Читать книгу Im Dienst der Gräfin - Tereza Vanek - Страница 9
3. Kapitel
ОглавлениеEmilia hatte niemals gedacht, dass es so große Städte gab, die sich bis zum Horizont erstreckten und mit ihm zu verschmelzen schienen. Wien war ein von den Fluten der Donau umschlossenes Reich aus Türmen und roten Ziegeldächern, das vor Menschen überquoll. Sie verspürte ein Gefühl von Vertrautheit und Erleichterung, als sie sich endlich wieder durch enge Gassen kämpfen musste, Bettler in sämtlichen Ecken hocken sah, den Kutschen vornehmer Herrschaften auswich und ständig das Schreien von Straßenhändlern im Ohr hatte. Hier musste es Abnehmer für ihre Gewänder geben, die einen halbwegs anständigen Preis zahlen würden, und vielleicht auch die Möglichkeit einer Anstellung. Sie vernahm eine neue Sprechweise des Deutschen, die ihr weich und melodisch schien. Immer wieder hörte sie auch unverständliche Sprachen, sah sich neugierig um, aus welchen Mündern sie kamen, doch war das Gedränge meist zu groß, um die Ausländer entdecken zu können. Feine Damen in seidenen Gewändern entstiegen Karossen, Männer trugen breite, mit Federn geschmückte Hüte, Baretts und ausladende, farbenfrohe Kniebundhosen. Vor einigen Häusern standen grell bemalte Mädchen, die ihre Hände nach Kundschaft ausstreckten. Manche von ihnen hatten die Körper von Kindern, auf die jemand bereits von zu viel Leben gezeichnete Gesichter geschraubt hatte. Emilia wandte entschlossen den Blick ab. Ein solches Leben kam für sie nicht infrage, und sie würde es schaffen, ihre Füße aus dem Morast zu befreien, in dem sie zu versinken drohte.
Kurt lenkte den Wagen zu einer heruntergekommenen Herberge in einer stark verschmutzten Straße, wo nur ärmliche Hütten standen. Der Anblick dämpfte Emilias Begeisterung, aber sie wusste, dass jeder Protest aussichtslos gewesen wäre.
„Hier muss ich nicht gleich zahlen, weil der Wirt mich kennt“, erklärte er seine Wahl. „Mein letztes Geld ging an den Fährmann – weil du die eiskalte, tugendhafte Jungfer spielen musstest.“
Sein Blick streifte Emilia mit einer Mischung aus Tadel und Spott. Sie starrte ihn kurz zornig an, senkte dann den Kopf und packte den Sack mit den Gewändern, um ihn selbst hineinzutragen. Ihr war, als höre sie Kurt in ihrem Rücken lachen, und kämpfte mit dem Drang, ihm das Gesicht zu zerkratzen. Was hatte Grete nur an dem Kerl gefunden? Seine Geschenke mussten es gewesen sein, aber Emilia verzichtete gern darauf.
Nach einer kurzen Unterhaltung mit einem dicken, rotwangigen Wirt erhielten sie wieder eine winzige Kammer. Emilia trauerte der Nacht in dem großen Schlafsaal hinterher, denn da hatte sie sich völlig sicher vor Kurts Zudringlichkeit gefühlt. Doch er leerte nur einen Krug Wein mit ihr, ließ sie großzügig bei dem bestellten Schweinebraten mitessen und schlief dann neben ihr ein, wobei er seinen Rücken an den ihren schmiegte. Emilia wäre ihm gern ausgewichen, doch war das Bett dafür zu eng. So ließ sie sich von seinen Schnarchern in den Schlaf begleiten, ein ihr bereits vertrautes Geräusch, und hoffte, dass bald schon ein besseres Leben anbrechen würde.
Der Hohe Markt befand sich nur ein Stück vom Stephansdom entfernt, war von ehrbaren Bürgerhäusern umgeben und dennoch eine unüberschaubare, völlig mit Menschen und Ständen zugedeckte Fläche. Emilia spürte, wie die Sorge in ihr zu nagen begann. Wie würde sie unter all diesen Händlern, die Stoffe in allen Farben des Regenbogens, leuchtenden Schmuck, Gewürze und Delikatessen feilboten, auf ihre paar Gewänder aufmerksam machen können? Und würden vornehme Herrschaften sich überhaupt hierher verirren, wäre es ihnen nicht zu schmutzig und zu eng? Aber sie hatte keine Wahl, sie kannte die Stadt zu wenig, um einen passenderen Ort für das Anbieten ihrer Waren zu suchen. Vielleicht wäre es später möglich, gezielt in Häusern nachzufragen, wo sich passende Kundschaft befinden konnte. Als Tochter eines Schneidermeisters hatte sie ein recht genaues Bild von den Leuten, die ihre Arbeit sicher zu schätzen wüssten: aufstrebende Bürger, die sich neue Kleidung dieser Art nicht leisten konnten und sie daher heimlich gebraucht kauften. Davon musste es in Wien sicher genug geben. Sie würde sich umhören, beschloss sie, und dieser Markt wäre sicher eine gute Gelegenheit dazu.
Kurt plauderte ausgelassen mit zwei zerlumpten Kerlen, die ihn an ihrer Schnapsflasche nippen ließen. Im Hintergrund führte ein Feuerschlucker seine Kunststücke vor, und zwei Marktweiber zankten sich lautstark um ein letztes bisschen Platz für ihre Körbe. Schnell, damit niemand ihr zuvorkommen konnte, breitete Emilia eine Decke auf dem Boden zu ihren Füßen aus, auf die sie ihre Gewänder legte. Leider hatte sie nicht genug Platz, um sie alle nebeneinander auszubreiten, und für einen überdachten Stand fehlten ihr die nötigen Utensilien. Sie würde aufpassen müssen, dass Leute nicht auf ihrer Ware herumtrampelten. Nach einer Weile gesellte auch Kurt sich hinzu.
„Fleißig und tugendhaft wie immer“, kommentierte er Emilias Mühen, machte sich aber auch daran, seine Waren auszupacken, weshalb Emilias Gewänder noch zur Seite geschoben werden mussten. Er hatte ein paar Ketten aus Glas und Holz anzubieten, gebrauchtes Essbesteck aus Messing und bereits verbeultes, aber noch gut brauchbares Geschirr. Wirksamer als Emilia vermochte er die Ware vor Fußtritten und den gierigen Griffen von Taschendieben zu schützen, sodass sie ihr Urteil, der Hausierer sei völlig nutzlos, allmählich ändern musste. Für ein paar hölzerne Becher und Kellen fanden sich schnell Abnehmer. Drei Gabeln wurden zunächst bestaunt, dann von einem Pfarrer lautstark als weibisches Teufelswerkzeug verunglimpft, denn Gott der Herr hatte dem Manne Finger gegeben, um Essen zu Munde zu führen. Gleich darauf erschien ein höchst elegant gekleideter junger Herr in geschlitzter Pluderhose, der sofort sämtliche Gabeln erwarb. Emilia musterte ihn hoffnungsvoll, doch er entfernte sich, ohne das von ihr hergerichtete Wams auch nur eines Blickes gewürdigt zu haben. Eine in unnötig bunte, aber saubere und feine Kleidung gehüllte Dame blieb kurz stehen, um den Stoff des grünen Kleides zu befühlen.
„Reine Seide“, erklärte Emilia ihr sogleich. „Wie neu, ohne jeden Makel. Ihr könnt es überprüfen.“
Sie hob das Kleid an, um seinen Schnitt deutlicher sichtbar zu machen, doch die mögliche Kundin schaute bereits zu einem dicken, alten Mann an ihrer Seite.
„So etwas möchten ich haben. Aber neu. Sauber. Nicht auf Boden gefunden“, verkündete sie in einem harten, messerscharfen, fremden Deutsch.
„Sollst krieg’n, Herzerl“, versprach der Alte und legte einen besitzergreifenden Arm um ihre Taille. Emilia hätte vor Enttäuschung schreien können, als die zwei sich wieder entfernten.
Gleich darauf erschienen zwei junge Mädchen, deren frühzeitig verlebte Gesichter eine dicke Schicht aus Schminke bedeckte. Sie hätten frische Kleidung brauchen können, dachte Emilia, denn die ihre war bereits zerschlissen und von großen Flecken entstellt. Tatsächlich hockten sie sich nieder, um die Stoffe zu befühlen.
„Ned schlecht, aber dadrin schaust ja aus wie a Nonne. Dem Sepp gefällst damit sicher, der glaubt ja auch, du bist noch a Jungfrau“, tuschelten sie miteinander, brachen dann in glockenhelles Kichern aus, schubsten sich gegenseitig und eilten davon. Emilia begann zu grübeln, ob sie nicht etwas falsch gemacht und die Kleider zu wenig aufreizend gestaltet hatte. Würde sie in Zukunft Huren einkleiden müssen? Es wäre allemal besser, als selbst eine von ihnen zu werden.
Kurt hatte sich wieder abgewandt, um über den Preis von zwei Holzperlenketten zu verhandeln. Die Aussicht, dass er mit seinem Plunder mehr Geld machen würde als sie, begann wie ein Stein in Emilias Magen zu drücken. Waren all ihre Hoffnungen vergeblich gewesen?
Sie hockte sich ein Stück neben Kurt auf den Boden und war bemüht, Haltung zu wahren. Es war nur der allererste Versuch am falschen Ort, nichts weiter. Morgen würde sie gewiss mehr Glück haben. Gerade war es ihr gelungen, sich selbst etwas Mut zuzusprechen, da erblickte sie, worauf sie gewartet hatte.
Die junge Dame, die sich entschlossen durchs Getümmel kämpfte, war eine auffällige Erscheinung, sauber, sittsam, aber dennoch mit ungewöhnlicher Eleganz gekleidet. Das hellrote Kleid brachte ihr pechschwarzes Haar zur Geltung, auf dem eine blütenweiße Spitzenhaube saß. Sie balancierte auf Samtschuhen durch den Schmutz der Straße, hob gelegentlich den weit schwingenden Rock an, sodass ebenfalls weiße, makellose Strümpfe sichtbar wurden. In ihrer Hand lag ein Beutel aus schwarzem Samt, der sorgfältig mit Rosen bestickt war. Allzu reich konnte sie dennoch nicht sein, sonst wäre sie nicht zu Fuß auf einem Markt für das gemeine Volk unterwegs.
„Edles Fräulein!“, rief Emilia entschlossen, obwohl es ihr höchst unangenehm war. „Seht her, meine Gewänder sind wie für Euch geschaffen!“
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und winkte, denn sie fürchtete, dass ihre Stimme im allgemeinen Getümmel untergehen würde. Die Dame blieb verwirrt stehen und sah sich um.
„Hierher, edles Fräulein!“, fuhr Emilia, nun etwas mutiger, fort. „Seht, was ich für Euch habe.“
Nach kurzem Zögern setzte die Dame sich tatsächlich in Bewegung, obwohl ihr Gesicht einen missmutig-gelangweilten Ausdruck angenommen hatte. Sie beugte sich zu Emilias Ware, befühlte sorgfältig das Material, um schließlich selbst das grüne Seidenkleid anzuheben.
„Es scheint mir etwas groß, aber die Schnürung lässt sich enger ziehen“, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu Emilia. „Der Kragen ist wundervoll, fast wie bei einer Gräfin.“
Sie sah Emilia endlich ins Gesicht.
„Wie viel willst du dafür?“
Obwohl die Dame Schriftdeutsch sprach, schwang die Wiener Melodik darin mit. Emilias Herz tat einen Sprung, dann wurde ihr bewusst, dass sie sich über den Preis noch gar keine Gedanken gemacht hatte, so bemüht war sie gewesen, nach Kundschaft Ausschau zu halten.
„Zehn Taler“, murmelte sie zaghaft und fürchtete sich vor dem Moment, da die Dame das Kleid wieder auf den Boden werfen würde. Aber sie umklammerte es nun wie ein herausragendes Stück Beute, das ihr keinesfalls entrissen werden sollte.
„Gut, das nehme ich dann. Und lass mich sehen, was du sonst noch hast.“
Emilia hielt das bereits verkaufte Kleid glücksstrahlend fest, während die Dame sich weiter durch den Kleiderberg wühlte. Die Unterröcke nahm sie sogleich an sich, das schwarze Gewand mit den weißen Rosen am Ausschnitt brachte ihre Augen zum Leuchten.
„Darin kommt meine milchweiße Haut zur Geltung“, sagte sie, und zwei rote Flecken der Freude malten sich auf ihren Wangen. „Ich gebe dir zwanzig Taler und nehme alles mit.“
Emilia wurde vor Aufregung fast schwindelig, aber sie hatte von Kurt gelernt, was sie nun tun musste.
„Fünfundzwanzig“, forderte sie, wieder mit der Befürchtung, ihre erste Kundin könne sich sogleich empört davonmachen. Aber die Dame griff nur in ihren Beutel, wühlte herum und begann, eine verärgerte Miene zu ziehen, während ihre Lippen unverständliche Worte formten.
„László!“, rief die Dame mit einer Stimme, bei der die Gewohnheit, Befehle zu erteilen, deutlich wurde. „Wo ist Er denn, wenn ich ihn brauche?“
Sie wandte Emilia den Rücken zu, um die Menschenmenge eindringlich zu mustern. Dabei scharrten ihre Füße über den Boden wie bei einem ungeduldigen Pferd.
„Fräulein Hertz! Da seid Ihr ja, ich suchte Euch bereits“, meldete sich plötzlich eine helle Männerstimme, und ein Jüngling in roten Kniebundhosen schälte sich aus der Menge, um auf die junge Dame zuzueilen.
„Die Gräfin erwartet Euch, damit Ihr heute Abend für ihre Gäste singt. Ihr müsst Euch herrichten.“
„Ebendarum kümmere ich mich in diesem Moment“, erwiderte die Dame. „Komme Er und gebe mir fünf Taler, damit ich die Kleidung für meinen Auftritt bezahlen kann.“
„Aber die Gräfin wird Euch sicher …“
Bevor der Mann zu Ende sprechen konnte, war die Dame auf ihn zugeeilt und hatte ihn am Arm gepackt.
„Ich weiß, was ich tue. Gebe Er mir das Geld.“
Der Mann, offenbar ein Diener, gehorchte nun. Emilias Hände zitterten vor Aufregung, als sie die Münzen in Empfang nahm. In ihrem Rücken spürte sie Kurts Schatten und hörte, wie er die Dame für ihren erlesenen Geschmack beglückwünschte. Obwohl sie seinen Tonfall unangenehm schmeichlerisch fand, erhellte ein Lächeln das Gesicht des Fräulein Hertz. Erst jetzt fiel Emilia auf, wie ausnehmend hübsch ihre erste Kundin war, mit dem glänzend schwarzen Haar, der hellen Haut und einem Gesicht, dessen Herzform zu ihrem Namen passte.
„Kann man dich irgendwo in Wien finden, außer auf dem Marktplatz?“, fragte sie Emilia schnell, während der Diener die erworbene Kleidung an sich nahm. „Deine Arbeit ist gut und günstig. Ich würde dich gern noch öfter aufsuchen.“
Emilia wollte sich in den Arm zwicken, um sicherzustellen, dass sie nicht träumte. Kurt antwortete an ihrer Stelle.
„Wir sind noch ein paar Tage hier, in einem Gasthof gleich beim Kärntner-Tor. Er heißt ‚Zur alten Eiche‘.“ Er machte eine kurze Pause, und obwohl Emilia ihn nicht sehen konnte, meinte sie, die übertriebene Süße seines Lächelns riechen zu können.
„Gut, ich werde es mir merken“, erwiderte das Fräulein Hertz, neigte kurz den Kopf zum Gruß und stolzierte, gefolgt von dem Diener, davon.
„Donnerwetter, die ist zum Anbeißen“, flüsterte Kurt und stieß einen anerkennenden Pfeifton aus.
„Ich glaube, an der knabbern ganz andere als du“, sagte Emilia sogleich. Sein Lachen war gutmütig, fast freundschaftlich.
„Da hat die sittsame Jungfrau wohl recht. Aber so zieren wie du tut die sich niemals, wenn der richtige Kerl kommt“, erwiderte er und legte einen Arm um Emilias Schulter. Sie schüttelte ihn verärgert ab.
„Na, komm, du hast heute gute Arbeit geleistet. Wir werden im Wirtshaus feiern“, rief er unbeirrt fröhlich. Emilia sammelte das Wams auf, das als Einziges von ihren Waren übrig geblieben war, und machte sich auf den Weg, um ihm zu folgen. Ihr heutiger Erfolg versöhnte sie mit der ganzen Welt, so auch mit Kurt.
Im Wirtshaus war es deutlich voller geworden, es stank nach ranzigem Fett, Schweiß und Kienspänen. Der Rauch brannte in Emilias Augen, aber sie wurde von einem Gefühl tiefer Zufriedenheit überkommen, als Kurt die noch offene Rechnung beim Wirt bezahlen konnte und das Zimmer außerdem für weitere vier Tage mietete. Auch er schien auf ein Wiedersehen mit dem Fräulein Hertz zu hoffen. Wenn sie als Sängerin an Fürstenhöfen auftrat, brauchte sie sicher einen größeren Vorrat an passender Kleidung.
Sie teilten sich einen Krug Wein, Knödel und gebratene Rindernieren, die der Wirt ihnen empfahl, nach erfolgter Bezahlung nun sichtlich freundlicher geworden. In der hinteren Ecke des großen Speiseraums stellten sich drei Männer mit dunklem Haar und braunen Gesichtern plötzlich auf einen Tisch und riefen laut um etwas Ruhe, womit sie aber nicht viel Erfolg hatten. Ungeachtet des lauten Geredes der Gäste stimmte einer von ihnen auf der Fidel eine wilde Melodie an, und die zwei anderen begannen gemeinsam, in einer fremden Sprache zu singen. Trotz der schnellen Melodie lag ein Hauch von Wehmut in ihren Stimmen, als hätten sie so lange Wein getrunken, bis ihr Schmerz sich in zügellosem Toben entladen konnte.
„Ungarn würde ich sagen“, kommentierte Kurt die Darbietung. „Vielleicht mit einem Schuss türkischen Bluts. Es könnten auch Kroaten oder Rumänen sein. Auf jeden Fall stammen sie aus der Grenzregion zum Osmanenreich, daher haben ihre Gesichter die Farben von Haselnüssen.“
„Was die Grenze zum Osmanischen Reich betrifft, kennst du dich ja hervorragend aus“, erwiderte Emilia, aber zwei Becher Wein und der heutige Erfolg hatten ihrem Spott etwas an Schärfe genommen.
„Weißt du, was ich an dir mag, Emmy?“, sagte Kurt mit einem leichten Funkeln in den Augen. „Du lässt dich nicht so leicht beeindrucken wie andere Weiber. Du hast deinen eigenen Kopf und glaubst nicht gleich alles, was einer dir erzählt. Ich habe mir schon im Haus von Tante Irmi gedacht: Aus dem Mädel könnte noch was werden. Und deshalb wollte ich dich mitnehmen, damit wir gemeinsam zu Geld kommen, verstehst du?“
Emilia verstand, dass er etwas von dem Geld abbekommen wollte, das sie noch verdienen konnte. Aber war das wirklich so verwerflich? Eine junge Frau allein war völlig schutzlos in dieser Welt, und es gab wirklich schlimmere Kerle als Kurt, von dem sie heute auch einiges gelernt hatte. Solange er sie nachts nicht weiter belästigte, gab es keinen Grund, vor ihm zu fliehen.
„Auf die zukünftige Zusammenarbeit!“, sagte sie und hob ihren Weinbecher. Kurt stieß grinsend mit ihr an. Emilia merkte, wie ihr Fuß im Takt der Melodie zu wippen begann.
Ein grell geschminktes Mädchen tauchte plötzlich auf, setzte sich neben Kurt auf die Bank und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Emilia starrte verwirrt. War es eine der zwei Dirnen vom Markt? Sie konnte es nicht genau sagen, denn all diese frühzeitig gealterten, bemalten Gesichter glichen einander.
„Magst Gesellschaft?“, fragte das Mädchen mit einem schmachtenden Blick in Kurts Gesicht. Er grinste breit und legte seinen Arm um sie. Die Dirne sah zufrieden aus, dann erst schien ihr Emilia aufzufallen, und sie musterte die zweite Frau am Tisch mit einer gewissen Ratlosigkeit, als wisse sie nicht, ob ihr nicht gleich der Angriff einer eifersüchtigen Furie bevorstand.
„Ich gehe dann mal schlafen, und ihr beiden könnt euch einen schönen Abend machen“, sagte Emilia und stand auf. Zwar würde die Dirne von den heutigen Einnahmen bezahlt werden, aber wenigstens hätte sie dann die Kammer für sich allein. Sie stieg die Stufen hoch, wusch sich schnell das Gesicht mit dem bereitgestellten Wasser und kroch unter die Decke. Es war lange her, dass sie so entspannt und zufrieden eingeschlafen war.
Es war bereits völlig finster und still, als sie vom Knarren der Tür geweckt wurde. Gleich darauf folgten das Kichern einer weiblichen Stimme und schließlich Kurts mahnende Worte: „Sei leise, die Emmy schläft schon.“
Emilia wandte ihren Blick zur Wand. Wie dumm es doch gewesen war, davon auszugehen, dass ein billiges Freudenmädchen ihr eigenes Zimmer hatte, wohin sie ihre Freier einlud! Eine Kerze warf einen schwachen Lichtstrahl in das ansonsten völlig dunkle Zimmer. Emilia beschloss, sich weiter schlafend zu stellen, und schloss die Augen.
„Da is no a Deck’n“, rief die Mädchenstimme, und Emilia stellte erleichtert fest, dass man offenbar nicht plante, sie aus dem Bett zu jagen. Sie wusste nicht, wie sie mit dieser Lage umgehen sollte, und wollte möglichst wenig von dem mitbekommen, was sich nun wohl abspielen würde. Doch so hartnäckig sie ihre Sinne auch zu verschließen suchte, blieben sie dennoch geschärft.
Das aufdringlich kichernde Mädchen wurde zunächst stiller, begann dann auf einmal spitze, schrille Laute auszustoßen. Kurts Stöhnen war nur kurz zu hören, wenn die Dirne gerade verstummt war, doch schließlich steigerte es sich zu einem wilden, fast tierischen Schrei. Danach wurde es fast gespenstisch still. Emilia hörte nur noch rasselnde, schnelle Atemzüge. Eine seltsame Unruhe machte sich in ihrem Körper breit, als würden Ameisen durch ihr Glieder krabbeln. Wie von selbst schob ihre Hand sich zwischen ihre Beine und ertastete dort verstörende Feuchtigkeit. Dann wurde Emilia endlich von den Schwingen des Schlafes erfasst und fiel in erlösendes Dunkel.
Als sie erwachte, musste es bereits Vormittag sein, denn durch das kleine Fenster drang gleißendes Sonnenlicht. Ihr Magen meldete sich knurrend, sie rieb ihre Augen und richtete sich auf. Ein Stück neben ihr lag Kurt auf der Decke, nur mit einem Hemd bekleidet, das seinen Oberkörper bedeckte. Emilia musterte mit einer Mischung aus Faszination und Widerwillen die nackten, stark behaarten Männerbeine. Die Dirne war zum Glück verschwunden.
„Kurt“, sagte sie entschlossen. „Ich habe Hunger. Ich hätte jetzt gern ein Morgenmahl.“
Er wandte sich stöhnend um, und sie bemerkte, wie blutunterlaufen seine Augen waren.
„Ja, gut, gib mir noch einen Augenblick.“
Er gähnte und rollte sich nochmals zusammen, während Emilia aufstand. Rasch zog sie sich Mieder und Rock an, flocht ihr Haar zu einem Zopf und schlüpfte in ihre Holzschuhe.
„Lass uns nach unten gehen!“, drängte sie.
„Ich brauche noch einen Moment. Geh schon einmal vor“, murmelte er und vergrub sein Gesicht in der Ellenbogenbeuge. Emilia stieg verärgert über ihn hinweg. Sie wollte nicht wissen, wie viele Krüge er gestern Abend noch geleert hatte, vermutlich gemeinsam mit seiner Dirne, die aber sicher keinen einzigen davon bezahlt hatte. Wenn er zu lange schlief, würden sie viel zu spät zum Marktplatz kommen, um noch einen freien Platz ergattern zu können.
Unten waren die meisten Tische leer. Der Wirt begrüßte Emilia mit einem freundlichen Lächeln und brachte ihr bald darauf einen Pfannkuchen mit Speck, den sie gierig verschlang.
„Da war’n Leut da“, sagte er, als sie noch um etwas Brot bitten wollte. „Ham a Madl gesucht, das nähen kann. Bist du’s vielleicht?“
Emilias Herz begann zu hüpfen.
„Ja, die könnten mich gemeint haben. Was haben sie gesagt? Kommen sie wieder?“
„Denk schon, dass die wiederkommen“, erwiderte der Wirt gleichmütig und entfernte sich. Emilia war schlagartig alle Lust auf weiteres Essen vergangen, denn die Aufregung schnürte ihr den Magen zu. Warum musste Kurt gerade heute seinen Rausch ausschlafen? Sie hätte ein paar Ratschläge brauchen können, wie sie einer größeren Menge Kundschaft gegenübertreten sollte. Außerdem würde sie vielleicht bald selbst bessere Kleidung brauchen, denn eine gefragte Gewandschneiderin lief nicht in einem zerlumpten Rock herum.
Sie beschloss, Kurt sogleich zu wecken, selbst wenn sie ihm den Eimer Wasser ins Gesicht schütten musste, leerte schnell ihren Krug verdünnten Weins, wischte sich den Mund ab und stand auf. Als sie schon die Hälfte der Stiegen erklommen hatte, hörte sie plötzlich wieder die Stimme des Wirts in ihrem Rücken.
„Da, die sucht ihr, glaub ich. Keine Ahnung, wie’s heißt.“
Ihr Herz blieb vor Aufregung fast stehen, aber sie drehte sich tapfer um und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht, um die Kundschaft angemessen zu begrüßen. Sie wusste nicht genau, wen sie erwartet hatte, das Fräulein Hertz auf jeden Fall, mit ein paar Dienern, und vielleicht auch ein paar andere Damen. Doch da unten stand nur eine Gruppe von Männern in weit schwingenden Mänteln, breiten Gürteln und Federn auf ihren Hüten. In deren Mitte entdeckte sie jenen Lakaien, mit dem gestern das Fräulein Hertz gesprochen hatte. Ihr wurde ein klein wenig wohler zumute, und sie stieg die Stufen hinab.
„Das sind ungarische Heiducken“, beschrieb der Wirt die ungewohnten Gäste. Emilia wusste nicht, was sie mit dieser Neuigkeit anfangen sollte. Die Männer mit den Federhüten trugen Karabiner am Gürtel, was sie wenig vertrauenerweckend machte. War das Fräulein Hertz aus irgendeinem Grunde unzufrieden mit der erworbenen Ware gewesen? Emilia konnte nur hoffen, dass Kurt nicht die ganzen Einnahmen versoffen hatte, sodass sie die Dame würde entschädigen können.
„Ist Sie jene Näherin und Marktfrau, bei der das edle Fräulein Ilona Hertz gestern Einkäufe getätigt hat?“, fragte der ihr bekannte Lakai.
„Die bin ich“, antwortete sie. „Emilia ist mein Name. Ich stamme aus Augsburg.“
Gleich darauf fragte sie sich, ob dies nicht ein Fehler gewesen war. Aber der Lakai hatte sie sicher wiedererkannt, und an eine Flucht war in dieser Lage nicht zu denken.
„Dann komme Sie jetzt bitte mit“, fuhr der Diener gleichmütig fort. Emilia musterte ratlos die Gesichter der bewaffneten Männer. Sie konnte keinerlei Gefühl in ihnen lesen, nur leichte Zeichen der Ungeduld, da sie nicht sogleich gehorchte.
„Aber … wohin denn? Und warum?“, flüsterte sie.
„Das wird ihr erklärt werden, wenn Sie am Ziel ist. Jetzt komme Sie bitte mit. Die Kutsche wartet draußen.“
Emilia wusste nicht, ob sie dies als gute Nachricht oder als Drohung auffassen sollte. Würde man sie in der Kutsche einsperren?
„Ich … ich muss noch meinem … Dienstherrn Bescheid geben“, begann sie, um Zeit zu gewinnen. In seinem gegenwärtigen Zustand wäre Kurt ihr wahrscheinlich keine besondere Hilfe, aber sobald sie den Eimer Wasser über ihm ausgeschüttet hätte, bekäme er vielleicht eine rettende Idee. Da schadete es auch nicht, ihn zum allerersten Mal als ihren Herrn zu bezeichnen.
„Der Wirt ist sicher bereit, diese Dinge zu erklären“, meinte der Diener nur. „Und jetzt müssen wir aufbrechen.“
Emilia vernahm noch das leicht verwirrte, aber zustimmende Murmeln des Wirtes, dem eine Münze in die Hand gedrückt wurde. Dann standen die bewaffneten Männer auch schon um sie herum, und sie bewegte sich wie eine willenlose Gliederpuppe nach draußen. Würde Kurt ihr zu Hilfe kommen? Oder sie einfach aufgeben und weiterziehen?
Die Kutsche sah erstaunlich vornehm aus, zwei weiße Pferde waren davorgespannt, und auf der Eingangstür prangte ein Wappen. Emilia konnte einen kurzen Blick auf einen Drachen werfen, der sich um drei spitze Krallen schlang, bevor die Tür aufging und sie hineingeschubst wurde. Sie fiel auf eine weiche, gepolsterte Bank, spürte das Holpern, als die Kutsche losfuhr. Für eine Fahrt ins Schuldengefängnis war dies ein ungewöhnlich nobles Gefährt. Neugier verdrängte ihre Angst, und sie presste ihr Gesicht gegen die Fensterscheibe. So feines, durchsichtiges Glas hatte es nicht einmal in ihrem Elternhaus gegeben.
Die Kutsche kam bald wieder zum Stillstand, Emilia erblickte die schlichte, aber höchst elegante Fassade eines großen grauen Hauses. Die Kutschentür öffnete sich, der ihr bereits vertraute Lakai streckte seine Hand aus, um Emilia hinauszuhelfen. Sie fühlte sich wie eine vornehme Dame behandelt, denn die Heiducken gingen respektvoll hinter ihr her, als sie das Haus betrat.
Es war weitläufig und prächtig eingerichtet, Schnitzereien verzierten die Möbel, auf dem Boden lagen weiche Teppiche, und Gemälde hingen an den Wänden. Emilia hatte kaum Zeit, sich all dies genauer anzusehen, denn die Männer in ihrem Rücken drängten sie zur Eile. Es ging einen langen Korridor entlang, dann schwang eine weitere Tür auf, und sie fand sich in einem großen Zimmer wieder.
In der Mitte des Raumes stand ein Sessel, in dem eine Frau Platz genommen hatte. Ihre Haltung war aufrecht, fast starr. Sie trug eine weit ausladende Robe aus Samt, einen steifen Kragen und sehr viel Schmuck, der teuer aussah. Ihr Gesicht war schmal wie das eines Mädchens, allein die Falten an den Mundwinkeln und unter den großen braunen Augen wiesen auf ein fortgeschrittenes Alter hin. Ihre hohe Stirn deutete Klugheit an, doch lag ein hochmütiger, kalter Ausdruck in ihrem Blick, der Emilia missfiel. Als sie ein Stück dahinter eine aufrecht stehende Ilona Hertz entdeckte, war sie beinahe erleichtert.
„Ist das die Näherin vom Hohen Markt?“, fragte die Dame. Ihr Deutsch war fehlerfrei, doch hatte es jenen scharfen, harten Klang, den Emilia bereits von anderen Osteuropäern kannte. Ilona Hertz trat einen Schritt vor. Emilia bemerkte, dass sie das schwarze Kleid mit den weißen Rosen am Ausschnitt trug. Das Fräulein sah darin wirklich wunderschön aus, der schwarze Samt floss an ihrer schlanken Gestalt entlang, machte ihr Haar noch glänzender, ließ ihre Haut schneeweiß schimmern.
„Das ist sie, Euer Durchlaucht“, erwiderte Ilona Hertz und lächelte die Dame an. Dann richtete sie ihren Blick erwartungsvoll auf Emilia, machte eine ungeduldige Handbewegung. Emilia erahnte, was von ihr erwartet wurde, und sank in einen tiefen Knicks.
„Es ist mir eine große Ehre, von Euch empfangen zu werden, Euer Durchlaucht.“ Sie war stolz, die Lage so schnell erfasst zu haben. Wäre das Fräulein Hertz unzufrieden mit den erworbenen Gewändern, so würde sie nun kaum eines davon tragen.
Die Hausherrin winkte sie näher heran. Emilia trat vor und staunte, wie ruhig sie dabei blieb. Sie wusste nicht, was nun geschehen würde, doch musste sie sich der neuen Lage stellen.
Aus der Nähe betrachtet sah die Frau noch etwas älter aus, denn der Haaransatz unter ihrer Haube war bereits stark ergraut, nur ein paar verlorene Strähnen deuteten auf die einstige braune Farbe hin. Gleichzeitig bemerkte Emilia den sehr klugen Blick, der sie wie ein Speer durchbohrte, um bis in ihr Inneres einzudringen. Ein paar andere Mädchen standen im Hintergrund, alle so jung wie Ilona Hertz, doch schlichter gekleidet. Ihre Gesichter waren starr wie eine Mauer, verrieten keinerlei Empfindungen.
„Das Fräulein Hertz ist gestern Abend aufgetreten, um für meine Gäste zu singen“, unterbrach die Hausherrin das allgemeine Schweigen. „Ihre Darbietung gefiel, so, wie es stets der Fall ist.“
Emilia bemerkte, wie ein Strahlen das Gesicht von Ilona Hertz belebte.
„Aber mir gefiel auch ihr Kleid“, redete die Dame sogleich weiter. „Zwar war es schlichter als alle Gewänder, die ich ihr bisher überlassen habe, doch zog sie ebendadurch alle Blicke auf sich. Es schien von der Hand eines begnadeten Schneiders gefertigt, und daher habe ich wissen wollen, von wem es stammt.“
„Ich …“ Emilia hatte sagen wollen, dass sie ein bereits fertiges Kleid nur umgearbeitet hatte, dann fiel ihr ein, wie dumm dies gewesen wäre. „Ich bin Emilia Sternerin, die Tochter eines angesehenen Augsburger Schneidermeisters namens Josef Sterner, der die Edelleute und reichen Bürger der Stadt mit Gewändern ausstattete. Leider starb er, als ich erst zwölf war. Aber ich habe nicht vergessen, was er mich lehrte.“
Das klang gut und war nicht einmal gelogen.
„Nun, dann möchte ich ein ähnliches Gewand“, erwiderte die Hausherrin. „Ich gebe dir eine Woche Zeit, es anzufertigen. Natürlich wirst du kostbarere Stoffe verwenden, die ich dir besorgen werde. Zudem stelle ich dir meine Näherinnen zur Verfügung. Sobald du fertig bist, wirst du eine angemessene Entlohnung erhalten.“
Die Worte klangen so endgültig wie das Urteil eines Richters. Emilia spürte, wie die Gedanken sich in ihrem Kopf überschlugen. Kurt musste benachrichtigt werden. Oder würde der Wirt ihm alles erklären? Wie sah eine angemessene Entlohnung aus? Drohte ihr ernste Gefahr, wenn sie innerhalb der gesetzten Frist nicht fertig wurde oder die Dame nicht mit ihrer Arbeit zufrieden wäre?
Aber all dies waren überflüssige Erwägungen, denn sie wusste, dass sie alles tun würde, um diese wohlhabende Adelige zufriedenzustellen, selbst wenn sie in den nächsten Tagen völlig auf Schlaf verzichten musste.
„Vergebt mir, edle Dame, aber niemand sagte mir bisher, wer Ihr seid“, fragte sie, ohne weiter zu überlegen.
Ein feines, spöttisches Lächeln umspielte die Lippen der Gräfin.
„Du hast mein Wappen nicht erkannt? Nun, ich vergebe dir, denn du stammst nicht aus Ungarn. Meine Familie ist dort das älteste, mächtigste Fürstengeschlecht. Ich bin Erzsébet Báthory.“
Emilia vollführte einen weiteren tiefen Knicks.
„Ich fühle mich geehrt, dass meine bescheidene Arbeit Euer Wohlgefallen geweckt hat, Euer Durchlaucht.“
Sie wusste, dass ihr Vater in diesem Augenblick stolz auf sie gewesen wäre. Erzsébet Báthory verzog keine Miene, doch in den schwarzen Augen von Ilona Hertz blitzte der Hohn.
Gleich darauf wurde Emilia in einen Nebenraum geführt, wo bereits Stoffballen bereitlagen. Ehrfürchtig berührte sie weichen grünen Samt, in dem der Drache des Wappens eingewebt worden war. Daneben lagen bläulich schimmernde schwarze Seide und schließlich strahlend weißes Leinen. Bänder in verschiedenen Farben waren ihr ebenfalls zur Verfügung gestellt worden, dicke und dünne Nadeln, Scheren und Kreide. Sie fühlte sich in die Werkstatt ihres Vaters zurückversetzt, was ihr im allerersten Augenblick Tränen in die Augen trieb.
„Ich möchte ein Gewand mit schwarzen Verzierungen am Rock und einer weißen Halskrause“, erklärte die Gräfin. Im Hintergrund entdeckte Emilia etwa zehn schlicht gekleidete junge Mädchen, deren Blick starr auf den Boden geheftet blieb. Es mussten die versprochenen Näherinnen sein, aber sie rührten sich nicht. Emilia zweifelte für einen Moment, ob sie überhaupt atmeten oder nur Figuren aus Wachs waren.
„Dann würde ich sogleich Maß nehmen, wenn es Euch recht ist, Euer Durchlaucht“, begann sie voller Tatendrang. Erzsébet Báthory runzelte leicht die Stirn.
„Du kannst das Fräulein Hertz als Maßstab nehmen.“
„Aber …“ Emilia zögerte einen Moment, doch dann fuhr sie fort, denn sie wollte ein passendes Gewand anfertigen: „Das Kleid ist doch für Euch, nicht für das Fräulein Hertz. Ihr scheint mir von höherem Wuchs, was Eurer Stellung entspricht.“
Ein Raunen drang aus der Menge der Näherinnen, als seien sie plötzlich zum Leben erwacht. Auf den Lippen von Ilona Hertz tanzte ein böses Lächeln. Erzsébet Báthory starrte Emilia eine Weile stumm an. Ihr Gesicht verriet keinerlei Gefühl, dennoch spürte Emilia, wie der Schweiß über ihren Rücken zu perlen begann.
„Du bist eine ziemlich vorlaute Person, aber nicht dumm. Mir scheint, du verstehst dein Handwerk“, sagte die Gräfin schließlich. Zum ersten Mal vernahm Emilia ihr Lachen. Es klang hell, klar und frostig. „Dann nimm an mir Maß. Eva, hol den Maßstab.“
Eine der Näherinnen sprang auf und kam gleich darauf mit dem gewünschten Gegenstand angerannt. Es schien der Gräfin nicht angenehm zu sein, dass Emilia sich ihr näherte, ja sie notgedrungen mit dem Maßstab berührte, denn ihr Körper wirkte verkrampft, fast erstarrt. Aber sie verzog keine Miene, sondern wartete geduldig, bis die Prozedur beendet war. Emilia fiel auf, wie makellos die Gestalt dieser Frau fortgeschrittenen Alters war, weder asketisch ausgemergelt noch aufgequollen durch Jahre der Völlerei. Die junge, liebliche Ilona Hertz hätte tatsächlich ihren Platz einnehmen können, wäre sie nicht deutlich kleiner gewesen.
„Ich danke Euch, Euer Durchlaucht“, sagte Emilia, als sie die erste Aufgabe erledigt hatte. „Ihr habt mir eine große Ehre erwiesen. Doch nun frage ich mich, welche Art von Verzierung Ihr an dem Rock haben möchtet. Soll ich schwarze Bahnen hineinnähen?“
Sie wartete neugierig auf eine Antwort, doch die Gräfin schnalzte nur mit der Zunge.
„Ich sagte doch schon, so wie bei dem Gewand von Fräulein Hertz, die das ihre selbstverständlich nicht mehr öffentlich tragen wird.“
Die junge Dame verzog kurz das Gesicht, murmelte aber gleich darauf ihr untertänigstes Einverständnis. Emilia begann nach einer klar umrissenen Vorstellung zu suchen, die das Gewand in ihrem Kopf annehmen musste, um innerhalb kürzester Zeit fertiggestellt werden zu können.
„Ihr wollt eine Krause aus Spitze statt der Rosen am Ausschnitt. Soll die Spitze auch an den Ärmeln angebracht werden?“
Erzsébet Báthory runzelte die Stirn.
„Ja, ich denke, das wäre angemessen. Füge noch ein paar der Bänder hinzu. In Rot und Gelb vielleicht, damit es nicht zu streng ausfällt.“
Sie warf Emilia noch einen kurzen Blick zu, dann machte sie Anstalten, aus dem Raum zu schreiten.
„Aber das scheinen mir zu viele Farben, Euer Durchlaucht!“, rief Emilia ihr hinterher. „Vergebt mir, aber so kleiden sich die Freudenmädchen auf dem Markt. Es entspräche Eurer Stellung weitaus mehr, wenn Ihr Euch beschränken würdet, sagen wir, auf Grün, Schwarz und Weiß. Ich könnte noch eine passende Haube anfertigen, die ich mit jenen Rosen aus Spitze verzieren würde, die Ihr am Ausschnitt nicht haben wollt.“
Sie spürte das Glück wie eine Wolke, auf der sie emporschwebte, denn nun konnte sie das Gewand klar und deutlich vor ihrem inneren Auge sehen, als sei es bereits genäht. Die fassungslosen Blicke der Näherinnen nahm sie kaum wahr, nur der spöttische Lacher von Ilona Hertz drang in ihr Bewusstsein.
„Nun erklärt uns also ein dahergelaufenes Marktweib, wie eine Fürstin sich zu kleiden hat!“, rief die junge Dame. „Aber Ihr wisst doch, Erzsébet, an Euch vermag nichts billig auszusehen, und Eure Erscheinung stellt selbst die zauberhafteste Jungfrau in den Schatten.“
Emilias erster Gedanke war, dass dies nicht stimmte. Die Gräfin mochte eine makellose Gestalt besitzen, aber ihre jugendliche Frische hatte sie verloren. Vielleicht hatte sie diese auch niemals besessen, denn in vieler Hinsicht schien sie alterslos, eine Frau, die bereits in jungen Jahren vornehm, erhaben und kühl gewesen sein konnte.
Erzsébet Báthory drehte sich langsam um, musterte Emilia vom Scheitel bis zur Sohle wie eine seltene Tierart.
„Du bist nicht nur vorlaut, sondern regelrecht dreist“, stellte sie fest. „Ich hätte alles Recht, dich zu strafen, aber ich mag kluge Menschen, die wissen, was sie können. Nähe mein Gewand so, wie du es für richtig hältst.“
Das Gesicht von Ilona Hertz nahm einen grünen Farbton an. Die Näherinnen waren wieder verstummt, starrten nur ungläubig in Emilias Richtung, während die Gräfin langsam aus dem Raum spazierte. Ilona hastete ihr hinterher. Als die Tür zugefallen war, holte Emilia Luft und sah ihre Näherinnen an.
„Wir sollten uns an die Arbeit machen, die Zeit drängt!“, rief sie fröhlich und winkte die Mädchen zu sich heran. Sie kamen zunächst zögernd, dann immer schneller, und ihre Steifheit löste sich wie durch magische Worte. Emilia nahm Maßstab und Kreide in die Hand. Ihr Vater hatte sie gelehrt, wie aus den Maßen einer menschlichen Gestalt die Umrisse für das passende Gewand anzufertigen waren. In seiner Werkstatt hatte es auch ein paar grundlegende Schnittmuster gegeben, doch waren diese gemeinsam mit dem Haus verkauft worden. Emilia hätte gern einen genaueren Entwurf ihrer Idee auf Papier skizziert und vielleicht sogar eine erste Version des Gewandes aus schlichteren Stoffen genäht, doch war die von der Gräfin gesetzte Frist zu knapp für lange Vorbereitungen. Obwohl sie Angst hatte zu versagen, blieb ihr nichts anderes übrig, als auf ihre Kenntnisse zu vertrauen. Zwei der Mädchen rollten den Stoff unaufgefordert aus. Sie spürte, wie das Blut schneller durch ihre Adern pulsierte, zeichnete die Umrisse für Mieder und Rockteil mit der Kreide auf und nahm schließlich die Schere in die Hand. Es schien ihr fast ein Sakrileg, jenen prachtvollen Kettsamt zu zerschneiden, der, wie ihr Vater ihr einst erklärt hatte, angefertigt wurde, indem man einen zweiten Kettfaden mit einwebte. Dabei ließ man Schlaufen auf der Oberfläche, die anschließend aufgeschnitten wurden. So entstand jener tiefe, weiche Flor, über den sie nun ihre Hand gleiten lassen konnte. Das erste metallene Klicken, als die Schere zuschnappte, verursachte ihr fast körperliche Schmerzen. Sie musste an all die Weber denken, die Stunden mühsamer Arbeit in diesen Stoff gesteckt hatten, den sie nun durch einen unbedachten Schnitt zerstören konnte. Sie holte Luft und rief sich wieder ihre Vorstellung des Gewandes in Erinnerung. Sie würde dieses Meisterwerk der Webkunst erst wirklich zur Geltung bringen, indem sie ein wahrhaft fürstliches Kleidungsstück daraus machte.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Emilia maß aus, zeichnete, schnitt Stoffe zu, bis alle einzelnen Teile des Gewandes und der Haube bereitlagen und nur noch zusammengefügt werden mussten. Die Näharbeit hatten im Hause ihres Vaters einfache Knechte verrichtet, da die wahre Kunst des Meisters im richtigen Zuschneiden bestand. Emilia schien es jedoch unangebracht, sich von den Mädchen abzugrenzen, indem sie ihnen vermeintlich niedere Aufgaben überließ. So verbrachte sie viele Stunden mit ihnen und ließ ihre Nadel durch das Gewebe fahren, fertigte selbst die Rosen an und befestigte sie schließlich an der Haube. Die anfängliche Schüchternheit der Näherinnen verwandelte sich schnell in ausgelassenes Geplauder. Emilia lernte ihre Namen kennen, teils deutsche, teils fremdländische, erfuhr, aus welchen Orten sie stammten und wie sie in den Dienst der Gräfin gekommen waren.
„Meine Mutter sagte, ich sollte mich glücklich schätzen“, erzählte jene Eva, die den Maßstab geholt hatte. „Ich würde einer vornehmen Dame dienen, könnte etwas von der Welt sehen und Deutsch lernen, was doch nur die feinen Herrschaften in meiner Heimat sprechen.“
„Damit hatte sie doch recht“, erwiderte Emilia und beobachtete zufrieden, wie akkurat und winzig Evas Stiche ausfielen, auch wenn es sich nur um ein erstes Nähen zur Anprobe handelte und die endgültigen Nähte erst später angefertigt werden sollten. Gleichzeitig bemerkte sie eine kreisrunde Narbe auf dem Handrücken des Mädchens.
„Ja, das stimmt“, erwiderte Eva, starr über ihre Näharbeit gebeugt. „Nur bin ich leider oft ungeschickt. Schon meine Mutter rügte mich dafür.“
Emilia begriff nicht ganz, worin diese Ungeschicklichkeit bestehen sollte, nahm es aber hin. Vermutlich war die Narbe dadurch entstanden, denn sie sah wie die Folge einer Verbrennung aus.
„Hast du dich an einem heißen Gegenstand gestoßen?“, fragte sie. Eva blickte kurz auf. Ein Schatten von Unbehagen huschte über ihr Gesicht, und Emilia bemerkte, dass es plötzlich wieder so mucksmäuschenstill geworden war wie bei ihrem ersten Betreten des Zimmers.
„Ja, es geschah durch meine Ungeschicklichkeit“, bestätigte Eva sehr leise.
„Aber so kreisrund?“, überlegte Emilia weiter. „Was war es denn?“
„Eine heiße Münze … fiel auf meine Hand“, presste Eva mühsam hervor, als leide sie noch unter der Erinnerung daran. Emilia wollte gerade staunend fragen, wie es dazu gekommen war, da begann Annie, ein blondes, rundliches Wiener Mädel, sich ins Gespräch zu mischen.
„Ich bin noch bis Christi Himmelfahrt hier, dann holt mich mein Franz, und wir heiraten, weil er seinen Meister hat und den Laden von seinem Vater übernimmt“, plauderte sie munter drauflos. „Ich habe lieber mein eigenes Heim, egal, wie ärmlich, als nach der Pfeife einer feinen Dame zu tanzen.“
Eva glitt der Stoff aus den Händen. Ein paar andere Mädchen sogen lautstark die Luft ein.
„Annie!“, zischte eine kleine, bleiche Blondine, die bisher meist geschwiegen hatte. „Bis Christi Himmelfahrt sind es noch fünf Wochen. Wenn die Gräfin dich solche Sachen sagen hört …“
Emilia bemerkte die fremdartige Aussprache, die sich ein wenig von der Evas unterschied. In den ungarischen Regionen, aus denen Erzsébets Mädchen stammten, mussten unterschiedliche Sprachen gesprochen werden.
„Die Gräfin ist ausgegangen. Das hatte ich im ersten Augenblick ganz vergessen“, sagte Eva mit sichtlicher Erleichterung und nahm ihre Näharbeit wieder auf.
„Aber das Herzerl ist da“, flüsterte Annie, mit einem Schlag erbleicht. „Yveta, meinst du, sie hat mich gehört?“
Yveta, die blasse Blondine, schüttelte nach kurzem Überlegen den Kopf. „Die will mit gewöhnlichen Bediensteten nichts zu tun haben. Wahrscheinlich schleicht sie jetzt heimlich durch die Gemächer der Gräfin und wälzt sich auf deren Sesseln, um den Duft Ihrer Durchlaucht einzuatmen.“
Verhaltenes Gekicher erklang, dessen Bosheit ziemlich deutlich machte, wie die meisten der Mädchen zu dem Fräulein standen.
„Was hat es denn mit dieser Ilona auf sich?“, fragte Emilia, nun neugierig geworden. „Warum hält sie sich für etwas Besseres?“
„Weil sie von Adel ist“, erwiderte Annie sogleich.
„Nur ist ihre Familie ärmer als die meisten Handwerker“, fügte Eva hinzu. „Sie musste sich ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie auf den Festen der feinen Herrschaften Lieder sang, bis die Gräfin Báthory sie zu sich holte und zu ihrem liebsten Schoßhund machte.“
„Für etwas Besseres hält sie sich trotzdem“, kam es nun von Yveta.
„Ja, das ist mir aufgefallen“, nickte Emilia. „Sie ist sehr kühl und misstrauisch. Aber so, wie ihr redet, tut sie mir fast leid. Sie muss sich einsam fühlen, weil sie nicht genau weiß, wo sie hingehört.“
Wieder wurde es schlagartig still. Eva nähte emsig weiter. Yveta tuschelte in einer fremden Sprache mit der Näherin an ihrer Seite.
„Nimm dich bloß vor dem Herzerl in Acht“, sagte Annie leise zu Emilia. „Das ist eine falsche Schlange. Die hat schon genug von uns bei der Gräfin angeschwärzt. Und dich kann sie nicht leiden.“
Niemand fügte dem irgendetwas hinzu, was Emilia als allgemeine Zustimmung deutete. Sie wollte gerade fragen, was Ilona Hertz denn gegen sie haben konnte, denn eine gewisse Feindseligkeit war ihr auch schon aufgefallen. Doch gerade in dem Augenblick, da sie den Mund geöffnet hatte, ging auch die Tür des Raumes auf.
„Ich soll fragen, wie weit ihr schon seid“, erklärte Ilona Hertz. „Die Gräfin ist gerade eingetroffen. In drei Tagen hat sie eine weitere Einladung und würde gern das neue Gewand tragen.“
Sie warf einen erwartungsvollen Blick in die Runde. Emilia stand auf, sah sich die bereits zusammengenähten Teile an und lächelte dem Fräulein Hertz freundlich ins Gesicht.
„Ich denke, die erste Anprobe kann bereits stattfinden. Wenn alles passt, fangen wir gleich an, die endgültigen Nähte festzumachen und Verzierungen anzubringen. Mit der nötigen Anstrengung dürften wir auch rechtzeitig fertig werden.“
Ilona Hertz musterte sie kühl, beinahe abfällig.
„Ihr sollt fertig werden, also würde ich euch auch dazu raten, sonst ist die Gräfin ungehalten. Sie sagte übrigens, dass die erste Anprobe an mir stattfinden soll, da sie im Augenblick beschäftigt ist.“
Emilia biss sich auf die Lippen. Eine strenge, unnahbare Erzsébet Báthory wäre ihr lieber gewesen als das Herzerl mit seinem unauffällig versprühten Gift.
„Gut. Die Anprobe kann beginnen“, sagte sie mit gekünstelter Heiterkeit und erhielt dafür einen gequälten Blick von Ilona Hertz, die es offenbar nicht mochte, sich vor so vielen Blicken entkleiden zu müssen. Yveta löste mit sehr vorsichtigen Bewegungen die Verschnürungen ihres Mieders, zwei weitere Mädchen halfen, es ihr über den Kopf zu ziehen. Schließlich stand sie nur noch in einem dünnen Leibchen da und rieb sich die Arme, denn das Wetter war in den letzten Tagen abgekühlt. Fast nackt wirkte sie ungewohnt verletzlich, als sei ihr Hochmut nur eine Schutzschicht, mit der sie sich in einer frostigen Welt umgeben musste.
„Dauert es noch lange? Ihr dummen Gänse wisst genau, was euch blühen würde, wenn ihr die Gräfin so langsam ankleidet.“
Yveta, die das grüne Gewand herbeitrug, verzog unauffällig das Gesicht. Emilia sah, wie ihre Lippen sich bewegten, um wahrscheinlich nicht sehr freundliche Worte zu formen. Ilona hob nochmals die Arme, damit ihr das Gewand übergestreift werden konnte. Emilia trat einen Schritt näher, ungeduldig, das Ergebnis all der arbeitsamen Stunden endlich an einem Frauenkörper prüfen zu können. Da sah sie für den Bruchteil eines Atemzugs blaue und grüne Flecken an Ilonas Handgelenken, die sogleich in den spitzenbesetzten Manschetten der Ärmel verschwanden. Sie hatte kaum Zeit zu überlegen, woher diese Verletzungen stammen konnten, die sie an Spuren von Fesseln erinnert hatten, denn gleich darauf stand Ilona in dem neuen Gewand vor ihr, und alle anderen Mädchen formten einen Kreis von Bewundererinnen um sie. Das satte Grün passte zu ihrem tiefschwarzen Haar, die Bahnen aus Seide am Saum spiegelten diese Farbe wider, und die locker sitzende Haube vollendete ein Bild makelloser, weiblicher Anmut.
„Das ist … zauberhaft“, murmelte Ilona fassungslos, beinahe ehrfürchtig, als Emilia ihr einen großen Spiegel hinhielt. „Alle Damen, die Erzsébet darin sehen, werden vor Neid erblassen.“
Sie fuhr mit dem Handrücken über ihre Stirn. Emilia bemerkte eine weitere Verletzung ein Stück unterhalb ihres Daumens, die aber schon älter sein musste und zu vernarben begann.
„Wie kommt es, dass du so gut schneidern kannst?“, fragte Ilona Hertz mit ehrlichem Staunen. Angesichts des Lobs war Emilia bereit, ihr alle früheren Feindseligkeiten zu vergeben, und maß der eben gesichteten Wunde auch keine Bedeutung mehr bei.
„Ich denke, dass Gott der Herr mich geschaffen hat, damit ich Gewandschneiderin werde“, erwiderte sie. Obwohl sie lächelte, um ihre Worte weniger hochtrabend klingen zu lassen, war sie von tiefstem Herzen überzeugt, die Wahrheit zu sprechen.