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Lindow

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Wie seh ich, Klostersee, dich gern!

Die alten Eichen stehn von fern

Und flüstern, nickend, mit den Wellen.


Und Gräberreihen auf und ab;

Des Sommerabends süße Ruh

Umschwebt die halbzerfallnen Grüfte.

Lindow ist so reizend wie sein Name. Zwischen drei Seen wächst es auf, und alte Linden nehmen es unter ihren Schatten.

Seine Vorgeschichte versagt; alles Archivalische ward ein Raub der Flammen, und nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß das Kloster eher da war als die Stadt.

Kloster Lindow wurde gegen Ende des zwölften oder Anfang des dreizehnten Jahrhunderts von dem Grafen Gebhard von Ruppin und Lindow als ein Prämonstratenser-Nonnenkloster gegründet und empfing zu Ehren des Stammhauses der Familie (Lindow im Anhaltischen) seinen Namen.

Die Stadt entstand aus Ansiedlungen; Handwerker und Ackersleute kamen, die den Schutz des Klosters suchten. Und diese Beziehungen blieben durch alle Jahrhunderte hin und überdauerten den Bestand des Klosters bis in unsere Tage hinein. 1574 wurde dem lutherischen Rektor sein Gehalt ansehnlich erhöhet, »weil er, zu seinen geringen Einkünften, nur einen freien Tisch auf dem Klosterhofe habe«, und noch 1748 schenkte die Konventualin Anna Juliane von der Kettenburg 100 Taler an die Stadt mit dem Bedingnis, »daß von den Zinsen dieser Summe das Schulgeld für arme Kinder bezahlt werde«. Welchen beiden Notizen wir, außer dem Fortbestande guter Beziehungen zwischen dem Kloster und dem städtischen Gemeinwesen, auch gleichzeitig entnehmen können, daß man finanziell in Stadt Lindow nicht auf Rosen gebettet war.

Auch im Kloster war man es, aller Guttaten unerachtet, nicht mehr, seit im Jahre 1542 die Säkularisation und die Umwandlung der Klostergüter in kurfürstliche Domainen begonnen hatten. Zwanzig Jahre vorher, beim Erlöschen des gräflichen Hauses Ruppin, hatte das Kloster auf seiner Höhe gestanden. Es war damals eines der reichsten Stifter in der Mark und besaß außer der Stadt Lindow achtzehn Dörfer, zwanzig wüst liegende Feldmarken, neun Wassermühlen und alle die Seen, die teils innerhalb des Großen Menzer Forstes, teils am Rande desselben gelegen sind, darunter auch den Großen Stechlin. Die Gesamtbodenfläche, die damals dem Jungfrauenkloster zugehörte, darf man auf vier Quadratmeilen schätzen, reichte mithin, wie Bratring spöttisch schreibt, »vollkommen aus, um fünfunddreißig Nonnen, einer Äbtissin und einem Propst ein einigermaßen gemächliches Leben zu sichern«. Man kann dies zugeben, aber es den Bevorzugten auch neidlos gönnen, und zwar um so lieber und leichter, als ihr Glück, von jenem Kulminationspunkt an gerechnet, nur noch von kürzester Dauer war. Es ging galoppierend zu Ende. Wohl war am Heiligendreikönigstage 1530 den lindowschen Nonnen ihr Besitz zu »ewigem Eigentum« aufs neu bestätigt worden, aber ehe noch die Mitte des Jahrhunderts heran war, war die Säkularisation bereits ausgesprochen und das »ewige Eigentum« verflogen. Aus dem Kloster Lindow wurde nunmehr ein »Fräuleinstift zu Lindow«, und an die Stelle der Äbtissin und ihrer fünfunddreißig Nonnen trat eine Domina mit vier Fräuleins; das Gesamteinkommen aber sank allmählich auf 1000 Taler und das Grundeigentum von vier Quadratmeilen auf – 100 Morgen.

Unter den Dominas, soweit ihre Namen überhaupt noch auf uns gekommen sind, finden wir fast ausschließlich Adelsnamen aus Ruppin und Havelland: Elisabeth von Zieten 1557, Anna von Gühlen 1625, Katharina von Döberitz 1685, Anna Hedwig von Fratz 1709, Maria Elisabeth von Quast 1736, Ilse Margarete von Rochow und Anna Elisabeth von Bredow, letztere beide ohne Zahlenangabe.

Unser Weg führt uns von Alt Ruppin auf Lindow zu. Die nur durch ihre Lage reizende Stadt kann uns durch ihre Straßen und Plätze nicht fesseln, aber jenseits derselben, wo sich die Schmalung zwischen dem Gudelack- und dem Wutz-See wieder zu weiten beginnt, werden wir, nach rechts hin, eines Konglomerates von Häusern und Ruinen ansichtig, um welches sich eine niedrige Steinumwallung: die Einfriedigung von Kloster Lindow, zieht. Wir lassen halten, überklettern die gerad an dieser Stelle weder Tür noch Pforte zeigende Mauer und befinden uns auf einer von prächtigen alten Bäumen überragten Parkwiese, die, den verschiedensten Bestimmungen dienend, all ihre Verschiedenheiten wieder in eine höhere Einheit zusammenfaßt.

Die schönsten Teile dieser Parkwiese sind die, wo begraben wird. Von dem richtigen Gefühl ausgehend, daß Leben und Tod Geschwister sind, die sich nicht ängstlich meiden sollen, hat man hier die Spiel- und Begräbnisplätze dicht nebeneinander gelegt, und dieselben Blumen blühen über beide hin. Aber der Tod, so gemütlich er mit dem Leben zu leben weiß, hat doch innerhalb seiner eignen Gebiete nicht ganz auf Scheidungen und Standesunterschiede verzichtet, die nun, so scheint es, Zeugnis ablegen sollen, daß wir uns hier auf dem Grund und Boden eines adligen Fräuleinstiftes befinden. Im Leben »leben und leben lassen«, aber im Tode – Rangordnung! So begegnet man denn Steinen und Grabkreuzen an drei verschiedenen Punkten des Parkes, und während die Dienstleute samt den Beamten an einer, die Gäste des Klosters an einer andern Stelle ruhn, ist den Stiftsdamen eine dritte Stelle vorbehalten geblieben. In zwei Reihen, zu beiden Seiten einer alten Rüsterallee, liegen sie hier in hoch aufgemauerten Gräbern, von denen übrigens keines über den Anfang des vorigen Jahrhunderts zurückreicht. In deutlichen Buchstaben sprach nur noch das Grab der letztverstorbenen Domina zu mir, stattlicher aber war ein älterer Stein, unter dem (wenn ich das Wappen richtig erkannt) eine von Pannewitz ihren letzten Schlummer schlief.

Auf dieses Epitaphium, das einen guten Überblick versprach, stieg ich hinauf und übersah nun, ein paar Zweige zurückbiegend, die ganze Klosteranlage: nach links hin der von Lindengängen eingefaßte See, zwischen uns und ihm ein buntes Durcheinander von Blumen- und Gemüsegärten und, mitten hineingestellt in diese, das villenartige Haus der Domina, dicht grenzend mit einem in Trümmern liegenden Langbau, der sehr wahrscheinlich einst das Refektorium des alten Klosters ausmachte. Jetzt ist es Wirtschaftshof, Eis- und Vorratskeller der drei, vier Damen, die hier ihre Tage leben und beschließen, und jeder Zauber wäre dieser Verfallstätte längst abgestreift, wenn nicht die hohen, stehengebliebenen Giebelwände wären, mit ihren gotischen Nischen und Fenstern und ihrem Storchennest darauf.

Eine Viertelstunde lang hielt ich Umschau von dem Pannewitz-Grabstein aus; dann, auf einem Schlängelpfade den See gewinnend, schritt ich langsam einen Ufer- und Lindengang hinunter, bis ich mich unerwartet und plötzlich fast inmitten einer völlig veränderten Szenerie sah. Beete mit eingemusterten Blumen lagen wie Teppiche vor mir ausgebreitet, aus dem Mittelrondell stiegen Büsche von Ricinus und Canna indica auf, Wein und Pfirsich lachten am Spalier, und abwechselnd liefen Lauben von Geißblatt und Pfeifenkraut an der einen Seite des Gartens hin, während an der anderen ein Drahtzaun, leicht wie ein ausgespanntes Fischernetz, die Anlage schloß. War dies noch Klostergrund? Nein. Aus mittelalterlichen Überbleibseln heraus war ich in eine modernbürgerliche Welt eingetreten, und ein reicher, in Anlagen und Gartenkunst erprobter »Propriétaire« stickte hier mit eigner Hand diese Blumenmuster in den Rasenteppich und gefiel sich darin, in richtiger Benutzung des Erworbenen, auch dem, »was wohltut und gefällig ist«, zu dienen.

Ein Reichtum, der zur Pflege des Schönen führt, erfreut immer wieder mein Herz und tat es auch hier. Aber beinah wohltuender noch berührte mich die Wahrnehmung, daß das Fehlen einer Grenz- und Scheidelinie zwischen Klostergrund und Gartenanlage wenigstens an dieser Stelle kein bloßer Zufall war. Diese Scheidelinie fehlte, weil der Trennungsstrich auch in den Herzen nicht vorhanden ist und der Besitzer des Gartens Frieden und Freundschaft hält mit den Klosterfrauen von drüben.

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