Читать книгу Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman - Tessa Hofreiter - Страница 12
ОглавлениеDer Weg hinaus zur Imkerei Gärtner wand sich durch blühende Wiesen stetig den Berg hinauf, bis das Haus hinter einer Tannenreihe auftauchte. Es stand inmitten eines Gartens mit wilden Blumen, hatte drei Zimmer im Erdgeschoss, einen Dachspeicher und einen flachen Anbau, in dem die Imkerei untergebracht war. Die roten Fensterläden und die rote Haustür waren frisch gestrichen und glänzten in der Sonne. In den Blumenkästen blühten bunte Chrysanthemen, die aus Holz gezimmerte Veranda neben der Tür war sauber gefegt.
Susanne Gärtner, die das Haus und die Imkerei von ihrem Großonkel geerbt hatte, ging wie jeden Morgen nach dem Aufwachen in den Garten hinaus. In ihrem langen silberfarbenen Nachthemd und mit offenem Haar stand sie auf der Wiese und schaute auf die Berge, die im Licht der aufgehenden Sonne wie in Gold getaucht schimmerten.
Vor sechs Wochen gleich nach dem Tod ihres Onkels war sie von Bremen nach Bergmoosbach gezogen. Eine eigene Imkerei in dieser wundervollen Landschaft, das war immer ihr Traum gewesen. Für ihren Onkel war der Erlös, den er mit dem Verkauf des Honigs erzielte, nur ein Zubrot zu seiner Rente, wenn sie von der Imkerei leben wollte, musste sie noch einiges dafür tun, weitere Bienenvölker anschaffen, und vielleicht irgendwann ein Café eröffnen und mit Honig gebackenen Kuchen anbieten. Das hatten sogar schon einige Kundinnen aus dem Dorf angeregt, und sie hatte ihnen versichert, darüber nachzudenken.
»Ja?« Sie drehte sich erschrocken um, als es am Gartentor klingelte.
Susanne war es gewohnt, dass die Bergmoosbacher zu ungewöhnlichen Zeiten ihre Imkerei besuchten und sich mit Honig eindeckten, aber so früh hatte noch niemand vor ihrer Tür gestanden.
»Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?!«, rief sie und begutachtete den jungen Mann, der seine Augen hinter einer Sonnenbrille verbarg.
Er hatte dunkles leicht gewelltes Haar, trug Jeans und ein helles Jackett und schien ein wenig unruhig, so als hätte er es eilig.
»Verzeihen Sie die frühe Störung, aber wären Sie so nett und würden mir 50 kg Honig verkaufen?«, fragte er.
»100 Gläser?«, entgegnete sie verblüfft.
»Bezogen auf 500-Gramm-Gläser ist das korrekt.«
»Kommen Sie herein.« Dieses Geschäft würde sie sich nicht entgehen lassen.
»Soll ich nicht noch einen Augenblick warten?« Er wandte den Kopf höflich zur Seite, während er das Gartentor aufschob.
»Warum? Oh!«, rief sie und hielt sich verlegen die Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, was er meinte, stand sie doch in ihrem Nachthemd vor ihm, dessen schmale Träger über ihre Schultern gerutscht waren. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie und lief ins Haus.
Als sie in Jeans und T-Shirt wieder zu ihm hinausging, stand er neben der Veranda und beobachtete die Bienen, die ihre Stöcke verließen, um nach Nektar zu suchen und die Luft mit ihrem Summen erfüllten.
»Sind sie Ihnen unangenehm?«, fragte Susanne.
»Unangenehm? Wer?«
»Die Bienen.«
»Nein, sie sind mir nicht unangenehm. Im Gegenteil, ich bewundere ihre Ausdauer und ihren Fleiß.«
»Mir imponiert am meisten ihr Zusammenhalt, wie sie durch ihr aufeinander abgestimmtes Verhalten ihr Volk am Leben erhalten.«
»Mir gefällt, wie konsequent sie ihre Königin beschützen.«
»Wir laden die Honiggläser am besten auf den Leiterwagen, um sie zu ihrem Auto zu bringen«, wechselte sie schnell das Thema, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, dass er sie durch seine Sonnenbrille hindurch gerade ebenso genau beobachtete wie zuvor die Bienen. »Sie sind doch mit dem Auto hier?«
»Ja, das bin ich.« Er zog den Leiterwagen, der auf der Wiese stand, vor die Tür der Imkerei, nachdem Susanne hineingegangen war, und nahm die Gläser mit dem Honig entgegen, die sie ihm reichte.
Nachdem sie alle eingeladen waren, bezahlte er in bar. »Der Kassenbon genügt«, sagte er, als Susanne ihm eine Rechnung ausstellen wollte. »Sie müssen auch nicht mit zu meinem Auto kommen, ich lade die Gläser schnell ein und bringe Ihnen den Wagen zurück«, sagte er, als Susanne ihn begleiten wollte.
»Ich helfe Ihnen gern«, versicherte sie ihm und versuchte, einen Blick auf seine Augen zu werfen. Aber die Sonnenbrille ließ es nicht zu.
»Ich mache das schon.«
»In Ordnung.« Wenn er keine Hilfe wollte, dann sollte sie sich auch nicht aufdrängen. Merkwürdig, warum parkt er so weit entfernt von der Imkerei?, dachte sie, als er mit dem Leiterwagen hinter der nächsten Kurve verschwand.
»Vielen Dank, dass Sie mich bedient haben, und verzeihen Sie noch einmal die frühe Störung. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag«, verabschiedete er sich, als er ihr den Wagen wenig später zurückbrachte.
Schade, ich hätte zu gern mehr von seinem Gesicht gesehen, dachte Susanne und schaute ihm nach, wie er erneut hinter der Kurve verschwand. Gleich darauf hörte sie den Motor eines Autos, das ins Dorf hinunterfuhr.
*
Anna Bergmann war an diesem sonnigen Morgen schon früh unterwegs. Susanne hatte sie zum Frühstück eingeladen, weil sie etwas mit ihr besprechen wollte. Auf ihrem pinkfarbenen Fahrrad, mit dem rosa Helm auf dem Kopf, unter dem ihre braunen Locken hervorquollen, fuhr Anna den Weg zur Imkerei hinauf und schaute auf die Gipfel der Allgäuer Berge, die sich gegen den blauen Himmel streckten. Vor drei Jahren hatte sie sich als Hebamme in Bergmoosbach niedergelassen und konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie sie es so lange in der Stadt hatte aushalten können. Ihr war es wie Susanne ergangen, auch sie hatte sich gleich in diese Landschaft verliebt. Die junge Imkerin war ihr von Anfang an sympathisch, und sie hatten sich schnell miteinander angefreundet.
Als der Weg sich nach rechts wandte und sie auf das Dorf mit seinen Seen und der Barockkirche hinunterschaute, wanderte ihr Blick zu dem Haus mit den hellgrünen Fensterläden und den mit gelben Blumen geschmückten Balkonkästen, das sich auf einem Hügel am Ortsrand erhob. Das Haus der Seefelds, in dem Sebastian Seefeld, der vor kurzem die Landarztpraxis seines Vaters übernommen hatte, zusammen mit seiner Tochter Emilia, seinem Vater Benedikt und Traudel, der guten Seele des Hauses, wohnte. Mit einem Ruck wandte sie ihren Blick wieder nach vorn und schaute auf das hell verputzte Haus, das zwischen einer Reihe Tannen hervorlugte. Noch einmal machte der Weg einen weiten Bogen, dann stand sie vor der Rosenhecke, die das Grundstück mit der Imkerei einfasste.
»Guten Morgen, Susanne!«, begrüßte Anna die Freundin, die nun ein weißes Kleid trug, einen hellen Strohhut auf dem Kopf hatte und eine Honigwabe aus einem der Holzkästen zog, die ihre Bienenvölker bewohnten.
Susanne nickte nur kurz, während sie die Bienen mit einer Feder vorsichtig von der Wabe fegte, bevor sie sie in eine leere Kiste stellte und danach die nächste Wabe aus dem Bienenstock herausnahm.
Anna wartete, bis sie alle vier Waben aus dem Bienenstock genommen hatte und ihn wieder verschloss, erst dann ging sie zu ihr. »Es ist schön, dir zuzusehen, du musst diese Arbeit wirklich lieben«, sagte sie.
»Ja, schon, aber leider kann ich von den Bienen allein nicht leben. Ich brauche dringend einen Job, damit ich über die Runden komme und mir ein kleines Polster ansparen kann, um die Imkerei zu vergrößern. Die Renovierung des Hauses hat mehr Geld verschlungen, als ich zuerst gedacht hatte.«
»Aber du bereust deine Entscheidung nicht, in Bergmoosbach bleiben zu wollen.«
»Nein, auf keinen Fall, und mein Honig scheint offensichtlich auch schon sehr beliebt zu sein. Ich habe heute bereits 50 kg verkauft, an einen einzigen Kunden«, sagte Susanne und erzählte Anna von ihrem seltsamen Besucher.
»Für mich klingt das, als wollte er nicht erkannt werden«, stellte Anna nachdenklich fest.
»Ja, vielleicht, aber ich hätte ihn auch ohne Sonnenbrille nicht erkannt. Ich bin ganz sicher, dass ich ihn vorher noch nie gesehen habe.«
»Was machst du denn hier, Emilia? Die Schule hat doch gerade erst angefangen, und ihr habt schon wieder frei?«, fragte Anna erstaunt und schaute auf das große schlanke Mädchen, das auf einmal in der Tür zur Imkerei stand. Es trug eine helle Latzhose und grüne Gummistiefel und hatte das kastanienfarbene Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.
»Wir starten mit einer Projektwoche in das neue Schuljahr, das ist schon so etwas wie schulfrei und gefällt mir ganz gut«, antwortete Emilia lächelnd. »Dieses Mal geht es um die heimische Natur als Lebensmittellieferant. Ich habe das Thema Honig gewählt.«
»Sie ist erst seit gestern bei mir und ist mir schon eine echte Hilfe«, sagte Susanne, als Emilia gleich darauf die Kiste mit den Waben holte.
»Willst du etwas begreifen, musst du es anfassen«, erwiderte Emilia lächelnd.
»Kluge Worte«, stellte Anna fest.
»Ja, ich weiß, ich habe sie von einem klugen Mann, meinem Papa«, entgegnete Emilia.
»Du liebst deinen Papa sehr, Kleines«, stellte Susanne fest, die genau wie Anna den Glanz in den hellen grauen Augen des Mädchens gesehen hatte, als es von seinem Vater sprach.
»Ja, ich liebe ihn und ich passe gut auf ihn auf«, erklärte Emilia, bevor sie mit dem Holzkasten in der Imkerei verschwand.
»Sebastian Seefeld sieht nicht so aus, als müsste man auf ihn aufpassen«, raunte Susanne Anna zu.
»In einer gewissen Hinsicht vielleicht schon.«
»Und die wäre?«
»Ich achte darauf, dass er nicht von den falschen Frauen umlagert wird«, erklärte Emilia, die gleich wieder zurückkam.
»Das funktioniert?«, fragte Susanne.
»Ich gebe mir Mühe«, antwortete Emilia lächelnd.
»Wie unterscheidest du die richtigen von den falschen?«
»Ich beobachte Papa, ich weiß, wie er sich gibt, wenn er eine Frau wirklich liebt. Ich weiß es, weil ich ihn und Mama zusammen gesehen habe.«
»Deine Mama kann niemand ersetzen«, sagte Anna leise und streichelte Emilia über das Haar.
»Nein, das geht nicht, aber das heißt nicht, dass Papa sich nicht mehr verlieben wird, das weißt du«, entgegnete Emilia und betrachtete Anna mit einem bewundernden Blick.
Ihre von der Sonne getönte Haut, die strahlend grünen Augen, das braune Haar, das ihr in weichen Locken über den Rücken fiel und in einem aufregenden Kontrast zu dem türkisfarbenen Sommerkleid mit den zierlichen Trägern stand – Anna war zweifelsohne eine schöne Frau, und Emilia wusste, dass ihr Vater Anna sehr gern hatte und dass allein seine Trauer um seine Frau der Grund dafür war, dass er sein Herz noch nicht für eine neue Liebe öffnen konnte.
»Wie wäre es jetzt mit Kaffee und Butterbrot mit Honig?«, schlug Susanne vor.
»O ja, bitte«, stöhnte Emilia, so als stünde sie kurz vor dem Verhungern. »Gibt es auch Malzkaffee? Ich gehöre noch nicht zur Kaffeetantengeneration«, fügte sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu.
»Wie alt muss man denn sein, um zu dieser Generation zu gehören?«, fragte Susanne lachend.
»Auf jeden Fall älter als vierzehn.«
»Dann also Malzkaffee. Geht schon mal auf die Veranda, ich bin gleich bei euch.«
»Hat sie vorhin gesagt, dass sie Arbeit sucht?«, wollte Emilia von Anna wissen, als sie gleich darauf nebeneinander auf der aus Kiefernholz geschreinerten Eckbank saßen.
»Ja, das habe ich gesagt«, antwortete Susanne, die mit einem voll beladenen Tablett auf die Veranda kam.
»Dringend?«, erkundigte sich Emilia, während Susanne Teller und Tassen verteilte, zwei Kaffeekannen, kräftiges Schwarzbrot, Butter und Honig auf den Tisch stellte.
»Ja, sehr dringend, das ist mir gestern klar geworden, als ich meine Bücher noch einmal durchgegangen bin. Ich dachte mir, du kommst doch viel herum, Anna, vielleicht weißt du, wo jemand gesucht wird. Bevor ich meine Ausbildung zur Imkerin angefangen habe, habe ich doch in einer Gärtnerei gearbeitet, vielleicht findet sich da etwas.«
»Du hast eine richtige Imkerlehre gemacht?«, fragte Emilia verblüfft.
»Sie hat sogar eine Meisterprüfung abgelegt«, sagte Anna.
»Wow, das könnte passen.«
»Passen für was?«, fragte Susanne.
»Bevor ich zu dir kam, war ich doch drei Tage in der Brauerei Schwartz.«
»Ich weiß, weil du dir angesehen hast, wie sie ihr berühmtes Honigbier brauen.«
»Mit dem Honig aus ihrer eigenen Imkerei, die ich mir leider nicht ansehen konnte. Da herrscht gerade ein wenig Chaos.«
»Warum das?«, fragte Susanne.
»Ihr Imker hat sich vor zwei Tagen praktisch über Nacht verabschiedet. Sein Bruder besitzt eine Honigfarm in Neuseeland und hat ihm eine Beteiligung angeboten. Offensichtlich hat er darauf schon lange gewartet und hat sich sofort auf den Weg zu ihm gemacht. Das war echt kein guter Zeitpunkt, jetzt so kurz vor der Jubiläumsfeier.«
»Ich habe darüber in der Zeitung gelesen. Die Brauerei Schwartz feiert ihr 500 jähriges Bestehen.«
»Jedenfalls sucht Leonhard Schwartz dringend jemanden, der sich um die Imkerei kümmert. Du könntest dich doch einfach mal dort vorstellen«, schlug Emilia vor.
»Darf ich mich auf dich berufen?«, fragte Susanne, die kaum zu hoffen gewagt hatte, dass sie in ihrem Beruf Arbeit finden könnte.
»Klar darfst du das, ruf doch am besten gleich an.«
»Ja, das mache ich.«
»Bleib ganz ruhig, Leonhard ist sehr umgänglich«, sagte Anna, als Susanne tief Luft holte, um ihre Aufregung in den Griff zu bekommen.
»Und genau wie Papa sehr begehrt, seitdem er sich vor ein paar Monaten von seiner Freundin getrennt hat, die auch gar nicht zu ihm gepasst haben soll, wie Traudel mir versichert hat.«
»Ich kann Traudel nur zustimmen, aber jetzt geht es erst einmal nicht um Leonhards Liebesleben, sondern um seine Qualitäten als Arbeitgeber.«
»Bis gleich«, sagte Susanne, als Anna sie aufmunternd anschaute.
»Ich denke, Leonhard wird sie einstellen«, sagte Emilia, als sie Susanne in der Diele telefonieren hörten.
»Zumindest ist ihre Ausbildung die beste Voraussetzung. Was ist?«, fragte Anna, als Susanne kurz darauf wieder zu ihnen auf die Veranda kam.
»Ich konnte nur mit seiner Sekretärin sprechen, aber sie hat mir einen Vorstellungstermin gegeben.«
»Für wann?«
»Gleich heute Nachmittag.«
»Das ist großartig«, sagte Anna.
»Aber sie sieht gar nicht so erfreut aus«, stellte Emilia fest, als Susanne sich kerzengerade auf die Bank setzte und geradeaus starrte.
»Ich überlege nur, wie ich mich vorstellen soll«, sagte Susanne, »sportlich gekleidet, mehr elegant, businessmäßig?«
»In Imkerkleidung, in diesem weißen Anzug mit der rundherum abgedichteten Kopfbedeckung.«
»Was?« Susanne und Anna sahen Emilia verblüfft an.
»Ich denke, du willst dich als Imkerin bewerben.« Emilia bemühte sich, ernst zu bleiben. »Das war natürlich ein Witz«, prustete sie los, als die beiden sie noch immer ungläubig anschauten. »Aber es wäre eine originelle Kleidung für dieses Vorstellungsgespräch, das müsst ihr doch zugeben.«
»Wenn es nur um die Arbeit ginge, dann schon, aber während eines Vorstellungsgespräches geht es doch auch darum, dass dein Gegenüber sich einen Eindruck von deiner Persönlichkeit machen kann«, sagte Anna.
»In diesem Anzug könnte Susanne aber deutlich machen, dass sie völlig in ihrem Beruf aufgeht.«
»Könnte es sein, dass du mir mehr Chancen bei Herrn Schwartz einräumst, wenn ich mich in einem Anzug verstecke?«, fragte Susanne.
»Also gut, ihr habt mich geschafft«, seufzte Emilia und lehnte sich kichernd zurück. »Da kommt Papa«, stellte sie überrascht fest, als sie gleich darauf auf den Geländewagen aufmerksam wurde, der aus dem Dorf heraufkam.
»Vielleicht will er sehen, wie du dich als Imkerin machst«, sagte Susanne und folgte Emilias Blick.
»Hallo, ich bin auch noch da.« Emilia schnipste mit den Fingern, als der Geländewagen vor dem Gartentor anhielt, Sebastian Seefeld ausstieg und Anna und Susanne ihn verträumt anschauten.
Kaum eine Frau konnte sich Sebastians Anblick entziehen. Er war groß und schlank, hatte dunkles Haar, helle graue Augen, und sein Lächeln vermochte es, große Sehnsüchte zu entfachen.
»Ich muss dann auch wieder los, ich habe noch einige Hausbesuche zu machen«, sagte Anna und stand auf.
»Flüchtest du?«, fragte Emilia leise.
»Nein, ich muss wirklich los, sonst schaffe ich mein Pensum nicht. Ich wünsche dir viel Glück für heute Nachmittag«, verabschiedete sie sich von Susanne.
»Hier, ein Geschenk des Hauses«, sagte Susanne und drückte Anna ein Glas Honig in die Hand.
»Den habe ich gestern abgefüllt«, verkündete Emilia stolz.
»Ich werde daran denken, wenn ich ihn esse«, entgegnete Anna lächelnd und streichelte über Emilias Haar.
»Guten Morgen, die Damen«, sagte Sebastian freundlich, als er zur Veranda kam.
»Guten Morgen, Doktor Seefeld.« Susanne stand auf und reichte ihm über die Verandabrüstung hinweg die Hand.
»Hallo, Anna.«
»Hallo, Sebastian«, sagte sie leise, als er sich ihr zuwandte und sie einen Moment lang anschaute.
»Papa, Susanne meint, du bist sicher hier, weil du wissen willst, was ich so mache.«
»Stimmt, ich komme gerade von meinen Hausbesuchen und dachte, bevor ich in die Praxis fahre, sehe ich mal nach meiner Tochter«, antwortete Sebastian und betrachtete Emilia mit einem liebevollen Blick.
»Darf ich ihm die Honigschleuder zeigen, Susanne?«, fragte Emilia.
»Natürlich, geh nur, ich komme gleich zu euch.«
»Bis bald, ihr beiden«, verabschiedete sich Anna von Emilia und Sebastian und ging zu ihrem Fahrrad.
»Du hast ihn sehr gern, nicht wahr?«, fragte Susanne, die sie zum Gartentor begleitete.
»Ich glaube, es ist mehr«, antwortete Anna und drehte sich noch einmal nach Sebastian um, der hinter Emilia die Imkerei betrat. »Lass mich wissen, wie dein Vorstellungsgespräch verlaufen ist«, sagte sie und wandte sich Susanne wieder zu.
»Das mache ich, bis dann.«
»Ja, bis dann.« Anna setzte ihren Helm auf, stieg auf ihr Fahrrad und rollte den leicht abschüssigen Weg ins Dorf hinunter.
Der Duft der frisch gemähten Wiesen, der strahlend blaue Himmel, der Bach, der oben in den Bergen entsprang und durch Bergmoosbach plätscherte, die Natur brauchte nicht lange, um Annas aufgewühlte Sinne zu beruhigen und ein zufriedenes Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern.
»Das muss ich ganz vorsichtig machen, damit kein Honig verloren geht«, erklärte Emilia ihrem Vater, als sie das Wachs, mit dem die Bienen die Waben verschlossen hatten, vorsichtig mit einem Schaber abtrug, um die Fächer mit dem Honig freizulegen.
»Du machst das großartig«, lobte Susanne das Mädchen, als sie in die Imkerei kam.
»Es sieht wirklich gekonnt aus«, stimmte Sebastian ihr zu.
»Diese kleinen Waben sind derart stabil und raumsparend, dass einige Wissenschaftler glauben, die Bienen verstünden etwas von höherer Mathematik, und intelligente Wesen sind sie ohnehin. Wusstest du, dass man ihnen mit Hilfe von Zeichen den Weg zu einer Nahrungsquelle beschreiben kann?«
»Du hast offensichtlich das richtige Thema für dich ausgewählt.« Sebastian staunte über die Begeisterung seiner Tochter, der Bienen bisher eher suspekt waren.
»Das, was du immer sagst, dass man etwas anfassen muss, wenn man es begreifen will, hat sich mal wieder bewahrheitet.«
»Danke, dass du deinem Vater ein wenig Weitsicht zutraust.«
»Ich traue dir viel zu, Papa. Sieh mal, jetzt sind alle Fächer freigelegt, und nun kommt die Honigschleuder zum Einsatz.« Emilia stellte die Wabe zu den anderen bereits vorbereiteten Waben in den Bottich und setzte die Schleuder mit einem Schalter in Gang. »Schau, da fließt der Honig heraus, den wir dann nach mehreren Siebvorgängen in die Gläser füllen«, erklärte sie ihrem Vater und deutete auf den Hahn, aus dem die goldfarbene Flüssigkeit in einen Eimer floss. »Susanne stellt sich heute übrigens bei Leonhard vor. Sie braucht dringend einen Job, um ihre Imkerei durchzubringen.«
»Sie wirft noch nicht so viel ab, dass ich davon leben kann«, sagte Susanne, als Sebastian aufschaute.
»Mit Leonhard werden Sie sich bestimmt einig werden.«
»Das haben Anna und Emilia mir auch schon versichert.«
»Sie werden uns zustimmen, sobald Sie ihn kennengelernt haben«, erwiderte Sebastian lächelnd.
»Entschuldigen Sie mich kurz«, bat Susanne, als ihr Handy läutete und die Nummer des Reformhauses in der Nachbargemeinde auf dem Display erschien.
»Da hast du mal wieder schnell reagiert, mein Schatz«, stellte Sebastian fest, als Susanne nach draußen ging, um zu telefonieren.
»Zu schnell?«
»Aber nein, das war eine sehr gute Entscheidung. Wenn die beiden sich verstehen, dann ist auch beiden geholfen.«
»Sie verstehen sich ganz bestimmt.«
»Meinst du?«, fragte Sebastian lächelnd.
»Ja, das meine ich, Papa.«
»Das Reformhaus möchte in Zukunft regelmäßig von mir beliefert werden«, verkündete Susanne, die wieder hereinkam.
»Siehst du, es geht schon aufwärts«, sagte Emilia.
»Wenn das mit der Stelle bei Leonhard Schwartz klappt, dann kann ich tatsächlich erst einmal durchatmen.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück, Frau Gärtner, und danke, dass Sie meiner Tochter so viel Einblick in Ihre Arbeit geben«, sagte Sebastian.
»Ihre Begeisterung für die Imkerei macht es mir leicht.«
»Es reicht, ihr habt mich genug gelobt, aber wenn ich Imkerin werden will, muss ich noch einiges lernen.«
»Vor ein paar Monaten wolltest du noch Tierärztin werden«, erwiderte Sebastian überrascht.
»So weit entfernt ist das ja nicht, es hat beides mit Tieren zu tun. Flohzirkusdompteuse übrigens auch.«
»Emilia, du schaffst mich.«
»Ich weiß, aber das ist normal in meinem Alter.«
»Ja, Spatz, das ist es wohl. Wir sehen uns heute Abend, ich muss in die Praxis.« Sebastian legte den Arm um seine Tochter und drückte sie liebevoll an sich, bevor er sich von ihr und Susanne verabschiedete.
»Ich könnte mir vorstellen, dass dein Vater darauf hofft, dass du irgendwann die Praxis übernimmst«, sagte Susanne, nachdem Sebastian gegangen war.
»Könnte schon sein«, entgegnete Emilia und schaute auf den Honig, der aus der Schleuder in den Eimer floss.
»Wie denkst du darüber?«, hakte Susanne nach.
»Es gibt so viele interessante Berufe, ich will mich einfach noch nicht festlegen. Vielleicht studiere ich irgendwann Medizin, aber vielleicht mache ich auch etwas ganz anderes. Muss ich mich denn schon festlegen?«, fragte Emilia und sah auf.
»Nein, das musst du nicht, auch wenn dein Vater hofft, dass du irgendwann einmal seine Nachfolge antrittst. Ich bin absolut sicher, er wird dich in allem unterstützen, was dich glücklich macht.«
»Du meinst, auch wenn ich Flohdompteuse werden möchte?«
»In diesem Fall bin ich mir nicht ganz sicher.«
»Ich auch nicht«, erklärte Emilia kichernd, »außerdem steht meine berufliche Karriere heute auch gar nicht zur Debatte, sondern deine.«
»Wenn ich diese Stelle bekäme, das wäre einfach wundervoll«, sagte Susanne und schaute auf die alte Bahnhofsuhr, die in der Imkerei hing.
In sechs Stunden würde sie wissen, ob Leonhard Schwartz ihr eine Chance gab.
*
»Hast du einen Termin, Leonhard?«, fragte Gerti, als Leonhard Schwartz gegen Ende der Sprechstunde die Praxis von Sebastian Seefeld betrat.
»Nein, Gerti, habe ich nicht, ich wollte nur kurz mit Sebastian sprechen. Privat, du musst dich also gar nicht an meinem Besuch stören.« Leonhard nahm seine Sonnenbrille ab und betrachtete Sebastians Sprechstundenhilfe, die hinter dem Tresen gleich neben der Eingangstür stand, mit einem freundlichen Lächeln.
»Geh, ich bin jetzt seit dreißig Jahren hier, die Patienten haben mich noch nie gestört, solange sie sich zu benehmen wissen«, antwortete die rundliche Frau, die einen weißen Kittel über ihrer hellen Bluse und dem dunklen Faltenrock trug.
»Und deine Ordnung nicht stören«, entgegnete Leonhard amüsiert und schaute durch die geöffnete Tür ins Wartezimmer.
Die Stühle mit den blauen Polstern, die Spielzeugecke für die kleinen Patienten, alles war bereits aufgeräumt. Die Ordnung überließ Gerti nicht allein den beiden jungen Frauen, die nach der Sprechstunde die Praxis reinigten.
»Der Bereich vor dem Sprechzimmer steht unter meiner Verantwortung«, erklärte Gerti, und dabei leuchteten ihre hellen Augen voller Stolz.
»Ich weiß, ohne dich bricht hier das Chaos aus.«
»Leider gehorcht mir das Chaos nicht immer«, seufzte Gerti, während sie die Türen des weißen Aktenschrankes verschloss, der hinter ihr an der Wand stand. »So, jetzt geht’s ins Wochenende«, sagte sie, als kurz darauf die letzte Patientin aus dem Sprechzimmer kam.
»Auf Wiedersehen, Frau Draxler«, verabschiedete Sebastian die Frau in dem dunkelgrauen Dirndl, die ihren Kopf ganz gerade hielt, so als wagte sie es nicht, ihn zu bewegen.
»Vielen Dank, Herr Doktor, das ist wie ein Wunder, ein richtiges Wunder, die Kopfschmerzen sind wirklich weg«, sagte Elvira Draxler und schaute Sebastian verklärt an.
»Machen Sie die Lockerungsübungen, die ich Ihnen gezeigt habe, Frau Draxler.«
»Freilich, das mache ich. Nächste Woche komme ich dann, wegen der Tetanusimpfung.«
»Das können Sie mit Gerti ausmachen.«
»Aber Sie geben mir die Spritze. Gerti ist in solchen Dingen nicht gerade sehr einfühlsam«, flüsterte sie.
»Ich habe das gehört, Elvira«, meldete sich Gerti gleich zu Wort.
»Ist doch so«, entgegnete Elvira schnippisch. »Meine Kopfschmerzen waren übrigens keine Migräne, es war der Atlas«, erklärte sie und baute sich vor Gertis Tresen auf.
»So, der Atlas, interessant, der hat sich vermutlich verschoben, weil du deinen Kopf immer wie eine Antenne nach allen Richtungen ausrichtest, damit dir im Dorf nichts entgeht. Bei dieser Betätigung kann es schon sein, dass jemandem der Halswirbel heraushüpft.«
»Willst du mich beleidigen?«
»Leonhard, was kann ich für dich tun?«, fragte Sebastian und bedeutete Leonhard, dass er zu ihm ins Sprechzimmer kommen sollte.
Gerti würde mit Elvira Draxler, der zweiten Vorsitzenden des Landfrauenvereins und der neugierigsten Person im Dorf, schon allein fertig werden.
»Was ist los? Du siehst ein bisschen mitgenommen aus«, stellte Sebastian fest, als er seinen Freund anschaute, dem einzigen aus Bergmoosbach, mit dem er auch während der vielen Jahre, die er in Kanada gelebt hatte, immer in Kontakt gestanden hatte.
»Seit heute Morgen habe ich auch einiges hinter mir.«
»Was ist passiert?«, fragte Sebastian, während er das Fenster öffnete, weil noch immer das aufdringliche Parfum im Raum hing, das Elvira Draxler benutzte.
»Wir haben doch letzte Woche eine neue Tür am Honiglager angebracht.«
»Ich weiß, die man nur mit einem Code öffnen kann.«
»Ich dachte, es sei eine gute Idee, weil so niemand mehr nach einem Schlüssel suchen muss. Dummerweise habe ich es Herrn Schneider, unserem Imker, überlassen, den Code zu bestimmen. Leider hat er aber bei seiner überstürzten Abreise vergessen, ihn mir mitzuteilen, was mir aber erst heute Morgen bewusst wurde, weil nicht mehr genügend Honig für die heutige Bierproduktion im Braukeller vorrätig war und ich Nachschub holen wollte.«
»Du kannst deinen ehemaligen Imker doch sicher anrufen.«
»Das habe ich versucht, es war vergeblich. Seine Eltern meinten, dass er von Australien aus mit einem Schiff nach Neuseeland unterwegs sei.«
»Wie bist du in dein Honiglager gekommen?«
»Gar nicht. Mir ist eingefallen, dass Anna mir neulich erzählt hat, dass die Nichte vom alten Gärtner seine Imkerei übernommen hat. Ich habe den Honig, der uns für heute noch fehlte, bei ihr gekauft. Morgen früh kommt dann der Schlosser und versucht das Schloss zu knacken, vielleicht muss er es sogar austauschen, mal sehen.«
»Du warst in der Imkerei Gärtner?«, hakte Sebastian nach.
»Richtig, und vorhin sagt mir meine Sekretärin, dass Frau Gärtner sich bei uns als Imkerin beworben hat.«
»Ich weiß, Emilia hat ihr von der freien Stelle bei dir erzählt. Ich war vorhin übrigens auch in der Imkerei, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass Frau Gärtner dich kennt.«
»Ich habe mich ihr auch nicht vorgestellt. Es wäre mir peinlich gewesen, ihr zu sagen, dass ich nicht in mein eigenes Honiglager komme.« Erst recht, nachdem …
»Nachdem was?«, fragte Sebastian, als Leonhard innehielt.
»Nachdem ich sie gesehen hatte. Sie war wie eine Erscheinung, es war ganz merkwürdig.« Leonhard schaute auf die Vitrine aus gemasertem honigfarbenem Holz, die an der Wand neben Sebastians Schreibtisch stand und in der sie die alten Medizinbücher aufbewahrten, die sein Vater Benedikt im Laufe der Jahre gesammelt hatte.
»Sie war wie eine Erscheinung?«, wiederholte Sebastian.
»Ja, irgendwie schon. Weißt du, ich komme dort an, und dann sehe ich im Garten ein Wesen in einem langen silberfarbenen Kleid und mit langen blonden Haaren. Dieses Wesen stand mitten im Morgenlicht und sah so zart aus, beinahe durchsichtig. Ich dachte, das kann nur ein Traum sein, aber dann habe ich geklingelt, und das Wesen dreht sich um und spricht mich an.«
»Susanne Gärtner?«
»Ja«, sagte Leonhard und schaute verträumt aus dem Fenster. »Ist sie in Schwierigkeiten, dass sie sich nach einer Stelle umsieht?«
»Ich denke, sie sucht nach einer Arbeit, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.«
»Für den alten Gärtner war die Imkerei nur ein Zubrot zu seiner Rente, das stimmt. Ich werde nicht gut vor ihr dastehen, wenn ich zugeben muss, warum ich heute bei ihr eingekauft habe. Sie wird mich bestimmt danach fragen.«
»Dann erzählst du ihr, was passiert ist.«
»Sie wird mich für einen Trottel halten.«
»Nein, das glaube ich nicht. Du hattest ein Problem, und du hast es gelöst. Und wie es aussieht, wirst du mit ihrer Hilfe auch dein anderes Problem lösen.«
»Du meinst, sie ist die richtige für meine Imkerei?«
»Das musst du entscheiden.«
»Ich denke, ich werde nicht lange überlegen müssen.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Sebastian und klopfte dem Freund lächelnd auf die Schulter. »Hast du denn inzwischen das besondere Etwas gefunden, das du am Jubiläumstag deinen Gästen präsentieren wirst?«, erkundigte er sich.
»Bisher nicht, vielleicht belasse ich es auch einfach wie geplant bei unserem Jubiläumsbier und dem diesjährigen Honig. Viel Zeit habe ich ohnehin nicht mehr.«
»Die besten Einfälle überfallen uns ganz unverhofft, das weißt du.«
»Ich werde mich diesem Überfall nicht verweigern. Da du gerade einen Überfall erwähnst, habe ich dir schon erzählt, dass Veronika ihren Besuch für nächste Woche angekündigt hat?«
»Veronika Mittermeyer, die Tochter deines Hopfenlieferanten?«
»Richtig.«
»Sagtest du nicht, dass sie inzwischen akzeptiert hat, dass du dich von ihr getrennt hast?«
»Ich hatte es gehofft, aber ich befürchte, sie hält diese Trennung nur für eine Auszeit, die irgendwann vorbei ist. Vielleicht war ich auch nicht deutlich genug ihr gegenüber.«
»Das stelle ich mir auch schwer vor, schließlich stehen eure Familien seit vielen Jahren in enger geschäftlicher und privater Beziehung.«
»Auf der Beerdigung meiner Mutter meinte sie, dass sie und ihre Eltern jetzt meine Familie seien. Das mag nett gemeint gewesen sein, aber für mich war es eine erschreckende Aussage. So als wäre ich jetzt auf ewig mit Veronika verbunden.«
»Was du aber nicht sein willst?«
»Auf gar keine Fall, aber genug jetzt von meinem Gefühlsleben. Ich habe noch zwei Kasten Honigbier im Wagen, die Traudel bestellt hat.«
»Dann komme ich gleich mit und trage sie in den Keller.«
»Was ist?«, fragte Leonhard.
»Ich dachte, ich hätte jemanden unter der Ulme gesehen, aber vermutlich war es nur der Schatten eines Astes«, antwortete Sebastian, der sich kurz aus dem Fenster gebeugt hatte, bevor er das Fenster schloss.
»Soso, der Leonhard hat sich in die kleine Imkerin verguckt«, murmelte Elvira Draxler, die eine Weile auf der Bank unter der Ulme im Hof der Seefelds gesessen, die Unterhaltung der beiden Freunde heimlich mitangehört hatte und nun höchst zufrieden ins Dorf hinunterschlenderte.
*
Susanne hatte beschlossen, zu Fuß hinunter ins Dorf zu gehen. Das würde ihre Nervosität vertreiben, die sie noch immer nicht abgelegt hatte. Sie wollte diese Stelle in der Imkerei der Brauerei unbedingt haben, und sie musste unbedingt einen guten Eindruck auf Leonhard Schwartz machen. Sie hatte das hübsche weiße Kleid mit den schmalen Trägern und dem roten Blütenmuster angezogen und eine Spange mit einer kleinen violetten Blüte seitlich in ihrem Haar befestigt. Ihre Zeugnisse hatte sie in eine blauen Umhängetasche gepackt.
Sie nahm den Feldweg, der um das Dorf herum am Bach entlang direkt zur Brauerei führte. Im Biergarten war um diese Zeit noch nicht viel los. Die meisten Gäste kamen erst gegen Abend zum Essen oder trafen sich mit Freunden zum Feierabendbier.
Auf der anderen Seite des Baches umgeben von Wiesen und sanften Hügeln mit leuchtend gelben Rapsfeldern stand das ebenerdige Gebäude, in dem die Räume der Imkerei Schwartz untergebracht waren. Die weiße Fassade, mit Lüftlmalereien geschmückt, war ein Hingucker für die Besucher des Biergartens.
Susanne überquerte den Steg, der die beiden Grundstücke miteinander verband, und spazierte den weißen Kiesweg entlang, der zur Imkerei führte. Leonhard Schwartz erwartete sie erst in zwanzig Minuten. Sie hatte also noch Zeit und konnte sich ein wenig umsehen. Neben der hellblauen Eingangstür stand gesäumt von bunt bepflanzten Blumenbeeten eine gelbe Bank. Es war eine so einladende Umgebung, dass Susanne der Versuchung nicht wiederstehen konnte, sich einen Augenblick auszuruhen.
Beeindruckend, dachte sie, als sie über die Felder und Wiesen schaute und all die Bienenstöcke sah, die in großem Abstand auf dem Gelände verteilt waren.
»Sie alle zu betreuen, bedeutet eine Menge Arbeit, jedenfalls in der Saison.«
»Das glaube ich, das ist eine ordentliche Aufgabe.« Susanne schaute auf den Mann, der mit einer Kiste voller Waben hinter dem Haus hervorkam. Er trug einen weißen Anzug mit Kopfschutz, hinter dem sie sein Gesicht nur in Umrissen erkennen konnte.
»Sind Sie für die Imkerei verantwortlich? Das heißt, es gibt hier gar keine Stelle als Imker?«, wollte sie wissen, als er ihre erste Frage mit einem Nicken beantwortete. Schade, dachte sie und konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen. Vermutlich war dieser Mann der vermisste Imker, der nun doch nicht nach Neuseeland wollte, und niemand hatte sie darüber informiert.
»Ich dachte, die Stelle in der Imkerei sei noch frei«, sagte sie, während sie aufstand, ihm die Tür zur Imkerei aufhielt und zusah, wie er die Kiste mit den Honigwaben auf einen Tisch stellte. Es wäre ein schöner Arbeitsplatz gewesen, dachte sie und schaute sich in dem großen sauberen Raum um, in dem drei Honigschleudern standen.
»Die Stelle ist noch frei«, sagte der Mann.
»Wirklich? Dann muss ich jetzt los, ich habe gleich ein Vorstellungsgespräch in der Brauerei.« Offensichtlich meinte es das Schicksal doch gut mit ihr.
»Ich denke, den Weg können Sie sich ersparen.« Der Mann nahm seine Kopfbedeckung ab und reichte Susanne die Hand. »Leonhard Schwartz«, stellte er sich vor.
»Sie?«, fragte sie verblüfft, als sie in Leonhard ihren morgendlichen Besucher erkannte. Für einen Moment versank sie in diesen schönen dunklen Augen, die er bei ihrer ersten Begegnung vor ihr verborgen hatte.
»Wir hatten nicht mehr genügend Honig für unsere heutige Produktion«, erklärte er ihr ohne Umschweife, warum er sie aufgesucht hatte.
»Wieso denn das? Bei dieser Anzahl Bienen, die zu Ihrer Imkerei gehören, müssen Sie doch einen ordentlichen Vorrat angelegt haben«, wunderte sich Susanne und ignorierte den Stich in der Magengrube, als Leonhard ihren Blick festhielt.
»Wir haben genügend Vorräte, das stimmt, die Sache ist ein wenig peinlich.«
»Deshalb haben Sie den geheimnisvollen Fremden gespielt? Weil Ihnen etwas peinlich ist?«
»Richtig, ich wollte nicht erkannt werden«, gab Leonhard zu.
»Ist etwas mit Ihrem Lager nicht in Ordnung?«, fragte Susanne und sah auf die mit einem elektronischen Schloss abgesicherte Stahltür am anderen Ende der Imkerei.
»Doch, mit dem Lager ist alles in Ordnung.«
»Darf ich es mir ansehen?«
»Sicher«, sagte Leonhard, während er den Schutzanzug auszog, den er über Jeans und T-Shirt trug.
»Das ist doch randvoll mit Honig«, staunte Susanne, als er sie gleich darauf durch das kleine vergitterte Fenster einen Blick in das Lager werfen ließ.
»Ich weiß, aber wir kommen nicht hinein.«
»Wieso nicht?«
»Mein Imker ist gegangen, ohne mir den Code für das Schloss zu hinterlassen, und ich kann ihn im Moment nicht erreichen.«
»Und das ist Ihnen peinlich?«
»Allerdings, schließlich bin ich für die Brauerei und die Imkerei verantwortlich. Ich sollte wissen, wie ich in meine eigenen Gebäude hineinkomme. Für morgen habe ich den Schlosser bestellt, damit er das in Ordnung bringt.«
»Darf ich?«, fragte Susanne und schaute auf die Tastatur mit den Ziffern und Buchstaben, die an der Tür befestigt war.
»Bitte.« Leonhard sah gebannt zu, wie ihre zarten Finger über die Tastatur flogen. »Wie haben Sie das gemacht?«, fragte er verblüfft, als die Tür plötzlich aufsprang.
»Biene Maja«, antwortete sie lächelnd.
»Biene Maja?«
»Auch Imker können sich Passwörter nur schwer merken. Die meisten, die ich kenne, haben Maja zu ihrer Ikone erklärt.«
»Ihr Vorgänger offensichtlich auch.«
»Mein Vorgänger?«
»Wollen Sie die Stelle nicht mehr?«
»Doch, natürlich.«
»Sie haben sie.«
»Sie haben noch kein Zeugnis von mir gesehen.«
»Ich habe Ihren Honig versucht, das reicht mir als Referenz. Erlauben Sie mir nur noch die Frage, ob Sie in nächster Zeit vorhaben, Ihre eigene Imkerei auszubauen?«
»Irgendwann habe ich das schon vor.«
»Versprechen Sie mir, mir rechtzeitig Bescheid zu sagen, wenn Sie wieder gehen wollen, damit ich nicht erneut über Nacht vor einem verschlossenen Honiglager stehe?«
»Versprochen, außerdem kennen Sie jetzt den Code.«
»Stimmt«, antwortete er lächelnd.
»Was ist mit den Waben, die Sie gerade in die Imkerei getragen haben, und den anderen, die bereits dort lagern? Soll ich Ihnen helfen, den Honig freizulegen?«
»Einfach so? Sie haben doch sicher heute noch etwas anderes vor, als mir in der Imkerei zu helfen.«
»Nein, ich habe Zeit. Morgen würde ich mir dann auch gern Ihre Bienenstöcke ansehen, und am Montag könnte ich mit meiner Arbeit in der Imkerei anfangen. Was halten Sie davon?«
»Einverstanden.« Eine entschlussfreudige junge Frau, dachte Leonhard.
Ein paar Minuten später standen sie nebeneinander an dem Tisch in der Imkerei, schabten das Wachs von den Waben und klemmten sie in die Honigschleuder.
»Alles in Ordnung?«, fragte Susanne, als sie den Blick bemerkte, mit dem Leonhard sie streifte.
»Ja, es ist alles in Ordnung«, antwortete er lächelnd. Seine neue Imkerin war nicht nur entschlussfreudig, sondern auch wunderschön, wie er schon am Morgen bei seinem Besuch in Ihrer Imkerei festgestellt hatte.
Es war bereits dunkel, als sie endlich alle Honigwaben, die Leonhard aus den Bienenstöcken geholt hatte, verarbeitet hatten und die Imkerei verließen. Leonhard ließ es sich nicht nehmen, Susanne zum Essen in den Biergarten einzuladen. Das war das Mindeste, was er ihr für diesen Tag schuldig war, nachdem sie es abgelehnt hatte, dass er sie für ihre Arbeit bezahlte.
»Das war unser gemeinsamer Probetag, jetzt können wir beide entscheiden, ob wir miteinander auskommen werden«, hatte sie gesagt.
Im Biergarten herrschte nun Hochbetrieb, die Tische waren bis auf den letzten Platz besetzt. Die alten Laternen, die schon vor hundert Jahren den Hof beleuchteten, verbreiteten noch immer ihr warmes gemütliches Licht, und auf den Tischen standen flackernde Windlichter, deren Flammen die merkwürdigsten Schatten auf die hellen Steinplatten auf dem Boden warfen.
Leonhard führte Susanne an seinen privaten Tisch, der durch eine dichtgewachsene Hecke vor neugierigen Blicken geschützt war. Er ließ zweimal das Tagesmenü Forelle mit Kartoffeln und Salat bringen und bedankte sich noch einmal für Susannes Hilfe.
»Wie fällt denn nun Ihr Urteil über unseren Probetag aus?«, wollte er wissen, nachdem sie gegessen hatten und noch ein Honigbier tranken.
»Für mich hat sich nichts verändert, ich würde gern für Sie arbeiten.«
»Worauf ich mich sehr freue, allerdings haben wir noch nicht über Ihre Bezahlung gesprochen.«
»Ihre Sekretärin hat mir das Gehalt bereits genannt.«
»Ist es in Ordnung für Sie?«
»Es entspricht meiner Vorstellung.«
»Gut, dann werden wir gleich am Montag einen Vertrag aufsetzen.«
»Ich lasse Ihnen meine Bewerbungsmappe da, damit Sie eine Unterlage haben.«
»Eine Meisterprüfung haben Sie auch«, stellte Leonhard beeindruckt fest, nachdem er einen kurzen Blick auf ihren Lebenslauf geworfen hatte.
»Ich liebe meinen Beruf, ich dachte, ich nehme alles wahr, was mir als Fortbildung zur Verfügung steht. Aber jetzt sollte ich gehen, danke für die Einladung«, sagte Susanne, als sie auf einmal die Müdigkeit übermannte.
»Ich fahre Sie nach Hause, schließlich sind Sie wegen mir so lange geblieben.«
»Das müssen Sie aber nicht tun.«
»Ich tue es aber gern.«
»Also gut, ich nehme Ihr Angebot an.« So müde, wie sie gerade war, erschien ihr der Fußweg nach Hause unendlich weit. Sie war deshalb ganz froh, nicht laufen zu müssen. »Deshalb haben Sie Ihren Wagen heute Morgen so weit von meinem Haus entfernt geparkt«, stellte sie fest, als sie zu den Garagen gingen und sie die dunkelroten Kleintransporter mit dem Namenszug der Brauerei dort stehen sah.
»Wie gesagt, es war mir peinlich, dass ich Honig kaufen musste. Und dieser Wagen war leider heute Morgen noch in der Werkstatt«, sagte er, als er ihr die Beifahrertür des dunklen Cabriolets aufhielt, das abseits von den Transportern stand und keinen Schriftzug trug.
»Vielleicht hätten Sie mir gleich von Ihrem Problem erzählen sollen.«
»Wenn ich gewusst hätte, dass Sie es beheben können, dann hätte ich es vielleicht auch getan.«
»Vielleicht?«
»Peinlich wäre es ja immer noch gewesen«, entgegnete Leonhard lächelnd.
»Sieh mal, Papa.« Emilia stieß Sebastian an, als sie von ihrem gemeinsamen Abendspaziergang mit Nolan, Emilias Hund, zurückkamen und gerade auf ihr Grundstück einbiegen wollten.
»Ich glaube, deine Vermittlung war erfolgreich«, stellte Sebastian fest, der dem Blick seiner Tochter gefolgt war.
Susanne und Leonhard waren im Schein der Straßenlaternen gut zu erkennen, und ihr Lächeln verriet, dass sie sich sympathisch waren.
»Hallo, ihr beiden!«, rief Leonhard, als er auf Sebastian und Emilia aufmerksam wurde. Er hielt am Straßenrand an und stellte den Motor ab. »Ich meine, ihr drei«, sagte er und schaute auf den braun-weiß gescheckten kleinen Hund, dem putzigen Spross einer Berner Sennenhündin und eines weißen Schäferhundes.
»Danke, dass du Nolan nicht übersiehst«, zeigte sich Emilia sichtlich zufrieden.
»Seit ihr euch einig geworden?«, erkundigte sich Sebastian und schaute Susanne und Leonhard abwartend an.
»Ja, das sind wir«, antwortete Susanne.
»Das Problem mit dem Honiglager hat sie auch gleich gelöst«, sagte Leonhard und betrachtete Susanne mit einem bewundernden Blick.
»Sie kannten den Code?«, fragte Sebastian erstaunt.
»Es war ein Rätsel, das die meisten Imker gelöst hätten.«
»Auf jeden Fall hast du mir einen rettenden Engel geschickt, Emilia, dafür danke ich dir«, sagte Leonhard und warf dem Mädchen einen Handkuss zu.
»Es immer gut, wenn man Freunden helfen kann.«
»Ich bin sehr froh, solche Freunde wie euch zu haben, ich wünsche euch eine gute Nacht«, verabschiedete sich Leonhard von den beiden und ließ den Motor wieder an.
»Was war denn mit dem Honiglager?«, wollte Emilia von Sebastian wissen, nachdem sie sich auch von Susanne verabschiedet hatten und die Treppe durch den Steingarten hinauf zum Haus liefen.
»Herr Schneider hat vergessen, Leonhard den Code für das Türschloss zu überlassen. Er kam nicht mehr an seinen Honig.«
»Ich kombiniere, der Großeinkäufer heute Morgen bei Susanne, das war Leonhard.«
»Richtig kombiniert, Sherlock.«
»Danke, Doktor Watson«, antwortete Emilia lachend. »Warum hast du es mir nicht schon erzählt?«
»Weil es Leonhard unangenehm war, aber was du herausfindest, kann ich ja nicht mehr leugnen.«
»Nein, das geht nicht, Watson.« Emilia liebte es, wenn sie und Sebastian Sherlock Holmes und Doktor Watson spielten, erst recht, wenn es galt, Rätsel im richtigen Leben zu lösen.
Als sie noch in den Kindergarten ging, drehten sich ihre Fälle um Spielzeug, das verloren ging und wieder gefunden werden musste, später entlarvten sie auf langweiligen Partys so manche Lüge der Gäste, aber nur im Stillen, ohne irgendjemanden zu brüskieren, worauf ihre Mutter immer großen Wert gelegt hatte.
Inzwischen wusste Emilia, dass es nicht nur ein Spiel war. Ihr Vater hatte ihr auf diese Weise beigebracht, ihre Umgebung genau zu beobachten und nicht auf Grund voreiliger Schlüsse ein Urteil zu fällen.
»Ich kombiniere noch etwas. Meine Vermittlung in Sachen Imkerei beschränkt sich nicht allein auf die Arbeit.«
»Was keine schlechte Entwicklung wäre.«
»Keine schlechte? Ich meine, es wäre eine extrem gute. Susanne ist allein, Leonhard ist allein.«
»Du hast recht, Schatz, es wäre eine extrem gute Entwicklung«, stimmte Sebastian seiner Tochter zu.
»Ich hoffe, Sie haben mir inzwischen verziehen, dass ich Sie heute Morgen mit meinem Besuch erschreckt habe«, sagte Leonhard, als sie vor Susannes Haus anhielten. »Vermutlich hatten Sie gerade an einen lieben Menschen gedacht.«
»Ich habe mir nur den Sonnenaufgang angesehen.«
»Aber es gibt jemanden, mit dem Sie ihn sich gern zusammen angeschaut hätten.«
»Sie meinen jemanden, mit dem ich auch gern den Anblick dieses Sternenhimmels teilen würde?« Sie lehnte ihren Kopf an die Nackenstütze und schaute an den Himmel, der hier weitab von den Lichtern einer Großstadt ein grandioses Schauspiel bot.
»Gibt es jemanden?«, fragte Leonhard.
»Nein, es gibt niemanden«, sagte sie und wandte sich ihm zu.
»Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Ihnen morgen unsere Bienenstöcke zeigen.«
»Um 11 Uhr?«
»Ich warte an der Imkerei auf Sie.«
»Dann bis morgen.«
»Ich freue mich.« Leonhard stieg aus und lief um das Auto herum, um Susanne die Beifahrertür aufzuhalten. »Ich wünsche Ihnen schöne Träume«, sagte er und umfasste ihre Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen.
»Ich wünsche Ihnen auch schöne Träume.« Und jetzt sollte einer von uns gehen, sonst stehen wir noch im Morgengrauen hier, dachte Susanne, weil weder er noch sie sich bewegte. »Gute Nacht, Herr Schwartz«, sagte sie kurz entschlossen, als sie auf einmal diese Sehnsucht überfiel, ihm nahe sein zu wollen. Schnell schob sie das Gartentor auf und lief über die Wiese, ohne sich noch einmal umzudrehen. Erst als sie schon vor ihrer Haustür stand, schaute sie zurück.
Sie sah, wie Leonhard in sein Auto stieg, den Motor anließ und langsam ins Dorf hinunterfuhr, so langsam, als wäre er am liebsten wieder umgekehrt.
*
Am nächsten Morgen machte sich Susanne eine Stunde vor der verabredeten Zeit auf den Weg ins Dorf. Sie wollte noch eine Geburtstagskarte an ihre Mutter aufgeben. Ihre Eltern verbrachten die nächsten Wochen bei Freunden in Griechenland, und sie würde sie in diesem Jahr nicht besuchen können. Die Poststelle war im Schreibwarenladen am Marktplatz untergebracht, und wie an jedem Samstagvormittag herrschte auf dem Marktplatz Hochbetrieb. Die Bergmoosbacher erledigten ihre Einkäufe in den Geschäften, die dort angesiedelt waren, und die Touristen saßen im Café oder liefen staunend über die schönen alten Häuser mit ihren Fassadenmalereien über das Kopfsteinpflaster.
Susanne blieb an dem gemauerten Brunnen in der Mitte des Platzes stehen und betrachtete den Bär, der aus Stein gehauen auf einem Podest im Brunnen stand. Gestiftet von Johannes Schwartz – 1759, stand auf dem Messingschild, das an dem Bärenbefestigt war.
»Leonhards Familie gehört zu den ältesten im Dorf.«
»Guten Morgen, Anna.« Susanne wandte sich der Freundin zu, die plötzlich hinter ihr stand.
»Wie war es gestern?« Anna setzte sich auf den Brunnenrand, zog den Rock ihres roten Kleides gerade, warf ihre langen Locken in den Nacken und sah Susanne abwartend an.
»Es war unglaublich. Wenn es nicht so spät geworden wäre, dann hätte ich dich noch angerufen.«
»Was heißt unglaublich, und warum ist es spät geworden?«
»Mein früher Kunde gestern Morgen, das war er.«
»Leonhard?«
»Hm.« Susanne setzte sich neben Anna auf den Brunnenrand und erzählte ihr von ihrem Besuch in der Imkerei Schwartz. »Irgendwie rührend, dass ihm diese Sache peinlich war.«
»Rührend, aha?«
»Was?«, fragte Susanne, als Anna sie anschaute.
»Da ist so ein merkwürdiger Glanz in deinen Augen, wenn du von ihm sprichst.«
»Das kommt von der Sonne«, entgegnete Susanne und gab vor, zu blinzeln.
»Ich bin sicher, dass es hier kribbelt«, flüsterte Anna und tippte auf Susannes Magen.
»Vielleicht«, antwortete sie lächelnd. »Was ist das?«, fragte sie und schaute auf, als plötzlich der Gesang eines Frauenchors zu hören war.
Alle, die in diesem Moment auf dem Marktplatz unterwegs waren, blieben stehen und schauten in Richtung Dorfgemeindehaus, einem renovierten Fachwerkbau, der ein wenig schüchtern hinter dem zweistöckigen Rathaus mit seiner ausladenden Treppe und dem hochaufragenden Turm hervorlugte.
Gleich darauf wurde der Gesang lauter, und die Frauen des Landfrauenvereins, die im Gemeindehaus ihren Vereinssitz hatten, marschierten immer zu zweit untergehakt am Rathaus vorbei auf den Marktplatz und sangen die zweite Strophe von ›Das Wandern ist des Müllers Lust‹. Alle Damen trugen Dirndl, hatten Strohhüte auf dem Kopf und kleine Rucksäcke aufgeschnallt. Elvira Draxler und Therese Kornhuber, die Vorsitzende des Landfrauenvereins, führten die Gruppe an.
»Der Landfrauenverein hat Wandertag«, sagte Anna, als sie Suannes verdutzte Miene sah.
»Ich glaube, ich habe es jetzt fürchterlich eilig«, erklärte der hoch aufgeschossene Junge mit dem strohblonden Haar, der ein Baby in einem bunten Tragetuch mit sich herumtrug.
»Hallo, Markus«, begrüßte Anna ihn freundlich.
»Sag deiner Patentante schnell guten Tag, Möpschen«, sagte Markus und streichelte seinem kleinen Bruder über die hellen Löckchen.
»Möpschen?«, fragte Anna lachend und betrachtete das Kind, das sie zusammen mit Sebastian auf die Welt geholt hatte und das nun ihr gemeinsames Patenkind war. Ihr wurde ganz warm ums Herz, als sie den Kleinen streichelte und er sie mit einem strahlenden Lächeln ansah.
»Der Mini ist erst ein Vierteljahr alt, aber er wiegt schon eine Tonne«, erklärte Markus, warum er seinen Bruder Möpschen nannte.
»Bist du allein mit ihm unterwegs?«, wunderte sich Anna. Der Mittnerhof, der Markus‘ Familie gehörte, lag weit außerhalb des Dorfes. Das war ein anstrengender Fußmarsch mit einem Säugling auf dem Arm.
»Mama ist beim Friseur, die Zwillinge sind zu Hause bei Papa, und ich mache ein paar Besorgungen und zeige Bastian herum. Er ist ja schon ziemlich knuddelig«, gab Markus voller Stolz zu.
»Du machst das wirklich gut«, sagte Susanne und berührte das Baby ganz behutsam am Arm. Der Kleine kannte sie nicht, und sie wollte ihn nicht erschrecken.
Aber Bastian lachte auch mit ihr, er war es gewohnt, viele Leute um sich herum zu haben, und die Zwillinge Senta und Benjamin gingen mit ihren sechs Jahren auch nicht besonders behutsam mit ihrem kleinen Bruder um.
»Ich gehe dann, ehe sie mich mit ihren guten Ratschlägen überschütten, bis dann«, sagte Markus und verschwand in der Bäckerei, als die Landfrauen sich dem Brunnen näherten.
»Sie haben uns im Blick«, flüsterte Anna, als Elvira und Therese zu ihnen herüberschauten.
»Nach dem, was ich bis jetzt über die beiden gehört habe, hätten sie gern alles im Blick.«
»Das ist wahr, zum Glück sind nicht alle Landfrauen so wissbegierig. Die meisten sind eigentlich ganz nett. Es ist alles in Ordnung«, sagte Anna, als Susanne aufstand und sich über die Schulter schaute, um den Sitz ihres Kleides zu überprüfen. »Es steht dir ganz wunderbar«, versicherte sie ihr und sah auf das schwarz gepunktete gelbe Leinenkleid mit den breiten Trägern und dem runden Ausschnitt.
»Ich hoffe, ich werde nicht jedes Mal so aufgeregt sein, wenn ein Treffen mit Leonhard bevorsteht, sonst werde ich die Arbeit in der Imkerei nicht lange durchhalten. Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen«, gestand Susanne der Freundin, während Elvira den Blick weiter auf sie gerichtet hielt und so dicht an ihr vorbeiging, dass sie sie beinahe streifte.
»Aber es ist doch diese Art Aufregung, die eine neue Liebe so interessant macht.«
»Eine neue Liebe?« Susanne sah Anna verblüfft an.
»Du willst mich nicht vom Gegenteil überzeugen?«
»Du meinst, es würde mir nicht gelingen?«
»Wie gesagt, deine Augen leuchten einfach zu verräterisch.«
»Es sieht ganz so aus, als könnte ich dir nichts vormachen.«
»Stimmt«, sagte Anna lächelnd.
»Schon so spät«, stellte Susanne fest, nachdem sie auf die Rathausuhr geschaut hatte. »Ich muss noch schnell zur Post«, sagte sie und sah auf die Geburtstagskarte, die sie in der Hand hielt.
»Ich war ohnehin auf dem Weg zum Schreibwarenladen, ich brauche Druckerpapier. Ich nehme sie mit. Lass es gut sein, du hast mir gestern Honig geschenkt, ich schenke dir eine Briefmarke«, sagte Anna, als sie die Geburtstagskarte entgegennahm und Susanne ihr Portemonnaie zückte.
»Danke.«
»Keine Ursache, genieße den Nachmittag.« Anna verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung von der Freundin.
»Da sind die richtigen zusammen«, raunte Therese Elvira zu, als sie sich beide noch einmal umdrehten, während die anderen Damen ein neues Wanderlied anstimmten.
»Wie ich es dir gesagt habe, die kleine Imkerin ist hinter Leonhard her und jetzt, nachdem er sie offensichtlich eingestellt hat, wie ich gerade gehört habe, hat sie sich bereits den Weg geebnet.«
»Es ist halt immer dasselbe, da kommen sie aus der Stadt hierher und haben nichts Besseres zu tun, als ihre Fühler nach den besten Mannsbildern, die noch zu haben sind, auszustrecken.«
»Dabei dachte ich, Veronika Mittermeyer und Leonhard kommen wieder zusammen. Das Madl ist bildschön, hat eine ausgezeichnete Herkunft, und die zwei kennen sich schon lange.«
»Genau das wird’s sein, sie kennen sich schon zu lange. die junge Dame aus dem Norden ist etwas Neues für ihn, eine Abwechslung, verstehst?«
»So eine Abwechslung kann aber auch schnell zu was Festem werden, dann wird es nichts mit dem Zuzug unserer Veronika nach Bergmoosbach und auch nichts mit ihrer Mitgliedschaft in unserem Verein, dann versiegen auch die großzügigen Spenden, die sie uns recht offen zukommen lässt.«
»Es müsst ja nicht so weit kommen, dass aus der Abwechslung was Festes wird«, erklärte Therese und machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Veronika sollte wissen, was vor sich geht.«
»Irgendjemand muss es ihr sagen«, entgegnete Therese und sah Elvira an.
»Freilich muss es ihr jemand sagen«, stimmte Elvira Therese sofort zu, während sie mit ihren klobigen Schuhen über das Kopfsteinpflaster klapperte und im Takt des Wanderliedes klatschte.
Susanne dachte schon nicht mehr an die Landfrauen, als sie kurz darauf den Marktplatz verließ und Emilia zuwinkte, die im Auto ihres Vaters saß, das vor der Apotheke geparkt war.
»Susanne, pass auf!«, rief Emilia, als sie den schwarzen Sportwagen bemerkte, der gerade die Ortseinfahrt passierte und mit überhöhter Geschwindigkeit auf den Zebrastreifen zuraste, an dem Susanne stand.
»Sind Sie lebensmüde oder haben Sie keine Augen im Kopf?!«, tobte die Frau am Steuer des Wagens, die eine Vollbremsung hinlegte, als sie auf Susanne aufmerksam wurde, die vorsichtig um den Lastwagen herumgeschaut hatte, der ihr die Sicht versperrte, durch Emilias Warnung aber sofort zurückgeschreckt war.
»Das war nicht ihre Schuld, Sie sind zu schnell gefahren.« Emilia sprang aus dem Geländewagen und eilte Susanne zur Hilfe, während die Landfrauen und alle anderen, die auf dem Marktplatz unterwegs waren, stehenblieben, um Susanne und die dunkelhaarige Frau in dem eleganten weißen Kostüm zu beobachten.
»Halte dich da raus, Mädchen, was willst du denn schon wissen? Du besitzt doch noch nicht einmal einen Führerschein«, fuhr die Fahrerin des Sportwagens Emilia an, die in Shorts und T-Shirt vor ihr stand, weil sie gerade auf dem Weg zum Sportplatz war.
»Die Polizei könnte die Bremsspuren vermessen.«
»Holla, holla, Madl, es ist doch nichts passiert«, mischte sich Therese Kornhuber ein und kam näher.
»Stimmt das?«, erkundigte sich Emilia und legte den Arm um Susannes Schultern. »Du zitterst«, sagte sie leise.
»Das ist nur der Schreck.«
»Du meine Güte, was ist denn das für ein Aufstand? Diese Frau ist mir vors Auto gelaufen, ich habe schnell reagiert und so Schlimmeres verhindert. Nun ist die Vorstellung beendet«, erklärte die Fahrerin des Sportwagens.
»Ihre Schilderung des Vorfalls stimmt nicht«, widersprach Emilia selbstbewusst.
»Grüß Gott, Doktor Seefeld«, säuselte Elvira Draxler, die mit den anderen Landfrauen im Halbkreis vor dem Zebrastreifen stand.
Schnell traten alle einen Schritt zurück und ließen Sebastian vorbei, der den Vorfall aus der Apotheke heraus beobachtet hatte.
»Mei, er kommt ganz nach seinem Vater«, sagte eine kleine zierliche Frau, die ihren Strohhut in den Nacken schob, um Sebastian besser ansehen zu können.
»Aber leider ist er ein bissel zu jung für uns«, seufzte eine dralle ältere Dame, die dem jungen Arzt verträumt nachschaute.
»Es ist ihr nichts passiert, Papa«, sagte Emilia, als Sebastian zu ihr und Susanne kam.
»Können wir Sie ein Stück mitnehmen?« Sebastian hatte sofort gesehen, dass Susannes größtes Problem im Moment die vielen Menschen waren, die sie anstarrten.
»Ich wollte zur Brauerei«, sagte sie leise.
»Die Brauerei liegt auf unserem Weg, kommen Sie mit uns«, bat er sie, berührte sie behutsam am Rücken und geleitete sie an den Neugierigen vorbei, die sich hinter den Landfrauen versammelt hatten. »Kennen Sie diese Frau?«, fragte er, als er sich noch einmal umdrehte, weil er das Gefühl hatte, dass er die Fahrerin des Sportwagens schon einmal gesehen hatte.
»Ich habe keine Ahnung, wer sie ist.«
»Da sind Anna und Markus!«, rief Emilia, als sie die beiden vor dem Bäckerladen stehen sah. »Ich bin gleich wieder da.«
»Hallo, Emilia, weißt du, was hier los ist?«, fragte Anna, als das Mädchen auf sie zu rannte.
»Susanne hätte beinahe einen Unfall gehabt.«
»Wo ist sie?«, fragte Anna erschrocken.
»Papa kümmert sich um sie, es geht ihr gut.«
»Ich sehe trotzdem mal nach ihr«, sagte Anna, als sie die beiden vor der Apotheke entdeckte.
»Hallo, Möpschen.« Emilia küsste den kleinen Bruder ihres Freundes auf beide Wangen, was dem Kleinen ein fröhliches Glucksen entlockte.
»Hast du heute Nachmittag Zeit?«, fragte Markus.
»Schon«, antwortete Emilia lächelnd.
»Wir könnten ins Kino gehen.«
»Gute Idee, holst du mich ab?«
»Um fünf?«
»Alles klar, bis dann«, sagte Emilia und eilte wieder davon. »Hat Papa dir gesagt, dass wir zum Sportplatz fahren?«, wandte sie sich an Anna, die mit Susanne und Sebastian vor der Apotheke stand.
»Ja, das hat er mir gesagt.«
»Warum kommst du nicht mit? Du könntest meiner Mannschaft beim Training zuschauen, schließlich hast du dich im Sportverein dafür eingesetzt, dass sie eine Mädchenfußballmannschaft aufstellen.«
»Ich finde, das ist ein guter Vorschlag oder hast du schon etwas vor?«, fragte Sebastian.
»Ja, bitte, Anna, komm mit«, bat Emilia erneut.
»Wie könnte ich nein sagen, wenn mich gleich zwei Seefelds so nett bitten. Ja, ich komme mit«, erklärte sich Anna einverstanden.
»Bitte einsteigen, sonst komme ich zu spät.« Emilia hielt Anna die Beifahrertür auf und setzte sich danach mit Susanne auf die Rückbank.
Zwei Minuten später stieg Susanne vor der Brauerei wieder aus, und sie wünschten ihr einen schönen Tag mit Leonhard.
»Ihr habt gesagt, dass diese Frau in einem schwarzen Sportwagen mit Münchner Kennzeichen unterwegs ist«, hakte Anna noch einmal nach, nachdem Susanne außer Hörweite war.
»Richtig, und ich denke, ich habe diese Frau auch schon einmal gesehen«, sagte Sebastian.
»Schlank, dunkles Haar, schön und selbstverliebt?«
»Das beschreibt sie recht gut.«
»Ich würde sagen, das war Veronika Mittermeyer.«
»Deshalb kam sie mir bekannt vor. Leonhard hat mir irgendwann einmal ein Foto von ihr gezeigt.«
»Darf ich auch wissen, wer diese Veronika Mittermeyer ist?«, fragte Emilia.
»Sie war eine Zeit lang mit Leonhard zusammen, es könnte sein, dass sie ihn noch nicht aufgegeben hat«, sagte Sebastian.
»Das klingt nach Ärger.«
»Da könntest du recht haben«, seufzte Anna. Sie hatte Veronika auf dem letzten Dorffest erlebt, wie sie jede Frau in Leonhards Nähe vergrault hatte. Dasselbe würde sie auch mit Susanne versuchen, daran bestand für Anna kein Zweifel.
Auf dem Marktplatz herrschte inzwischen wieder das übliche Kommen und Gehen. Veronika hatte ihren Wagen in eine Parklücke gefahren und wurde nicht mehr weiter beachtet, außer von Elvira, die sich von den Landfrauen gelöst hatte und sich zu ihr ins Auto setzte.
»Was will Leonhard mit so einem verhuschten Püppchen, das nicht einmal allein über die Straße gehen kann?«, machte Veronika ihrer Eifersucht Luft, nachdem Elvira ihr erzählt hatte, wen sie beinahe umgefahren hatte.
»Für die Liebe braucht es doch keinen Grund.«
»Aber einen Anreiz. Was will er mit einer Imkerin, die noch nicht einmal von ihrer Imkerei leben kann?«
»Noch nicht. Irgendwann will sie aber ein Café eröffnen und Honigkuchen und so was anbieten, habe ich gehört.«
»Das ist wirklich sehr interessant. Eine Imkerin, die Kuchen backt, toll, ganz toll.«
»Mei, reg dich doch nicht so auf, Veronika. Jetzt bist du doch da und kannst dafür sorgen, dass nichts passiert, was nicht passieren soll«, erklärte Elvira. »Also nichts für ungut, ich muss dann wieder los, sonst verliere ich den Anschluss. Du packst das, Madl«, sagte sie und nickte Veronika aufmunternd zu, nachdem sie aus dem Auto gestiegen war. »Mach’s gut«, verabschiedete sie sich und folgte den Landfrauen, die mit einem fröhlichen Wanderlied auf den Lippen in eine Seitenstraße einbogen.
»Ich werde es gut machen, darauf kann sich diese Imkerin verlassen«, murmelte Veronika.
*
Leonhard stand auf dem Steg, der die Brauerei mit der Imkerei verband. Er hatte seine Arme auf das Geländer gestützt und schaute auf den Bach, der in gemächlichem Tempo talabwärts floss. Da er Susanne nicht gleich bemerkte, als sie den Steg erreichte, nutzte sie die Gelegenheit, ihn zu betrachten. In der dunklen Hose und dem hellen Jackett sah er unglaublich elegant aus. Sie zuckte zusammen, als er sich mit der Hand durch sein dunkles Haar fuhr und sich aufrichtete. Gleich darauf wandte er sich um.
»Hallo«, sagte er überrascht.
»Hallo«, antwortete sie verlegen.
»Ich freue mich, dass Sie da sind, wollen wir gleich losgehen?«, fragte er und fing ihren Blick auf.
»Ja, gern«, entgegnete sie und versuchte, seinem Blick standzuhalten. Seine Verunsicherung vom Tag zuvor war verschwunden. Dieser Mann strahlte Zuversicht und Stärke aus, und das machte ihn noch attraktiver für sie. Der Zwischenfall am Marktplatz erschien ihr auf einmal unwichtig, zumal ihr auch gar nichts passiert war, und sie beschloss, ihn nicht zu erwähnen.
»Ich denke, Schutzkleidung brauchen wir nicht für diesen Spaziergang«, sagte er.
»Nein, die Bienen finden zurzeit noch genügend Nektar, sie sind beschäftigt und ausgeglichen, sie werden sich nicht an uns stören.« Außerdem will ich dich ansehen können, dachte Susanne und war froh, dass er nicht darauf bestand, die Anzüge mit den Imkerhauben anzuziehen.
Der schmale sandige Pfad, auf dem er sie entlangführte, zog sich mal gerade, mal in Bögen an den aus Holz gezimmerten Kästen vorbei, die die Bienenvölker bewohnten. Susanne schaute dann und wann durch die eingebauten Fenster in die Stöcke hinein, um nachzusehen, wie viele Waben bereits wieder mit Honig gefüllt und mit Wachs verschlossen waren.
Leonhard näherte sich den Bienenstöcken nicht ganz so unbefangen wie sie, er hielt stets ein wenig Abstand und betrachtete Susanne mit einem anerkennenden Blick.
»Gehören diese Felder und Wiesen alle Ihnen?«, fragte Susanne, nachdem sie schon über eine Stunde unterwegs waren und der Bienenpfad, wie Leonhard den Weg nannte, sich durch ein Rapsfeld schlängelte.
»Bis zu der Wiese, auf der die Imkerei steht, und bis zu den Hügeln dort«, sagte er und zeigte auf zwei Erhebungen im Norden, die ein riesiges Rapsfeld begrenzten.«
»Wie lange lebt Ihre Familie denn schon in Bergmoosbach? Ich habe das Schild am Brunnen gesehen.«
»Soweit wir herausfinden konnten, haben sich meine Vorfahren vor etwa 600 Jahren hier angesiedelt, um sich der Bierbrauerei zu widmen.«
»Und dem Landkauf.«
»Das sie sich mit den Bienen teilen.«
»Eine kluge Gemeinschaft. Einstein soll gesagt haben, wenn die Bienen sterben, dann stirbt auch der Mensch.«
»Wer auch immer es gesagt hat, wahr ist es. Ohne Bestäubung durch fleißige Insekten wird es keine Früchte mehr geben, das bedeutet keine Nahrung mehr, weder für Tiere noch für Menschen.«
»Ich weiß.«
»Daran zweifle ich nicht«, entgegnete Leonhard.
Für einen Moment standen sie einfach nur da und sahen sich an. Sie standen mitten in diesem riesigen Rapsfeld wie auf einer leuchtend gelben Wolke, die nur ihnen allein gehörte.
»Ich wünschte, ich könnte diese Landschaft einmal aus der Luft sehen, darüber hinwegfliegen wie die Bienen«, sagte Susanne, als sie ihren Blick irgendwann zur Seite wandte und auf das Land schaute, das Leonhard gehörte.
»Manchmal sind Wünsche ganz leicht zu erfüllen.«
»Aber wir können nicht fliegen.«
»Doch, können wir, ich hatte geplant, genau das mit Ihnen zu tun.«
»Was genau? Wollen Sie, dass ich mich mit einem Gleitschirm von einem Felsen in die Tiefe stürze?«
»Nein, das nicht«, antwortete Leonhard lächelnd. »Kommen Sie, es wird Ihnen gefallen«, sagte er.
Sie nahmen den direkten Weg durch die Felder, und es dauerte nicht lange, bis sie den Steg hinüber zur Brauerei erreichten.
»Auf ein Wort, Chef«, bat die Kellnerin, die aus dem Biergarten kam und auf Leonhard zueilte.
»Ist etwas passiert, Irmgard?«, fragte er die ältere Frau, die ihr Haar zu einem Kränzchen gebunden hatte und ein Samtband in der Farbe ihres dunkelroten Dirndls um den Hals trug.
»Wichtig ist es schon«, sagte Irmgard und zog Leonhard ein Stück zur Seite, damit Susanne nicht hören konnte, was sie zu sagen hatte.
»Etwas Unangenehmes?«, fragte Susanne, als Leonhard gleich darauf wieder zu ihr kam und Irmgard in den Biergarten zurückging.
»Nichts, was sich nicht lösen ließe, und schon gar nichts, worum wir uns jetzt kümmern müssten«, versicherte er ihr. Veronika hatte nach ihm gefragt, aber das würde ihn sicher nicht davon abhalten, diesen Tag mit Susanne zu verbringen.
Susanne fragte nicht, wohin er wollte, als sie gleich darauf in seinen Wagen stiegen. Sie ließ sich in das weiche Leder des Sitzes sinken und wartete einfach ab, wohin er sie bringen würde. Sie vertraute ihm und wollte sich gern von ihm überraschen lassen.
»Aber Sie haben nicht an einen Fallschirmsprung gedacht?«, fragte sie erschrocken, als sie auf den Parkplatz des Sportflughafens außerhalb von Bergmoosbach einbogen.
Gerade startete ein Flugzeug mit offener Tür, und sie konnte die Fallschirmspringer sehen, die es in mehrere tausend Meter Höhe bringen sollte.
»Nein, ein Fallschirmsprung bringt uns nicht ans Ziel.«
»Was ist denn unser Ziel?«, fragte Susanne, nachdem sie aus dem Wagen gestiegen waren.
»Eine Hochalm, sie ist das erste Grundstück, das meine Vorfahren hier in der Gegend erworben haben, und dort gewinnen wir unseren besten Honig. Wir werden mit einem Motorsegler fliegen.«
»Ein Segelflugzeug, natürlich, darauf hätte ich auch kommen können«, sagte sie und schüttelte über sich selbst den Kopf. »Sie haben einen Flugschein?«
»Seit meinem achtzehnten Geburtstag. Ich hoffe, Sie haben keine Angst, sich mir anzuvertrauen.«
»Nein, ich habe keine Angst«, antwortete Susanne, als er sie ansah. Das, was sie in diesem Moment empfand, hatte nicht das Geringste mit Angst zu tun. Im Gegenteil. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart vollkommen sicher.
Eine halbe Stunde später waren sie in der Luft. Über ihnen der strahlend blaue Himmel, unter ihnen samtig grüne Hügel, blühende Wiesen, Raps- und Weizenfelder, glitzernde Seen und Tannenwälder. Eingebettet in diese Farbenpracht lag Bergmoosbach.
»Unglaublich, diese Stille«, flüsterte Susanne, als Leonhard den Motor schließlich abschaltete und das Flugzeug lautlos über das Land hinwegglitt.
»Gefällt Ihnen diese Art des Fliegens?«
»Es ist großartig, es ist wirklich beinahe so, als würde man selbst fliegen.« Susanne schaute durch das Glasdach an den Himmel, der so nah erschien, dann wieder zur Seite auf die Landschaft unter ihnen, die auf einmal weit fort war. »Ich kann die Brauerei sehen«, sagte sie, als sie das rote Backsteingebäude entdeckte, das wie eine leuchtende Blüte am Rande der gelben Felder auftauchte.
»Willst du dir auch deine Imkerei aus der Luft ansehen? Verzeihung, wollen Sie …«
»Schon in Ordnung, wir sind weit über die Höhe hinaus, in der sich die Bergsteiger immer duzen«, wandte sich ihm Susanne lächelnd zu.
»Stimmt, dann also Susanne und Leonhard.«
»Ja, Susanne und Leonhard«, wiederholte sie, und das klang sehr gut. »Wie winzig es aussieht«, stellte sie fest, als sie gleich darauf auf das kleine Häuschen schaute, das inmitten einer Wiese auf dem buckligen Hügel lag.
»Winzig wie alles, das wir aus der Luft betrachten.«
»Winzig wie unsere alltäglichen Sorgen, die sich in Luft aufzulösen scheinen, sobald wir mit einem Flugzeug vom Boden abheben.«
»Ein interessantes Phänomen, nicht wahr?«
»Deshalb sehnen wir uns doch danach, fliegen zu können, um alles, was uns ärgert, einfach abzuschütteln.«
»Ärgerst du dich denn gerade über etwas?«, fragte Leonhard.
»Nein, überhaupt nicht, ich genieße einfach nur diesen Flug.«
»Das tue ich auch.« Leonhard streifte sie mit seinem Blick, bevor er wieder nach vorn sah. »Wir sind da, nicht erschrecken, ich stelle den Motor wieder an, dann kann ich das Flugzeug leichter steuern«, sagte er, als sie bald darauf über die Gebirgskette der Allgäuer Alpen flogen. »Dort ist unsere Alm.« Er deutete auf die Wiese direkt unter ihnen.
Sie lag ganz einsame auf halber Höhe zwischen Tal und Gipfel. Die Holzkästen mit den Bienenvölkern standen in einer Reihe in der Nähe einer Hütte.
»Gehören diese Bienenstöcke auch zu meinem Aufgabenbereich?«, wollte Susanne wissen.
»Nein, das wäre zu viel, ein Imker vor Ort kümmert sich um die Waben. Er holt sie aus den Stöcken, bringt sie zu uns und nimmt leere Waben im Austausch mit.«
»Der Aufwand ist ziemlich groß.«
»Der Honig ist es wert, dort oben ist die Natur noch sich selbst überlassen, unsere Bienen finden Blüten, die es im Tal nicht gibt, das macht diesen Honig zu etwas ganz Besonderem.«
»Ich würde mir die Bienenstöcke gern aus der Nähe ansehen. Wie kommt man auf die Alm?«
»Es gibt zwei Wege, der eine ist mit einem Traktor befahrbar, das erleichtert unserem Imker die Arbeit, der andere ist nur zu Fuß zu bewältigen, dafür ist er aber um einiges kürzer.«
»Ist es ein Kletterweg?«
»Nein, mehr ein Wanderweg, allerdings mit einigen Hindernissen.«
»Die du aber kennst.«
»Ja, ich kenne sie«, antwortete Leonhard lächelnd.
»Denkst du, ich käme mit meinen Schuhen dort hinauf?« Sie schaute auf die flachen Halbschuhe aus schwarzem Wildleder, die sie angezogen hatte, weil sie für ihren Spaziergang durch die Rapsfelder sehr bequem waren.
»Es könnte gehen, aber du musst mir versprechen, dich auf mich zu verlassen.«
»Du meinst, das Wort des Bergführers ist Gesetz?«
»Genau das meine ich.«
»Ich verspreche, nicht von dem Pfad abzuweichen, den du vorgibst«, erklärte Susanne. Sie wollte unbedingt auf diese Alm. Sie hatte noch nie Bienenstöcke in dieser Höhe besucht.
»Dann lassen wir uns auf dieses Abenteuer ein. Der Flugplatz ist im Tal hinter diesen Bergen, ich werde um Landeerlaubnis bitten«, sagte Leonhard.
*
Leonhard hatte recht gehabt, der Weg hinauf zur Alm war nicht sehr steil, aber tückisch. Seitdem sie den Flugplatz verlassen hatten, war bereits eine Stunde vergangen, und sie waren noch nicht sehr weit gekommen. Immer wieder versperrten ihnen Felsen den Weg, die sie dichter an die Abhänge zwangen. Eine Gerölllawine, die offensichtlich erst vor kurzem hier abgegangen war, erschwerte den Aufstieg zusätzlich.
Der Wald, den sie durchqueren mussten, war dunkel, das Sonnenlicht drang nur spärlich durch die dichten Baumkronen. Diese Wanderung wurde allmählich zu einer Herausforderung, und Susanne hoffte, dass sie bald am Ziel waren.
Als sie das zweite Mal an eine schmale Schlucht gelangten, die sie nur auf einem quergelegten Baumstamm überqueren konnten, musste sie ihren ganzen Mut zusammennehmen, um Leonhard, der auch dieses Mal vorausging, zu folgen.
»Was war das?!«, rief sie erschrocken, als sie in der Mitte des Baumstammes stand und irgendetwas dicht über ihren Kopf hinwegflog.
»Das war nur eine aufgeschreckte Eule«, beruhigte Leonhard sie. »Sieh auf den Stamm, und setze langsam einen Fuß nach vorn«, forderte er sie auf. Er hatte etwas bemerkt, was Susanne offensichtlich noch nicht bewusst war.
Vor Schreck über den Tiefflug der Eule hatte sie einen Schritt zur Seite gemacht; eine falsche Bewegung, und sie würde in die Tiefe stürzen.
»Oh Gott«, flüsterte sie, als sie nach unten schaute und begriff, in welcher Gefahr sie war.
Die Schlucht war nicht sehr breit, höchstens zwei Meter, aber sie ging weit in die Tiefe hinunter.
»Ich kann mich nicht mehr bewegen«, sagte Susanne und starrte nach unten.
»Susanne, sieh mich an.«
»Ich kann nicht.«
»Doch, das kannst du. Sieh mich an und komm zu mir.« Er wusste, dass er blitzschnell reagieren musste. Den Stamm jetzt zu betreten und ihn in Schwingung zu versetzen, das würde eine zusätzliche Gefahr bedeuten, er musste sich darauf vorbereiten, Susanne aufzufangen.
»Ich schaffe das nicht.« Sie spürte, wie ihre Knie zitterten.
»Du hast mir versprochen, dich auf mich zu verlassen«, erinnerte Leonhard sie mit eindringlicher Stimme. »Du schaffst das, du bist stark, du beherrschst ganze Völker.«
»Ich hüte sie nur.«
»Das erfordert auch Mut.« Leonhard versuchte, ruhig zu bleiben. Sie durfte nicht spüren, dass er Angst um sie hatte. »Schau auf deine Füße, setze den rechten Fuß nach vorn.«
»Nein.«
»Tu es, Susanne!«, befahl er ihr. Sie war in Panik, er konnte nicht mehr mit ihr diskutieren, es musste jetzt schnell gehen. »Gut so«, lobte er sie, als sie ihren Fuß vorsichtig bewegte. »Noch mal!«, rief er, als sie ihn zurückzog. »Sehr gut, nun den anderen«, sagte er, als sie den rechten Fuß ein winziges Stück nach vorn schob. »Du schaffst es«, lobte er sie erneut. »Weiter, Susanne, noch einen Schritt.«
»Ich habe Angst.«
»Noch einen Schritt, Susanne«, wiederholte er.
Zitternd hob sie ihren Fuß an.
»Nein!«, schrie sie laut auf, als sie vom Stamm abrutschte.
»Es ist alles gut.« Leonhard hatte sie an beiden Händen gepackt, zog sie mit einem kräftigen Ruck auf seine Seite der Schlucht und nahm sie in seine Arme. Ihr Herz schlug rasend schnell, und er streichelte über ihren Rücken, bis sie sich beruhigte.
»Ich hatte solche Angst«, flüsterte sie.
»Ich auch«, gestand er ihr nun ein. Er hatte unwillkürlich an den Kletterunfall vor einem halben Jahr denken müssen, der seine Mutter das Leben gekostet hatte.
»Bis zur Hütte sind es nur noch ein paar Minuten, dort sollten wir uns erst einmal von unserem Schreck erholen.«
»Müssen wir noch eine Schlucht überqueren?«
»Nein, der Weg ist jetzt ganz leicht«, versicherte er ihr und nahm sie an die Hand.
Susanne fühlte sich noch wie betäubt. Sie schaute nicht zur Seite und schon gar nicht zurück. Ihr war bewusst, dass Leonhard ihr soeben das Leben gerettet hatte, und sie zweifelte nicht daran, dass sie sich seiner Führung blind anvertrauen konnte.
Wie er es gesagt hatte, war der Weg nun ganz leicht, bald traten sie aus dem Schatten der Bäume heraus und standen auf der Alm, einem riesigen Plateau mit blühenden Wiesen, die sich zwischen dem Abgrund und den kahlen Gipfeln ausbreiteten. Die aus dunklem Holz erbaute Hütte war von einer Veranda umgeben, die mit Pfählen in der Erde befestig war.
»Ich werde nachsehen, was wir an Vorräten haben. Willst du mit reinkommen?«, fragte er Susanne, die noch immer ganz blass war.
»Ich bleibe lieber hier draußen, die frische Luft beruhigt meine Nerven«, sagte sie.
»Gut, dann bis gleich.« Leonhard zog die Tür zur Hütte auf, die jedem Wanderer, der Schutz suchte, offenstand und um deren Bevorratung sich der Imker kümmerte, der auch für ihre Bienen verantwortlich war.
Susanne setzte sich auf die Bank, die an der Wand der Hütte befestigt war, und legte die Arme auf den klobigen Holztisch. Ich muss dieses Erlebnis schnell wieder aus dem Kopf bekommen, dachte sie, während sie auf die friedlichen Dörfer im Tal hinunterschaute.
Als sie das Brummen der Bienen hörte, die mit Nektar beladen in ihre Stöcke zurückkehrten, stand sie auf und ging zu den Bienenkästen. länger sie den Bienen zuschaute, umso ruhiger wurde sie. Es war alles gut, ihr war nichts passiert. Für einen kurzen Moment dachte sie wieder an die Frau, die sie am Morgen beinahe angefahren hatte. Mein Schutzengel ist heute ziemlich gefordert, dachte sie. »Deine Vorfahren haben einen traumhaft schönen Platz für ihre ersten Bienenstöcke ausgewählt«, sagte sie, als Leonhard nach einer Weile zu ihr kam.
»Das sehe ich auch so. Wie fühlst du dich?«
»Es geht mir wieder gut. Danke, dass du so entschlossen gehandelt hast.«
»Ich habe dich nur ein wenig unterstützt.«
»Nein, nicht nur ein wenig. Ohne dich wäre ich auf diesem Baumstamm erstarrt.«
»Du hast es geschafft, das ist alles, was zählt. Aber ich denke, wir sollten heute nicht mehr zurück ins Tal gehen. Bergab ist der Fußmarsch noch unwegsamer, und auf dem Traktorpfad wären wir mehrere Stunden unterwegs. Ich bin nicht sicher, ob wir es vor Anbruch der Dunkelheit ins Tal hinunter schaffen. Vorräte sind genügend da, wir hätten zu essen und zu trinken.«
»Einverstanden, bleiben wir hier«, stimmte Susanne Leonhards Vorschlag sofort zu. Sie war ganz froh, dass sie den Berg nicht gleich wieder hinunter steigen musste, egal ,auf welchem Weg. »Gehört zu den Vorräten auch Kaffee? Ich könnte jetzt eine Tasse vertragen.«
»Es steht schon eine Kanne draußen auf dem Tisch, ich dachte, eine Kaffeepause sollten wir uns auf jeden Fall gönnen.«
»Wenn ich nur für diese Bienen verantwortlich wäre, dann würde ich im Sommer hier wohnen«, sagte Susanne, als sie und Leonhard wenig später nebeneinander auf der Veranda saßen, den frisch gebrühten Kaffee aus hellblauen Steinguttassen tranken und die Nusskekse aßen, die Leonhard auf einen Teller gelegt hatte. »Allerdings würde ich erst einmal einen Kletterkurs belegen, um mich auf allen Wegen sicher bewegen zu können. Das sollte ich ohnehin tun, schließlich habe ich die Berge vor der Haustür, die ich auch erkunden möchte.«
»Vermisst du deine alte Heimat, den hohen Norden?«, fragte Leonhard.
»Ich vermisse meine Freunde, und manchmal fehlt mir das Meer, aber jetzt habe ich ja die Berge und glücklicherweise auch neue Freunde, und die, die mich vermissen, können mich jederzeit besuchen.«
»Wie hast du deine Leidenschaft für die Imkerei entdeckt?«
»Es war ein Besuch bei meinem Großonkel, damals war ich zwar erst zwölf, aber diese Ruhe, die er bei seiner Arbeit ausstrahlte, die hat mich nachhaltig beeindruckt.«
»Hast du deinen Onkel oft besucht?«
»Nein, nur zwei- oder dreimal. Meine Mutter hatte zu ihrem Onkel nie viel Kontakt, deshalb habe ich mich gewundert, dass er mir sein Haus und die Imkerei vererbt hat. Zumal meine Eltern jedem erzählt hatten, dass ich eines Tages unsere Bootswerkstatt übernehmen werde. Leider habe ich aber dafür überhaupt kein Geschick. Mein Vater hofft nun darauf, dass ich ihm ein Enkelkind schenke, das in seine Fußstapfen tritt, damit die Werkstatt in der Familie bleibt.«
»Du sorgst dafür, dass die Imkerei in eurer Familie bleibt.«
»Stimmt, ich bewahre auch ein Stück Familientradition.«
»Ich bin froh, dass dein Onkel dich zur Erbin auserkoren hat. Sonst hätte ich dich vermutlich nie kennen lernen dürfen, und das würde ich sehr bedauern.«
»Warum? Weil ich so gut im Öffnen von Türschlössern bin?«
»Ja, darin bist du wirklich gut«, antwortete er und betrachtete sie mit einem langen Blick.
»Was denkst du gerade?«, wollte Susanne wissen.
»Es kommt mir so vor, als würden wir uns schon lange kennen.«
»Wir haben zusammen dein Honiglager geöffnet, eine Tagesproduktion Honig geschleudert und abgefüllt, wir waren zusammen im Biergarten, sind durch deine Rapsfelder gelaufen, sind über das Tal geflogen, einen Berg hinaufgestiegen und du hast mir das Leben gerettet. Ich finde, das klingt nach einer sehr langen Bekanntschaft«, erklärte Susanne lächelnd.
»Es klingt nicht nur so, es fühlt sich auch so an.«
»Ja, das tut es«, sagte sie und wich seinem Blick nicht aus.
»Wir sollten hineingehen. Die Sonne geht gleich unter, dann wird es kühl«, sagte Leonhard.
»Warte, noch einen Moment.« Fasziniert schaute Susanne zu, wie die Sonne gleich darauf den Himmel und die Berggipfel in rotgoldenes Licht tauchte.
Alles schien auf einmal so unwirklich, die Stille, die Weite und das grandiose Farbenspiel des Himmels. Erst als die Sonne am Horizont verschwand, spürte Susanne die Kälte, die allmählich den Berg einhüllte, und sie folgte Leonhard in die Hütte.
Ein geräumiger Raum mit zwei Betten, die über Eck an der Wand standen, ein Esstisch mit vier Stühlen, eine Küchenzeile mit Kühlschrank, Herd und Backofen. Die Holzdielen waren gefegt, und vor dem offenen Kamin lag ein flauschiger weißer Teppich. Es gab sogar ein kleines Bad, das mit modernen weißen Sanitärobjekten und schwarzen Armaturen ausgestattet war.
»Ganz so ursprünglich ist es hier nicht mehr. Wie die meisten Hütten verfügen auch wir inzwischen über Strom und Wasser«, sagte Leonhard, als Susanne sich erstaunt umsah.
»Das heißt, wir könnten uns auch etwas kochen.«
»Ja, das könnten wir.«
»Darf ich deine Vorräte sehen?« Kochen hatte eine ähnlich beruhigende Wirkung auf sie wie die Beschäftigung mit den Bienen.
»Bitte sehr«, sagte er und öffnete die Tür zu einer kleinen Speisekammer. »Du kannst dir nehmen, was immer du möchtest. Ich kümmere mich um den Kamin, damit wir nicht in Decken eingehüllt essen müssen.«
»Das ist sicher eine gute Idee«, stimmte Susanne ihm zu und betrat die Kammer.
In den beiden Regalen standen Gläser mit Gemüse und Obst, Dosen mit Fertiggerichten, Nudeln, Mehl, Öl und Gewürze, Kaffee, Tee, Kekse und Schokolade.
»Nudeln mit Artischocken und Oliven, danach Birnen im Schokoladenmantel? Was hältst du davon?« Sie schaute Leonhard an, der den Kamin inzwischen angeschürt hatte und nun in der Tür stand und ihr zusah.
»Das klingt verlockend.« Er nahm ein Tablett aus dem Regal und hielt es fest, bis Susanne alles aufgeladen hatte, was sie für ihr kleines Menü benötigten.
Während die Nudeln kochten, bereitete Susanne die Oliven und die Artischocken vor, ließ die Birnen abtropfen und legte die Schokolade in eine Schale, die sie in ein Wasserbad stellte. Leonhard kümmerte sich um die Betten, bezog Kissen und Decken mit den blauen Bezügen, die er aus dem bemalten Bauernschrank nahm. Danach dekorierte er den Tisch mit Teelichtern, die er in Gläser stellte und die geheimnisvolle Schatten an die Wände warfen. Eine Viertelstunde später standen die Teller mit den Nudeln auf dem Tisch ,und Leonhard öffnete eine Flasche Rotwein, die er aus einem verschlossen Schrank in der Vorratskammer geholt hatte.
»Verstößt das nicht gegen die Ehre des Bierbrauers?«, fragte Susanne.
»Dürfen Imker keine Marmelade essen?«
»Perfekte Antwort«, sagte Susanne und musste laut lachen.
»Warte, ich hole uns noch Servietten«, sagte er. Er zog eine Schublade in dem Schrank neben dem Herd auf und schaute hinein. »Was ist denn das?«, murmelte er, als er ein Schreibheft herauszog, dessen Umschlag mit einem blau weißen Küchentuch bezogen war. »Das ist die Schrift meiner Mutter, sie hat Rezepte aufgeschrieben«, stellte er erstaunt fest, als er das Heft aufschlug.
»In der Zeitung stand neulich, dass sie vor einem halben Jahr in den Bergen verunglückt ist.«
»Klettern war ihre Leidenschaft, niemand hätte sie davon abhalten können, auch nicht an diesem verhängnisvollen Tag. Der Steinschlag, der den Haken aus der Wand schlug, an dem ihr Seil befestigt war, war nicht vorherzusehen.«
»Meine artistische Einlage vorhin hat dich an das Unglück erinnert.«
»Ja, ich musste daran denken, das ließ sich gar nicht vermeiden.«
»Ich stand wohl ziemlich dicht am Abgrund.«
»Du solltest nicht darüber nachdenken, es ist vorbei. Das Essen duftet köstlich, wir sollten es nicht kalt werden lassen«, lenkte er sie sofort ab. »Es schmeckt so gut, wie es duftet«, sagte er, als er von den Nudeln versucht hatte.
»Danke, es ist das erste Mal, dass ich auf einer Almhütte koche«, entgegnete Susanne und freute sich über sein Lob.
»Hast du denn schon einmal auf einer Almhütte übernachtet?«, fragte er sie, nachdem sie die Birnen in Schokoladensoße gegessen hatten und das Geschirr spülten.
»Nein, das ist auch eine Premiere für mich«, gab Susanne ehrlich zu.
»Als ich noch klein war, war ich oft mit meinen Eltern hier oben. Manchmal war mir die Stille richtig unheimlich, ich habe mich auf den Teppich vor den Kamin gelegt und in das knisternde Feuer geschaut. Meine Eltern haben sich dann zu mir gesetzt, und mein Vater hat Geschichten von Berggeistern und Feen erzählt.«
»Ich würde gern eine von diesen Geschichten hören.«
»Möchtest du dich ein bisschen gruseln?«
»Eine Geschichte zum Träumen wäre mir lieber, mein Gruselbedarf ist für heute gedeckt.«
»Das ist allerdings wahr«, stimmte Leonhard ihr zu. »Vielleicht fällt mir etwas Passendes ein«, sagte er. Er nahm die beiden großen Kissen von den Betten herunter und legte sie nebeneinander auf den Teppich vor den Kamin. »Das ist der beste Platz zum Träumen«, erklärte er ihr, stellte die Rotweinflasche und die beiden Gläser auf den Boden und machte es sich auf dem flauschigen Teppich und den Kissen bequem. »Hast du es dir anders überlegt?«, fragte er, als sie zögerte, es ihm gleich zu tun.
»Nein, das habe ich nicht.« Ich fürchte mich nur vor meinen Träumen, vielleicht sind sie zu groß, um erfüllt zu werden, dachte sie, als sie aus ihren Schuhen schlüpfte und sich neben ihn legte.
»Wie war das mit Schneewittchen und dem Prinzen, der sie wachgeküsst hat? Die beiden waren sich doch nie zuvor begegnet. Oder Dornröschen, der Prinz, der sie wachgeküsst hat, war noch gar nicht geboren, als sie in ihren tiefen Schlaf fiel.« Leonhard lag auf der Seite, stützte seinen Kopf in die Hand und betrachtete Susanne wie ein Gemälde, von dem er sich jede Einzelheit einprägen wollte.
»Wie kommst du jetzt darauf?«
»Sie waren alle der Liebe auf den ersten Blick verfallen.«
»Ein Privileg der Märchen. Der strahlende Prinz und das gute Mädchen, sie müssen nichts hinterfragen, sie sind füreinander bestimmt.«
»Vielleicht sind wir auch füreinander bestimmt.«
»Ja, vielleicht«, sagte sie, als er sie mit seinen dunklen Augen anschaute und ihr beinahe der Atem stockte, weil sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte, als dieses Vielleicht in eine Tatsache zu verwandeln.
»Die Gipfel dort in der Mitte.« Leonhard schaltete die Stehlampe aus, die als einzige Lichtquelle in der Hütte diente, legte sich auf den Rücken und deutete auf die Berge, die sie durch das große Fenster der Hütte sehen konnten.
Der Mond stand genau über den beiden höchsten Bergspitzen, die in sein gleißend weißes Licht getaucht an den Nachthimmel ragten. Zwischen den beiden Gipfeln öffnete sich eine dunkle Schlucht.
»Es heißt, die beiden Berge lagen tausend Jahre unter einer Eisschicht verborgen. Nachdem das Eis geschmolzen war, konnten sie sich zum ersten Mal ansehen und von diesem Moment an fühlten sie sich zueinander hingezogen. Das ist der Grund für die Gerölllawinen, die dort von beiden Seiten in jedem Jahr abgehen. Sie wollen die Kluft zwischen sich auffüllen, um sich endlich nahe zu sein.«
»Werden Sie es irgendwann schaffen?«
»Die Leute sagen, um die Kluft zu füllen, müssten die Gipfel sich vollkommen abtragen. Um zusammen zu sein, müssten sie sich demnach auflösen.«
»Nein, sie vereinen sich, und es entsteht ein neuer Gipfel.«
»Das klingt viel besser«, sagte Leonhard und wandte sich ihr wieder zu.
Susanne sah ihn an, spürte die Wärme des Kaminfeuers und fühlte sich geborgen, trotzdem begann sie auf einmal zu zittern.
»Ist dir kalt?«, fragte Leonhard.
»Nein, gar nicht, ich weiß nicht, warum ich zittere.«
»Du hattest einen Schock, der sich erst jetzt vermutlich ganz löst.« Behutsam nahm er sie in den Arm und zog sie an sich. »Lass dich einfach fallen«, sagte er und küsste sie auf ihr Haar.
Seine Nähe fühlte sich wundervoll an, und es dauerte nicht lange, bis das Zittern aufhörte und Susanne sich auch innerlich entspannte.
»Geht es wieder?«, fragte er, als sie aufschaute und ihn ansah.
»Halte mich noch ein bisschen fest«, bat sie.
»Solange du willst«, sagte er leise und zog sie zärtlich an sich.
Susanne wollte nicht darüber nachdenken, was in Zukunft mit ihr und Leonhard passieren würde, dieser Moment der Nähe fühlte sich vollkommen an.
*
Am nächsten Tag ließen sie sich Zeit. Nach einem späten Frühstück schaute Susanne noch einmal nach den Bienen, während Leonhard in dem Rezeptheft seiner Mutter blätterte. Erst am frühen Nachmittag gingen sie zurück ins Tal und nahmen dieses Mal den längeren, aber sicheren Weg, der sich in weiten Serpentinen um den Berg schlängelte.
»Mir hat die ganze Zeit noch etwas Besonderes für unser Jubiläum gefehlt«, sagte Leonhard, als sie wieder auf dem Rückflug waren und Bergmoosbach in Sichtweite kam.
»Es klingt, als hättest du es gefunden«, entgegnete Susanne und wandte sich ihm zu.
»In diesem Heft meiner Mutter, das ich auf der Almhütte gefunden habe, steht das Rezept für ein Honigbrot. Ich würde es gern für den Jubiläumstag backen und es unter dem Namen ›Hannis Honigbrot‹ als Neuheit aus unserem Haus präsentieren.
»Das ist eine schöne Idee. Willst du das Brot selbst backen? Ich meine, das für die Präsentation.«
»Zumindest weiß ich, wo ich es backen möchte. In der Imkerei gibt es eine Backstube, dort haben meine Großeltern früher schon Honigbrot gebacken, vielleicht wollte meine Mutter diese Tradition wieder aufleben lassen.«
»In meinem Elternhaus gibt es auch einen alten Backofen, meine Mutter hat ihn oft benutzt.«
»Hast du ihr dabei zugesehen?«
»Ich habe ihr sogar beim Backen geholfen. Ich habe mir schon damals vorgestellt, dass ich irgendwann ein Café besitzen werde, in dem ich Kuchen verkaufe, der mit dem Honig aus meiner eigenen Imkerei hergestellt wird.«
»Die Imkerei hast du schon.«
»Wenn sie ein bisschen bekannter ist, dann werde ich über das Café nachdenken.«
»Ja, ich weiß, dann wirst du mich wieder verlassen.«
»Erstens dauert das noch eine Weile, zweitens habe ich dir bereits zugesichert, dass ich niemals gehen würde, bevor du einen Ersatz für mich gefunden hast. Aber vielleicht solltest du erst einmal ein paar Wochen abwarten, ob du mit meiner Arbeit wirklich zufrieden bist.«
»Ich weiß bereits, was du kannst.«
»Was hältst du davon, wenn du mich auch auf meine Backkünste hin testest?«
»Heißt das, du würdest dich bereit erklären, die ersten Honigbrote mit mir zu backen?«
»Ja, das würde ich tun.«
»Danke.«
»Sehr gern.«
»Wir sollten uns das Rezept gemeinsam ansehen«, schlug er vor, nachdem er das Segelflugzeug wieder auf der Erde aufgesetzt hatte.
»Ja, das sollten wir«, sagte sie.
»In deinem Garten? Ich könnte mir vorstellen, dass der Sonnenuntergang dort ein beeindruckendes Schauspiel bietet.«
»Stimmt, es ist sogar noch beeindruckender als das morgendliche Schauspiel der Sonne, das du bereits kennst.«
»Es war eine außergewöhnliche Darbietung. Ich dachte, du wärst eine Erscheinung, eine Fee aus Wolken entstanden oder etwas Ähnliches.«
»Ich bin aber keine Fee, eine Fee ist nicht fassbar.«
»Ich bin sehr froh, dass du keine Fee bist«, sagte Leonhard und nahm sie in seine Arme.
Vom Flugplatz aus fuhren sie auf direktem Weg zu Susanne nach Hause und verbrachten den Abend auf der Veranda. Sie beschlossen, am Tag vor dem Jubiläum drei Honigbrote zu backen, damit möglichst viele Gäste davon probieren konnten.
»Es wird bestimmt ein schönes Fest«, sagte Susanne, als Leonhard sich gegen Mitternacht von ihr verabschiedete.
»Das hoffe ich, es soll eine gute Werbung für unsere Brauerei sein. Das letzte Brauereifest, das ich besucht habe, endete mit einem Skandal. Der Flirt des Inhabers mit einer schönen Kundin hat seine Frau derart aufgeregt, dass sie ihm eine öffentliche Szene machte. Inzwischen sind die beiden geschieden. Diese Art eines Skandals ist bei mir allerdings ausgeschlossen.«
»Es sei denn, du heiratest noch auf die Schnelle und flirtest dann mit einer Kundin.«
»Nein, sicher nicht, ich habe nämlich vor, mit meiner Imkerin zu flirten«, sagte er, zog Susanne an sich und küsste sie zärtlich.
Hoffentlich ist es nicht nur ein kurzer Traum, dachte sie, als sie Leonhard nachschaute, bis die Nacht die Scheinwerfer seines Wagens verschluckt hatte. »Aber wenn er an die Liebe auf den ersten Blick glaubt, dann will ich es auch tun«, flüsterte sie und ging mit einem glücklichen Lächeln ins Haus.
*
Leonhard wohnte im Dachgeschoss über der Brauerei. Er hatte das Stockwerk vor einigen Jahren nach seinen Plänen ausbauen lassen. Das Haus am Rande von Bergmoosbach, in dem er aufgewachsen war, hatte er nach dem Tod seiner Mutter an einen Cousin verkauft und damit dem Wunsch seiner Eltern Rechnung getragen, dass es in der Familie bleiben sollte.
Schon von weitem sah er, dass Licht in seiner Wohnung brannte. Die bodentiefen Fenster zur Straße hin waren hell erleuchtet. Hatte er etwa am Morgen vergessen, das Licht auszumachen? Veronika, dachte er, sie besaß noch immer einen Schlüssel zu seiner Wohnung. Er stellte sein Auto vor dem Tor zum Biergarten ab, der um diese Zeit bereits geschlossen war, und lief durch das Bürohaus hinauf zu seiner Wohnung.
»Endlich, wo warst du so lange?«
»Veronika, was machst du hier?« Obwohl Leonhard damit gerechnet hatte, sie in seiner Wohnung anzutreffen, prallte er erschrocken zurück, als er sie in einem beinahe durchsichtigen Kleid auf dem schwarzen Sofa liegen sah.
Die Deckenstrahler in dem großen Raum mit der offenen Küche waren eingeschaltet, im Kamin loderte ein Feuer und auf dem Esstisch standen Kerzen und eine Flasche Champagner.
»Ich wollte unser Wiedersehen gebührend feiern«, entgegnete Veronika. Sie erhob sich, warf ihr dunkles Haar zurück und lief barfuß über die Terrakottafließen. »Wir haben uns doch so lange nicht gesehen.«
»Wir haben uns vor zwei Monaten auf der Geburtstagsfeier deines Vaters gesehen.«
»Von der du aber ziemlich schnell wieder verschwunden warst.«
»Ich musste wieder nach Hause, ich hatte viel zu tun.«
»Du bist vor mir davongelaufen, gib es zu. Du läufst vor deinen Gefühlen davon, Leonhard.«
»Nein, Veronika, du irrst dich. Du weißt, dass ich dir nicht geben kann, was du von mir haben willst.«
»Du bist zu absolut, Leonhard. Gib uns beiden doch einfach ein bisschen Zeit«, säuselte sie und legte ihre Arme um seinen Nacken.
»Ich brauche keine Zeit mehr, um herauszufinden, dass wir nicht zusammen passen. Gibst du mir bitte meinen Schlüssel?«
»Den Schlüssel«, murmelte sie und gab sich zögerlich.
»Schon gut.« Leonhard hatte den Schlüssel auf der Küchenanrichte neben dem Kühlschrank entdeckt.
»Du machst einen Fehler, wenn du mich abweist«, erklärte Veronika, als er den Schlüssel einsteckte.
»Nein, es war ein Fehler, mich überhaupt auf dich einzulassen.«
»Sag doch nicht so etwas. Wir waren doch glücklich und wir werden auch wieder glücklich werden. Sieh mal, unsere Familien sind schon so lange miteinander befreundet, wir sollten diese Freundschaft mit unserer Verbindung krönen.« Veronika war ihm gefolgt und lehnte sich zärtlich an ihn.
»Bitte, hör auf damit«, sagte er und schob sie behutsam von sich weg. »Und jetzt entschuldige mich, ich will schlafen gehen, ich muss morgen früh raus. Heute Nacht kannst du hier schlafen.«
»Ich bleibe bis zum Jubiläum.«
»Aber nicht hier.«
»Du meinst, ich soll mir ein Hotelzimmer suchen?« Veronika schnappte vor Überraschung nach Luft.
»Das solltest du tun, gute Nacht«, sagte Leonhard und öffnete die Tür zu der kleinen Diele, die zum Bad und zu seinem Schlafzimmer führte.
Als er wenig später in seinem Bett lag, schaute er durch das geöffnete Fenster in die Dunkelheit hinaus. Veronika hatte recht, ihre Familien verband eine alte Freundschaft, er würde ihr niemals ganz aus dem Weg gehen können. Aber er liebte sie nun einmal nicht. Sie war eine schöne Frau, und er war ihren Reizen für eine Weile erlegen, aber das war keine Basis für ein gemeinsames Leben, das war ihm schnell klar geworden. Susanne dagegen, die er gerade erst kennengelernt hatte, strahlte etwas aus, was ihn magisch anzog, es war ein Gefühl von Wärme und Zuneigung, das er so noch nie empfunden hatte.
»Susanne«, flüsterte er, als er sie vor sich sah, die zarte Gestalt, die pfirsichfarbene Haut, die hellen braunen Augen. Wie sehr ich mich nach dir sehne, dachte er.
*
Als er am nächsten Morgen früher als gewöhnlich seine Wohnung verließ, um seinen Mitarbeitern in der Brauerei Susanne vorzustellen, lag Veronika noch auf dem Sofa. Sie hatte sich in eine Decke gehüllt und schien tief und fest zu schlafen. Er hoffte, dass sie nicht auf weitere Auseinandersetzungen aus war.
»Wer ruft denn so früh an?«, murmelte sie, kurz nachdem Leonhard die Wohnung verlassen hatte. Verschlafen angelte sie nach dem Telefon, das in der Ladestation auf dem kleinen Tisch neben dem Sofa stand. »Hallo?«, meldete sie sich. »Herr Schneider, wie geht es denn? Glückwunsch, ist es schön dort in Neuseeland?«, fragte sie Leonhards ehemaligen Imker, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. »Ja, wir sind wieder zusammen«, versicherte sie ihm. »Was haben Sie vergessen? Hallo? Die Verbindung ist sehr schlecht, Herr Schneider. Wo sind Sie? In den Bergen? Was ist mit Biene Maja? Ich kann sie wirklich kaum verstehen, Herr Schneider. Ja, gut, ich richte es ihm aus. Der Code für das Schloss des Honiglagers lautet Biene Maja. Alles Gute für Sie«, sagte sie und legte auf. »Biene Maja, wie originell«, murmelte sie, gähnte ein paar Mal, drehte sich auf die Seite und schlief wieder ein.
Erst als die Kirchturmuhr im Dorf zwölf schlug, stand sie auf. Für den Plan, den sie sich zurechtgelegt hatte, nachdem Elvira Draxler ihr von dieser Imkerin erzählt hatte, für die sich Leonhard interessierte, war es vielleicht schon ein bisschen spät. »Ach was, warum denn? Gearbeitet wird den ganzen Tag«, sagte sie und streckte sich noch einmal genüsslich, bevor sie ins Badezimmer ging.
Eine halbe Stunde später betrat sie das Vorzimmer zu Leonhards Büro. Das Licht, das durch die hohen Fenster hereinfiel, ließ den schmalen Raum um einiges größer erscheinen als er tatsächlich war.
»Grüß Gott, Frau Luchter, wo finde ich denn den Chef?«, fragte sie und sah die ältere Frau in dem eleganten Kostüm, die dort hinter ihrem Schreibtisch saß, betont freundlich an.
»Frau Mittermeyer, welch eine Freude, Sie zu sehen«, antwortete Martha Luchter, Leonhards Sekretärin, und klappte die Unterschriftenmappe zu, die sie gerade für Leonhard vorbereitet hatte. »Herr Schwartz ist in der Imkerei«, sagte sie.
»Ich habe vor, in der Brauerei mal ein bisschen mit anzupacken. Ich denke, ich sollte über den Ablauf im Betrieb informiert sein«, erklärte Veronika, als sie Frau Luchters verwunderten Blick bemerkte, der der dunkelroten Latzhose galt, die sie trug. »Bis später, Frau Luchter«, sagte Veronika und machte sich auf den Weg zur Imkerei.
»Möge dieser Einsatz bitte keinen Erfolg haben«, flüsterte Frau Luchter, als sie wieder allein war. Niemand in der Brauerei wünschte sich Veronika Mittermeyer als Chefin, alle waren froh gewesen, als Leonhard sich von ihr getrennt hatte, aber wie es aussah, begann die Geschichte wohl wieder von vorn.
Susanne stellte die Honigschleudern an, nachdem sie sie mit Waben befüllt hatte. Sie zog den weißen Kittel aus, den sie bei dieser Arbeit über ihre Jeans und die helle Bluse gezogen hatte, und ging ins Honiglager, um sich einen Überblick über die Vorräte zu verschaffen.
Sie hatte sich sehr über die herzliche Begrüßung gefreut, mit der Leonhards Angestellte sie empfangen hatten, als er am Morgen alle zusammenrief, um ihnen die neue Imkerin vorzustellen. Auch den Vertrag, den Frau Luchter ihr inzwischen gebracht hatte, konnte sie ohne weitere Verhandlungen unterschreiben. Wie es aussah, hatte ihr die Begegnung mit Leonhard bisher nur Glück gebracht, wobei das größte Glück für sie Leonhard selbst war.
»Wie hast du den ersten Vormittag bei uns überstanden?«, erkundigte er sich, als er ins Honiglager kam, während sie die Bestandsliste ihres Vorgängers überprüfte.
»Ich könnte mir vorstellen, länger zu bleiben.«
»Das will ich hoffen.«
»Wir sollten noch einmal über die Honigbrote sprechen«, sagte sie, als er ihr den Stift und den Block aus der Hand nahm, beides in ein Regal legte und seine Arme um sie schlang.
»Ich habe dich vermisst«, sagte er.
»Wenn uns jemand sieht«, flüsterte sie.
»Das macht nichts, ich bin doch hier der Chef«, antwortete er mit einem charmanten Lächeln, beugte sich über sie und küsste sie.
Offensichtlich weiß er längst von Biene Maja, dachte Veronika, als sie die Imkerei erreichte und die Tür zum Honiglager offenstand. Gut gelaunt ging sie weiter und schaute zunächst durch das kleine vergitterte Fenster, um sicher zu gehen, dass Leonhard allein war, weil sie ihn mit einer leidenschaftlichen Umarmung überraschen wollte. Entsetzt wandte sie sich sofort wieder ab, als sie sah, was dort vor sich ging. Leonhard hielt eine Frau im Arm, und die beiden küssten sich.
»Das ist also diese Imkerin«, flüsterte sie und lehnte sich an die Hauswand neben das Fenster. »So eine Schlange«, fluchte sie leise, während sie versuchte, ihre Wut in den Griff zu bekommen.
»Was genau wolltest du denn mit mir wegen des Honigbrotes besprechen?«, hörte sie Leonhard kurz darauf zärtlich fragen.
»Ich dachte, wenn wir es am Freitag backen, dann sollten wir es über Nacht hier lagern, dann bleibt es frisch.«
»Sicher, das können wir tun.«
»Aber wir müssten es am Freitagnachmittag backen, damit es auskühlen kann, bevor wir es in Folie verpacken und mit den Aufklebern versehen. Hast du die Aufkleber eigentlich schon bestellt?«
»Ich dachte, wir nehmen die gleichen, die wir auch für unsere Honiggläser und das Honigbier benutzen. Dann bringen die Kunden Hannis Honigbrot gleich mit unserer Brauerei in Verbindung. Ich werde aber noch hübsche Kartons besorgen, um das Brot nach dem Rezept von Hanni Schwartz ordentlich zu präsentieren. Ich hoffe nur, dass ich nicht vergessen werde, die Brote zu verpacken. Der Vater unseres Schankmeisters feiert am Freitag seinen 80. Geburtstag. Ich habe ihm zugesichert, dass er frei haben kann und ich ihn vertrete.«
»Ich kann mich doch um das Einpacken der Brote kümmern«, schlug Susanne vor.
»Das würdest du tun?«
»Aber ja, wenn du am Vorabend deines Jubiläums für den Schankmeister einspringst, dann werde ich dich sicher nicht hängen lassen.«
»Danke.«
»Mach dir keine unnötigen Sorgen, alle in der Brauerei geben ihr Bestes, damit das Fest gelingt.«
»Das weiß ich, es ist schön, dass du auch dazu gehörst.«
Das ist unerträglich, dachte Veronika, die noch einmal einen Blick in das Honiglager warf und sah, dass die beiden sich erneut küssten. Wütend wandte sie sich zur Seite und warf ihren Kopf zurück. Im selben Moment verspürte sie einen stechenden Schmerz am Hinterkopf.
Das ist Blut, dachte sie, als sie einen Schritt nach vorn trat und ihren Kopf betastete. Als sie sich umdrehte, um nachzusehen, woran sie sich verletzt hatte, sah sie den bronzefarbenen Haken in der Wand, an dem früher einmal ein Rankgitter befestigt war.
»Du solltest eine Pause machen und etwas essen gehen«, hörte sie Leonhard gleich darauf sagen.
Er darf mich nicht hier sehen, dachte sie und stürmte davon. Sie wollte sich nicht der Peinlichkeit aussetzen, von Leonhard beim Lauschen erwischt zu werden. Ruhig atmen, dachte sie, als sie sich gerade noch rechtzeitig auf den Steg rettete, der die Brauerei und die Imkerei verband, bevor die beiden aus dem Lager kamen.
»Hallo!«, rief sie, als Leonhard ausgerechnet in ihre Richtung schaute und sie gleich entdeckte. Um das Gesicht zu wahren, tat sie so, als sei sie erst auf dem Weg zur Imkerei und ging auf die beiden zu.
»Was hast du denn vor?«, fragte Leonhard und schaute auf die rote Latzhose.
»Ich wollte mich zu einem Praktikum in der Brauerei anmelden, deshalb bin ich nämlich hier. Leider konnte ich dir das gestern Abend nicht mehr mitteilen«, erklärte sie mit einem bedauernden Seufzer. »Guten Tag, Veronika Mittermeyer«, wandte sie sich Susanne zu.
»Susanne Gärtner«, stellte Susanne sich vor und zuckte zusammen, als sie in Veronika die Raserin vom Zebrastreifen erkannte.
»Ja, ich weiß, es war nicht korrekt von mir, es tut mir leid. Es war natürlich nicht Ihre Schuld, sondern meine. Nehmen Sie meine Entschuldigung an?«, fragte Veronika mit einem unschuldigen Augenaufschlag. Sie wollte sich nicht in Leonhards Beisein mit ihrer Konkurrentin anlegen, und bestimmt war es auch von Vorteil, sie erst einmal in Sicherheit zu wiegen, bevor sie sich mit ihr anlegte.
»In Ordnung, ich nehme Ihre Entschuldigung an«, sagte Susanne. Es war nichts passiert, und Veronika Mittermeyer hatte offensichtlich ihren Fehler eingesehen. Es gab also keinen Grund, sie zurückzuweisen.
»Würde mich jemand aufklären, um was es hier geht?«, bat Leonhard.
»Ich hätte Frau Gärtner vorgestern beinahe angefahren, aber sie hat glücklicherweise schnell reagiert und sich in Sicherheit gebracht. Ich gelobe hier und jetzt Besserung. Es war mir eine echte Lehre. Sind Sie eine Kundin von Leonhard?«, stellte sie sich unwissend.
»Ich bin die neue Imkerin«, entgegnete Susanne höflich.
»Ach, das ist ja interessant, dann werden wir uns in Zukunft öfter sehen. Meine Familie beliefert die Brauerei Schwartz schon seit ewigen Zeiten mit Hopfen. Leonhard und ich sind gute Freunde, beinahe wie Geschwister«, erklärte Veronika zu Leonhards Überraschung.
»Sie bluten.« Susanne machte sie auf das Blut aufmerksam, das auf ihre Schulter tropfte.
»Oh, Gott«, stöhnte Veronika, »das muss passiert sein, als ich gerade im Treppenhaus ausgerutscht bin«, sagte sie, weil ihr auf die Schnelle nichts anderes einfiel.
»Zeig mal.« Leonhard schob ihr Haar vorsichtig zur Seite. »Das sieht nach einer Platzwunde aus, die muss behandelt werden.«
»Gut, dann bring mich zu Doktor Seefeld.«
»Das würde ich gern tun, aber ich habe in zehn Minuten eine Besprechung.«
»Ich könnte Sie fahren«, schlug Susanne vor. Sie hatte am Morgen noch das Reformhaus in der Nachbargemeinde mit Honig beliefert und war mit dem Auto zur Arbeit gekommen.
»Das nehme ich gern an«, sagte Veronika. Sehr gern sogar, dachte sie.
»Schließt du noch das Lager ab?«, wandte sich Susanne an Leonhard.
»Das mache ich«, versicherte er ihr.
»Ich fühle mich auf einmal ein bisschen wacklig. Darf ich mich bei Ihnen unterhaken, Frau Gärtner?«, fragte Veronika.
»Aber ja«, antwortete Susanne freundlich.
»Gehört Ihnen die Imkerei?«, erkundigte sich Veronika und spielte die Erstaunte, als sie sich auf den Beifahrersitz des gelben Twingos setzte, auf dessen Türen ›Imkerei Gärtner‹ geschrieben stand.
»Ich habe die Imkerei vor kurzem geerbt«, antwortete Susanne, während sie den Parkplatz der Brauerei verließen.
»Eine kleine Imkerei, die nicht viel abwirft, nehme ich an. Ich meine, weil sie doch für Leonhard arbeiten.«
»Im Moment wirft sie nicht viel ab, das stimmt.«
»Sie wollen sie vergrößern?«
»Ja, vielleicht, irgendwann.«
»Vielleicht klingt, als wäre es kein festes Vorhaben.«
»Ich will einfach abwarten, wie sich alles entwickelt.«
»Alles? Sie meinen geschäftlich und privat?«
»Ich meine, wie mein Leben sich entwickelt«, sagte Susanne und bog in die Auffahrt zur Praxis Seefeld ein. »Geht es?«, erkundigte sie sich, als sie Veronika, die sich ein Taschentuch gegen ihre Wunde presste, aus dem Wagen half.
»Es tut schon ein bisschen weh«, erklärte Veronika und hakte sich wieder bei Susanne unter.
»Ach, du liebe Zeit, was ist denn mit Ihnen passiert, Frau Mittermeyer?« Gerti kam hinter ihrem Tresen hervor, als die beiden gleich darauf die Praxis betraten.
»Ich bin gestürzt, Frau Fechner«, antwortete Veronika und setzte eine Leidensmiene auf. »Du meine Güte, noch so voll«, stellte sie fest, nachdem sie einen Blick ins Wartezimmer geworfen hatte.
Obwohl es fast ein Uhr war, saßen noch einige Patienten dort und warteten geduldig darauf, an die Reihe zu kommen.
»Montags ist hier immer so viel los, da können wir die Mittagspause so gut wie vergessen«, seufzte Gerti.
»Ich muss mich aber nicht dort einreihen. Ich bin ein Notfall, ich blute, außerdem bin ich Privatpatientin«, verkündete Veronika.
»Sie sind ein Notfall, stimmt, wie sie versichert sind, spielt in einer Schicki-Micki-Praxis in der Stadt sicher eine Rolle, bei uns allerdings nicht.«
»Weil Sie vermutlich keine Privatpatienten haben.«
»Gehen Sie bitte dort in das Zimmer, Doktor Seefeld kommt dann gleich zu Ihnen«, sagte Gerti und überhörte Veronikas Anspielung.
»Ich helfe Ihnen«, erklärte Susanne und begleitete Veronika in das kleine Behandlungszimmer neben dem Sprechzimmer. Sie half ihr, sich auf die Liege zu setzen, und ließ sie dann allein. Sie wollte draußen auf sie warten. »Lassen Sie es sich schmecken«, sagte sie, als sie an Gerti vorbeiging, die sich eine Praline in den Mund steckte und genüsslich kaute.
»Das beruhigt die Nerven«, entgegnete Gerti und wandte sich wieder dem Stapel Krankenakten zu, der auf dem Schreibtisch hinter dem Empfangstresen lag. »Herr Doktor, eine Patientin mit Platzwunde«, sagte sie und deutete auf das Behandlungszimmer, als Sebastian den älteren Herrn, der in seinem Sprechzimmer gewesen war, zu Gertis Tresen begleitete.
»Herr Winter braucht einen Termin zur Blutabnahme und eine Überweisung zum Augenarzt«, sagte Sebastian und überließ Gerti seinen Patienten, nachdem er sich von ihm verabschiedet hatte.
Veronika Mittermeyer? Er wandte sich noch einmal zu Gerti um, nachdem er den Zettel gelesen hatte, den sie ihm in die Hand gedrückt hatte.
»Nur Mut«, flüsterte Gerti und lachte in sich hinein.
»Guten Tag, Frau Mittermeyer«, begrüßte Sebastian die junge Frau, die Leonhard als arrogant und zickig beschrieben hatte und die er auch vor ein paar Tagen genauso erlebt hatte, als sie mit ihrem Sportwagen durch Bergmoosbach gerast war. Jetzt in der roten Latzhose und mit dem hochgesteckten Haar sah sie allerdings ganz bodenständig aus.
»Verzeihung, wer sind Sie? Wo ist Doktor Seefeld?«, wollte Veronika wissen und musterte Sebastian von oben bis unten. Schöne Augen, tolle Figur, ausgesprochen anziehend, dachte sie
»Mein Vater hat sich zur Ruhe gesetzt, ich habe die Praxis übernommen. Sebastian Seefeld«, stellte er sich vor.
»Das wusste ich nicht.«
»Kein Problem, darf ich mir die Wunde ansehen?«
»Bitte.« Veronika beugte ihren Kopf nach vorn.
»Wie ist das passiert?«, erkundigte sich Sebastian, während er sich die Verletzung anschaute.
»Ich bin auf der Treppe vor Leonhards Wohnung ausgerutscht.«
»Auf was sind Sie denn gefallen?«
»Auf die Stufen.«
»Diese Verletzung können Sie sich dabei aber nicht zugezogen haben. Sie müssen an einen Metallhaken oder etwas Ähnliches gestoßen sein. Das ist eindeutig zu sehen.«
»Herr Doktor Seefeld, ich habe eine Kopfverletzung, ist es nicht völlig egal, wie ich mir die zugezogen habe? Vielleicht war ja ein Nagel in der Stufe. Müssen Sie vielleicht auch wissen, aus welchem Holz die Treppe gebaut wurde? Wie das Holz behandelt wurde? Vielleicht brauchen wir noch einen Aufkleber, auf dem steht, woher das Holz stammt, welche Informationen brauchen Sie?«
»Aufklebern würde ich nicht unbedingt trauen. Die können gefälscht sein. Ein Zertifikat wäre da schon überzeugender.«
»Wirklich?«
»Wirklich, aber gut, dann war es ein Nagel in der Treppenstufe. Ich muss die Wunde nähen. Wollen Sie eine Betäubungsspritze?«, fragte Sebastian, nachdem er die Verletzung gesäubert hatte.
»Nein, das halte ich auch so aus.«
»Sind Sie gegen Tetanus geimpft?«
»Im letzten Jahr.«
»Ich fange jetzt an«, sagte er, nachdem er Nadel und Faden vorbereitet hatte und sich über Veronika beugte, die auch tapfer die Zähne zusammenbiss und keinen Laut von sich gab, bis er seine Arbeit beendet hatte.
»Bin ich fertig?«, fragte sie, als er sich wieder aufrichtete.
»Ich würde gern noch sicherstellen, dass Sie keine Gehirnerschütterung haben.«
»Mir geht es gut, aber bitte, untersuchen Sie mich.«
»Es scheint alles in Ordnung«, sagte Sebastian, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass ihr offensichtlich sonst nichts fehlte. »Sollte Ihnen schwindlig oder übel werden, oder sollten andere Beschwerden auftreten, melden Sie sich bitte.«
»Sicher, das mache ich, auf Wiedersehen, Doktor Seefeld.«
»Ich habe einen Bronzesplitter in der Wunde gefunden. Soweit ich weiß, gibt es weder in der Brauerei noch im Wohnhaus Haken aus Bronze. Allerdings steckt so ein Haken in der Wand neben dem Honiglager«, sagte Sebastian, als Veronika schon fast zur Tür draußen war.
»Der Nagel in der Treppenstufe wird aus diesem Material sein. Hören Sie, Herr Doktor Seefeld, ich gehe davon aus, dass Sie über meine Verletzung gegenüber Dritten nicht sprechen dürfen, richtig?«
»Sie müssen sich darum keine Sorgen machen, Frau Mittermeyer, gute Besserung«, sagte Sebastian und ging an ihr vorbei zurück in sein Sprechzimmer. Wenn Veronika lieber erzählte, sie sei auf der Treppe ausgerutscht, statt zuzugeben, dass sie sich an einem Wandhaken gestoßen hatte, dann würde er sie nicht daran hindern können.
»Auf Wiedersehen«, sagte Gerti, als Veronika an ihr vorbeistolzierte.
»Auf Wiedersehen«, entgegnete Veronika, während sie an ihr Gespräch mit Sebastian Seefeld dachte, der mit seiner Vermutung, woran sie sich verletzt hatte, genau richtig lag.
»Aufklebern würde ich nicht unbedingt trauen. Die können auch gefälscht sein«, hörte sie ihn wieder sagen, und auf einmal hatte sie eine großartige Idee, wie sie Susanne aus Leonhards Leben wieder vertreiben könnte.
»Das ist aber nett, dass Sie auf mich gewartet haben«, sagte sie, als sie die Praxis verließ und Susanne auf der Bank unter der Ulme saß.
»Geht es Ihnen besser?«, erkundigte sich Susanne mitfühlend.
»Doktor Seefeld hat die Wunde genäht, aber ich habe es kaum gespürt.«
»Er ist eben ein guter Arzt.«
»Und äußerst attraktiv.«
»Ja, das auch«, entgegnete Susanne lächelnd, als sie und Veronika wieder in ihr Auto stiegen.
»Hallo, Susanne!«, rief Emilia, die ihnen auf dem Fahrrad entgegenkam, als sie kurz darauf im Schritttempo zur Straße hinunterfuhren.
»Wie war die Schule?«, fragte Susanne und hielt den Wagen an.
»Ich habe einen Vortrag über Bienen gehalten und eine eins bekommen«, verkündete das Mädchen stolz.
»Gratuliere.«
»Danke. Markus und ich waren gestern mit dem Fahrrad unterwegs, wir waren auch oben an der Imkerei, du warst aber nicht da.«
»Ich war mit Leonhard in den Bergen.«
»Aha«, entgegnete Emilia lächelnd, während sie Veronika mit einem skeptischen Blick streifte.
»Sie waren wandern?«, fragte Veronika.
»Ja, wir waren wandern«, antwortete Susanne lächelnd. »Wir sehen uns sicher am Samstag. Ihr kommt doch zur Jubiläumsfeier in die Brauerei?«, wandte sie sich wieder an Emilia.
»Wir werden da sein.«
»Also dann, grüß deine Familie«, verabschiedete sich Susanne von dem Mädchen und fuhr weiter.
»Ein aufgewecktes Persönchen«, sagte Veronika und drehte sich noch einmal nach Emilia um.
»Wenn Sie mit aufgeweckt klug und selbstbewusst meinen, dann haben Sie recht.«
»So könnte man es sehen.« Aber es stimmt nicht, dachte Veronika, für sie war Emilia anmaßend und sie ließ den nötigen Respekt gegenüber Erwachsenen vermissen. Wenn sie mit Susanne fertig war, dann würde diese kleine Schlange an ihre Grenzen stoßen, auch sie würde Susanne dann nicht mehr helfen können.
»Alles in Ordnung?«, fragte Susanne, als Veronika mit verbissener Miene geradeaus starrte.
»Ja, es ist alles in Ordnung, es könnte nicht besser sein«, fügte Veronika mit einem zufriedenen Lächeln hinzu. Dieser Wandertag mit Leonhard würde sich für Susanne nicht wiederholen, das würde sie nicht zulassen.
»Waren das eben Susanne Gärtner und Veronika Mittermeyer?«, wollte Traudel von Emilia wissen. Sie war mit einer Kanne Kaffee und belegten Brötchen auf dem Weg in die Praxis. Sebastian und Gerti sollten wenigstens eine kleine Pause einlegen.
»Interessant, nicht wahr?«
»Ja, Kind, das ist ausgesprochen interessant. Veronika straft sonst jede Frau mit Missachtung, die sich nur auf drei Schritte ihrem Leonhard nähert. Nach dem, was dein Vater und du mir erzählt habt, sollte auch Veronika klar sein, dass sich zwischen Leonhard und Susanne Gärtner etwas anbahnt.«
»Susanne hat gerade erzählt, dass sie mit Leonhard in den Bergen war.«
»Und das hat Veronika nicht kommentiert?«
»Nein, vielleicht hat sie Leonhard ja inzwischen aufgegeben.«
»Das würde mich wundern.«
»Dann glaubst du nicht an Wunder?«
»Frechdachs«, sagte Traudel und ging lachend weiter.
»Nolan! Komm her, mein Süßer!« Emilia stieg von ihrem Fahrrad, stellte es ab und ging in die Hocke, um den Hund zu begrüßen.
Nolan hatte in den letzten Wochen seine Größe beinahe verdoppelt, aber er war noch immer verspielt und tapsig und warf sich mit seinem ganzen Gewicht in die Arme des Mädchens.
»Das ist eine Liebe, die keine Vorbehalte kennt«, murmelte Traudel und marschierte mit ihrem Tablett in die Praxis.
»Alles in Ordnung, Veronika?«, fragte Leonhard, der aus seinem Büro kam, nachdem Susanne ihren Wagen wieder im Hof der Brauerei geparkt hatte.
»Mir geht es gut, ich werde mir jetzt ein Zimmer im Hotel Wittner nehmen und mich ein bisschen verwöhnen lassen. Mein Praktikum in der Brauerei muss leider ausfallen.« Ich brauche es auch gar nicht mehr, um mein Revier zu verteidigen. Ich weiß bereits alles, was ich wissen muss, um dich und mich vor dieser Frau zu beschützen, die unsere Liebe bedroht, dachte sie und betrachtete Leonhard mit einem Blick, der an den Blick eines stolzen Besitzers erinnerte, der sein kostbares Eigentum ansah.
*
Bevor Susanne sich an diesem Abend auf den Nachhauseweg machte, traf sie sich mit Anna im Café am Marktplatz. Sie saßen draußen an einem der runden Tischchen, und Anna ließ sich von Susanne erzählen, wie ihr Wochenende verlaufen war.
»Denkst du, es geht zu schnell mit uns?«, fragte Susanne und rührte nachdenklich die Sahne in ihrem Milchkaffee um.
»Mir hat einmal eine kluge kleine Person gesagt, dass es nur den Bruchteil einer Sekunde braucht, bis wir uns verlieben. Warum sollten wir also wochenlang überlegen, ob wir dieser Liebe eine Chance geben? Wie es letztendlich ausgeht, das wissen wir ohnehin nicht. Nimm es als Geschenk, dass deine Liebe erwidert wird.«
»Du hast recht, ich sollte nicht so viel darüber nachdenken, ich sollte mein Glück einfach annehmen«, stimmte Susanne der Freundin zu, und als sie sich später von Anna verabschiedete, zweifelte sie nicht mehr daran, dass es richtig war, ihre Liebe zu Leonhard einfach zuzulassen.
Die Tage bis zum Jubiläum vergingen wie im Flug. Susanne arbeitete tagsüber in der Imkerei, und Leonhard war in der Brauerei beschäftigt, abends trafen sie sich im Biergarten oder saßen in Susannes Garten zusammen. Von Tag zu Tag wurden sie vertrauter miteinander, und Susanne konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie ein Tag ohne Leonhard aussehen sollte.
Am Tag vor dem Jubiläum kam Leonhard am frühen Nachmittag in die Imkerei und öffnete die Backstube, die Susanne nun zum ersten Mal betrat. Dunkler Steinboden, weißblaue Fliesen an den Wänden, weiße Regale mit Schüsseln, Gewürztöpfchen und verschiedenen Dosen, ein prächtiger alter Backofen von weiß verputztem Stein ummauert und in der Mitte der Backstube ein großer rustikaler Tisch aus gemasertem Kiefernholz.
»Zucker, Butter, Malzbier, Eier, Lebkuchengewürz, Zitronen, Mehl, Backpulver. Ich hoffe, ich habe nichts vergessen«, sagte Leonhard, als er die Zutaten, die er mitgebracht hatte, neben die Honiggläser stellte, die Susanne bereits auf dem Tisch aufgereiht hatte.
»Es ist alles da, wir können anfangen.« Susanne zog eine der beiden dunkelroten Schürzen, die in der Backstube an einem Haken hingen, über das helle Sommerkleid und überprüfte den Sitz der Spange, mit der sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.
»So könnten wir glatt in einer Koch-Show auftreten«, stellte Leonhard fest, nachdem er den Ofen mit Holz angeschürt hatte und sich seine Schürze umband.
»Vielleicht in einer nostalgischen Back-Show. Mit diesen Hochglanz Luxusküchen, die sie uns in den Koch-Shows meistens präsentieren, kann deine kleine Backstube leider nicht mithalten«, entgegnete Susanne mit einem bedauernden Lächeln.
»Eine nostalgische Back-Show? Vielleicht sollten wir dieses Format erfinden«, sagte er und füllte Mehl in eine weiße Keramikschüssel.
»Vielleicht sollten wir erst einmal herausfinden, ob wir überhaupt etwas Ordentliches zustande bringen.«
»Ich vertraue auf deine Backkünste«, sagte Leonhard, tauchte seinen Finger in Mehl und stupste ihn auf Susannes Nasenspitze.
»Danke, damit du auch richtig zum Back-Team gehörst«, sagte sie und bestäubte auch seine Nase mit Mehl.
»Das reicht noch nicht«, erklärte Leonhard, tauchte seine Hand in das Mehl und legte sie auf Susannes Wange.
»Na warte!«, rief sie, und sie setzten die Mehlschlacht fort, bis sie sich schließlich gegenüberstanden und vor Lachen kaum noch Luft holen konnten. »Wir sollten die Sache ernsthafter angehen«, erklärte Susanne, nachdem sie sich erholt hatte.
»Unbedingt«, sagte Leonhard, küsste sie zärtlich und klappte dann das Rezeptheft seiner Mutter auf.
Nach einer halben Stunde hatten sie das erste Honigbrot im Ofen und bereiteten die nächsten beiden vor. Sie waren dankbar für den leisen Wind, der durch das geöffnete Fenster hereinwehte und die Temperaturen in der Backstube erträglich machte.
Nachdem sie das erste Honigbrot aus dem Ofen genommen hatten und es ein wenig abgekühlt war, schnitt Leonhard eine Scheibe ab, teilte sie in der Mitte, und sie probierten es.
»Ich finde, es schmeckt köstlich«, stellte Susanne fest.
»Stimmt, ich denke, meine Mutter wäre zufrieden mit uns.«
»Schade, dass ich sie nicht mehr kennenlernen durfte.«
»Ich bin sicher, ihr hättet euch gut verstanden«, sagte Leonhard und küsste sie auf die Stirn.
»Dieses Geturtel wird euch bald vergehen«, murmelte Veronika, die in kurzer Hose und T-Shirt auf der Rückseite der Backstube auf ihren Zehenspitzen stand und durch ein schmales Fenster lugte.
Als Leonhard sich wieder von Susanne löste, verließ Veronika ihren Beobachtungsposten, setzte den Kopfhörer wieder auf, den sie in der Hand hielt, und joggte am Bach entlang zurück zu ihrem Hotel. So wie es aussah, würde es wohl noch eine Weile dauern, bis sie ans Werk gehen konnte.
Am späten Nachmittag waren alle Honigbrote gebacken und lagen auf dem Tisch.
»Hannis Honigbrot«, sagte Leonhard leise und betrachtete die goldbraunen Brote.
»Es wird bei den Kunden gut angekommen«, versicherte ihm Susanne.
»Das denke ich auch. Ich müsste jetzt in die Brauerei«, sagte er, nachdem er einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hatte.
»Kein Problem, ich mache hier Ordnung und verpacke die Brote.«
»Ich muss kein schlechtes Gewissen haben, dass ich dich allein lasse?«
»Aber nein, geh nur.«
»Danke, du findest mich im Braustübchen«, sagte Leonhard und verabschiedete sich mit einem zärtlichen Kuss.
»Bis dann.« Verträumt schaute Susanne ihm durch das geöffnete Fenster nach, wie er über die kleine Brücke lief und im Hof der Brauerei verschwand. Dass das wirkliche Leben so aufregend sein konnte, daran hatte sie nicht geglaubt, bis zu dem Tag, an dem sie Leonhard begegnet war.
Nachdem sie das Geschirr in dem großen Spülbecken in der Backstube gespült hatte und der Raum aufgeräumt war, reinigte sie noch die Arbeitsflächen in der Imkerei. Danach verpackte sie die Honigbrote in Folie, beklebte sie mit den zuvor von Leonhard beschrifteten Etiketten und brachte sie in das Honiglager. Dort legte sie die Brote in die weißblauen Kartons, die Leonhard bereitgestellt hatte, und schloss die Tür.
Leonhard war im Braustübchen, einem gemütlichen Raum mit Deckengewölbe und Wandgemälden. Er stand hinter dem Tresen und schenkte das Bier aus, das seine Kellnerinnen in den Biergarten brachten.
»Ich fahre dann nach Hause«, sagte Susanne, während Leonhard einen Maßkrug unter die Zapfanlage hielt.
»Ich kann leider noch nicht fort, sonst würde ich dich fragen, ob du hier übernachten willst«, entgegnete er und schaute kurz auf.
»Die Nacht wird ohnehin kurz genug für dich werden, wir sehen uns morgen«, antwortete sie lächelnd und streichelte über seine Wange. Nach der Jubiläumsfeier würde es wieder ruhiger in der Brauerei zugehen, und sie würden genug Zeit füreinander haben.
*
Veronika stand im Schatten der Kastanie nicht weit vom Biergarten entfernt und wartete darauf, dass das Licht in Leonhards Wohnung verlöschte. Der Biergarten hatte schon vor einer halben Stunde geschlossen, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis Leonhard schlafen ging.
Endlich, dachte sie, als es im Dachgeschoss über der Brauerei dunkel wurde. Sie hatte sich für ihr Vorhaben gut vorbereitet, trug Jeans, Joggingschuhe und ein Kapuzenshirt, das ihre langen Haare verdeckte. Sie kannte den Feldweg, der um die Brauerei herum zur Imkerei führte, gut genug, um auch im Dunklen schnell vorwärts zu kommen. Fünf Minuten später überquerte sie den Holzsteg und stand gleich darauf vor der Tür zum Honiglager.
»Biene Maja, wirklich lächerlich«, flüsterte sie, während sie die Tür mit dem Kennwort öffnete und ins Lager huschte.
Sie wartete einen Moment, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, stellte dann einen gefalteten Versandkarton, den sie auf einem Stapel gebrauchter Pakete fand, vor das Fenster und schaltete das Licht an.
»Drei«, flüsterte sie, nachdem sie die Kartons mit den Honigbroten gezählt hatte.
Sie nahm drei Aufkleber aus der Kiste mit den Etiketten für die Honiggläser und beschriftete sie in ordentlichen Druckbuchstaben mit ›Susannes Honigbrot‹. Danach öffnete sie die Kartons, löste die Aufkleber von der Folie, was ganz leicht ging, weil sie noch nicht lange darauf befestigt waren. Schließlich vollendete sie ihr Werk mit den neuen Aufklebern und stellte die Kartons mit den Honigbroten wieder zurück ins Regal. Nachdem sie alles erledigt hatte, schaltete sie das Licht wieder aus, nahm den Karton vom Fenster und verließ das Honiglager. Beinahe lautlos schloss sich die Tür hinter ihr.
»Susannes Honigbrot, ich bin sehr gespannt, was du zu dieser Präsentation sagen wirst«, flüsterte Veronika und schaute auf die dunklen Fenster, die zu Leonhards Wohnung gehörten.
Froh darüber, dass sie ihr Vorhaben bisher so erfolgreich durchgeführt hatte, wollte sie ihren nächtlichen Ausflug nun so schnell wie möglich beenden und eilte zur Brücke, dabei achtete sie nicht auf den Bienenstock, an dem sie vorbei musste, und stieß ihn um.
»Verschwindet, ihr Mistviecher!«, zischte sie, als sie ihn in aller Eile wieder aufrichtete und ihn dabei ein Stück verrückte, was die aufgeschreckten Bienen noch mehr verunsicherte. Einige von ihnen fielen deshalb über Veronika her.
Wild um sich schlagend rannte sie weiter, bis das bedrohliche Gebrumme endlich verstummte. Sie hatte das Hotel schon fast erreicht, als ihr rechter Arm plötzlich höllisch schmerzte. Als sie den Ärmel ihres Shirts hochschob, stellte sie erschrocken fest, dass er schon dick angeschwollen war. Ihr Herz begann, wild zu pochen, als ihr klar wurde, dass die Bienen sie gestochen hatten und sie offensichtlich heftig darauf reagierte. Sie atmete ein paar Mal tief durch, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. Danach lief sie zum Hotelparkplatz, stieg in ihr Auto und fuhr zur Praxis Seefeld.
»Es ist gut, Nolan, ich gehe schon«, beruhigte Sebastian den Hund, der bellend vor seiner Tür hockte, als er aus seinem Schlafzimmer kam, weil es an der Haustür läutete.
»Wuff«, machte Nolan und legte sich wieder in seinen Korb neben Emilias Zimmer, als er sah, dass Sebastian in Jeans und T-Shirt die Treppe hinunterging. Wachsam stellte er aber die Ohren, damit ihm kein verdächtiges Geräusch entging.
»Sie? Was ist passiert?«, fragte Sebastian, als er die Haustür öffnete und Veronika Mittermeyer vor ihm stand.
»Ich bin gestochen worden«, antwortete sie und zeigte ihm ihren Arm.
»Kommen Sie bitte mit mir«, sagte Sebastian und nahm die Schlüssel für die Praxis vom Schlüsselbrett. »Reagieren Sie immer so heftig?«, erkundigte er sich, als er sie in sein Sprechzimmer führte und sie bat, sich auf die Liege zu setzen.
Neben der Deckenbeleuchtung schaltete er auch die Lampe an, die an einem beweglichen Arm an der Wand neben der Liege befestigt war, und richtete sie auf Veronikas Stiche.
»So schlimm war es noch nie, ich gehe den Viechern ohnehin möglichst aus dem Weg. Was machen Sie da?« Sie schaute auf die Pinzette, mit der Sebastian über die Stiche fuhr.
»Bienen hinterlassen meistens ihren Stachel. Wenn ich ihn herausziehe, dann könnte es helfen, dass ihr Arm nicht noch weiter anschwillt. »Eins, zwei, drei, vier und da ist noch einer«, sagte er und zog die Stachel nacheinander aus Veronikas Haut. »Es wird die Stiche schneller abschwellen lassen und den Juckreiz lindern«, erklärte er ihr, als er eine Salbe aus seinem Medikamentenschrank holte und ihren Arm vorsichtig mit dem Gel einrieb. »Ich gebe Ihnen die Salbe mit, falls es wieder schlimmer wird. Und jetzt möchte ich Sie noch abhören und Ihren Blutdruck messen«, sagte er, als Veronika schon aufstehen wollte.
»Warum?«
»Damit ich sicher bin, dass Sie nicht auf einen Schock zusteuern.«
»Jetzt noch? Ich dachte, das passiert sofort nach einem Stich.«
»Das stimmt, aber Sie reagieren schon ziemlich heftig, ich möchte einfach nichts übersehen. Heben Sie das Hemd einfach an«, sagte er, als er sein Stethoskop umhängte und sie in ihrem Trägershirt vor ihm saß, das sie unter ihrer Jacke trug. »Juckreiz, Kribbeln, ein Brennen unter der Zunge, trifft irgendetwas davon auf Sie zu?«, erkundigte er sich.
»Nein, außer den Schmerzen im Arm ist alles in Ordnung.«
»Gut, dann bitte tief einatmen, Luft anhalten, weiter atmen«, forderte er sie auf. »Nichts Auffälliges«, sagte er, legte das Stethoskop zur Seite und überprüfte ihren Blutdruck.
»Und?«, fragte Veronika.
»Alles in Ordnung, ich würde Ihnen aber trotzdem einen Besuch beim Allergologen empfehlen.«
»Wegen einer Immunisierung?«
»Im Moment würde ich persönlich noch nicht dazu raten, sollten Ihre Reaktionen aber irgendwann noch heftiger ausfallen, dann wäre das eine Möglichkeit. Verraten Sie mir, wie es mitten in der Nacht überhaupt zu dieser Begegnung mit den Bienen kam?«
»Manchmal gibt es ungeplante Begegnungen.«
»Haben Sie wieder Leonhards Imkerei besucht?«
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen Rechenschaft darüber ablegen muss, wo ich mich aufhalte.«
»Nein, das müssen Sie nicht, aber wie es scheint, fühlen Sie sich von Orten angezogen, die Ihnen nicht gut tun.«
»Danke, dass Sie mich behandelt haben. Frau Fechner weiß, wohin sie die Rechnung schicken kann«, sagte Veronika und zog ihre Jacke wieder an.
»Gute Besserung, Frau Mittermeyer, sollten Sie irgendwelche Beschwerden haben, dann melden Sie sich.«
»Ich möchte nicht, dass jemand von meinem Missgeschick erfährt. Kann ich mich darauf verlassen, Herr Doktor Seefeld?«
»Diese Unterhaltung hatten wir bereits schon einmal, meine Antwort bleibt die gleiche.«
»Das wollte ich hören, danke«, sagte sie, als Sebastian sie zur Tür brachte.
»Gute Nacht, Herr Doktor Seefeld«, verabschiedete sich Veronika und stieg in ihr Auto.
Irgendetwas hat sie vor, dachte Sebastian, als er eine Viertelstunde später wieder in seinem Bett lag. Dieser Blick, als sie ihn an seine Schweigepflicht erinnerte, hatte etwas Bedrohliches.
*
Im Biergarten war alles für den großen Tag vorbereitet, als Susanne am nächsten Morgen dort eintraf. Über dem Eingang der Brauerei und dem Tor zum Biergarten hingen bemalte Schilder, auf dem das Gründungsjahr der Brauerei stand. Die Tische waren mit weißen Decken und blauen Tellern gedeckt, Brezel und angemachter Käse standen für die Gäste bereit. Neben dem Eingang zum Braustübchen war eine kleine Bühne aufgebaut. Dort würde Leonhard seine Gäste begrüßen und das neue Honigbrot vorstellen.
»Grüß dich, Sannerl, hübsch siehst du aus.« Irmgard, die schon seit fünfzehn Jahren im Biergarten kellnerte, schaute auf das himbeerfarbene knielange Kleid, das Susanne trug.
Es hatte einen geraden Ausschnitt, angesetzte kurze Ärmel und betonte ihre schlanke Figur.
»Danke, Irmi, mit euren schönen Dirndl kann ich aber lange nicht mithalten«, entgegnete Susanne lächelte.
»Geh, Madl, du bist schon eine rechte Augenweide«, antwortete Irmgard und zwinkerte ihr zu, bevor sie wieder im Braustübchen verschwand, um mit den anderen Kellnerinnen und dem Küchenpersonal noch einen Kaffee zu trinken, bevor die Gäste eintrafen.
»Sie hat recht, du bist eine Augenweide«, sagte Leonhard, der mit einem Kasten Jubiläumsbier aus der Brauerei kam, den er neben der Bühne abstellte.
»Du siehst ein bisschen fremd aus«, stellte Susanne fest, weil sie ihn zum ersten Mal in der hellen Trachtenjacke sah, die er zu einer dunklen Anzughose trug.
»Fremd auf welche Weise? Anziehend oder abschreckend?«
»Nichts an dir schreckt mich ab, Leonhard.«
»Wenn das so ist, dann verliebe dich einfach noch einmal in mich. Ich meine, in diesen fremden Teil von mir.«
»Das hört sich aufregend an.«
»Es ist aufregend«, antwortete er mit einem Lächeln, das ihr einen heißen Schauer über den Rücken jagte.
»Ich hole die Honigbrote«, sagte sie. In genau einer Stunde würden die Gäste eintreffen, ihre Sehnsüchte mussten warten.
Im Honiglager legte Susanne die verpackten Brote in einen Korb und machte sich wieder auf den Weg zurück zum Biergarten. Sie stutzte kurz, als sie auf den Bienenstock schaute, der in der Nähe des Baches stand. Sie hatte den Eindruck, dass er am Tag zuvor noch näher am Ufer gestanden hatte. Unsinn, ich muss mich irren, dachte sie. Sie war jetzt für die Bienen verantwortlich, warum sollte jemand auf die Idee kommen, einen der Stöcke umzustellen, ohne mit ihr darüber zu sprechen?
»Die Kartons hierher«, bat Irmgard, die vor dem Tisch auf der Bühne stand. Sie hatte die Flaschen mit dem Jubiläumsbier in drei Halbkreisen auf den Tisch gestellt, davor stand jeweils ein Glas Honig und nun legte sie noch jeweils einen Karton mit Honigbrot dazu. »So schaut’s gut aus«, sagte sie, als sie von der Bühne herunterkam und noch einmal einen Blick auf den dekorierten Tisch warf.
»Ja, ganz wunderbar«, erklärte der junge Mann, der mit einem Fotoapparat um den Hals plötzlich hinter ihnen stand. »Und jetzt stellt euch mal ein bissel dekorativ hinter den Tisch, das belebt das Bild.«
»Und wer sagt das?«
»Tobias Meier vom Bergmoosbacher Tagblatt«, stellte er sich vor, schob sein blondes Haar mit der Sonnenbrille aus der Stirn und fingerte eine Visitenkarte aus seiner Hosentasche.
»In die Zeitung soll ich?«, fragte Irmgard erstaunt.
»Freilich, das gibt ein schönes Bild.«
»Also gut, komm, Sannerl«, bat Irmgard und zog Susanne mit sich auf die Bühne.
Sehr schön, die Meisterin vor ihrem Werk, dachte Veronika, die in diesem Moment in einem langen mintfarbenen Trachtenrock und langärmliger weißer Bluse den Biergarten betrat. »Hallo, Frau Gärtner«, begrüßte sie Susanne mit überschwänglicher Freude, als sie nach dem Foto für die Zeitung wieder von der Bühne herunterstieg.
»Hallo, Frau Mittemeyer, Sie sehen gut erholt aus.«
»Ich fühle mich wundervoll.« Und du hast keine Ahnung, was gleich über dich hereinbrechen wird, dachte Veronika.
Während Leonhard im Braustübchen noch einmal seine Rede durchging, trafen nach und nach die geladenen Gäste ein. Auch Anna Bergmann und Sebastian Seefeld mit seiner Familie, die von allen freundlich begrüßt wurden.
Traudel trug ihr goldfarbenes Dirndl, das sie nur zu besonderen Anlässen aus dem Schrank holte. Benedikt hatte seine schwarze Trachtenjacke angezogen, die sein silberfarbenes Haar beeindruckend hervorhob, und auch Sebastian hatte seine helle Trachtenjacke hervorgeholt. Anna trug ein rosafarbenes Dirndl, nur Emilia hatte sich der traditionellen Kleidung verweigert und sich für ein zart geblümtes Sommerkleid entschieden.
»Komm, setz dich zu uns«, forderte Anna Susanne auf, als Leonhard auf die Bühne trat und seine Gäste willkommen hieß.
Gleich darauf marschierte die fünfköpfige Blaskappelle, die er engagiert hatte, in Lederhosen und Trachtenhemden in den Biergarten, spielte einen Tusch und baute sich neben der Bühne auf. Alle schauten nun auf Leonhard, der von den Anfängen der Brauerei erzählte und wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt hatte. Damit keine Langweile aufkam, schmückte er seine Rede mit amüsanten Episoden, was bei seinen Zuhörern gut ankamen, die seine Ansprache schließlich mit einem kräftigen Applaus belohnten.
»Als bleibende Erinnerung für diesen Tag gibt es ab heute ein neues Produkt aus unserem Haus«, sagte er, als es wieder ruhiger im Biergarten wurde. Behutsam nahm er einen der Kartons mit dem Honigbrot in die Hand.
Der Reporter vom Tagblatt baute sich vor ihm auf, und Leonhard hielt den Karton ein wenig schräg, um Tobias einen guten Blick auf den Inhalt zu gewähren, dann öffnete er den Deckel.
»Unser Honigbrot, nach einem Rezept gebacken, das meine Mutter uns hinterlassen hat«, sagte er, während die Gäste ihre Köpfe reckten, um das Brot sehen zu können.
»Dann hieß Ihre Mutter Susanne?«, fragte Tobias und drückte auf den Auslöser.
»Warum Susanne?«, fragte Leonhard leise.
»Wegen des Namens, Susannes Honigbrot«, sagte er und drückte erneut auf den Auslöser.
Das gibt es doch nicht, dachte Leonhard, als er den Karton hochnahm und auf das Etikett schaute.
»Ja, wieso Susanne?«
»Warum hast du es denn nicht nach deiner Mutter benannt?«
»Wieso heißt es denn nicht Hannis Honigbrot?«
Leonhard stellte den Karton zurück auf den Tisch, als immer mehr Leute die Bühne umringten und ihn mit denselben Fragen bestürmten.
»Wieso Susannes Honigbrot?«, fragte auch Anna und schaute Susanne erstaunt an.
»Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Auf den Etiketten stand gestern noch Hannis Honigbrot.«
»Woher weißt du das?«
»Leonhard und ich haben das Brot zusammen gebacken, ich habe es dann selbst gestern Abend verpackt, mit den Aufklebern versehen und ins Honiglager gebracht.«
»Und Sie haben das Lager auch richtig verschlossen?«, fragte Sebastian.
»Ich bin ganz sicher.«
»Frau Gärtner, kommen Sie bitte zu mir auf die Bühne«, sagte Leonhard, nachdem er auch in die beiden anderen Schachteln geschaut hatte.
Oh Gott, dachte Susanne, als sie seine Stimme hörte, die kalt und fremd klang. Wie betäubt drängte sie sich an den Leuten vorbei, die vor der Bühne standen.
»Die Erklärung für die Namensgebung ist, dass Frau Gärtner dieses Brot gebacken hat und auch Ihr Honig dafür verwandt wurde«, sagte er, als Susanne gleich darauf neben ihm auf der Bühne stand. »Wir werden in Zukunft eng mit der Imkerei Gärtner zusammen arbeiten, und es wird demnächst auch ein Honigbrot in einer ganz besonderen Form geben, das dann nach meiner Mutter benannt wird.« Eine bessere Erklärung war Leonhard auf die Schnelle nicht eingefallen. Auf keinen Fall würde er sich vor der Öffentlichkeit in eine Auseinandersetzung mit Susanne einlassen.
»Ich nehme an, dass Susannes Honigbrot auch auf das Café aufmerksam machen soll, dass Sie demnächst eröffnen werden. Habe ich recht, Frau Gärtner?«, fragte Tobias, nachdem Veronika, die sich unter die Leute vor der Bühne gemischt hatte, ihm etwas zugeflüstert hatte.
»Ich besitze kein Café«, entgegnete Susanne.
»Aber demnächst, wie ich hörte.«
»Unsere Kellnerinnen werden jetzt das Brot anschneiden und an den Tischen verteilen. Lassen Sie es sich schmecken«, sagte Leonhard und gab der Blaskappelle ein Zeichen, die auch gleich zu spielen anfing. Der Reporter hatte genug Fragen gestellt, er hatte nun seine eigenen Fragen, die Susanne ihm beantworten sollte. »Erkläre mir das«, forderte er sie auf und zog sie ins Treppenhaus der Brauerei, dort, wo es hinauf zu den Büros ging und sie an diesem Tag vor neugierigen Blicken geschützt waren.
»Ich habe keine Erklärung. Ich habe die Etiketten, die du mir gebracht hast, auf die Brote geklebt.« Susanne wich seinem Blick nicht aus, auch wenn sie die Enttäuschung, mit der er sie ansah, kaum ertragen konnte. »Ich glaube, der Bienenstock am Bach steht nicht mehr an derselben Stelle wie gestern. Vielleicht war heute Nacht jemand in der Imkerei.« Vielleicht hatte sie sich doch nicht geirrt, was den Bienenstock betraf.
»Angenommen, es war so. Niemand außer dir und mir kennt den Code für die Tür, richtig?«
»Vielleicht hat dein Imker es doch irgendjemandem mitgeteilt.«
»Und derjenige hat es mir verschwiegen, um unsere Produktion anzuhalten? Und welchen Grund sollte derjenige haben, diesem Brot deinen Namen zu geben?«
»Es spricht wohl alles gegen mich.«
»Könnte es sein, dass der Reporter recht hat und du dein zukünftiges Café bekannt machen wolltest?«
»Während deiner Jubiläumsfeier?«
»Du hast darauf vertraut, dass ich es hinnehme, um die Stimmung auf dem Fest nicht zu gefährden.«
»Und damit riskiert, dass du mit mir brichst?«
»Vielleicht hast du gehofft, ich würde es nachträglich als eine gute Idee ansehen. So wie ich es eben dargestellt habe, ist dir dieser Schachzug gelungen.«
»Hältst du mich wirklich für derart gerissen?«
»Was mich wirklich interessiert, war alles nur gespielt? Ich meine, deine Gefühle für mich? Schon gut, ersparen wir uns alles Weitere«, sagte er und machte auf dem Absatz kehrt, als Susanne nicht gleich antwortete.
Ihr war klar, dass sie im Moment nicht das Geringste tun konnte, um den Verdacht gegen sie zu entkräften. Selbst, wenn sie beweisen könnte, dass die Schrift auf diesen Etiketten nicht ihre war, solange sie nicht herausfand, wer sie beschriftet hatte, nutzte ihr das gar nichts. »So schnell kann das Glück vorbei sein«, flüsterte sie, und als ihr die Tränen in die Augen schossen, setzte sie sich auf die Treppe und verbarg das Gesicht in ihren Händen.
»Och Gottchen, da sind wir aber jetzt traurig«, höhnte Veronika, die im Biergarten darauf gelauert hatte, bis Leonhard zurückkam, und sich nun davon überzeugen wollte, dass ihr Plan funktioniert hatte.
»Verschwinde«, forderte Anna sie auf. Auf der Suche nach Susanne hatte sie gleichzeitig mit Veronika das Treppenhaus betreten.
»Ich bin schon weg, ich habe ohnehin Besseres zu tun, als mir die kleine Schlange anzusehen«, erwiderte sie mit einem herablassenden Lächeln.
Nachdem sie gegangen war, setzte sich Anna neben die Freundin auf die Treppenstufe, legte den Arm um sie und tröstete sie erst einmal, ohne ihr weitere Fragen zu stellen.
Draußen im Biergarten sah sich Leonhard nur von gut gelaunten Menschen umgeben. Er wurde für das Honigbrot gelobt, das Jubiläumsbier schmeckte allen ausgezeichnet und offensichtlich hatten alle seine Erklärung angenommen, warum das Honigbrot Susannes Namen trug.
»Setz dich einen Moment zu uns«, bat Sebastian, als Leonhard an ihren Tisch kam, um ein paar Worte mit ihnen zu wechseln.
»Wenn du sie verteidigen willst, das wird dir nicht gelingen«, sagte Leonhard.
»Würdest du es nicht hören wollen, wenn ich es könnte?«
»Was meinst du?«, fragte Leonhard, und ein Funken Hoffnung, dass das Ganze vielleicht doch nicht Susannes Werk gewesen war, keimte in ihm auf.
»Erzähle mir, was sie gesagt hat«, bat Sebastian.
»Wir hören«, sagte Emilia und sah Leonhard an, während Benedikt und Traudel sich den beiden älteren Ehepaaren zuwandten, die mit ihnen am Tisch saßen, und sie geschickt in ein Gespräch verwickelten, damit sie nichts von Leonhards Kummer mitbekamen.
»Wenn das mit dem Bienenstock stimmt und er vielleicht von einem nächtlichen Eindringling umgestoßen wurde«, sagte Sebastian, als Leonhard Susannes Bemerkung erwähnte.
»Aber wer außer Susanne sollte denn ein Interesse an diesem Honigbrot haben?«
»Es muss eine Erklärung gebe, Susanne würde so etwas niemals tun«, versicherte ihm Emilia.
»Wir können einen Menschen nicht durchschauen.«
»Aber sie ist in dich verliebt, Leonhard. Warum sollte sie dich verletzen wollen?«
»Vielleicht hat sie geglaubt, ich würde es mit einem Lächeln hinnehmen und es in Ordnung finden, dass sie auf diese Weise für ihre Imkerei wirbt.«
»Nein, das wäre unter ihrer Würde.«
»Ich bin auch sicher, dass Susanne nichts damit zu tun hat«, schloss sich Sebastian der Meinung seiner Tochter an.
»Danke, dass ihr beide mir helfen wollt, aber leider spricht einfach alles gegen sie«, stellte Leonhard traurig fest.
»Du könntest ihr einfach glauben«, sagte Emilia.
»Das einzige, was ich tun könnte, wäre, ihr zu verzeihen«, entgegnete er.
»Du weißt doch was, Papa«, flüsterte Emilia, als Leonhard gleich darauf ihren Tisch verließ.
»Du hast recht, Sherlock.«
»Du hast meine volle Aufmerksamkeit, Doktor Watson«, antwortete Emilia mit verschwörerischem Lächeln.
Sebastian nahm das Glas Orangensaft, das vor Emilia stand, und erhob sich, gerade in dem Moment, als Veronika, die Leonhard im Blick hatte, an ihrem Tisch vorbeirauschen wollte. »Verzeihung, das tut mir wirklich sehr leid«, entschuldigte er sich, als er ihr den Orangensaft wie aus Versehen über den rechten Arm kippte.
Es war nur ein kurzes Aufblitzen in Sebastians Augen, das niemand außer Emilia wahrnahm und das außer ihr auch niemand deuten konnte. Das Mädchen aber wusste genau, was sie nun zu tun hatte. Während alle am Tisch auf Veronikas Bluse starrten, stand sie leise auf und eilte unbemerkt davon.
»Die schöne Bluse«, sagte Traudel und schaute auf den zarten Baumwollstoff, der sich allmählich verfärbte.
»Ich bezahle Ihnen natürlich die Reinigung, Frau Mittermeyer«, versicherte ihr Sebastian.
»Schon gut, vergessen Sie es«, entgegnete Veronika. Missmutig machte sie sich auf den Weg zu den Toilettenräumen, um den Orangensaft auszuwaschen.
»Seit wann bist du so ungeschickt, mein Sohn?«, fragte Benedikt, der den Zwischenfall beobachtet hatte.
»Ehrlich gesagt, ich hoffe, dass ich mich in diesem Fall geschickt angestellt habe.«
»Du und Emilia, ihr habt wohl wieder etwas ausgeheckt«, flüsterte Traudel.
»Leider wird uns das aber nicht zu einer umfassenden Lösung führen«, sagte Sebastian. Die Stiche an Veronikas Arm deuteten zwar darauf hin, dass sie in der Nähe der Imkerei war, aber es war keine Erklärung dafür, wie sie in das Lager hineingekommen war.
Wie alle Räume in der Brauerei waren auch die Wände der Toilettenräume rot verklinkert und die Böden grau gefliest. Die modernen Waschbecken mit den dunkelroten Armaturen, die Leonhard vor ein paar Monaten hatte einbauen lassen, verliehen dem historischen Ambiente einen eleganten Anstrich.
»Der Mann sollte statt Orangensaft Wasser trinken, wenn er so ungeschickt ist«, schimpfte Veronika, die an dem hinteren der fünf Waschbecken stand, ihre Bluse ausgezogen hatte und den Ärmel unter kaltes Wasser hielt.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Emilia, die sich hinter einer Toilettentür verborgen hatte und sich nun erst zeigte.
»Nein, danke, vermutlich bist du ebenso ungeschickt wie dein Vater.«
»Papa ist alles andere als ungeschickt, das wird Ihnen bald klar sein«, erwiderte Emilia und schaute auf Veronikas Arm. Auch wenn der nicht mehr geschwollen war, die Stiche waren noch deutlich zu sehen.
»Geh einfach!«, fuhr Veronika sie an.
»Bis gleich«, sagte Emilia und machte sich auf die Suche nach Susanne und Anna. »Es wird alles gut werden«, verkündete sie den beiden, die noch immer auf der Treppe in der Brauerei saßen.
»Wie sollte das gehen?« Susanne trocknete ihre Tränen mit dem Taschentuch, das Anna ihr gegeben hatte.
»Ich muss los«, sagte Emilia, als sie Veronika gleich darauf wieder im Biergarten entdeckte.
»Was hat sie vor?«, fragte Susanne und schaute dem Mädchen verblüfft nach.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Anna und zuckte die Achseln, als Susanne sie fragend anschaute.
»Es tut mir so leid für dich.« Veronika war gleich auf Leonhard zugesteuert, als sie ihn abseits des Geschehens im Biergarten an der Hauswand lehnen sah.
»Was tut dir leid?«
»Dass du dich in dieser Frau getäuscht hast. Ein unschuldiges Gesicht lässt leider nicht auf ein unschuldiges Wesen schließen. Ich bin sicher, du wolltest dieses Brot deiner Mutter widmen, und sie hat es dir verdorben.«
»Darüber will ich nicht mit dir reden.« Leonhard senkte den Blick. Irgendwie musste er diesen Tag herumbringen und sich dabei nichts von seinem Kummer anmerken lassen.
»Sie sollten im Umgang mit den Bienen ein bisschen vorsichtiger sein, Frau Mittermeyer. Ich habe auch gerade erst mit dem Imkern angefangen, aber so wie Sie habe ich noch nicht ausgesehen«, sagte Emilia, die aus der Brauerei kam.
»Von was redest du?« Unwillkürlich überprüfte Veronika den Sitz ihres rechten Ärmels.
»Diese Stiche an Ihrem Arm, das sieht nach einem kleinen Angriff aus.«
»Welche Stiche?«, fragte Leonhard und wandte sich Veronika zu.
»Du solltest ihren rechten Arm sehen, schlimm«, sagte Emilia und setzte eine mitleidige Miene auf.
»Dein Vater bekommt Ärger, Mädchen, er verletzt seine Schweigepflicht«, zischte Veronika, als Leonhard sie packte und den Ärmel ihrer Bluse hochschob.
»Mein Vater hat damit gar nichts zu tun. Schon vergessen, ich habe sie gerade am Waschbecken gesehen«, erinnerte Emilia sie an ihr Zusammentreffen.
»Was soll das beweisen? Ich bin von Bienen gestochen worden. Das kann zu dieser Jahreszeit jedem passieren.«
»Richtig, aber könnte es trotzdem sein, dass du irgendetwas mit den Etiketten auf dem Honigbrot zu tun hast?«, fragte Leonhard.
»Ich? Wie kommst du denn darauf? Ich wusste doch gar nichts von diesen Broten, und woher hätte ich diesen blödsinnigen Code kennen sollen?«
»Blödsinnigen Code?«, hakte Sebastian nach, der in diesem Moment dazu kam.
»Den Code für das Honiglager eben.«
»Nein, Sie sagten blödsinnigen Code«, wiederholte Emilia, die auch genau aufgepasst hatte, was Veronika antwortete.
»Hast du den Code irgendwo aufgeschrieben?«, wollte Sebastian von Leonhard wissen.
»Herr Schwartz, ein Gratulant aus Neuseeland. Herr Schneider möchte Ihnen alles Gute zum Jubiläum wünschen.« Martha Luchter, Leonhards Sekretärin, hatte das Telefon der Brauerei mit in den Biergarten genommen, um die Gespräche für ihren Chef entgegen zu nehmen.
»Ich kann jetzt nicht«, sagte Leonhard.
»Sprich mit ihm«, forderte Sebastian ihn auf, als er sah, dass Veronika ganz blass wurde. Er nahm Frau Luchter das Telefon aus der Hand und reichte es Leonhard.
»Hallo, Herr Schneider«, meldete sich Leonhard und ging ins Haus, um ihn besser verstehen zu können.
»Sie halten sich wohl für besonders schlau«, giftete Veronika Sebastian an.
»Nein, überhaupt nicht, aber Sie sollten sich schon fragen, was Sie mit dieser Aktion eigentlich erreichen wollten. Liebe lässt sich nicht erzwingen.«
»O doch, man muss nur die richtigen Mitteln einsetzen.«
»Das haben auch schon andere geglaubt und sind gescheitert«, sagte Emilia und schaute auf die attraktive Blondine in dem weißen Dirndl, die mit einem rothaarigen jungen Mann nicht weit von ihnen an einem Tisch saß.
»Grüß dich, Miriam«, flötete Emilia, als Miriam Holzer, die Erbin des Bergmoosbacher Sägewerks, die stets aufs Neue, aber ohne Erfolg versuchte, Sebastian zu erobern, in diesem Moment aufschaute.
»Grüß dich«, entgegnete Miriam knapp und wandte sich schnell wieder ab.
»Du hast mit Herrn Schneider gesprochen, Veronika«, sagte Leonhard, nachdem er sein Telefonat beendet hatte und wieder in den Biergarten kam.
»Ich wollte dir ja nur sagen, dass er angerufen hat, aber dann ist leider …«
»Hast du Susanne und mich in der Imkerei zusammen gesehen.«
»Ja, es stimmt, ich bin gegen den Haken an der Wand der Imkerei gestoßen«, gab Veronika nun zu, was Sebastian ihr bereits auf den Kopf zugesagt hatte.
»Daher stammt also deine Verletzung«, stellte Leonhard kopfschüttelnd fest.
»Du willst doch nicht wirklich unsere Verbundenheit für diese fremde Frau aufgeben?«, fragte Veronika fassungslos, als Leonhard sich von ihr abwandte.
»Wo ist Susanne, Emilia?«, wollte er wissen.
»Dort, wo du sie stehen gelassen hast.«
»Danke.«
»Vielleicht bereuen Sie eines Tages, dass Sie sich eingemischt haben«, sagte Veronika und sah Sebastian an, als Leonhard davoneilte.
»Nein, ich denke, das werde ich nicht tun.«
»Wie können Sie da so sicher sein?«
»Papa weiß, wie die Liebe aussieht«, sagte Emilia und hakte sich bei Sebastian unter.
»Machen Sie es gut, Frau Mittermeyer«, verabschiedete sich Sebastian von ihr und ging mit Emilia zurück zu seinem Tisch.
»Du wusstest gleich, dass Veronika den Code für das Schloss von Herrn Schneider wusste, richtig?«
»Und woher wusste ich das?«
»Hm, ich würde sagen, weil sie kreidebleich wurde, als der Anruf kam.«
»Sehr gut, Sherlock«, sagte Sebastian und drückte seine Tochter liebevoll an sich.
»Sieh mal, Opa und Traudel«, flüsterte Emilia, als sie die beiden unter den Paaren entdeckte, die zur Musik der Blaskapelle tanzten.
»Sieht ganz so aus, als hätten sie viel Spaß.«
»Wir könnten es doch auch mal versuchen.«
»Wir beide?«
»Ja, wir beide, komm«, sagte Emilia und zog Sebastian auf die Tanzfläche.
»Ich lasse euch jetzt allein, sprecht euch aus, und vor allen Dingen, verzeiht euch«, sagte Anna, nachdem Leonhard ihr und Susanne erzählt hatte, was er inzwischen wusste.
»Ich weiß nicht, ob ich dir verzeihen kann.« Susanne sah Leonhard traurig an, als er sich neben sie auf die Treppe setzte.
»Was muss ich tun, damit du es kannst?«
»Du hast mir nicht geglaubt, das hat sehr wehgetan.«
»Ich weiß.«
»Was wird das nächste Mal passieren, wenn mir wieder jemand etwas unterstellt und ich mich nicht dagegen wehren kann?«
»Ich werde dir glauben.«
»Das sagst du jetzt. Ohne Emilia und ihren Vater wären deine Zweifel geblieben.«
»Ich habe mich zu schnell überzeugen lassen, das war falsch, aber bitte lass nicht zu, dass Veronika mit dieser üblen Intrige Erfolg hat.«
»Ich kann mit niemandem zusammen sein, der mir nicht vertraut.«
»Das verstehe ich.«
»Vielleicht hätte ich nicht so schnell aufgeben sollen.«
»Ich habe dir keine Chance gelassen.«
»Ich glaube, ich kann es nicht durchhalten.«
»Was?«, fragte er und sah in ihre Augen.
»Dir nicht zu verzeihen«, sagte sie und legte ihre Hand zärtlich auf seine Wange.
»Ich verspreche dir, so etwas wird nie wieder passieren.«
»Das versprichst du mir ganz fest?«
»Ja, meine süße kleine Bienenhüterin, das verspreche ich dir«, sagte er, nahm sie in seine Arme und küsste sie.
»Papa, das haben wir gut hinbekommen«, raunte Emilia ihrem Vater zu, als Susanne und Leonhard Hand in Hand in den Biergarten kamen und ihnen glücklich zulächelten.
»Sieht ganz so aus«, stimmte Sebastian Emilia zu, als er mit ihr von der Tanzfläche kam und sie sich an ihren Tisch setzten.
Im Biergarten herrschte inzwischen großer Trubel, die Bergmoosbacher kamen und gingen, jeder wollte wenigstens einmal vorbeigeschaut haben. Auch Markus und seine Eltern kamen, und Emilia ließ es sich nicht nehmen, ihn zum Tanzen aufzufordern.
»Möchtest du auch tanzen?«, fragte Sebastian, als Anna den beiden nachschaute.
»Gern.«
»Dann komm«, sagte er und nahm sie an die Hand.
»So wie es ist, ist es erst einmal gut«, stellte Benedikt fest.
»Erst einmal«, sagte Traudel, während sie Susanne und Leonhard beobachtete.
*
Die Jubiläumsfeier der Brauerei war ein großer Erfolg. Als Anna am nächsten Abend zu Seefelds zu ihrer wöchentlichen Schafkopfrunde kam, traf sie dort auf Susanne und Leonhard, die sich bei Emilia und Sebastian noch einmal für ihre Hilfe bedankten. Sie saßen alle an dem großen Tisch auf der Terrasse mit dem Blick auf den Steingarten. Die Leuchten, die in die Stufen der Treppe eingelassen waren, und das Windlicht auf dem Tisch machten es auf der Terrasse richtig gemütlich, und der Duft der Himbeerbowle, die Traudel angesetzt hatte, war verlockend.
»Wisst ihr was, wir lassen das Kartenspiel heute ausfallen und unterhalten uns ein bisschen über das Leben und die Liebe und was es sonst noch an schönen Dingen gibt«, schlug Traudel vor.
»Für dein Alter bist du ganz schön verträumt«, stellte Benedikt lächelnd fest und knuffte Traudel in die Seite.
»Träumen ist keine Sache des Alters.«
»Aber immer nur träumen finde ich auf Dauer ein bisschen zu öde, es muss auch mal etwas passieren«, erklärte Emilia.
»Ich finde, in Bergmoosbach passiert ganz schön viel«, erwiderte Susanne und lehnte sich an Leonhards Schulter.
»Wuff, wuff«, meldete sich Nolan, der unter dem Tisch lag und sein Köpfchen auf Emilias Füße gelegt hatte.
»Nolan hat immer recht«, sagte Emilia und kraulte den Kopf des jungen Hundes.
»Auf Nolan, die Liebe und die Träume«, sagte Traudel, und dann stießen sie alle mit einem Glas Himbeerbowle an.
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