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Ein ganz normaler Tag

Regensburg

Sehr genieße ich die Stille Zeit früh am Morgen, bevor der Tag über uns hereinbricht – ein neuer Tag für uns hauptamtliche Mitarbeiter in der Flüchtlings- und Migrantenhilfe in unserem Heimatort in der Nähe von Regensburg. Wir sitzen in unserer kleinen Küche zusammen, der Wasserkocher dampft. Meine Frau und ich frühstücken gemeinsam, und wir beten. Jetzt noch nicht ans Telefon zu gehen, ist alles andere als einfach. Doch uns ist die Begegnung miteinander und im Gebet mit Jesus morgens wichtiger. Diese Minuten sind mitunter die einzigen am Tag, die wirklich nur uns gehören …

Heute ist Mittwoch. Mittwochs steht in unserer Arbeit immer Deutschunterricht mit Einwanderern auf dem Programm. Vorher drucke ich noch schnell die Faltblätter fürs Bibelstudium am Abend aus, dazu wird später kaum mehr die Zeit sein. Meine Frau macht sich derweil bereits in die Asylunterkunft auf, um mit einer jungen Frau aus Syrien Deutsch zu lernen. Das klappt heute leider nicht, weil deren Tochter sich in der Krabbelgruppe erst noch eingewöhnen muss und nicht mitmacht. Die Mama findet nicht die nötige Ruhe für den Unterricht. Trotzdem kommen sie gut miteinander ins Gespräch, und M. lernt zumindest auf diesem Weg ein paar Brocken Deutsch.

Meine Deutschstunde verläuft ähnlich am eigentlichen Plan vorbei. Wir sitzen in großer Runde im Gemeinschaftsraum. Schon während des Unterrichts halten mir viele der Teilnehmer amtliche Schreiben hin. Klar, das ist ihre erste Not: Wie sollen sie dieses Amtsdeutsch auch entschlüsseln? Ich verweise sie erst einmal auf die anschließende Sprechstunde und wir lernen fleißig weiter Vokabeln miteinander.

Bei der Sprechstunde ist meine Frau wieder dabei. Gemeinsam erklären wir dem Araber Faruk, dass er noch zu jung ist, um ein eigenes Bankkonto zu eröffnen. Eigentlich wäre sein Schwager dafür zuständig, doch der will sich gerade von seiner Frau, der Schwester von Faruk, scheiden lassen – eine komplizierte Situation. Wenn Faruks Schwager die Vollmacht über dessen Bankkonto hätte, könnte es passieren, dass er Faruks Geld einfach für sich behält. Nicht gut. Wie könnte man das verhindern? Ein Anruf beim Landratsamt bringt Klärung: Faruk darf auch in Zukunft sein Taschengeld in bar dort abholen, damit es ihm vom Schwager nicht gegen seinen Willen wieder abgenommen wird. Für den Moment zumindest ist das Problem gelöst. Die normale Sprechstunde nimmt ihren Lauf. Ein halbes Dutzend Behördentermine stehen an, bevor ein Asylsuchender in Deutschland ordnungsgemäß registriert ist. Ohne Deutschkenntnisse sind sie dabei dringend auf unsere Hilfe angewiesen. Und manchmal fällt es selbst uns als Deutschen nicht leicht, die verschiedenen Dokumente zu verstehen.

M. ist besorgt, weil er vom Landratsamt kein Geld mehr und vom Jobcenter noch kein Geld bekommt. Er bittet uns um Rat. Gut, dass es in unserem Ort eine Tafel mit kostenlosem Essen gibt. So ist er wenigstens versorgt, bis wir in zwei, drei Tagen der Sache auf den Grund gegangen sind. Ich habe für jeden Asylsuchenden, den wir betreuen, einen Ordner. Nichts ist peinlicher, als mit Plastiktüten voller Briefe bei den Behörden zu erscheinen und dort erst das jeweilige Dokument suchen zu müssen. Wir kommen vorbereitet – das ist immer ein guter erster Schritt. Die Gespräche heute mit den Behörden verlaufen positiv, wir können manches klären.

Mit einer Viertelstunde Verspätung schaffe ich es gerade noch so zum Mittagessen nach Hause. Halbzeit! Danach, am frühen Nachmittag, gehe ich mit Hussein ins Seniorenzentrum, wo er ein Praktikum machen will. Daraufhin lade ich mit Tarek eine Waschmaschine und einen Trockner auf meinen Anhänger; eine Garderobe, zwei ältere Computer und diverse Kleinteile müssen auch noch mit. Vorher treffe ich Jasmin, die nur eine Geburtsurkunde in arabischer Sprache besitzt, für den Antrag bei der Familienkasse jedoch eine beglaubigte Kopie in Deutsch benötigt. Gab es da nicht einen pensionierten Professor für arabische Sprache in München, der kostenlos übersetzt? Ohne dieses Dokument bekäme Jasmin kein Kindergeld.

In der Stadt entdecke ich eines der taubstummen Kinder aus der Gemeinschaftsunterkunft auf dem Fahrrad. Der Junge hält sich an keinerlei Verkehrsregeln. Es ist ein Wunder, dass noch nichts passiert ist. Ich bringe ihn sicher nach Hause, rufe im Rathaus an und mache auf das Problem aufmerksam. Dort verweist man lediglich auf die Aufsichtspflicht der Eltern – es bleibt an mir hängen, der Familie zu erklären, wie gefährlich Fahrradfahren hierzulande sein kann, besonders weil ihr Junge nichts hört. Ob sie meinen Rat wohl beherzigen?

Wieder zu Hause sehe ich den Anrufbeantworter vor sich hinblinken: Nachbarn bieten uns ein komplettes Wohn- und Schlafzimmer an; sie richten sich gerade neu ein. Das ist klasse! Die Möbel brauchen wir dringend für Asylbewerber, die in ihre erste eigene Wohnung ziehen dürfen. Gott sei Dank benutzt mein Bruder seinen alten Heuboden nicht mehr, sodass wir auf seinem Hof ein Möbellager für Flüchtlinge einrichten können. Ein anderer Helfer bietet an, eine Facebook-Gruppe zu organisieren, damit Aufgaben der Flüchtlingshilfe in unserer Region besser verteilt werden. Eine geniale Idee.

Nach dem Abendessen mache ich mich auf den Weg, um wie jeden Mittwochabend mit gläubigen Nigerianern die Bibel zu lesen. Doch heute scheinen sie mich vergessen zu haben. Eine Viertelstunde warte ich vor ihrer Unterkunft, bis endlich jemand auf meinen Anruf reagiert und öffnet. Es wird dennoch ein schöner Abend, wir lesen im Römerbrief zusammen und diskutieren darüber. Eineinhalb Stunden später kümmere ich mich zu Hause noch um den Wasserhahn in unserer Küche, der bereits seit Tagen nervend vor sich hintropft. Als ich meine Frau wieder treffe, sprechen unsere Blicke Bände. Es war ein anstrengender Tag: »Herr, hilf …!«, beten wir gemeinsam, bevor wir spät abends todmüde ins Bett fallen.

Die Arbeit mit Migranten kostet Kraft und Mühe. In der Seelsorge all die verschiedenen Schicksale zu hören, berührt mich sehr. Jedes Leben trifft mich ins Herz und bringt mich auch manchmal an meine Grenzen. Mitzuerleben zum Beispiel, wie lieb gewordene Menschen wieder in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, obwohl sie dort manchmal wirklich in Gefahr sind und kaum eine Perspektive haben. Oder die Anspannung, die unter den Flüchtlingen in den übervollen Unterkünften herrscht, und immer mal wieder auch eskaliert. Das alles muss erst mal verarbeitet werden.

Beim Einschlafen bete ich in Gedanken noch mal für die Menschen, denen ich heute begegnet bin. Es tut gut, dass ich sie und ihre Not bei meinem Freund Jesus im Gebet abgeben kann. Aber auch zu wissen, dass wir manchen von ihnen konkret weiterhelfen konnten. Danke Jesus! Ich schließe meine Augen und schlafe ein mit dem Gedanken: Was wird uns morgen erwarten?

Überlasst all eure Sorgen Gott, denn er sorgt sich um alles, was euch betrifft!

1. Petrus 5,7

Die leise Erweckung

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