Читать книгу Barfuß in Deutschland - Tete Loeper - Страница 10

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Im Winter in Deutschland anzukommen, fühlte sich an wie das Betreten einer Tiefkühlkammer. Ich wünschte, jemand hätte mich gewarnt.

Als ich meine Füße auf deutschen Boden setzte, erlitt ich nicht den Kulturschock, von dem die Leute immer redeten – ich war zu sehr vom Wetter überrascht. Mein Gesicht brannte so sehr vor Kälte, als hätte mich jemand geohrfeigt. Ich wünschte mir, man hätte mir gesagt, dass selbst die wärmste Jacke aus Kigali in Hamburg nutzlos wäre.

Eine Ziege, die in Afrika auf den Bauernmarkt gebracht wurde, sah wahrscheinlich weniger ängstlich aus als ich, als ich aus dem Hamburger Flughafen trat. Ich fühlte mich verloren und stakste hilflos auf meinen hohen Absätzen herum. Nachdem ich lange vergeblich versucht hatte, den Ausgang des Flughafens zu finden, gab ich schließlich auf und beschloss, barfuß weiterzugehen. Meine Beine zitterten, meine Füße brannten und ich fühlte mich wie gelähmt. Mich kannte hier ohnehin niemand und der Wunsch, elegant zu erscheinen, hatte mich den hohen Stellenwert von Bequemlichkeit vergessen lassen.

Sonia brach in Gelächter aus, als sie mich sah. Wer würde nicht über ein Mädchen lachen, das zwar ein maßgeschneidertes Kostüm trägt, aber seine Schuhe in der Hand hält? »Barefoot? Oya mbabarira winsebya Iburayi«, rief Sonia. »Bitte nicht barfuß, mach mich in Europa nicht lächerlich«, sagte sie.

Wen interessierte das schon? Ich war entnervt, denn andere Passagiere waren bequem gekleidet, während ich mich mit meinen High Heels abquälte. Sonia umarmte mich, und mir fiel auf, dass ihre Haut ähnlich gemustert war wie eine Militäruniform. Sie hatte helle und dunkle Flecken, da die Aufhellungsprodukte, die sie offensichtlich benutzte, anscheinend nicht überall gleich wirkten. Sie trug kräftigen roten Lippenstift, eine blonde Glatthaar-Perücke und hochhackige Stiefel. Als sie mich fest umarmte, griff ein Typ, der ihr gefolgt war, nach meinem Koffer. »Nein, was machen Sie da?«, schrie ich und zog den Koffer zurück zu mir. Doch Sonia löste meine Hand vom Koffer. »Alles in Ordnung, keine Sorge. Er gehört zu uns«, sagte sie und wischte sich dabei mit einer Geste die Haare aus dem Gesicht.

Hatte sie einen Leibwächter? Ich überlegte kurz, aber sagte mir dann, dass ich noch genug Zeit haben würde, um Antworten auf meine Fragen zu bekommen.

Wir gingen schweigend zum Parkhaus. Sonias Fahrer warf mir von Zeit zu Zeit einen Blick zu und täuschte ein Lächeln vor. In der Tiefgarage drückte Sonia kurz meine Hand, während sie nervös atmete, und ließ sie dann los, als wir uns einem schwarzen Wagen mit dunklen Scheiben näherten. Sie öffnete eine hintere Tür des Wagens und stieg ein, während der Fahrer meinen Koffer in den Kofferraum stellte.

»Ist das Sebastians Auto?«, fragte ich mit großen Augen, nachdem ich mich zu ihr auf die Rückbank gesetzt hatte. Ich war seltsam überrascht und enttäuscht zugleich.

»Ja. Klasse, oder?« Sonia ließ ihre Hand über das Sitzleder gleiten, als würde sie es streicheln.

»Ich hatte erwartet, dass er ein großes Auto fährt«, antwortete ich zögerlich.

»Das ist ein großes Auto. Was meinst denn du?«, spottete Sonia, während sie dem Fahrer zuzwinkerte.

Da Sonia anscheinend nicht verstand, erklärte ich: »Ach komm schon. Ich meine solche Autos, wie sie die Pastoren in Ruanda fahren. Oder die Autos, in denen früher weiße Touristen auf Safaritouren herumfuhren.«

Sonia und der Fahrer lachten gleichzeitig, und ich fragte mich, was so lustig war.

»Muranseka iki? Warum lachst du über mich?«, fragte ich sie.

Sonia lachte immer noch und sagte: »Wir lachen, weil du lustig bist. Warum sollte man hier in der Stadt einen Safari-Jeep fahren? In Ruanda ist das was anderes. Da fährt man so hohe Autos, weil man damit auch in den Bergen unterwegs ist.«

»Wie, du willst mir also weismachen, dass dieses Auto so teuer ist wie ein Safari-Jeep? Sonia, überleg mal, ich kann mir vorstellen, dass die Leute im Safariwagen sich wie auf dem Gipfel der Welt gefühlt haben!«

Sonia lachte hysterisch: »Toni, bitte hör auf!« Sie schnappte nach Luft und presste dann immer noch atemlos hervor: »Zunächst einmal geht es nicht um groß oder klein, es geht um Klasse. Das hier ist ein Mercedes-Benz, und er gehört zu den Luxusautos, die in diesem Land hergestellt werden.«

Inzwischen hatten wir das Parkhaus verlassen, und ich war nun zu abgelenkt von all den Dingen, die ich im Vorbeifahren sah. Ich konnte mich auf das Gespräch mit Sonia nicht länger konzentrieren und wollte, dass sie aufhörte zu reden. Also hob ich die Hände und sagte: »Okay, okay. Ich sehe, du hast dich gut integriert. Ich werde auch genug Zeit haben, um etwas über Autos zu lernen.«

Während wir durch die Stadt fuhren, sah ich unentwegt aus dem Fenster, um zu überprüfen, ob Europa so war, wie ich es mir vorgestellt hatte – voller Männer in Anzügen, allen Arten von schicken Autos, eleganten Frauen, die mit kleinen, flauschigen Hunden herumliefen, und Prominenten, die mit Kaffeebechern in der Hand die Straßen überquerten. Zumindest habe ich Europa so in den Filmen gesehen, aber vielleicht war Deutschland anders. Ich überlegte mir, dass ich es nicht eilig hatte; drei Monate waren genug Zeit, um alles zu erkunden. Je näher wir unserem Ziel kamen, desto seltsamer und nervöser verhielt sich Sonia. Sie wurde so kalt wie das Wetter. Der Fahrer hingegen beobachtete uns im Rückspiegel, sobald ich mit Sonia auf Kinyarwanda sprach. Er lächelte und zeigte dabei nur seine Schneidezähne, eine Art zu lächeln, die, wie ich später feststellen sollte, in Deutschland häufiger vorkam.

Als ich davon erzählte, dass sich der Start des Flugzeugs wie ein starker Hammer angefühlt hatte, etwas, das auf meinen Kopf einhämmerte, erkannte ich mit einem raschen Seitenblick, dass Sonia gar nicht zuhörte. Ich redete trotzdem weiter und berichtete, dass ich während des Fluges einen Film nach dem anderen geschaut hatte und dass das Essen zu wenig gewesen war und wie Schlamm geschmeckt hatte. Ich beschrieb die winzige Toilette. Dass ich mich gefragt hatte, wie die männlichen Passagiere mit ihren dicken Bäuchen es schafften, sich durch so winzige Türen zu quetschen, oder ob es extra Toiletten für sie gab. Doch Sonia zeigte immer noch kein Interesse. Ich wusste nicht, ob sie wollte, dass ich ganz aufhörte zu reden oder ob ich einfach das Thema wechseln sollte.

Sie bestand darauf, dass wir Englisch sprachen, sonst würde sich der Fahrer ausgeschlossen fühlen und das empfanden Europäer als unhöflich. Das ist überall so auf der Welt, wenn man eine Sprache spricht, die die Leute nicht verstehen, dachte ich. Doch als ich dies gerade laut äußern wollte, legte Sonia den Zeigefinger auf ihre gespitzten Lippen und gab mir damit zu verstehen, dass ich schweigen sollte.

Der Wagen bog durch eine offen stehende Toreinfahrt auf ein großes Gelände mit einem Garten, in dem tote graue Bäume standen. Später erfuhr ich, dass es normal ist, dass die meisten Pflanzen hier im Winter verwelken und absterben, wenn es sehr kalt wird, und dass sie im Frühling mit neuen Blättern und Blüten wiedergeboren werden. Ich war müde und hungrig, aber auch aufgeregt, Sebastian zu treffen. Eine asiatische Frau begrüßte uns mit einem Lächeln und wechselte mit dem Fahrer ein paar Sätze auf Deutsch. Sie umarmte Sonia und wandte sich dann mir zu.

»Hallo, ich heiße Ligaya, du musst Mutoni sein«, sagte sie und schüttelte mir die Hand.

»Hallo, ja. Schön, dich kennenzulernen«, erwiderte ich. Ich drehte mich um und flüsterte Sonia zu: »Uyu ni nde? Wer ist das?«

»Das ist Ligaya«, wiederholte Sonia auf Englisch und klopfte Ligaya auf die Schulter. Dann fügte sie hinzu: »Egal, was du brauchst, Ligaya wird für dich da sein. Fühl dich wie zu Hause und mach dir keine Sorgen«, sagte Sonia, während sie verstohlen nach links und rechts schaute und meinem Blick auswich. Schließlich schaute sie zu Boden und tat so, als sei sie schüchtern.

Alles ging plötzlich sehr schnell, und ich war frustriert, dass ich keine Gelegenheit hatte, Fragen zu stellen. Wir durchquerten einen Korridor mit großen Spiegeln auf jeder Seite. Dann betraten wir einen unpersönlich wirkenden Schlafraum mit einem großen Kingsize-Bett. Ligaya meinte, ich könne mich ausruhen, wenn ich wollte, sie würde mich wecken, wenn jemand käme. Wer war jemand? Und vor allem, wo war mein zukünftiger Freund Sebastian? In welcher Beziehung standen Sebastian und Ligaya eigentlich zueinander? Warum sah das Haus wie ein Hotel aus?

Eine Frage nach der anderen schwirrte nun durch meinen Kopf. Während Ligaya sich sofort zurückzog, nachdem sie meinen Koffer neben den leeren offenen Kleiderschrank abgestellt hatte.

Als ich mit Sonia allein war, fragte ich sie, wo Sebastian sei, aber sie antwortete nicht.

»Ähm, Sebastian …?«, stotterte sie, als ob sie mich nicht richtig verstanden hätte. Sie schaute auf ihr Handy, um zu checken, ob sie Nachrichten bekommen hatte.

»Ja, wo ist Sebastian? Wann treffe ich ihn?«, wiederholte ich ungeduldig.

»Sebastian … eigentlich ist es so, dass …« Sonia hob den Blick von dem Display ihres Telefons, schaute mich kurz an und sah dann schnell aus dem Fenster. Ein lautes, aggressives Klopfen war auf einmal an der Tür zu hören, und Sonia wurde sichtbar nervös. Sie umarmte mich flüchtig, und ich meinte dabei Tränen in ihren Augen zu sehen.

»Sonia, ni iki? Was ist los?«, fragte ich sie. Eine Männerstimme rief vom Korridor aus nach ihr: »Sonia!!« Sie trat einen Schritt zurück. »Ich muss los, sonst komme ich zu spät zur Arbeit.«

Dann stürmte sie davon. Ich zog langsam die Schuhe von meinen schmerzenden Füßen, legte mich aufs Bett und starrte an die Decke.

Ich realisierte, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich war. Ich wusste auch nicht, wann Sonia von ihrer Arbeit zurückkommen würde. Und ich wusste so gut wie nichts über den Mann, den ich hier treffen sollte. Ich erinnerte mich an Tante Roses Abschiedsworte am Flughafen: »Ntuzasebere i mahanga ufite iwanyu. Lebe kein schändliches Leben im Ausland, wenn du ein Zuhause hast.«

Wie hatte sie das gemeint?

Ligaya kam, um mir zu sagen, dass sie gleich gehen würde und dass sie das Abendessen für mich in der Küche bereitgestellt habe.

Sie bot mir an, mir noch schnell das Haus zu zeigen, aber ich lehnte dankend ab, ich fühlte mich zu müde. Ich dachte, dass ich später genug Zeit haben würde, alles auf eigene Faust zu erkunden.

»Wohnst du nicht hier?«, fragte ich sie.

»Doch, doch. Ich gehe jetzt zur Arbeit.«

»Ach, du arbeitest nachts?« Ich war einfach nur erstaunt, wollte aber gar nicht wissen, was sie machte.

Doch Ligaya spannte ihre Lippen und formte etwas, das wohl ein Lächeln sein sollte. »Eigentlich hängt das von den Wünschen der Kunden ab. Manchmal arbeite ich auch tagsüber von zu Hause aus, aber ich ziehe es vor, nachts zu arbeiten.«

»Aber Ligaya …«

»Ja, bitte?«

»Wo ist Sebastian Baumann? Warum begrüßt er mich nicht?«

Ligaya rieb sich die Hände, als hätte sie zu viel Handcreme, die sie ordentlich verteilen wollte. Sie schaute kurz zur Decke, holte tief Luft und sagte: »Herr Baumann ist im Moment nicht in Europa, aber er kommt bald zurück. Du wirst ihn noch treffen, keine Sorge.«

»Okay. Übrigens, wie überlebt ihr eigentlich diese Kälte? Ich habe nur dünne Sachen dabei und meine Jacke fühlt sich auch nicht warm genug an.«

Ligaya stand bereits an der Tür, sie drehte sich noch einmal zu mir um, bevor sie ging. »Morgen können wir shoppen gehen, wenn du willst, um die Dinge zu kaufen, die du vielleicht brauchst.«

Das war das Beste, was ich bis jetzt gehört hatte. Wir würden shoppen gehen, und ich hätte die Gelegenheit, etwas von der Stadt zu sehen. Meine einzige Sorge war jedoch, dass ich gar kein Geld hatte.

»Aber ich habe kein Geld«, gab ich zögernd zu und errötete vor Verlegenheit.

»Schon gut, ich bezahle erst mal und Sebastian wird mir alles zurückgeben, wenn er kommt«, sagte sie und machte eine Bewegung mit ihrer rechten Hand, um mir zu bedeuten, dass Geld kein Thema sei.

Ich empfand Ligaya als sehr nett, dabei war ihr Verhalten mir gegenüber eher von einer gewissen Distanz bestimmt.

Mit ihrer Auskunft über Sebastian Baumann war ich aber nicht zufrieden, deshalb hakte ich noch mal nach und traute mich die Frage zu stellen, die mich vor allem beschäftigte: »Ist das hier Sebastians Schlafzimmer? Es sieht ziemlich unbewohnt aus.«

Ligayas Miene blieb undurchsichtig. Ich konnte nicht erkennen, ob sie etwas verheimlichte oder einfach keine Zeit für eine Antwort hatte. »Ach, ähm … Ich muss jetzt los, sonst verpasse ich meinen Bus. Wir sehen uns später.«

In dieser Nacht genoss ich fast eine Stunde lang ein warmes Bad. Ich füllte die Badewanne randvoll mit Wasser und legte mich so luxuriös wie möglich hinein, wie ich es in Filmen gesehen hatte. Ich dachte an meine Schwester und wünschte mir, ich hätte ein Telefon, um sie zu fragen, wie es ihr in Dubai erging. Wenn Mutter noch leben würde, wäre sie sehr stolz auf uns, da war ich mir sicher.

Doch Traurigkeit stieg plötzlich in mir auf. Weiter von meinem neuen Leben zu träumen, schien mir der beste Weg, um positiv zu bleiben. Ich stieg aus der Badewanne, wickelte mich in ein großes weißes Handtuch und streifte durch das Haus, das mein neues Zuhause sein würde.

Es war seltsam, die meisten Räume waren abgeschlossen. Aber mir reichte, was ich vorfand, um mir den europäischen Luxus vorzustellen, von dem ich träumte.

In der Küche stand tatsächlich Abendessen für mich bereit. Es bestand aus einer kleinen Schüssel Gemüsesuppe, ein paar Stücken einer weißen schleimigen Wurst und einer Scheibe Brot. Ich öffnete den Kühlschrank, um nachzusehen, was es noch zu essen gab, aber ich konnte nicht lesen, was auf den Verpackungen stand. Alles war auf Deutsch, einer Sprache, die ich noch nicht beherrschte.

Angesichts der Portion fragte ich mich, ob Ligaya mich zu fett fand und auf Diät setzen wollte. Da ich nicht die Wahl hatte, aß ich, was sie mir hingestellt hatte. Ich spürte die Müdigkeit von der Reise und ging bald schlafen, damit ich für die Einkaufstour am nächsten Tag wieder fit sein würde.

Im Bett und ganz allein im Haus, begannen meine Gedanken zu wandern. Da war kein Sebastian, und weder Sonia noch Ligaya hatten mir wirklich das Gefühl gegeben, willkommen zu sein. Was machte ich hier?

Ich schlief unruhig und beschloss irgendwann, das Haus erneut zu erkunden. Ich wollte sehen, ob ich etwas finden konnte, das mir Antworten auf meine offenen Fragen gab. Doch die anderen Zimmer blieben verschlossen. Da mir die Möglichkeiten ausgingen, machte ich eine Pause und probierte ein Paar Schuhe an, die ich in einem Regal im Flur fand. Trotz meiner Unruhe und meiner vielen Gedanken stellte ich mir vor, wie ich in High Heels und mit falschem europäischem Haar zur »Diaspora« wurde. Ich dachte an Tante Rose und wie sie bewundernd sagen würde, dass das Haus wie der Himmel aussah, ganz weiß mit makellosen großen Fenstern. Ich ging schließlich zurück ins Bett und fiel in einen tiefen Schlaf.

Barfuß in Deutschland

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