Читать книгу Im Dienst der Gräfin - Tereza Vanek - Страница 10
4. Kapitel
ОглавлениеDas Gewand war rechtzeitig fertig geworden, und Erzsébet Báthory hatte es durch Ilona Hertz in Empfang nehmen lassen. Den als Näherinnen eingesetzten Mädchen waren wieder andere Aufgaben zugewiesen worden, nachdem Emilia gemeinsam mit ihnen noch das Mittagsmahl hatte einnehmen dürfen. Nun saß sie in der kleinen Kammer im obersten Stockwerk des Hauses, die ihr zugewiesen worden war, und wartete auf Weisungen, was weiter mit ihr geschehen sollte. Im Haus waren das Klappern von Holzschuhen und das Zanken von Stimmen zu vernehmen. Es kam ihr nun vor wie eine eigene Welt, in der sie keinen klaren Platz einnehmen durfte, und diese Vorstellung weckte unerklärlich tiefe Trauer in ihr.
Es klopfte. Emilia rief den Besuch erwartungsvoll herein, hoffte, dass ein paar der Mädchen vielleicht einen freien Augenblick gefunden hatten, um mit ihr zu plaudern. Als das schöne, steife Gesicht von Ilona Hertz sich durch den Türrahmen schob, zwang sie sich mühsam, ihre Enttäuschung zu verbergen.
„Ich soll dir deine Entlohnung bringen.“
Das Fräulein hielt ihr einen samtenen Beutel hin. Emilia griff zu und staunte, wie schwer er war. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so viele Münzen auf einmal in der Hand gespürt zu haben.
„Sechzig Taler. Die Gräfin ist großzügig, obwohl das Gewand nicht ganz passend ausfiel. Es war so kurz, dass man ihre Strümpfe sehen konnte.“
„Aber …“, stammelte Emilia. „Wir hatten doch ausgemessen!“
„Nicht ganz korrekt, wie es scheint.“ Ilonas lächelndes Gesicht erinnerte sie an eine Schlange, der die Zunge aus dem Mund fuhr. „Aber es ist nicht schlimm. Die Gräfin hat begriffen, dass dich keine Schuld trifft, denn du bist nun einmal keine Meisterin der Schneiderei.“
Emilia vermochte nichts zu sagen, denn sie fürchtete, in Tränen auszubrechen, sobald sie den Mund öffnete. Lieber hätte sie auf alles Geld verzichtet und stattdessen ein Lob ihrer Arbeit zu hören bekommen.
„Nun kannst du das Haus verlassen“, sagte Ilona noch. „Du wirst hier nicht mehr benötigt.“
Emilia riss staunend die Augen auf.
„Einfach so, ich meine … werde ich wieder in die Herberge gebracht?“
Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Ob Kurt dort überhaupt noch auf sie wartete? Wenn er allein weitergereist war, wäre sie nun völlig allein in einer unbekannten Stadt.
„Die Gräfin braucht ihre Kutsche derzeit anderweitig“, erwiderte Ilona kühl. „Aber falls du den Weg nicht weißt, wird einer der Heiducken dich begleiten.“
Emilia atmete erleichtert auf, bedankte sich und war froh, als die Tür hinter dem Fräulein Hertz zufiel. Wie um sich die Zeit mit irgendeiner Beschäftigung zu vertreiben, zählte sie die Münzen im Beutel durch. Wenigstens würde sie sich noch für ein paar Wochen in der Herberge einquartieren können, um in Ruhe zu überlegen, wie es nun weitergehen sollte, mit oder auch ohne Kurt.
Obwohl das Gasthaus sich kaum verändert haben konnte, kam es ihr nun erstaunlich schmutzig und schäbig vor. Sie verabschiedete den bärtigen, bewaffneten Mann, der sie durch das Getümmel der Stadt gelotst hatte, ohne ein Wort mit ihr zu wechseln, und drückte ihm zum Dank einen ihrer Taler in die Hand. Es tat wohl, so großzügig sein zu können, und sie wäre ohne ihren Begleiter niemals in der Lage gewesen, die Herberge zu finden.
Dann trat sie ein und versuchte, nicht auf den Geruch von Schweiß, Bier und Erbrochenem zu achten, der ihr aus der Stube entgegenwehte. Der Wirt lag auf einer langen Bank in der Ecke und schnarchte. Sie überlegte, ob sie nicht einfach in das Zimmer hochsteigen sollte, das sie mit Kurt bewohnt hatte, um selbst nachzusehen, da hob er plötzlich den Kopf.
„Da bist ja wieder, Madl. Dein Mann hat dich schon erwartet.“
Emilia verzichtete darauf, ihm zu erklären, dass Kurt nicht ihr Mann war.
„Er wusste aber, wo ich bin, oder?“
„Na ja.“ Der Wirt kam langsam in die Senkrechte und rieb seine verquollenen Augen. „Ich hab ihm g’sagt, dass die Heiducken von der Báthory dich geholt haben, da isser zu dem Haus von ihr gelaufen. Dort ham ’s ihn nicht reingelassen, aber ihm g’sagt, dass du für sie arbeitest. Seitdem wartet er, dass du wiederkommst.“
Erleichtert atmete Emilia auf. Obwohl sie nicht behaupten konnte, Kurt vermisst zu haben, wäre sie doch ungern ganz allein in der Herberge geblieben.
Sie stieg die Stufen hoch und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Wieder schlug ihr verbrauchte Luft entgegen, und sie wurde von heftiger Sehnsucht nach dem blitzsauberen Haus der Gräfin überkommen. Ein paar Kleidungsstücke lagen zerstreut herum. Das Wams, ihr einziges noch nicht verkauftes Werk, hatte Kurt einfach auf einen Stuhl geworfen, gleich neben dem Tisch, auf dem ein Bierkrug umgekippt war. Emilia erblickte entsetzt die verklebte Fläche und hastete zu dem Kleidungsstück. Zum Glück war es unbefleckt geblieben. Dann beugte sie sich, um ein wenig Ordnung zu machen, und dabei fiel ihr Blick auf das Bett.
Etwas wölbte sich unter der Decke, eine längliche Form.
„Kurt!“, rief sie ungeduldig. „Wach auf! Ich bin wieder da.“
Da auf ihre Worte keine Reaktion folgte, riss sie entschlossen die Decke weg. Es war aber nicht Kurt, der da lag, sondern der Körper einer nackten Frau. Emilia schrie erschrocken auf, dann wurde sie von zwei Augen fassungslos gemustert.
„Wie? Schon zurück? Der Kurt hat gesagt, es dauert länger“, stammelte eine Mädchenstimme. Emilia erkannte ein kindliches, von Schlieren aus verlaufener Schminke bedecktes Gesicht unter der zerzausten Haarmähne. Vielleicht war es die Dirne, die Kurt schon einmal mitgenommen hatte, oder eine andere. Es war kein Unterschied.
„Zieh dich an und verschwinde!“, herrschte sie das Mädchen an. Die Dirne gehorchte widerstandslos, tastete am Boden nach ihrer Kleidung.
„Weißt du, wo Kurt jetzt ist?“, fragte Emilia unterdessen.
„Auf dem Marktplatz, hat er gesagt. Da trifft er ein paar Freunde.“
Mit diesen Worten huschte die immer noch spärlich bekleidete Dirne hinaus. Emilia sank auf den leeren Stuhl und atmete tief durch. So weit schien alles in Ordnung, Kurt versuchte, weitere Waren zu verkaufen, und sie musste einfach nur warten, bis er wiederkam, damit sie ihr weiteres Vorgehen besprechen konnten. Doch nun, da die größten Sorgen verflogen waren, begann das Gefühl der Enttäuschung sie niederzudrücken. Sie hatte bei dem ersten Versuch, ein wahrhaft schönes Gewand zu schneidern, kläglich versagt und wusste nicht, wann sich jemals wieder eine solche Möglichkeit für sie auftun würde. Wie hatte sie nur beim Ausmessen so ungenau sein können? Bei der Anprobe war es nicht aufgefallen, weil Ilona Hertz kleiner war als die Gräfin, aber sie hatte sich von der Schönheit ihres Werkes blenden lassen und eine überaus wichtige Kleinigkeit nicht beachtet. Ein gravierender Fehler, wie ihr Vater gesagt hätte. Doch hätte er ihr als Ratgeber zur Seite gestanden, wäre es niemals zu diesem Missgeschick gekommen.
Kurts Eintreffen bei Einbruch der Dämmerung erlöste sie aus ihrer Grübelei. Er schwankte leicht, und als er sich zu ihr beugte, atmete sie den Geruch von Wein ein.
„Da bist du ja wieder. Die Rosi hat’s mir schon gesagt. War nicht nett von dir, die so rauszuwerfen.“
„Es war nicht nett von ihr, in meinem Bett zu schlafen“, gab Emilia zurück. „Ich will gar nicht wissen, wie viel Geld sie an dir verdient hat, während ich weg war.“
„Aber du“, erwiderte Kurt grinsend. „hast ja jetzt auch neues Geld mitgebracht, oder? Ich konnte es kaum glauben, als der Wirt es mir erzählte. Eine echte Gräfin hatte dich entführt!“
Er stützte sich mit den Handflächen am Tisch ab und musterte Emilia abwartend. Sie krallte ihre Hände um den Beutel mit den Talern.
„Was ich verdient habe, gehört mir!“
„Ach ja?“ Kurt beugte sich zu ihr hinab. Sie sah rote Flecken im Weiß seiner Augen. „Nur dir? Und wer hat dich die ganzen Wochen bis hierher durchgefüttert, Herbergen für dich bezahlt und deine Launen ertragen?“
Emilia zwang sich, die Ruhe zu bewahren. Sie brauchte jetzt keinen Streit mit Kurt.
„Ich will nicht, dass du mein Geld an Huren verschwendest, das ist alles. Wenn du es auf sinnvolle Weise ausgibst, soll es mir recht sein.“
Er lachte kurz auf und hob die Hände.
„Nun gut, wie die Dame befielt. Zunächst einmal muss ich den Wirt für die letzten Tage bezahlen. Dann treffe ich mich noch mit einem Freund, der wieder abgelegte Kleidung von feinen Damen für mich hat. Daraus kannst du doch was machen, das tust du gern! Und wenn ich noch den Aufseher vom Markt besteche, dann haben wir beim nächsten Mal einen richtig guten Stand. Dort kannst du gleich zehn weitere Gräfinnen von deinem Talent überzeugen.“
Emilia biss sich auf die Lippen. Sie konnte erkennen, wie Kurt sie zu beeinflussen versuchte, aber im Wesentlichen klangen seine Worte überzeugend. Sie würden neue Ware brauchen, die sie verkaufen konnten, und vielleicht bestand ja wirklich noch Hoffnung, dass sie sich durch einen ersten Fehler nicht all ihre Aussichten auf eine Zukunft als Gewandschneiderin zerstört hatte.
„Gut, wie viel brauchst du?“, fragte sie und hob den Beutel hoch. Noch bevor sie den nächsten Atemzug tun konnte, wurde er ihr aus der Hand gerissen.
„Ich werde sehen, wie viel ich brauche“, rief Kurt fröhlich, als er schon wieder im Türrahmen stand. „Du kannst dir unten noch ein Essen bringen lassen. Dann warte, bis ich wieder da bin.“
Er verschwand so schnell, dass sie keine Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern. Empört sprang sie auf, um ihm hinterherzurennen, aber als sie die Stube erreicht hatte, war dort keine Spur mehr von ihm zu entdecken. Sie würgte Zornestränen herunter. Wenn Kurt tat, wovon er gesprochen hatte, so würde er ihren Verdienst wenigstens sinnvoll ausgeben. Andernfalls wäre sie ohnehin machtlos, wie ihr wieder einmal schmerzlich bewusst wurde. Ohne Kurt kam sie nicht zurecht, und sie konnte ihn daher nicht daran hindern, ihr jeden Verdienst sogleich abzunehmen.
Sie aß eine Wurstsuppe und trank einen Humpen Bier, dann stieg sie wieder in das Zimmer hoch, um zu warten. Ihre Laune war durch einen vollen Magen deutlich besser geworden, sie begann den Schlafmangel der letzten Nächte zu spüren und streckte sich zufrieden im Bett aus. Wenn Kurt wieder einmal eine Dirne mitbrachte, würde sie wahrscheinlich gar nichts davon mitbekommen, und darüber war sie erleichtert.
Etwas glitt über ihre Hüften, verharrte dort für einen Augenblick und kroch dann unter ihr Leibchen. Sie zuckte zusammen. Gab es Ungeziefer in der Herberge? Entsetzt versuchte sie, das Tier wegzufegen, und plötzlich wurde ihr Handgelenk von einem eisernen Griff umklammert.
„Du siehst wunderschön aus, wenn du schläfst. So jung und unschuldig. Man kann sich gar nicht vorstellen, was für eine Kratzbürste du sein kannst.“
Kurts Stimme holte sie endgültig in den Wachzustand zurück. Er roch so stark nach Wein, dass ihr fast übel wurde. Sie zerrte, bis er ihre Hand endlich losließ, und rückte an die Zimmerwand. Warum nur hatte sie die Dirne weggeschickt?
„Dann lass mich jetzt weiterschlafen!“, murrte sie und zog sich die Decke über den Kopf. Eine Weile blieb er völlig ruhig, und sein Atem kündigte an, bald schon in die üblichen regelmäßigen Schnarcher überzugehen. Emilia hoffte bereits, in Frieden wieder in den Schlaf gleiten zu können, da lag plötzlich die ganze Schwere seines Körpers auf dem ihren.
„Na, komm schon, Emmy. Das kann doch nicht ewig so weitergehen.“
Er umklammerte nun beide ihrer Handgelenke und drückte sie auf die Matratze, sodass sie ihn nicht abwehren konnte. Seine Zunge glitt wie ein Wurm in ihr Ohr und leckte.
„Jede Frau tut es irgendwann, außer sie wird Nonne. Du bist alt genug.“
Seine Knie zwängten ihre Schenkel auseinander. Er rülpste, und für einen Moment hoffte sie, dass er zu betrunken wäre, um sie noch weiter zu bedrängen, doch gleich darauf knabberten seine Zähne an ihrem Hals. Emilia schrie angewidert auf. Sogar Rattenbisse wären ihr lieber gewesen.
„Lass mich in Ruhe! Du bist nicht mein Gemahl!“
„Dann heirate ich dich eben“, entgegnete er lallend, was den Vorteil hatte, dass er wieder für einen Augenblick von ihrem Hals abließ. „Morgen schon, wenn du willst. Das wird unsere Verlobungsnacht!“
Eines ihrer Handgelenke wurde befreit, damit er ihre Brüste begrapschen konnte. Emilia packte ihn am Haarschopf und zerrte mit aller Kraft.
„Hundsfott! Begreif es endlich, ich will dich nicht, lieber gehe ich ins Kloster!“
„Als ob die dich dort nehmen würden, so ganz ohne einen Kreuzer in der Tasche!“, erwiderte er lachend und schlug ihren Arm zur Seite. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie viel stärker er war, und ein Hauch von Angst mischte sich in ihre Empörung. Mit einem Ruck wurde ihr Leibchen aufgerissen, und sein Mund näherte sich ihrer nackten Haut. Emilia gab es auf, zu fluchen und zu drohen, stattdessen bohrte sie ihre Nägel in seinen Rücken, trat nach ihm und biss mit aller Kraft in seine Schulter. Es tat wohl, ihn vor Schmerz schreien zu hören. Sie wand sich und kämpfte, bis es ihr gelang, vom Bett zu fallen. Die Trunkenheit musste seine Reaktionen verlangsamt haben, was Emilia nun die Möglichkeit gab, ihre abgelegte Kleidung zu packen und aus dem Zimmer zu flüchten. Oberhalb der Treppe blieb sie schnaufend stehen. Halb nackt konnte sie nicht in die Stube hinunterrennen, denn sie wusste nicht, wer dort vielleicht noch saß. Sie wartete ein paar Atemzüge lang, und da Kurt keine Anstalten machte, sie gewaltsam zurückzuholen, kleidete sie sich rasch im Dunkeln an. Ihre Schuhe hatte sie in der Eile vergessen, aber daran war nichts zu ändern. Auf nackten Sohlen stieg sie die Stufen hinab. Es war dunkel in der Stube, obwohl der Geruch von Kienspänen, Bier und gebratenem Fleisch noch in der Luft schwebte. Sie ertastete eine Decke auf einem Tisch und wickelte sich darin ein, bevor sie sich auf einer Bank ausstreckte. Mitten in der Nacht konnte sie nicht aus der Herberge laufen, aber ebenso gefährlich schien es ihr, zu Kurt zurückzukehren. Bis zur Morgendämmerung würde sie hier schlafen und dann überlegen, was sie weiter tun konnte. Ihre Zähne klapperten, und sie zitterte, obwohl es angenehm warm im Raum war. Jene Stellen ihrer Haut, die Kurt berührt hatte, schmerzten, als seien sie von einem Brenneisen getroffen worden.
Das Licht einer Laterne weckte sie, und sie zuckte erschrocken zusammen, doch es war nicht Kurts Gesicht, das sich über sie beugte. Eines der Schankmädchen stand neben ihr, eine blasse Gestalt mit roter, verquollener Nase, die ständig schniefte.
„Was machst denn hier? Bist doch das Madl vom Hausierer. Hat er dich rausgeworfen?“, fragte sie mitleidig.
„Nein.“ Emilia richtete sich auf und rieb sich die Augen. Ihre Knochen schmerzten von der Nacht auf der harten Bank, als sei sie verprügelt worden. „Wir … wir hatten Streit. Er wurde zudringlich.“
Voller Hoffnung auf Verständnis und vielleicht sogar ein Hilfsangebot sah sie das Mädchen an, erhielt aber nur einen fassungslosen Blick.
„Aber du bist doch sein Madl.“
„Ich bin nicht mit ihm vermählt“, beharrte Emilia. „Nur seine Hilfskraft.“
„Na ja, das bin ich auch für den Wirt. Der kommt trotzdem in meine Kammer, wenn’s ihm passt. So sind die Mannsbilder halt“, sagte das Schankmädchen schulterzuckend, stellte die Laterne ab und begann, ein paar Kienspäne im Raum anzuzünden. „Ich muss jetzt die Tische wischen, bevor die ersten Gäste aufstehen. Magst nicht besser wieder hochgehen und ein bisserl nett zu ihm sein? Was machst, wenn er dich rauswirft?“
Emilia schüttelte energisch den Kopf.
„Ich … ich mache solche Sachen nicht. Das kann ich nicht.“ Sie hörte, wie hilflos, fast weinerlich ihre Stimme plötzlich klang. Das Mädchen hatte ihr allzu deutlich klargemacht, in welcher Lage sie sich befand. Nun drehte die Magd sich nochmals zu Emilia um und nahm auf der Bank ihr gegenüber Platz, um ihre Hand zu tätscheln.
„Is net schön am Anfang. Weh tut’s. Aber du gewöhnst dich dran, ganz schnell. Dann isses halb so schlimm, zählst langsam bis zehn, schon isser fertig.“
Sie lächelte und zeigte gelbe, verfaulte Zähne. Emilia riss ihre Hand zurück.
„Ich … ich will den nicht“, stammelte sie nun mit Tränen in den Augen.
„Ach was, der is doch net schlimm. Netter Kerl, hat die Rosie gesagt. Er hat ihr viel Geld gegeben, Essen, wie viel sie wollte, Wein, und brutal war er auch net. Sei froh, dass du an den geraten bist.“
Auf diese Worte folgte noch ein letzter, stärkerer Händedruck, dann stand das Mädchen auf, um sich wieder an seine Arbeit zu machen. Emilia wurde klar, dass sie vielleicht störte, doch war sie nicht willens, wieder zu Kurt zurückzugehen.
„Kannst du mir vielleicht ein paar Eier zum Frühstück braten?“, fragte sie zaghaft, denn ihr Magen knurrte bereits. Das Mädchen blickte kurz auf, nickte murrend und verschwand in der Küche. Emilia vergrub ihr Gesicht in den Handflächen, um verzweifelt zu überlegen. Gab es vielleicht irgendeine Möglichkeit, wieder nach Augsburg zu gelangen? Sie würde Onkel Hayo erzählen, wie sehr Kurt sie bedrängt hatte, und dann …
Sie wusste nicht wirklich, was dann wäre. Kurt hatte gestern sogar angeboten, sie zu heiraten, und Tante Irmi wäre wohl mehr als aufgebracht, dass sie es gewagt hatte, dieses Angebot auszuschlagen. Selbst wenn es ihr gelang, zu ihren Verwandten zu kommen, würde man sie wieder Kurt übergeben, sobald er ebenfalls dort auftauchte. Oder gar einem anderen Mann, der weitaus schlimmer sein konnte.
Wut vereinte sich mit Schmerz zu einem Feuer, das ihre Eingeweide verbrannte. Sie wollte schreien, um sich schlagen, wusste aber, dass dies nichts an ihrer Lage geändert hätte. Sollte sie tatsächlich tun, wozu das Schankmädchen ihr geraten hatte, zu Kurt gehen, die Augen schließen und langsam bis zehn zählen, in der Hoffnung, dass es zu ertragen war? Wäre ihre Familie nicht gestorben, so hätte sie inzwischen sicher schon einen Ehemann, Augustus, den fähigsten Lehrling ihres Vaters. Sie stellte entsetzt fest, dass sie sich kaum noch an ihn erinnern konnte. Groß und dünn war er gewesen, strohblond, mit einem Gesicht, das schnell errötete, wenn er sich aufregte oder unsicher war. Aber seine genauen Züge vermochte sie nicht mehr in ihrem Gedächtnis heraufzubeschwören. Wäre es anders gewesen mit ihm? Sie konnte es schwer beurteilen, doch als Tochter seines Meisters wäre sie ihm nicht völlig ausgeliefert gewesen, hätte mehr Möglichkeiten gehabt, ihre eigenen Wünsche durchzusetzen.
Aber vielleicht gab es noch ein Fünkchen Hoffnung für sie, dem Schicksal, das die Dienstmagd ihr als unausweichlich geschildert hatte, zu entgehen.
Als das Schankmädchen mit den Eiern zurückkam, bedankte Emilia sich artig, um dann ihre Frage zu stellen.
„Kannst du mir sagen, wie ich zum Haus einer ungarischen Gräfin komme, die Nádasdy oder Báthory genannt wird?“
Der Teller entglitt den Händen der Magd und landete mit einem Scheppern auf dem Tisch.
„Was willst’n von der?“
„Ich … ich habe bereits für sie gearbeitet. Vielleicht ist sie bereit, mich einzustellen.“
Emilia versuchte, so selbstsicher wie möglich zu klingen. Das Mädchen schubste den Teller in ihre Richtung.
„Das lass mal besser bleiben. Über die gibt’s Geschichten. Da sollen Leute nachts im Haus schreien.“
„Tatsächlich?“, entgegnete Emilia lachend. „Ich habe ein paar Nächte in ihrem Haus verbracht und nichts Derartiges gehört.“
Die Schankmagd zuckte mit den Schultern.
„Wie du meinst. Aber die ist komisch. A Hex, sagen die Leut.“
Emilia rief sich das glatte, vornehme Gesicht der älteren Dame in Erinnerung. Erzsébet Báthory hatte einen unnahbaren Eindruck gemacht und war sicher kein Mensch, dessen Mitgefühl leicht zu wecken wäre. Aber sie hatte sich mehrfach lobend über Emilia geäußert, und vielleicht wäre sie bereit, ihr den einen Fehler zu vergeben. Sie konnte anbieten, zunächst ohne Lohn zu arbeiten, nur für eine Unterkunft und regelmäßiges Essen. Sobald sie gezeigt hatte, was sie konnte, würde sie allmählich andere Forderungen stellen. Sie musste nur geschickt vorgehen. Und keinesfalls dürfte sie noch etwas falsch machen.
„Also, weißt du, wo sie wohnt?“
„Ja. Gegenüber von der Augustinerkirch und dem Kloster“, murrte die Magd, als sie Emilia unaufgefordert noch einen Becher Milch hinstellte. „Ich kann dir erklären, wie du hinkommst. Aber willst du wirklich …?“
„Kannst du mir noch Schuhe besorgen?“, unterbrach Emilia ungeduldig. Das Mädchen stemmte die Hände in die Hüften, was sie unerwartet entschlossen aussehen ließ.
„Ein Frühstück und auch noch Schuhe. Umsonst gibt’s das nicht.“
Emilia seufzte. Warum nur hatte sie ihren ganzen Verdienst Kurt überlassen müssen?
„Na gut, dann eben keine Schuhe“, gab sie nach. „Ich habe welche. Die muss ich nur holen.“
Nachdem sie ihr Morgenmahl verzehrt hatte, schlich sie nochmals in das Zimmer hoch. Ihr Magen verkrampfte sich, als sie eintrat, aber sie überwand ihren Widerwillen. Der Raum sah aus, als hätte dort ein Wirbelwind gewütet, stank nach Wein, Schweiß und menschlichen Ausdünstungen, doch drohte ihr hier keinerlei Gefahr, denn Kurt lag mit weit aufgerissenem Mund schnarchend im Bett. Sie schlich vorsichtig herein, um ihn nicht zu wecken, und holte ihre Holzschuhe. Dann entdeckte sie mitten auf dem Boden den Beutel, den die Gräfin ihr gegeben hatte. Er war wesentlich leichter geworden, aber es klimperten noch ein paar Münzen darin. Emilia nahm ihn an sich, bevor sie noch einen letzten Blick auf Kurts verwahrloste Gestalt warf.
„Leb wohl“, flüsterte sie. „Unser beider Lebenswege passen nicht zueinander.“
Als sie hinausging, empfand sie plötzlich einen Stich von Wehmut.
Emilia wiederholte die Wegbeschreibung immer wieder, bis sie ihr so vertraut war wie das Vaterunser. Sie musste bloß um ein paar Ecken biegen, dann stand sie wieder vor der schlichten, vornehmen grauen Fassade und trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. In der Herberge war sie sich noch völlig sicher gewesen, dass dies der einzig richtige Weg war, aber nun kam sie sich vor wie eine Straßenkatze, die am grundfalschen Ort um einen Teller Milch mauzen wollte. Ihr zerrissenes Leibchen hatte sie, so gut es ging, unter dem Mieder versteckt, aber ihr Haar war völlig zerzaust, und sie hätte sich gern insgesamt gesäubert, bevor sie einer derart vornehmen Dame gegenübertrat. Sie überlegte angestrengt, wo sie vielleicht eine Gelegenheit dazu finden konnte, als die Tür plötzlich aufschwang und zwei der Männer mit Federn an den Hüten hinaustraten. Heiducken hatte der Wirt sie genannt. Emilia erkannte das von einem dichten Bart überwucherte Gesicht jenes Mannes, der sie noch am Tag vorher zur Herberge begleitet hatte.
„Bitte, Herr“, begann sie mit einem Knicks. „Ich würde sehr gern noch einmal Ihre Durchlaucht, die Gräfin Báthory, sprechen. Meint Ihr, sie würde ein paar Augenblicke ihrer Zeit für mich opfern können?“
Der Mann sah sie verdattert an, und als sie hörte, wie er ein paar Worte in einer fremden Sprache mit seinem Gefährten wechselte, begann sie sich zu fragen, ob er überhaupt Deutsch verstand.
„Die Gräfin Báthory“, versuchte sie es nochmals, nun deutlicher und langsamer. „Ich will sie sprechen.“
Die zwei Heiducken sahen einander an, als wollten sie sich nun wortlos abstimmen. Gleich darauf wurde Emilia an beiden Armen gepackt und ins Haus gezogen. Sie zappelte empört, denn auf diese Weise hatte sie nicht eintreten wollen, doch kam sie erwartungsgemäß nicht gegen zwei kräftige Kerle an. Ihr Protestschrei drang in die dichte Menge aus neugierig gaffenden Zuschauern, zeigte auf diese aber nicht die erwünschte Wirkung, denn niemand wagte es, sich den Bütteln der Gräfin in den Weg zu stellen. Als die Eingangstür hinter Emilia zufiel, wurde ihr bewusst, dass sie sich gänzlich in der Gewalt einer fremden Adeligen befand. Sollte sie nachträglich bestraft werden, weil das Gewand nicht wunschgemäß ausgefallen war?
Wieder ging es einen langen Gang entlang zu einem Gemach, aus dem der Gesang einer glockenhellen Frauenstimme erklang. Ilona Hertz, vermutete Emilia, und aus unklaren Gründen steigerte diese Annahme jene Angst, die nun durch all ihre Gliedmaßen kroch.
Einer der Heiducken stieß die Tür auf und sagte ein paar Worte zu der Gräfin, die wieder in ihrem Stuhl thronte. Ein Stück neben ihr stand das Fräulein Hertz, dessen liebliche Gesangsstimme schlagartig verstummte. Im Hintergrund entdeckte Emilia noch ein paar weitere bekannte Gesichter. Eva und Yveta saßen über eine Stickerei gebeugt auf einer Bank, neben ihnen einige andere ihrer einstigen Näherinnen. Nur die pausbäckige Annie konnte sie nirgends entdecken.
Die Heiducken schubsten Emilia herein. Sie strauchelte, vermochte aber ihr Gleichgewicht zu wahren und gefasst vorzutreten, bevor sie in einen tiefen Knicks sank.
„Verzeiht mein plötzliches Eindringen, Euer Durchlaucht“, sagte sie ehrerbietig, obwohl diese Worte nicht ganz den Umständen entsprachen. Die Fassung zu wahren, nicht zu betteln, zu zittern und zu jammern, erschien ihr die einzig richtige Vorgehensweise gegenüber einer kühlen, aber klugen Frau wie Erzsébet Báthory.
Überraschtes Getuschel drang an ihr Ohr. Ilona Hertz stieß einen leisen, fast kläglichen Laut aus.
„Da bist du ja wieder“, sagte die Gräfin. „Aus welchem Grunde hast du mein Haus verlassen, obwohl ich dir keine Erlaubnis dazu erteilt hatte?“
Emilia glaubte für einen Augenblick, sich verhört haben zu müssen.
„Aber …“, begann sie und warf dem Fräulein Hertz einen fassungslosen Blick zu. Sie sah, wie das Gesicht der schönen Dame zu einer starren Maske gefror, doch für einen Augenblick erkannte sie nackte, stumm schreiende Angst in deren Augen. Sie begriff, dass sie gerade ein Messer in der Hand hielt, das sie einer eiskalten, berechnenden Gegnerin in die Brust stoßen konnte, und beschloss, auf diesen Akt der Rache zu verzichten.
„Ich fürchte, ich habe die Botschaft von Fräulein Hertz missverstanden“, sagte sie nur. „Mir wurde mitgeteilt, dass meine Arbeit nicht zur Zufriedenheit von Eurer Durchlaucht ausfiel, und daher hielt ich mich nicht für würdig, Euch weiter zu dienen.“
Sie knickste nochmals. Erzsébet Báthory musterte sie mit ihrem bohrenden, verständigen Blick, der stets ins Wesentliche vordringen wollte.
„An dem Gewand hatte ich nichts auszusetzen. Ich begreife nicht, wovon du sprichst.“
Die vornehme Blässe von Ilona Hertz wurde zu einem kränklichen Grün, wie man es manchmal an ausgezehrten Bettlern sah. Emilia gönnte sich einen Atemzug des Schweigens, bevor sie beschloss, die Intrigantin nochmals zu schonen.
„Ein weiteres Missverständnis, fürchte ich. Das Fräulein Hertz sagte hierzu nichts, und dies hielt ich für ein Zeichen von Missfallen, das Euer Durchlaucht gnädigerweise nicht in Worte fassen wollte.“
Die Gräfin wandte sich nun an Ilona, die künstlich lächelte und nickte.
„So war es wohl, Erzsébet. Ich sagte nichts über Eure Freude an dem Gewand, denn ich dachte, Ihr wolltet es der Schneiderin selbst mitteilen. Und dann war sie plötzlich fort.“
Eine Falte erschien zwischen den Brauen der Gräfin, und ihre Lippen wurden schmal.
„In Zukunft warte einfach ab, was ich zu dir sage, bevor du irgendwelche Mutmaßungen anstellst“, meinte sie dann zu Emilia. „Ich schätze es nicht, wenn meine Bediensteten einfach tun und lassen, was ihnen gefällt.“
Die Stimme war scharf gewesen wie das Knallen einer Peitsche. Emilia zuckte unwillkürlich zusammen. War es ein Fehler gewesen, Ilona zu schützen, nur weil sie ihre neue Anwesenheit im Haus der Gräfin nicht gleich damit beginnen wollte, eine bereits bestehende Feindschaft noch zu vertiefen? Sie spürte, wie ihr der Angstschweiß aus den Poren zu treten begann.
„Ich war sehr zufrieden mit dem Gewand“, fuhr Erzsébet Báthory aber etwas sanfter fort. „Demnächst will ich in Ungarn meine jüngere Tochter verheiraten, und dafür werde ich eine entsprechende Ausstattung für sie und ihre Damen brauchen. Zwar gibt es genug Gewandschneider in meiner Heimat, aber du scheinst mir sehr begabt, vernünftig und insgesamt umgänglich. Daher wäre es mein Wunsch, dass du mich begleitest, um an der Vorbereitung der Hochzeit mitzuwirken.“
Emilia konnte mühsam einen lauten Schrei der Freude unterdrücken, der in Gegenwart einer Fürstin sicher unangebracht gewesen wäre, doch genoss sie es, dem Fräulein Hertz ins fassungslose Gesicht lächeln zu können. Die Mädchen im Hintergrund hatten ihre Stickerei kurz sinken lassen, um Emilia eindringlich zu mustern. Da sie davon ausging, auch in Zukunft mit diesen Gefährtinnen zu arbeiten, nickte sie ihnen zu. Eva sah froh aus, Yveta eher bedrückt, die anderen Gesichter blieben ausdruckslos.
„Nun, bist du einverstanden, mich nach Ungarn zu begleiten?“, fragte die Gräfin mit leicht ungeduldigem Unterton. Emilia war überrascht, denn etwas an der Art, wie Erzsébet Báthory sprach, machte es schwer vorstellbar, dass sie Widerspruch überhaupt für möglich hielt.
„Es ist eine sehr große Ehre, Euer Durchlaucht“, sagte Emilia. „Ich hoffe, dass ich mich würdig erweisen werde.“
„Das hoffe ich auch“, entgegnete die Gräfin trocken. „Nun kannst du wieder auf deine Kammer gehen. Wir brechen übermorgen auf. Solltest du noch von jemandem Abschied nehmen wollen, erledige es schnell, damit du bei den Reisevorbereitungen mit anpacken kannst.“
Mit einer Handbewegung machte sie deutlich, dass Emilia sich entfernen konnte.
Die Kammer hatte sich kaum verändert, sie war sauber, aber spärlich eingerichtet. Emilia setzte sich zunächst aufs Bett, um tief durchzuatmen. Alles war anders gekommen als erwartet, und sie konnte ihr Glück kaum fassen. Sollte sie schnell Kurt benachrichtigen? Nach seinem Benehmen in der vergangenen Nacht war sie ihm keine Erklärung für ihr Verschwinden schuldig, und das Schankmädchen würde ihm sicher sagen, wohin sie gegangen war. Den Rest konnte er herausbekommen, wenn er nachfragte, falls es ihm der Mühe wert war. Onkel Hayo hätte sie gern von ihrem Glück erzählt, aber dies war schwer möglich. Emilia ging davon aus, dass sie irgendwann nach Wien zurückkäme, vielleicht auch einmal nach Augsburg. Dann konnte sie nach ihren Verwandten sehen. Was für ein Gesicht Tante Irmi wohl machen würde, wenn sie ihr als fürstliche Gewandschneiderin gegenübertrat? Zufrieden lehnte sie sich auf dem Bett zurück, um in glückliche Tagträume zu gleiten.
Es klopfte an der Tür, und sie rief den Besuch herein. Evas Gesicht schob sich durch den geöffneten Spalt. Eine große Schüssel mit Wasser ruhte in ihren Händen, außerdem hatte sie ein graues Kleid, das die meisten der Dienstmägde hier trugen, über die Schulter geworfen.
„Das ist für dich. Ich bin froh, dass du jetzt auf Dauer hier bist“, sagte sie, während sie ihre Mitbringsel abstellte. „Es hat mir Freude gemacht, für dich zu arbeiten. Du bist nett.“
Sie schenkte Emilia ein offenes, warmes Lächeln.
„Ich bin auch froh“, erwiderte Emilia, gerührt und leicht verlegen. „Wir haben sicher viel Arbeit vor uns, sobald wir in Ungarn sind, aber das wird uns schon gelingen.“
Sie hatte den Erfolg noch nie so nahe gespürt, fast, als sei er ein Gegenstand mit klaren Umrissen, nach dem sie nur die Hände auszustrecken brauchte, um ihn zu packen und für alle Zeit an sich zu reißen.
„Du stammst aus Ungarn, nicht wahr?“, ermutigte sie Eva zum Reden, denn sie wollte mehr über das Land erfahren, in das sie unterwegs war. Das Mädchen nickte.
„Ja. Mein Vater ist Magister, ein Schullehrer. Aber er hatte nicht viel Geld. Ich kam bereits als Kind in den Dienst der Gräfin.“
„Und? Bist du zufrieden?“
Ein Schatten huschte über Evas rundes, hübsches Gesicht.
„Es ist so wie überall auf der Welt“, meinte sie schulterzuckend. „Die einen haben das Sagen, die anderen müssen gehorchen.“
Sie blieb eine Weile ratlos stehen, und Emilia forderte sie mit einer Handbewegung auf, sich zu ihr aufs Bett zu setzen.
„Erzähl mir etwas über die Gräfin und ihre Familie. Ich möchte wissen, was mich erwartet.“
Eva legte ihre Hände in den Schoß, und ihre Finger verknoteten sich ineinander. Ihr Blick war gerade auf den Boden zu ihren Füßen gerichtet, und sie legte eine kurze Pause ein, bevor sie zu sprechen begann. „Erzsébet Báthory hat drei Kinder. Ihre älteste Tochter Anna ist bereits verheiratet. Kata, die jüngere, wird die nächste Braut werden. Dann gibt es noch einen Sohn Pál, der bei seinem Erzieher lebt. Ihr Gemahl, der Fürst Nádasdy, ist tot.“
„Warum nennt sie sich Gräfin Báthory, wenn ihr Gemahl Nádasdy hieß?“, fragte Emilia und hörte Eva leise auflachen.
„Weil sie stolz auf ihre Herkunft ist. Die Báthorys sind ein sehr mächtiges Geschlecht, nicht nur in Ungarn. Der König von Polen ist ein Báthory. Und auch der neue Woiwode von Transsylvanien, Gábor, der ist der Neffe der Gräfin. Sie kann ihn gut leiden, fast, als wäre er ihr Sohn. Die Nádasdys sind nicht ganz so wichtig, das sollte ihr verstorbener Gemahl wohl nicht vergessen, deshalb behielt sie ihren Namen nach der Hochzeit bei.“
Emilia neigte nachdenklich den Kopf. Sie konnte nicht umhin, von Erzsébet beeindruckt zu sein, denn sie mochte willensstarke Menschen.
„Sie ist eine anspruchsvolle Herrin, nicht wahr?“, sprach sie ihre erste Ahnung aus. Eva nickte mit unerwartet ernster Miene. Emilia lächelte sie aufmunternd an und legte einen Arm um ihre Schulter.
„Wir werden es schaffen, sie zufriedenzustellen. Alle zusammen. So, wie wir mit dem Gewand rechtzeitig fertig wurden.“
Evas Anspannung schien ein klein wenig nachzulassen, aber sie erwiderte das Lächeln nicht.
„Unter deiner Leitung könnten wir es wirklich schaffen“, sagte sie nur. Emilia drückte das Mädchen erfreut an sich. Es tat wohl, in diesem Haus bereits eine Freundin zu haben.
„Ich bin froh, dass wir uns verstehen. Mit den anderen will ich auch auskommen, das ist wichtig, wenn man ständig gemeinsam arbeitet. Übrigens, wo ist eigentlich Annie?“
Nun verzog sich Evas Gesicht schlagartig, als leide sie plötzlich an Schmerzen.
„Die hat Ärger bekommen. Wegen Ilona.“
Emilia überkam eine ungute Ahnung.
„Wurde sie bei der Gräfin angeschwärzt, weil sie ein paar freche Bemerkungen machte?“
Eva nickte schweigend.
„Und was ist jetzt mit ihr? Wurde sie aus dem Haus gejagt?“
Nachdem Annie ohnehin vorhatte, demnächst zu heiraten, wäre das für sie wohl nicht weiter schlimm gewesen.
„Nein“, erwiderte Eva. „Sie ist im Haus eingesperrt und wird heute Abend ihre Strafe bekommen.“
Dann stand sie schnell auf.
„Ich muss jetzt los. Hüte dich vor der Sängerin, die ist jetzt schon eifersüchtig auf dich.“
„Aber ich bin doch gar nicht von Adel“, erwiderte Emilia lachend.
Eva drehte sich kurz um, bevor sie aus dem Zimmer huschte.
„Die Gräfin mag dich. Das haben alle gemerkt. Deshalb pass auf wegen der Hertz, denn die teilt die Zuneigung ihrer Herrin nicht gern.“
Bevor Emilia genauer nachfragen konnte, war die Tür zugefallen.
Sie genoss es, sich in Ruhe waschen und umkleiden zu können, dann klopfte es nochmals. Diesmal war es die schmächtige Yveta, die sie aufforderte, mit ihr nach unten zu kommen. Emilia gehorchte, ohne weiter nachzufragen, obwohl nun von ihr verlangt wurde, beim Fegen und Staubwischen im großen Speisesaal des Hauses mitzuhelfen. Es gefiel ihr, sich nach vier Jahren bei der schlampigen Tante Irmi und mehreren Wochen in billigen Absteigen endlich wieder in einer tadellos sauberen Umgebung zu befinden, und daher trug sie auch gern ihren Teil dazu bei, diesen Zustand aufrecht zu halten. Die Mädchen arbeiteten alle mit lobenswerter Gründlichkeit, doch vermisste sie jenes ausgelassene Plaudern, das sie von den Dienerinnen und Näherinnen im Haus ihres Vaters kannte. Eine fast beklommene Stille herrschte, bei der man allzu deutlich vernahm, wie Vasen und Statuen nach erfolgter Reinigung wieder auf Simse oder Tische zurückgestellt wurden. Einmal hörte Emilia sogar Yvetas Schnaufen, als diese am anderen Ende des Raumes eine schwere Kiste in die Höhe hob.
„Soll ich dir helfen?“, rief sie spontan, doch das Mädchen schüttelte nur den Kopf und kam schweigend auf sie zu.
„Es ist besser, nicht viel bei der Arbeit zu reden“, flüsterte sie Emilia ins Ohr. „Das wird uns schnell als Trödelei ausgelegt.“
Emilia empfand solche Strenge zwar als übertrieben, beschloss aber, sich fürs Erste an die Regeln zu halten. Sobald die Näharbeiten losgingen, hätte sie wieder die Aufsicht über ihre Mädchen und würde das Plaudern erlauben. Wenn die Gewänder trotzdem rechtzeitig fertig wurden, könnte eine so kluge Frau wie die Gräfin Báthory vielleicht erkennen, dass es auch anders ging.
Sobald der Speisesaal gereinigt war, musste Geschirr aufgetragen werden.
„Hat die Gräfin heute Abend Gäste?“, wagte Emilia Eva zu fragen, denn es waren über zehn Teller, die auf der Tafel verteilt wurden.
„Nein!“, kam es sehr leise zurück. „Wir essen mit ihr. Das möchte sie, damit sie mit uns gemeinsam beten und uns ermahnen kann.“
Emilia verspürte ein nervöses Ziehen in ihrem Magen, der gleichzeitig fordernd knurrte, denn sie hatte seit den Eiern in der Früh nichts mehr gegessen. Während ihrer ersten Tage im Haus der Gräfin hatte sie gemeinsam mit den Näherinnen das Morgen- und Mittagsmahl eingenommen, abends wurde ihr ein Teller in ihre Kammer gebracht. Nun aber gehörte sie gänzlich zur Gemeinschaft, was sie mit Freude erfüllte. Außerdem war sie gespannt, wie es wäre, mit Erzsébet Báthory an einem Tisch zu sitzen.
Sie erhielten nochmals Gelegenheit, sich nach getaner Arbeit in einem Eimer Wasser die Hände zu reinigen, dann begannen andere Bedienstete, die wohl in der Küche arbeiteten, Schüsseln und Bretter hereinzutragen. Die Mädchen standen still, fast versteinert, hinter ihren Stühlen, bis die gegenüberliegende Tür aufschwang. Erzsébet Báthory erschien in einem schlichten, dunklen Gewand, um das sie eine mit Spitzen verzierte Schürze gebunden hatte. Jene Haube, die Emilia für sie angefertigt hatte, bedeckte ihr Haar. Hinter ihr schritt Ilona in dem grünen Seidenkleid. Emilias Herz tat einen freudigen Sprung, denn diese Wahl von Kleidungsstücken sagte mehr als tausend blumige Worte des Lobes.
Die Mädchen nahmen nun mit gesenktem Blick Platz, doch bis auf das Rücken von hölzernen Stuhlbeinen über die Dielen blieb es weiterhin so still, als befänden sich nur schwerelose Geister im Raum. Die Gräfin setzte sich an den Kopf der Tafel, Ilonas Platz war unmittelbar neben ihr. Beide falteten die Hände, wobei Ilona noch eine höchst vergeistigte Miene aufsetzte, die Emilia so gekünstelt schien, dass sie mühsam ein Grinsen unterdrückte. Ein Vaterunser wurde gemeinsam auf Deutsch gesprochen. Dann griff die Gräfin zu einer großen Schüssel mit Krautsuppe, an der sie sich bediente. Nach ihr kam Ilona an die Reihe, schließlich die übrigen Mädchen.
„Dies hier ist ein protestantisches Haus“, sagte Erzsébet Báthory unerwartet zu Emilia. „In welcher Konfession wurdest du erzogen?“
Emilia biss sich auf die Lippen. Der Glaube verbot ihr zu lügen.
„Ich wurde katholisch getauft und erzogen“, gestand sie daher, fügte nach kurzem Überlegen hinzu: „Aber ich habe nichts gegen die reformierte Kirche.“
Erneut wurde sie von der Gräfin prüfend gemustert wie ein neu erworbener Gegenstand, dessen genaue Beschaffenheit noch untersucht werden musste.
„Damit kann ich zufrieden sein“, verkündete sie schließlich zu Emilias Erleichterung. Dann wanderte der stechende Blick ihrer Augen zu den anderen Mädchen. Immer noch war es sehr still, selbst bei der Benutzung des Essgeschirrs gelang es allen Anwesenden, kaum Geräusche zu machen.
„Ich bin nicht unzufrieden mit euch“, unterbrach die Gräfin plötzlich das allgemeine Schweigen. „Ihr seid fleißig und arbeitsam. Doch wünschte ich mir, dass nicht nur Ilona mich darauf aufmerksam macht, wenn eine von euch freche Reden hinter meinem Rücken führt.“
Nun klapperten ein paar Löffel, da sie auf Teller fielen, aber niemand antwortete. Emilia tat einen tiefen Atemzug. Sie wollte wirklich wissen, worum es jetzt eigentlich ging.
„Meint Ihr Annie, Euer Durchlaucht?“
„Ja, ebendie meine ich“, erwiderte die Gräfin sogleich. „Leider ist deutschstämmiges Volk oft nicht willens, sich ungarischem Adel unterzuordnen, obwohl dies der gottgewollten Standesordnung entspricht.“
„Annie mag frech gewesen sein, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sie gegen Euch im Besonderen sprach“, meinte Emilia. Wieder hörte sie, wie einige der Mädchen entsetzt Luft holten. Sie zwang sich in eine aufrechte Haltung. An ihren Worten war nichts Unrechtes gewesen.
„Dies war dein Eindruck, aber überlasse es mir, ein Urteil zu fällen“, kam es entschieden von der Gräfin. Emilia nahm die Rüge hin und schwieg.
„Annie wird uns jedenfalls nicht nach Ungarn begleiten“, fuhr Erzsébet fort. „Ich erwarte mir mehr Respekt von meinen Untergebenen.“
Das, erwog Emilia, wäre für Annie sicher kein Weltuntergang, denn sie hatte nicht so geklungen, als ob sie im Dienst der Gräfin bleiben wollte. Falls es ihr an Geld mangelte, würde sie sicher eine andere Stellung finden, wenigstens, bis sie verheiratet war. Da die Angelegenheit also nicht besonders tragisch schien, begann sie, mit Genuss zu essen. Auf die Suppe folgte ein gut gewürzter Rehbraten mit Sauerkraut. Der aufgetragene Wein schmeckte köstlich, sie durfte sich zwei Gläser einschenken und befand, dass es sich bei Erzsébet Báthory nicht schlecht lebte. Nur vermisste sie jene Gesprächigkeit, die sowohl im Haus ihres Vaters als auch bei Onkel Hayo üblich gewesen war. Hier saßen über ein Dutzend Frauen am Tisch, doch gaben sie kaum andere Laute von sich als ein gelegentliches Schmatzen.
Nach dem Abendessen durfte sie wieder in ihre Kammer hochsteigen, denn es dämmerte bereits. Die anderen Mädchen verteilten sich ebenfalls in den Räumen dicht unter dem Dach, doch war es nur ihr vergönnt, allein zu schlafen. Während sie an dem Gewand gearbeitet hatte, war es ihr mehr als recht gewesen, nachts in Ruhe grübeln und sich anschließend kurz ausruhen zu können, doch nun fühlte sie sich von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Aber sie würde schon genug Gelegenheiten finden, ihre Gefährtinnen etwas besser kennenzulernen, und vielleicht konnte sie auch für etwas lebhaftere Unterhaltungen bei den Mahlzeiten sorgen.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, setzte sie sich erleichtert auf ihr Bett und zog das weiße Häubchen von ihrem Kopf, um sich mit den Fingern durchs Haar zu fahren, denn ihren Kamm hatte sie in der Herberge vergessen. Dann zog sie ihr neues Gewand aus und löschte die Kerze, mit der sie hereingekommen war. Von draußen drangen noch Stimmen an ihr Ohr, Gefährte quietschten, Pferde wieherten, und eine betrunkene Frauenstimme krächzte ein Lied in einer unbekannten Sprache. Große Städte waren niemals völlig still, doch sie wusste, dass sie dennoch gut schlafen würde. Der Wein hatte ihr ein angenehmes Gefühl von Leichtigkeit geschenkt, und sie kroch zufrieden unter ihre Decke. Nun musste sie nicht mehr befürchten, von Kurts gierigen Händen belästigt zu werden.
Sie hatte gerade die Augen geschlossen, als der erste Schrei erklang.