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Gaudium et spes (1965)

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Anno 1965 sind Frauen andere Wesen. Vor allem aber sind sie Ehefrauen. In Gaudium et spes, für viele bis heute „das“ Konzilsdokument, kommen Frauen als eigenständige Subjekte, das heißt nicht als bloße Ergänzung des Mannes, ein einziges Mal vor, und dabei wird ihre Teilhabe am öffentlichen Leben, wie sie 1963 gefordert wurde, im Bereich der Kultur bereits als sehr spezielle betrachtet: „Die Frauen sind zwar schon in fast allen Lebensbereichen tätig, infolgedessen sollen sie aber auch in der Lage sein, die ihrer Eigenart angemessene Rolle voll zu übernehmen. Sache aller ist es, die je eigene und notwendige Teilnahme der Frau am kulturellen Leben anzuerkennen und zu fördern.“ (61) Das kann man und frau durchaus unterschiedlich lesen, wie es in den folgenden Jahrzehnten dann auch geschehen ist.

Ansonsten findet, wer Frauen und Kirche in Gaudium et spes sucht, das Thema Mann und Frau in ehelicher Zweisamkeit. Idealerweise unterstellt man hier den Konzilsvätern ihrer Zeit weit im Voraus den Geschlechterrollendiskurs des 21. Jahrhunderts antizipiert zu haben und endlich nicht die Frau als alleiniges, weil unbekanntes Forschungsobjekt in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Mann und Frau gleichermaßen zur Diskussion und in theoretischer wie praktischer Dependenz zu sehen. Tatsächlich spiegelt Gaudium et spes wohl aber den letzten Terminus ante quem: Jenes Zeitalter, als Frauen für die meisten Männer innerhalb der Kirche – und auch außerhalb – noch kein großes Problem und damit kein seitenfüllendes Thema waren. Es gibt sie eben selbstverständlich. Was aber nicht mehr selbstverständlich und deshalb ausführlicher Gegenstand der Pastoralkonstitution war, ist die Ehe.

„Polygamie, um sich greifende Ehescheidung, sogenannte freie Liebe und andere Entartungen entstellen diese Würde (erg.: der Ehe). Darüber hinaus wird die eheliche Liebe öfters durch Egoismus, bloße Genußsucht und durch unerlaubte Praktiken gegen die Fruchtbarkeit der Ehe entweiht.“ (47).

Eine Lektüre dieser einleitenden Passage anno 2015 führt zu einigen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen: Erstens: Es war offenbar für die deutschsprachigen Übersetzer im Jahr 1965 kein Problem, den NS-Terminus „Entartung“ für zwischenmenschliche Beziehungen zu verwenden, um das lateinische deformatio wiederzugeben. Zweitens: Die verwendete Terminologie ist wohl für viele Leser nur mehr mit Glossar entzifferbar – wer weiß schon noch, dass unter „freier Liebe“ schlicht und einfach das unverheiratete Zusammenleben gemeint war und was sich alles hinter „unerlaubten Praktiken gegen die Fruchtbarkeit“ verbergen könnte. Drittens: Polygamie, also wörtlich die Ehe mit mehreren Frauen zur selben Zeit, Scheidung und das Zusammenleben ohne kirchlichen Trauschein werden auf eine Stufe, eben jene der Entartung gestellt. Und viertens: Genuss und Ehe schließen einander aus.

Fast ist man versucht, nostalgisch zu werden, freie Liebe und unerlaubte Praktiken, das lässt doch noch Raum für Fantasien, anders als die mehrseitigen Gebrauchsanleitungen zeitgeistiger Hausfrauenpornos à la „Fifty Shades of Grey“. Fast. Die Nostalgie weicht einer gewissen Ernüchterung, wenn man sich die Bedeutung derartiger Aussagen für kirchentreue Frauen und Männer vor Augen hält. Jenes Konzilsdokument, das sich eigentlich darum bemüht, die Kirche in Dialog mit der Welt von heute zu bringen, ja, mehr noch, sich dieser Welt zu öffnen und die kirchliche Lehre für sie zu adaptieren, erteilt gleichzeitig jeder intimen Begegnung außerhalb der Ehe eine kategorische Absage und allfälliger Verhütung gleich mit. Extra matrimonium nulla salus – außerhalb der Ehe kein Heil – unter dieser Grundprämisse spricht das Konzil über die Beziehung von Mann und Frau. Und nur unter dieser Prämisse und diesem Thema werden Frauen überhaupt besprochen. Wer nach Frauen im Konzil sucht, findet sie in der Ehe.

Trotzdem gelten diese Kapitel noch heute den meisten Theologen, auch den ihrem Selbstverständnis nach progressiven, als Meilenstein in der kirchlichen Lehre zu den Themen Sex und Frau. Sicher schwingt da bei einigen heimlich diese Nostalgie von damals mit, die Romantik der goldenen Sechzigerjahre, das Gefühl, als junger Theologe damals mit dabei und fortschrittlich gewesen zu sein, oder wenigstens als etwas jüngerer Theologe die Konzilsväter leibhaftig so verwegen über die freie Liebe reden gehört zu haben. Und ja, damals waren Männer in diesen Gesprächen noch unter sich. Als Frau Jahrgang 1971 fehlt mir dieser Zugang. Nachdenklich gemacht hat mich aber die fast idente Äußerung zweier älterer Kollegen der oben beschriebenen Kategorien, sprich halbwegs jung und ganz jung während des Konzils. „Du weißt ja nicht, wie es vorher war.“

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