Читать книгу Irgendwas, irgendwie, irgendwo - Teodoras Cetrauskas - Страница 7
Das objektiv beste Buch
ОглавлениеEine bedeutende Rolle im Prozess der Annäherung der Völker spielen Bücher, aber solche zu finden und auszuwählen, die diesen Prozess am meisten beschleunigen, ist nicht so leicht, wie es auf den ersten Blick scheint.
Ich sitze mit Mohammed in einem Moskauer Hotelzimmer. Wir unterhalten uns. Ich bin ich, und Mohammed, das ist ein sich dem Pensionsalter nähernder, mittlerweile auffallend ergrauter und rundlich gewordener Freund aus sagen wir – Ossetien. Das Gespräch dreht sich um Frauen. Über Frauen kann Mohammed ohne Unterlass reden, in dieser Hinsicht ist er ein wahres Phänomen. Das Seminar hat erst gestern begonnen, und schon hat er es geschafft, sich vier – oder sechs – Frauen zu nähern. Einmal sagt er, es seien vier, ein andermal sechs, sei es, weil ihn die genaue Anzahl nicht interessiert oder weil er zwei Annäherungen für nicht so erfolgreich hält.
Diese Frage näher zu beleuchten, wage ich nicht – für mich ist es ein großes Problem, eine Frau anzusprechen, um so mehr eine, die mir gefällt. Deshalb habe ich gegenüber Mohammed einen Minderwertigkeitskomplex. Aber Schluss damit, wir sind schließlich nicht wegen solcher Sachen hierher gekommen. Deshalb schenke ich Mohammed und mir noch ein Gläschen (aus der Hotelbar) ein und sage – gar nicht zum Thema gehörend – Folgendes: »Hör mal, wir werden etwas dafür tun, dass sich unsere beiden Völker noch näher kommen.« Meine Worte erstaunten Mohammed nicht im Geringsten. Er nickte schweigend, weil wir beide, als Herausgeber von Büchern, dies unterstützen können. Natürlich, das ist unsere Pflicht. »Deshalb«, so rede ich weiter, »nennst du mir bis zum Ende des Seminars ein oder mehrere Bücher aus eurer Literatur, die diesem Anliegen am nächsten kommen. Ich werde es für unsere Literatur ebenso tun. Es soll das objektiv beste Buch sein. Wir treffen die Wahl hier in Moskau, denn wenn einer beim anderen zu Besuch ist, dann nehmen wir vielleicht nicht die richtigen Bücher, sondern die deiner Freunde oder der Freunde dieser Freunde. Trinken wir also auf die Objektivität, und am Ende des Seminars werden wir auf das Thema zurückkommen.«
Wir ließen die Gläser klingen, doch Mohammed, bevor er sein Glas hinunterstürzte, sagte: »Warum bis zum Ende des Seminars warten, ein solches Buch kenne ich bereits. Es ist das Buch meines Bruders.«
Ich sah ihn verdattert an, aber Mohammed sah mich ebenfalls an, ernst und unerschrocken. Vielleicht rührte der Eindruck auch daher, dass er von einer sehr männlichen Erscheinung war. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, senkte den Blick und notierte mir den Buchtitel. Wieder fühlte ich mich minderwertig, doch andererseits, wer garantiert mir, dass das Buch seines Bruders nicht vielleicht doch das objektiv beste ist?
Danach sprachen wir über das gleiche Thema wie am Anfang, und vielleicht gehen wir noch irgendwohin tanzen.