Читать книгу Die Ketzerin von Carcassonne - Tereza Vanek - Страница 6

1. Kapitel

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Der Speisesaal erstreckte sich im Schimmer zahlloser Kerzen vor Adelinds Augen und erinnerte für einen Moment an ein irdisches Paradies. Sie waren nach der Vesper über den Innenhof des Klosters gelaufen, wo Schneewehen wie feine Messerspitzen in ihre Gesichter geschnitten hatten. Mit dem Beginn des Jahres 1205 war der Winter erbarmungslos über das Land hereingebrochen und machte selbst einen kurzen Aufenthalt im Freien zur Qual. Adelind zog ihre wollene Kukulle noch fester um sich, und es widerstrebte ihr, die pelzgefutterten Handschuhe abzulegen, denn ihre Finger darin schienen immer noch so steifgefroren, dass jede Bewegung schmerzen würde. Bereits in der Kirche des Klosters zu den heiligen Makkabäern war es unerträglich kalt gewesen, Adelind hatte das Zittern ihrer Schwester Hildegard deutlich spüren können, als sie so unauffällig wie möglich zusammengerückt waren, um sich gegenseitig zu wärmen. Doch hier im Refektorium prasselte bereits seit längerer Zeit ein Herdfeuer, das gemeinsam mit den Kerzen dazu beigetragen hatte, den großen Raum aufzuwärmen. Adelind zog die pelzverbrämte Kapuze von ihrem Kopf. Ihr Magen knurrte so laut, dass sie fürchtete, jemand könnte es hören und ihr Maßlosigkeit vorwerfen. Bratengeruch kitzelte in ihrer Nase, was den Zustand noch verschlimmerte.

»Hasenbraten«, flüsterte Hildegard und verzog gequält das Gesicht. Adelind staunte wieder einmal über das Talent ihrer Schwester, die jeweilige Fleischsorte auf der Stelle am Geruch zu erkennen, obwohl ihr doch alles Fleischerne zuwider war. Hasenbraten hasste sie ganz besonders.

»Iss wenigstens ein bisschen davon. Es wird dir guttun. Du siehst so blass aus in letzter Zeit«, sagte Adelind, denn sie wusste nur zu gut, wie gereizt die Äbtissin auf Hildegards heikle Essgewohnheiten reagierte.

»Aber es ist nicht recht«, entgegnete Hildegard nun etwas lauter. »Selbst die Regeln des heiligen Benedikt besagen, dass Mönche und Nonnen nicht das Fleisch vierbeiniger Tiere essen sollten. Und die Zisterzienser ...«

»Dies ist ein Benediktinerkloster«, unterbrach Adelind rasch. Warum brachte die sonst so sanftmütige Hildegard sich durch ihre Abneigung gegen den Verzehr von Fleisch stets in Schwierigkeiten? Die Äbtissin begrüßte diese Form der Enthaltsamkeit nicht, da sie wohl erkannt hatte, dass sie in Hildegards Fall keine Entbehrung, sondern einen mehr als freiwilligen Verzicht darstellte. Wem Fleisch zuwider war, der sollte seinen Körper eben dadurch kasteien, dass er es aß. Jedes andere Verhalten stellte eine hochmütige Ablehnung der Gaben Gottes dar.

Der üblichen Ordnung gemäß verteilten sie sich rasch an der Tafel. Mutter Mechtildis, die Äbtissin, speiste manchmal mit den Gästen des Klosters oder gar mit dem Propst des Sankt-Kunibert-Stifts, unter dessen Aufsicht die Nonnen standen, doch heute war sie zugegen, was es Hildegard unmöglich machen würde, den Hasenbraten nicht anzurühren. Dabei hätte es genügend dankbare Abnehmerinnen gegeben. Gerade die Frauen aus dem einfachen Volk, die im Kloster auf Lebenszeit als Konversschwestern beschäftigt wurden, hatten weder das Recht auf Pelz im Winter noch auf regelmäßigen Fleischgenuss. Während sie an ihnen vorbeiging, grübelte Adelind wieder einmal, wie sie es schafften, die kalte Jahreszeit zu überstehen. Die geweihten Schwestern und Novizinnen aus adeligen Familien blieben bei kaltem Wetter meist im Inneren des Klosters, lasen religiöse Texte, kopierten sie, illustrierten Bücher, bestickten Altartücher oder übten sich im Gesang. Sämtliche Arbeiten im Freien waren den Konversschwestern überlassen, denen man hierfür nur ein paar zerschlissene Wollkutten überwarf.

Adelind und Hildegard fanden ihren Platz in der Mitte der Tafel, denn sie hatten erst vor drei Jahren das Gelübde abgelegt und standen daher rangmäßig unter den älteren Schwestern. Nach ihnen kamen die Novizinnen und schließlich die Konversen. Schwester Juliana, ein Liebling der Äbtissin, hatte die Aufgabe, aus der Bibel vorzulesen, während die anderen Nonnen speisten. Gespräche waren streng verboten.

Erleichtert beobachtete Adelind, wie Hildegard ein Stück von dem Braten abriss und auf den Brotfladen vor ihr legte. Dann nippte sie an ihrem Becher mit verdünntem Wein. Ihr Blick war starr auf das Fleisch gerichtet. Einst hatte sie Adelind beschrieben, was sie in solchen Momenten sah. Blutüberströmte Tierleiber und zuckende Muskeln, von denen das Fell heruntergerissen wurde. Allmählich kamen auch Knochen zum Vorschein. Sobald der Leichnam auf dem Bratspieß steckte, triefte Fett wie Eiter aus ihm heraus. Bald schon bohrten gierige Zähne sich hinein, Knorpel knirschten, Sehnen platzten, und der Gestank des Todes lag in der Luft.

Obwohl Adelind diesen Ekel gegen einen köstlich duftenden Braten nicht nachzuvollziehen vermochte, stand jene Schwester, die nur wenige Momente nach ihr das Licht der Welt erblickt hatte, ihr so nahe, dass sie ihn einen Wimpernschlag lang ebenfalls empfand.

Sie wandte kurz den Kopf. Alle Nonnen waren damit beschäftigt, ihre Mägen zu füllen, und gaben dabei vor, dem Bibeltext zu lauschen. Niemand sah in ihre Richtung.

Adelind bewegte die Lippen, ohne einen Laut von sich zu geben. Sie wusste, dass Hildegard dennoch verstehen würde.

»Mach die Augen zu und schluck es schnell. Versuch, dabei an etwas Angenehmes zu denken. Das Stück ist nicht groß, und bald schon ist nichts mehr von dem Braten übrig. Spül es mit dem Wein hinunter!«

Hildegard biss tapfer zu und begann zu kauen, während ihr Tränen in die Augen schössen. Adelind entspannte sich ein wenig. Der Tag versprach friedlich auszuklingen, doch da presste Hildegard plötzlich eine Hand vor den Mund, als wolle sie ihren Körper daran hindern, die unerwünschte Nahrung wieder auszuspucken.

»Lass das! Mutter Mechtildis sieht zu uns herüber!«, gab Adelind ihr rasch zu verstehen. Es war ihr in der Aufregung nicht ganz gelungen, auf ein paar Laute zu verzichten, und sie spürte den Blick der Äbtissin vorwurfsvoll auf sich ruhen. Rasch senkte sie den Kopf. Eine Weile blieb es still. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie die Äbtissin sich wieder Schwester Juliana zuwandte, und atmete erleichtert auf. Wenn Hildegard nur endlich den Braten herunterwürgen würde, konnte der Rest des Abends durchaus angenehm verlaufen, denn es war ihnen aufgrund der Eiseskälte gestattet worden, die Gebete für das Komplet als auch für die Nokturn in ihrem Schlafsaal zu sprechen.

Hildegard ließ ihre Hand sinken, tat ein paar tiefe Atemzüge und führte nochmals ein Stück Braten zum Mund. Ihre Augen waren diesmal fest geschlossen, wie Adelind ihr geraten hatte. Sie biss ein Stück ab und presste ihre Lippen aufeinander. Adelind konnte an ihrer Kehle die Schluckbewegung erkennen. Sie schöpfte Hoffnung. Wenn der harte Winter lang andauerte, würde an den Fleisch Vorräten ohnehin bald gespart werden, was in Hildegards Augen zu den Vorteilen dieser Jahreszeit gehörte. Adelind hatte gerade nach dem Weinkrug gegriffen, um sich nochmals einzuschenken, als sie eine Bewegung an ihrer Seite wahrnahm. Hildegards Kopf hing nun so dicht über dem Teigfladen, dass sie ihn fast mit der Stirn berührte. Die Hand klebte wie festgewachsen vor ihrem Mund.

»Sag, dass du zu den Latrinen musst, wenn dir übel ist. Schnell!«

Hildegard gehorchte, indem sie sich erhob und mit der freien Hand schnell das übliche Zeichen machte. Noch bevor Mutter Mechtildis ihre Zustimmung gegeben hatte, war sie schon aus dem Refektorium verschwunden. Adelind nahm ein unheilverkündendes Stirnrunzeln auf dem Gesicht der Äbtissin wahr und begann im Geiste zu beten, dass Hildegard für ihr Verhalten nicht durch langes Liegen auf kalten Steinfliesen bestraft würde. Sie schien in den letzten Wochen zunehmend blass und mager. Auch hatte sie sich noch nie zuvor nach dem Essen von Fleisch übergeben müssen. Nur einmal, als Mutter Mechtildis sie gezwungen hatte, eine ganze Schüssel voll fetter Krusten hinunterzuwürgen, war Hildegard anschließend fast bis zum Abendmahl auf der Latrine gesessen, obwohl am Ende nur noch Galle aus ihrem Magen quoll. Schwester Brigitta, die für die Krankenpflege zuständig war, hatte anschließend gemeint, dass fettes Fleisch Hildegard wohl wirklich nicht gut tat. Deshalb blieb ihr seitdem wenigstens diese Tortur erspart.

Schwester Juliana hatte das Lesen beendet und beeilte sich, schnell noch ein paar Speisereste zu ergattern. Von dem Braten war nichts mehr übrig. Adelind erhob sich, neigte respektvoll den Kopf, um dann Hildegards Fleischstück mitsamt dem Fladen in Julianas Richtung zu schieben. Sie vermutete, dass die Äbtissin durchaus froh wäre, wenn ihr Liebling nicht völlig leer ausging, und behielt recht. Mutter Mechtildis protestierte nicht. Nachdem Schwester Juliana sämtliche Knochen abgenagt und selbst das Mark aus ihnen gesaugt hatte, leckte sie sich genüsslich die Finger. Die Äbtissin stand auf, um das Ende des abendlichen Mahls zu verkünden.

»Geht jetzt in euren Schlafsaal. Nach dem Komplet könnt ihr euch niederlegen.«

Die kurze Unterbrechung der Schweigepflicht mündete in munterem Geschnatter. Füße huschten über die hölzernen Bohlen des Bodens. Nur Adelind saß immer noch da und starrte unruhig zu der Tür, durch die Hildegard vor einer gefühlten Ewigkeit verschwunden war. Wartete ihre Schwester schon im Schlafsaal? So dumm konnte sie nicht sein, denn sie musste doch wissen, dass die Äbtissin derart eigenwillige Verstöße gegen die Ordnung in ihrer Gemeinschaft nicht mochte. Adelind bemühte sich, aus allen Fasern ihres Körpers ein wenig Mut zu ziehen, als sie sich an Mutter Mechtildis wandte.

»Ehrwürdige Mutter, ich werde nach Hildegard sehen. Sie ist schon sehr lange fort, und in den letzten Wochen schien sie mir sehr schwächlich«, sagte sie so beiläufig wie möglich.

Erwartungsgemäß verzog die Äbtissin das Gesicht.

»Gut, dann geh. Aber Hildegard schwelgt zu sehr in ihrem Leid, will sich ständig mit irgendwelchen Wehwehchen entschuldigen. Mach ihr klar, dass ich nicht bereit bin, es zu dulden.«

Adelind biss sich auf die Lippen, um eine zornige Antwort zu unterdrücken. Wäre es Schwester Juliana, die auf den Latrinen verschollen war, hätte Mutter Mechtildis schon längst selbst jemanden losgeschickt. Allerdings beschränkten die Krankheiten der Favoritin sich auf ein oder zwei böse Erkältungen im Jahr. Hildegard hatte schon als Kleinkind häufig gehustet und viel zu wenig gegessen. Während sie den kräftigen, mit einer schützenden Fettschicht ausgestatteten Leib der Äbtissin musterte, wurde ihr klar, dass ein mit derart robustem Naturell gesegneter Mensch wohl kein Verständnis für zartfühlende Wesen aufbringen konnte.

Im Eilschritt lief sie die Stufen hinab. Es war kalt im Treppenflur, und sie bereute es, die Handschuhe auf dem Tisch des Speisesaals liegen gelassen zu haben. Auch die Latrinen waren nicht beheizt. Was machte Hildegard dort nur so lange? Sie konnte sich den Tod holen.

Adelind atmete fast erleichtert auf, als ihr der gewohnte Gestank in die Nase stieg, denn nun war sie am Ziel. Da sie vergessen hatte, eine Kerze mitzunehmen, musste sie sich am kalten Gemäuer entlangtasten.

»Hildegard! Bist du hier?«

Sie vernahm, wie die leise Stimme ihrer Schwester das Paternoster murmelte, und lief zu ihr hin. Hildegard betete an den merkwürdigsten Orten. Durch kleine Öffnungen in der Mauer drang ein wenig Licht an diesen Ort, den man gewöhnlich nicht genauer sehen wollte. Hildegard kauerte ein Stück neben einem der Löcher, über denen die Notdurft verrichtet wurde. Ihr Gewand war bis zu den Knien hochgezogen, die Wollstrümpfe hatte sie an die Knöchel heruntergerollt. Adelind spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte, denn etwas stimmte nicht. War Hildegard nicht in der Lage gewesen, sich wieder aufzurichten? Sie saß völlig starr, ganz in ihr Gebet vertieft, und wandte nicht einmal den Kopf, als ihre Schwester sich näherte. Da Adelinds Augen sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte sie dunkle Schmutzstreifen auf Hildegards Beinen und auch auf ihrem Gesicht.

»Was hast du getan? Bist du völlig von Sinnen? Wenn Mutter Mechtildis dich so sieht!«, rief sie. Hildegards Kopf drehte sich endlich in ihre Richtung. Die Augen wirkten milchig wie Glas, und Speichel tropfte von ihrem rechten Mundwinkel. Adelind erschauerte, denn für einen Moment meinte sie, einen bleichen Geist vor sich zu sehen.

»Ich bin eine Sünderin, ich bin schmutzig ...«, murmelte Hildegard. Die vertraute Stimme holte Adelind in die Wirklichkeit zurück. Ihre Schwester war wie ein scheues, nervöses Reh und neigte zu übertriebenen Gemütszuständen.

»Ja, schmutzig bist du allerdings, aber nicht von der Sünde, sondern von ... hast du in die Latrine gefasst? Was ist nur in dich gefahren?«, begann sie und fragte sich, wie sie Hildegard möglichst schnell in einen präsentablen Zustand bringen konnte. Erleichtert entdeckte sie einen Eimer mit Wasser, den die Konversschwestern für die nächste Reinigung der Latrinen bereitgestellt haben mussten. Trotz der eisigen Kälte griff sie mit bloßen Händen hinein und durchstieß die dünne Eisschicht, zu der die Oberfläche bereits erstarrt war. Rasch wischte sie über Hildegards schmales Gesicht. Die Beine konnten erst einmal unter der Kukulle verborgen werden. Zwar glänzten die Augen ihrer Schwester fiebrig, aber ihre Stirn fühlte sich kühl an. Eine Krankheit konnte es also nicht sein.

»Ich bin so schlecht, so voller Sünde«, murmelte Hildegard weiter, als nehme sie die Berührung nicht einmal wahr. »Du weißt nicht, was ich getan habe.«

»Was sollst du schon getan haben? Du bist doch viel frommer als ich«, scherzte Adelind krampfhaft und versuchte dann, rasch noch den gröbsten Schmutz von Hildegards Beinen zu entfernen. Während sie in das vor Entsetzen verzerrte Gesicht ihrer Schwester blickte, überkam sie plötzlich eine Ahnung. Sie setzte sich an Hildegards Seite, obwohl sie dadurch vermutlich auch ihre eigene Kukulle verschmutzte. An dem dunklen Wollstoff sah man es kaum. Dann legte sie ihren Arm um die nervös zuckenden Schultern der Schwester. Selbst wenn sie nun zu spät zum Komplet kämen, musste sie die seltene Gelegenheit nutzen, unbeobachtet mit Hildegard zu reden.

»Ich glaube, ich weiß, was du meinst«, begann sie leise. »Aber glaube mir, mir geht es ebenso. Es begann ungefähr zwei Jahre nach der Weihe. Wir wurden nach dem Tod unserer Mutter als kleine Kinder in dieses Kloster gegeben. Unser Vater hat niemals auch nur nach uns gefragt. Wir legten das Gelübde ab, weil uns nichts anderes übrig blieb. Wie sollten wir denn einen Ehemann finden?«

Hildegard starrte sie mit großen, verwirrten Augen an. Wenigstens hörte sie zu, schien empfänglich für diese Worte. Entschlossen redete Adelind weiter.

»In den letzten Jahren, da ... da hatte ich manchmal seltsame Sehnsüchte. Ich wusste, sie waren schlecht, aber ich kam nicht gegen sie an. Da ist ein junger Kanoniker mit strahlend blauen Augen aus dem Sankt-Kunibert-Stift, der gern unauffällig in meine Richtung blickt, wenn an den hohen Feiertagen die Messe gemeinsam zelebriert wird. Nachts musste ich oft an ihn denken. Ich stellte mir vor, dass ich ihm ein Zeichen geben könnte, damit wir uns irgendwo heimlich treffen, und dann ... dann wüsste ich, wie es ist. Wenigstens ein einziges Mal.«

»Tu es nicht!«

Hildegards Schrei hallte durch den dunklen Raum. Sie packte Adelinds Handgelenke und drückte sie mit erstaunlicher Kraft zusammen.

»Aber natürlich tue ich es nicht«, wehrte Adelind den Angriff ab. »Ich bin nicht verrückt. Es wäre viel zu gefährlich. Aber manchmal, da tut man Dinge in Gedanken, und das allein mag eine Art Sünde sein.«

Tief in ihrem Inneren glaubte sie nicht daran, dass Gott sie für Gedanken allein würde strafen wollen, aber sie wusste, dass Hildegard wohl so dachte, und wollte sie daher durch dieses Geständnis trösten. Doch das Gesicht der Schwester zeigte keine Erleichterung. Die großen graublauen Augen drückten nur stummes Entsetzen aus, der eiserne Griff marterte Adelinds Handgelenke weiter.

»Du weißt nicht, wie es ist«, flüsterte Hildegard. »Widerwärtig, abscheulich. Du kannst den Schmutz nicht von deinem Körper waschen, ganz gleich, wie du dich bemühst.«

»Na, na.« Adelind schaffte es endlich, ihre Hände frei zu bekommen. »Nicht alle Frauen, die es erfahren haben, machen einen derart gepeinigten Eindruck auf mich. Aber wir sind eben Nonnen. Und jetzt lass uns ins Dormitorium gehen, wo wir hingehören.«

Sie packte Hildegard an den Schultern und versuchte, gemeinsam mit ihr aufzustehen. Die Schwester hing wie ein lebloser Sack in ihrem Griff, was sie trotz ihres mageren Körpers erstaunlich schwer machte. Kurz schlug sie mit dem Hinterkopf gegen das Gemäuer.

»Jetzt lass den Unsinn! Du verletzt dich noch. Wir müssen zurück, verstehst du nicht?«

Adelinds Sorge begann sich allmählich in Zorn zu verwandeln. Es konnte so anstrengend sein, ständig auf Hildegard aufzupassen.

»Du weißt nicht, was ich getan habe«, flüsterte die Schwester. »Ich bin so abgrundtief schlecht.«

Adelind schüttelte sie kurz.

»Wenn wir deinetwegen Ärger mit Mutter Mechtildis bekommen, dann bist du wirklich abgrundtief schlecht«, meinte sie mit einer Mischung aus Spott und Unmut. Dann lief sie los. Zu ihrer Erleichterung leistete Hildegard keinerlei Widerstand, als sie hinterhergezerrt wurde.

Die Ketzerin von Carcassonne

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