitung schon gelesen?
Nein? Bei Dornbach wurden Drogen gefunden. Sie können die Ermittlung abbrechen. Er ist in Haft und wird es sicher einige Zeit bleiben. Für ein Kilo reines Kokain.“
Uwe Anders war höchst erstaunt. Sowas hatte er nicht erwartet. Aber er musste Merz Recht geben. Die Ermittlungen hatten wenig gebracht. Und weil Dornbach jetzt im Gefängnis saß, hatte sich ihr Zweck erledigt.
„Ich bringe Ihnen die restlichen Unterlagen und die Abrechnung vorbei, wann passt es denn?“
„Kommen Sie bitte heute noch“, antwortete Merz. „Ich reise morgen früh ab.“
Seine Mission war erfüllt. Sie hatte sich im Rückblick nicht einmal als besonders schwierig erwiesen. Merz fühlte sich in bester Laune. Hoffentlich bekommt er mindestens zehn Jahre, dachte er. Er ist etwa sechzig, sein Leben ist damit praktisch vorbei.
Kurz vor dem Mittagessen traf Uwe Anders mit seinen Akten bei Merz ein. Er blätterte alles kurz durch. „Sie haben kein Foto von Dornbach dabei?“
„Wir haben es die ganze Zeit versucht. Aber er fährt immer in seiner abgedunkelten Limousine aus der Garage. Ihn selbst haben wir gar nie richtig gesehen. Es finden sich auch sonst keine Bilder von ihm. Egal wo wir es versucht haben. Schelp verbrachte deshalb einen ganzen Tag im Zeitungsarchiv. Auch dort hat er überhaupt nichts gefunden.“
„Schade“, sagte Merz. „Ich weiß noch immer nicht, wie er aussieht. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Hauptsache, man hat ihn erwischt.“
Anders wirkte betreten. „Wir haben eigentlich nur ihr Geld verschwendet. Etwas Brauchbares haben wir nicht geliefert. In Richtung Drogen haben wir natürlich nicht gesucht. Aber trotzdem?
Jeder hat doch irgendwo eine schwache Stelle, nur dieser Dornbach nicht. Für vierzehn Tage Ermittlung ist das Ergebnis mehr als dürftig.“
„Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Kosten“, beruhigte Merz. „Ich bin zufrieden. Was bin ich Ihnen noch schuldig?“
„Sie bekommen noch fünftausend Mark zurück. Mehr ist die Sache nicht wert.“
„Behalten Sie es“, wehrte Merz ab. „Für mich ist alles in Ordnung.“
Anders zierte sich noch ein wenig, aber dann steckte er das Geld ein. Die Umstände hielten ihn auch davon ab, Merz zu fragen, woher er über die Menge des Koks Bescheid wusste. Das wurde schließlich nicht einfach so veröffentlicht.
„Schön, wenn alle zufrieden sind“, sagte Merz. Sie verabschiedeten sich, und Merz gönnte sich ein gutes Mittagessen.
***
Kommissar Hinrichs fasste seine Ergebnisse zu einem möglichst prägnanten und knappen Bericht zusammen. Für den folgenden Tag war ein Termin beim Haftrichter anberaumt. Seit fast drei Wochen versuchte er, einen klaren Beweis für die Schuld Dornbachs, zu finden. Jedoch verlief irgendwie alles im Sand.
Die hunderttausend Mark, die er überwiesen hatte, wurden konkret für ein Haus verwendet. Das hatten Ermittlungen der Kollegen in Argentinien zweifelsfrei ergeben.
Die Berge von sichergestellten Akten aus den Büros Dornbachs, durch die sie sich gewälzt hatten, enthielten ausnahmslos Verträge und Papiere die Immobilien betrafen. Größtenteils Mietverhältnisse, ganz selten ein Kauf oder Verkauf.
Dornbach hinterzog offenbar nicht einmal Steuern.
„Langsam fange ich an, die Geschichte zu glauben“, sagte Hinrichs zu seinem Assistenten.
„Es ist völlig verrückt, wer verschenkt ein Kilo Kokain? Dass die Sendung versehentlich in seiner Lieferung gelandet ist, schließe ich aus. Der Tipp, den wir bekommen haben, war ganz präzise. Er kann nur von jemandem stammen, der zumindest dabei war, als die Ware verpackt wurde.“
„Möglicherweise hat er einen Konkurrenten, der ihm schaden will“, mutmaßte sein Assistent.
„Dornbach vermietet Büros. Er hat nur eigene Häuser. Da gibt es kaum Konkurrenz. Selbst wenn Dornbach im Gefängnis ist. Seine Büros werden deshalb nicht billiger. Es gibt keinen erkennbaren Vorteil für jemanden. Seinen Söhnen traue ich zwar zu, dass sie sich ihres Vaters auf diese Weise entledigen wollten. Aber wenn, hätten sie sicher in ihren Büros keinen Vorrat gehalten. Es musste sogar denen klar sein, dass alles durchsucht werden würde.
Selbst wenn sie das Geld von jemandem bekommen hätten, es ergibt keinen Sinn. Das Import-Export Geschäft ist zu klein, um wichtig zu sein. Es lohnt sich für Dornbach kaum.“
Der Kommissar sah seinen Assistenten an: „Wenn Sie ein Kilo Kokain finden würden? Was würden Sie damit machen?“
„Zur Polizei bringen, natürlich“, antwortete der Assistent. „Ja, Sie, und eventuell noch ein paar andere Leute. Aber die meisten würden versuchen, es zu Geld zu machen.
Ein potenzieller Gegner Dornbachs müsste über viel Geld und über noch mehr Hass verfügen, um mit ihm ein solches Spiel zu treiben. Wir werden ihn wahrscheinlich freilassen müssen. Ohne neue Erkenntnisse bleibt uns nichts anderes mehr übrig.“
So kam es dann auch. Dornbach konnte am nächsten Tag das Untersuchungsgefängnis verlassen. Die Tätlichkeit bei seiner Verhaftung, hatte Hinrichs großzügig vergessen.
Hinrichs konnte Dornbach einfach nichts nachweisen. Inzwischen war er sogar bereit zu glauben, dass Dornbach hereingelegt werden sollte. Deshalb ließ er ihn mit dem Wurf des Aschers auch in Ruhe.
Dornbachs Söhne blieben natürlich in Haft. Das war eine andere Sache.
Am folgenden Tag, stand in der Zeitung zu lesen: „Wende im Fall Dornbach. Willhelm Dornbach in Freiheit. Wurde er das Opfer einer Verschwörung? Das Verfahren wird höchstwahrscheinlich eingestellt.“