Читать книгу Schwarze Nacht und rote Haare - Theodor Horschelt - Страница 11
Оглавление5. Kapitel: Zwei Liegestühle am Strand
Jimmy sog schnuppernd die Luft durch die Nase.
„Findest du nicht auch, Langer, dass es hier stinkt? Vielleicht von der Leiche, die du darin vermutet hast, oder es stinkt nach ein bisschen zu viel überreizter Phantasie. Auf jeden Fall habe ich das dumpfe Gefühl, dass wir hier so schnell wie möglich verschwinden sollten.“
„Okay“, murmelte ich. Wir schleuderten über den Kiesweg, hopsten draußen wieder über den Zaun und gingen zu unserem Wagen. Wir setzten uns rein, pafften einen Augenblick lang und dann rempelte Jimmy mich in die Seite.
„Siehste nun ein, dass es kalter Kaffee ist. Sam wird gesponnen haben. Das sag ich dir. Hinter der ganzen Affäre steckt nichts. Dafür fresse ich einen alten Hut.“
„Gut, Jimmy“, sagte ich drohend, „es bleibt dabei, du frisst ‘nen alten Hut, wenn doch was dahinter steckt.“
„Bist du so sicher?“, fragte er. Er startete den Motor. „Wohin fahren wir jetzt?“
„Zum Strand hinunter, so weit es geht.“
„Nun sag schon, was du denkst.“ Der Wagen rollte langsam los.
„Drei Dinge sind es, Jimmy, die nach wie vor einen merkwürdigen Zusammenhang bilden: erstens Sam Pristons Beobachtungen, zweitens der komische Fleck oben im Schlafzimmer, drittens die Betttruhe.“
„Du hast doch eben selbst gesehen, dass in der Wäschetruhe nichts war“, sagte Jimmy.
„Okay, Kleiner, okay. Die Wäschetruhe war leer. Aber die drei Tatsachen bleiben bestehen. Die Wäschetruhe wurde mitgenommen. Der Fleck war oben im Zimmer, und Sam Priston hat was beobachtet.“
„Sam Priston kann gesponnen haben.“
„Kann er. Der Fleck kann von einem undichten Hund stammen. Auch okay. Und die Wäschetruhe?“
„Die war leer“, sagte Jimmy.
„Verdammt noch mal“, sagte ich ungeduldig, „das habe ich selbst gesehen. Sag mir mal, warum jemand‘, bevor er eine Reise antreten will, eine leere Wäschetruhe in sein Wochenendhaus bringen lässt.“
Jimmy gluckste eine Weile, so als wäre in seinem Innern eine Kaffeemaschine untergebracht, die zum Schluss ein fertiges Gedankenfabrikat hervorspuckt.
Aber das, was dann herauskam, war auch nicht besonders schlau.
„Vielleicht will er im Wochenendhaus Betten oder Wäsche darin unterbringen. Vielleicht auch Knallerbsen oder trockene Zweige für‘n Winter. Ist ja ganz egal. Das Ding war leer, und damit basta.“
„Na, ist gut“, seufzte ich und lehnte mich auf meinem Sitz zurück. Meine schlauen Gedanken behielt ich für mich allein. Dabei war mir selbst nicht ganz klar, ob es schlaue Gedanken waren oder Hirngespinste. Deshalb zog mich die Telefonzentrale, die wir am Rande des Parkplatzes sahen, magnetisch an. Ich schlängelte mich zwischen den parkenden Autos hindurch, nahm den Hörer ab, steckte eine Münze hinein und wählte Oberinspektor Grandys Nummer.
„Hallo, Grandy“, sagte ich, als er sich gleich meldete. „Hier ist Browning aus San Francisco. Unser gemeinsamer Freund Sam Priston gab mir den Tipp, mich an Sie zu wenden, wenn‘s nötig ist.“
„Ist es nötig?“
Vielleicht hatte er doch Humor, und das war viel wert, besonders bei einem Polizisten.
„Ich glaube ja“, erwiderte ich. „Ich rufe noch mal an wegen der Sache in Paul Shorts Villa, Roscoe Street. Haben Sie den Fleck untersuchen lassen? Haben Sie etwas rausgekriegt? Ist es Blut?“
„Der Chemiker hat mich eben gerade angerufen. Von Blut keine Rede. Nicht die winzigsten Spuren. Es ist ganz ordinäres Wasser. Er ist noch nicht ganz fertig, aber er vermutet, dass es Blumenwasser ist. Vielleicht stand da ‘ne große Vase, die umgekippt ist. So und nicht anders ist es im Augenblick zu erklären.“
„Peinlich“, sagte ich.
„Da haben Sie ein wahres Wort gesprochen. Wir mussten uns ganz schön bei der blonden Puppe entschuldigen. Schließlich ist die Polizei nicht dazu da, Wasserflecke unter die Lupe zu nehmen, wenn sonst kein Anhaltspunkt vorhanden ist.“
„Sam Priston gab doch den Tipp“, sagte ich.
„Was hat das schon zu sagen, Browning? Das können Sie sich doch selbst denken. Können Sie mir ‘ne Ehe sagen, wo es noch nie Krach gegeben hat? Ist doch ‘ne reine Temperamentsfrage, ob bei der Gelegenheit ‘ne große Vase umgeschmissen wird oder nicht. Wenn die Polizei sich mit jedem Ehekrach beschäftigen würde, dann müsste es in jeder Familie einen Polizisten extra geben. Also lassen wir das.“
„Ich kann Sie verstehen, Grandy“, sagte ich.
„Okay.“ Er hängte auf. Ich starrte nachdenklich den Telefonapparat an. Ein Wasserfleck! Wahrscheinlich Blumenwasser. So ein Käse. Jimmy würde seine Wette vielleicht doch gewinnen. Aber der Bettkasten. Diese komische Wäschetruhe da. Warum hatte Short sie mitgenommen?
Ich ging hinaus zur Treppe, die zum Badestrand hinunterführte. Jimmy stand schon da und wartete. Er hatte sich gegen ein Parkschild gelehnt und eine Zigarette angezündet. Mit schiefem Mund grinste er mich an, so als ahnte er schon, dass meine Vermutungen immer unwahrscheinlicher erschienen.
„Na?“, fragte er nur.
„Der Fleck da“, sagte ich, „war kein Blut, sondern Blumenwasser, ‘ne Vase umgekippt.“
Jimmy lachte laut.
„Mann Gottes, Langer! Soweit ist es mit uns gekommen. Wir wollen Detektive spielen, und dabei ist gar nichts los. Überschrift: Wie sich der kleine Moritz die spannenden Abenteuer vorstellt.“
„Ich verstehe nur nicht“, murmelte ich, während wir langsam die Treppe hinuntergingen, „weshalb er den leeren Bettkasten mitgeschleppt hat. Und außerdem darfst du nicht vergessen, dass Mistress Short noch immer verschwunden ist.“
„Du meinst also, er hat seine Frau umgebracht, in der Wäschetruhe ‘rausschleppen lassen und dann später irgendwo verbuddelt?“
„Ich halte das für denkbar“, sagte ich.
Aber ich muss euch sagen, Jungs, mir war selbst nicht ganz wohl dabei.
*
„Mister Paul Short wird dringend am Telefon verlangt!“, ertönte die Stimme des Beamten durch alle Lautsprecher am Strand. „Mister Paul Short bitte zum Telefon in der Zentrale!“
Jimmy, der neben mir stand, schob sich den Hut ins Genick.
„Ganz schön heiß“, murmelte er. „Immerhin keine schlechte Idee, den Filmfritzen auf diese Art und Weise aus den vielen Badegästen herauszusortieren. Hoffentlich kommt er.“
Der Beamte warf mir einen missbilligenden Blick zu, aber dann dachte er an die zehn Dollar in seiner Tasche und gab die Ansage noch einmal durch.
Unter einem rot-weiß gestreiften Sonnenschirm standen vor der Zentrale zwei Liegestühle.
„Die sehen so aus, als warten die auf uns“, sagte ich zu Jimmy.
Wir setzten uns hinein und warteten. Ich wedelte mir mit meinem Hut Luft zu, aber die war genauso warm wie alle andere Luft.
„Weißt du, Langer“, sagte Jimmy trübsinnig, „manchmal überlege ich mir, dass es doch der größte Blödsinn meines Lebens war, dein Kompagnon zu werden. Stell dir vor, ich wäre jetzt allein hier. Was meinst du, was ich an hätte. Genauso viel, um nicht wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen zu werden. Aber immer noch genug, um alle Frauen hier mit meinem tollen Körper verrückt zu machen. Und was tue ich in Wirklichkeit? Ich sitze hier angepellt in einem Liegestuhl, fächle mir Luft zu, stöhne und schwitze und bin ganz scharf darauf, ohne jede Bezahlung zu arbeiten. Soweit ist man nun gekommen! Mensch, Langer, ich glaube, ich sitze doch auf dem falschen Dampfer.“
„Nun mal friedlich, Kleiner. Wir werden noch baden gehen in unserem Leben. Wir wollen erst mal sehen, wie diese Sache hier zu Ende geht.“
„Vielleicht ist es gar keine Sache“, sagte Jimmy.
„Das kann sein. Wir wollen sehen. Okay?“
„Okay“, stöhnte Jimmy, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
„Mein Name ist Paul Short“, sagte plötzlich ein Mann in der Telefonzentrale zu dem Beamten, Er hatte eine blaue Badehose an, und sein gut gewachsener, sportlicher Körper war von der Sonne hellbraun getönt. Er hatte ein junges Gesicht und silbergraues Haar.
„Tut mir leid, Mister Short“, erwiderte der Mann am Telefontisch. „Der Teilnehmer hat eben aufgehängt. Ich wollte es gerade durchsagen.“
„Verdammt. Hat er Ihnen nicht gesagt, was er wollte?“
„Bedaure, nein, Mister Short. Tut mir wirklich leid. Entschuldigen Sie.“
Der Mann in der blauen Badehose ging nachdenklich hinaus. Er ging dicht an uns vorbei. Aber er beachtete uns nicht, sondern starrte auf den Boden. Anscheinend erwartete er tatsächlich einen dringenden Anruf.
„Hallo, Mister Short?“ Ich war aufgestanden und ihm langsam gefolgt.
Er war herumgefahren und starrte mich an.
„Was ist?“, fragte er. „Ich kenne Sie nicht.“
„Ich habe Ihre Villa gemietet. Sie sind Mister Paul Short, nicht wahr?“
„Ja, das bin ich. Und? Stimmt etwas nicht?“
„Sie haben da eine Wäschetruhe gehabt, sagte mir Mistress Lane. Brauchen Sie die noch?“
Der Mann starrte mich an.
„Ich weiß wirklich nicht, wie Sie darauf kommen“, sagte er leise. „Die Villa können Sie so mieten, wie sie ist. Was für Möbel vorher drin waren, geht Sie doch nichts an. Oder?“
„Natürlich nicht. Sie haben mich falsch verstanden. Ich hätte den Bettkasten ganz gut gebrauchen können.“
„Wenn Sie Wert darauf legen, können Sie ihn haben“, sagte er. „Guten Tag!“ Er wandte sich um und ging zum Strand.
„Abgeblitzt, wie?“, fragte Jimmy und grinste mich an. Er räkelte sich in seinem Liegestuhl und schien sich jetzt etwas wohler zu fühlen.
„Mister Short, Mister Short!“, rief plötzlich die Stimme aus dem Lautsprecher. „Jetzt ist der Anrufer wieder da. Dringend, dringend! Kommen Sie, bitte!“
Ich war aufgesprungen und zu dem Telefonfritzen hinübergelaufen, denn seine Stimme hatte sehr erregt geklungen.
„Was ist?“, fragte ich.
„Anruf von der Polizei für Mister Short. Eine Tote wurde gefunden. Drüben neben der Vergnügungsmole. Das ist so ‘n Tanzpalast direkt über‘m Meer. Zwei Kilometer weiter.“
Ich war schon draußen. Ich sah, wie Short aufgeregt herankam. Aber ich kümmerte mich nicht um ihn.
„Komm, Jimmy!“, rief ich und rannte zur Treppe. „Ich fürchte, deine Wette hast du verloren.“