Читать книгу Irgendwas, irgendwie, irgendwo - Teodoras Cetrauskas - Страница 9
Vom Wechselgeld und von der Schlechtigkeit der Welt
ОглавлениеFrüher, als ich noch keine humorigen Geschichten verfasste, unterschied ich mich kaum von anderen Leuten. So bestieg ich höchst ungern einen überfüllten Bus. Das Geschiebe und Gedränge dort, das Geschimpfe und die diversen Gerüche machten mich wütend. Jetzt suche ich das alles absichtlich auf. Zuweilen lasse ich sogar einen halbleeren Bus vorbeifahren und quetsche mich, ganz entgegen dem gesunden Menschenverstand, in einen, der rappelvoll ist. Der Aufenthalt in diesem Ambiente ist für mich mittlerweile das, was einem Pilzsammler eine Lichtung voller Steinpilze ist oder einem Angler ein geschützter Teich. Mit dem gleichen heimlichen Vergnügen besteige ich frühmorgens den Elfer-Bus, eingekeilt von Enthusiasten, die es nicht erwarten können, zur Arbeit zu kommen. Ich gelange, nehmen wir einen konkreten Fall, zwischen eine Wand, zwei Damen und irgendeinen Rücken. Die Dame, die mit dem Gesicht zu mir steht, hat zum Frühstück Gurken gegessen, dazu eine gute Wurst, und sie hat Kaffee getrunken. Was die andere gegessen und getrunken hat, kann ich nicht sagen, weil sie sich hinter mir befindet, ihr Kinn hat sie in meine Schulter gegraben. Sicher ernährt auch sie sich reichlich, das spüre ich an ihrem Körper, den sie an mich presst. Die beiden kennen sich offenbar, denn sie unterhalten sich über mich hinweg. Und worüber reden zwei gut genährte Damen in einem überfüllten Bus, der ihnen auf die Nerven geht? Natürlich über die Schlechtigkeit der Welt. Diesmal ging es ums Wechselgeld.
»Die Welt ist schlecht«, verkündet dann auch die, welche die Gurken und die Wurst gefrühstückt hat. Als sie unlängst ein Stück Butter gekauft habe, so lässt sie wissen, habe sie auf drei Rubel ganze dreißig Kopeken herausbekommen. Einfach verheerend sei der Weltzustand.
»Da kann ich ihnen nur beistimmen, Verehrteste«, erwiderte die keineswegs unterernährte Person hinter mir. »Stellen Sie sich vor, unlängst hab ich meinem Mann ein paar Schnürsenkel gekauft. Ich leg einen Rubel hin und sehe, dass man mir ein ganzes Bündel Scheine hinblättert. Was soll das, sag ich, ich hab Ihnen nicht hundert, sondern einen Rubel gegeben! Die Verkäuferin hat mir nachher beinahe die Hände geküsst. Jeder andere hätte das Geld eingesteckt und wäre gegangen.«
Die beiden kommen abermals zu dem Schluss, dass es kaum noch anständige Menschen gebe, und schweigen dann vielsagend.
Ich weiß nicht, wie es anderen ergangen wäre, ich, der ich mich zwischen den beiden befand, kam mir gleich vor wie einer derjenigen, die auf die eine oder andere Weise kein Wechselgeld zurückgeben. Ein Schuldkomplex war die Folge, und unbedingt wollte ich die näher in Augenschein nehmen, die ihn verursacht hatten. Ich reckte und streckte mich, aber vergeblich. Zum Glück kam der Bus bald zum Stehen, und zusammen mit einem Dutzend Arbeitswütiger, Bibliothekarinnen und Gewerkschaftsräten, wurde ich auf die Straße hinausgedrängt. Hier gelang es mir, mich umzudrehen – und sofort war ich meinen Komplex los. Wer so ein Gesicht hat, dachte ich, der gibt wirklich nicht eine solche Menge Geld zurück. Diese Person ähnelt eher denen, die drei Rubel für einen Stück Butter einstecken. Andere Passanten fluchten und wollten an mir vorbei, aber ich stand noch immer. Dann brachte ich meine Kleidung in Ordnung und begab mich in bester Stimmung in mein Büro. Irgendwann, das weiß ich, werde ich darüber schreiben: Über die beiden Damen, das Wechselgeld und die Schlechtigkeit der Welt. Und über meinen plötzlich aufgekommenen und gleich wieder abgeschüttelten Schuldkomplex.