Читать книгу Schwarze Nacht und rote Haare - Theodor Horschelt - Страница 10
Оглавление4. Kapitel: Der dicke Dichter
Das Taxi kam gerade heran. Sam stand noch am Fenster. Ich trat bis dicht unter das Fenster und sah zu ihm hoch.
„Mablianikow. Kennst du den Namen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Reicher russischer Emigrant. Finanziert Filme. Hatte drüben Ehekrach. Kümmere dich um ihn. Der und Short hatten Ehekrach auf der Party. Kümmere dich um die beiden. Außerdem will ich ‘ne vollständige Liste aller Gäste. Zeig mal, was du kannst. Auch ohne deine Kodderschnauze. Wiedersehen, Sam.“
Er nickte und winkte mir zu. Wir kletterten in das Taxi und gondelten ab.
Am Santa Barbara Drive mieteten wir uns einen Wagen, einen hellblauen Cadillac. Es war jetzt gerade zwölf Uhr mittags, und so fiel es uns nicht weiter schwer, uns durch das wüste Gewimmel der Stadt zu orientieren: wir brauchten immer nur genau nach Westen zu fahren, um bald die Straße nach Santa Monica zu erreichen.
Eine Stunde später waren wir da, und weitere zehn Minuten später schlenderten wir durch die Halle des Hilton Hotels.
„Wo finde ich Mister Short?“, fragte ich den Mann am Empfangstisch.
Der Mann sah in einem Buch nach, wandte sich zu dem Schlüsselfach um und antwortete dann:
„Mister Short ist noch nicht zurück. Ich glaube, er ist mit seinen Gästen unten am Strand. Ich fürchte, Sie werden ihn nicht finden. Soll ich ihm etwas bestellen?“
„Danke“, sagte ich, „wir melden uns wieder. Guten Tag.“
Wir gingen raus, setzten uns in den hellblauen Cadillac, steckten uns Zigaretten an und pafften den Qualm gegen die Windschutzscheibe.
„Er wird die Wäschetruhe ja nicht mit an den Strand genommen haben“, knurrte Jimmy. „Auch nicht mit ins Hotel.“
„Sondern vermutlich in sein Wochenendhaus“, ergänzte ich. „Mal sehen, ob wir die Adresse rauskriegen.“
Ich gab Gas und hielt an der nächsten Telefonzelle. Wir wälzten eine ganze Weile in dem Telefonschmöker herum, bis wir tatsächlich eine Adresse fanden.
„Da staune ich aber“, sagte Jimmy, als wir langsam weiterfuhren. „Hätte nicht gedacht, dass er sogar in dem Wochenendhaus ‘n Telefon hat.“
„So bedeutende Leute haben sogar auf dem Lokus ein Telefon.“
Paul Shorts Wochenendhaus stand in der Catalina Street 17. Es war eine kleine stille Villenstraße dicht am Meer. Halb hinter Bäumen versteckt lag in einem großen Garten eine schöne kleine Villa im Bungalowstil.
Wie ließen den Wagen etwas abseits stehen, schlenderten zur Tür und hopsten mit einem Satz über das Gitter. Gemächlich gingen wir über den knirschenden Kiesweg. Als wir das erste Fenster erreicht hatten, peilten wir hindurch. Das heißt, wir wollten hindurch peilen. Eine dichte Gardine hinderte uns jedoch daran.
Plötzlich wurde die Gardine beiseite gerissen, und das fette Gesicht eines Mannes erschien. Er starrte uns hasserfüllt an, so als wolle er uns allein mit diesen Bücken in übelriechende Gase verwandeln, die sich schnell verflüchtigen.
Ich grinste ihn durch die Scheiben höflich an, nahm sogar meinen Hut ab und deutete fragend zur Eingangstür des Hauses.
„Netter Mensch“, seufzte Jimmy neben mir leise.
Der Mann hinter dem Fenster ließ die Gardine los und verschwand. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet.
Der Mann war groß und dick. Er hatte schwarzes dünnes Haar und ein schwammiges, weibisches Gesicht. Ärgerlich stierte er uns an.
„Was wollen Sie hier?“
„Mister Short ist nicht da, wie?“
„Nein, der hat ‘ne Besprechung am Strand. Um was dreht sich‘s denn?“
„Wir haben ihm was zu bestellen“, sagte ich, „dürfen wir reinkommen?“
Der große dicke Mann trat beiseite und ließ uns eintreten.
Gleich in der kleinen Diele sah ich, was wir suchten: Eine lange Wäschetruhe. Sie stand schräg in der Diele vor einem Spiegel, und es war nicht weiter schwer, zu erraten, dass sie dort nicht hingehörte.
Ich tat so, als interessiere mich dieses Möbelstück überhaupt nicht, sondern ging daran vorbei und steuerte auf die geöffnete Wohnzimmertür zu.
Der Dicke bat uns, Platz zu nehmen. Dann sahen wir uns gegenseitig interessiert an.
„Na, was ist?“, fragte er dann.
„Mein Name ist Löwenzahn“, sagte ich.
„Angenehm“, erwiderte der Dicke. Er gab sich Mühe, jetzt etwas freundlicher zu sein. Auf dem Tisch lagen Schreibpapier und ein paar Kugelschreiber. Er schien an einem Roman oder irgend etwas Ähnlichem zu arbeiten. „Ich bin Bob Brother“, sagte er. „Sie haben sicher schon mal meinen Namen gehört.“ Er säuselte es eitel und zog ein parfümiertes Taschentuch, um damit geziert an seiner Stirn herumzutupfen. Er war ein großer breiter Kerl, aber er wirkte schrecklich weibisch.
„Keine Ahnung“, sagte Jimmy, „sind Sie beim Film?“
„Sie haben es erraten, junger Freund.“ Seine schwammigen Backen wackelten ein bisschen, als er sich mit seiner übertrieben gut gepflegten Hand über das schwarze Haar strich. Es sah so aus, als wolle er sich selbst liebkosen. „Ich habe schon eine Menge Filme geschrieben. Ist Ihnen eigentlich klar, dass ein Drehbuchautor der wirkliche Schöpfer eines Films ist? Doch nicht der Regisseur und schon gar nicht die Schauspieler. Der Drehbuchautor ist der Schöpfer. Aber um ihn kümmert man sich am wenigsten.“
„Ja, man hat‘s schwer auf der Welt“, sagte Jimmy. Er deutete auf das beschriebene Papier und fragte: „Schreiben Sie jetzt gerade wieder ‘ne Schnulze?“
„Mein Freund meint es nicht so“, sagte ich entschuldigend. „Er ist ein kleiner Spaßvogel.“
„Oh, das will ich nicht sagen.“ Der Dicke lächelte eitel. „Vielleicht hat er ganz recht. Man muss auch etwas fürs Herz tun. Die Leute wollen das so. Der Film ist schließlich auch ein Geschäft. Nicht nur Kunst.“
Wir hörten uns das freundlich mit an, und erst als Bob Brother sich noch einmal gründlich gestreichelt hatte und sich im Sessel zurücklehnte, fragte ich: „Hat Ihnen Paul Short das Wochenendhaus vermietet?“
„Aber nein. Wo denken Sie hin? Er hat mich hier nur hergesetzt, damit ich endlich zum Schreiben komme. Ach, wissen Sie“, er plusterte sich ein bisschen auf, „man wird als vielbeschäftigter Autor doch einfach zu viel abgelenkt.“
„Wir haben Mister Shorts Haus in Hollywood gemietet“, sagte Jimmy, „und wir wollen uns noch einmal mit ihm darüber unterhalten. Es fehlen ein paar Möbel.“
„Davon weiß ich nichts“, sagte der Dicke entschieden, „da müssen Sie schon kommen, wenn Paulchen da ist.“
Ich dachte an das, was Sam Priston in der Nacht beobachtet hatte. Gloria Lane hatte mir erzählt, dass Short mit seiner Frau einen Krach gehabt hatte.
„Sagen Sie, Mister Brother, ist Frau Short auch unten?“
Der dicke Drehbuchautor schüttelte traurig den Kopf. Er starrte auf die Tischdecke.
„Nein“, sagte er dann zögernd, „sie ist noch nicht wieder aufgetaucht.“
„Ist sie versackt?“, fragte Jimmy. „Im nervenzerfetzenden Nachtleben?“
Der dicke Mann lächelte traurig. „So ungefähr wird‘s wohl sein“, sagte er. „Paulchen macht sich solche Sorgen.“
„Das hat sie wohl öfter, wie?“
„Ja-ja, es ist schon ein Elend. Na, ich habe damit nichts zu tun. Ich bin nicht verheiratet. Ich hab ein paar gute Freunde, und ich habe meine Arbeit, und das genügt vollkommen.“
„Waren Sie gestern auf der Party?“
„Aber natürlich. Ich und Sister sind doch Paulchens engste Mitarbeiter.“
„Sister?“
„Ja, so nennen sie Pat Bird. Er ist ein guter Freund von mir.“ Der Dicke sagte es mit etwas zu viel Zärtlichkeit. „Und weil ich Brother heiße, nennen sie Pat Bird immer Sister. Spaßig, nicht wahr?“
„Dichtet der auch?“, fragte Jimmy missbilligend.
„Er ist Produktionsleiter. Er schmeißt den kaufmännischen Kram.“
„Ist der unten am Strand?“
„Ich weiß nicht“, sagte der Dicke zögernd. „Er wollte auch kommen. Aber vorher kommt er sicher zu mir“, säuselte er und streichelte sich wieder über das dünne schwarze Haar.
Jimmy seufzte mitfühlend und stieß seine Ellenbogen in meine Rippen.
„Mir ist fast so, Langer, als müssten wir jetzt gehen.“
„Wenn Sie wollen, bleiben Sie ruhig noch ‘ne Weile“, säuselte Bob Brother. Er schien sich über die Störung nicht mehr zu ärgern.
„Vielleicht kommen wir mal wieder vorbei“, sagte Jimmy, „ich interessiere mich nämlich rasend für die Arbeit eines Drehbuchautors.“
„So, ist wahr? Ich wohne Vermont Avenue hundertsechsundsiebzig.“
„Merken wir uns“, sagte Jimmy.
Der Schwammige wollte aufstehen, um uns bis zur Tür zu begleiten. Ich gab ihm einen freundschaftlichen Stoß gegen die Schulter, so dass er in seinen Sessel zurückplumpste. „Bemühen Sie sich nicht, Mister Brother. Wir haben Sie lange genug gestört. Arbeiten Sie weiter. Wir finden schon allein hinaus. Auf Wiedersehen!“
Fassungslos glotzte der Herr Dichter hinter uns her.
Ich nickte ihm noch einmal freundlich zu, bevor ich die Tür zu der kleinen Diele hinter mir zuschmiss.
Jimmy war schon bei der großen Wäschetruhe. Wenn man sich Mühe gab, konnte man ganz gewiss einen menschlichen Körper darin unterbringen. Ich dachte an den Fleck, den wir oben in Shorts Schlafzimmer gesehen hatten. Ich dachte an den Kampf, den Sam Priston durch das Fenster beobachten konnte. Ich dachte an die seltsamen Bemerkungen, die Gloria Lane gemacht hatte.
Mich hatte eine fiebrige Spannung erfasst, als ich jetzt an die Wäschetruhe trat und zusammen mit Jimmy den Deckel hochhob. Es knarrte gespenstisch. Wir starrten den Inhalt der Truhe an und blickten uns dann an. Wir schwiegen. Jimmy verdrehte nur die Augen, und das mit Recht.
Denn die Wäschetruhe war leer.