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Wie es vorher war
ОглавлениеWar es vorher, vor den Kapiteln 47 bis 52 und dem II. Vatikanum, wirklich noch schlimmer in Sachen Ehe, Sex und Geschlechterrollen?
Wer Näheres wissen will, braucht nicht nur ein Glossar, sondern Lateinkenntnisse. Das im deutschsprachigen Raum verwendete Lehrbuch zum Thema, das Priestern bis zum Konzil als Grundlage für ihre Theorie und Praxis zur Ehe, insbesondere aber der Beratung der Eheleute in der Beichte diente, erklärt einiges. So zum Beispiel Ziel, Lage, Ort und Zeit des erlaubten Aktes, im Original: „De liceitate actus coniugalis ratione circumstantiarum. § 1. De fine, § 2. De situ et loco, § 3 De tempore.“ Oder das Übel des Genusses. „De malitia luxuriae.“ Oder überhaupt: „Quomodo perficiendo“ – wie man den ehelichen Verkehr durchzuführen habe.
Die Summa Theologiae Moralis der Jesuiten Hieronymus Noldin und Albert Schmitt ist nicht nur eine abgründige Motivation, sein Latein aufzufrischen, sie ist vor allem ein Schlüssel zum Verständnis jener Passagen aus der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, die am Anfang des kirchlichen Diskurses über Frauen stehen. Zunächst einmal die Sprache. Diese Summa ist weit entfernt von jeglicher Spiritualisierung der Ehe oder gar des ehelichen Verkehrs. Es geht wohlgeordnet zur Sache, immer schön logisch beginnend mit einer Definition, genaueren Erläuterungen, möglichen Fragen und Verirrungen. Die Summa Theologiae Moralis ist auf ihre Weise sogar über weite Strecken geschlechtergerecht formuliert, wenn auch ohne Binnen-I, dafür aber artig mit „quod vir vel mulier“ (dass der Mann oder die Frau) oder „utriusque sexus“ (beiderlei Geschlechts). Von der Besonderheit der Frau als weiblichem Wesen ist nur dann die Rede, wenn es entweder um biologische Sachverhalte geht (und dann in einer Detailliertheit, die kein Schulbuch bis in die 1980er-Jahre wagte) oder aber bei jenen Sünden, die eine spezifische Rolle der Frau implizieren: Prostitution und Vergewaltigung. Erstere wird interessanterweise fast ausschließlich unter der Frage, ob die Staatsmacht sie denn erlauben dürfe, abgehandelt – sie darf natürlich nicht, sondern der Staat soll sich um die Erziehung der Jugend zur Keuschheit kümmern. Von den Beweggründen der Frauen ist ebenso wenig die Rede wie von ihrer speziellen Sündhaftigkeit, Prostitution ist Unzucht des Lohnes willen, wie die spröde deutsche Übersetzung des nicht minder spröden lateinischen Originals lautet. Vergewaltigung wiederum wird als Delikt gegen jede Frau angesehen, die „immunis a peccato“, also frei von der Sünde sei, wenn sie sich zumindest innerlich (!) dagegen gewehrt hat.
Ansonsten gilt so wie im profanen Leben: Die Frau ist Helferin des Mannes, auch bei der Sünde der Unzucht, und die Autoren suchen den schmalen Grat zwischen Verpflichtung zum ehelichen Gehorsam und Vermeidung der Sünde zu definieren, was bei seitenlangen Überlegungen zur Mithilfe der Ehefrau zur Onanie des Gatten latent parodistische Züge annimmt. Jegliche Art der Empfängnisverhütung (es gibt sogar ein lateinisches Wort für Kondom) ist natürlich strengstens verboten, die Beichtväter wussten aber nach dem Studium von Noldin/Schmitt bestens Bescheid, wonach sie die Bußfertigen fragen mussten.
So war die theologische Rede über die Ehe als Verbindung von Mann und Frau also „vorher“, vor dem Konzil und den Artikeln 47 bis 52, in Gaudium et spes: Das eheliche Leben, ein steter Spießrutenlauf zwischen zentimetergenau vermessenen Grenzen von tolerierter, weil zielgerichteter Lust und der Sünde. Aber auch: eine extrem nüchterne Sicht beider Geschlechter als Rechtsobjekte, deren Handeln in licet und non licet, in erlaubt und verboten, unterteilt wurde, unsentimental in einem Ausmaß, das heute wohl viele Priester als „verdinglicht“ oder „versachlicht“, beides natürlich Begleiterscheinungen der schlimmen Postmoderne, bezeichnen würden. Frauen als besonders schützenswerte Wesen oder auch nur als Teil einer Liebesgemeinschaft mit transzendenter Aufgabe, wie wir sie gleich in Gaudium et spes kennenlernen werden, gibt es schlichtweg noch nicht. Was jene in Ehren ergraute Konzilsgeneration meint, wenn sie von den Verbesserungen durch das Konzil gegenüber dem „Vorher“ von Noldin/Schmitt spricht, ist die Entrechtlichung der Ehe zugunsten einer Theologisierung und Spiritualisierung. Was sie auch meint, ist der Wegfall all jener minutiösen Regeln im Umgang der Geschlechter, der eben alles bis zur berühmten Frage, ab wie viel Zentimetern Rocklänge über dem Knie die schwere Sünde begänne, umfasste – und zwar für die Haut zeigende Frau und den lüstern hinblickenden Mann. Das Konzil galt und gilt vielen als Befreiung von diesem spätscholastischen Korsett der Unzuchtsparagrafen.