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Alles auf Anfang

Beirut, Libanon

In der nordöstlichen Ecke von Syrien, nah an der Grenze zum Irak und der Türkei, wohnte mein lieber Freund Kemal, ein findiger Geschäftsmann mit Format. Als Apotheker hatte er einen sehr guten Ruf; er besaß einige Geschäfte und Häuser, es ging ihm und seiner Familie rundum gut. Kemal war Ältester seiner christlichen Gemeinde in seiner Heimatstadt im Nahen Osten und hatte sich die Ausbildung von Mitarbeitern sowohl theologisch als auch für verschiedene Gemeindeaktivitäten zur Aufgabe gemacht, dabei arbeiteten wir oft eng zusammen. Seine Frau sang im Gottesdienst mit, die drei Kinder waren in der Jugendarbeit engagiert. Der Älteste hatte beste Noten in der Schule und war im Abiturjahr. Doch dann kam der Krieg und ihre ganze Existenz ging zu Bruch.

Das letzte Mal traf ich Kemal völlig niedergeschlagen in der Notunterkunft einer christlichen Gemeinde in Beirut, der Hauptstadt des Libanon. Er und seine Familie waren auf dem Weg nach Deutschland, wo seine Frau Verwandte hatte. Er kam mir vor wie ein Segelschiff bei Windstille; seine Segel hingen träge und leer am Mast. Würden sie in Deutschland wirklich eine Chance haben? Im Zwischenlager jedenfalls konnten sie sich überhaupt nicht vorstellen, dass ihre Kinder jemals das deutsche Abitur schaffen würden. Ein neues Schulsystem, die neue Sprache; es schien alles völlig aussichtslos. Traurig schauten sie mich an.

Ich machte ihnen Mut, denn ich hatte als Jugendlicher Ähnliches erlebt: »Ja, es ist schwer, sich in einem fremden, neuen Land einzuleben, aber es ist möglich! Ihr schafft das …« Wir redeten noch lange miteinander an diesem Abend, und ich erinnerte sie an unseren gemeinsamen Glauben. Dass Jesus sie auf dem weiten Weg begleitete, der ihnen bevorstand, und nicht im Stich lassen werde. Der Verlust ihrer Heimat wog schwer, nie hätte Kemal erwartet, dass er sich einmal in so einer Situation wiederfinden würde. Beim Abschied, als er mich noch durch die unbeleuchteten Straßen des nächtlichen Beirut begleitete, seufzte er traurig: »Nicht ich habe Syrien verlassen – das Syrien, wie ich es geliebt habe, gibt es nicht mehr.«

Von den äußeren Ereignissen können wir in der Presse nachlesen. Statistiken der Getöteten und Ausgewanderten im Nahen Osten sind im Internet ersichtlich. Doch die Geschichten der Menschen erfahren wir nur in der persönlichen Begegnung mit ihnen. Ohne Zweifel ist die Einwanderung von mehr als einer Million Migranten nach Deutschland eine Herausforderung. Doch wenn jeder hundertste Bundesbürger einen Flüchtling einlädt, können sie alle eine echte Beziehung zu Einheimischen in unserem Land aufbauen. Und darauf kommt es an in diesen Tagen.

Es ist Jesus, der uns darum bittet, mit den Fremden freundlich umzugehen und ihnen zu helfen. Wen sollen wir einladen? Und von wem erwarten wir unseren Lohn?

Deshalb werdet nicht müde zu tun, was gut ist. Lasst euch nicht entmutigen und gebt nie auf, denn zur gegebenen Zeit werden wir auch den entsprechenden Segen ernten.

Galater 6,9

Die leise Erweckung

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