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Vorwort

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Dieses Buch ist kein Ratgeber. Sorry. Zwar ist Bücherschreiben eine Möglichkeit Geld, zu verdienen – aber dann bitte nicht mit unnützem oder aufgewärmtem Wissen, das seit Jahrtausenden Bestand hat und nur von findigen markenaffinen Gurus nochmal neu verpackt wird. Bücher mit findigen Titeln, Erklärvideos, abstruse Coaching-Seminare – um Himmels willen! Jedenfalls: Ich möchte gar kein Wissen vermitteln. Ehrlich gesagt, gehe ich manchmal so weit zu denken, dass es in der Tat keine einheitliche oder repräsentative Psychologie des Menschen gibt, weil eben jeder eine einzigartige Schneeflocke ist und seine eigene Geschichte schreibt. Weil ich der Wissenschaft jetzt aber keinesfalls ihre Daseinsberechtigung absprechen möchte, sage ich: Psychologie ist vielleicht zu einfach geworden, denn in quasi allen Fällen können wir mit folgendem kleinsten gemeinsamen Nenner als Währung hantieren: Angst. Liebe kennt keine Angst. Aber Angst kennt nur sich selbst.

Der moderne Mensch ist über sein Denken und Interpretieren hinaus seelisch oder spirituell obdachlos geworden. Es scheint ihm schwer zu fallen, zu akzeptieren, dass er nicht die hundertprozentige Kontrolle über sein Leben, seine Zukunft, geschweige denn über das Universum an sich hat. Es fällt ihm schwer, sich fallen zu lassen. Es fällt ihm schwer, nicht die Verantwortung für die offenbare Gesetzmäßigkeit zu übernehmen, dass wir alle – dass auch die Menschheit per se nicht ewig bestehen wird und schließlich alle spurlos von dieser kosmischen Oberfläche getilgt werden. Auch wenn Energie nicht verschwindet – sie ändert die Form, unaufhaltsam.

Weil diese Realität, diese Wahrheit so harsch erscheint, flüchten wir uns in virtuelle Realitäten – und damit meine ich nicht nur die Welt der Videospiele, des Internets, der Promis oder der Schnapspralinen. Wir flüchten uns in moralische Traumvorstellungen und in Handlungsmuster, denen quasi eine eigene Göttlichkeit zugrundeliegt. Denn ein anderer Aspekt meiner persönlichen praktischen Psychologie neben der Angst ist: die Sucht.

Das englische Wort für Sucht, addiction, hat seinen Ursprung vermutlich in dem lateinischen Wort addicere, was so viel wie anbeten bedeutet. Und mitunter beten wir etwas einfach um dessen willen an, ohne uns rational oder schlüssig erklären zu können, warum wir es tun. In diesem Fall ein schmaler Grat zwischen Glauben und Fettnäpfchen. In vielen Fällen, wenn nicht sogar in allen, erfahren wir beim Tun oder Konsumieren einer Sache etwas, das uns erfüllt, das uns abholt – das uns eine abstrakte Form von Geborgenheit oder Erlösung verspricht.

Ein Versteck also: vor den eigenen Ängsten, die schlussendlich auf ewig vor der Tür warten und viel Geduld mitbringen, wenn sie hungrig sind. Weil man bekanntlich nicht dort scheißt, wo man isst oder schläft, muss man manchmal einfach nach draußen. Und entweder pirscht man sich ängstlich an der Angst vorbei oder man bleibt einfach sein Leben lang ängstlich in seiner Höhle, vor seinem individuellen Altar und erstickt irgendwann an seinen eigenen Exkrementen – oder man schließt Frieden mit seinen Ängsten, die sich oft sogar schnell in Luft auflösen, wenn man ihnen die Hand geben oder sie sogar umarmen möchte.

Laut Eckhart Tolle, um dessen Hauptwerk es in diesem Buch zu großen Teilen geht, spielt Angst auch eine zentrale Rolle. Beispielsweise sehr oft nämlich in der Kommunikation mit anderen Menschen. Unsere Angst vor der objektiven Sinnleere der Existenz füllen wir aus mit Devisen wie: »Aber irgendetwas muss doch von Bedeutung sein!« Und es erscheint sinnvoll, sich nach ein paar grundlegenden Werten oder Tugenden auszurichten. Problematisch wird es nur, wenn man sich mit diesen Werten so stark identifiziert, dass die lebenden Gegenbeweise, Mitmenschen genannt, unweigerlich drohen, die eigene Grundlage zur Identifikation aus den Angeln zu heben.

Und dann reagieren wir mit blinder Wut, blinder (verbaler) Gewalt – und stellen uns gar nicht erst die Frage danach, wie der Mitmensch eigentlich zu seinen Werten gekommen ist und ob es nicht doch eine rationale Lösung für das Zusammenleben in einer allzu realistischen Welt gibt. Ob nicht die jetzige Situation und der blanke praktische Verstand alles zur Lösung bereitstellen.

Wir stellen uns selbst jedenfalls viel zu wenige Fragen. Und meine Arbeit verschreibt sich indirekt dem Stellen von Fragen – auf Basis der schier wahnsinnigen Annahme, dass es mich interessiert, was mein Gegenüber denkt und fühlt, wenn er etwas tut oder sagt. Ich verpflichte mich dazu, den Menschen beim Fragenlernen zu helfen – also beim Entwickeln von Neugier, Hilfsbereitschaft und eines aufrichtigen Interesses am anderen. Hierzu möchte ich mit gutem Beispiel vorangehen und die völlig überraschenden Ergebnisse meines Tagebuchprojekts präsentieren. Überraschend insofern, indem ich erkannt habe, was mich eigentlich nicht schlafen ließ, was mir eigentlich Sorge bereitete, was oder wer mir wichtig war – wie ich mich seelisch lange Zeit selbst misshandelte. Und wie schwierig es dann ist, eine Idee fürs gelingende Leben, wie Eckhart Tolle sie zurecht in den Äther streut, umzusetzen, wenn diese Sorgen und Ängste Überhand nehmen – vor allem, wenn man erkennt, wie lang die Ängste dies schon tun.

Diese Passage ist am zwanzigsten des Projektmonats entstanden. Auch wenn ich noch bis Druckabgabe ein paar Veränderungen vornehmen werde, so wird sich relativ schnell zeigen, dass es nichts zu zeigen gibt: Ein Tagebuch sollte einerseits frei sein, andererseits hat sich mein psychischer Zustand im Lauf der viereinhalb Wochen sehr verschlechtert verändert, weil mir – wie noch zu lesen sein wird – ein- oder erleuchtete, was eigentlich meine eigenen Probleme sind. Und was zu implizieren vermag, wie nicht bereit ich für den Job des Lebensberaters zu sein scheine. Aber mit der Psychologie ist es wie mit den Künsten: Wenn man nicht selbst durch die Hölle gegangen ist oder geht oder sich nicht gehörig dort auskennt, braucht man auch nicht den Fremdenführer zu mimen.

Eine nette Ausrede, nicht wahr? Ich hoffe jedenfalls, trotz dessen Chaos etwas Persönlichkeit mit diesem Projekt vermittelt haben zu können. Denn ich halte nicht viel von Wissen – aber viel von kreativen Fragen. Diese kann sich jeder sofort stellen – wenn er sich ganz auf die Gegenwart konzentriert und akzeptiert. Und das macht Eckhart Tolle auch so – ach, lesen Sie einfach selbst. Viel Spaß!

Ich bin mein ganzes einziges irdisches Leben lang mit mir selbst zusammen

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