Читать книгу Die Träume der Libussa / Die Ketzerin von Carcassone - Zwei Romane in einem Band - Tereza Vanek - Страница 13
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ОглавлениеDrei Wochen waren seit Thetkas Aufbruch nach Zabrusany vergangen. Inzwischen herrschte Morana als Todesgöttin über das Land. Sie bedeckte es mit einem kalten weißen Laken, unter dem jedes Leben erfror. Eisiger Wind blies um die Mauern der Festung. Niemand verließ mehr die Wärme der Feuerstellen, wenn es sich vermeiden ließ. Tageslicht war selten und kostbar geworden, denn es drang nur spärlich durch die Fensteröffnungen, die meist mit Tierfellen abgedeckt wurden, um die Kälte zu lindern. Fackeln konnten das Licht der Sonnengöttin Mokosch nicht ersetzen. Des Nachts, wenn Mokosch zur Gefährtin des Veles in der Unterwelt wurde, zur feuchten Mutter Erde, nahm die Kälte tödliche Ausmaße an. Die noch verbliebenen Gäste trafen sich abends im großen Saal, wo Met und gewürzter Wein die durchfrorenen Knochen wärmten. Klänge von Flöten und Schalmeien sorgten für Ablenkung. Sänger erzählten von Geistern und Vilas, wie die Geschichte jener Rusalka, die sich in einen Menschen verliebte und seinetwegen auf ihre Unsterblichkeit verzichtete, nur um am Ende verlassen zu werden. Manchmal sangen sie auch Lieder über die Taten des großen Samo, um die allgemeine Schwermut zu vertreiben. Essen wurde reichlich aufgetischt, denn Körperfülle war immer noch der beste Schutz gegen die todbringende Kälte.
Krok war noch nicht aus dem Land der Polanen zurückgekehrt. Der heftige Schneefall musste ihn aufgehalten haben. Radka hatte Chrasten gleich nach Thetkas Abreise verlassen, denn sie musste ihre Aufgaben als Fürstin der Lukaner erfüllen. Lecho und seine Krieger hielten sich noch in der Festung auf, was Libussa beruhigte. Weniger erfreulich fand sie die Anwesenheit Slavoniks, der ebenfalls meinte, im Ernstfall zur Stelle sein zu müssen. Er hatte sich mit den Zlicani-Kriegern angefreundet und ihr lärmendes Zechen füllte jeden Abend den großen Saal. Manchmal vertrieb er sich die Zeit auch durch Würfelspiele, wobei die Lemuzi-Brüder ihm gern Gesellschaft leisteten. Libussa war aufgefallen, dass er bei jeder Gelegenheit seine nackten Arme zur Schau stellte, auch wenn er deshalb sicher fror. Sie sollte die Tätowierungen des Kriegers sehen, die sich über seinen Muskeln spannten.
Ludmilla besuchte niemals den großen Saal. Sogar ihren Brüdern ging sie aus dem Weg. Kazi hatte ihre Wunden versorgt und anschließend gemeint, man solle sie beschäftigen, um sie von ihren Erinnerungen abzulenken. Deshalb hatte Libussa die Lemuzi-Tochter mit in die Webstube genommen und beobachtete, wie sich Ludmilla in ihre Arbeit versenkte. Seit ihrer Ankunft in Chrasten hatte sie kaum ein Wort gesprochen.
Ludmillas Finger waren fast so dünn wie jene Fäden, die sie spann. An ihren bleichen Händen waren die blauen Adern deutlich zu sehen. Sie arbeitete aufmerksam und schweigend, die Augen starr auf die sich drehende Spindel gerichtet. Libussa saß am Webstuhl und zog den letzten Faden durch das Gewebe. Der Umhang war fertig, aber sie wusste nicht, ob Premysl ihn jemals in Empfang nehmen würde. Auf einmal erklang Ludmillas Stimme, die durch Mangel an Gebrauch heiser geworden war: »Wünschst du dir manchmal, ein anderer Mensch zu sein?«
Libussa hörte das Klopfen ihres eigenen Herzens. Endlich sprach die Lemuzi-Tochter!
»Manchmal wünscht sich das wohl jeder. Warum fragst du?«, erwiderte sie.
»Weil ich es mir mein Leben lang jeden Tag gewünscht habe. Ich wollte eine Tochter sein, die ihrer Mutter gefällt. Aber das ist mir nicht gelungen. Tyr sagte mir aber, er musste meine Mutter töten, weil sie nicht damit einverstanden war, dass er mich zu seinem Weib machte. Also muss meine Mutter mich doch ein wenig geliebt haben, meinst du nicht?«
Libussa nickte.
»Ich hatte mein Leben lang Angst, ihr zu missfallen«, fuhr Ludmilla fort. »Niemals konnte ich es ihr recht machen. Sie fand ständig etwas an mir auszusetzen.«
»Dieses Gefühl kenne ich sehr gut«, erklärte Libussa. Sie dachte an die strengen, unzufriedenen Blicke der Fürstin Scharka, aber auch an Premysls verhärmte alte Mutter, deren Augen beim Anblick ihres Sohnes stolz aufleuchteten. Vielleicht war dies der Vorteil von Kindern, die ihre Eltern versorgten, anstatt stets von ihnen beaufsichtigt und behütet zu werden. Aber sie sah keinen Sinn darin, diesen Gedanken Ludmilla mitzuteilen.
»Ich bin mir sicher, dass deine Mutter dich von Herzen geliebt hat«, sagte Libussa nur. »Aber sie hat dich einfach nicht verstanden. Ihr wart zu verschieden.«
Kazi hatte Ludmilla mehrfach mit einem scheuen Vogel verglichen, den Olga durch Schreien und Schimpfen zähmen wollte. Doch auf diese Weise konnte es nicht gelingen. Vielleicht wollte Olga ihre Tochter durch Härte starkmachen. Sie war zu starrköpfig gewesen, um je zu begreifen, wo ihr Fehler lag. Jetzt, da Ludmilla endlich sprach, glaubte Libussa, der Vogel sei plötzlich auf ihren Finger geflattert. Sie hatte Angst, ihn wieder zu verschrecken.
»Sag mir, Libussa, hast du dich je gefragt, wer dein Vater ist?«, wollte Ludmilla jetzt wissen.
Sie musterte die Lemuzi-Tochter staunend. Woher kam ihr plötzlich dieser Gedanke? Väter waren doch nicht wichtig.
»Ich hatte immer Onkel Krok, der sich um mich kümmerte. Mein Vater muss eine flüchtige Liebschaft meiner Mutter gewesen sein. Ich habe mich nie mit ihm beschäftigt.«
»Vielleicht«, meinte Ludmilla leise, »wäre es anders gewesen, wenn du ihn je getroffen hättest. Man spürt, dass ein Mensch vom selben Blut ist. Bei anderen Völkern, den Christen vor allem, sind Väter wichtig. Sie haben angeblich die Sitten der Römer übernommen. Die Kinder wachsen beim Vater auf.«
»Nicht alle, wie ich gehört habe. Manche Väter erkennen ihren Nachwuchs nicht an. Dann sieht es übel für die Kinder aus und auch für deren Mütter.«
Libussa legte den fertigen Umhang zusammen und überlegte, ob sie Ludmilla vorschlagen sollte, diesmal mit in den großen Saal zu gehen. Das Mädchen schien seltsamen Gedanken nachzuhängen. Zu viel Einsamkeit konnte nicht heilsam sein nach so schrecklichen Erlebnissen. Warum zeigte sie keinerlei Neugierde, was in der Zwischenzeit geschehen war und wie man gegen Tyr vorgehen wollte?
»Ich habe meinen Vater manchmal getroffen«, spann Ludmilla ihre Gedanken weiter. Bei einer anderen Gesprächspartnerin hätte Libussa die Unterhaltung bald mit einer Entschuldigung beendet, denn sie fand, dass es nun wichtigere Dinge gab, über die man sich den Kopfzerbrechen sollte. Doch Ludmilla bedurfte zarterer Behandlung.
»Wer war dein Vater?«, fragte sie daher.
»Einer der Germanen. Er wollte als Druide ausgebildet werden, aber die meisten Druiden hatten unsere Gegend bereits verlassen. Deshalb zog er über die Berge nach Westen. Doch viele Jahre kehrte er noch manchmal hierher zurück und besuchte mich heimlich. Er fürchtete, meine Mutter durch sein Fortgehen zu sehr gekränkt zu haben, um noch in Zabrusany willkommen zu sein. Aber er traf sich mit mir außerhalb der Mauern. Es freute ihn, dass er eine Tochter hatte.«
Libussa nickte und merkte, dass sie allmählich doch neugierig wurde. Es passte gut zu Olga von den Lemuzi, einem Liebhaber die Tür zu weisen, weil sie für ihn nicht das Wichtigste im Leben war. Ludmillas Geschichte konnte durchaus der Wahrheit entsprechen.
»Und wie gefiel dir dein Vater?«
Ein zartes Lächeln erschien auf Ludmillas Gesicht. Sie sah beinahe glücklich aus.
»Er gefiel mir sehr. Ein sanfter, freundlicher Mensch. Er mochte mich so, wie ich war. Manchmal spielte er mir wunderschöne Melodien auf der Harfe vor. Er versprach, auch mir den Umgang mit diesem Instrument beizubringen, wenn ich alt genug wäre. An seiner Seite spürte ich sofort, dass wir vom selben Blut waren. Bei meiner Mutter oder meinen Brüdern hatte ich nie dieses Gefühl.«
Gegen ihren Willen und alle Überzeugung begann Libussa allmählich zu begreifen. Dieser Mann hatte Ludmillas zartes Wesen verstanden. Vom selben Blut. Das waren auch die Väter.
»Und wo ist er jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Er ging noch weiter fort, auf eine Insel, wo es viele Druiden geben soll. Die Letzten auf dieser Welt. Aber das war weit weg. Er verabschiedete sich von mir und sagte, er würde nicht mehr kommen können. Ich flehte ihn an, mich mitzunehmen, aber er meinte, ich hätte hier ein Leben als Fürstin vor mir, das er mir nicht nehmen wollte.«
Ludmilla hatte bekümmert den Kopf gesenkt. Sie klang wie ein enttäuschtes, von ihrem Liebhaber im Stich gelassenes Mädchen. Dabei war all das schon so lange her!
»Nun, er hat eben seine Entscheidung getroffen«, warf Libussa energisch ein. »Es hat keinen Sinn, ihm nachzutrauern. Du hast hier in der Tat eine Zukunft vor dir. Wenn Tyr erst einmal gestürzt ist, wirst du wirklich Fürstin der Lemuzi.«
Sie staunte über den zuversichtlichen Klang ihrer Stimme. Seit Wochen war keine Nachricht von Thetka gekommen. Aber Tyr musste besiegt werden. An eine andere Möglichkeit wollte sie gar nicht denken, es wäre zu schrecklich, zu unfassbar, wenn die vertraute Ordnung nicht mehr aufrechterhalten werden könnte.
Ludmilla wickelte das gesponnene Flachsgarn nachdenklich zu einem Knäuel.
»Das will ich aber nicht«, sagte sie nach einer Weile. Ihre Stimme klang dabei entschiedener als sonst.
»Was willst du nicht? Dass Tyr gestürzt wird? Das kann doch nicht dein Ernst sein?«
Ludmilla richtete ihre großen dunklen Augen auf Libussas Gesicht.
»Es ist mir gleich, was mit Tyr geschieht. Aber ich will nicht Fürstin der Lemuzi werden. Niemals.«
Libussa tat einen tiefen Seufzer. Die Erziehung langer Jahre bäumte sich in ihr auf.
»Es geht nicht nur um das, was du willst. Deine Aufgabe wurde dir von den Göttern auferlegt. Du bist die Mutter deines Landes. Es ist deine Pflicht, für das Wohl deiner Leute zu sorgen, und ich weiß, du kannst es. Viel besser als deine selbstsüchtige Mutter oder deine hitzköpfigen, hochmütigen Brüder. Lerne, dir selbst zu vertrauen, Ludmilla. Du hast es allein geschafft, vor Tyr zu fliehen, was dir offen gesagt niemand zugetraut hat. Meinst du nicht, dass auch ich schreckliche Angst vor dem Versagen habe? Aber niemand fragt nach meinen Wünschen. Ich muss tun, was mir bestimmt ist.«
Zu ihrem Befremden lächelte Ludmilla nur. »Wie überzeugt du immer von allem warst, Libussa. Der Dienst an den Göttern, die alten Sitten, unsere heiligen Traditionen. Früher einmal habe ich dich um diese Fähigkeit zu glauben beneidet. Aber durch Tyr habe ich einiges gelernt, weißt du. Die Dinge bleiben nie so, wie sie früher waren. Alles ist im Wandel. Männer wie Tyr gibt es zuhauf. Sie schießen aus dem Boden wie Unkraut. Und wenn wir weiter als unbemannte Landesmütter auf unseren Festungen sitzen, dann stürzen sie sich auf uns, um so die Macht an sich zu reißen.«
»Dann müssen wir uns eben gegen diese Männer wehren!« Libussa packte den Umhang in eine Kiste, deren Deckel sie laut zuknallen ließ. Wie konnte dieses zarte Vögelchen sie so wütend machen?
»Als die Kelten mich zu Premysl brachten, da verbarg er mich unter dem Boden der Hütte. Dort lagern die Bauern manchmal ihre Vorräte, die sie vor meinen Brüdern verstecken wollen. Ich lag in einem mit Brettern zugedeckten Loch in der Erde. Es gab nur eine winzige Öffnung, durch die ich atmen konnte. Vorher hatte er meine Kleidung verbrannt und meinen Körper mit Salben der Kelten eingerieben, damit ich anders roch. Wegen Tyrs Spürhunden, verstehst du. Ich weiß nicht, wie viele Tage ich im Dunkeln zubrachte, ohne mich bewegen zu können. Nur mitten in der Nacht durfte ich kurz hinaus, um zu trinken und zu essen.«
Libussas Wut schwand. Kazi hatte ihr diese Geschichte bereits erzählt. Bei ihrem Sprung aus dem Fenster ihrer Kammer hatte Ludmilla sich den linken Fuß gebrochen. Die Knochen wuchsen nicht richtig zusammen, vermutlich auch eine Folge des langen Liegens in einer unnatürlichen Haltung. Es bestand die Gefahr, dass Ludmilla bis an ihr Lebensende humpeln würde.
»Einmal, da kamen Tyrs Männer in die Hütte. Ich hörte ihr Brüllen und das Stampfen ihrer Stiefel. Premysl hatte das Loch abgedeckt und noch Erde über die Bretter geschüttet, als er merkte, dass die Suchtrupps anrückten. Ich fürchtete zu ersticken. Seine Schwester schrie. Ich glaube, die Männer haben sie geschlagen, weil sie nicht begriff, was vor sich ging, und sich deshalb falsch verhielt. Jeden Lidschlag lang rechnete ich damit, dass sie mich aus dem Versteck zerren würden. Ich schwor mir damals, sollte ich diese Gefahr überleben, dann würde es in meinem Leben nur noch darum gehen, was ich selbst mir wünsche.«
Libussa verstand, ohne es zu wollen. Vielleicht hatten die Götter Ludmilla gerettet. Aber warum schickten eben diese Götter ihr Tyr? Der Schrecken schien das Mädchen stärker gemacht zu haben. Dann war ihre neue Entschlossenheit allerdings auch eine Folge göttlicher Fügungen.
»Und was wünschst du dir, Ludmilla?«
»Ich möchte meinen Vater suchen. Ich will zu ihm, dem einzigen Menschen, der mich liebte, so wie ich bin.«
Libussa sank wieder auf ihren Schemel. Sie hatte plötzlich den Wunsch, Ludmilla zu umarmen, wagte es aber nicht.
»Dein Vater ging vor vielen Jahren fort. Du weißt nicht, wo er ist«, meinte sie nur.
»Es kann nicht mehr viele Zentren der Druiden geben in einer Welt, die von Christen beherrscht wird. Ich werde mich durchfragen.«
»Aber das kann gefährlich sein. Wie willst du allein reisen?«
Ludmilla stand langsam auf.
»Ich habe bereits mit meinen Brüdern gesprochen. Wenn ich ihnen die Herrschaft über Zabrusany lasse, dann geben sie mir den Schmuck unserer Mutter. Damit kann ich eine Weile überleben. Vielleicht finden sich ein oder zwei treue Krieger, die mich begleiten. Ich reise los, sobald deine Schwester Thetka aus Zabrusany zurückkommt. Egal, wie es ausgeht. Auch wenn ich den Schmuck nicht bekommen sollte, weil Tyr gewinnt. Ich will zu meinem Vater.«
Libussa begann zu überlegen, was sie Ludmilla in diesem Fall an Wertgegenständen mitgeben könnte. Und welche Krieger mit auf die Reise gehen würden. Es gab einige junge Männer, die für ein Abenteuer in der Fremde vielleicht zu begeistern waren. Dann schlich sich ein unschöner Gedanke in ihren Kopf, und sie zwang sich, ihn auszusprechen.
»Dein Vater ging vor vielen Jahren fort. Was ist, wenn er dich nicht mehr bei sich haben will?«
Zu ihrem Erstaunen kam Ludmilla auf sie zu und strich ihr mit der Hand über die Wange.
»Du machst dir um jeden Sorgen«, sagte sie sanft. »Das hältst du wohl für deine Pflicht, jetzt, da du Fürstin bist. Aber ich weiß, dass mir so etwas geschehen kann. Dann habe ich es wenigstens versucht und sehe, woran ich bin. Libussa, Premysl sprach manchmal mit mir, als ich allein im Dunkeln lag. Er wollte mich ablenken. Deshalb erzählte er mir von dir. Dass du zu ihm gekommen bist, ohne deinen Namen zu nennen. Und wie es zu diesem Zwischenfall im Wald kam, wo du gekämpft hast, um ihm zu helfen. Er liebt dich. Du hast mehr Glück, als du ahnst, denn er ist kein Mann wie Tyr. Komme nie auf den Gedanken, du müsstest aus Pflichtgefühl auf ihn verzichten. Ganz gleich, was man dir erzählt. Und jetzt lass mich allein. Geh zurück in den großen Saal zu den Kriegern, wie du es als Fürstin tun solltest. Ich lege keinen Wert auf die Gesellschaft dieser Männer. Bitte verzeih mir, aber ich möchte mich zurückziehen.«
Ihre schmale Gestalt verschwand aus dem Raum. Libussa blieb eine Weile regungslos sitzen. Er liebt dich, hatte Ludmilla gesagt. Premysl hatte mit Olgas Tochter über sie gesprochen. Ihr letzter Zweifel an seinen Gefühlen schwand, und sie schämte sich, bei seinem kurzen Besuch in Chrasten so kalt, so zornig gewesen zu sein. Sobald Tyr gestürzt war, würde er zu ihr kommen. Der Augenblick des Glücks war berauschend, auch wenn bald darauf wieder quälende Unsicherheit einsetzte. Wie war es Thetka wohl in der Zwischenzeit ergangen? Bestand Hoffnung, dass bald wieder Frieden einkehrte, so dass die Schwester zusammen mit Premysl nach Chrasten kommen konnte? Lange war es Libussa gelungen, die Angst vor einer Niederlage gegen Tyr aus ihrem Denken zu verbannen, aber nun wurde sie von ihr überfallen wie von einem wilden Tier. Erst die Erinnerung an ihre Aufgaben half ihr, sich zusammenzureißen. Sie machte sich auf den Weg in den großen Saal. Die meisten Leute mussten bereits dort versammelt sein, denn es war still und dunkel im Gang. Sie trug ihre Fackel vor sich her, deren Licht die Wände erhellte. Die Schatten schienen vor ihren Augen zu tanzen, drehten sich im Kreis und sprangen herum. Ihr war schwindelig, als das Bild vor ihr auftauchte.
Eine Frau mittleren Alters, deren Gesicht sehr deutlich die Züge Ludmillas trug, kniete auf dem Boden eines großen hellen Raumes. Sie war ganz in ein pechschwarzes Gewand gehüllt, das selbst ihren Kopf verbarg. Nur ihr Gesicht war von weißem Tuch eingerahmt, so dass Kinn und Nase deutlich hervorstachen. Auch erwachsene Frauen der Behaimen trugen Kopfbedeckungen, doch waren diese entsprechend ihrem Rang verziert und mit silbernen Ketten um die Stirn zusammengebunden. Die Kleidung dieser Frau jedoch entbehrte jeden Schmucks. Sie war von einer schlichten, kalten Strenge. Vor der knienden Gestalt hing ein hölzernes Kreuz an der Wand, auf dem die Figur eines Mannes sich in Todesqualen wand. Die Augen der Frau waren auf die Holzfigur gerichtet und leuchteten vor Hingabe. Sie hatte ihre gefalteten Hände an ihr Kinn gepresst und murmelte leise Worte in einer unverständlichen Sprache. Ihr Blick war der eines verzückten Mädchens angesichts des Geliebten.
Stimmen holten Libussa in die Gegenwart zurück. Im großen Saal musste man bereits aufgetischt haben, die Spiele und der Gesang hatten begonnen. Aufweichen Knien ging sie weiter. Es war ihr schon lange nicht mehr geschehen, dass derartige Bilder sie so deutlich heimsuchten. Und warum sollte Ludmilla Christin werden? Das ergab keinen Sinn. Libussa schüttelte die Erinnerung an die Gestalt in den dunklen Kleidern ab wie ein unbequemes Kleidungsstück, um sich ganz ihren Gästen zu widmen.
Kurz vor dem Korochun-Fest, bei dem die Wiedergeburt des Gottes Jarilo gefeiert wurde, erschien ein Bote aus dem Land der Polanen und brachte Nachrichten von Krok. Der Stammesführer war nach dem Erhalt von Libussas Nachricht über Tyrs Machtergreifung sofort aufgebrochen, obwohl er bereits an einem Fieber litt. Der schnelle Ritt durch den Schnee, bei dem er sich kaum Schlaf gönnte, hatte seinen Zustand verschlimmert. Schließlich zitterte er ohne Unterlass und begann, wirr zu reden. Da er sich nicht mehr auf dem Pferd halten konnte, zogen einige seiner Krieger los, um Hilfe zu suchen. Zum Glück stießen sie schon bald auf eine Festung, wo der Stammesführer aufgenommen und gepflegt wurde. Lange war sein Zustand ernst gewesen, doch mittlerweile schien er außer Gefahr, wenn auch sehr geschwächt. Die dortige Heilerin wollte ihn nicht ziehen lassen. Libussa gab dem durchfrorenen Boten einige Tage Zeit, sich auszuruhen, aber dann schickte sie ihn wieder zu Krok, um dem Stammesführer auszurichten, Tyr sei bereits so gut wie geschlagen. Der Onkel sollte seine Krankheit ausheilen, bevor er die Reise fortsetzte. Sie hasste Lügen, doch wem würde es nützen, wenn Krok sich auf dem Weg nach Chrasten den Tod holte?
Indessen begann sie mit den Vorbereitungen für das Korochun-Fest. Essen und Getränke mussten ausreichend zur Verfügung stehen, da die Zahl der Gäste bei dieser Gelegenheit wohl noch ansteigen würde. Falls das Wetter es nur irgendwie zuließ, war mit der Anwesenheit aller fürstlichen Clans zu rechnen. Die Schamanen halfen ihr beim Lernen aller Gesänge und Gebetssprüche. Gefolgt von diesen auserwählten Männern des Volkes, würde sie zu der Statue des doppelköpfigen Veles schreiten, um ihren Dank für sein erfolgreiches Werben um die Göttin Mokosch zu zeigen. Indem Veles, der Gott der feuchten, kalten Unterwelt, die Sonnengöttin in sein Reich lockte und zusammen mit ihr Jarilo zeugte, vollzog sich der jährliche Wandel der Natur. Jarilo brachte die Erdgöttin Morana, die im Winter zur unfruchtbaren Greisin geworden war, zu neuem Erblühen. Durch ihn kam der Frühling in das von Eiseskälte geplagte Land. Sobald die Tage lang und heiß wurden, feierten Jarilo und Morana die heilige Hochzeit beim Kupala-Fest, was eine gute Ernte ermöglichte. Morana war ebenfalls ein Kind der Sonnengöttin, doch war sie mit dem Himmelsgott Perun gezeugt worden. Beide Götter, der Herr des Himmels und der Herr der Unterwelt, stritten um die Gunst der strahlenden Mokosch, die sich bei Tagesanbruch Perun und in der Abenddämmerung Veles zuwandte. Erst die Vereinigung der Nachkommen dieser zwei mächtigen männlichen Götter konnte Frieden über das Land bringen, Ruhe vor Donner und Sturm, bis zu dem Augenblick, da Morana Jarilo tötete und dadurch wieder in die Unterwelt verstieß. Dann verwandelte sie sich erneut zur Todesgöttin. Der Winter kam ins Land. Dies war der ewige Kreislauf, der die Welt zusammenhielt, fest und unabänderlich, so wie die alten Sitten von Libussas Volk. Diesmal erleichterte es sie, ihre Aufgaben als Hohe Priesterin zu erfüllen, Teil eines Ganzen zu sein, das seit Menschengedenken Bestand hatte. Wie sollte Tyr, ein einziger Mann, es schaffen, eine uralte Ordnung aus den Angeln zu heben, die auch Olgas Familie zu den Fürsten der Lemuzi gemacht hatte? Jetzt hatte er nicht einmal mehr Ludmilla in seiner Gewalt, die seine Herrschaft hätte legitimieren können.
In schwere Felle gehüllt stand Libussa vor dem Schrein, sprach ihre Gebete und tötete die Opfertiere. Der Wind blies eisig über den Hügel. Auch die hölzerne Umzäunung des Schreins vermochte ihn kaum aufzuhalten. Sie wusste, dass alle Anwesenden ihr dankbar sein würden, wenn sie die Zeremonie schnell vollzog.
Danach begann das Fest auf Chrasten. Radka von den Lukanern saß wieder mit an der großen Tafel und beteiligte sich an den Würfelspielen. Lecho wich nicht von Irinas Seite, und die Leitmeritzer-Fürstin blickte zwar mürrisch drein, schwieg aber. Libussas Zurechtweisung musste Wirkung gezeigt haben. Im Hintergrund erklang das laute Lachen der Krieger, die mit den Mägden schäkerten. Es schien, als versuchten alle, die unsichere Lage einen Abend lang zu vergessen. Mit jedem leeren Krug von Met oder Wein wurde der Gesang vieler Anwesender lauter und unmelodischer.
Libussa spürte irgendwann wieder das bekannte Stechen hinter ihren Augen. Sie hätte sich gern zurückgezogen, bevor der Kopfschmerz sie endgültig überwältigte, aber es wäre ein Bruch mit den guten Sitten gewesen, ihre Gäste jetzt allein zu lassen.
»Hast du Neuigkeiten von deiner Schwester Thetka, Fürstin Libussa?«, vernahm sie plötzlich die Stimme Hostivits von den Zlicani. Seufzend wandte sie sich ihm zu. Warum musste er sie während des Fests mit einer so unangenehmen Frage behelligen?
»Nein, aber der Schnee macht es ihr sicher unmöglich zu reisen. Sobald Jarilo Morana zu neuem Leben erweckt, wird sicher ein Bote aus Zabrusany eintreffen«, erwiderte sie so überzeugt wie möglich.
»Was ist, wenn deine Schwester nicht wiederkehrt? Wenn sie bereits in Tyrs Gewalt oder gar tot ist? Der Frühling kann auch Krieger aus Zabrusany nach Chrasten bringen. Solange Schnee liegt, kommen die Mähren Tyr nicht zu Hilfe. Das müssen wir ausnützen.«
Sie nickte und nahm einen weiteren Schluck Wein.
»Sollten die Mähren in unserem Land auftauchen, um Tyr zu helfen, müssen wir ihnen nur sagen, dass die rechtmäßige Fürstin der Lemuzi bei uns ist und nichts von Tyr wissen will. Dann hat er keinerlei Ansprüche auf Zabrusany. Auch die Mähren kennen unsere alten Sitten. Ludmilla ist die rechtmäßige Nachfolgerin. Nur als ihr anerkannter Gefährte könnte Tyr von Bedeutung sein.«
Hostivit von den Zlicani widersprach nicht, doch sie konnte Zweifel in seinem Blick erkennen. Jene Gedanken, die auch sie selbst manchmal plagten. Was, wenn es den Mähren nicht auf rechtmäßige Nachfolge ankam, weil Tyr sie durch Versprechungen für sich gewonnen hatte?
Sie beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Hatte ihr die Priesterin der Kelten damals nicht gesagt, wie wichtig es sei, das Warten zu lernen? Im Augenblick schien es ihr die schwerste Prüfung, die ihr von den Göttern je auferlegt worden war.
Sie merkte, wie ihr die Augen zufielen, und schüttelte sich. Vielleicht sollte sie an dem Würfelspiel teilnehmen, um sich abzulenken, aber sie hatte nie Freude daran gefunden und außerdem hätte sie sich dann in Slavoniks Nähe begeben müssen. In letzter Zeit saß er sehr oft mit den Lemuzi-Brüdern zusammen und sie führten angeregte Gespräche.
Libussa drohte endgültig einzunicken, da hörte sie den Ruf des Dieners. »Herrin, deine Schwester ist hier.«
Sie zwang sich, ihren müden Blick durch den Saal schweifen zu lassen. Kazi hatte offenbar den Vorzug, dass sie keine öffentliche Rolle einnahm, ausgenutzt und war wieder zu ihren Tieren verschwunden, denn sie mochte die Gegenwart allzu vieler Gäste nicht. War sie auf einmal zurückgekommen? Aber warum wurde sie dann angekündigt?
Wieder schob sich ein Bild vor Libussas Augen. Sie sah die Klinge eines Messers in eine menschliche Kehle schneiden wie bei einem Tier, das geschlachtet wurde. Blut sprudelte hervor, wuchs zu einem reißenden Fluss heran, bis sie fürchtete, in ihm zu ertrinken. Das eben verzehrte Essen stieg widerspenstig in ihrer Kehle hoch, sie würgte, bis das Rot um sie herum plötzlich wieder verschwand.
Als Libussa den Saal erneut wahrnehmen konnte, stand Thetka in ihrer ganzen Größe vor ihr. Sie trug ein buntes üppig verziertes Gewand, das einmal Olga von den Lemuzi gehört hatte. Ein Gürtel, an dem ihr Dolch hing, hielt es zusammen, doch es saß immer noch lose an ihrem Körper. Libussa ahnte, dass ihre Schwester in Zabrusany nichts Besseres zum Anziehen für den großen Auftritt gefunden hatte. Und diesen Augenblick hatte sie ganz bewusst gewählt. Das Korochun-Fest, bei dem alle fürstlichen Clans versammelt waren.
Eine Gruppe von Kriegern stand hinter Thetka. Die drei Vertrauten, die mit ihr losgezogen waren. Doch im Hintergrund erkannte Libussa Vojmir, einen der Angreifer aus dem Wald. Er trug gemeinsam mit einem anderen Mann eine Bahre. Die Gruppe baute sich triumphierend vor den Gästen auf.
»Tyr ist tot. Wir bringen seinen Leichnam«, verkündete Thetka mit lauter Stimme.
Die Bahre wurde in die Mitte des Saales gebracht und Libussa schauderte. Tyr war jener Mensch, der wie ein Tier geschlachtet worden war. Mit halb aufgerissenem Mund lag der Nordmann in seinem Blut. Entsetzt und angewidert wandte sie sich von diesem Anblick ab. War das der Preis ihres Sieges? Konnte sie die alte Ordnung nicht wahren, ohne zu morden?
Das Jubeln der Gäste tat ihren Ohren weh. Sie sah, wie Thetka ihre Arme in die Höhe hob. Rufe der Freude und Anerkennung hallten durch den Saal.
»Ich kam zu ihm als Gesandte. Mir fiel sofort auf, dass ich ihm gefiel. Also ließ ich ihn nach mir lechzen.«
Gelächter und Klatschen machten sich breit. Thetka schwang ihre Hüften. »Ich habe ihm allerhand versprochen. Dass er mein Gefährte werden könnte und wie wir gemeinsam herrschen würden. Aber grobschlächtige Männer gefallen mir nicht. Also sah ich mich anderweitig um. Es fand sich ein Krieger nach meinem Geschmack.«
Sie streckte die Hand aus und ein großer muskulöser Mann aus ihrem Gefolge trat vor. Sein Haar schien so weiß wie das eines Greises, aber er musste jünger sein als Thetka, denn er hatte ein knabenhaftes, unfertiges Gesicht. An seinen Augen fehlten scheinbar die Wimpern, doch vermutlich waren sie nur so blass wie seine Augenbrauen und deshalb nicht zu sehen. Libussa dachte an die Fuchsfelle aus dem Land des ewigen Frosts. Waren auch die Menschen dort silbrigweiß?
»Das ist Eric! Zusammen mit ihm schaffte ich den Unruhestifter aus dem Weg.« Mit einer besitzergreifenden Geste zog Thetka den Jungen an sich heran. Er grinste. Seine Lage schien ihm nicht zu missfallen, denn er musterte seine Begleiterin mit leuchtenden Augen.
Thetka ließ sich an ihrem angestammten Platz nieder, wo die anwesenden Gäste sie sogleich umringten. Libussa lauschte der stolzen Stimme ihrer Schwester, die ihre Geschichte nun nochmals ausführlicher schilderte: »Kurz nachdem ich ankam, begannen die heftigen Schneefälle. Das war gut, denn ich hatte einen Grund, länger zu bleiben. Ich gab vor, Tyr unsere Sitten und Bräuche erklären zu wollen, die er als neuer Stammesfürst natürlich kennen sollte. Er hörte zu und dachte, er könne mich so täuschen, aber mir waren seine lüsternen Blicke aufgefallen. Ich machte ihn heiß und ließ ihn zappeln.«
Es erleichterte Libussa, dass Ludmilla nicht im Raum war, um sich diese Geschichte anhören zu müssen. Jener Mann, unter dessen wuchtigem Körper sie hilflos gelegen hatte, war angeblich von den Verführungskünsten einer anderen Frau umgarnt und zum Narren gehalten worden.
»Indessen hörte ich mich um«, fuhr Thetka fort. »Verbündete waren schnell gefunden, denn Tyr verstand es nicht, sich beliebt zu machen. Der Geschickteste und Mutigste von ihnen war Eric, der seinen grausamen Herrn ins Totenreich schickte!«
Wieder ertönten Jubelschreie. Das Gesicht des Knaben färbte sich dunkelrot und er grinste verlegen. Dabei musterte er Thetka, als sei sie ein kostbares Geschenk der Götter. Wie es gerade ihm zugefallen sein konnte, vermochte er wohl nicht ganz zu verstehen.
Bis zum Morgengrauen dauerte die Feier von Thetkas siegreicher Heimkehr, und die Mägde mussten immer wieder neue Krüge anschleppen. Nach einer Weile gab Libussa den Befehl, man möge Tyrs Leichnam aus dem Saal schaffen. Sie wollte ihn verbrennen lassen, um seine Seele zu befreien. Kvetas Schauergeschichten über wiederauferstandene herumirrende Tote, welche die Lebenden plagten, hatten ihre Wirkung hinterlassen. War auch der Gottessohn der Christen ein solcher Fall gewesen, als er seinen Anhängern nach einem qualvollen Tod wieder erschien?
Schließlich waren die meisten Gäste entweder schlafen gegangen oder an der Tafel eingenickt. Thetka hatte sich von den Mägden Brot und Schinken bringen lassen. An Erics Schulter gelehnt verzehrte sie genüsslich ihr Morgenmahl. Libussa setzte sich an ihre Seite. »Ich danke dir, Schwester. Du hast uns von einer großen Gefahr befreit.«
Zum ersten Mal seit Wochen entbehrte Thetkas Blick jeder Feindseligkeit. Sie hatte ihren Triumph gehabt und schien mit dem Schicksal versöhnt.
»So groß war sie vielleicht gar nicht«, meinte sie schulterzuckend. »Ich glaube, das mit den Mähren hatte Tyr sich ausgedacht, um uns einzuschüchtern. Er war ein Fremdling und ein Abenteurer. Eric erzählte mir, seine eigenen Leute hätten ihn verbannt, weil er immer wieder gegen ihre Gesetze verstieß. Warum hätten die Mähren einem wie ihm vertrauen sollen?«
»Trotzdem hast du dein Leben aufs Spiel gesetzt. Sag mir, Thetka, hattest du wirklich keine Angst, derart mit Tyr zu spielen?«
Ein spöttisches Grinsen erschien auf den Lippen der Schwester. »Ich will dir einmal etwas verraten, du gutgläubiges Geschöpf. Ich hatte fürchterliche Angst. Aber ich verhielt mich wie ein Krieger. Ich unterdrückte sie. Und manchmal, da war die Gefahr richtig aufregend.« Sie biss genüsslich in ihr Brot.
»Ich selbst hätte mich niemals so verhalten können. Es ist gut, dich an meiner Seite zu wissen.«
Die Freude, die sie über ihre Versöhnung mit Thetka empfand, musste ihr aus den Augen gesprochen haben, denn eine Weile wirkte die ältere Schwester verlegen.
»Nun lass gut sein, Libussa. Du willst wissen, was mit deinem Bauern ist, nicht wahr? Schließlich habe ich ja gesehen, wie er vor allen Leuten dein Händchen tätschelte. Ich hätte ihn dafür umarmen können, denn Slavonik blickte drein, als hätte ihm jemand die Suppe versalzen.«
Sie kicherte. Libussa saß völlig regungslos. Sie hatte nicht gewagt, gleich zu fragen, denn Thetka hätte wütend werden können, da ihr das Thema unwichtig erschien. Die Schwester schien sie viel besser zu kennen, als sie angenommen hatte.
»Nun, was ist mit Premysl?«, flüsterte Libussa.
»Also«, begann Thetka nach einem kurzen Schweigen, »zunächst sah es ziemlich übel für ihn aus. In der Nacht, als er zu uns kam, hatte Tyr wieder Suchtrupps losgeschickt. Die Spürhunde mussten Ludmillas Geruch schließlich gewittert haben, denn Tyrs Männer drangen in Premysls Hütte ein und stellten dort alles auf den Kopf. Dummerweise entdeckten sie auch ein Loch im Boden, das groß genug war, ein Mädchen darin zu verstecken. Dann prügelten sie die alte Frau, doch sie sagte ihnen nichts. Sie hörten nicht auf, sie zu schlagen, bis sie sich irgendwann nicht mehr rührte.«
Thetka verstummte einen Augenblick und wich Libussas Blick aus.
»Die Tochter, na ja, von der konnten sie natürlich nichts erfahren. Angeblich wollten sie sie auch nicht töten. Sie versuchte aber wegzulaufen. Dabei stürzte sie unglücklich und fiel mit dem Kopf auf einen Stein. So hat Eric es mir erzählt. Er beschloss übrigens in genau dieser Nacht, sich von Tyr abzuwenden, da es ihm der Gewalt zu viel wurde. Er ist ein netter Junge, das musst du mir glauben.«
Libussa nickte. Ihr Kopf fühlte sich an wie von Nägeln durchbohrt. Premysls Familie war wirklich in Gefahr gewesen, während sie geglaubt hatte, er suche nur eine Entschuldigung, um möglichst schnell wieder abreisen zu können!
»Als Premysl zurückkam, da warteten sie schon auf ihn«, unterbrach Thetka diese Gedanken. »Sie schleppten ihn nach Zabrusany. Dort verfuhren sie mit ihm wie mit seiner Mutter. Auch er verriet ihnen nichts. Es war sein Glück, dass ich selbst bald in der Festung auftauchte. Ich erwähnte natürlich nicht, dass Ludmilla inzwischen in Chrasten war. Außerdem deutete ich an, dass du wohl eine ziemliche Schwäche für diesen Bauernjungen hast. Und da Tyr kein völliger Dummkopf war, ließ er ihn leben, um so ein Druckmittel gegen dich in der Hand zu haben. Premysl durfte aber die Festung nicht verlassen, was übrigens ein Vorteil für mich war. Dein Bauer ist ein schlaues Kerlchen. Er half mir, indem er mir die Namen jener Krieger verriet, die mit Tyrs Herrschaft am unzufriedensten schienen. Schließlich ließ er ein Schlafmittel in die Festung schmuggeln, das angeblich irgendwelche keltischen Freunde von ihm gebraut hatten. Nur so konnten wir den bärenstarken Tyr aus dem Weg räumen. Eric hätte es niemals geschafft, ihn zu töten, wäre er bei Bewusstsein gewesen.«
Also war eigentlich Premysl der Held, überlegte Libussa. Eric hatte lediglich einem schlafenden Mann die Kehle durchgeschnitten. Sie verspürte Bitterkeit, aber sie wusste auch, wie Premysl es gehasst hätte, im großen Saal angestarrt und bejubelt zu werden. Er hatte wenigstens eine Gelegenheit gefunden, seine Familie zu rächen, doch nun war er allein. Hatte er damals, als er Ludmilla brachte, spüren können, wie sehr auch Libussa selbst ihm misstraute?
»So, und jetzt lass mich raten, was du noch wissen möchtest.« Thetka nahm einen weiteren Schluck Met. Sie hatte wohl schon sehr viel davon getrunken, denn sie lallte etwas beim Reden.
»Du möchtest wissen, warum dein Bauernjunge nicht meinem Gefolge hinterherlief, um so schnell wie möglich bei dir zu sein.«
Libussa ahnte, warum er es nicht getan hatte. Er war verletzt gewesen über ihr kühles, abweisendes Verhalten bei seinem Fortgehen.
»Ich kann dir drei gute Gründe nennen«, fuhr Thetka fort. »Zunächst einmal ist er nach all diesen Vorfällen auf Tyrs Krieger nicht gut zu sprechen, auch wenn sie jetzt die Seiten gewechselt haben. Warum ihnen also folgen wie ein Hündchen? Zweitens hat er mitbekommen, dass du Fürstin bist. Und drittens ist er ein Bauer, der sich Lumpen um die Füße wickeln muss, da er keine Stiefel besitzt. Also an seiner Stelle käme ich auch nicht bei dir angerannt, ohne mich vorher wenigstens vorteilhafter anziehen zu können.«
Libussa hörte sich lachen, trotz ihrer Tränen. Sie hatte vergessen, wie befreiend Thetkas Gegenwart sein konnte. Thetka legte ihr einen kurzen Augenblick den Zeigefinger auf die Hand. »Du bist schon ein seltsames Geschöpf, Libussa. Siehst deine eigenen Vorteile nicht. Unsere Mutter verstand, mit Männern umzugehen, und ich glaube langsam, dass ich es von ihr gelernt habe. Aber du vernarrst dich in einen Bauern, obwohl der unwiderstehliche Slavonik dich anschmachtet, und nun sitzt du da wie das ewige Leiden. Natürlich wagt er es nicht, sich dir jetzt aufzudrängen. Aber jeder damals im großen Saal hat gemerkt, wie er dich ansah. Reiche ihm einen Finger deiner zarten Hand und er wird fester zupacken, als du dir denken kannst. Bauern sollen ja einen kräftigen Griff haben, aber das kannst du mittlerweile sicher besser beurteilen. Wie du das Onkel Krok schmackhaft machst, sei dir überlassen.«
Thetkas einfache Sicht der Dinge war befreiend. Libussa hatte das Gefühl, als sähe sie in einem finsteren Raum plötzlich einen Fackelschein. »Du meinst, ich soll zu ihm gehen?«
»Ja, aber nicht jetzt gleich, Schwesterchen. Vergiss nicht, dass du Fürstin bist. Gerade erst wurde ein gefährlicher Feind geschlagen. Du musst diesen Sieg gebührend feiern. Wenn du gleich davonläufst, um dich irgendeinem Bauernjungen in die Arme zu stürzen, machst du dich lächerlich. Und es hat noch keinem Mann geschadet, eine Weile auf sein Mädchen zu warten.«
Libussa lachte nochmals. Am liebsten wäre sie auf der Stelle abgereist, aber sie erkannte die Wahrheit in den Worten ihrer Schwester. Eine Fürstin hatte ihre Pflichten.
»Lass uns zu Bett gehen, Thetka, sonst schlafen wir hier im Sitzen ein. Wecke deinen Eric, und wir gehen auf unsere Kammern.«
Eric folgte ihnen schlaftrunken. Auch Thetka fiel es mittlerweile schwer, gerade zu gehen. »Weißt du, kleine Schwester«, lallte sie, »eigentlich bin ich ganz froh, nicht selbst Fürstin zu sein. Ich tue gern, was mir gefällt. Eine Fürstin darf sich keine Fehler erlauben, das ist sicher anstrengend. Sie haben dich gewählt, weil du so schrecklich pflichtbewusst bist. Aber mir scheint, ich muss manchmal auf dich aufpassen, weil du dich oft ungeschickt anstellst.«
Libussa konnte nicht widersprechen. Thetkas Geschick im Umgang mit Menschen fehlte ihr.
»Und außerdem«, murmelte Thetka, die jetzt mit dem Schluckauf kämpfte, »finde ich es gut, dass du Slavonik nicht magst. Ich freue mich schon auf den Moment, wenn du hier mit deinem Bauern auftauchst. Beim Licht der Mokosch, das hoffentlich bald wieder strahlen wird, dann möchte ich mal sehen, ob er er immer noch so ein eingebildetes Gesicht macht!«
Den nächsten Tag verschliefen die meisten Gäste, es wurde ohnehin kaum hell. Dann ließ Libussa Tyrs Leichnam öffentlich verbrennen, und die Siegesfeiern wurden fortgesetzt. Thetka, nun frisch frisiert und in eines ihren eigenen Gewänder gekleidet, das ihre Figur vorteilhafter zur Geltung brachte, strahlte noch einige Tage im Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit. Eric hing an ihr wie ein Schatten. »Ich folgte Tyr, weil er mein Herr war«, erzählte er Libussa eines Abends beim Gelage. Er beherrschte die Sprache der Behaimen einigermaßen, doch klang sie aus seinem Mund leicht hölzern. »Überall, wo wir uns verdingten, schlug uns bald Hass entgegen, und dann vertrieb man uns. Das wäre wahrscheinlich auch dort geschehen. Aber jeder Mann sehnt sich irgendwann nach einem Zuhause. Und dazu gehört eine Frau.«
Libussa nickte. Der Junge schien gutmütig, und er betete Thetka an. Sein wohlgeformter Körper versöhnte ihre Schwester vermutlich mit der Tatsache, dass Eric wohl nicht der Allerschlauste war. Doch nur mit einem solchen Mann würde Thetka auf Dauer auskommen. Eine Verbindung zwischen ihr und Slavonik, das wäre, als sperrte man einen Jagdhund mit einer Wildkatze zusammen.
Als allmählich wieder Alltag einkehrte und sich die Gemüter beruhigt hatten, schien es Libussa an der Zeit, die Nachfolgeregelung bei den Lemuzi anzugehen. Ludmilla hatte sich wie bisher meist in ihrer Kammer aufgehalten. Manchmal besuchten ihre Brüder sie dort, doch das Verhältnis unter den Geschwistern schien nicht gerade herzlich.
Nun hatten sich alle wieder im großen Saal versammelt. Diesmal, auf Libussas ausdrücklichen Wunsch, war auch Ludmilla anwesend. Leichenblass und still saß sie im Hintergrund. Nach einigem Murren hatte selbst Kazi versprochen zu erscheinen.
Libussa begrüßte die Gäste in aller Form und hob wieder den Stab der Fürstin, um anzudeuten, dass nun etwas Wichtigeres als eine weitere Feier stattfinden sollte. Alle Blicke waren auf sie gerichtet, als sie zum Reden ansetzte. »Nun, da Tyr besiegt ist und wieder Frieden in unseren Ländern herrscht, muss dafür gesorgt werden, dass er erhalten bleibt. Olga von den Lemuzi ist tot. Ihre Familie wird in Zabrusany angemessen um sie trauern können. Doch es ist bisher nicht geklärt, wer ihre Nachfolge antreten soll.«
Sie machte eine kurze Pause, um die Wirkung ihrer Rede abzuwarten. Einige Blicke waren nun auf Ludmilla gerichtet, die in sich zusammensackte. Vojtan schüttelte den Kopf und flüsterte Neklan etwas ins Ohr.
»Olgas Tochter Ludmilla ist nicht willens, die Rolle ihrer Mutter einzunehmen. Das hat sie mir persönlich gesagt, und wenn sie möchte, kann sie dies hier nochmals wiederholen.«
Aber Ludmilla wollte nicht sprechen. Sie beschränkte sich auf ein Nicken.
»In diesem Fall können wir entsprechend den Wünschen Olgas handeln. Sie plante, ihre Söhne Vojtan und Neklan gemeinsam über Zabrusany und das Gebiet der Lemuzi herrschen zu lassen. Wenn die beiden es für ratsam halten, können sie sich das Land auch aufteilen. Diese Absprache sollten sie untereinander treffen und uns anschließend mitteilen, wie sie sich entschieden haben.«
Libussa richtete ihre Augen abwartend auf Olgas Söhne. Vojtan wirkte in der Tat erleichtert. Nur Neklan blickte weiterhin mürrisch drein. »Das entspricht nicht unseren Sitten. Ludmilla ist die Mutter ihres Landes. Ihre Brüder können ihr dabei nur zur Seite stehen«, warf Lecho ein. Radka nickte zustimmend.
»Manchmal, wenn die Umstände es erfordern, muss mit einigen Sitten gebrochen werden«, erklärte Libussa entschieden. »Warum ein Mädchen zu einer Aufgabe zwingen, der sie sich nicht gewachsen fühlt? Bei den Zlicani wurde ebenfalls eine Ausnahme gemacht.«
»Das ist nur eine vorübergehende Lösung«, kam es erneut von Lecho. »Es gab damals kein erwachsenes Mädchen. Hostivits Schwester ist noch ein kleines Kind. Sobald sie alt genug ist, wird er abtreten.«
Die Blicke der Gäste wanderten nun zu dem Zlicani-Fürsten. Er nickte, wenn auch etwas zögernd. Libussa hatte das unangenehme Gefühl, dass er eines Tages Schwierigkeiten machen würde. Aber bis dahin war noch viel Zeit.
»Zwei männliche Herrscher, das bringt die Nachfolgeregelung nur durcheinander«, rief Radka. »Wer soll ihnen folgen? Bei einer Frau steht die Blutsverwandtschaft mit ihren Kindern außer Frage. Aber wie soll man Vaterschaft beweisen? Am Ende fängt man hier noch an, uns Frauen einzusperren und ständig zu bewachen, wie es die Römer und Christen tun. Das ist gegen den Willen der Götter. Der Leib einer Frau ist frei wie der Moranas, unserer Erdgöttin.«
Ihre Worte sorgten für lautes Gemurmel. Es gab zustimmende Rufe, auch unter den Männern, doch aus manchen Gesichtern sprach Zweifel.
»Wie konnten die Römer fast die ganze Welt erobern, wenn sie gegen den Willen der Götter verstießen?«, kam es aus den hinteren Reihen.
Nun wurden die Stimmen lauter und zorniger. Libussa hob erneut ihren Stab. Als das nichts nützte, schlug sie mit der Hand auf den Tisch, wie sie es bei Premysl gesehen hatte.
»Es geht jetzt nicht um die Römer! Wir wissen wenig von ihnen, nur was Reisende und Sänger uns erzählt haben. Lasst uns in Frieden die Nachfolge der Lemuzi regeln.«
Sie war zufrieden mit sich. Ihre Stimme hatte durch den Saal gehallt und die Anwesenden zum Schweigen gebracht. »Wenn Ludmilla ihre Rechte an ihre Brüder abtreten will, gibt es keinen Grund, sich dem in den Weg zu stellen. Die spätere Nachfolge können wir beizeiten regeln. Es ist möglich, dass Ludmilla Kinder gebiert, die nach ihren Brüdern herrschen können. So bleibt das Gesetz der Blutsverwandtschaft gewahrt.«
Libussa sah, wie Ludmilla sanft den Kopf schüttelte. Sie hatte nicht vor zurückzukehren. Aber im Augenblick, fand Libussa, gab es wichtigere Dinge, über die sie sich den Kopf zerbrechen musste.
Nun kam kein Widerspruch mehr. Selbst Lecho hatte wohl eingesehen, dass er auf verlorenem Posten kämpfte. Einige Krüge wurden zu Ehren von Vojtan und Neklan erhoben, die nun beide zufrieden aussahen. Libussa wartete einen Augenblick, bevor sie mit ihrer Rede fortfuhr. Dieser Teil war ihr der wichtigste. Sie hatte lange murmelnd an ihrem Webstuhl gesessen, um sich jeden Satz genau einzuprägen.
»Es gab eine Zeit, da wir alle gleich waren und unsere Leute sich nur manchmal Anführer wählten, wenn die Zeiten es erforderten. Doch wir lernten mit den Jahren, dass jedes Volk Herrscher braucht, um für sein Wohl zu sorgen und es vor Angriffen zu schützen. Doch wir alle, die hier jetzt versammelt sind, sollten niemals vergessen, worin unsere Pflichten bestehen. Unsere Untergebenen versorgen uns mit den Früchten ihrer Arbeit. Dafür müssen wir ihnen Achtung zollen und sie gerecht behandeln. Es steht einem Fürsten nicht an, den Bauern ihre Vorräte zu rauben, sie grundlos zu misshandeln und so ihren Hass zu wecken. Unsere Ahnen waren Priesterinnen, die ersten Mütter unseres Volkes. Daher sollte unsere Herrschaft auch wie die einer wachsamen, gerechten Mutter sein.«
Ihre Zuhörer wirkten verwirrt und fragten sich, worauf sie hinauswollte. Allein Neklans Gesicht hatte sich wieder verfinstert, als wisse er genau, was jetzt kommen würde.
Sie sprach die Worte ohne Zögern aus: »Sollte mir zu Ohren kommen, dass jemand unter uns mehr Abgaben von den Bauern verlangt, als es die guten Sitten vorschreiben, dass jemand ihre Töchter belästigt oder jene straft, die auf ihren Rechten beharren, so werde ich ihn als Hohe Priesterin mit einem Bann belegen. Er darf dann nie wieder hier im großen Saal erscheinen, seine Rechte auf Herrschaft sind verwirkt. Und unser Stammesführer hat meine Zustimmung zu einem Angriff, damit sein fürstliches Amt einem Menschen übergeben werden kann, der seiner würdig ist. Sieht jemand der Anwesenden einen Grund, mir zu widersprechen, so rede er jetzt.«
Niemand sagte ein Wort. Lecho nickte anerkennend. Auf der Stirn des Zlicani-Fürsten meinte Libussa allerdings, unzufriedenes Stirnrunzeln zu erkennen. Vojtan rührte sich nicht. Aber dann hob Neklan plötzlich die Hand.
»Das ist lachhaft. Wir machen uns vor aller Welt zum Narren«, ertönte plötzlich eine laute Männerstimme, die nicht wie Neklans klang. Ein alter Mann in Lumpen war unerwartet in den Saal getreten. Sein Gesicht kam Libussa bekannt vor, doch zunächst wusste sie nicht, woher. Erst als er nahe an sie herangetreten war, erkannte sie den alten Gefährten jener verstorbenen Bäuerin, der ihrer Tochter die Erbschaft hatte abspenstig machen wollen. Er musste nach Chrasten zurückgekehrt sein. Ein starker Geruch nach Met ging von ihm aus.
»Ich war fahrender Händler und habe viele Länder gesehen«, fuhr er fort. »Überall sitzen kampferprobte Männer auf dem Fürstenthron. Sie haben ihre Krieger im Griff, weisen Aufwiegler in die Schranken und zögern nicht, zu den Waffen zu greifen, sobald Gefahr droht. Aber ihr Behaimen unterwerft euch einer zauberhaften Rusalka, die besser über taufrische Wiesen springen sollte, als hier den Stab eines Fürsten zu schwingen.«
Es gab einige Lacher, aber auch viele Rufe der Empörung.
»Schafft diesen unverschämten Bauerntrampel hinaus und verpasst ihm eine Tracht Prügel«, schrie Lecho zornig. Zwei seiner Krieger wollten den alten Mann packen, doch Slavonik fuhr dazwischen.
»Verrate mir, Lecho von den Lukanern, warum sollen wir einen Bauerntrampel hier im großen Saal anhören und den nächsten hinauswerfen? Sagte Libussa von den Cechen nicht gerade, wie viel Achtung wir den Bauern schulden?«
Das Lachen wurde lauter.
»Der erste Bauer hat wie ein vernünftiger Mensch gesprochen. Er beleidigte unsere Sitten nicht«, erklärte Radka. »Doch so wie dieser alte Mann dürfte auch ein Krieger oder Fürst sich nicht ungestraft äußern.« Ihre Rede sorgte für zustimmendes Gemurmel. Libussa atmete erleichtert auf. Die Worte des Mannes waren ein Schlag ins Gesicht gewesen.
»Er sprach ungehobelt, wie es eben die Art von Bauern ist«, erklang auf einmal die Stimme Hostivits von den Zlicani. »Aber ich finde, was er sagte, hat Hand und Fuß. Bedenkt, in welcher Gefahr wir bis vor kurzem schwebten. Die Götter waren uns gewogen und die Gefahr ging vorüber, ohne dass wir zu Schaden kamen. Doch was, wenn die Mähren Tyr tatsächlich zu Hilfe gekommen wären? Hätte ein liebenswürdiges Mädchen vermocht, ihn zu besiegen?«
Radka sprang zornig auf. »Was willst du damit sagen? Dass eine Frau nicht herrschen kann?«, rief sie. »Ich tue es schon eine ganze Weile. Meine Mutter tat es vor mir. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich jemand beschwert hätte.«
»Du hast deinen Bruder an deiner Seite«, meinte nun Vojtan. »Er hilft dir, wenn es um Männersachen wie Kriege geht.«
»Willst du mich herausfordern, du aufgeblasener Schwätzer?«
Radka hatte ihren Dolch gezogen, doch Lecho legte ihr beruhigend seine Hand auf den Arm. »Das ist nicht der richtige Augenblick. In diesem Saal sollen keine Kämpfe stattfinden«, mahnte er. Dann schlug er mit der Hand auf den Tisch, um sich Gehör zu verschaffen.
»Libussa mag noch jung und unerfahren sein. Aber sie ist unsere Hohe Priesterin und Fürstin der Cechen. Das war der Wille der Götter. Sie hat die schwierige Lage gut gemeistert. Im Übrigen steht ihr der Stammesführer Krok zur Seite, so wie ich meiner Schwester Radka.«
»Krok ist dauernd auf Reisen. So wie jetzt im Land der Polanen. Er treibt sich in der Welt herum, um ständig mit jemandem zu verhandeln. Als wir in Gefahr schwebten, da war er nicht zur Stelle. Außerdem ist er nicht mehr der Jüngste. Neulich hätte ihn fast ein Fieber umgebracht.«
Slavonik, du Verräter, dachte Libussa. Aber sie wusste, dass Empörung jetzt nicht angebracht war. Sie musste ruhig bleiben und überzeugende Gründe für einen Widerspruch finden. »Unser Stammesführer will uns vor Angriffen schützen, indem er mit unseren Nachbarn verhandelt«, begann sie. »Dank ihm bekommen wir eine Ahnung, was jenseits unserer Berge in der Welt vorgeht. Ein Fieber kann auch einen jungen Menschen töten.«
»Aber meist sterben die Älteren früher«, mischte sich nun auch Neklan ein. »Was ist, wenn wir Krok verlieren? Es gibt keinen Sohn bei den Cechen, der seine Nachfolge antreten könnte. Was hier fehlt, ist ein Mann mit Verantwortung. Libussa mag weiterhin den Titel der Fürstin tragen und unsere Hohe Priesterin bleiben. Doch es ist notwendig, dass sie sich baldmöglichst einen Gefährten nimmt.«
Nun nahm das zustimmende Gemurmel überhand. Libussa hielt sich am Tisch fest. Mauern schienen auf sie einzustürzen. Durch den Nebel ihrer Verstörtheit erblickte sie das Funkeln von Thetkas Augen. »Jetzt sag endlich etwas. Wehre dich!«, drängte sie.
Libussa hob den Kopf und sah direkt in Slavoniks triumphierendes Gesicht. Sie hatten es geplant. Alle zusammen. Vojtan, Neklan, Hostivit und wer weiß noch wie viele andere. Slavonik hatte die anderen Männer vermutlich dazu angestiftet. Sie sollten Libussa dazu drängen, ihn zum Gefährten zu wählen, obwohl der Gefährte einer Fürstin eigentlich nur in Ausnahmefällen Macht und Einfluss über ihr Volk besessen hatte. Doch sie vermutete, dass Slavonik und seine Anhänger meinten, es sei nun an der Zeit, dies zu ändern und sich den Sitten benachbarter Völker anzupassen, wo der Gemahl einer Fürstin der wahre Herrscher war. Kroks Abwesenheit und Libussas Mangel an Erfahrung kamen ihnen bei diesem Plan entgegen. Sie holte tief Luft. Jetzt galt es, sich geschickt zu wehren.
»In einer so wichtigen Angelegenheit möchte ich nicht auf den Rat und Beistand des Stammesführers verzichten«, begann sie, um Zeit zu gewinnen. »Sobald mein Onkel Krok wieder bei uns ist, können wir diese Unterhaltung fortsetzen.«
Sie sah erleichtert das zustimmende Nicken vieler Anwesender.
»Das wird vielleicht noch lange dauern«, mischte sich Hostivit wieder ein. »Wir haben gesehen, wie unerwartet die Gefahr über uns hereinbrechen kann. Wir brauchen hier baldmöglichst einen männlichen Anführer, der Krok in seiner Abwesenheit vertritt. Nach unseren Sitten kann eine Frau ihren Gefährten frei wählen. Du brauchst die Zustimmung deines Onkels nicht, Fürstin der Cechen.«
»Aber ich hätte sie gern! Sein Urteil ist mir wichtig«, warf Libussa trotzig ein. Doch nun blieben die Gesichter um sie herum skeptisch. Slavonik lächelte sie spöttisch an, als er zu reden begann: »Du kennst deinen Onkel. Überlege einfach, was sein Wunsch wäre.«
Sie begriff, dass es wirklich ein Teil seines Plans war, Kroks Abwesenheit auszunutzen. Ihr Onkel wäre niemals einverstanden gewesen, dass sie so bedrängt wurde.
»Es verstößt gegen unsere Sitten, eine Frau, vor allem eine Fürstin, derart unter Druck zu setzen«, hörte sie erleichtert den treuen Lecho. »Lasst ihr Zeit, einen Mann nach ihren Wünschen zu finden.«
»Aber Libussa hat doch selbst gesagt, dass man manchmal mit den Sitten brechen muss«, murmelte Slavonik spöttisch.
»Du verdrehst auch jedem das Wort im Mund, du niederträchtiger Mistkerl«, rief Radka aufgebracht. Wieder hatte sie ihren Dolch gezogen, und diesmal vermochte Lecho sie nicht zurückzuhalten. Grinsend griff auch Slavonik zu seiner Waffe, während Thetka sich mit Eric an Radkas Seite drängte. Slavoniks Mutter, die Fürstin der Kroaten, gab ein paar ihrer Krieger ein Zeichen, sich zur Verteidigung ihres Sohnes bereitzuhalten. Wütende Schreie hallten durch den Saal. Ein Kampfstand unmittelbar bevor.
»Hört mich an!« Wieder schwang Libussa ihren Stab. »Ich achte euren Wunsch und will mir morgen einen Gefährten wählen. Nun steckt eure Waffen weg, denn bald ist es Zeit für das abendliche Festmahl. Ich werde mich zurückziehen und bitte meine Schwestern, mich zu begleiten. In einer so wichtigen Angelegenheit suche ich den Rat meiner Familie.«
Ein letztes Mal ließ sie ihren Blick über die Anwesenden schweifen. Die meisten blickten zufrieden drein. Nur in Neklans Augen erkannte sie ein triumphierendes Funkeln. Nun, er sollte seinen Fürsten der Cechen bekommen.
»Wie konntest du nur klein beigeben? Dir von den Kerlen vorschreiben lassen, wie du dich zu verhalten hast? Bist du von Sinnen, Libussa?«, rief Thetka empört und verpasste dem Schemel zu ihren Füßen einen Tritt. Kazi legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.
»Nun lass sie doch. Sie konnte nichts anderes tun. Es wäre sonst zu einem Kampf im großen Saal gekommen. Das muss eine Fürstin auf jeden Fall verhindern.«
»Also, wenn es jemand wagen würde, mich vor allen Leuten eine Rusalka zu nennen, die über die Wiesen tanzt, dann ...«
»Dich würde niemand so nennen, keine Angst.« Kazi sagte immer, was sie dachte, wenn sie nicht gerade schwieg. Libussas Schwestern, die sonst kaum miteinander redeten, sprachen auf einmal über sie, als sei sie nicht anwesend.
»Wen soll sie denn bitte zum Gefährten nehmen? Schon bei der bloßen Vorstellung, dass dieser aufgeblasene Slavonik tagaus, tagein auf Chrasten sitzt, dreht sich mir der Magen um.«
»Du magst ihn nur nicht, weil er dich abgewiesen hat. Aber mach dir keine Gedanken, Thetka. Es ist nicht Slavonik, den Libussa zu ihrem Gefährten machen will.«
»Nicht Slavonik? Aber wer dann? Lecho schmachtet Irina von den Leitmeritzern an, wie hier schon jedem aufgefallen sein dürfte. Hostivit von den Zlicani hat bereits eine Gefährtin, und was Vojtan und Neklan betrifft, so ... Kazi, du meinst doch nicht etwa diesen Bauern? Na, das ist gut! Das ist wirklich gut! Was werden die für Augen machen!«
Thetka war in schallendes Gelächter ausgebrochen.
»Ich fürchte, ganz so lustig wird man es im großen Saal nicht finden. Du musst mit Widerstand rechnen, Libussa«, erklärte Kazi. »Soweit ich denken kann, waren die Gefährten unserer Fürstinnen immer Söhne anderer Fürstinnen oder wenigstens Krieger.«
Libussa senkte den Kopf. Jenes Gefühl von Triumph, das sie vorhin bei Neklans Anblick überkommen hatte, war verflogen. Sie erinnerte sich, wie Ludmilla sie kurz ansah, als sie den Saal verließ und den Weg in ihre sichere Kammer einschlug. »Ich habe dich gewarnt«, hatten ihre Augen gesagt.
»Ich möchte Fehden verhindern«, erklärte Libussa nun mit heiserer Stimme. »Aber wie kann ich das? Ich werde auf keinen Fall ihren Wunsch erfüllen und Slavonik wählen.«
»Zeig ihnen die Zähne«, meinte Thetka, doch Kazi schüttelte den Kopf.
»Mit Sturheit lassen sich nicht alle Schwierigkeiten aus der Welt schaffen. Wir müssen uns etwas überlegen.«
Kazi nahm einen weiteren Schluck Wasser. Sie trank nur sehr selten Wein oder Met.
»Es gab da so ein altes Ritual. Die Kräutersammlerinnen der Kelten erzählen manchmal davon. Wahrscheinlich war es auch bei unseren Leuten einmal verbreitet, aber das muss lange her sein. Jedenfalls vermählte eine Königin oder Fürstin sich mit einem Mann aus dem Volk. Jedes Jahr von Neuem. Dabei nahm dieser Mann die Gestalt eines Hirsches an. Er musste sich zu der Mutter des Landes durchkämpfen und dabei einige Gefahren bestehen, damit er ihrer würdig war. Anschließend vollzogen beide die heilige Hochzeit, so wie Jarilo und Morana beim Kupala-Fest. Irgendwie hängt das alles zusammen, glaube ich.«
»Was soll all dieser Humbug mit alten Ritualen?«, murrte Thetka ungeduldig. »Ich habe einmal eine andere Geschichte gehört – von meiner Magd, die Langobardin ist, so wie die meisten der Germanen, die hier noch leben. Da jagte jedes Jahr eine graue Göttin einen jungen Mann in der Gestalt eines Hasen. Doch nachdem sie mit ihm die heilige Hochzeit vollzogen hatte, machte sie dem armen Häschen den Garaus.«
Kazi nickte. »Ja, so ähnlich hat man es mir auch erzählt. Der Jüngling wurde am Ende des Winters geopfert. Er starb, damit das Land neu erblühen konnte. Das Ritual wurde dann erneut veranstaltet und die Königin fand einen weiteren Gefährten. Unsere Morana tötet Jarilo ja auch immer wieder. Wahrscheinlich wurde dieses Ritual allmählich abgeschafft, weil die Herrscherinnen Gefallen an ihren Hirschen oder Hasen fanden und sie verschonen wollten.«
»Das müssen Frauen wie du gewesen sein, Kazi, wenn sie ihre Tiere derart liebten«, meinte Thetka kichernd.
Libussa verstand nicht, warum ihre beiden Schwestern solche Geschichten lustig fanden. »Dieses Ritual klingt grausam«, murmelte sie.
»Der Jüngling starb freiwillig zum Wohl seines Volkes«, erklärte Kazi. »Soll der Gottessohn der Christen nicht etwas Ähnliches getan haben? Er scheint mir gar nicht einmal so neu, dieser christliche Glaube.«
»Darum geht es jetzt doch nicht! Wozu dieses Gerede über irgendwelche Rituale und den Christengott? Soll Libussa sich mit einem Hirsch oder Hasen vermählen?« Thetka lachte wieder, doch in Libussa stieg langsam eine Ahnung auf.
»Ein Mann aus dem Volk kam zu der Königin. Ich erinnere mich an solche Geschichten«, sagte sie. »Aber wir vollziehen dieses Ritual nicht, Kazi. Wenn wir es einmal taten, dann vor sehr langer Zeit.«
»In einer schwierigen Lage muss man manchmal auf alte Traditionen zurückgreifen«, erwiderte ihre älteste Schwester.
Nun wurde Thetka hellhörig.
»Ja, das könnte eine gute Idee sein«, begann sie. »Aber wie im Namen aller Götter soll Premysl sich in einen Hasen oder Hirsch verwandeln, der sich zu Libussa durchkämpft? Er kennt das Ritual wahrscheinlich gar nicht.« Auf Kazis Gesicht erschien ein Lächeln. »Ich habe noch von einer dritten Art dieses Rituals gehört«, sagte sie. »Da wurde ein Pferd losgeschickt, das die Gefolgschaft einer Hohen Priesterin zu dem von den Göttern auserwählten Jüngling führte. Meinst du nicht, dass Steka den Weg nach Staditz allmählich kennen sollte, Libussa?«
Libussas Gedanken wirbelten durcheinander. »Es ist eine lange Strecke. Ich habe einen ganzen Tag dazu gebraucht, manchmal auch länger, wenn Steka müde war. Ich bin immer schon kurz vor dem Morgengrauen aufgebrochen. Ja, ich denke, sie kennt den Weg, aber was ist, wenn sie sich trotzdem verläuft?«
»Dann bin ich gespannt, mit wem deine Gesandten dann hier ankommen«, meinte Thetka grinsend. Als aber ihre Schwestern diese Vorstellung nicht erheiternd fanden, wurde sie wieder ernst. »Man müsste ihr nachhelfen. Aber wie?«
Kazi fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Libussa soll sagen, dass sie noch etwas Zeit braucht, um sich für das Ritual vorzubereiten«, erklärte sie. »Sie muss fasten und zu den Göttern beten. In der Zwischenzeit reite ich noch einige Male mit Steka nach Staditz. Ich kann mit Tieren umgehen, mach dir keine Sorgen. Es würde auch nicht schaden, wenn Libussa noch einige Visionen von ihrem Zukünftigen hätte. Für den Fall, dass ihr Pferd unterwegs auf jemand anderen stößt.«
»Du kannst ja richtig schlau sein, Schwesterchen!«, rief Thetka anerkennend. »Lass mich raten: Diese dritte Art des Rituals, von der du sprachst, die hast du dir ausgedacht, nicht wahr?«
Kazi lächelte zufrieden. »Pferde gelten als heilig, vor allem eine weiße Stute wie Steka. Sie werden manchmal für Orakel eingesetzt«, fügte sie als Erklärung hinzu. Thetka nickte anerkennend.
»Aber wie soll ich die Versammelten im großen Saal von dieser Wahl meines Gefährten überzeugen?«, warf Libussa ein. »Neklan wird sofort durchschauen, was ich plane ...«
»Ich denke, Kazi sollte im großen Saal sprechen«, antwortete Thetka. »Zunächst erklärt Libussa, die Götter mögen entscheiden, wer ihr Gefährte sein soll. Dann tritt Kazi auf und schlägt das Ritual vor. Sie gilt dank ihrer Heilkünste als weise Frau. Wenn es Proteste gibt, was sicher der Fall sein wird, dann mische ich mich auch noch ein. Ich glaube, Radka und Lecho von den Lukanern werden auf unserer Seite sein und auch viele andere, denn wer will sich dem Willen der Götter widersetzen? Nur Slavonik und die Lemuzi-Brüder haben einen guten Grund dazu. Und mit denen werde ich schon fertig.«
Libussa saß auf einem hohen Gerüst am Schrein der drei großen Götter Perun, Veles und Mokosch. Wieder zerrte die geflochtene Krone aus Zöpfen an ihrer Kopfhaut, doch sie war zu aufgeregt, um darunter zu leiden. Die keltische Priesterin hatte ihr erzählt, wie diese Rituale vor langer Zeit vollzogen wurden. Das zur Königin des Volkes gewählte Mädchen wartete im Wald. Ihr Körper war mit heiligen Symbolen bemalt und mit Fellen bedeckt. Dem Jüngling hatte man verschiedene Tränke gegeben, die ihn stärkten, denn er musste gegen Widersacher kämpfen, die ihm auflauerten. Schaffte er es bis ans Ziel, so war er der Auserwählte – für ein Jahr, doch mit der Zeit auch für länger, denn nicht jede Königin wollte ihren Geliebten opfern lassen. Angeblich zelebrierten die Kelten jetzt noch solche Rituale. Ob sie deshalb auch noch Menschen töteten? Darüber wollte die Priesterin nicht reden. Aber sie war nicht zornig gewesen, dass Libussa ein uraltes Ritual für ihre Zwecke einsetzte. Vielleicht, so meinte sie, sei Premysl tatsächlich als Libussas Gefährte bestimmt. Der Wille der Götter war unergründlich.
Libussa hatte ihre Schamanen bestellt, die Premysls Ankunft mit Gesängen und Tänzen feiern sollten. Es würde auch wieder ein Opfer an die Götter nötig sein. Glücklicherweise waren die Tage nun länger und der Schnee begann zu schmelzen. Sie würde gleich die Hochzeitszeremonie vollziehen, denn anschließend konnte die Verbindung nur von beiden Beteiligten in gegenseitigem Einverständnis aufgelöst werden. Kazi hatte ihr erzählt, dass auch einige Kelten aus dem Umland nach Chrasten unterwegs waren, um das Wiederaufleben eines alten Rituals mitzuerleben. »Sie nennen dich jetzt ihre Königin. Das kann sicher nicht schaden«, meinte sie lächelnd. Doch Libussa fühlte sich wie eine Betrügerin.
Sie hatte tatsächlich gebetet und gefastet. Bohumil, der Älteste der Schamanen, sollte mit ein paar Kriegern aufbrechen. Libussa beschrieb das Dorf und die beiden Ochsen, die sie dort vorfinden würden. Einer mit einem weißen Kopf, der andere mit weißen Flecken von der Stirn über den Rücken und auch an den Hinterbeinen. All das hätte sie im Traum gesehen, erzählte sie und war erleichtert, dass sie nicht einmal log, denn nach dem Kupala-Fest hatte sie tatsächlich solche Träume gehabt. Sie erwähnte selbst den Fluss, an den sie abends mit Premysl gegangen war. Nur die Namen verschwieg sie. Nachdem sie ihren Segen als Hohe Priesterin erteilt hatte, zog die Gesandtschaft los. Libussa schloss die Augen und sah Premysls Gesicht. Wieder schien es ihr so vertraut, als wäre es schon immer ein Teil ihres Lebens gewesen. War es möglich, dass sie auch durch diesen Betrug den Wunsch der Götter erfüllte?
Ihren Plan auszuführen war einfacher gewesen als erwartet. Die meisten Anwesenden schienen erstaunt über ihren Vorschlag, doch wagten sie nicht, eine göttliche Entscheidung abzulehnen. Als Slavonik Bedenken äußerte, ob es vernünftig sei, auf diese Weise den Gefährten einer Fürstin zu wählen, wies seine tiefgläubige Mutter ihn vor allen Leuten zurecht.
Hostivit von den Zlicani schwieg, wenn auch mit einem abfälligen Grinsen. Vermutlich dachte er, dass nur ein unreifes Mädchen auf so eine Idee kommen konnte.
Allein Neklan wagte es, den Verdacht zu äußern, Libussa plane einen Betrug. Thetka setzte sofort zu empörten Protesten an und brachte die meisten der Anwesenden auf ihre Seite.
Einige Tage später teilte ihr Kazi, die wie verabredet nach Staditz geritten war, mit, dass Premysl bereit war zu kommen. Libussa fühlte sich von ihrer größten Sorge befreit. Zwar hatte sie nicht mehr an Premysls Gefühlen gezweifelt, aber es war möglich, dass er einen solchen Betrug ablehnen würde. Doch auch er erkannte die Notwendigkeit. Jetzt musste sie nur noch warten. Wieder einmal warten.
Sie trafen kurz vor Sonnenuntergang ein. Umringt von Libussas Gesandten ritt Premysl auf Steka, der weißen Stute. Es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, sich im Sattel zu halten, obwohl er kaum Übung darin haben konnte. Man hatte ihm zum Anziehen eine bunte verzierte Tunika und den wollenen Umhang gebracht, den Libussa für ihn gewebt hatte, und darüber trug er Biberfelle, die ihn wärmten. Er sah nun nicht mehr aus wie ein Bauer. Nur seine Füße steckten noch immer in den mit Tuch umwickelten Bastschuhen. Libussa erkannte mit Schrecken, dass sie nicht an Stiefel gedacht hatte.
Libussa gab den versammelten Schamanen ein Zeichen, mit dem Gesang zu beginnen, und ihre hellen, klaren Männerstimmen füllten die eisige Luft. Sie stimmte ein und erhob sich, um die Gesandtschaft von ihrem Gerüst aus zu begrüßen.
»Das ist unglaublich!«, hörte sie Neklan rufen und sang lauter, um seine Stimme zu übertönen.
»Wer bei allen Göttern ist dieser Mann?«, kam es nun von Slavonik.
»Der Auserwählte der Götter, den wir zu unserer Fürstin und Hohen Priesterin bringen«, antwortete Bohumil, sichtlich verärgert über die Störung der Zeremonie.
»Aber das ist ein Bauer aus einem unserer Dörfer«, warf nun auch Vojtan von den Lemuzi ein. Er schien eher verwirrt als zornig.
»Die Wünsche der Götter mögen uns unverständlich scheinen, doch müssen wir uns ihnen fügen«, erklärte Bohumil entschieden. »Manchmal erwählen sie Menschen einfacher Abkunft für wichtige Aufgaben.«
Alle Anwesenden verstanden seine Anspielung. Die meisten der Schamanen stammten aus dem Volk. Wenn sie durch seherische Begabung oder andere herausragende Fähigkeiten auffielen, brachten ihre Familie diese Jungen zur Hohen Priesterin, die entschied, ob sie in ihrem Gefolge Aufnahme fanden. Obwohl der höchste Dienst an den Göttern in den Händen einer Frau lag, sollten ihr Männer ihrer Wahl dabei zur Seite stehen.
Bohumils Worte brachten Vojtan zum Schweigen. Der Schamane führte Steka zu dem Gerüst. Libussa sah das spöttische Aufblitzen in Premysls Augen, doch als er vor ihr ankam, senkte er verlegen den Blick. Sie spürte das Gewicht der Silberohrringe. Zahlreiche Ketten aus demselben Material, mit Bernsteinen besetzt, hingen um ihren Hals. Nie zuvor hatte er sie als Hohe Priesterin gesehen.
»Sei gegrüßt, mein Auserwählter. Die Götter schicken dich«, sagte sie aufmunternd.
»Was bist du? Eine der Götterfiguren? Das alles hier kommt mir so unglaublich albern vor«, flüsterte er.
»Weil du ein ewiger Zweifler bist, der Rituale nicht ernst nimmt«, erwiderte sie mit ebenso leiser Stimme. »Jetzt hole mich endlich von dem Gerüst. Nimm das Schwert, das dir der Schamane reicht, und schwinge es über meinem Kopf. Sprich seine Worte nach. Schwöre mir Treue und Schutz. Wenn du noch länger wartest, bin ich ein Eiszapfen.«
Premysl tat, was sie verlangte, auch wenn er sich dabei sichtlich unwohl fühlte. Libussa hob die Tonscheibe der Hohen Priesterin. »Ich erfülle den Wunsch der Götter und vereine mich mit dir.«
»Das ist nicht der Wunsch der Götter«, hörte sie plötzlich Neklan rufen. »Das ist allein Libussas Wunsch. Sie kennt diesen Jungen. Regelmäßig hat sie sich zu ihm geschlichen wie eine läufige Hündin. Deshalb konnte sie das Dorf so genau beschreiben!«
Erschrocken hörte Libussa das verwirrte Murmeln der Anwesenden.
»Ist das wahr?«, zischte die Leitmeritzer-Fürstin, wohl immer noch verärgert, einst von Libussa zurechtgewiesen worden zu sein.
»Libussa ist Hohe Priesterin, irdische Vertreterin der Sonnengöttin Mokosch. Wer kann es wagen, ihr Urteil in Frage zu stellen?«, erwiderte Thetka lautstark, doch die Gesichter blieben misstrauisch.
»Diesen Bauern haben wir doch schon einmal gesehen«, mischte sich Slavonik wieder ein. »Er sprach im großen Saal. Libussa muss ihn kennen.«
Das Stimmengewirr wurde lauter. Mehrere der Anwesenden hatten Premysl erkannt und begannen, wild durcheinanderzureden. Selbst einige Schamanen wandten sich stirnrunzelnd von dem Gerüst ab. Neklan und die Leitmeritzer-Fürstin wetteiferten miteinander, um von Betrug und Täuschung zu erzählen, während Slavonik Libussa mit einem höhnischen Grinsen betrachtete. Sie fühlte das Hämmern ihres Herzens. Wie hatte sie jemals hoffen können, ein heiliges Ritual ungestraft zu missbrauchen? Ihr wurde schwindelig. Sie sah, wie Kazi unauffällig an Bohumil herantrat und mit ihm zu flüstern begann.
»Rede, Tochter der Sonne«, drang die Stimme des ältesten Schamanen gleich darauf durch den allgemeinen Aufruhr. »Sage uns, was dein Auserwählter tat, als wir bei ihm eintrafen?«
Libussas Atem setzte aus. Sie warf Premysl einen hilflosen Blick zu, doch er schien sich ebenso verloren zu fühlen wie sie selbst. Kazi hingegen lächelte aufmunternd.
»Gönnt ihr einen Augenblick der Ruhe«, ermahnte sie die Anwesenden. »Sie muss die Augen schließen.«
Libussa folgte der Aufforderung. Es war erleichternd, die aufgebrachte Menschenmenge nicht mehr sehen zu müssen. Ihr Atem wurde ruhiger und sie meinte, eine leise Melodie zu hören.
Dann tauchten die Hütten von Staditz vor ihr auf. Sie sah Premysl beide Ochsen in den Stall führen und Stekas weißes Fell im dunklen Wald aufleuchten. Bald schon erschien Libussas Stute auf der Wiese vor den Hütten, gefolgt von den Pferden Bohumils und denen der Krieger. Premysl musste ihr Kommen bemerkt haben, denn er wandte sich um. In diesem Augenblick begannen die Ochsen zu laufen, offenbar erschrocken über die Fremdlinge, jagten über die Wiese und verschwanden hinter einem großen Felsen am Waldrand, als habe die Erde sie verschluckt. Premysl blickte ihnen verärgert hinterher, bevor er die Gesandten begrüßte. Er warf einen Ast, den er in der Hand hielt, auf den Boden. Dann ging er auf Bohumil und die Krieger zu. Doch der Ast bohrte sich in die winterliche Erde und wuchs zu einem Strauch heran.
»Sei gegrüßt, Fremder. Wir kommen, dich als Auserwählten der Götter zu unserer Fürstin und Hohepriesterin zu holen«, erklärte Bohumil feierlich.
Premysl nickte und schien mühsam ein Lachen zu unterdrücken.
»Ich habe eurer Kommen bereits im Traum gesehen«, sagte er so ernsthaft, wie ihm möglich war. »Ich bin bereit, den Wunsch der Götter zu erfüllen. Doch hätte sich eure Herrin ein klein wenig geduldet, dann wäre es mir möglich gewesen, meine Arbeit hier noch zu Ende zu bringen.«
Falls Bohumil den spöttischen Unterton wahrnahm, so zeigte er es nicht. Stattdessen deutete er auf den wachsenden Strauch hinter Premysls Rücken.
»Aus deiner Verbindung mit unserer Fürstin werden viele Nachkommen entstehen und unser Volk groß machen«, erklärte er feierlich.
Premysl drehte sich um und musterte fassungslos das neu aufgetauchte Gewächs. Unter seinem Blick begannen einige Zweige zu verdorren. Er runzelte die Stirn.
»Ich begreife nicht, was das bedeutet, Herr. Doch mir scheint, einige werden groß werden, während andere verkümmern«, erwiderte er nachdenklich, bevor er auf Steka zuging und sich in den Sattel schwang. Dann begann das Bild zu verschwimmen.
Zögernd erzählte Libussa, was sie gesehen hatte, und musterte dabei Kazis weises, altersloses Gesicht. Ihr war nie klar gewesen, wie sehr die Schwester ihren seherischen Fähigkeiten vertraute. Sie musste gewusst haben, dass Libussa in der Lage war, die Ereignisse richtig zu beschreiben. Bohumil nickte anerkennend.
»Es war so, wie sie sagte«, erklärte er laut. Meine Begleiter können es bezeugen. »Aus der frostigen Wintererde wuchs ein Strauch heran. Und unsere Hohe Priesterin sah es, ohne selbst dabei gewesen zu sein, denn die Götter zeigten ihr den Auserwählten.«
Nun kam kein Widerspruch mehr, selbst Neklan schwieg verblüfft. Aus Premysls Blick war jeder Spott verschwunden, er betrachtete Libussa mit weit aufgerissenen Augen, als sei ihm ein Geist erschienen. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und spürte erleichtert das Kratzen der seinen. Ein kleines Grüppchen von Kelten mit bemalten Gesichtern schob sich durch die Menschenmenge und legte ehrfürchtig eine Holztruhe zu ihren Füßen nieder. Die übrigen Anwesenden nahmen dies zum Anlass, ebenfalls ihre Geschenke zu überreichen. Sie wiederholte murmelnd Worte des Dankes. Die Umgebung war unwirklich geworden, wie in einen Nebel getaucht. Leuchtende Helligkeit umgab sie, als sei sie der Sonne näher gekommen. Das Ritual war kein Betrug, wie sie in diesem Augenblick begriff.
Der wollene Umhang lag neben ihren Fellen in der Ecke des Raumes. Libussa nahm erleichtert den schweren Silberschmuck von ihren Ohren ab, um ihn gemeinsam mit den Ketten in der Schmuckschatulle zu verstauen. Dann hörte sie, wie Premysl ihren Namen flüsterte. Sie drehte sich um. Jetzt, da sie endlich allein waren, fühlte sie sich auf einmal befangen. Auch Premysl, der sich nachdenklich die Augen rieb, wirkte etwas verloren. In seiner verzierten Tunika und den Biberfellen schien er sich sichtlich unwohl zu fühlen.
»Diese Sache mit dem Strauch«, begann er unerwartet. »Ich ... ich dachte zunächst, er wäre schon vorher da gewesen und mir einfach nicht aufgefallen. Was der Schamane erzählte, schien mir lächerlich, so wie diese ganze Zeremonie. Doch als du dann alles beschrieben hast, obwohl du es nicht wissen konntest... Mir fiel wieder ein, dass einige Zweige verdorrten und ... und ich weiß nicht, was es bedeutet und ob es nicht ein schlechtes Zeichen ist. Abgesehen davon, dass ich nicht an Zeichen glaube.«
Es enttäuschte Libussa ein wenig, dass er sich in diesem lang herbeigesehnten Augenblick den Kopf über die Bedeutung der Zeichen zerbrach, doch Premysl machte einen derart verstörten Eindruck, dass ihr Unmut schwand.
»Ich weiß auch nicht, was es bedeutet«, gab sie zu. »Vieles von dem, was ich sehe, verstehe ich erst später und manchmal nie. Doch es war der Wille der Götter, dass wir zusammenkommen. Etwas wird aus unserer Vereinigung entstehen, Gutes und vielleicht auch Schlechtes, doch daran können wir nichts ändern.«
Sie setzte sich neben ihn auf die Bettstatt und bemerkte erleichtert das glückliche Funkeln in seinen Augen.
»Ich habe oft an dich gedacht, mein Mädchen ohne Namen. Ich wusste bereits, dass du eine Fürstentochter bist. Doch nun scheint es, dass meine Gefährtin auch seherische Fähigkeiten hat.«
Seine Hand strich zaghaft über ihren Arm. Libussa rückte näher an ihn heran.
»Stören dich diese Fähigkeiten?«, murmelte sie. Er lächelte.
»Nun, ich kann wohl keine Geheimnisse vor dir haben. Aber das hatte ich auch nicht vor.« Dann schlang er seine Arme um ihren Körper und zog sie an sich.
»Dieser Stoff fühlt sich unter meinen Händen wie Wasser an«, sagte er. »So weich gleitet er einem durch die Finger.«
»Es ist Seide.« Nun, in der Nähe einer Feuerstelle, fühlte sich Libussa wohl in dem Kleid, obwohl sie darin auf dem Gerüst jämmerlich gefroren hatte. »Onkel Krok brachte den Stoff vor vielen Jahren meiner Mutter mit. Bei einer seiner Reisen half er einem kleinen Händler mit schräg stehenden Augen im Kampf gegen Räuber. Die Seide erhielt er zum Dank dafür als Geschenk. Angeblich ist sie sehr wertvoll. Reiche Leute in weit entfernten Ländern tragen Gewänder aus Seide. Meine Mutter hatte nichts für solche Kostbarkeiten übrig. Doch ich wollte schön sein für diesen Anlass ... für ... für ... dich natürlich.«
Es war ihr plötzlich unangenehm, diese Worte auszusprechen. Nach der langen Zeit, die sie voneinander getrennt waren, schien die plötzliche Nähe verwirrend. Sie hatte von ihm geträumt, aber niemals ihr gemeinsames Leben klar vor sich gesehen. Wünschte er wirklich, als Gefährte einer Fürstin in Chrasten zu wohnen?
»Premysl«, begann sie zögernd. »Ich weiß, Kazi sagte dir, dass ich in einer Notlage war. Die Fürstensöhne wollten Kroks lange Abwesenheit nutzen, um mich zu einer Verbindung mit Slavonik zu zwingen. Bist du nur gekommen, um mir zu helfen? Wenn es dir hier nicht gefällt, dann kannst du natürlich in deinem Dorf leben und wir werden uns gelegentlich sehen, aber ... aber ich hätte dich natürlich lieber hier an meiner Seite.«
Kaum hatte sie den letzten Satz ausgesprochen, schämte sie sich, derart um sein Bleiben zu betteln. Angespannt wartete sie, was er erwidern würde. Sein Blick schien einfach nur überrascht, als er zu reden begann:
»Während Tyrs Herrschaft, da wusste ich, wenn Thetka und ich ihn besiegen konnten, damit du Hohepriesterin in allen Ländern unseres Volkes bleibst, dann gab es wirklich Hoffnung auf ein Leben entsprechend der alten Sitten, die auch Bauern Freiheit und Rechte gewähren. Ich war überzeugt, du würdest jetzt einen der Fürstensöhne zu deinem Gefährten wählen. Aber ich hoffte trotzdem, dass ... dass du mich vielleicht noch sehen willst, wenn ich deinen schlimmsten Gegner aus dem Weg räumen würde. Als deine Schwester Kazi dann plötzlich in Staditz auftauchte und mir erzählte, was du vorhast, da ... da war ich froh, dass du mich zu dir holen wolltest. Meine Mutter und Magda sind tot. Mich hält nichts mehr in meinem Dorf, und ich will gern bei dir in Chrasten leben.«
Libussa fühlte, wie die Unsicherheit von ihr abfiel. Erleichtert und glücklich drängte sie sich an Premysl, der nun weniger verkrampft wirkte. Das Seidenkleid hatte ungeahnte Vorzüge. Der zarte Stoff schien den Reiz jeder Berührung noch zu steigern. Premysl befreite ihr Haar vorsichtig von der Flechtfrisur und küsste ihre pochenden Schläfen.
»Es muss anstrengend sein, wie eine Götterfigur auszusehen. Ist das jetzt deine tägliche Pflicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur bei den großen Festen, die viermal im Jahr stattfinden. Und dann noch bei besonderen Anlässen wie heute.«
»Ich will keine Göttin. Auch keine Priesterin. Nur mein Mädchen aus dem Wald.«
Sie lachte. »Ich bin das Mädchen aus dem Wald. Merkst du das nicht?«
Er schob seine Hand unter den Seidenstoff und begann, ihren Körper zu erkunden. »Ich glaube, jetzt merke ich es langsam.«
Das Seidenkleid landete bei den bereits abgelegten Umhängen. Sie fühlte seine Haut auf der ihren. Dies war der Augenblick, nach dem sie sich verzehrt hatte. Alle Sorgen schienen bedeutungslos, jetzt, da sie wieder mit Premysl vereint war. Sie schmiegte sich an ihn, wollte in ihm versinken, damit sie beide nichts mehr trennen konnte. Ungeduldig zerrte sie an seiner Kleidung, um ihn davon zu befreien.
Als sie sein Eindringen in ihren Körper spürte, schloss sie die Augen, damit ihre Empfindungen stärker wurden.
»Ich kam hierher, um bei dir zu sein. Und nur deinetwegen bleibe ich. Aus keinem anderen Grund, verstehst du?«, flüsterte ihr Premysl ins Ohr. Sie fragte sich, warum er jetzt über solche Dinge reden musste. Die Lust wogte durch jeden Winkel ihres Körpers. Sie presste sich an ihn, um ihn tiefer in sich aufnehmen zu können. Sein Stöhnen, bevor er in ihre Arme sank, schien ihr leise im Vergleich zu ihrem eigenen Schrei.
Sie sah das stolze Leuchten in seinen Augen und vergrub ihren Kopf an seiner Schulter. Zum ersten Mal seit vielen Monaten schlief sie sorglos und völlig entspannt bis zum Morgen.
Das Tageslicht drang nun heller durch die Fensteröffnung. Mit den längeren Tagen war auch der Sonnenschein zurückgekehrt. Da die Feuerstelle noch brannte, streifte Libussa eine der Wolldecken ab. Ihr war immer noch warm.
Sie sah den hellbraunen Haarschopf auf ihrem Kissen und vergrub ihre Finger darin. Zum ersten Mal konnte sie in Ruhe Premysls schlafenden Körper betrachten, denn im Wald war es zu dunkel gewesen. Sie entdeckte Narben an seinem Rücken und an den Schultern, vermutlich die Spuren von Schlägen. Die Erinnerung an Thetkas Geschichte kehrte zurück. Sanft ließ sie ihre Finger über die einstigen Wunden gleiten, als könne sie dadurch längst vergangenen Schmerz lindern. Er drehte sich um und erwiderte mit geschlossenen Augen ihre Berührungen. Wieder stieg Hitze in ihr hoch. Wie aus weiter Ferne hörte sie ein Klopfen.
»Herrin, die Gäste warten. Es ist Zeit für das Morgenmahl.«
Libussa gönnte sich noch einen kurzen Moment, um Premysls Streicheln zu genießen. Dann riss sie sich zusammen. »Wir müssen aufstehen. Es wäre unhöflich, die Gäste lange allein zu lassen.«
Er zog sie wieder an sich. »Sie werden es dir schon einmal verzeihen. Lass uns hier etwas essen. Ich hole es selbst, wenn du mir verrätst, wo in dieser riesigen Festung eine Küche ist.«
Seine Finger fanden wieder jene Stellen ihres Körpers, die sich nach seiner Berührung sehnten. Libussas Atem ging schneller, und fast schon wollte sie auf seinen Vorschlag eingehen, doch Kvetas Stimme an der Tür holte sie in die Wirklichkeit zurück.
»Es geht wirklich nicht. Wir haben noch viel Zeit. Nicht jeden Morgen sind Gäste im Haus. Aber jetzt ist es wichtig. Du musst als mein Gefährte anerkannt werden.«
Entschlossen sprang sie auf und schüttete sich Wasser aus einem Krug ins Gesicht. Dann wühlte sie in ihrer Kiste nach einem schlichteren Gewand, denn das Seidenkleid wollte sie schonen. Da ihr Haar völlig zerzaust war, zog sie ihren Kopfputz darüber. Sie hatte jetzt keine Zeit, sich aufwändig herzurichten.
Premysl war widerwillig in seine Beinkleider geschlüpft und hatte die Tunika übergestreift. Seine Füße steckten immer noch in den Bastschuhen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er Frostbeulen hatte. »Du brauchst vernünftige Schuhe. So kannst du nicht vor den Gästen erscheinen. Ich werde Kveta bitten, irgendwo ein Paar Stiefel aufzutreiben. Es müssen noch welche von Onkel Krok im Haus sein, da bin ich mir sicher.«
Völlig unerwartet erschien eine Falte zwischen seinen Brauen. »Was missfällt dir an meinen Schuhen, Libussa?«
Sie fuhr zusammen, denn seine Stimme hatte verärgert geklungen. »Gar nichts«, meinte sie ausweichend. »Aber sie sind nicht warm genug.«
»Das lass ruhig meine Sorge sein. Ich werde Tücher darum wickeln, so wie ich es immer getan habe.«
Sie hörte auf, in der Kiste nach der silbernen Kette für ihre Kopfbedeckung zu suchen. Offenbar bedurfte die Angelegenheit einer längeren Erklärung. »Premysl, du bist jetzt mein Gefährte. Ich habe mit dir die Hochzeitszeremonie vollzogen, und wenn Gäste im Haus sind, dann wirst du an der großen Tafel zu meiner Seite sitzen. Dabei kannst du nicht in Bastschuhen herumlaufen. Es tut mir leid, aber das ist unpassend.«
»Ach ja? Soll ich mich jetzt wie ein Fürst ausstaffieren? Hör zu, Libussa. Du wusstest immer, dass ich ein Bauer bin. Angeblich hat es dich nicht gestört. Jetzt gefallen dir auf einmal meine Schuhe nicht. Ein Maultier wird nicht zum edlen Ross, nur weil man ihm teures Zaumzeug umschnallt. Du bist die Fürstin und Hohe Priesterin hier. Was soll ich eigentlich sein? Ein hübsch herausgeputzter Hund an deiner Seite? Ein fahrender Händler erzählte mir einmal, dass in anderen Ländern die reichen Fürsten solche Tiere ...«
»Premysl!«, unterbrach sie ihn seufzend. »Hör jetzt mit deinen fahrenden Händlern und ihren Geschichten auf. Ich habe dich zu mir kommen lassen, weil... weil ich dich liebe. Und außerdem bist du ein kluger Mann, dessen Rat ich als Fürstin sicher oft brauchen werde. Und als mein Gefährte und Ratgeber hast du nun einen anderen Rang. Du solltest dich dementsprechend kleiden, damit du von unserem Volk ernst genommen wirst. Du bist doch kein Maultier, sondern ein Mensch wie ich.«
Sie wühlte wieder nach dem Silberband. Ihre Unruhe ließ sie fahrig werden.
»Dein Ratgeber will ich sein, wenn du es wünschst. Aber ich habe diese Schuhe selbst gemacht und werde sie nicht wegwerfen, solange sie noch in Ordnung sind«, kam es nun zornig von Premysl. Sie wandte sich um und ihr Ärger schwand, nachdem sie seinen verletzten Blick bemerkte. Es war ihr wieder einmal gelungen, ihn zu kränken. »Nun gut, dann werden wir diese Schuhe aufheben. Ich lege sie in meine Kiste, und dort kannst du sie jederzeit wieder herausholen. Aber bei diesem Wetter sind Stiefel wirklich passender. Zieh sie mir zuliebe an. Bitte.«
Sie lächelte ihn an und legte ihre Hände auf seine Schultern. Als er sie an sich drückte, atmete sie erleichtert auf.
»Hilf mir bitte mit dem Band.«
Er befestigte die endlich gefundene Silberkette an ihrem Hinterkopf. Vorher hatte Libussa an jeder Seite einen der Ringe entfernt, denn durch den Vollzug der Hochzeitszeremonie war sie vom jungen Mädchen zur Frau geworden. Einen davon überreichte sie Premysl. Bei einer Trennung bekäme sie ihn wieder und der Bund wäre dadurch aufgelöst. Dann wies sie Kveta an, schleunigst ein Paar Männerstiefel zu besorgen. Zuletzt holte sie den Bronzestab aus ihrer Truhe, und mit einem Mal überkam sie völlige Gewissheit, was sie damit tun sollte.
»Der gehört jetzt uns beiden«, sagte sie leise und streckte ihm das Zeichen der Fürstin der Cechen entgegen.
Er trat einen Schritt zurück. »Ich will ihn nicht, Libussa. Hast du vergessen, was ich heute Nacht zu dir gesagt habe?«
»Wir haben nicht viel geredet«, erwiderte sie kichernd, aber dann fiel es ihr wieder ein.
»Ich glaube dir, dass du nur meinetwegen nach Chrasten gekommen bist«, begann sie seufzend. »Aber ich will mein Amt mit dir teilen. Bisher war das bei unserem Volk nicht Sitte, ich weiß. Der Onkel oder Bruder steht einer Frau, die den Clan anfuhrt, zur Seite. Doch bei der Versammlung im großen Saal, als man mich drängte, Slavonik zu meinem Gefährten zu machen, wurde mir klar, wie sehr wir bereits von den Lebensgewohnheiten unserer Nachbarn beeinflusst sind. Bei den Awaren, den Franken und auch bei den meisten germanischen Stämmen herrschen fast nur Männer. Es kann immer wieder geschehen, dass jemand wie Tyr versucht, durch mich an die Macht zu kommen. Deshalb will ich, dass du mehr bist als nur der Gefährte an meiner Seite, den ich bald wieder gegen einen anderen austauschen könnte. Mein Volk soll den Fürsten der Cechen in dir sehen. Ich fühle mich auf diese Weise sicherer. Und wie ich schon sagte, ich halte viel von deiner Klugheit.«
Premysl musterte sie eine Weile nachdenklich, doch schließlich schüttelte er entschlossen den Kopf.
»Es tut mir leid, Libussa, aber dem kann ich nicht zustimmen. Ich sagte bereits damals in Zabrusany zu dir, dass ich kein Fürst sein möchte. Ich will an deiner Seite leben, solange wir es beide wollen. Ich will dein Ratgeber sein und dich unterstützen, wo ich kann. Aber das Amt der Cechenfürstin ist deins, und so soll es auch bleiben, wie es bei unserem Volk schon immer Sitte war. Niemand soll sagen können, ich hätte dich von deiner Stellung verdrängt. Du wurdest als Nachfolgerin deiner Mutter auserwählt, und es ist eine gute Wahl gewesen. Ich kenne kaum jemanden, der so ehrlich und gerecht sein kann wie du. Du bist ein Mensch, den andere mögen, Libussa. Unterschätze diesen Vorteil nicht. Tyr scheiterte daran, dass er nur Hass und Furcht um sich verbreitete. Es gibt keinen Grund für dich, mit den alten Sitten zu brechen.«
Sie nickte verwirrt, denn bisher hatte sie es als Schwäche empfunden, so oft die Hilfe anderer zu benötigen. Kveta riss sie aus ihren Gedanken, als sie klopfte, um die Stiefel zu bringen.
»Na, kleine Schwester, gut geschlafen?«
Thetkas Augen blitzten spöttisch und Libussa fühlte Hitze auf ihren Wangen. Wie viele Leute hatten ihren Schrei wohl gehört? Der Saal war leerer als in den vergangenen Wochen. Vojtan und Slavonik waren bereits abgereist, ohne Abschied zu nehmen. Allein Neklan saß noch mit mürrischem Blick an seinem Platz.
»Wir begrüßen Premysl mit Freude in unserer Runde«, erklang plötzlich die Stimme Lechos von den Lukanern. »Er hat uns einmal sehr gut beraten, und wir hoffen, dass wir auch in Zukunft auf seine Klugheit vertrauen können.«
Libussa warf ihm einen dankbaren Blick zu. Er wusste, wie wichtig die erste Aufnahme eines neuen Mitglieds im großen Saal war. Radka sowie auch einige der anwesenden Krieger nickten zustimmend. Manche Blicke wanderten zum Stab der Fürstin, wohl in der Erwartung, dass Premysl ihn nun hoch heben würde. Doch er bedankte sich nur für Lechos Worte. Dann schob er das Zeichen der Fürstin sanft in Libussas Richtung, so dass sie ihre Gäste wie üblich selbst begrüßte. Ein abfälliges Grinsen erschien auf dem Gesicht Hostivits von den Zlicani, aber ansonsten störte sich niemand daran. Anschließend trugen die Mägde Krüge und Bretter mit dem Essen herein.
Libussa biss hungrig in ihr Brot, denn sie war am gestrigen Abend nicht mehr dazu gekommen, noch etwas zu essen. Premysl musterte den üppig gedeckten Tisch stirnrunzelnd. Vermutlich dachte er an das Elend der Bauern in seinem Dorf. Aber damit wäre es vorbei, sobald Vojtan und Neklan sich erneut an die alten Regeln hielten.
Wieder erklangen Melodien zur Unterhaltung der Gäste. Libussa lauschte erleichtert dem entspannten Geplauder um sie herum. Sie nahm einen weiteren Schluck Met und fühlte, wie Premysl unter dem Tisch ihre Hand suchte. Sie hoffte, die Gäste würden bald abreisen, damit sie wieder mit ihm allein sein konnte. Sollten heute Leute kommen, um ihren Rat zu suchen, würde sie diese auf morgen vertrösten. Nur ein einziges Mal.
Thetkas neugieriger Blick verriet ihr, dass es noch jemanden gab, der gern mit ihr allein reden wollte. Angesichts der Hilfe, die sie von ihrer Schwester erhalten hatte, war es wohl angemessen, diesen Wunsch nach dem Morgenmahl zu erfüllen.
Als die Tür zum großen Saal sich plötzlich öffnete, wandten die Gäste erst allmählich ihre Köpfe zu dem Ankömmling. Dann hörte man überraschte, aber freudige Begrüßungsrufe. Libussa stellte ihren Krug auf den Tisch und sah die hochgewachsene Gestalt ihres Onkels.
Er schien mager und um einige Jahre gealtert, doch hatte er nichts von seinem stolzen Auftreten eingebüßt. Sein Blick wanderte staunend über die versammelte Runde, denn es war nicht die Zeit für religiöse Feste, bei denen sich die fürstlichen Clans aller Stämme regelmäßig versammelten.
»Zwei deiner Nichten haben während deiner Abwesenheit einen Gefährten gefunden, Krok von den Cechen«, beantwortete Neklan jene Frage, die der Stammesführer noch nicht gestellt hatte. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob du mit dieser Wahl einverstanden bist.«
Libussa begriff, dass Neklan nur geblieben war, um auf Kroks Rückkehr zu warten. Dann wollte er sich bei dem Stammesführer über ihr Verhalten beschweren.
»Libussa gelang es, einen gefährlichen Gegner zu schlagen«, kam Lecho ihr nun zu Hilfe. »Danach wurde sie hier im großen Saal bedrängt, sich einen Gefährten zu nehmen, damit bei einer weiteren Bedrohung unseres Volkes immer ein Mann in Chrasten zur Stelle wäre. Sie traf ihre eigene Wahl, so wie es das Recht einer jeden Frau ist.«
Zu ihrer Erleichterung kamen ein paar zustimmende Rufe.
»Aber wir hatten uns doch tatsächlich eingebildet, sie würde sich für einen Krieger entscheiden, der einer Fürstin würdig ist. Stattdessen veranstaltete sie ein uraltes Ritual, um uns diesen Bauernburschen hier vor die Nase zu setzen«, fügte der Zlicani-Fürst sogleich hinzu.
Die Unruhe im Saal nahm zu. Krok trat einen Schritt vor. Libussa fühlte, wie sein zorniger Blick sie durchbohrte.
»Onkel, vielleicht sollten wir das innerhalb der Familie bereden.« Aus Kazi sprach wieder die Stimme der Vernunft.
»Gut«, waren nun die ersten Worte des Stammesführers. »Ich will mich mit allen drei Nichten zurückziehen. Die übrigen Gäste mögen ihr Mahl fortsetzen. Ich bedauere, hier durch mein unerwartetes Eindringen gestört zu haben.«
Als Libussa aufstand, waren ihre Knie weich wie Teig. Premysl drückte ihr die Hand.
»Ich wäre gern bei dem Gespräch dabei, Herr«, meinte er dann zu Krok. »Ich glaube, dass diese Angelegenheit auch mich betrifft.«
Die Augen des Stammesführers blitzten einen Moment wütend auf, doch er beherrschte sich. »Dann komme eben mit.«
Zu fünft wollten sie den großen Saal verlassen, als Neklans Stimme sie aufhielt.
»Wenn einer meiner Bauern bei dem Gespräch dabei sein darf, dann will ich das auch. Es gibt einige Dinge, die ich dir zu sagen habe, Krok von den Cechen.«
Der Zorn ließ Libussa ihre unangenehme Lage vergessen. »Er ist nicht mehr dein Bauer, Neklan von den Lemuzi. Auch wenn es dir nicht gefällt, wirst du damit leben müssen«, zischte sie ihn an.
Sie fühlte Premysls Finger an ihrem Arm. »Lass gut sein, Libussa.«
Krok sah aus, als wäre seine Geduld allmählich am Ende. »Jetzt gehen wir alle, und zwar sofort«, sagte er laut. »Neklan kann meinetwegen mitkommen. Ich entscheide, ob ich ihn reden lasse.«
Sie gingen in einen Nebenraum, wo die Mahlzeiten eingenommen wurden, wenn keine Gäste zugegen waren.
»Nun berichte, wie es gewesen ist«, meinte Krok zu Libussa. Sie tat ein paar tiefe Atemzüge. Dann erzählte sie ihre Geschichte und Krok unterband jeden Versuch der anderen, sie dabei zu unterbrechen.
Anschließend schwieg der Stammesführer eine Weile. »Du hast dich in vielen Dingen klug verhalten«, meinte er schließlich. »Und ich sehe, wie wertvoll Premysls Rat und Beistand in dieser gefährlichen Lage gewesen sind. Aber es steht einer Fürstin nicht an, sich mit einem Bauern zu vermählen. Gegen Thetkas Entscheidung für diesen Nordmann will ich mich nicht auflehnen, auch wenn sie mir missfällt. Doch du bist die wichtigste Frau unseres Volkes. Deshalb schlage ich vor, dass ihr eure Verbindung in gegenseitigem Einverständnis auflöst. Ich bin bereit, Premysl für seine Hilfe angemessen zu entlohnen. Ihr werdet euch auch weiter treffen können, doch als Gefährten solltest du einen Sohn der fürstlichen Clans wählen, Libussa. So wie es üblich ist.«
Sie fror und vermied es, Premysl anzusehen. Wieder holte sie Luft und versuchte, ihrer Stimme jenen entschiedenen Klang zu geben, den sie im großen Saal zu ihrem Vorteil nutzte. »Das werde ich nicht tun, Onkel«, erklärte sie. »In unserem Volk haben Frauen das Recht, sich ihre Gefährten selbst zu wählen. Deshalb musst du meine Entscheidung hinnehmen. Du bist unser Stammesführer, aber ich bin jetzt Fürstin und Hohe Priesterin. Niemand darf mir Befehle erteilen.«
Krok sah sie an, als hätte sie sich in eine Fremde verwandelt. »Du hast ein altes heiliges Ritual missbraucht, um deinen eigenen Kopf durchzusetzen. So verhält sich keine Hohe Priesterin, sondern ein launisches, verwöhntes Mädchen. Du sprichst von deinen Rechten, aber hast deine Pflichten völlig vergessen«, donnerte seine Stimme auf sie nieder.
»So ist es, Krok von den Cechen«, mischte sich Neklan plötzlich ein. »Libussa hat ein Ritual für ihre Zwecke benutzt, aber sie vergaß, wie es ausgeht. Hast du nicht auch einmal die Geschichte von der großen Göttin und ihrem Auserwählten gehört?«
Libussas Atmung setzte einen Augenblick aus. Das Ritual war nicht derart in Vergessenheit geraten, wie sie gedacht hatte.
»Worauf willst du hinaus, Neklan?«, murmelte Krok. Libussa stellte mit Erleichterung fest, dass ihm die Opferung des Jünglings wohl unbekannt war.
»Dieser Premysl wurde dir in den schönsten Farben beschrieben, aber in Wahrheit ist er ein Bauer, der seinen Platz in der Welt nicht kennt. Hätte er es sonst gewagt, um eine Fürstin zu werben? Bei uns sorgte er für Unruhe. Er ist gefährlich. Wir können ihn beseitigen, indem wir das gesamte Ritual vollziehen. Der Auserwählte der Königin musste sterben für das Wohl seines Volkes.«
Kroks fassungsloses Gesicht erinnerte Libussa daran, dass ihr Onkel kein grausamer Mensch war. Als er sich in seiner ganzen Größe vor Neklan aufbaute, begriff sie, welchen Gefallen ihr der Widersacher ungewollt getan hatte. »Ich hatte dir nicht das Recht gegeben zu sprechen, Neklan von den Lemuzi. Das war eine Angelegenheit unseres Clans. Wenn Libussa sich weigert, diese Verbindung wieder aufzulösen, dann ... dann ...«
Er stampfte mit dem Fuß auf. »Dann muss ich es hinnehmen. Auch wenn ich es nicht gutheiße. Mit der Zeit wird sie schon zur Vernunft kommen. Der Bauer soll bleiben, bis er durch einen geeigneteren Mann ersetzt wird. Und jetzt gehe, Neklan, denn es fällt mir schwer, meine Hände von deinem feigen Hals zu lassen.«
Neklan verließ schweigend den Raum.
»Ich danke dir, Onkel«, murmelte Libussa.
Sein zorniger Blick machte ihr klar, dass er ihr noch lange nicht verziehen hatte.