Читать книгу Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman - Tessa Hofreiter - Страница 18
ОглавлениеSchöne Umgebung, dachte Ela Wiesner, als sie noch eine Weile auf dem Bahnsteig stehen blieb, nachdem sie aus dem Zug gestiegen war. Bergmoosbach, die nächste Station auf Florians Tournee, ein Dorf am Fuße der Allgäuer Alpen, eingebettet in ein grünes Tal mit sanften Erhebungen und glitzernden Seen.
Der Bahnhof lag auf einer Anhöhe, das weiße Empfangsgebäude mit seinem roten Dach und der blau umrandeten Bahnhofsuhr sah so frisch und sauber aus wie alle Häuser, auf die sie hinunterschaute. Das große Festzelt, in dem Florian König, der in den letzten Jahren zu einem der beliebtesten Sänger im Alpenraum aufgestiegen war, in drei Tagen auftreten würde, stand bereits auf der Wiese am Ortsrand. Morgen würden sie die Bühne aufbauen und am nächsten Tag die Musikanlage, damit Florian vor seinem Auftritt noch einmal mit den Musikern proben konnte.
»Du musst die Arbeiten im Zelt kontrollieren, auch das gehört zu den Aufgaben meiner Assistentin. Du musst alles wissen, du musst alles verstehen, damit wir sicher sind, dass Florian sicher ist«, hatte Sibylle, Florians Managerin, ihr vor ein paar Tagen geantwortet, als sie ihr erklärte, dass sie die Technik der Tonanlage nicht überprüfen könne.
Sie hatte nichts mehr darauf entgegnet. Florian hatte ihr schon mehrfach versichert, dass die Leute, die ihn während einer Tournee begleiteten, alle zuverlässig seien und dass man sie nicht überwachen musste. Dass Sibylle trotzdem darauf bestand, dass sie vor ihr und Florian in Bergmoosbach ankam, hatte auch etwas Gutes. Sie konnte sich ein paar Stunden frei bewegen, ohne ständig einen neuen Auftrag von Sibylle zu erhalten.
Das ist beinahe wie Urlaub, dachte Ela, als sie ihre Reisetasche umhängte und den Bahnhof verließ. Wenn da nur nicht diese Übelkeit wäre, die sie seit einigen Tagen quälte. Sie musste sich mit irgendetwas den Magen verdorben haben.
Das Hotel, in dem Florian und sein Tross während ihres Aufenthaltes in Bergmoosbach wohnen würden, lag nur ein paar Minuten vom Bahnhof entfernt auf der nächsten Erhebung. Die Straße machte zwar einen weiten Bogen, aber für Fußgänger gab es eine Treppe, die auf direktem Weg hinaufführte.
Das dreistöckige Gebäude war im alpenländischen Stil erbaut, alle Zimmer hatten Balkons mit gelb weißen Markisen und in den Blumenkästen blühten gelbe Geranien. Einige Hotelgäste hatten es sich auf den Liegestühlen im Garten bequem gemacht, lasen Zeitung oder dösten in der warmen Mittagssonne.
Hier wird es Florian gefallen, dachte Ela, als sie die Lobby betrat. Heller Teppichboden, Wandverkleidungen aus edlem Holz, ein offener Kamin, Sessel und Sofas mit goldfarbenem Stoff bezogen, Deckenstrahler und gedimmte Stehlampen. Wie schon in den Außenanlagen wurde auch hier viel Wert auf eine luxuriöse und farblich aufeinander abgestimmte Ausstattung gelegt, so wie es von einem fünf Sterne Hotel zu erwarten war. Die junge Hotelangestellte in dem blauen Kostüm, die hinter dem Empfangstresen stand, begrüßte sie freundlich und übergab ihr den Zimmerschlüssel, nachdem sie die Anmeldung erledigt hatte.
Ihr Zimmer lag im ersten Stock am Ende des Gangs, in dem sich auch die beiden Suiten befanden, die sie für Florian und Sibylle hatte reservieren lassen. Es war ein schönes gemütliches Zimmer, hellroter Teppichboden, ein breites Bett, ein Schreibtisch, auf dem gelbe Rosen standen, und wenn sie sich in den Sessel setzte, der vor dem großen bodentiefen Fenster stand, bot sich ihr ein atemberaubender Blick auf die Berge.
Nicht schon wieder, dachte Ela, als ihr erneut übel wurde und sie sich gerade noch rechtzeitig in ihr Badezimmer retten konnte. Als es ihr wieder besser ging, stellte sie sich erst einmal unter die Dusche, um sich nach der Reise zu entspannen. Danach zog sie ihren hellen Leinenrock und den dunkelblauen Seidenpullover an, kämmte ihr kinnlanges braunes Haar gegen den Strich, um es in Form zu bringen, und frischte den dunklen Lidstrich auf, der ihre blauen Augen betonte. Danach sah sie nicht mehr ganz so blass aus, aber sie würde trotzdem erst einmal in die Apotheke gehen, um sich etwas gegen die Übelkeit zu besorgen.
Bergmoosbach war auch aus der Nähe betrachtet ein Dorf wie aus dem Bilderbuch. Die Fassaden der Häuser, die Gehwege und Straßen, alles war ordentlich und sauber. Auch bei Urlaubern schien das Dorf beliebt, wie sie an den fröhlichen Wandergruppen erkennen konnte, die sich auf dem Marktplatz mit dem imposanten Brunnen und den Häusern mit den hübschen Lüftlmalereien tummelten. Die Plakate, die im Dorf aufgehängt waren und Florians Konzert ankündigten, trugen alle einen Aufkleber, der darauf hinwies, dass es keine Karten mehr für seinen Auftritt gab.
Die Apotheke lag gegenüber des Marktplatzes in einem Eckhaus mit grau weißen Fensterläden. Über der Apotheke war die Praxis einer Hebamme, wie Ela auf dem Schild lesen konnte, das an der Hauswand angebracht war. Ein Mädchen mit langem kastanienfarbenem Haar kam aus der Apotheke und lächelte sie freundlich an, als sich ihre Blicke trafen.
Oh Gott, was ist jetzt los?, dachte Ela, als sich plötzlich alles um sie herum drehte. Sie konnte sich gerade noch mit einer Hand an der Hauswand abstützen, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
»Hallo, sehen Sie mich an! Hallo, aufwachen!«, hörte sie jemand wie aus weiter Ferne rufen. »Anna, komm schnell hierher!«, rief die Stimme.
»Was ist denn mit mir?«, fragte Ela leise, während sie langsam die Augen öffnete.
»Sie waren ohnmächtig. Geht es Ihnen wieder besser?«
»Ich weiß nicht«, flüsterte Ela und sah das Mädchen an, das sie kurz zuvor noch vor der Apotheke gesehen hatte und das jetzt neben ihr kniete.
»Was ist passiert, Emilia?«, fragte die junge Frau mit den schönen grünen Augen, die dem Mädchen half, sie soweit aufzurichten, dass sie sich auf die Treppenstufe vor der Apotheke setzen konnte.
»Sie ist einfach umgekippt«, antwortete das Mädchen.
»Ich bin Anna Bergmann, darf ich Sie fragen, wie Sie heißen?«
»Ela Wiesner.«
»Ist Ihnen noch schwindlig, Frau Wiesner?«, erkundigte sich Anna.
»Es geht schon wieder.«
»Ist Ihnen das schon häufiger passiert?«
»Mir wird in letzter Zeit öfter schwindlig, aber ich bin noch nie ohnmächtig geworden.«
»Wird Ihnen auch übel?«
»Ja, ziemlich oft.«
»Sind Sie Ärztin?«, fragte Ela.
»Nein, Hebamme.«
»Und eine gute Krankenschwester«, fügte Emilia hinzu.
»Verstehe, deshalb die gezielten Fragen.«
»Ihre Antworten sagen mir, dass Sie sich unbedingt von einem Arzt untersuchen lassen sollten.«
»Vermuten Sie etwas?«, fragte Ela erschrocken.
»Lassen Sie sich untersuchen, Frau Wiesner.« Eine Ohnmacht konnte viele Ursachen haben, Anna wollte sich dazu auf keinen Fall äußern.
»Ich rufe Papa an«, erklärte Emilia und zückte ihr Handy.
»Nein, warte, wir bringen Frau Wiesner zu ihm. Ich denke, das wird sie schaffen«, sagte Anna, als sie feststellte, dass die Farbe in das Gesicht der jungen Frau zurückkehrte.
»Zu wem wollen Sie mich denn bringen?«
»Zu Doktor Seefeld.«
»Aber es geht mir schon wieder viel besser, vielleicht habe ich einfach nicht genug getrunken oder ich habe zu wenig gegessen.«
»Sie müssen keine Angst haben, mein Vater ist sehr nett, so nett, dass einige aus dem Dorf sogar in seine Sprechstunde gehen, obwohl sie kerngesund sind«, erzählte Emilia lächelnd.
»Ich weiß nicht, ob es wirklich nötig ist.«
»Ich würde Ihnen aber wirklich dazu raten«, sagte Anna.
»Also gut«, willigte Ela ein. Dass sie gerade das Bewusstsein verloren hatte, war ihr schon ein wenig unheimlich, auch wenn sie nach einer harmlosen Erklärung suchte.
»Ich kann bei ihr bleiben, bis du dein Auto aus der Garage geholt hast«, schlug Emilia vor.
»Wir nehmen ein Taxi, das geht schneller«, erklärte Anna.
»Ein Taxi?«, entgegnete Emilia verwundert.
»Miriam!«, rief Anna und ging auf die gut aussehende Blondine zu, die mit einer Medikamententüte aus der Apotheke kam und in den Geländewagen einsteigen wollte, auf dessen Türen in großen weißen Buchstaben »Sägewerk Holzer« stand.
»Was ist los?«, fragte Miriam mürrisch.
»Wir haben einen Notfall. Würdest du Frau Wiesner bitte zu Sebastian bringen?«
»Zu Sebastian«, wiederholte Miriam und ihre Miene hellte sich sofort auf. »Sicher, gern, kommen Sie, steigen Sie ein«, forderte sie Ela höflich auf. »Du kommst auch mit?«, fragte sie und runzelte die Stirn, nachdem Anna Ela auf den Beifahrersitz geholfen hatte und sich auf die Rückbank setzte.
»Es ist ein Notfall, Miriam, würdest du bitte losfahren«, bat Anna und reagierte erst gar nicht auf Miriams ablehnende Haltung ihr gegenüber.
»Papa, wenn du wüsstest«, seufzte Emilia und stieg auf ihr Fahrrad.
Seitdem Miriam Holzer, die Erbin des Sägewerks, begreifen musste, dass Sebastian Seefeld mehr Sympathien für Anna hegte als für sie, sah sie in der jungen Hebamme nur noch eine Konkurrentin, die ihr auf dem Weg zu Sebastian im Weg stand.
»Hallo, Emilia, grüß deinen Vater!«, riefen drei Frauen, die in ein Gespräch vertieft auf dem Marktplatz standen, ihre Einkaufskörbe abgestellt hatten und kurz hochschauten, als das Mädchen auf seinem Fahrrad vorbeikam.
»Ja, mache ich!«, antwortete Emilia und lächelte in sich hinein.
*
Ela schaute auf das Haus mit den lindgrünen Fensterläden, das auf einem Hügel am Rande des Dorfes lag und in dessen Einfahrt der Geländewagen einbog. Eine Treppe führte durch den blühenden Steingarten zum Wintergarten, einem mit roten Schindeln überdachtem Glasbau. Die Arztpraxis lag in einem Anbau im Hof, der von der mächtigen Krone einer alten Ulme beschattet wurde.
»Danke, Miriam«, sagte Anna, als sie Ela gleich darauf aus dem Auto half und sich bei ihr unterhakte.
»Ich begleite euch«, erklärte Miriam und lief voraus, um den beiden die Tür zur Praxis aufzuhalten. »Gerti, ein Notfall!«, rief sie der rundlichen älteren Frau zu, die in einem weißen Kittel hinter dem Empfangstresen gegenüber der Eingangstür stand.
»Welche Art Notfall?«, fragte Gerti Fechner, Sebastian Seefelds Sprechstundenhilfe, und steckte den Bleistift, den sie in der Hand hielt, hinter ihr Ohr, bis er beinahe unter ihrem kurzen dunklen Haar verschwand.
»Eine Ohnmächtige«, antwortete Miriam.
»Wo?«, fragte Gerti erschrocken und kam hinter dem Tresen hervor.
»Frau Wiesner ist vor der Apotheke zusammengebrochen, jetzt geht es ihr schon wieder besser«, klärte Anna Gerti auf, »aber ich denke, es wäre gut, wenn Sebastian sie untersucht.«
»Ja, auf jeden Fall, warten Sie bitte hier, Frau Wiesner.« Gerti deutete auf die beiden Stühle neben dem Tresen.
»Ganz schön voll«, stellte Miriam fest, nachdem sie einen Blick ins Wartezimmer geworfen hatte, in dem fast jeder Stuhl besetzt war.
»Es ist wie immer«, entgegnete Gerti.
»Man könnte fast auf die Idee kommen, seitdem Sebastian die Praxis von seinem Vater übernommen hat, sind einige Damen besonders sensibel geworden in Bezug auf mögliche Krankheitssymptome.«
»Willst du dich dazu setzen?«, fragte Gerti und tauschte einen kurzen Blick mit Anna.
»Nein, danke, ich mische mich ungern unter die Massen«, antwortete Miriam.
»Na dann, auf Wiedersehen«, sagte Gerti und machte eine Kopfbewegung zur Tür hin, während sie den Telefonhörer für die Hausprechanlage in die Hand nahm. »Herr Doktor, hier ist eine junge Dame, sie hat vor ein paar Minuten kurz das Bewusstsein verloren. Nein, nicht im Wartezimmer, hier bei mir. Doktor Seefeld ist gleich bei Ihnen«, wandte sie sich an Ela, nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt hatte. »Ist noch etwas?«, fragte sie, da Miriam ihre Aufforderung, die Praxis wieder zu verlassen, ignorierte.
Aber Miriam hörte ihr gar nicht zu. Sie starrte auf die Tür des Sprechzimmers, die gerade von innen geöffnet wurde. »Hallo, Sebastian«, flötete sie, als der junge Arzt in den Gang hinaustrat.
»Hallo, Miriam, willst du zu mir?«
»Ich habe Frau Wiesner hergebracht.«
»Zusammen mit Anna«, sagte Gerti.
»Hallo, Anna«, begrüßte Sebastian die Hebamme, bevor er wieder die ältere Frau anschaute, die mit einem Zwillingspärchen, einem kleinen blonden Jungen und einem Mädchen mit dicken blonden Zöpfen das Sprechzimmer verließ.
Jetzt war Ela klar, was Emilia gemeint hatte, als sie sagte, dass einige aus dem Dorf die Sprechstunde ihres Vaters aufsuchten, obwohl sie gesund waren. Sebastian Seefeld war eine beeindruckende Erscheinung. Groß, schlank, dunkles Haar, helle graue Augen und ein unglaublich aufregendes Lächeln.
»Auf Wiedersehen, Frau Mechler, grüßen Sie Sabine und Anton«, verabschiedete er sich von der Frau, die die Zwillinge begleitete.
»Danke, Herr Doktor Seefeld, wir werden erst einmal auf den Honig vertrauen.«
»Jeden Abend vor dem Schlafengehen, das hilft besser gegen den Hustenreiz als die meisten Medikamente.«
»Sollten Fieber oder Halsschmerzen dazu kommen, melden wir uns«, wiederholte Pia Mechler, was Sebastian ihr zuvor bereits gesagt hatte.
»Unbedingt, aber ich denke, Senta und Benjamin werden die Erkältung ohne Komplikationen überstehen«, sagte Sebastian und streichelte den Kindern über das Haar.
»Auf Wiedersehen, Herr Doktor Sebastian«, verabschiedeten sich die Zwillinge und verließen mit Pia, die seit einigen Monaten auf Sebastians Vermittlung hin ihre Ersatzoma war, die Praxis.
»Das ist Frau Wiesner, Herr Doktor«, stellte Gerti Sebastian die junge Frau vor, die von ihrem Stuhl aufgestanden war.
»Kommen Sie bitte«, sagte er und hielt Ela die Tür zu seinem Sprechzimmer auf.
»Dann gehe ich wohl wieder.« Miriam warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf die Sprechzimmertür, die sich langsam schloss.
»Ja, dann gehst du wohl wieder«, sagte Gerti.
»Ich mache mich dann auch wieder auf den Weg«, schloss sich Anna Miriam an.
»Warte, Anna, die Ergebnisse der Blutuntersuchungen, die Sebastian für dich veranlasst hat, sind vorhin eingetroffen. Willst du sie gleich mitnehmen?«, fragte Gerti.
»Ja, gern«, antwortete Anna. Die Zusammenarbeit mit Sebastian funktionierte ebenso reibungslos wie die zuvor mit seinem Vater. Wenn sie ärztlichen Beistand für ihre werdenden Mütter brauchte, dann konnte sie auf ihn vertrauen.
»Einen schönen Tag noch«, verabschiedete sich Miriam.
»Ja, dir auch, und danke für deine Hilfe«, sagte Anna.
»Bitte sehr.«
»Sie scheint nicht ganz zufrieden mit ihrem Besuch bei uns«, stellte Gerti fest, nachdem Miriam gegangen war. »Wenn es hier nicht so voll wäre, dann wäre sie sicher noch geblieben, um Sebastian nach der Sprechstunde in Beschlag zu nehmen.«
»Macht sie das öfter?«
»Hin und wieder, aber Sebastian versteht es sehr gut, sie schnell wieder loszuwerden, und ich bin auch gut darin, ihn mit Arbeit zu versorgen, damit erst gar nicht der Verdacht aufkommt, er könnte Zeit für sie haben.«
»Sie gibt nicht auf, egal, wie oft er ihr sagt, dass er sie nicht liebt.«
»Du weißt doch, Miriam ist es gewohnt, immer ihren Willen durchzusetzen. Sebastian ist für sie eine Herausforderung, die sie bezwingen will.«
»Das klingt aber mehr nach Sport als nach Gefühlen.«
»Stimmt, aber Miriam wird am Ende nicht auf dem Siegertreppchen stehen«, sagte Gerti und betrachtete Anna mit einem liebevollen Blick.
»Wie lange haben Sie diese Übelkeit schon?«, erkundigte sich Sebastian, nachdem er Ela gründlich abgehört, ihren Blutdruck gemessen und ihren Nacken abgetastet hatte.
»Seit etwa zwei Wochen. Was ist? Haben Sie einen Verdacht?«, fragte Ela, weil sie spürte, dass Sebastian ihr etwas sagen wollte.
»Ja, ich habe einen Verdacht.«
»Ist es etwas Schlimmes?«, fragte Ela, als er zögerte und sich wieder hinter seinen Schreibtisch setzte.
»Ich denke an eine Schwangerschaft.«
»Ich bin schwanger?«, wiederholte Ela und starrte Sebastian verblüfft an, während sie ihren Pullover wieder anzog und von der Liege aufstand, um auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch noch einmal Platz zu nehmen.
»Wäre es denn so unwahrscheinlich? Ich meine, haben Sie nicht selbst auch schon Verdacht gehabt?«, erkundigte sich Sebastian vorsichtig.
»Nicht wirklich, ich hatte in den letzten Wochen ziemlich viel Aufregung, da kommt schon mal das eine oder andere durcheinander.« Aber dann dachte sie an die Nacht vor sechs Wochen, diese wundervolle Nacht, die sie mit Florian verbracht hatte und die sich wohl nie wiederholen würde, weil er für eine feste Beziehung nicht bereit war.
»Wir können sofort einen Test machen, um Ihnen Gewissheit zu verschaffen. Ja?!«, rief er, als es an der Tür klopfte.
»Verzeihung, Herr Doktor, aber ich suche den Umschlag mit den Testergebnissen für Anna«, sagte Gerti, die ins Sprechzimmer hereinschaute.
»Der ist hier.« Sebastian nahm den braunen Umschlag, der in dem Ablagekörbchen lag, und gab ihn seiner Sprechstundenhilfe. »Und kümmere dich bitte um Frau Wiesner, es geht um einen Schwangerschaftstest.«
»Das mache ich, kommen Sie mit mir, Frau Wiesner.«
»Wir sehen uns in ein paar Minuten wieder«, sagte Sebastian und rief erst einmal den nächsten Patienten auf, damit es mit der Sprechstunde vorwärts ging.
»Geht es Ihnen wieder schlechter?«, fragte Anna besorgt, als Ela aus dem Sprechzimmer kam und wieder ganz blass aussah.
»Doktor Seefeld vermutet eine Schwangerschaft«, antwortete Ela so leise, dass nur Anna es verstehen konnte.
»Womit er sie offensichtlich überrascht hat.«
»Ja, allerdings.« Ela senkte den Blick, als ihr die Tränen in die Augen schossen.
»Soll ich noch bleiben?«, fragte Anna, als Ela wieder hochschaute.
»Ja, bitte, das wäre sehr nett von Ihnen.« Die junge Hebamme hatte sich so einfühlsam um sie gekümmert, dass sie vom ersten Moment an Vertrauen zu ihr gefasst hatte. So allein wie sie sich gerade fühlte, tat ihr Anna Bergmanns Anwesenheit gut.
»Sie können wieder zum Herrn Doktor hinein«, sagte Gerti, nachdem sie den Teststreifen ausgewertet hatte.
»Wie ist es ausgegangen?«, wollte Ela wissen, die im Gang vor Sebastians Sprechzimmer auf und ab ging, weil sie so aufgewühlt war, dass sie nicht ruhig sitzen bleiben konnte.
»Kommen Sie«, bat Gerti und hielt ihr die Tür zum Sprechzimmer auf, nachdem sie kurz angeklopft hatte.
»Begleiten Sie mich?«, wandte sich Ela zu Anna um.
»Sicher, wenn Sie das möchten«, sagte Anna und folgte ihr.
»Setzen Sie sich«, bat Sebastian, als Ela wie erstarrt vor seinem Schreibtisch stehen blieb und auf die prächtig eingebundenen alten Medizinbücher schaute, die in der Vitrine hinter Sebastian standen.
»Der Test ist positiv, nicht wahr?«, fragte sie und nahm auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz, während Anna sich an die Fensterbank lehnte.
»Ja, Frau Wiesner, Sie erwarten ein Kind«, sagte Sebastian und tauschte einen schnellen Blick mit Anna.
»Nein«, flüsterte Ela und die Tränen liefen ihr über das Gesicht.
»Ist es nur der falsche Zeitpunkt oder wollen Sie generell keine Kinder haben?«, erkundigte sich Sebastian und reichte ihr ein Papiertaschentuch.
»Es ist der falsche Zeitpunkt.«
»Was ist mit dem Vater?«
»Ich weiß nicht«, flüsterte Ela und schaute zu Boden.
»Was halten Sie davon, wenn Sie mit mir in meine Praxis kommen? Wir könnten den Geburtstermin bestimmen und den Mutterpass ausstellen«, schlug Anna vor. Sie kannte diesen Zustand, den Ela gerade durchlebte, so erging es den meisten Frauen, die von ihrer Schwangerschaft überrascht wurden.
»Oh Gott, das klingt alles so endgültig.« Ela spürte, wie ihr die Angst den Nacken hochkroch. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Leben gerade in tausend Scherben zerfiel.
»Wenn wir einen dunklen Raum betreten, in dem wir uns nicht auskennen, dann sind wir erst einmal orientierungslos, aber sobald unsere Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, können wir uns wieder bewegen und der Raum erscheint viel heller«, sagte Sebastian.
»Bei mir ist es aber gerade stockfinster, Doktor Seefeld«, seufzte Ela.
»Dann vertreiben Sie diese Finsternis. Das Kind, das in Ihnen heranwächst, sollte sich nicht fürchten müssen«, sagte Sebastian.
»Denken Sie bitte nicht schlecht von mir, Doktor Seefeld«, entgegnete Ela, als sie den Blick aus den schönen grauen Augen des jungen Arztes auffing.
»Das tue ich gewiss nicht. Ich weiß, dass ein Kind unser Leben auf den Kopf stellt, dass wir uns im ersten Moment auch davor fürchten, ob wir dieser Verantwortung gewachsen sind. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es kein größeres Glück gibt, als dieses kleine Wesen in den Armen zu halten, wenn es gerade geboren wurde.«
Anna musste unwillkürlich schlucken, als sie den Glanz in Sebastians Augen sah, als er von Emilia sprach. Alles an diesem Mann war anziehend, sein Äußeres, seine Art mit Menschen umzugehen und die bedingungslose Liebe zu seiner Tochter, um die er sich nach dem Tod seiner Frau allein kümmerte.
»Ich muss mich wohl erst an diesen Gedanken gewöhnen, Mutter zu werden«, sagte Ela und trocknete ihre Tränen. »Ich werde mir noch ein bisschen Zeit lassen, bis ich es endgültig verinnerliche. Wenn ich wieder in München bin, werde ich zu meinem Gynäkologen gehen und mich auf die nächsten Monate vorbereiten.«
»Das ist Ihre Entscheidung«, entgegnete Anna freundlich.
»Vielen Dank, Doktor Seefeld«, verabschiedete sich Ela nun schnell von Sebastian. So lange sie in Bergmossbach war, wollte sie versuchen, nicht an ihren Zustand zu denken.
»Ich begleite Sie nach draußen«, sagte Anna, als Ela sich auch von ihr verabschieden wollte. »Wir sehen uns dann morgen zur Schafkopfrunde«, wandte sie sich mit einem Lächeln an Sebastian, nachdem Ela das Sprechzimmer verlassen hatte.
»Hoffentlich gehe ich nicht wieder so unter wie beim letzten Mal.«
»Du musst dich eben ein bisschen mehr anstrengen«, antwortete Anna und ließ Sebastian mit einem Augenzwinkern allein.
»Geht es Ihnen wieder gut?«, erkundigte sich Emilia, die mit Nolan an der Leine gerade das Haus verließ, als Ela und Anna aus der Praxis kamen.
»Ja, danke, es geht mir besser«, antwortete Ela und betrachtete das hübsche Mädchen, das die gleichen hellgrauen Augen wie sein Vater hatte. »Ich möchte mich auch noch einmal bei dir bedanken, dass du dich um mich gekümmert hast«, sagte sie und reichte Emilia die Hand.
»Hallo, Nolan«, begrüßte Anna den jungen Hund, der seine dicken Pfoten auf ihre Knie legte, als sie in die Hocke ging, um ihn zu streicheln.
»Tut mir leid«, sagte Emilia, als sie sah, dass Nolan einen Abdruck auf Annas hellem Kleid hinterlassen hatte.
»Das ist nur Sand«, beruhigte Anna das Mädchen und schüttelte den Rock des Kleides aus.
»Ein Berner Sennenhund?«, fragte Ela und schaute auf den Hund mit dem gescheckten Fell, der sie mit seinen schwarzen Knopfaugen anschaute.
»Seine Mutter ist eine Berner Sennenhündin und sein Vater ein weißer Schäferhund. Nolan hat das Temperament von seinem Vater geerbt. Er muss alles untersuchen und alles herumschleppen, was er irgendwie fassen kann. Äste, verrottete Bälle, Steine. Ich gehe nur noch so mit ihm nach draußen«, sagte Emilia und strich über die verwaschene Jeans, die sie zu ihrem dunklen T-Shirt trug.
»Was hast du denn vor? Ich dachte, du fotografierst ausschließlich mit deinem Handy.« Anna schaute auf den Fotoapparat, den Emilia an einem Band befestigt um den Hals trug.
»Ich bin für die Schülerzeitung unterwegs, die wird doch noch richtig gedruckt, so wie früher, und die Fotos entwickeln wir auch noch selbst.«
»Opas Fotoapparat, ich bin beeindruckt«, sagte Sebastian, der sich eine kurze Verschnaufpause vor seinem nächsten Patienten gönnte, das Fenster geöffnet hatte und auf seine Tochter schaute.
»Er vertraut mir eben, Papa«, antwortete Emilia lächelnd.
»Ich vertraue dir auch.«
»Ich weiß, Papa.« Sie ging zum Fenster und küsste Sebastian auf die Wange.
»Ich wünsche dir viel Spaß, Spatz«, sagte er und streichelte über ihr Haar.
Ela wurde auf einmal ganz warm ums Herz, als sie Vater und Tochter beobachtete. Die Vertrautheit zwischen den beiden berührte sie zutiefst. Vielleicht würde sie sich eines Tages mit ihrer Tochter oder ihrem Sohn ebenso verbunden fühlen. »Gilt Ihr Angebot noch, dass ich mit zu Ihnen in die Praxis kommen darf?«, wandte sie sich an Anna.
»Ja, das gilt noch«, antwortete Anna lächelnd. Sie hatte den Blick bemerkt, mit dem Ela Sebastian und Emilia angesehen hatte. »Soll ich uns eine Fahrgelegenheit besorgen oder können wir zu Fuß gehen?«
»Ein Spaziergang wird mir sicher gut tun.«
»Wartet, ich komme ein Stück mit!«, rief Emilia, als die beiden den Weg zur Straße hinuntergingen. »Bis später, Papa«, verabschiedete sie sich von Sebastian und ließ sich von Nolan fortziehen, der Anna schon nachsetzte.
»Bis später«, sagte Sebastian und schloss das Fenster.
»Für welchen Artikel brauchst du denn Fotos?«, wollte Anna wissen, als Emilia Nolan fester an die Leine nahm und neben ihr und Ela herlief.
»Wir wollen über den Auftritt von Florian König berichten. Ich dachte, ich mache vorab ein paar Fotos vom Festzelt, vielleicht treffe ich dort jemanden, der für ihn arbeitet und der mir vielleicht ein Interview mit ihm vermitteln kann.«
»Du bekommst das Interview«, sagte Ela.
»Wie jetzt?«, fragte Emilia erstaunt.
»Ich bin die Assistentin seiner Managerin, ich kann das arrangieren. So kann ich mich wenigstens dafür revanchieren, dass du mir geholfen hast«, antwortete Ela lächelnd.
»Danke, das nehme ich sofort an. Das ist echt abgefahren«, sagte Emilia, weil sie ihr Glück kaum fassen konnte.
»Nein, das ist echt verdient«, erklärte Ela.
»Wie ist Florian König denn so? Ich meine, wird er sich überhaupt mit mir unterhalten? Oder ist er einer von diesen arroganten Stars, die sich mit normalen Menschen nicht abgeben?«
»Nein, so ist er nicht. Florian wird ganz bestimmt mit dir sprechen, er ist kein bisschen arrogant«, versicherte Ela dem Mädchen.
Er ist der Vater, dachte Anna, als Ela ganz verträumt lächelte, während sie den Namen des Sängers aussprach.
»Ich komme gleich, Doro!«, rief Emilia, als sie den Marktplatz erreichten und sie das Mädchen mit den kurzen blonden Haaren entdeckte, das dort am Brunnen lehnte.
»Neue Freundin?«, fragte Anna.
»Doro ist vor ein paar Tagen nach Bergmoosbach gezogen. Sie geht in meine Klasse, und ich kümmere mich ein bisschen um sie. Ich weiß ja, wie es ist, wenn man neu irgendwohin kommt. Obwohl von Kanada nach Bergmoosbach ist es schon um einiges härter als von Hannover nach Bergmoosbach. »Wo soll ich mich melden, wegen des Interviews?«, wandte sich Emilia noch einmal an Ela.
»Rufe mich morgen um die Mittagszeit an, bis dahin habe ich geklärt, wann Florian Zeit für dich hat«, sagte Ela und gab Emilia eine ihrer Visitenkarten.
»Vielen Dank, Frau Wiesner.«
»Ich danke dir, Emilia, bis morgen«, verabschiedete sich Ela von dem Mädchen.
»Wollen wir beide erst einmal einen Kaffee trinken?«, fragte Anna, weil sie Ela die Möglichkeit geben wollte, die Gedanken auszusprechen, die ihr gerade durch den Kopf schwirrten.
»Ja, Kaffee wäre wunderbar«, erklärte sich Ela auch sofort einverstanden.
»Das ist nicht dein Ernst, Emi? Oder doch?«, fragte Doro, die genau wie Emilia Jeans und T-Shirt trug und Nolan begrüßte, der an ihr hochsprang.
»Wir werden das Interview mit Florian König bekommen, das ist mein Ernst«, versicherte ihr Emilia.
»Du scheinst echt krasse Beziehungen zu haben.«
»Sieht ganz so aus«, antwortete Emilia lachend. »Dann kann ich mir das mit Festzelt eigentlich sparen und könnte ein paar Fotos von Bergmoosbach schießen.«
»Hallo, Mädels, was habt ihr denn vor?«, wollte der groß gewachsene blonde Junge wissen, der mit einer Gitarre in der Hand um die Ecke kam und von Nolan mit freudigem Kläffen begrüßt wurde.
»Sie schreibt eine Reportage über Florian König.« Doro tippte mit dem Finger auf Emilias Schulter und musterte Markus aufmerksam. »Du bist auch Musiker?«, fragte sie.
»Wenn du am Freitag in die Scheune auf den Mittnerhof kommst, kannst du es herausfinden.«
»Klingt gut, ich werde da sein.«
»Okay, ihr beiden, ich muss zur Probe, wir üben heute im Gemeindehaus. Wir sehen uns später am See zum Schwimmen?«, wandte er sich an Emilia.
»Wie ausgemacht.«
»Wie ausgemacht«, wiederholte er lächelnd und küsste Emilia auf den Mund, bevor er weiterging.
»Gefällt mir«, sagte Doro.
»Vorsicht, er ist mein Freund.«
»Deshalb darf ich ihn doch gut finden.«
»Aber mehr nicht.«
»Sicher nicht. Wie sieht es mit seinen Freunden aus?«
»Die kannst du am Freitag kennen lernen.«
»Super, ich freue mich drauf.«
»Gut, dann laufen wir jetzt ein bisschen durchs Dorf.«
»Häuser fotografieren?«
»Zum Beispiel«, sagte Emilia und betrachtete Doro von der Seite. Vergreife dich bloß nicht an ihm, sonst passiert was, dachte sie.
*
»Sibylle von Mangold, Florians Managerin, wird mir kündigen, wenn sie erfährt, was mit mir los ist«, erzählte Ela, als sie und Anna auf den bequemen Korbstühlen auf Annas Balkon saßen und auf die Felder schauten, die sich hinter der Apotheke ausbreiteten.
»Ich werde Ihnen nachher einen Mutterpass ausstellen, dann genießen Sie Kündigungsschutz«, versicherte ihr Anna.
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Auch wenn etwas anderes in Ihrem Vertrag steht, das ändert nichts daran.«
»Ich habe aber unterschrieben, dass ich mich niemals privat mit Florian einlasse, tue ich es doch, dann ist das ein Kündigungsgrund. Sollte er durch diese Annäherung an Beliebtheit bei seinen Fans einbüßen, dann wäre das sogar ein Grund, mich auf Schadensersatz zu verklagen. Sibylle ist der Meinung, dass jede feste Beziehung zu einer Frau Florians Karriere gefährdet.«
»Florian König ist der Vater Ihres Kindes, nicht wahr?«
»Ja«, gab Ela zu.
»Er weiß, was in Ihrem Vertrag steht?«
»Nein, Verträge, Finanzen, Mitarbeiter, darum kümmert sich Sibylle. Sie wird dafür bezahlt, dass sie das alles von ihm fernhält.«
»Sie sind demnach nicht offiziell mit Florian zusammen?«
»Wir sind überhaupt nicht zusammen. Vor sechs Wochen, als wir in Salzburg waren, da ist es einfach passiert. Das Wetter war herrlich, wir waren in der Stadt unterwegs und abends konnten wir uns nicht voneinander trennen. Aber ich habe ihm gleich gesagt, dass ich Arbeit und Privatleben nicht vermischen will.«
»Sie wollen also gar nicht mit ihm zusammen sein?«
»Ich wäre gern mit ihm zusammen, aber Florian ist an einer festen Beziehung noch nicht interessiert, und ich wollte nicht, dass er den Eindruck gewinnt, ich sei es und er müsste mir nun aus dem Weg gehen.«
»Woher wissen Sie, dass er an einer festen Beziehung nicht interessiert ist?«
»Ich arbeite seit drei Jahren für ihn. Er flirtet gern, aber es ist ihm nie wirklich ernst. Ich denke, dass er genau wie Sibylle glaubt, dass eine feste Beziehung seinen Fans nicht gefallen würde, weil er dann vergeben und noch unerreichbarer für sie wäre«, sagte Ela und nippte an ihrem Kaffee.
»Sie wollen ihm also nicht sagen, dass Sie ein Kind von ihm erwarten?«
»Nein, auf keinen Fall. Ich brauche keinen Vater, der sich seinem Kind nur finanziell verpflichtet fühlt.«
»Vielleicht würde er sich über das Kind freuen.«
»Oder er würde glauben, dass ich es nur darauf anlegen, ihn an mich zu fesseln.«
»Das klingt nicht nach einem einfühlsamen Mann.«
»Nein, bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Florian ist wundervoll, er ist nur noch nicht bereit, sich zu binden.«
»Wie wollen Sie das durchhalten, ihn jeden Tag zu sehen, während sie sein Kind unter dem Herzen tragen?« Woher wollte diese Frau die Kraft nehmen, dem Mann, den sie doch offensichtlich liebte, so zu begegnen?
»Ich muss durchhalten, dieser Job wird gut bezahlt, und ich brauche das Geld. Wissen Sie, meine Mutter leidet seit Jahren an schwerem Rheuma, aber von der Krankenkasse bekommt sie nur noch selten eine Kur bezahlt.«
»Und da springen Sie ein.«
»Ja«, sagte Ela und nickte. »Ich werde mich natürlich nach einem anderen Job umsehen, aber dazu brauche ich Zeit. Solange darf Sibylle nichts von meiner Schwangerschaft erfahren. Sie würde sofort misstrauisch werden, sie hat mich schon einige Male darauf angesprochen, ob ich mehr für Florian empfinde als ich sollte.«
»Könnte es sein, dass Frau von Mangold eigene Interessen hat, was Florian betrifft?« So wie Ela das Verhalten dieser Frau schilderte, drängte sich Anna dieser Verdacht auf.
»Wenn es so ist, dann kann sie es gut verbergen.«
»Eine heimliche Liebe kann manchmal stärker sein als die, von der wissen.«
»Ich weiß«, seufzte Ela.
»Wenn Sie möchten, können wir jetzt in meine Praxis hinuntergehen und erst einmal herausfinden, wie weit Sie schon sind«, schlug Anna vor.
»Ja, das sollten wir tun«, sagte Ela und legte die Hand vorsichtig auf ihren Bauch.
»Vielleicht entschließen Sie sich ja doch noch, Florian in Ihr Geheimnis einzuweihen. Es könnte doch sein, dass er ganz anders reagiert, als Sie glauben.«
»Sie meinen, Florian verliebt sich in mich und wir werden ein Paar?«
»Ist das ganz und gar ausgeschlossen?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was wirklich in Florian vorgeht.«
»Dann sollten Sie es herausfinden.«
»Mal sehen, wie sich die nächsten Wochen entwickeln, ob wir uns erneut näherkommen. Aber kümmern wir uns erst einmal um den Mutterpass«, sagte Ela.
Sie wird eine gute Mutter werden, sie liebt dieses Kind bereits, dachte Anna. Diese zärtliche Geste, wie sie erneut über ihren Bauch strich, verriet, was wirklich in Ela vorging.
*
Eine Stunde später verließ Ela Annas Praxis wieder. In ihrer Handtasche steckte der Mutterpass, den sie ihr ausgestellt hatte. Die nächsten drei Monate konnte sie ihren Zustand sicher noch irgendwie verheimlichen, danach würde es schwer werden.
Vielleicht will ich es dann auch gar nicht mehr geheim halten, dachte sie, und sie sah wieder die jungen Mütter aus ihrem Bekanntenkreis vor sich, die immer so stolz auf ihre Babybäuche waren. »Ich werde auch stolz sein«, sagte Ela leise, während sie an dem Bach entlangspazierte, der durch das idyllische Dorf rauschte.
Das Wasser war so klar, dass sie noch den kleinsten Kieselstein auf seinem Grund erkennen konnte, und wenn es gegen die Felsen prallte, die in seinem Bett lagen, und hochspritzte, dann roch es herrlich frisch. Irgendwann konnte Ela der Versuchung nicht mehr widerstehen. Sie setzte sich auf einen Felsen am Rande des Baches, zog ihre Schuhe aus und stellte ihre Füße ins Wasser. Es war kühl und fühlte sich ganz weich auf der Haut an. Sie stellte sich vor, wie es sein würde, wenn Florian jetzt bei ihr wäre und sie spürte eine tiefe Sehnsucht nach seiner Nähe. Sie blieb noch eine ganze Weile dort am Bach, lauschte dem gleichmäßigen Rauschen des Wassers und allmählich beruhigte sich ihre aufgewühlte Seele.
Drüben auf der anderen Seite des Baches sah sie eine Imkerei inmitten von weiten Rapsfeldern. Bienen kreisten über den Blüten und flogen zwischen den Bienenstöcken hin und her.
Ich sollte mir Bergmoosbach als Urlaubsort vormerken, dachte Ela. Die Menschen waren unglaublich herzlich, die Landschaft wunderschön, und hier hatte sie die Nachricht erhalten, die ihr ganzes Leben verändern würde.
»Wir bekommen das hin«, flüsterte sie und horchte in sich hinein, so als erwartete sie, eine Antwort zu hören. Sie wusste selbst nicht, was da gerade mit ihr passierte, aber ihre anfängliche Starre, als Doktor Seefeld ihr erklärte, dass sie schwanger sei, hatte sich aufgelöst. Es ist Florians Kind, dachte Ela und auf einmal durchströmte sie ein Gefühl unendlicher Liebe.
Bevor sie sich auf den Weg zurück in ihr Hotel machte, lief sie zum Festzelt und sprach mit Rudi, der den Aufbau der Bühne und den Platz für die Musikanlage vorbereitete. Der kräftige Mann in dem schwarzen Overall arbeitete schon seit vielen Jahren für Florian und hatte wie immer alles unter Kontrolle. Er sorgte dafür, dass die Leute, die für den Bühnenaufbau zuständig waren, und die Tontechniker sich nicht in die Quere kamen.
»Klappt das mit der Probe übermorgen?«, erkundigte sich Ela.
»Kein Problem, der Bus mit der Musikanlage trifft morgen Nachmittag ein.« Rudi nahm die Baseballmütze ab, fuhr mit der Hand über sein streichholzkurzes Haar und setzte die Mütze wieder auf.
»Sibylle wollte unbedingt, dass ich nachfrage.«
»Sie erinnert uns eben gern daran, dass sie das Sagen hat.«
»Ja, immer und überall«, stimmte Ela Rudi zu und verabschiedete sich mit einem freundlichen Lächeln.
»Was ist? Du siehst aus, als wäre dir eine mächtige Laus über die Leber gelaufen.«
»Belauscht du mich, Otto?«, fragte Rudi und fuhr herum.
»Ich habe nur rein zufällig mitgehört«, antwortete der junge Mann, der den gleichen Overall wie Rudi trug und mit zwei riesigen Schraubenziehern in der Hand hinter einem Stapel Bretter hervorkam.
»Die Mangold schikaniert das Mädchen«, sagte Rudi.
»Sie schikaniert uns alle.«
»Aber wir müssen sie nicht ständig in unserer Nähe aushalten.«
»Stimmt, glücklicherweise macht sie sich nicht gern die Finger schmutzig, außerdem arbeiten wir für Florian und der respektiert uns.«
»Und Ela liebt er.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Weil ich lange genug dabei bin und den Boss kenne.«
»Wenn es wirklich so ist, dann wird das der Mangold nicht gefallen.«
»Sicher nicht, sie ist ja selbst hinter ihm her.«
»Echt jetzt?«
»Oh Mann, offensichtlich bin ich hier der einzige, der weiß, was wirklich abgeht. Egal, weiter geht‘s«, erklärte Rudi und klopfte Otto freundlich auf die Schulter.
Als Ela wieder ins Hotel zurückkehrte, wollte sie zuerst Sibylle anrufen und ihr von dem Interviewtermin erzählen, den sie Emilia Seefeld zugesagt hatte, aber dann entschied sie sich, Florian persönlich zu fragen. Was seine Interviews betraf, bestand er ohnehin auf ein Mitspracherecht.
»Hallo, Florian, hier ist Ela«, meldete sie sich, nachdem sie seine Handynummer gewählt hatte und er das Gespräch annahm.
»Hallo, Ela, was kann ich für dich tun?«
»Du könntest einem Interview für eine Schülerzeitung zustimmen. Ehrlich gesagt, ich habe dem Mädchen bereits zugesagt.«
»Einfach so über meinen Kopf hinweg?«, fragte Florian.
»Ja, einfach so, ich habe es nicht einmal mit Sibylle abgesprochen«, entgegnete Ela, weil sie an seiner Stimme erkannte, dass er ihr keinen Vorwurf machte, sondern sie nur ein wenig necken wollte.
»Du kennst meinen Zeitplan ebenso gut wie sie, du hast mich gefragt, ich stimme zu. Sage mir einfach, wann es stattfindet, und ich werde da sein.«
»Danke, Florian.«
»Kein Problem. Wie ist es denn so in Bergmoosbach?«
»Es wird dir hier gefallen.«
»Ich wollte aber wissen, ob es dir dort gefällt.«
»Ja, Florian, es gefällt mir, sogar sehr.«
»Wir sehen uns dann morgen.«
»Bis dahin«, sagte Ela und beendete das Gespräch.
Mit dem Telefon in der Hand legte sie sich aufs Bett und schaute auf die mächtigen Berge am Horizont. Es wird alles gut werden, dachte sie. Vielleicht würde sie Florian irgendwann auch von seinem Kind erzählen. Die Entscheidung darüber, wann das sein würde, wollte sie dem Schicksal überlassen.
*
»Ist das Essen fertig, Traudel?«, fragte Emilia, als sie am nächsten Tag von der Schule nach Hause kam und in die große helle Landhausküche der Seefelds stürmte, nachdem sie ihren Rucksack mit den Schulsachen in der Diele in die Ecke gefeuert hatte.
»Ein bissel Geduld musst du schon noch haben, Liebes«, entgegnete Traudel Bruckner, die gute Seele im Haus der Seefelds, die eine Schüssel mit Gurkensalat vor sich stehen hatte und eine Salatsauce mit Joghurt und Kräutern anrührte. »Hast du etwas vor?«, fragte sie, strich mit dem Arm die grauen Löckchen aus dem Gesicht und schaute Emilia mit ihren rehbraunen Augen liebevoll an.
»Und ob ich etwas vorhabe.«
»Und das wäre?«, fragte Traudel.
»Gleich, ich gehe mir schnell die Hände waschen.«
»Das muss ja etwas ganz Wichtiges sein, Spatzl«, murmelte Traudel und lächelte in sich hinein. Die Liebe, die sie Sebastian geschenkt hatte, als seine Mutter bei seiner Geburt starb und Benedikt sie ins Haus holte, ließ sie für Emilia empfinden, als sei sie ihr Enkelkind. Darin sah sie auch nichts Unrechtes. Carla, Sebastians Mutter, war ihre Cousine gewesen, sie waren eine Familie und sie gab ihr Bestes, um diese Leere, die Carla hinterlassen hatte, mit ihrer Liebe zu füllen.
»Was ist? Warum siehst du mich so an?«, fragte Emilia, die sich auf einen der braunen Lederstühle fallen ließ, die an dem großen rustikalen Tisch in der Mitte des Raumes standen.
»Du erinnerst mich an deine Großmutter«, sagte Traudel.
»Inwiefern?«
»Als Carla in deinem Alter war, da war sie auch ständig unterwegs und konnte sich für alles begeistern.«
»Und du warst mehr die Verschlossene?«
»Leider«, seufzte Traudel und stellte die Salatschüssel auf den Tisch.
»Warum leider?«, hakte Emilia nach.
»Weil es spannender ist, die Dinge zu erleben, als nur von ihnen zu träumen.«
»Du möchtest mal etwas tun, was du noch nie getan hast?«, fragte Emilia und betrachtete Traudel mit einem spitzbübischen Lächeln.
»Zu gern«, erklärte Traudel.
»Gut, dann begleite mich doch nachher.«
»Wohin?«
»Ich habe einen Interviewtermin mit Florian König.«
»Du hast was?«, fragte Traudel und musste sich erst einmal hinsetzen.
»Ich habe noch nicht darüber gesprochen, weil ich nicht sicher war, ob es klappen würde. Aber Ela hat ihr Wort gehalten, sie hat mich vorhin angerufen und mir gesagt, dass ich das erste Interview bekomme, noch vor Tobias Meier vom Bergmoosbacher Tagblatt.«
»Wer ist Ela?«
»Sie hatte gestern einen kleinen Schwächeanfall vor der Apotheke. Anna und ich haben uns um sie gekümmert. Anna hat sie dann auch zu Papa gebracht.«
»Verstehe, hoffentlich war es nichts Ernstes.«
»Glaube ich nicht, sie sah nach ihrem Besuch bei Papa wieder ganz munter aus. Also was ist, kommst du mit?«
»Du willst mich wirklich mitnehmen?«
»Wohin?«, wollte Benedikt Seefeld wissen, der in schwarzer Hose und grünem Pulli in die Küche kam. Der große sportliche Mann mit dem silbergrauem Haar und den dunklen samtigen Augen sah Traudel gespannt an.
»Das interessiert mich auch«, sagte Sebastian, der nach seinem Vater die Küche betrat und seine weiße Praxiskleidung bereits gegen Jeans und T-Shirt getauscht hatte.
»Traudel und ich werden Florian König treffen«, verkündete Emilia.
»Ihr habt also Kontakt zur High – Society?«, fragte Benedikt und setzte sich auf den Stuhl neben Traudel, während Sebastian neben Emilia Platz nahm.
»Du bist nicht der einzige in der Familie, der sich mit diesen Leuten trifft, Opa.«
»Wie meinst du das?«, fragte Benedikt verwundert.
»Du kommst doch gerade vom Golfplatz, da trifft man doch solche Leute.«
»Heute habe ich dort aber nur Miriam und ihren Rotschopf getroffen.«
»Miriam und Harald Baumann, da hast du zumindest zwei getroffen, die glauben, dass sie dazu gehören.«
»Verrätst du mir, wie du zu diesem Treffen mit Florian König kommst?«, erkundigte sich Sebastian.
»Ela Wiesner ist die Assistentin seiner Managerin. Ich habe ihr erzählt, dass ich ihn für die Schülerzeitung interviewen möchte, und sie hat mir diesen Termin besorgt.«
»Mir gegenüber hat sie nicht erwähnt, dass sie für ihn arbeitet.«
»Papa, sei nicht enttäuscht, dass dir hin und wieder auch einmal eine Frau begegnet, die sich dir nicht gleich vollständig offenbart.«
»Dein Papa muss einiges mit dir aushalten«, seufzte Traudel und schüttelte lachend den Kopf.
»Er hält es gern aus, nicht wahr, mein Sohn?«, sagte Benedikt und sah Sebastian amüsiert an.
»Stimmt, weil mir ihre entwaffnende Ehrlichkeit tausendmal lieber ist als gespielte Höflichkeit, darüber wäre ich wirklich enttäuscht.«
»Keine Sorge, Papa, ich werde dir immer die Wahrheit sagen, weil ich dich viel zu lieb habe, um dich anzulügen. Von kleinen Notlügen einmal abgesehen«, fügte Emilia noch schnell hinzu.
»Natürlich«, sagte Sebastian und lachte laut auf.
»So, der Auflauf ist fertig«, verkündete Traudel, als die Backofenuhr klingelte. »Wann soll es nachher losgehen?«, wandte sie sich an Emilia.
»Um drei.«
»Du willst wirklich zu diesem Sänger gehen?«, fragte Benedikt ungläubig nach.
»Ja, das will ich, ich gehe ja auch mit meinen Freundinnen zu seinem Konzert, so wie die meisten Frauen aus Bergmoosbach und Umgebung«, erzählte Traudel, während sie den Auflauf aus dem Ofen nahm.
»Frauen und ihre Schwärmereien«, murmelte Benedikt.
Ja, Frauen und ihre Schwärmereien, dachte Traudel und streifte Benedikt, ihre heimliche Liebe, mit einem kurzen Blick.
*
Ela erwartete Florian in der Lobby des Hotels. Sie hatte eines der bequemen Sofas erobert, die am Fenster standen und ihr einen guten Blick auf die Einfahrt des Hotels ermöglichten. Es würde noch eine Weile dauern, bis Florian eintraf. Sie hatte sich eine Tasse Tee bringen lassen und wollte noch einen Augenblick entspannen.
Das wird Sibylle nicht gefallen, dachte sie, als sie Florian wenig später zu Fuß die Hoteleinfahrt heraufkommen sah. Jeder würde den attraktiven jungen Mann in der Jeans und dem dunklen Jackett erkennen. Sogar in der Hotellobby hing ein Plakat, das seinen Auftritt ankündigte. Sibylle predigte stets, dass jemand, der als Star gelten wollte, sich in anderen Sphären bewegen musste als seine Fans. Ihnen auf der Straße in die Arme zu laufen, das wäre einfach zu gewöhnlich.
Elas Herz schlug schneller, als Florian näher kam, der Wind ihm das dunkle Haar aus der Stirn pustete und er in ihre Richtung schaute. Die Sonne streifte sein schönes Gesicht, die grünen Augen funkelten im Licht, und sein Lächeln gehörte in diesem Moment ihr allein.
»Florian!«, riefen einige Frauen, die gerade die Lobby verlassen wollten, als er das Hotel betrat. Sie waren alle um die vierzig, trugen Wanderkleidung und schienen bester Laune. Schnell war er von ihnen umringt und zückte seinen Kugelschreiber, um alle Autogrammwünsche zu erfüllen.
Ela hielt sich im Hintergrund. Florian hatte alles im Griff. »Ich hoffe, wir sehen uns in zwei Tagen im Festzelt wieder«, verabschiedete er seine Fans schließlich mit einem charmanten Lächeln.
»Freilich, deshalb haben wir unser Mädchenwochenende doch nach Bergmoosbach verlegt«, erklärte ihm eine kleine zierliche Brünette und zwinkerte ihm fröhlich zu, bevor sie mit ihren Freundinnen das Hotel verließ.
»Hallo, Ela«, sagte er, küsste sie auf beide Wangen und setzte sich neben sie auf das Sofa.
»Wo ist Sibylle?«, erkundigte sich Ela.
»Bin ich dir nicht genug?«, fragte Florian und sah ihr direkt in die Augen.
»Hast du sie entlassen?«
»Nein, das habe ich nicht«, antwortete er lachend, »aber es klang gerade so, als würde es dir gefallen, wenn es so wäre.«
»Ich denke, du kannst nicht wirklich auf sie verzichten. Sie hält die Fäden in deinem Unternehmen fest in der Hand.«
»Ich bin sicher, du kennst dich inzwischen auch recht gut bei uns aus.«
»Wenn ich mich nicht auskennen würde, dann wäre ich für Sibylle keine Hilfe. Und jetzt verrate mir, wie du ihr entkommen bist?«
»Die Limousine musste am Ortseingang anhalten, weil ein Traktor mit Anhänger die Straße blockierte. Mehrere Strohballen lagen auf der Straße. Ich habe dem Bauern, der sie verloren hatte, geholfen, sie wieder aufzuladen.«
»Was hat Sibylle dazu gesagt?«
»Sie hat Kopfschmerzen bekommen und mir erklärt, dass sie sofort in die Apotheke muss. Ich habe ihr gute Besserung gewünscht und bin zu Fuß weiter gegangen.«
»Du hast sie verärgert.«
»Mag sein, aber hätte ich zugucken sollen, wie der Mann sich allein mit den Strohballen abmüht?«
»Nein, natürlich nicht. Ich hoffe nur, dass sie sich schnell wieder beruhigt. Schlecht gelaunt ist sie unerträglich.«
»Ich weiß.«
»Wir werden es gleich erfahren, sie kommt gerade.« Ela machte Florian auf die silberfarbene Limousine aufmerksam, die in die Hoteleinfahrt einbog und gleich darauf vor dem Eingang anhielt.
»Ich denke, ich werde erst einmal auf mein Zimmer verschwinden«, sagte er, als ein Hotelpage die hintere Wagentür öffnete und Sibylle von Mangold ausstieg.
Die schlanke große Frau in dem weißen Kostüm warf ihre langen roten Locken zurück und betrat mit hoch erhobenem Kopf das Hotel.
»Der Schlüssel für deine Suite«, sagte Ela und legte Florian den Schlüssel in die Hand, den sie zuvor schon an der Rezeption abgeholt hatte.«
»Hoffentlich ist sie weit genug von Sibylles Suite entfernt.«
»Nein, sie ist genau gegenüber.«
»Hättest du das nicht anders organisieren können?«
»Sibylle wollte es so.«
»Klar.«
»Was ist, Florian?«, fragte Ela besorgt, als er kurz zu Boden schaute.
»Alles gut, ich bin in ein paar Minuten wieder da.«
»Ja, bitte, ich habe der jungen Dame von der Schülerzeitung versprochen, dass sie dich zuerst interviewen darf.«
»Dann machen wir es so«, sagte Florian und stieg in den Lift, der sich in Bewegung setzte, als Sibylle auf ihn aufmerksam wurde.
»Hast du nichts zu tun?«, fuhr sie Ela an, die aufgestanden war und ihr entgegenkam.
»Hallo, Sibylle, willkommen in Bergmoosbach«, antwortete Ela freundlich und überhörte die vorwurfsvolle Frage der Managerin.
»Schreckliches Kaff, ich bin froh, wenn wir wieder fort sind.«
»Das ist nur der Reisestress, wenn du erst einmal ein paar Stunden hier bist, wird es dir schon gefallen.«
»Welcher Reisestress? Wir kommen aus Zürich, nicht aus New York.«
»Ich meine die Tournee als Ganzes.«
»Schon gut, vergiss es, mein Schlüssel.«
»Bitte«, sagte Ela und reichte auch Sibylle den Schlüssel ihrer Suite.
»In einer Stunde werden wir uns das Festzelt ansehen. Du wirst Florian und mich begleiten.«
»Sicher.«
»Ich hoffe, du hast dich davon überzeugt, dass alles für Florians Ankunft hergerichtet ist.«
»Es ist alles bereit«, versicherte ihr Ela. Sie war am Vormittag noch einmal im Festzelt gewesen und hatte sich davon überzeugt, dass es dort keine Probleme gab.
»Ich werde mich ein wenig frisch machen, dann brechen wir auf«, sagte Sibylle.
»Florian hat vorher noch einen Pressetermin.«
»Das kannst du ausnahmsweise übernehmen. Mit der Dorfpresse wirst du schon zurechtkommen. Wenn jemand nach seinem Privatleben fragt, gehst du sofort dazwischen, für Fragen nach seinen Zukunftsplänen gilt dasselbe. Wenn wir in dieser Richtung etwas bekannt geben, dann sicher nicht hier. Alles klar?«
»Vielleicht solltest du Florian selbst entscheiden lassen, welche Fragen er beantworten möchte.«
»Nicht aufmüpfig werden, noch bestimme ich die Regeln. Haben wir uns verstanden?«
»Natürlich«, sagte Ela, als Sibylle sie mit einem eiskalten Blick musterte.
»Gut, dann bis nachher.«
»Wer war das denn?«, fragte Emilia, die zusammen mit Traudel von draußen hereingekommen war und Ela und die rothaarige Frau in dem weißen Kostüm beobachtet hatte.
»Das war Sibylle von Mangold, Florians Managerin«, antwortete Ela.
»Sie hat wohl schlechte Laune.«
»Oh nein, ganz und gar nicht, du willst ihr nicht begegnen, wenn sie wirklich schlecht gelaunt ist.«
»Klappt es denn mit dem Interview«, fragte Emilia.
»Florian wird gleich da sein.«
»Du hast dir Unterstützung mitgebracht?« Ela schaute die Frau in dem goldfarbenen Dirndl an, die ein wenig schüchtern neben dem selbstbewussten Mädchen in der roten Jeans und der weißen kurzärmeligen Bluse stand.
»Traudel Bruckner, meine Omi, sie ist ein großer Fan von Florian«, stellte Emilia Traudel vor.
»Hallo, ich bin Ela Wiesner«, sagte Ela und reichte Traudel die Hand. »Ich denke, wir gehen ein Stück aus der Schusslinie, sonst haben wir keine Ruhe.« Sie deutete auf eine Sitzgruppe weiter hinten in der Lobby. Hochgewachsene Grünpflanzen in weißen Kübeln schützten dort vor neugierigen Blicken. »Nehmt schon mal Platz, ich bin gleich bei euch.« Sie wollte am Lift auf Florian warten, damit er nicht nach ihnen suchen musste.
»Danke, Liebes.« Traudel drückte Emilia liebevoll an sich, als sie wenig später nebeneinander auf dem Sofa saßen.
»Danke, für was?«
»Dass du mich als deine Omi vorgestellt hast.«
»Aber du bist doch meine Omi, ich habe keine andere. Mamas Eltern und Papas Mutter leben doch nicht mehr. Und meine Oma Seefeld wäre bestimmt begeistert, wenn sie sehen würde, wie gut du sie vertrittst.«
»Ach, Kind«, seufzte Traudel gerührt.
»Er kommt«, raunte Emilia ihr gleich darauf zu.
»Du meine Güte, jetzt bin ich aber ganz schön aufgeregt«, flüsterte Traudel, als Ela zusammen mit Florian auf sie zukam.
»Das sieht man dir auch an«, antwortete Emilia lächelnd.
»Hallo, Frau Bruckner, Emilia.« Florian reichte zuerst Traudel und danach dem Mädchen die Hand. »Was möchtest du wissen?«, fragte er und schaute Emilia an, während er auf dem Sessel ihr gegenüber Platz nahm und Ela sich auf den zweiten Sessel setzte.
»Darf ich das Gespräch aufzeichnen?«
»Ja, darfst du«, willigte Florian ein.
»Danke.« Emilia stellte ihr Smartphone auf Aufnahme und legte es auf den Tisch. »Ich möchte wissen, ob die Musik, mit der Sie Ihr Geld verdienen, die Art Musik ist, hinter der Sie voll stehen?«
»Nein.«
»Nein?«, wiederholte Ela überrascht, während Emilia Florian aufmerksam betrachtete und Traudel ihn verblüfft musterte.
»Sie würden also lieber in eine andere Richtung gehen?«
»Ich werde es eines Tages auch tun.«
»Warum nicht sofort?«
»Weil ich die Menschen, die mir in den letzten Jahren die Treue gehalten habe, nicht enttäuschen möchte. Meine Fans haben mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Ihnen habe ich es zu verdanken, wenn ich eines Tages meine Träume verwirklichen kann, deshalb werde ich noch eine Weile auf der Bühne bleiben und ihnen das geben, was sie sich von mir wünschen, ein bisschen Zeit zum Träumen.«
»Verraten Sie mir, welche Musik Sie wirklich lieben?«
»Ich würde gern abends in einer Bar am Klavier sitzen und Blues spielen. Das ist es, wovon ich träume.«
»Mein Freund hat eine Band. Sie spielen so eine Art Alpenblues mit eigenen Texten. Morgen geben sie ein Konzert in der Scheune auf dem Hof seiner Eltern.«
»Wie heißt dein Freund?«
»Markus Mittner, aber Sie können ihn nicht kennen. Er und seine Band stehen noch ganz am Anfang. Warum haben Sie nicht von Anfang an Blues gespielt?«
»Das habe ich getan, aber dann kam irgendwann jemand von einer Plattenfirma in die Bar, in der ich damals auftrat. Er meinte, ich hätte eine schöne Stimme und ich sollte es mal mit etwas versuchen, das mir mehr einbringt.«
»Florian, der nächste Termin wartet.« Sibylle rauschte durch die Lobby direkt auf sie zu. »Du kommst bitte auch mit«, forderte sie Ela mit bitterböser Miene auf.
»Wenn du noch etwas wissen willst, dann melde dich bei mir. Es war mir eine Freude, dich kennen zu lernen, Emilia«, verabschiedete sich Florian von dem Mädchen.
»Sie waren sehr ehrlich, Herr König.«
»Deine Fragen waren interessant. Ich frage mich allerdings, warum du mich interviewen wolltest, du gehörst vermutlich nicht zu meinen Fans.«
»Stimmt, ich würde Ihnen viel lieber in der Bar am Klavier zuhören. Aber Sie sind ein Star, deshalb bin ich es unseren Lesern schuldig über Sie zu berichten. Journalisten können schließlich nicht nur über Dinge berichten, die ihnen selbst am Herzen liegen.«
»Das ist wahr, wie gesagt, es hat mich sehr gefreut, Emilia. Auf Wiedersehen, Frau Bruckner«, wandte er sich an Traudel und umfasste ihre Hand.
»Ich bin ein großer Fan von Ihnen, und ich komme zu Ihrem Konzert«, flüsterte Traudel und sah Florian verträumt an.
»Ich freue mich darauf, Frau Bruckner«, antwortete er und hauchte einen Kuss auf ihre Hand.
»Florian, bitte.« Sibylle klopfte ihm auf die Schulter und trieb ihn zur Eile an.
»Ich komme ja«, sagte er und wandte sich ihr zu.
»Lass uns noch ein bisschen hierbleiben, Emilia«, bat Traudel.
»Du kannst dich wohl noch nicht von ihm trennen«, stellte Emilia amüsiert fest, als sie den Blick bemerkte, mit dem Traudel Florian nachschaute.
»Findest du nicht, dass er ein äußerst interessanter Mann ist?«
»Wenn ich zehn Jahre älter wäre, dann könnte er mir schon richtig gut gefallen.«
»Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, dann.«
»Was dann?«, fragte Emilia, als Traudel innehielt.
»Dann hätte ich mir gewünscht, dass er mich auf einen Kaffee einlädt«, antwortete Traudel mit einem schüchternen Lächeln.
»Auf einen Kaffee?«
»Oder so.«
»Traudel, Traudel, ich glaube, ich muss auf dich aufpassen«, sagte Emilia lachend, während Traudel Florian nicht aus den Augen ließ.
»Es ging weder um sein Privatleben noch um seine Zukunftsplänen«, verteidigte sich Ela, nachdem Sibylle ihr vorgehalten hatte, dass sie Florians Offenherzigkeit gegenüber dem Kind, wie sie Emilia nannte, nicht gebremst hätte.
»Muss ich dir wirklich jeden Punkt aufzählen, der zu beachten ist? Du musst doch ein Gespür dafür haben, was geht und was nicht geht.«
»Könntest du bitte damit aufhören, Sibylle. Du kannst mir nicht immer vorschreiben, was ich zu sagen habe«, mischte sich Florian ein.
»Ach nein? War es dir nicht immer recht, wenn ich die Fragen vorab wusste und wir die Antworten durchgegangen sind?«
»War es nicht eher so, dass du darauf bestanden hast?«
»Ihr solltet diese Grundsatzdiskussion später fortsetzen, der Reporter vom Bergmoosbacher Tagblatt wartet an der Rezeption. Außerdem sollte nicht jeder mitbekommen, dass ihr euch nicht einig seid«, machte Ela die beiden auf die Leute in der Lobby aufmerksam, die neugierig zuhörten.
»Du hast recht, wir sollten uns professionell verhalten«, sagte Florian.
»Du erinnerst dich an die Fragen, die der Mann uns gestern gemailt hat, und unsere Antworten?«, wandte sich Sibylle an Florian.
»Weißt du was, Sibylle, warum antwortest du nicht gleich für mich. Ich stelle mich einfach nur für das übliche Foto dazu.«
»Gute Idee«, sagte Sibylle.
»Ich glaube es nicht«, murmelte Ela, als Sibylle auch sofort auf den jungen Mann in dem rot weiß karierten Hemd zumarschierte, der einen Fotoapparat in der Hand hielt.
»Lass sie«, sagte Florian, als er Elas Erstaunen bemerkte. »Es sind ohnehin wieder nur die üblichen Fragen. Wann standen Sie zum ersten Mal auf der Bühne? Hat die Liebe Platz in Ihrem Leben?«
»Noch warte ich auf die große Liebe«, sprach Ela aus, was Sibylle als Antwort auf diese Frage stets vorgab.
»Tue ich das wirklich?« Florian hielt Elas Blick einen Moment lang fest.
»Florian, sei so lieb und komm zu uns«, säuselte Sibylle und winkte ihm mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen zu.
»Ich werde schon zum Festzelt fahren und die Probe vorbereiten.«
»Ich bin in einer halben Stunde da«, sagte Florian und schaute Ela nach.
Das seidige braune Haar, die blauen Augen, der verträumte Mund, alles an ihr gefiel ihm. Aber sie hatte ihm leider deutlich gemacht, dass sie Arbeit und Privatleben strikt getrennt hielt und dass sie sich auf keine Beziehung mit ihm einlassen würde.
»Hast du es bemerkt?«
»Was meinst du?«, fragte Traudel, als Emilia sie in die Seite stupste.
»Diesen Blick, mit dem Florian Ela ansieht.«
»Ehrlich gesagt, ich habe nur auf seine Augen geachtet, aber nicht darauf, wo er hin gesehen hat«, gab Traudel mit einem tiefen Seufzer zu.
»Muss ich dich jetzt festhalten, weil du ihm sonst auf sein Zimmer folgst?«
»Ich weiß nicht.«
»Soll ich seine Zimmernummer für dich herausfinden?«
»Geh, Kind, natürlich nicht«, entgegnete Traudel kichernd.
»Gute Entscheidung, der Mann ist ohnehin schon vergeben.«
»Es heißt aber, dass er noch auf der Suche nach der großen Liebe ist.«
»Das war es doch, was ich dir gerade sagen wollte. Seine Blicke, wenn er Ela ansieht, er ist in sie verliebt, da bin ich ganz sicher.«
»Ich sehe aber gerade etwas anderes«, entgegnete Traudel, als Sibylle sich bei Florian unterhakte und ihn während des Interviews mit Tobias Meier vom Bergmoosbacher Tagblatt zärtlich auf die Wange küsste.
»Es gefällt ihm aber nicht«, stellte Emilia fest, als Florian zurückzuckte und einen Schritt zur Seite machte.
»Traudel, huhu!«
»Was macht sie denn hier? Wir haben doch noch Sprechstunde«, wunderte sich Traudel, als Gerti Fechner mit den Damen vom Bergmoosbacher Florian König Fanclub in die Hotellobby drängte.
»Hallo, ihr beiden, Sebastian hat mir erzählt, dass ihr hier seid«, sagte Gerti, als sie gleich darauf zu ihnen kam.
»Habt ihr die Praxis geschlossen?«, erkundigte sich Traudel.
»Nein, Doktor Seefeld vertritt mich.«
»Benedikt sitzt am Empfang?«, entgegnete Traudel entsetzt.
»Er meinte, wenn ich Mitglied im Fanclub bin, dann sollte ich mich um meinen Star kümmern. Sebastian hat mir dann auch gleich für heute freigegeben.«
»Papa und Opa sind die besten«, erklärte Emilia sichtlich stolz auf die beiden.
»Habt ihr schon mit ihm gesprochen?«, fragte Gerti, die ausnahmsweise einmal keinen Faltenrock trug, sondern eine helle Hose und eine lange dunkle Bluse.
»Er hat dort auf dem Sessel gesessen, und er hat mir zweimal die Hand gereicht«, erzählte Traudel und sah Gerti dabei an, damit ihr auch nicht entging, wie sehr sie sie mit dieser Eröffnung beeindruckte.
»Da hat er gesessen«, flüsterte Gerti und schaute zu Florian, der noch immer mit Tobias Meier sprach. »Mei«, sagte sie leise, während sie über die Armlehnen des Sessels strich und sich dann vorsichtig hineinsetzte.
»Gerti, was machst du?«, wollte eine stattliche Frau im roten Dirndl wissen, die auch zum Fanclub gehörte. Sie hatte sich aus dem Kreis der aufgeregten Frauen gelöst, die Florian mit ihren Handys fotografierten.
»Er hat in diesem Sessel gesessen«, flüsterte Gerti.
»Echt? Dann lass mich auch mal da sitzen.«
»Jetzt sitze ich aber hier«, entgegnete Gerti trotzig.
»Ich gehe dann, ich muss noch meinen Text schreiben«, sagte Emilia und sah Gerti, die sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte, ungläubig an.
»Ich bleibe noch«, erklärte Traudel, die Florian fest im Blick behielt.
»Macht’s gut, Mädels«, verabschiedete sich Emilia und eilte kopfschüttelnd davon.
»Meine Damen, wir müssen Sie bitten, die Lobby zu räumen. Unsere Gäste fühlen sich gestört«, hörte sie den Sicherheitsbeauftragten des Hotels sagen, nachdem sie es geschafft hatte, sich einen Weg nach draußen zu bahnen.
»Die sind alle ein bisschen irre«, murmelte sie und stieg auf ihr Fahrrad.
*
»Alles gut überstanden?«, fragte Ela, als Florian im Festzelt eintraf. Sie lehnte an der Bühne und schaute auf den mit Holzdielen ausgelegten Boden. In zwei Tagen würden dort die Stühle für die Zuschauer stehen.
»Es sieht so aus, als hätte ich hier eine große Fangemeinde.«
»Ich weiß, ich hatte im letzten Jahr so viele Autogrammanfragen aus Bergmoosbach, dass ich dachte, es wäre eine gute Idee, den Ort in die Tournee einzubauen.«
»Es war eine gute Idee.«
»War das vorhin wirklich dein Ernst, ich meine, dass du nicht voll und ganz hinter deiner Arbeit stehst?«
»Emilia hat mich mit dieser Frage überrascht, niemand hat sie mir bisher gestellt. Das Mädchen hatte eine ehrliche Antwort verdient.«
»Hat nicht jeder eine ehrliche Antwort verdient?«
»Nicht alle wollen die Wahrheit hören, sie gefällt ihnen nicht, und sie machen sich deshalb gern etwas vor.«
»Vielleicht würden aber deine Fans den wahren Florian König ebenso verehren wie diese Fassade von ihm, die Sibylle aufgebaut hat.«
»Das lässt sich leider nicht voraussagen. Was ist mit deiner Fassade, Ela? Bist du wirklich diese Frau, die Privatleben und Beruf so streng trennt?«
»Ich bin davon überzeugt, dass es so besser ist.«
»Gut, dann sieh mich an und sage mir, dass du nichts mehr für mich empfindest.« Florian legte seine Hand in ihren Nacken und hielt ihren Blick fest.
»Florian, bitte, lass das.«
»Was soll ich lassen?«, fragte er leise.
»Will mir bitte endlich jemand helfen!«, rief Sibylle, die im Eingang des Zeltes stand und mit einem ihrer hohen Absätze zwischen zwei Dielen hängengeblieben war.
»Ich mach das schon«, sagte Rudi, als Florian sich von Ela löste und Sibylle zur Hilfe eilen wollte. Er hatte die Aufhängung der Scheinwerfer über der Bühne geprüft und stieg rasch von der Leiter herunter, um Sibylle aus ihrer misslichen Lage zu befreien.
»Dass ich mich darauf eingelassen habe, Florian in einem Zelt auftreten zu lassen, das war ein Fehler«, schimpfte Sibylle. »Ich hoffe, wir kommen heil aus dieser Sache heraus. Ich will mir gar nicht vorstellen, was hier draußen in der Wildnis alles passieren kann. Am Ende kommt noch unsere Bühnenausstattung abhanden.«
»Meine Männer und ich schlafen hier auf dem Gelände im Tourbus, wir passen schon auf«, versicherte ihr Rudi.
»Trotzdem, ich bin froh, wenn das hier vorbei ist.«
»Die Musikanlage!«, rief ein junger Mann im schwarzen Overall, der ins Zelt hereinstürmte.
»Dann legt los, bisher sieht alles ganz ordentlich aus«, stellte Sibylle fest. »Ich gehe davon aus, dass die Musiker inzwischen im Hotel eingetroffen sind. Hast du einen Tisch für heute Abend reserviert, Ela?«
»Für acht Personen. Rudi und seinen Leuten wird das Essen hierher geliefert.«
»Gut, dann wäre alles geklärt. Gehen wir, Florian. Ela, du wartest, bis die Musikanlage ausgeladen ist und überprüfst, ob alles da ist.«
»Ich bin sicher, dass Rudi dazu keine Hilfe benötigt. Ela kann ruhig mit uns ins Hotel kommen«, widersprach Florian.
»Wirklich, ist das so?«, sagte Sibylle, während Rudi zu Boden schaute und in sich hineinlächelte. »Gut, wenn Ela hier nicht gebraucht wird, dann kann sie vom Hotel aus ein paar Anrufe für mich erledigen.«
Irgendetwas findet sie immer, damit ich keine Zeit mit Florian verbringe, dachte Ela.
»Statt in diesem Kaff zu gastieren, hätten wir lieber noch eine weitere Stadt besuchen sollen. Dort hätte man uns eine Halle zur Verfügung gestellt, wir hätten mehr Zuschauer gehabt und einen größeren Gewinn. Wenigstens haben sie ein ordentliches Hotel«, tröstete sich Sibylle.
»Es ist doch auch ein Gewinn, seine treuesten Fans glücklich zu machen.«
»Du meine Güte, Ela, wir sind doch kein Wohltätigkeitsunternehmen«, erwiderte Sibylle genervt.
»Die Fans bezahlen für ihr Glück.«
»Womit sie recht hat, Sibylle. Entschuldigt mich einen Moment.« Florian ging um den Truck herum und begrüßte die drei jungen Männer, die mit der Musikanlage angekommen waren.
»Deine Einstellung gefällt mir nicht«, zischte Sibylle.
»Aber es müsste dir gefallen, dass Florian ein bisschen Freizeit durch unseren Aufenthalt in Bergmoosbach gewinnt.«
»Frei kann er sich nehmen, wenn die Leute ihn nicht mehr sehen wollen. Du solltest inzwischen begriffen haben, wie schnell so eine Karriere zu Ende sein kann. Ein falsches Foto, ein falsches Interview, ein skandalöser Auftritt und es ist vorbei. Du solltest dir in Zukunft gut überlegen, was du so von dir gibst. Haben wir uns verstanden?«
»Ja, haben wir.« Ela spürte, dass sie Sibylle herausgefordert hatte, sie wollte sie nicht weiter reizen.
»Du weißt schon, dass weniger Einnahmen während der Tournee, auch weniger Einnahmen für jeden von uns bedeuten, aber ich will das jetzt nicht aufbauschen. Das muss ich doch nicht oder?«
»Sibylle, ich habe dich verstanden«, beteuerte Ela erneut.
»Gut, fahren wir ins Hotel zurück. Florian, kommst du bitte?!«, rief Sibylle, während sie ungeduldig mit ihren violett lackierten Fingernägeln auf der Motorhaube der Limousine herumtrommelte.
»Wieso hast du es denn so eilig?«, fragte Ela.
»Ich habe vor dem Abendessen noch einiges mit Florian zu besprechen, allein in meiner Suite«, fügte sie mit strengem Blick hinzu.
»Was haben wir zu besprechen?«, wollte Florian wissen, der nur noch ein paar Schritte von ihnen entfernt war.
»Wenn ich wollte, dass es jemand hört, dann müsste ich dich nicht in meine Suite bitten.«
»Bitte sehr, Frau von Mangold.« Florians Chauffeur, der sie seit zehn Jahren auf jeder Tournee begleitete, hielt Sibylle die hintere Wagentür auf und half auch Ela beim Einsteigen.
»Danke, Fred«, bedankte sich Florian bei dem Mann mit dem silbergrauen Haar, der stets einen maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug trug, weil elegantes Auftreten zu den Pflichten eines Chauffeurs gehörte, wie er immer wieder betonte.
»Du hast recht«, sagte Otto, der um den Truck herumschaute und der Limousine nachblickte.
»Womit?«, wollte Rudi wissen.
»Die Sache mit Ela und Florian. Ich war vorhin auch im Zelt, als die beiden vor der Bühne standen.«
»Offiziell haben wir nichts gesehen.«
»Alles klar«, sagte Otto und sprang wieder in den Truck, um beim Ausladen zu helfen.
»Ich bin gespannt, wie das weitergeht«, murmelte Rudi und zündete sich eine Zigarette an.
*
Ela brachte die Anrufe, die sie für Sibylle erledigen sollte, schnell hinter sich und setzte sich danach auf den Balkon ihres Zimmers, um noch ein bisschen die Sonne zu genießen. Vielleicht hat Anna Bergmann mit ihrer Vermutung, Sibylle könnte hinter Florian her sein, recht, dachte sie, als sie in dem bequemen Liegestuhl lag und auf die kahlen Berggipfel am Horizont schaute.
Nutzte Sibylle nicht jede Gelegenheit, um mit Florian allein zu sein? Sie war die einzige, die ihn auf längeren Strecken in der Limousine begleitete. Wenn sie mit dem Flugzeug unterwegs waren, saß sie mit ihm allein in der ersten Klasse, genauso im Zug. In jedem Hotel bestand sie darauf, dass ihres und Florians Zimmer nebeneinander oder wenigstens gegenüber lagen. Und dann diese Besprechungen in ihrem Zimmer, die sie immer so großartig ankündigte und die nichts anderes waren als belanglose Plauderstündchen, wie Florian einmal verlauten ließ.
Aber Sibylle ist seine Managerin, sie steht ihm nun einmal am nächsten, wenn wir unterwegs sind. Er muss sich voll und ganz auf sie verlassen können, versuchte sich Ela Sibylles Verhalten zu erklären und verwarf den Gedanken wieder, dass Sibylle andere Frauen nur deshalb von ihm fernhielt, um ihn für sich allein zu haben.
Als sie plötzlich wieder diese unangenehme Übelkeit verspürte, nahm sie eine von den Ingwertabletten, die Anna ihr mitgegeben hatte, und ließ sie langsam auf der Zunge zergehen. Es dauerte auch nicht lange, bis es ihr besser ging und sie die Augen schloss, um ein wenig zu schlafen.
»Moment!«, rief sie, als sie durch das laute Klopfen an ihrer Zimmertür hochschreckte. »Du meine Güte, schon so spät«, sagte sie laut, als sie feststellte, dass die Sonne schon beinahe hinter den Bergen verschwunden war.
Sibylle hatte das gemeinsame Abendessen für halb acht angesetzt. Ein Blick auf ihr Handy, das auf dem runden Tischchen neben ihr lag, sagte ihr, dass sie verschlafen hatte. Es war bereits kurz vor acht.
»Verzeihung, Frau Wiesner, ich soll Ihnen ausrichten, dass Sie im Restaurant erwartet werden«, sagte das junge Mädchen in dem blauen Kostüm, das zum Hotelpersonal gehörte.
»Danke, richten Sie Frau von Mangold aus, dass ich gleich komme.«
»Das mache ich. Es tut mir leid, dass ich Sie so unsanft geweckt habe«, entschuldigte sich das Mädchen.
»Sie hatten keine andere Wahl«, entgegnete Ela mit einem freundlichen Lächeln und schloss die Tür. Sie hatte es jetzt eilig.
Ein paar Minuten später betrat sie das Restaurant und zog so manchen Blick auf sich. Sie hatte ihr Haar mit einer silbernen Spange am Hinterkopf festgesteckt und trug ein türkisfarbenes Seidenkleid mit schmalen Trägern und rundem Ausschnitt, das in einem aufregenden Kontrast zu ihrer leicht gebräunten Haut stand.
Das Restaurant war gut besucht, es gab kaum noch freie Plätze. Roter Teppichboden, Tische und Stühle aus Kiefernholz, ein grüner Kachelofen in der Mitte des Raumes, große Fenster, die einen weiten Blick über das Tal und auf die Berge boten, alles wirkte elegant und gleichzeitig gemütlich.
Sibylle, Florian, die Gitarristen Simon und Martin, Timo, der Schlagzeuger, und die beiden jungen Frauen, die Klarinette und Saxophon spielten, warteten bereits auf Ela. Genau wie Florian waren auch seine Musiker attraktive junge Leute, die, in jeder Stadt, in der sie auftraten, ihre eigenen Fans im Publikum hatten.
Der Tisch, den Ela reserviert hatte, stand ganz hinten im Restaurant, mit der schmalen Seite am Fenster. Die Musiker saßen sich an den beiden Längsseiten gegenüber, Sibylle thronte wie eine Königin am Kopfende und an ihrer linken Seite saß Florian. Elas Platz war am Ende des Tisches gegenüber von Lina, der Saxophonistin, groß und schlank wie die blonde Karin, die neben ihr saß, aber mit schwarzem kurzem Haar und dunklen Augen.
»Da nun auch unsere Prinzessin eingetroffen ist, können wir endlich bestellen«, sagte Sibylle und streifte Ela mit einem zurechtweisenden Blick.
»Es tut mir leid, ich bin eingeschlafen«, entschuldigte sich Ela.
»Das macht doch nichts, das ist doch jedem von uns schon passiert«, erwiderte Lina mit einem verständnisvollen Lächeln.
»Ich glaube, du könntest noch mehr Schlaf vertragen, du siehst ein wenig mitgenommen aus«, raunte Karin Ela zu.
»Ja, stimmt, ich hatte wohl in den letzten Wochen zu wenig Schlaf. Ich werde auch nur eine Kleinigkeit essen und mich dann wieder hinlegen«, sagte Ela, während sie die Speisekarte aufschlug. Anna hatte ihr geraten, in nächster Zeit lieber häufiger, aber dafür kleinere Portionen zu essen. »Ich nehme einen Salat und ein Käsesandwich«, sagte sie, als der Kellner kam, um ihre Bestellungen aufzunehmen.
»Jetzt gibst du es mir aber«, höhnte Sibylle.
»Ich verstehe nicht, was du meinst.« Was will sie schon wieder?, dachte Ela und schaute Sibylle an.
»Doch, du verstehst sehr wohl, nur weil ich sagte, dass dieses Kaff nicht den Gewinn abwirft, den wir in einer Stadt hätten erwarten können, musst du jetzt nicht am Essen sparen.«
»Lass sie in Ruhe, Sibylle, bitte.« Florian legte seine Hand auf Sibylles, während er Ela mit seinem Blick streifte.
»Ich tue ihr nichts, keine Sorge«, sagte Sibylle, zog ihre Hand von Florian weg und trank einen Schluck von dem Rotwein, den sie für alle bestellt hatte.
»Danke, für mich nicht«, lehnte Ela den Wein ab, als der Kellner auch ihr ein Glas einschenken wollte. »Bringen Sie mir bitte ein Wasser«, bat sie.
»Gern«, antwortete der junge Mann in der dunklen Hose und dem weißen Hemd.
»Dir geht es wirklich nicht gut«, flüsterte Lina.
»Mir ist nur ein wenig übel, der Reisestress.«
»Ich glaube, Sibylle lässt ihren Stress zu sehr an dir ab«, sagte Lina so leise, dass niemand außer Ela es hören konnte.
»Wollt ihr uns nicht an euren Geheimnissen teilhaben lassen?«, fragte Sibylle, die die beiden beobachtete.
»Wir haben keine Geheimnisse, wir sprechen über die schöne Landschaft. Schließlich haben wir hier den besten Ausblick«, antwortete Lina und wandte ihren Kopf zum Fenster.
»Die Aussicht ist wirklich spektakulär.« Karin zwinkerte Ela zu und folgte Linas Blick.
»Dann lasst uns auf diesen Ausblick und die bisher gelungene Tournee anstoßen«, verkündete Sibylle und hob ihr Glas.
»Auf die Tournee«, schlossen sich alle an.
»Nun auch noch Wasser«, murmelte Sibylle, als sie auf Elas Glas schaute.
Florian zuckte kurz zusammen, als ihm auffiel, wie blass Ela in der künstlichen Beleuchtung des Restaurants aussah. Er fragte sich, ob sie vielleicht krank war und nahm sich vor, sie in einer ruhigen Minute ganz offen darauf anzusprechen.
Während des Essens unterhielten sich alle über die kleinen Erlebnisse der letzten Tage vor und hinter der Bühne. So wie sie es immer taten, wenn sie mehr als eine Nacht an einem Ort verbrachten und Sibylle sie zu einem gemeinsamem Essen bat, weil das den Zusammenhalt stärkte, womit ausnahmsweise alle mit ihr übereinstimmten.
Ela, die sich sonst rege an diesen Gesprächen beteiligte und sich auch nicht davor scheute, Sibylle dann und wann zu widersprechen, hörte dieses Mal gar nicht richtig zu. Sie versuchte sich vorzustellen, wo sie wohl im nächsten Jahr um diese Zeit sein würde und wie sich ihr Leben bis dahin verändert hatte.
Als die anderen nach dem Essen noch in die Bar des Hotels wechselten, erklärte Ela, dass sie lieber schlafen gehen wollte. Die Musiker wünschten ihr eine gute Nacht, während Sibylle nur kurz nickte und auch Florian nahm es ohne nachzufragen einfach hin, wie es schien. Als sie die Lobby durchquerte, um mit dem Lift in den zweiten Stock hinaufzufahren, stand Florian aber plötzlich vor ihr.
»Was ist los mit dir, Ela?«, fragte er, legte seine Hände auf ihre Schultern und sah sie direkt an.
»Ich bin nur müde«, behauptete sie und hielt seinen Blick aus.
»Ist das wirklich alles?«
»Ja, das ist alles«, versicherte sie ihm.
»Du würdest mir sagen, wenn du krank wärst?«
»Ich bin nicht krank, Florian.«
»Dann muss ich mir keine Sorgen machen.«
»Nein, das musst du nicht.«
»Gut, dann bis morgen, Ela«, sagte Florian und küsste sie auf die Wange.
Vielleicht sollte ich ihm doch in den nächsten Tagen schon von dem Kind erzählen, dachte sie, als sie sich noch einmal nach ihm umdrehte und er sich im selben Moment nach ihr umwandte. »Vielleicht tue ich es«, flüsterte sie, als sich die Tür des Lifts hinter ihr schloss.
*
»Ich habe es gewusst«, stellte Sebastian mit gespielter Enttäuschung fest, als Anna nach drei Partien Schafkopf wieder einmal die höchste Punktzahl für sich beanspruchen konnte und er die niedrigste.
Weil es draußen ein bisschen kühl war, saßen sie in der Küche an dem großen Esstisch. Benedikt am Kopfende, Sebastian und Traudel zu seiner linken und Emilia und Anna den beiden gegenüber.
»Papa, du bist der beste, aber nicht in allem, was auch irgendwie beruhigend ist«, entgegnete Emilia mit einem frechen Lausbubenlächeln.
»Danke, mein Schatz, das baut mich doch gleich wieder auf«, seufzte Sebastian.
»So, meine Lieben, jetzt gibt es erst einmal einen köstlichen Brombeertee, der regt den Geist an«, verkündete Traudel. Sie stand auch gleich auf und stellte den Wasserkocher an, um den Tee zuzubereiten.
»Du meinst, ich hätte dann auch einmal die Chance, zu gewinnen?«, fragte Sebastian lächelnd.
»Mit ein bisschen Glück.«
»Das Glück finde ich aber nicht im Brombeertee.«
»Wenn er dir schmeckt und du dich wohlfühlst, dann hast du doch wenigstens ein kleines Glück gefunden. Oder etwa nicht, Papa?«
»Das ist eine große Erkenntnis für einen so jungen Menschen«, sagte Benedikt und streichelte seiner Enkelin liebevoll über das Haar.
»Dein Großvater hat recht, das war eine weise Antwort«, stimmte Sebastian Benedikt zu.
»Wenn zwei Männer sich einig sind, dann muss der dritte sich wohl anschließen«, sagte Emilia lachend, als Nolan, der sich unter dem Tisch ausgestreckt hatte, dreimal kurz bellte. »Ich habe heute übrigens etwas Interessantes beobachtet, das habe ich euch noch gar nicht erzählt.«
»Du musst einen aufregenden Tag gehabt haben, meine Kleine. Erst dein erfolgreiches Interview mit diesem Sänger und jetzt auch noch eine außergewöhnliche Beobachtung.«
»Opa, der Mann heißt Florian. Für Traudel und Gerti und vermutlich für viele andere Bergmoosbacherinnen ist er der Traummann überhaupt, abgesehen von Papa natürlich.«
»Danke«, sagte Sebastian und zwinkerte seiner Tochter zu.
»Unsere Gerti saß heute Nachmittag derart traurig in der Praxis, als ich dort vorbeischaute, dass ich nicht anders konnte, als sie mit ihrem Fanclub ziehen zu lassen«, sagte Benedikt.
»Aber die haben ihn nur von weitem gesehen, ich habe mit ihm zusammen gegessen, und er hat sich mit einem Handkuss von mir verabschiedet«, erzählte Traudel mit leuchtenden Augen.
»Dann warst du ihm offensichtlich sympathisch«, entgegnete Benedikt.
»Meinst du wirklich?«
»Ja, Traudel, das meine ich, obwohl ich mich schon frage, was ihr alle an dem Mann findet.«
»Wie Emilia schon gesagt hat, er ist halt etwas zum Träumen.«
»Das sind andere auch.«
»Ich weiß«, antwortete Traudel leise und zog die Tür des Hängeschranks auf, in dem sie die Dosen mit den verschiedenen Teesorten aufbewahrte.
»Also, was hat es nun mit deiner Beobachtung auf sich, Emilia?«, hakte Benedikt nach.
»Ich denke, Frau von Mangold, Florians Managerin, ist hinter ihm her, aber Florian interessiert sich eher für Ela Wiesner.«
»Die junge Dame, die vor der Apotheke einen Schwächeanfall hatte?«
»Richtig, Opa.«
»Wie kommst du darauf, dass Florian sich für Ela interessiert?«, fragte Anna, nachdem sie einen kurzen Blick mit Sebastian getauscht hatte.
»Weil es zwischen ihnen knistert. In meinem Alter ist man sehr empfänglich für dieses Knistern, wisst ihr.«
»Muss Markus sich Sorgen machen?«, fragte Sebastian.
»Wieso sollte er? Bei uns knistert es ja noch«, antwortete Emilia und schaute in die Runde.
»Der Tee.« Traudel kam mit einem Tablett an den Tisch und reichte jedem eine Tasse nach Brombeeren duftenden Tee. »Wisst ihr, ich hatte heute ein Erlebnis, das mich noch mehr berührte als die Begegnung mit Florian«, sagte sie.
»Da bin ich aber mal gespannt.« Benedikt schaute auf und betrachtete Traudel mit seinen dunklen Augen.
»Unsere Kleine hat mich heute als ihre Omi vorgestellt und mir erklärt, dass ihre Oma Seefeld der Meinung sein würde, dass ich sie gut vertrete.«
»Womit sie recht hat«, sagte Benedikt und streichelte über Traudels Arm, als er sah, wie sie plötzlich mit den Tränen kämpfte.
Es waren die Tränen der Rührung, die sie am Nachmittag nicht geweint hatte, weil sie von ihrer Begegnung mit Florian abgelenkt wurde.
»Für mich ist Traudel die einzige Großmutter, die ich habe«, sagte Emilia.
»Und für mich bist du die einzige Mutter, die ich kenne.« Sebastian legte seinen Arm um Traudel und zog sie liebevoll an sich.
»Ihr macht mich verlegen«, flüsterte sie.
»Noch eine Runde?«, fragte Benedikt und tippte auf das Kartenspiel, das vor ihm lag.
»Ja, gern«, stimmte Traudel sofort zu und trocknete die Tränen mit der Schürze ihres Dirndls.
Sie saßen noch eine ganze Weile zusammen, und als schließlich die Punkte zusammengezählt wurden, hatte sich an dem Ergebnis nichts verändert. Anna hatte gewonnen, Sebastian war letzter und die anderen lagen dazwischen.
»Ich werde wohl noch eine Weile üben müssen, wenn ich gegen dich gewinnen will«, sagte er, als er Anna wie immer nach dem Kartenabend noch ein Stück begleitete.
»Oder du gestehst dir ein, dass du mich auf diesem Feld nicht besiegen kannst.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil es sonst keine Herausforderung mehr wäre, mit dir zu spielen.«
»Mit mir zu spielen, aha.«
»Wir sprechen nur über die Karten, Anna«, sagte Sebastian, als sie die Apotheke fast erreicht hatten und Anna schon ihre Hausschlüssel zückte.
»Das hoffe ich.«
»Du kannst darauf vertrauen«, antwortete er leise und küsste sie auf die Stirn. »Darf ich dich noch etwas fragen, etwas Vertrauliches?«
»Was möchtest du wissen?«
»Hat Ela Wiesner dir verraten, wer der Vater ihres Kindes ist? Nachdem, was Emilia vorhin erzählt hat, würde ich sagen, dass es Florian König ist.«
»Sagen wir so, ich werde dir nicht widersprechen.«
»Alles klar«, antwortete Sebastian lächelnd.
»Aber wir könnten natürlich auch auf meinem Balkon noch etwas Trinken, vielleicht ein Glas Wein, und ich teile mein Wissen als Hebamme mit dem Arzt, der sich um das Wohl seiner Patientin sorgt. Diese Angelegenheit scheint äußerst kompliziert. Ich denke, es könnte ein Vorteil sein, wenn ich dir alles darüber erzähle, falls du noch einmal mit Ela zusammentriffst.«
»Unser Wissen bei einem Glas Wein miteinander zu teilen, das klingt gut, Anna«, sagte Sebastian.
Es war kurz vor Mitternacht, als Sebastian Anna wieder verließ. Sie hatte ihm von Ela Wiesners Sorgen um ihren Arbeitsplatz, von ihrer kranken Mutter und ihrer Unsicherheit gegenüber Florian König erzählt. Er war zu demselben Schluss wie Anna und Emilia gekommen, dass Sibylle von Mangold offensichtlich mehr von Florian wollte, als Ela klar war.
Wirklich einmischen können wir uns nicht, dachte Sebastian, als er die Straße zum Seefeldhaus hinaufging, aber vielleicht ergab sich ja eine Situation, die ihnen die Möglichkeit bot, dieser Liebe zwischen Florian und Ela ein wenig nachzuhelfen.
*
»Traudel, ich fahre jetzt zu Markus.«
»Hübsch siehst du aus«, stellte Traudel fest und schaute auf Emilia, die in der Küchentür stand.
Sie trug ein schwarz weiß kariertes Kleid, gerade geschnitten mit kurzen Ärmeln, weiße Turnschuhe und ihr langes Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, den sie mit einer weißen Spange zusammenhielt.
»Willst du mitkommen?«, fragte Emilia.
»Danke, aber da gehöre ich nun wirklich nicht hin«, antwortete Traudel lachend.
»Es gibt aber keine Altersbeschränkung.«
»Na dann, vielleicht das nächste Mal. Morgen gehe ich ja schon auf ein Konzert.«
»Stimmt, dann bis später. Nein, Nolan, du bleibst bei Traudel«, sagte Emilia, als der Hund von der Terrasse hereinschoss und sich vor ihr aufbaute.
»Nicht traurig sein, wie gehen nachher spazieren«, tröstete Traudel ihn und nahm ihn auf den Arm, als er Emilia mit hängenden Ohren nachschaute. »Mei, manchmal wünscht ich schon, ich wär noch einmal so jung«, seufzte sie, als sie mit Nolan am Fenster stand und Emilia auf ihrem Fahrrad zur Straße hinunterfuhr.
Der Feldweg zum Mittnerhof lag wie immer am späten Nachmittag im hellsten Sonnenschein. Es war eine Bilderbuchlandschaft, die sich dort dem Betrachter auftat. Blühende Wiesen, braun weiß gefleckte Kühe, die im Gras lagen und die Wärme genossen, und schließlich die Berge, die groß und mächtig an den blauen Himmel ragten.
»Hallo, Frau Wiesner!«, rief Emilia, als sie den Weg entlangradelte. Sie hatte die Frau in dem langen weißen Baumwollkleid, die dort spazieren ging, gleich erkannt.
»Hallo, Emilia«, begrüßte Ela das Mädchen, das sein Fahrrad neben ihr anhielt.
»Haben Sie ein bestimmtes Ziel?«, fragte Emilia.
»Nein, eigentlich nicht, ich will mir nur die Gegend anschauen. Sibylle und Florian sind bei der Probe im Festzelt, und ich habe für heute frei.«
»Sie sollten aber nicht vom Weg abkommen, hier gibt es überall tückische Moore.«
»Ich verspreche, auf dem Weg zu bleiben«, antwortete Ela lächelnd. »Du siehst aus, als hättest du etwas Besonderes vor.«
»Heute tritt mein Freund mit seiner Band auf.«
»Stimmt, das sagtest du gestern, warte kurz«, bat Ela, als ihr Handy läutete. »Hallo, Sibylle«, meldete sie sich, als sie ihr Foto auf dem Display sah.
»Ela, weißt du, wo Florian ist?«, fragte Sibylle.
»Ich dachte, er hat Probe«, antwortete Ela überrascht über Sibylles Frage.
»Hatte er auch, aber danach ist er einfach verschwunden.«
»Rufe ihn doch an.«
»Soll das ein Scherz sein? Das habe ich schon mehrfach versucht, leider vergeblich. Er meldet sich nicht.«
»Dann rufe Fred an.«
»Fred ist hier bei mir. Florian ist offensichtlich zu Fuß unterwegs.«
»Vielleicht will er einfach nur ein paar Minuten seine Ruhe haben. Er taucht schon wieder auf«, versuchte Ela Sibylle zu beruhigen.
»Du hast gut reden, ich bin für ihn verantwortlich.«
»Wohl kaum, Sibylle. Florian ist ein erwachsener Mann, du musst nicht auf ihn aufpassen.«
»Das ist mal wieder typisch, dir fehlt offenbar noch immer die Einsicht darin, dass er kein normales Leben führt und auch nicht wie irgendein Hans Meier allein durch die Gegend rennen kann. Wenn du etwas von ihm hörst, dann melde dich bitte sofort bei mir.«
»Ja, mache ich«, sagte Ela und beendete das Gespräch.
»Ärger?«, fragte Emilia.
»Nein, dieses Mal dürfte ich auch in Sibylles Augen völlig unschuldig sein«, antwortet Ela sichtlich erleichtert.
»Sie haben es nicht einfach mit Ihrer Chefin.«
»Das ist wahr, aber egal, ich werde mir nicht die Laune von ihr verderben lassen. Was meinst du, könnte ich mir den Auftritt deines Freundes ansehen?«
»Aber ja, gern, kommen Sie mit.«
Der Spaziergang hatte Ela gut getan. Sie hatte das Gedankenkarussell abgestellt und die Natur betrachtet. Der Auftritt der jungen Musiker würde sie noch ein bisschen länger von ihren Sorgen ablenken.
»Ich möchte mich auch noch einmal bedanken, dass das mit dem Interview geklappt hat.« Emilia stieg von ihrem Fahrrad und schob es, um neben Ela herlaufen zu können.
»Florian haben deine Fragen gefallen, das ist sonst eigentlich nie der Fall. Insofern müsste ich mich eher bei dir bedanken.«
»Dann sollten wir das mit dem Bedanken am besten jetzt lassen.«
»In Ordnung«, sagte Ela und betrachtete Emilia, deren liebevoller Umgang mit ihrem Vater ihr gezeigt hatte, was sie vielleicht eines Tages erwartete und dass diese Schwangerschaft nichts war, wovor sie sich fürchten sollte.
Ein paar Minuten später tauchte der Mittnerhof zwischen den wogenden Weizenfeldern auf. In den letzten Wochen waren die Renovierungsarbeiten dort schnell vorangegangen. Das Haus und die Stallungen hatten einen neuen weißen Verputz, die Dächer waren neu gedeckt und die heruntergekommene Scheune war rundherum erneuert worden.
»Hallo, Frau Mechler«, begrüßte Emilia Pia Mechler, die ihnen mit einem Kinderwagen entgegenkam.
»Grüß dich, Emilia, schön, dass du da bist.«
»Sind schon Zuschauer eingetroffen?«
»Keine Ahnung, ich war mit Bastian gerade auf dem Feld bei seinen Eltern und jetzt gehen wir ins Dorf. Die Zwillinge von der Turnstunde abholen.«
»Das ist Frau Wiesner, sie gehört zu Florian König«, stellte Emilia ihr Ela vor.
»Ich habe Sie doch schon bei Doktor Seefeld gesehen.«
»Ja, ich war dort«, sagte Ela.
»Und Sie gehören zu Florian?«
»Sind Sie etwa auch ein Fan von ihm, Frau Mechler?«, fragte Emilia erstaunt, als Pia plötzlich ganz verklärt aussah.
»Oh ja, das bin ich«, gab Pia zu und spielte mit den grauen Haarsträhnen, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatten.
»Dann sind Sie morgen auf seinem Konzert?«
»Anton hat mir eine Eintrittskarte geschenkt, ich freue mich schon riesig. Bis später, ich muss mich ein bisschen sputen«, sagte sie.
»Mach’s gut, Bastian.« Emilia strich über die zarten Löckchen des Babys, das sie freundlich anlächelte. »Mein Vater und Anna haben den kleinen gemeinsam auf die Welt geholt«, erzählte sie Ela, als sie weitergingen.
»Wenn man deinen Vater und Anna zusammen sieht, dann könnte man meinen, dass sie, ich meine…«
»Dass sie zusammen sind?«
»Ja, das dachte ich zuerst.«
»Irgendwie gehören sie auch zusammen«, sagte Emilia nachdenklich. »Wow, das sieht gut aus«, stellte sie gleich darauf begeistert fest, als sie den Hof erreichten und sie die vielen Fahrräder vor der Scheune stehen sah.
»Wer spielt da?« Emilia blieb im geöffneten Tor der Scheune stehen, als sie die Gitarre hörte, die so perfekt klang, dass es unmöglich Markus oder der zweite Gitarrist sein konnten, die sie spielten.
»Das ist Florian«, flüsterte Ela, als sie auf eine Kiste stieg, die neben dem Tor lag. Sie schaute über die jungen Leute aus dem Dorf hinweg, die sich vor der aus Brettern zusammengenagelten Bühne in der Mitte der sonst leeren Scheune versammelt hatten. Dass sie hier auf Florian treffen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Nein, ich werde sie nicht anrufen, ich werde ihm diesen Nachmittag nicht nehmen, dachte sie, als sie schon nach dem Handy greifen wollte, um Sibylle zu informieren, dass sie ihn gefunden hatte.
»Das sehen wir uns aus der Nähe an«, sagte Emilia und nahm Ela an die Hand.
»Ja, das machen wir.« Ela sprang von der Kiste herunter und ließ sich von Emilia vor die Bühne geleiten. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie gleich darauf vor Florian standen.
Er saß auf einem Barhocker und alles, was er wahrnahm, schien das Instrument zu sein, das er mit geschlossenen Augen spielte. Die dunkle Jeans, das grüne Poloshirt in der Farbe seiner Augen, sein Haar, das der Wind, der durch die Ritzen der Scheunenbretter blies, durcheinandergebracht hatte – Florian schien völlig verändert.
Es war wie ein Stromstoß, der durch ihren Körper fuhr, als er die Augen öffnete und sie anschaute, so als hätte er gespürt, dass sie da war. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen, sie blieb ganz still stehen, um diesen Blick nicht zu verlieren.
Emilia dagegen hatte nur Augen für Markus, der wie die beiden anderen Jungs auf dem Boden neben Florian saß, ihn genau beobachtete und mit dem Publikum applaudierte, nachdem Florian das Musikstück beendet hatte und von dem Barhocker aufstand.
»Okay, Jungs, jetzt zeigt eurem Publikum, was ihr drauf habt.« Florian gab Markus seine Gitarre zurück und verließ die Bühne. »Schön, dich hier zu treffen«, sagte er und stellte sich neben Ela.
»Ich wäre mitgekommen, wenn du mir erzählt hättest, was du vorhast.«
»Es war ein spontaner Entschluss.«
»Sibylle sucht dich.«
»Ich habe mein Telefon abgestellt, das solltest du auch tun.«
»Ja, das sollte ich.« Ela kramte ihr Handy aus der Umhängetasche und schaltete es aus.
Florian nickte der Band auf der Bühne aufmunternd zu, nachdem sie ihre Plätze eingenommen hatten. Markus mit der Gitarre auf dem Barhocker, der zweite Gitarrist, ein schmächtiger Teenager in Lederweste und Cordhose, stand neben ihm und der Schlagzeuger, groß und schlaksig wie Markus, saß hinter dem Schlagzeug.
Zuerst spielte Markus ein Solo, dann setzte die zweite Gitarre ein, dann das Schlagzeug und schließlich übernahm Markus den Gesangsteil.
»Er hat eine gute Stimme, die Jungs sind überhaupt gut, sehr gut sogar«, raunte Florian Emilia zu und zauberte ein glückliches Lächeln auf ihr Gesicht.
Mit jedem weiteren Stück verloren Markus und seine Freunde ihre Scheu vor dem Publikum, das auch jedes Stück mit großem Applaus honorierte. Irgendwann legte Florian seine Arme um Ela und bewegte sie im Takt, schnell fanden sich auch andere Paare zusammen, die es ihnen gleich taten. Emilia aber setzte sich auf den Bühnenrand und schaute zu, wie die Musik und Markus‘ Stimme die anderen ins Träumen versetzte.
»Ich vermisse dich, Ela«, flüsterte Florian und zog sie zärtlich an sich.
Sie ließ es einfach geschehen. Sie wollte seine Nähe wenigstens für eine Weile spüren. Nachdem Florian die Bühne verlassen hatte, schien er für die jungen Leute aus Bergmoosbach einer von ihnen zu sein. Sie lächelten ihm hin und wieder zu, aber sie beobachteten ihn nicht mehr.
Es ist, als seien wir in einem Paralleluniversum gelandet, dachte Ela und in diesem Universum war sie mit Florian zusammen. Sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust und ließ sich von ihm führen. Seine Bewegungen, der Duft seiner Haut, die Art, wie er sie berührte, das alles löste in ihr die Sehnsucht aus, diese eine Nacht, die sie mit ihm verbracht hatte, zu wiederholen. Als ein Sonnenstrahl in die Scheune fiel und Florian streifte, war es Ela, als erwachte sie aus einem Traum, und all die Bedenken, die gegen eine Verbindung mit Florian sprachen, wurde ihr sofort wieder bewusst.
»Ich denke, ich sollte jetzt gehen«, sagte sie und löste sich von ihm.
»Nein, ich denke, das solltest du nicht tun.«
Ehe sie darauf reagieren konnte, nahm er sie wieder in seine Arme und sah in ihre Augen. Sie fühlte sich wie gebannt, unfähig, sich auch nur einen Schritt von ihm fortzubewegen.
Florian, nein, dachte sie, als er sich über sie beugte, aber sie ließ den Gedanken gleich weiterziehen, die beiden Universen, die sie sich vorgestellt hatte, schienen sich zu vereinigen. Sie konnte nirgendwohin entfliehen, und sie wollte auch gar nicht fliehen.
»Lass es uns noch einmal versuchen«, bat Florian und dann küsste er sie.
Als Ela wieder zu sich kam, hörte sie anerkennende Pfiffe und lautes Klatschen. Sie schaute hoch und blickte in lächelnde Gesichter. Markus‘ und Emilias Freunde hatten einen Kreis um sie gebildet, während die Band auf der Bühne eine Pause einlegte und das Geschehen beobachtete.
»Danke für eure Unterstützung, allein hätte ich das wohl nicht geschafft, diese Frau zu küssen«, sagte Florian lachend und nahm Ela an die Hand. »Und jetzt gehen wir, aber zusammen«, raunte er ihr zu. »Ich muss nur noch schnell etwas erledigen. Warte kurz«, bat er sie. »Markus, darf ich dich kurz sprechen?«, fragte er den Jungen, der neben Emilia auf dem Bühnenrand saß.
»Klar, Herr König.«
»Für dich bin ich Florian, wir sind doch Kollegen.«
»Okay, Florian, worum geht es?«
»Schon verstanden«, sagte Emilia und ließ die beiden allein, als Florian zögerte.
»Ein Geheimnis?«, erkundigte sich Markus.
»Ob das, was du gleich von mir hören wirst, ein Geheimnis bleibt, das liegt allein an dir.«
»Klingt spannend«, sagte Markus und wandte sich Florian zu.
»Bleibt dieser Band treu, sie hat es verdient!«, rief Florian den jungen Bergmoosbachern zu, als er und Ela sich kurz darauf verabschiedeten.
»Sie sind aber auch echt cool, wenn Ihr Konzert nicht ausverkauft wäre, dann würde ich direkt kommen!«, erklärte ein Junge, der an der Scheunenwand lehnte. Er war einen halben Kopf größer als die anderen, hatte seine Hände in den Hosentaschen seiner Jeans vergraben und schaute Florian bewundernd an.
»Ich würde auch kommen!«
»Ich auch«, schlossen sich nach und nach alle an.
»Wir würden auch kommen!«, rief Markus, der mit den beiden Jungen seiner Band gerade etwas besprochen hatte.
»Wenn das so ist, dann seid ihr alle herzlich eingeladen. Macht’s gut«, sagte Florian und verließ mit Ela unter großem Applaus die Scheune.
»Wahnsinn, der Mann versteht es, sich Freunde zu machen«, stellte Emilia fest und setzte sich wieder neben Markus auf die Bühne. »Was wollte er denn von dir?«
»Geheimsache«, sagte Markus und stupste mit seinem Zeigefinger auf Emilias Nasenspitze.
»Ich bin deine offizielle Freundin«, protestierte Emilia.
»Du liebst doch Überraschungen.«
»Schon.«
»Dann solltest du mich nicht weiter ausfragen.«
»Wenn das so ist, dann schweige ich, was diesen Punkt betrifft, sonst allerdings nicht«, erklärte Emilia.
»Das wäre auch beängstigend«, sagte Markus und legte seinen Arm um das Mädchen.
»Weißt du was, meine Vermutung hat sich bewahrheitet«, raunte Emilia ihm zu.
»Welche Vermutung?«
»Ich habe Florian gestern beobachtet, als er mir das Interview für die Schülerzeitung gegeben hat. Ich wusste gleich, dass er diese Frau liebt.«
»Du bist eben eine Expertin in Sachen Liebe.«
»Stimmt genau«, entgegnete Emilia.
»Du, Emi, ich hätte da mal eine Frage.« Doro, die mit anderen Mädchen auf dem Boden der Scheune gesessen hatte, kam auf Emilia zu und fuhr sich ein wenig verlegen durch ihr kurzes Haar.
»Frage«, forderte Emilia sie auf.
»Er dort, der Florian König cool findet, wer ist das?« Doro schaute zu dem Jungen, der noch immer an der Scheunenwand lehnte und die anderen nur beobachtete.
»Er heißt Joe Kerner und hat zurzeit keine Freundin.«
»Echt jetzt?«
»Ja, echt, wenn die Band gleich wieder spielt, frage ihn doch, ob er mit dir tanzt«, schlug Emilia ihr vor.
»Okay, das mache ich«, sagte Doro und zog das schwarze T-Shirt glatt, das sie zu ihrer schwarzen Jeans trug.
»Du kannst schon losgehen, wir sind gleich soweit.« Markus sprang auf und hängte seine Gitarre wieder um.
Brave Doro, dachte Emilia zufrieden, als sie ihre Schulfreundin gleich darauf mit Joe tanzen sah. Doro hatte verstanden, dass Markus für sie tabu war und hatte sich bereits umorientiert.
*
»Ich dachte schon, ich müsste dich erst entlassen, um herauszufinden, ob aus uns etwas werden kann«, sagte Florian, als er sich mit Ela auf den Rückweg ins Dorf machte.
»Das hattest du aber nicht wirklich vor. Oder?«, fragte sie und für einen Moment hatte sie Angst, dass er es ernst meinte.
»Nein, natürlich nicht. Ich bin froh, dass du bei uns bist, und ich freue mich über jede Minute, die wir zusammen verbringen, auch wenn mir deine unerbittliche Haltung nicht ganz eingeleuchtet hat.«
»Ich bin nicht unerbittlich, ich bin nur vorsichtig.«
»Du traust mir also nicht.«
»Du warst bisher nicht gerade beständig, was deine Bekanntschaften betrifft. Mehr als drei Monate hat keine gehalten, soweit ich das mitbekommen habe.«
»Sibylle meint, dass eine feste Bindung schlecht für meine Karriere wäre.«
»Womit sie vermutlich recht hat.«
»Vielleicht unterschätzt sie die Fans.«
»Sie hat dir doch die Ergebnisse der Umfrage präsentiert, die sie im letzten Jahr hat durchführen lassen.«
»Dass sich die meisten meiner Fans wünschen, ich sei ungebunden, bedeutet aber nicht, dass sie wirklich glauben, dass es so ist.«
»Wenn du auch weiterhin in ausverkauften Hallen auftreten willst, dann solltest du kein Risiko eingehen.«
»Manchmal muss man aber etwas riskieren.«
»Aber nicht zu viel. Nein, bitte nicht!«, rief Ela, als Florian sie auf seine Arme nahm und in einen schmalen Pfad einbog, der durch eine Wiese führte.
»Hast du Angst?«
»Wir sind von Mooren umgeben.«
»Ich weiß«, sagte Florian und ging weiter.
»Ein falscher Schritt, Florian, und wir sind verloren.«
»Dann sollten wir uns eben keinen falschen Schritt erlauben«, entgegnete er und stellte sie ganz behutsam wieder auf ihre eigenen Füße.
»Das Moor würde ihn auch nicht verzeihen.«
»Ich bin in einem Dorf in der Nähe von Pinneberg groß geworden, dort gibt es ein riesiges Moor. Glaube mir, ich bin mir der Gefahren dieser Landschaft bewusst, aber auch ihrer Schönheit. Wenn am Morgen der Nebel über der feuchten Erde aufsteigt, die ersten Sonnenstrahlen ihn durchbrechen und das Licht sich im Wasser spiegelte, dann ist es, als könntest du in eine verborgene unterirdische Welt schauen.«
»Was passiert, wenn die Sonne untergeht?«
»Ich glaube, das könnte schaurig werden.«
»Wieso?«
»Sehen wir es uns an, es dauert nicht mehr lange, dann ist es soweit«, sagte Florian. Er nahm sie wieder an die Hand und führte sie weiter in die Moorlandschaft hinein. Als der Weg nach Westen abbog, setzte er sich auf einen flachen Felsen, der dort aus dem Boden herausragte, und zog Ela auf seinen Schoss.
Welch eine unvermutete Wendung in meinem Leben, dachte Ela und schmiegte sich an ihn. Offensichtlich hatte sie sich in ihm getäuscht. Er meinte es doch ernst mit ihr, und wenn es so war, dann konnte es ihr egal sein, was Sibylle davon hielt.
»Jetzt beginnt der Spuk«, flüsterte Florian und riss sie aus ihren Gedanken.
»Das ist wirklich unheimlich«, sagte sie leise.
Zwischen den Bäumen, die den Pfad durch das Moor säumten, schimmerte ein violetter Himmel und direkt vor ihnen leuchtete die Sonne wie ein roter Lampion, der ihnen den Weg weisen wollte. Schatten strichen über die feuchten Wiesen und ganz allmählich bildete sich Nebel, der sich über der Landschaft ausbreitete.
»Das ist der Atem der Lebewesen, die im Moor umgekommen sind, zumindest hat mein Großvater mir den Nebel früher so erklärt«, sagte Florian.
»Lass uns gehen«, bat Ela, als der Nebel dichter wurde.
»Alles ist gut«, beruhigte Florian sie.
»Mag sein, aber es fühlt sich nicht so an.«
»Und wie fühlt sich das an?«
»Das fühlt sich gut an«, sagte sie leise, als er ihr Gesicht zärtlich streichelte. Alles fühlt sich so lebendig an, dachte sie, als er ihre Lippen mit seinem Mund berührte und sie sich seinem Kuss hingab.
Erst als sie die fröhlichen Stimmen von Emilias und Markus‘ Freunden hörten und die Lichter ihrer Fahrräder durch das hohe Gras schienen, gingen Ela und Florian zurück auf den Weg, der den Mittnerhof mit dem Dorf verband.
Als sie nach ihrem langen Spaziergang durch die Dunkelheit die Hotellobby betraten, wollte Ela ihm schon sagen, dass sie etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen habe, so zuversichtlich war sie auf einmal, dass aus ihnen etwas werden könnte. Aber dann sah sie Sibylle, die in einem Sessel neben dem Eingang saß und sie mit einem Blick musterte, der sie frösteln ließ. Ich muss dieses Gespräch wohl erst einmal aufschieben, dachte sie, als Sibylle sich erhob und auf sie zukam.
»Schön, dass ihr auch mal wieder auftaucht. Hatte ich dich nicht gebeten, es mich wissen zu lassen, falls du herausfindest, wo Florian sich aufhält?«, fuhr sie Ela an.
»Ich hatte dir gesagt, dass ich für die nächsten Stunden nicht erreichbar sein würde. Es gab keinen Grund, dich anzurufen«, sagte Florian.
»Dass ich mir Sorgen mache, das ist kein Grund? Ich meine, du hast mir nicht gesagt, wo du hin wolltest.«
»Ich wollte meine Ruhe, ist das so schwer zu verstehen?«
»Offensichtlich hast du diese Ruhe mit ihr geteilt, aber meinetwegen, ihr seid wohlbehalten wieder hier, vergessen wir die Angelegenheit«, schlug Sibylle einen versöhnlichen Ton an. »Darf ich wenigstens fragen, wo ihr wart?«
»Wir haben ein Konzert besucht«, antwortete Florian.
»Interessant, wo denn?«
»Auf einem Hof.«
»Ein Scheunenkonzert oder was?«
»Richtig, wir waren in einer Scheune.«
»Du liebe Güte, was erwartet mich denn hier auf dem Land noch alles? Du kannst dich doch nicht einfach in einer Scheune herumtreiben, was sollen die Leute denn denken, wenn sie dich statt in deiner Glitzerwelt im Stroh liegen sehen?« Es kostete Sibylle sichtlich Mühe, die Fassung zu bewahren.
»Keine Sorge, die Leute, die mich gesehen haben, denen ist es völlig egal, wo und mit wem ich mich ins Stroh lege.«
»Stopp, erspare mir weitere Einzelheiten. Habt ihr schon zu Abend gegessen?«
»Nein, noch nicht«, sagte Florian.
»Dann treffen wir uns in einer halben Stunde im Restaurant. Vorher haben wir beide aber noch etwas zu besprechen. Begleite mich bitte«, wandte sie sich an Ela.
»Wohin?«
»In meine Suite, nicht aufs Schafott«, antwortete Sibylle, als Ela sie erschrocken ansah.
»Bis nachher«, sagte Florian und ließ die beiden allein. Er hatte seine Musiker in der Hotelbar entdeckt und wollte sich kurz bei ihnen sehen lassen.
»Möchtest du, dass ich dir deinen Vertrag vorlese?« Sibylle lief vor der riesigen Fensterfront ihrer Suite auf und ab, während Ela wie angewurzelt zwischen Sitzgruppe und Schreibtisch stand, auf die Feuerstelle im Kamin starrte und Sibylles Donnerwetter über sich hinwegrollen ließ. »Kein privater Kontakt zu Florian, zumindest keiner, der auf eine Beziehung hinsteuert. Willst du nicht begreifen, wie sehr du ihm mit solchen Annäherungen schadest?«
»Warum überlässt du das nicht ihm?«
»Weil ihm der große Überblick fehlt. Jemand wie er lebt in einer Scheinwelt, das muss dir doch klar sein. In der Welt der Stars herrschen andere Gesetze, bricht man sie, bricht auch diese äußerst fragile Welt auseinander, die Sterne verlieren ihre Leuchtkraft, und dann fallen sie ins Bodenlose. Glaube mir, ich habe das schon oft genug erlebt. Willst du Florian das wirklich antun?«
»Entschuldige mich«, bat Ela, als ihr Telefon läutete. »Diesen Anruf kann ich nicht ablehnen«, sagte sie, als sie es aus ihrer Handtasche nahm und das Foto ihrer Mutter auf dem Display aufleuchtete. »Hallo, Mama, wie geht es dir?«, fragte sie leise. Sie stellte ihre Handtasche auf das Sofa und ging ans andere Ende des Zimmers. Dass ihre Handtasche auf dem Sofa umfiel und der Mutterpass, den Anna ihr ausgestellt hatte, herausfiel, konnte sie nicht sehen.
»Alles wie immer, mein Schatz«, hörte sie ihre Mutter sagen.
»Du wolltest doch deine Werte kontrollieren lassen.«
»Ja, schon.«
»Und?«
»Es geht so.«
»Mama, bitte, die Wahrheit.«
»Sie haben sich ein bisschen verschlechtert.«
»Ein bisschen?«
»Ach, Kind, nun lass es doch gut sein, ich komme schon zurecht.«
»Das alte Lied? Eine Kur wäre schon gut, aber die bekommen wir nicht genehmigt, Frau Wiesner. Das hat dein Arzt gesagt, richtig?«
»Es ist ja auch eine teure Angelegenheit.«
»Wir bekommen das hin, Mama, das verspreche ich dir. Nächste Woche bin ich für ein paar Tage in München, dann besuche ich dich.«
»Ich freue mich darauf, meine Kleine.«
»Bis dann, Mama.«
»Die Behandlungen deiner Mutter sind teuer, du musst gut verdienen, wenn du sie unterstützen willst«, sagte Sibylle, als Ela sich ihr wieder zuwandte. »Wie soll das in Zukunft gehen?«
»Was soll das heißen?« Ela fühlte ihr Herz schneller schlagen, als Sibylle sie mit versteinerter Miene musterte.
»Das heißt, ich vermute, dass du die Regeln verletzt hast. Oder was soll ich davon halten?« Sibylle holte den Mutterpass hervor, den sie hinter ihrem Rücken verborgen hatte.
»Hast du meine Handtasche durchwühlt?«
»Das war nicht nötig.« Sibylle deutete auf die Tasche, die auf dem Sofa lag.
Auch Elas Portemonnaie, ein Notizbuch, Haarspangen und Kugelschreiber waren herausgefallen. Eilig sammelte sie alles wieder ein und nahm Sibylle den Mutterpass aus der Hand.
»Wer ist der Vater des Kindes?«
»Das geht dich nichts an.«
»Hört, hört, unsere Ela hat einen heimlichen Verehrer«, höhnte Sibylle.
»Ich bin nicht verpflichtet, dir darüber Auskunft zu geben.« Bevor sie Florian nicht gesagt hatte, dass er der Vater des Kindes war, würde sie es Sibylle auf keinen Fall eröffnen.
»Als Tourneebegleitung kommst du so aber nicht mehr für uns infrage. Das ist zu anstrengend in deinem Zustand. Vielleicht wäre es sogar am besten, du beschränkst dich ausschließlich auf Büroarbeiten, vielleicht sogar von zu Hause aus. Was meinst du? Allerdings könnte ich dir dann die ganzen Zulagen, die es für unsere Reisen gibt, nicht mehr bezahlen. Wenn ich allerdings wüsste, wer der Vater ist.«
»Nein, Sibylle«, sagte Ella und zog die Tür zum Gang auf. Es reichte, sie brauchte erst einmal ein paar Minuten, um sich zu sammeln, bevor sie Sibylle noch etwas entgegnete, was sie vielleicht später bereute.
»Du willst mir also nicht sagen, mit wem du dich eingelassen hast?«
»Wie gesagt, es geht dich nichts an.«
»So kommst du mir nicht davon, meine Liebe.« Sibylle ging ihr nach und packte sie am Arm.
»Lass das, bitte.« Ela versuchte sie abzuschütteln, aber Sibylle hielt ihren Arm umklammert. Sie ahnt es, dachte sie, als sie das zornige Funkeln in ihren hellen blauen Augen sah.
Florian, der auf dem Weg zu seiner Suite war, um sich für das Abendessen umzuziehen, sah auf, als er die Stimmen am anderen Ende des Ganges hörte. Ela, die offensichtlich die Suite seiner Managerin verlassen wollte, stand mit dem Rücken zu ihm und konnte ihn nicht sehen.
»Wie lange wolltest du uns diese Schwangerschaft verheimlichen?«, fragte Sibylle.
Florian blieb stehen, von was sprachen die beiden?
»Ich hätte es dir schon noch mitgeteilt«, hörte er Ela sagen.
»Also gut, noch einmal. Wer ist der Vater? Oder anders gefragt, ist Florian der Vater deines Kindes?«
»Nein, ist er nicht«, log Ela. Sibylle war so wütend und diese Lüge war die einzige Möglichkeit, sie erst einmal zu beruhigen. Sie durfte ihren Job jetzt nicht riskieren. Ihrer Mutter ging es wieder schlechter, sie brauchte ihre Hilfe, und ob Florian sich wirklich zu ihr bekannte, das war doch noch gar nicht sicher. »Hör zu, Sibylle, ich versichere dir, meine Arbeit wird nicht unter dieser Schwangerschaft leiden. Du kannst dich nach wie vor auf mich verlassen.«
»Wir werden sehen. Ich würde es allerdings schon begrüßen, wenn du mir den Vater des Kindes vorstellen würdest, weil ich dann wüsste, dass du nicht allein dastehst. Ich meine, dann könnte ich auch wieder langfristig mit dir planen, weil du einen Rückhalt hättest, was das Kind betrifft.«
»Du kannst auch so mit mir planen.«
»Willst du den Mann, den du liebst, vor uns geheim halten? Oder warte, jetzt begreife ich es«, sagte Sibylle, als Ela zu Boden schaute. »Der Vater deines Kindes hat sich längst verabschiedet, und du kleine durchtriebene Schlange hast geplant, Florian dieses Kind unterzuschieben. Ist es nicht so?«
»Ich habe keine Lust mit dir darüber zu reden.«
»Natürlich nicht, das ist auch sehr unangenehm für dich.« Sibylle sah an Ela vorbei und fing Florians entsetzten Blick auf, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und in den Lift stieg. Das hat gesessen, dachte sie, und sie war unendlich erleichtert, dass das, was auch immer zwischen Florian und Ela gewesen sein mochte, endlich vorbei war.
»Entschuldige mich.« Ela spürte, wie die Übelkeit in ihr hochstieg. Sie eilte durch den Gang, schloss mit zitternden Fingern ihre Zimmertür auf und lief ins Bad.
Nie wieder werde ich mich ernsthaft in eine Frau verlieben, dachte Florian und schluckte die Tränen hinunter. Er hätte es wissen müssen. Für Ela war er nur ein kleiner Flirt gewesen. Das erklärte auch, warum sie diese strikte Trennung zwischen Arbeit und Privatleben ins Spiel brachte, das ersparte ihr weitere Erklärungen, und er war auch noch so dumm und hatte es ihr als konsequente Haltung hoch angerechnet. Und heute hatte sie diesen Flirt aus reinem Zeitvertreib noch einmal aufleben lassen. Es war ihr offensichtlich völlig egal, wie er sich dabei fühlte. Ganz abgesehen von dem armen Mann, dem Vater ihres Kindes, mit dem sie vielleicht auch nur ein bisschen spielte. Wie konnte ein so schönes und unschuldig aussehendes Wesen so egoistisch sein? Er musste sich jetzt mit irgendetwas ablenken, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Eines stand jedenfalls fest, Ela konnte nicht länger für ihn arbeiten. Sie jeden Tag zu sehen und zu wissen, dass sie ihn nicht für ernst nahm, das würde er nicht aushalten.
*
Ela saß auf dem Rand der Badewanne und atmete ein paar Mal tief durch, bevor sie eine der Ingwertabletten zerkaute, die sie in ihrer Handtasche immer bei sich hatte. »Es tut mir leid, dass ich deinen Vater verleugnet habe«, flüsterte sie und strich sanft über ihren Bauch. »Weißt du was, ich werde jetzt mit ihm sprechen. Ich werde ihm von dir erzählen, und dann werden wir sehen, wie er sich dazu stellt.« Ela hatte genug von diesem Hin und Her. Florian hatte ihr doch das Gefühl gegeben, dass er mehr von ihr wollte als nur einen kleinen Flirt.
Nachdem sie sich wieder besser fühlte, fuhr sie mit dem Lift hinunter in die Lobby, um im Restaurant auf Florian zu warten. Als sie an der Bar vorbeikam, glaubte sie seine Stimme zu hören. Sie blieb zunächst an der Tür stehen und schaute sich in dem schummrig beleuchteten Raum um.
Auf der einen Seite die Bar aus dunklem glänzenden Holz, die Barhocker davor mit blauem Leder bezogen, auf der anderen Seite runde Tische und blaue Sofas. Sie entdeckte Florian ganz hinten am letzten Tisch und das, was sie dort sah, trieb ihr die Tränen in die Augen. Er war umringt von attraktiven jungen Frauen, die sich angeregt mit ihm unterhielten. Auf seinem Schoss saß eine Blondine, schön und elegant gekleidet. Sie hatte die Arme um seinen Nacken gelegt, und als auch er sie umfasste, beugte sie sich über ihn und küsste ihn.
»Nein«, flüsterte Ela und wandte sich ab.
»Ich bitte dich, das ist doch der Normalzustand, das weißt du doch. Mal ist es die, mal die andere«, sagte Sibylle, die in diesem Moment die Bar betreten wollte. »Du siehst, dein Plan, ihn zum Vater deines Kindes zu machen, war völlig irrsinnig. Darauf hätte er sich niemals eingelassen, dazu liebt er seine Freiheit viel zu sehr. Er würde sich niemals das Kind eines anderen unterschieben lassen.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Ja, lauf davon, wir wollen sowieso nichts mehr mit dir zu tun haben«, murmelte Sibylle, als Ela in die Nacht hinausrannte. »Wollten wir uns nicht zum Essen treffen?«, säuselte sie, als sie sich gleich darauf zu Florian an den Tisch setzte und so tat, als würde sie die Frauen gar nicht wahrnehmen.
»Würdest du so nett sein und mich allein lassen«, bat Florian die Frau auf seinem Schoss.
»Vielleicht sehen wir uns später noch einmal«, sagte sie und zwinkerte ihm zu. »Kommt, Mädels, wir gehen an die Bar«, forderte sie die anderen Frauen auf.
»Dass unser Mädchenabend so spannend wird, das hätte ich nicht gedacht«, flüsterte eine dralle Dunkelhaarige, deren Wangen vor Aufregung glühten. »Aber das war schon ein bisschen heftig, was du da gerade abgezogen hast«, wandte sie sich an die Blondine.
»Meine Mutter hat immer gesagt, am Ende deines Lebens wirst du nur die Dinge bereuen, die du nicht getan hast, alles, was du getan hast, hat dich das Leben spüren lassen«, antwortete die Blondine lächelnd.
»Du lässt mal wieder nichts anbrennen, Florian«, stellte Sibylle kopfschüttelnd fest.
»Das hat nichts zu bedeuten, in der Liebe hat nichts etwas zu bedeuten.«
»Das klingt verbittert. Könnte es sein, dass ich etwas verpasst habe?«
»Ich habe gehört, was Ela vorhin zu dir gesagt hat.«
»Ja, ich weiß, ich dachte nur nicht, dass es dich derart verletzt«, sagte sie und gab sich mitfühlend.
»Mir ist heute nicht nach Abendessen, Sibylle.«
»Sicher nicht.«
»Ich denke, wir müssen uns von Ela trennen«, sagte Florian und trank von dem Weißwein, der vor ihm stand.
»Das wird das Beste sein«, stimmte Sibylle ihm zu, und sie hatte große Mühe, ihr zufriedenes Lächeln zu verbergen. »Ich bin gleich wieder da, ich hole mir nur schnell etwas zu trinken.« Sie stand auf, ging zur Bar und bestellte ein Glas Champagner, das sie sofort mit großem Genuss leerte.
Ela saß auf der halbhohen Mauer, die den Garten des Hotels von der Straße trennte, und schaute auf das Dorf hinunter. Die Straßenlaternen brannten, die Fenster der Häuser waren beleuchtet und die Berge ragten wie mächtige Schatten an den Sternenhimmel. Sie hatte sich etwas eingebildet, was niemals sein würde, nun musste sie für ihre Einfalt bezahlen. Sibylle würde ihr kündigen, und ihr Stolz ließ es nun nicht mehr zu, Florian von dem Kind zu erzählen.
»Ich will es auch gar nicht mehr«, sagte sie laut, weil sie sich irgendwie Luft machen musste.
»Was wollen Sie nicht mehr?«
»Doktor Seefeld?« Ela schaute den jungen Arzt überrascht an, der im Schritttempo und mit offenem Fenster die Hoteleinfahrt herunterfuhr. »Was machen Sie denn hier?«
»Ein Hotelgast liegt mit Fieber im Bett.«
»Es besteht aber keine Seuchengefahr?«, fragte Ela und versuchte ein Lächeln.
»Nein, keine Seuchengefahr«, antwortete Sebastian freundlich. »Was ist mit Ihnen, Frau Wiesner? Sie sehen aus, als könnten Sie jemanden zum Reden gebrauchen.« Er hielt seinen Wagen an, als er die Tränen sah, die Ela über das Gesicht liefen.
»Ich mache es lieber mit mir selbst aus, sonst müsste ich zugeben, dass ich ganz schön naiv war.«
»Dann geben Sie es doch zu. Wir sind alle irgendwann einmal naiv, deshalb muss sich niemand schämen.«
»Aber ich schäme mich.«
»Was meinen Sie, wollen Sie nicht doch mit mir reden?«
»Wenn Sie einen Moment Zeit haben.«
»Ich bin gleich wieder bei Ihnen.« Sebastian spürte, dass Ela etwas schwer auf der Seele lastete. Er brachte es nicht fertig, sie einfach allein da sitzen zu lassen. Er parkte seinen Wagen auf der Straße, ging zurück zu ihr und setzte sich neben sie auf die Mauer. »Also, was ist los?«, fragte er und schaute sie an.
»Ich dachte, es wird alles gut, stattdessen ist alles zerstört.«
»Das heißt?«
»Florian ist der Vater meines Kindes, wissen Sie.«
»Sie haben es ihm gesagt?« Sebastian ließ sich nicht anmerken, dass er es bereits von Anna wusste.
»Nein, und ich werde es auch nicht tun.«
»Warum nicht?«
»Weil er sich nicht wirklich für mich interessiert.«
»Emilia hat uns heute beim Abendessen etwas anderes erzählt. Sie meinte, dass Sie und Florian König mega verliebt seien, wie sie es ausdrückte.«
»Ja, heute Nachmittag, da schien wirklich alles perfekt, aber dann vorhin.« Ela schluchzte leise auf.
Sebastian gab ihr Zeit, wartete, bis sie sich beruhigt hatte.
»Es hat so wehgetan«, sagte sie, und dann erzählte sie ihm von ihrem Nachmittag auf dem Mittnerhof, ihrem Spaziergang im Moor und wie groß ihre Enttäuschung gewesen war, als sie Florian dann in der Bar gesehen hatte. Sie ließ auch ihre unschöne Auseinandersetzung mit Sibylle und ihre Lüge über den Vater ihres Kindes nicht aus, und sie zitierte auch den Passus in ihrem Vertrag, der ihr verbot, sich mit Florian einzulassen.
»Wo willst du hin?«, fragte Sibylle, als sie mit zwei Gläsern Champagner an Florians Tisch zurückkam und er aufstehen wollte.
»Ich halte es hier nicht aus, Sibylle.«
»Und was hast du vor?«
»Vielleicht gehe ich spazieren.«
»Ich komme mit.«
»Nein, ich möchte allein sein.«
»So, wie du gerade drauf bist, mache ich mir aber Sorgen, wenn ich dich einfach so ziehen lasse.«
»Sibylle, hör auf mit diesem Unsinn. Ich kann sehr gut auf mich aufpassen.«
»Nein, kannst du nicht, sonst wärst du heute nicht mit Ela herumgezogen.«
»Ich bin nicht mit ihr herumgezogen.«
»Warum willst du nicht sehen, wer dir wirklich guttut?«
»Wer soll das sein? Du?«
»Wir beide sind doch ein wunderbares Team.«
»Aber ich will niemanden, der mir nur guttut, ich will eine Frau, die mich liebt und die ich liebe. Und jetzt entschuldige mich.«
»Ja, natürlich.« Du wirst es schon noch begreifen, was du an mir hast. Irgendwann, wenn dein Stern untergeht und niemand mehr nach dir fragt, dann wirst du mir gehören, dachte Sibylle und trank einen großen Schluck von ihrem zweiten Glas Champagner.
»Vielleicht war es nur ein Spaß«, sagte Sebastian, nachdem Ela innehielt und er ihr ein Taschentuch reichte, damit sie ihre Tränen trocknen konnte.
»Dass er nach diesem Tag mit mir keine halbe Stunde braucht, bevor er eine andere küsst, das soll ein Spaß sein?«
»Manchmal hat man als Beobachter einen anderen Eindruck von der Wirklichkeit.«
»Ein Kuss ist ein Kuss. Oder nicht?«
»Das ist schon wahr. Aber nachdem, was sie mir von ihrem Tag mit Florian erzählt haben, kann ich sein Verhalten nicht wirklich nachvollziehen.«
»Wie Sibylle gesagt hat, er ist eben so.«
»Sie sollten ihm trotzdem von dem Kind erzählen.«
»Würden Sie es wissen wollen, wenn eine Frau, die sie nicht lieben, ein Kind von Ihnen erwartet?«
»Ja, ich würde es wissen wollen, und ein Kind sollte auch erfahren, wer sein Vater ist. Ich meine, Florian König ist kein Unmensch, dessen Existenz sie einem Kind vorenthalten müssten.«
»Ich werde darüber nachdenken, Herr Doktor Seefeld. Was mir im Moment aber am meisten Sorgen macht, das ist etwas anderes«, sagte sie und erzählte Sebastian nun auch von der Krankheit ihrer Mutter. »Was ist das?« Sie schaute auf die Visitenkarte, die er ihr gab, nachdem er die Adresse einer Klinik auf die Rückseite geschrieben hatte.
»Das ist eine Rheumaklinik in der Nähe von Bad Wildungen. Dort wurde schon einigen Patienten geholfen, die nicht mehr an eine Besserung ihres Zustandes glaubten. Der leitende Arzt dort ist ein guter Bekannter von mir. Berufen Sie sich auf mich und vereinbaren Sie einen Untersuchungstermin für Ihre Mutter. Sollte jemand versuchen Sie abzuwimmeln, sagen Sie mir Bescheid. Ich werde mich dann um einen Termin kümmern.«
»Vielen Dank, das macht mir wieder ein wenig Hoffnung.«
»Ich wünschte, ich hätte auch eine Lösung für Ihr anderes Problem.«
»Das werde ich wohl allein lösen müssen. In München gibt es einige Eventagenturen, vielleicht wird dort jemand gesucht. Ich werde mich auf jeden Fall dort vorstellen.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück.« Sebastian erhob sich und reichte Ela seine Hände, um ihr von der Mauer herunterzuhelfen.
»Glück kann ich gebrauchen. Machen Sie es gut, Doktor Seefeld, und vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.« Ela stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Sebastian auf die Wange, bevor sie sich umdrehte und zum Eingang des Hotels zurückging.
Das ist wohl der Mann, den sie liebt und von dem sie ein Kind erwartet, dachte Florian. Er hatte die beiden gleich gesehen, als er aus dem Hotel kam. Es tat ihm weh, wie vertraut sie miteinander waren und dass sie sich offensichtlich einiges zu erzählen hatten. Er schaute zu, wie Ela sich von diesem fremden Mann verabschiedete, genau wie er sah auch er ihr nach, bis sie im Eingang des Hotels verschwunden war. Er wollte sich schon umdrehen und den Dingen einfach ihren Lauf lassen, aber dann sah er Ela wieder vor sich, wie er sie am Nachmittag in seinen Armen hielt, und plötzlich gewann die Verletzung, die sie ihm mit ihrem Verhalten beigebracht hatte, die Oberhand über seinen Stolz. Er ging auf den Mann zu, der gerade in den Geländewagen steigen wollte, der auf der Straße parkte.
»Darf ich Sie kurz sprechen?«, fragte er, als der Mann aufschaute.
»Was kann ich für Sie tun, Herr König?« Sebastian hatte den Sänger gleich erkannt, als er aus dem Schatten eines Baumes heraustrat und das Licht der Straßenlaterne auf sein Gesicht fiel.
»Wie lange geht das schon mit Ela und Ihnen?«
»Bitte?« Sebastian sah Florian verblüfft an.
»Ich meine, Sie und Ela, Sie sind doch ein Paar.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe Sie gerade zusammen gesehen.«
»Wir haben geredet.«
»Dieses Gespräch schien sehr vertraulich.«
»Stimmt, es war vertraulich. Sebastian Seefeld, mir gehört die Landarztpraxis in Bergmoosbach«, stellte sich Sebastian vor.
»Sie sind Emilias Vater. Verzeihung, Doktor Seefeld, ich bin ein Trottel, ein eifersüchtiger Trottel«, fügte Florian mit einem tiefen Seufzer hinzu. Er fühlte sich wie ein unreifer Teenager, der einfach drauflospreschte, um seiner Enttäuschung Luft zu machen und dabei den falschen attackierte. »Ist Ela etwa krank?«, erkundigte er sich besorgt.
»Nein, krank ist sie nicht.«
»Aber? Da schwang doch eben ein Aber in Ihrer Antwort mit.«
»Was halten Sie von einem Glas Honigbier im Garten der Brauerei?« Möglicherweise hatte Ela sich getäuscht, was Florians Gefühle für sie betraf. Ob es so war, das wollte er jetzt herausfinden.
»Einverstanden, gehen wir in den Biergarten«, sagte Florian. Der junge Arzt war ihm sofort sympathisch, und dieses Gespräch, was er ihm gerade angeboten hatte, wollte er auf keinen Fall ausschlagen. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren, was seine Liebe zu Ela anging.
»Steigen Sie ein«, forderte Sebastian ihn freundlich auf, nachdem er sich hinter das Steuer seines Wagens gesetzt hatte und die Beifahrertür für Florian öffnete.
»Du siehst nicht gut aus«, stellte Lina fest, als sie auf ihrem Weg in die Bar, wo die anderen Musiker auf sie warteten, Ela in der Hotellobby begegnete.
»Mir geht es auch nicht besonders gut. Wenn jemand nach mir fragt, ich bin schlafen gegangen.«
»Alles klar, dasselbe hat mir Sibylle gerade eben auch gesagt. Ihr habt wohl die Managermüdigkeit oder so etwas«, fügte Lina lachend hinzu.
»Ja, möglich, einen schönen Abend noch, Lina.«
»Danke, wo ist nur ihre Fröhlichkeit hin«, murmelte Lina, als sie weiterging.
Das Gespräch mit Sebastian hatte Ela geholfen, sich ein wenig zu beruhigen, aber wirklich schlafen konnte sie nicht. Sie ging mit einer Decke hinaus auf den Balkon und legte sich in den Liegestuhl. Morgen früh würde sie ihre Kündigung schreiben. Sie hatte nicht vor, sich weiterhin demütigen zu lassen, weder von Florian noch von Sibylle. Sie hatte mit dem Leben der beiden nichts mehr zu schaffen. Das Konzert würde sie sich aber noch ansehen. Es sollte ihr Abschied von Florian werden, danach würde sie Sibylle die Kündigung überreichen und gehen.
*
Im Biergarten waren fast alle Plätze belegt. Die Windlichter, die auf den Tischen standen, flackerten im sanften Abendwind, warfen lange Schatten auf die roten Backsteinwände der Brauerei und spiegelten sich im Bach, der am Biergarten vorbeifloss.
»Guten Abend, Doktor Seefeld.« Eine der Kellnerinnen, die in dunkelroten Dirndl hin und her flitzten, blieb stehen, als Sebastian den Biergarten betrat.
»Gibt es noch ein ungestörtes Plätzchen für uns, Irmgard?«, fragte Sebastian.
»Mei, der Florian«, flötete Irmgard, die älteste Kellnerin im Biergarten, und pustete ihre grauen Löckchen aus der Stirn, um Florian besser ansehen zu können.
»Freilich, der Platz vom Chef ist frei«, sagte sie leise, als die ersten Gäste aufschauten und Florian rasch den Kopf senkte, damit er nicht gleich erkannt wurde. »Er ist doch noch auf Verlobungsreise in Meran. Aber das wissen Sie ja, Herr Doktor«, fügte sie hinzu.
»Ja, ich bin über alles informiert«, entgegnete Sebastian lächelnd. Leonhard Schwartz, der Eigentümer der Brauerei, war einer seiner engsten Freunde, und er war dabei gewesen, als er sich vor kurzem mit einer jungen Imkerin verlobt hatte.
»Was darf ich bringen?«, fragte Irmgard.
»Zwei Honigbier«, bat Sebastian.
»Kommt gleich«, sagte Irmgard und stapfte mit den sechs leeren Maßkrügen, die sie von einem der Tische geholt hatte, in die Brauerei.
Sebastian führte Florian an einen Tisch, der durch eine dichtgewachsene Thuja – Hecke vor neugierigen Blicken geschützt war. Der frische Duft der Lebensbäumchen hatte eine beruhigende Wirkung auf Florian und er entspannte sich ein wenig.
»Emilia hat von Ihrem Gitarrenspiel geschwärmt. Sie meinte, Sie wären ein phantastischer Bluesmusiker.«
»Ich wünschte, ich wäre phantastisch, aber dazu müsste ich mich ganz dieser Musik widmen, was ich aber schon lange nicht mehr tue. Aber dieser Junge, Markus, der Freund Ihrer Tochter, er ist wirklich gut, er spielt noch mit seiner ganzen Seele.«
»Eine der Größen des Blues John Lee Hooker hat einmal gesagt, der Blues existiert seitdem die Welt existiert. Der Blues ist die Wurzel der Musik. Soweit können Sie also auch im Moment nicht davon entfernt sein.«
»Ja, mag sein. Danke«, sagte Florian, als Irmgard zwei Honigbier und ein Körbchen mit warmen Brezeln brachte.«
»Die Leut haben mich schon gefragt, ob es sein könnt, dass der Florian König bei uns ist. Ich hab’s ihnen aber ausgeredet«, erklärte Irmgard mit Verschwörermiene.
»Danke, Irmgard«, sagte Sebastian und schenkte ihr ein charmantes Lächeln.
»Mei, Herr Doktor, für dieses Lächeln tät ich sogar eine ordentliche Lüge verbreiten«, erklärte sie und huschte davon.
»Offensichtlich haben nicht nur Künstler ihre Fangemeinde«, stellte Florian amüsiert fest.
»Wobei Ihre Fans vermutlich empfindlicher sind als meine. Zumindest, wenn es um das Privatleben geht.«
»Ela hat Ihnen von der Auffassung meiner Managerin erzählt, dass es besser für meine Karriere sei, allein zu bleiben?«
»Sie hat es erwähnt.«
»Ist auch egal, Ela ist ohnehin nicht wirklich an mir interessiert, sonst hätte sie sich nicht einem anderen zugewandt.«
»Wie kommen Sie darauf, dass sie das getan hat?«
»Ich war vorhin Zeuge eines Gespräches, das nicht für meine Ohren bestimmt war«, sagte Florian und erzählte Sebastian, was er auf dem Weg zu seiner Suite mitangehört hatte.
»Warum haben Sie nichts dazu gesagt? Es ging doch auch um Sie?«
»Dass Ela ein Kind von einem anderen erwartet, hat mich geschockt. Ich dachte doch, dass sie etwas für mich empfindet, aber das war nur ein schöner Traum, der nun leider vorbei ist.« Florian trank einen Schluck von dem Honigbier und schaute auf die Gebirgskette, die in der Dunkelheit beinahe bedrohlich wirkte.
»Ela hat Sie in der Hotelbar gesehen«, sagte Sebastian.
»Das hat sie Ihnen erzählt?« Florian schaute Sebastian verblüfft an.
»Es hat sie verletzt.«
»Warum? Sie will doch nichts von mir, und ich musste die tiefe Wunde, die sie mir zugefügt hat, irgendwie betäuben.«
»Manchmal gibt es auf dieselbe Frage verschiedene Antworten. Je nachdem, wer fragt.«
»Ich weiß, wenn ich Sibylles Logik folge, hätte Ela mir geantwortet, das Kind sei von mir, um mich als Vater zu benutzen.«
»Kennen Sie Elas Vertrag?«
»Wie kommen Sie jetzt auf den Vertrag?«, wunderte sich Florian.
»Kennen Sie ihn?«
»Nein, darum kümmert sich meine Managerin.«
»Deshalb bekommt sie die Antworten, die sie hören will.«
»Sie sprechen in Rätseln, Doktor Seefeld.«
»Es gibt Dinge, die jeder selbst klären muss. Ich kann nicht entscheiden, wer von Ihnen beiden, wann etwas erfahren sollte. Aber ich kann Ihnen sehr wohl den Rat geben, dass Sie wissen sollten, welche Verträge in Ihrem Unternehmen abgeschlossen werden.«
»Doktor Seefeld, ich danke Ihnen.« Florian wusste, dass Sebastian Seefeld ihm nicht diesen Rat erteilen würde, wenn es nicht wichtig für ihn und sein Verhältnis zu Ela wäre. »Ich denke, ich werde die Angelegenheit noch heute klären«, sagte er und verabschiedete sich wenig später von Sebastian.
»Hallo, Sebastian, Irmgard sagte mir, dass du hier bist.«
»Anna, schön dich zu sehen, setz dich zu mir«, sagte Sebastian, als Anna zu ihm an den Tisch kam, kurz nachdem Florian gegangen war.
»Florian König kam gerade aus dem Biergarten. Irmgard meinte, er sei mit dir hier gewesen.«
»Das stimmt.«
»Wo hast du ihn kennengelernt?«
»Das erzähle ich dir gleich. Möchtest du auch ein Honigbier?«
»Ein ganzes Glas ist mir heute zu viel. Ich trinke lieber eine Limonade.«
»Irmgard, bitte zwei Limonaden!«, rief Sebastian, als die Kellnerin um die Hecke herumschaute. »Das Glas Honigbier teilen wir uns«, schlug Sebastian vor und stellte sein noch beinahe volles Bierglas vor Anna auf den Tisch.
»Gute Idee.« Sie hob das Glas an, um einen großen Schluck davon zu trinken, und schob es dann wieder über den Tisch zurück zu Sebastian. »Und jetzt möchte ich hören, warum du mit Florian König hier warst«, sagte sie und schaute Sebastian an.
*
»Hast du Ela gesehen?«, wollte Florian von Lina wissen, die in der Tür zur Bar stand und mit einem jungen Mann flirtete, der auf einem Barhocker saß und sie betrachtete.
»Sie schläft schon«, sagte Lina, ohne sich von dem jungen Mann in dem hellen Anzug abzuwenden.
»Und Sibylle?«
»Sie ist auch schlafen gegangen.«
»Gut, dann möchte ich mit dir und den anderen sprechen.«
»Jetzt?«
»Wenn es irgendwie geht«, antwortete Florian und streifte den Mann auf dem Barhocker mit einem skeptischen Blick.
»Okay, ich stehe sowieso nicht wirklich auf Businesstypen«, sagte Lina und wandte sich Florian mit einem Lächeln zu. »Leute, der Boss möchte etwas mit uns besprechen«, verkündete sie, als sie und Florian sich gleich darauf an den Tisch setzten, an dem Karin mit dem Schlagzeuger und den beiden Gitarristen saß.
»Um was geht es?«, fragte Timo, der mit den Fingern im Takt auf der Tischkante trommelte, weil er gerade wieder eine Melodie im Kopf hatte.
»Ich würde gern die Verträge sehen, die Sibylle mit euch geschlossen hat.«
»Wieso denn das?« Timo hörte auf zu trommeln und strich seine dunklen Locken aus dem Gesicht.
»Willst du uns kündigen?« Simon wurde noch blasser als er sonst war, und auch Martin und die beiden Frauen sahen Florian entsetzt an.
»Nein, ich will niemandem kündigen, ich will nur wissen, ob irgendetwas Außergewöhnliches in den Verträgen steht, irgendetwas, was ich wissen sollte.«
»Also bei mir nicht«, sagte Timo und die beiden Gitarristen schlossen sich ihm an.
»Bis auf diesen einen idiotischen Passus, steht bei mir auch nichts Besonders drin.«
»Bei mir steht auch nur dieser eine bekloppte Satz, den alle weiblichen Mitarbeiter unterschreiben müssen«, stimmte Karin Lina zu.
»Was musstet ihr unterschreiben?«
»Dass wir keine private Beziehung mit dir eingehen. Sollten wir es doch tun und deine weiblichen Fans verübeln es dir, weil du dann nicht mehr frei bist, dann kann Sibylle uns für deinen entgangenen Gewinn haftbar machen«, gab Lina wieder, was in ihrem Vertrag stand.
»Das mit dem Schadensersatz ist doch Unsinn.«
»Mag sein, aber wer sich bisher mit Sibylle angelegt hat, der hat verloren. Ihr Vater ist Rechtsanwalt, ihre drei Brüder sind Rechtsanwälte, gute Rechtsanwälte, die fast immer gewinnen.«
»Dieser Passus wird gestrichen.«
»Heißt das, du willst etwas mit Karin und mir anfangen?«, fragte Lina lächelnd.
»Ich glaube, er denkt da eher an Ela«, sagte Karin.
»Richtig, ich denke an Ela«, gab Florian zu. Er wusste nun, warum Sebastian Seefeld wollte, dass er sich mit den Verträgen seiner Mitarbeiter beschäftigte. Sibylle hatte Ela in die Enge getrieben und er hätte ihr beistehen müssen, stattdessen war er geflüchtet und hatte sich unmöglich benommen. Er wusste nun auch, dass dieses Kind, das Ela erwartete, von ihm war, das war es, was Sebastian Seefeld ihm eigentlich sagen wollte.
»Was ist? Du siehst aus, als würdest du gerade etwas Interessantes planen«, sagte Timo und fing Florians Blick auf.
»Richtig, ich plane etwas und dabei brauche ich eure Hilfe.«
»Und das wäre?«, fragte Lina und ihre Augen glänzten vor Aufregung.
»Gleich, ich hole mir nur schnell ein Glas Wasser«, sagte Florian.
*
»Was machst du da?«, fragte Lina, als sie am nächsten Vormittag Ela in ihrem Zimmer aufsuchte, weil sie nicht zum Frühstück erschienen war, und sie mit ihrem Laptop im Bett saß und auf den Monitor starrte.
»Ich überlege, wie ich meine Kündigung formulieren soll.«
»Du willst kündigen? Warum?«, fragte Lina und setzte sich zu Ela aufs Bett.
»Weil ich Florian in Zukunft nicht mehr begegnen will.«
»Florian oder Sibylle?«
»Beiden nicht.«
»Heißt das, dass du heute auch nicht mehr zu unserem Auftritt kommst?«
»Doch, ich werde kommen, aber das wird das letzte Mal sein, dass ich mir Florian auf der Bühne ansehe.«
»Ehrlich gesagt, das glaube ich nicht.«
»Für mich ist heute der letzte Abend mit Florian«, betonte Ela erneut.
»Okay, wie du meinst, aber versprich mir, dass du heute Abend auch ganz bestimmt da sein wirst. Ich möchte dich noch einmal im Publikum sehen.«
»Versprochen«, sagte Ela.
»Ich verlasse mich darauf.«
»Ich werde da sein.«
»Also dann, bis später«, verabschiedete sich Lina und ließ Ela allein. Sie hatte die Mission, mit der Florian sie beauftragt hatte, erfüllt. Ela würde ins Festzelt kommen.
Ela blieb den ganzen Tag in ihrem Zimmer. Sie wollte weder Florian noch Sibylle über den Weg laufen. Da die beiden sich auch nicht bei ihr meldeten, ging sie davon aus, dass sie sie ohnehin bereits aus ihrem Team ausgeschlossen hatten.
Noch einmal zog sie ihr Lieblingskleid an, das sie getragen hatte, als sie Florian das erste Mal auf der Bühne gesehen hatte. Es war aus weißem Leinen, schulterfrei und mit goldfarbenen Seidenborten an Saum und Dekolleté eingefasst. Das braune Haar fiel ihr gerade auf die Schultern und umrahmte ihr schönes Gesicht. Nachdem sie ihre Augen mit Wimperntusche, Kajalstift und Lidschatten ein wenig betont hatte, machte sie sich auf den Weg zum Festzelt.
Der Parkplatz dort war schon besetzt, offensichtlich waren auch einige Fans aus den Nachbarorten gekommen. Vor dem Eingang des Zeltes stand noch eine lange Warteschlange, der Einlass hatte gerade erst begonnen.
»Hallo, Doktor Seefeld, hallo, Frau Bergmann, ich wusste gar nicht, dass Sie auch kommen würden«, wunderte sie sich, als sie die beiden unter den Besuchern des Konzertes entdeckte.
»Sebastian hat heute Morgen einige Eintrittskarten per Boten erhalten und mich gefragt, ob ich ihn begleiten möchte«, erzählte Anna.
»Das kann nur Florian veranlasst haben. Ich war es nicht, und Sibylle kommt ganz bestimmt nicht auf so eine Idee.«
»Er hat ja auch Emilia und ihre Freunde eingeladen, und wie Sie sehen, sind auch alle gekommen«, sagte Sebastian und machte Ela auf die jungen Leute aufmerksam, die ganz vorn in der Schlange standen.
»Florian muss sie gestern mit seinem Gitarrenspiel beeindruckt haben«, stellte Anna fest.
»Ja, das kann er, Leute beeindrucken. Entschuldigen Sie mich«, sagte Ela, als sie die Limousine mit Florian und Sibylle über den Parkplatz rollen sah. Schnell tauchte sie in der Menge unter, damit die beiden sie nicht entdeckten.
»Es sieht nicht so aus, als hätten sie schon miteinander gesprochen«, raunte Anna Sebastian zu.
»Oder ihr Gespräch ist nicht gut verlaufen.«
»Was schade wäre, die beiden passen gut zusammen.«
»Ja, es wäre schade«, sagte Sebastian und ließ seinen Blick über Anna gleiten, die ein sonnengelbes Kleid trug und ihn mit ihren grünen Augen anschaute.
»Ich bin gespannt, was uns erwartet.« Anna konnte Sebastians Blick nicht länger standhalten. So sehr sie es auch versuchte, sie konnte sich seiner Anziehungskraft einfach nicht entziehen.
Um seine Ehrengäste unterzubringen, hatte Florian zusätzlich zwei Reihen Stühle vor der Bühne aufstellen lassen. Sie waren für Emilias und Markus‘ Freunde, für die Seefelds und die Eltern der jungen Leute reserviert, die sich noch entschlossen hatten, zu kommen.
»Auf was habe ich mich da bloß eingelassen«, stöhnte Benedikt, der mit Traudel, Anna und Sebastian in der Mitte der zweiten Reihe saß.
»Du wirst es überstehen«, flüsterte Traudel und streichelte über Benedikts Arm. Sie trug ihr neues cremefarbenes Dirndl und hatte ausnahmsweise sogar ein wenig Make-up aufgelegt, was sie gleich jünger aussehen ließ.
»Ich wüsste wirklich gern, wo Markus bleibt.« Emilia, die in weißer Jeans und weißer Bluse in der ersten Reihe genau vor Sebastian saß, kniete sich auf ihren Stuhl und schaute über das Publikum hinweg. »Hallo, Sabine, wo bleibt Markus?!«, rief sie, als sie Markus‘ Mutter am anderen Ende der zweiten Reihe entdeckte.
»Keine Ahnung, ich habe ihn seit dem Mittagessen nicht mehr gesehen«, antwortete die junge Frau mit den langen blonden Haaren.
»Wer ist bei den Kindern, Sabine?«, wollte Anna wissen, als sie Pia Mechler auch im Publikum sah.
»Anton hat sich freiwillig gemeldet«, antwortete Sabine lächelnd.
»Guten Abend Bergmoosbach!«
»Florian!«, riefen die Damen des Fanclubs, als ihr Idol auf die Bühne kam.
»Mei, der Florian, hier bei uns, ich kann es immer noch nicht fassen«, seufzte Gerti, die direkt hinter Traudel saß.
»Offensichtlich schon, sonst hättest du dich nicht so aufgedonnert«, sagte Traudel, die sich umdrehte und Sebastians Sprechstundenhilfe kritisch betrachtete.
Gerti trug ein dunkles Kleid, ein bunt gemustertes Halstuch, rote Ohrclips und hatte Rouge aufgelegt.
»Hast Angst vor der Konkurrenz«, erwiderte Gerti und streifte Benedikt mit einem kurzen Blick.
»Freilich, und wie«, entgegnete Traudel und schaute wieder nach vorn.
»Ich kann Ela schon verstehen, dass sie sich in ihn verliebt hat«, sagte Anna leise und schaute auf Florian, der in der dunklen Hose und dem hellen Jackett wirklich gut aussah.
»Wenn du das sagst«, entgegnete Sebastian.
»Keine Sorge, du kannst mit ihm mithalten.«
»Danke, du rettest mein Selbstbewusstsein.«
»Sehr gern«, erwiderte Anna lächelnd. Sie hätte ihm auch sagen können, dass es für sie keinen attraktiveren Mann als ihn gab, aber sie war nicht sicher, ob Sebastian das hören wollte.
»Ich danke euch für die Begrüßung«, sagte Florian, nachdem der Applaus ein wenig abgeebbt war, »ich bin sehr froh, dass wir Bergmoosbach in unsere Tournee aufgenommen haben. Ich bin hier nur freundlichen Menschen begegnet, und ich habe junge Leute kennengelernt, die, wenn sie sich nicht davon abbringen lassen, auf dem Weg zur großen Bühne sind.«
»Was meint er damit?« Emilia stupste Doro an, die mit Joe neben ihr saß.
»Keine Ahnung«, murmelte Doro und schaute ebenso aufgeregt wie Emilia auf den Bühnenvorhang, hinter dem sich etwas bewegte.
»Ich will mich gar nicht lange mit Worten aufhalten, sehen und hören Sie selbst, welche Talente in Bergmoosbach leben. Alles klar, Jungs!«, rief er, als der Vorhang sich öffnete, das Licht im Zuschauerraum ausging und nur noch die Bühne beleuchtet wurde.
»Ich werde verrückt«, flüsterte Emilia, als sie Markus und seine beiden Musiker auf der Bühne stehen sah.
Ein Trommelwirbel, ein Gitarrensolo und dann setzte Markus‘ Gesang ein.
»Er hat recht, sie sind gut«, sagte Sebastian.
»Ja, das sind sie.« Anna nickte Sabine zu, die im Scheinwerferlicht der Bühne zu erkennen war und Freudentränen vergoss, weil Markus das Publikum mit seiner Stimme begeisterte.
Ela, die sich in die hinterste Ecke des Zeltes verkrochen hatte, freute sich für die jungen Musiker. Vielleicht nahm es Florian mit der Liebe nicht besonders ernst, aber sonst konnte man sich auf ihn verlassen, und wenn er junge Talente entdeckte, dann setzte er sich für sie ein.
Nachdem Markus und seine Freunde einige Stücke vorgetragen hatten, wurden sie mit einem rauschenden Beifall vom Publikum verabschiedet.
Nach einer kurzen Pause betrat Florian dann wieder die Bühne. Seine Musiker übernahmen ihre Instrumente, die die Techniker für sie bereitgelegt hatten, und Florian begann mit einem Lied, das von seinen Fans besonders geschätzt wurde, weil es von einer Liebe erzählte, die für immer andauerte. Nach dem ersten Applaus bat Florian das Publikum um seine Aufmerksamkeit, weil er etwas zu sagen hatte.
»Ich möchte euch heute jemanden vorstellen. Ela, kommst du bitte zu mir.«
Was soll das denn?, dachte Ela, aber sie war nun lange genug mit Florian unterwegs, dass sie ihm die Show nicht kaputtmachen würde, auch nicht an ihrem letzten Abend mit ihm. Ein Profi muss bis zum letzten Auftritt funktionieren, dachte sie und ging zur Bühne. Sie spürte, wie die Blicke der Zuschauer ihr folgten, aber sie achtete nicht darauf, sie ging einfach weiter, bis sie vor der Treppe neben der Bühne stand und Florian ihr die Hand reichte, um ihr hinauf zu helfen.
»Ich wollte, dass ihr Ela kennenlernt«, sagte er als sie in der Mitte der Bühne standen. »Sie ist die Frau, die ich liebe und die ich heiraten werde.« Er legte seinen Arm um Ela, zog sie an sich und küsste sie.
Oh Gott, was passiert denn jetzt?, dachte sie und ihr wurde beinahe schwindlig von seinem Kuss, während das Publikum Beifall klatschte und ihnen Glück wünschte.
»Seht ihr, ich habe es gewusst«, sagte Emilia, die sich kurz zu Sebastian und Anna umdrehte.
»Das hast du gut gemacht, Sebastian«, flüsterte Anna.
»Wir haben es gut gemacht«, sagte er.
»Ich hoffe, ihr teilt dieses Glück mit mir«, wandte sich Florian nach dem Kuss an sein Publikum.
»Bravo!«, riefen alle, und es machte ganz und gar nicht den Eindruck, dass er durch diese Eröffnung in der Gunst des Publikums gefallen war.
»Das ist so schön, dass unser Florian sein Glück mit uns teilt«, seufzten einige Frauen ergriffen.
»Enttäuscht?«, fragte Lina, die Sibylle mit zornbebenden Lippen an der Seite der Bühne stehen sah.
»Das ist das Allerletzte«, schnaubte Sibylle.
»Ich bin gleich zurück«, sagte Sebastian und gab seinen Musikern das Zeichen, das Publikum ein paar Minuten allein zu unterhalten, während er mit Ela hinter die Bühne ging.
»Ich verstehe es nicht, Florian, gestern, als ich dich in der Bar sah, da dachte ich…«
»Ich hatte gehört, was du zu Sibylle gesagt hast, ich dachte, ich sei nur ein Ersatz, aber dann hatte ich ein Gespräch mit Sebastian Seefeld.«
»Ich auch.«
»Ich weiß.«
»Es ist dein Kind, Florian, aber Sibylle…«
»Ich kenne diesen dummen Passus in den Verträgen.«
»Es ist nicht sein Kind, du lügst«, sagte Sibylle, die den beiden wie betäubt gefolgt war.
»Sibylle, es reicht, ich denke, Ela wird in Zukunft deine Aufgaben übernehmen.«
»Das ist nicht dein Ernst, Florian?«
»Doch, ist es.«
»Ich werde dich verklagen.«
»Wenn du meinst, aber du solltest dich vorher fragen, ob du dann noch jemanden finden wirst, der dich als seine Managerin verpflichtet, mal abgesehen von diesen merkwürdigen Verträgen, mit denen du Macht über mein Privatleben gewinnen wolltest. Und jetzt muss ich wieder auf die Bühne«, sagte er. »Geh ihr lieber erst einmal aus dem Weg«, raunte er Ela zu, bevor er die beiden allein ließ.
»Du bist ein richtiges Miststück, du hast mein Leben zertrampelt«, zischte Sibylle und machte einen Schritt auf Ela zu.
»Vorsichtig.« Rudi trat hinter einer Lautsprecherbox hervor und stellte sich schützend vor Ela.
»Ihr seid wohl alle gegen mich?«
»Du hast dich nie um unsere Freundschaft geschert«, antwortete Rudi kühl.
»Undankbares Volk«, schimpfte Sibylle und stolzierte wütend aus dem Zelt.
»Danke, Rudi«, sagte Ela und setzte sich auf einen Stuhl neben der Bühne. Von dort konnte sie Florian sehen, und wenn er sich zur Seite wandte und lächelte, dann wusste sie, dass dieses Lächeln ihr gehörte.
»Hier ist vielleicht was los«, flüsterte Emilia und lehnte ihren Kopf an Markus‘ Schulter. Doro war gleich einen Platz weiter gerückt, als er im Publikum aufgetaucht war, was Emilia ihr hoch anrechnete.
*
In Bergmoosbach sprachen alle noch lange von diesem Konzert und sogar das Tagblatt berichtet begeistert darüber, wie nah Florian König seinen Fans doch sei, wenn er ihnen seine große Liebe persönlich vorstellte. Auch Emilias Reportage in der Schülerzeitung wurde gelobt, und Gertis Fanclub sicherte sich gleich mehrere Exemplare. Als Florian und Ela ankündigten, dass sie sich in Bergmoosbach das Ja-Wort geben wollten, waren alle erneut in hellster Aufregung.
Florian ließ seine Beziehungen spielen und vier Wochen nach seinem Auftritt war es soweit. In einer Kutsche, die von zwei prächtig geschmückten Schimmeln gezogen wurde, fuhren sie nach der Trauung durch Bergmoosbach, alle konnten die schöne Braut in dem weißen Spitzenkleid und den Bräutigam in seinem dunklen Maßanzug bewundern. Auch Elas Mutter war dabei. Sie hatte inzwischen mit einer neuen Therapie begonnen und war bereits auf dem Weg der Besserung.
Als Trauzeugen hatten die beiden sich zwei Menschen ausgesucht, die ihrem Glück auf die Sprünge geholfen hatten. Sie saßen mit ihnen in der Kutsche, die sie zum Biergarten der Brauerei Schwartz brachte, in der die Hochzeitsfeier stattfand.
»Sieh sie dir an, Nolan, nach einem gemeinsamen Patenkind, haben sie nun auch gemeinsam eine Trauung bezeugt«, flüsterte Emilia ihrem Hund zu, der sich an sie schmiegte, als die Kutsche vor der Brauerei anhielt und zunächst Sebastian und Anna ausstiegen, um dann dem Brautpaar aus der Kutsche zu helfen.
»Irgendwann«, raunte Traudel Benedikt zu und schaute auf Sebastian, der einen eleganten dunklen Anzug trug, und auf Anna, die in ihrem silberfarbenen kurzen Spitzenkleid wunderschön aussah.
»Es wird schon werden«, sagte Benedikt und legte seinen Arm um Traudels Schultern.