Читать книгу Ich bin mein ganzes einziges irdisches Leben lang mit mir selbst zusammen - Thomas Becker - Страница 6

2. März 2021

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Was ist in der metaphorischen Kiste, auf der ich sitze?

Warum muss ich mir selbst immer wieder mitteilen, dass ich meinen Arsch nicht etwa auf einem massiven Stück Holz geparkt habe – sondern dass es eben eine Kiste bleibt. Dass der wahre Schatz direkt unter – respektive: in mir – schlummert, auch wenn ich diesen Fakt im nächsten Moment der Zerstreuung vergesse?

Der Heiligen-Schein der Dinge.

Menschen wie Eckhart Tolle (und ich, irgendwann) machen andere darauf aufmerksam, dass wir viel zu oft unnötigen Möglichkeiten zur vermeintlichen Selbsterfüllung, zu Vergnügen, Bestätigung, Sicherheit und Abarten der Liebe hinterherhecheln. Und ich selbst weiß doch, dass es aktuell nur gerade darum geht, mein Kostüm namens Lebenssituation realistisch-praktisch zu modellieren, sodass ich mein biologisches Dasein gesichert weiß. Denn auch Erleuchtung oder Transzendenz erfährt man eben durch seinen Körper.

Ich hatte eine mittelprächtige Nacht, bin spät eingeschlafen, weil ich durch das Feuer dieses neuen Projektes wieder auf richtig heißen Kohlen sitze. Es ist nur eben nicht konstruktiv, wenn es mir in irgendeiner Weise doch Sorgen bereitet. Sprich ich hätte am Abend noch den einen oder anderen Gedanken notieren und dann einschlafen können, aber mit den eintretenden Ideen kommen immer wieder Sorgen hoch, weil sie eben grundlegende Fragen des Zusammenlebens berühren.

Und damit auch mich.

Wenn ich ehrlich zu mir sein soll: Es ist im Grunde einfach viel Einsamkeit, auf einer spirituellen Ebene. Ich bin von Natur aus eher Einzelgänger und bin gern für mich, spaziere gern durch die Gegend und halte jetzt schon oft erfolgreich an keinem Gedanken fest. Oft bin ich einfach schon, ohne etwas, irgendwer oder irgendwie zu sein. (Edit: Du wirst dich noch wundern, Thomas!)

Der Austausch mit meinen wenigen Freunden ist angenehm, zufriedenstellend, wenn auch nicht vollends erfüllend. Wobei es eigentlich keiner Worte bedarf, und auch keiner Bestätigung. Glücklich oder zufrieden zu sein ist eine Entscheidung, die man obendrein gern noch mit anderen Menschen teilen darf, aber über dessen individuelle Formel sich genau so wenig streiten lässt wie über kulturellen Geschmack. Doch ich glaube, dass ich diese bestimmte Sprachlosigkeit mit niemandem teilen kann. Klingt das absurd? Und dass ich niemanden sehen muss, aber gleichzeitig irgendeine Verpflichtung gegenüber den Menschen spüre, Verbindungen zu halten – vor allem in puncto Lebensführung: Dass Aspekte der Normalität zu wahren sind, obwohl ich in vielen Momenten nein sagen möchte.

Es geht in erster Linie um Kulturtechniken, beispielsweise um jene des Genießens und Abschaltens.

Koffein ist beispielsweise so eine Geschichte: Kaffee, der mir zwar diesen nötigen Produktivitätsschub gibt, aber meinem Körper und dann auch meiner Psyche Probleme macht: Dass er schwer im Magen zu liegen scheint und höchstwahrscheinlich dafür sorgt, dass ich am Nachmittag niederschmetternd durchhänge – sofern es nicht ein Nährstoffmangel ist, dem ich zumindest angefangen habe nachzugehen.

Vitamin B12 künstlich zuführen? Moderne Probleme brauchen moderne Lösungen, basta. Aber eigentlich will ich diese Freiheit vom Koffein. Wieder mal: Bisher bin ich immer wieder zurückgekehrt, weil ich nicht wie ein asketischer Idiot erscheinen will. Warum kümmert mich noch immer eine andere Meinung? Warum verfechte ich nicht endlich die Ansicht, dass ein vermeintlicher Verzicht auf bestimmte Kulturtechniken eben nachhaltig Freiheit bedeutet? Wieso nicht jetzt, wo ich kaum Freunde oder Ansehen zu verlieren habe?

Ein anderes Problem – nein, Entschuldigung, ein anderer Fakt: Ich bin zu still für eine oberflächliche Partnerschaft. Genauer gesagt, interessieren mich so wenige Weltlichkeiten. Noch präziser gesagt, ist das einzige, was ich mir vorstellen kann, eine intime oder auch erotische Vertrautheit mit einer Frau, wobei es nicht mal primär oder sekundär um Sex geht. Ich bin nicht komplett demotiviert, zu suchen, aber wiederum zu realistisch, um auch nur ein Fünkchen Hoffnung dafür zu schüren, eine Frau zu finden, die mich als das annimmt, was ich bin, nämlich ein asketischer Einzelgänger, ein Metaphysiker, der so unbeeindruckt von den weltlichen Problemen ist, dass es zum Kotzen werden kann.

»Hey, Schatz, wie wäre es mal mit einer Portion Ataraxie: Erkenne, was du ändern kannst. Akzeptiere, was du nicht ändern kannst. Und lerne, den Unterschied zwischen beidem auszumachen. Ganz einfach! Resilienz, Resonanz, Realismus!« Ergo suche ich vielleicht eine Frau, die sich ebenfalls von ihrem Ego gelöst und aus der Gleichung herausgenommen hat oder bereit ist, das zu tun – ohne dabei der Esoterik anheimzufallen.

Also hallo, zukünftige Liebe: Ich bin ein Küchenhocker, der – zugegebenermaßen – verdammt gut artikulieren und rechtfertigen kann, warum er so ist, wie er ist, aber kaum Berührungspunkte mit dem Rest der Welt aufweist – sofern er nicht alle mit seinem sehr weltlichen und sehr westlichen Humor zum Lachen bringt oder mit einer Engelsgeduld zuhören und die Probleme anderer in Richtung Auflösung voranbringen kann.

Von einem anderen Planeten? Aus einer anderen, gar einer zukünftigen Epoche? Manchmal fühle ich mich wirklich so. Und zurzeit sehe ich auch wie Jesus aus!

Auf jeden Fall bin ich gegenüber meinen Mitmenschen nicht ehrlich genug, trotz der Kompromisse, die ich eingehe und die mir dabei helfen, meine weltliche Seite wachsen zu lassen. Ich mag das Arrangement mit meinem Kollegen, also das Betreiben des Podcasts und die Informationsveranstaltungen. Ich mag die Spaziergänge mit meinem Kumpel. Und mich berührt der Austausch mit meinem Lieblingsmenschen, was auf einer Form von Liebe und Verständnis und Humor basiert, für die ich nicht dankbar genug sein kann.

Wie bin ich nun also ehrlicher zu ihnen? Indem ich kommuniziere, dass ich ehrlicher zu mir selbst sein muss. Denn es geht um die Ehrlichkeit und Deckungsgleichheit zwischen meiner Lebenssituation und meinem Selbst, durch deren Außenwirkung ich eben meine Zeit auf der Erde verbringe. Das scheint wirklich alles zu sein… Na dann!

Unabhängig von bestimmten Mechanismen in der Außenwelt sein. Dabei geht es nicht nur um die Sucht nach Kaffee beziehungsweise Koffein, sondern eben auch um die Sucht nach oder die Selbstverständlichkeit in puncto kleine Freuden im Alltag. Denn was soll das mit wahrer Freude zu tun haben, wenn man sich das Leben ohne diese Freuden nicht vorstellen kann?

Ist das eine paradoxe Frage? Nein, oder?

*

Der Morgen ist definitiv der beste Teil des Tages, weil ich ruhig und fokussiert bin und weiß, welche Gedanken und Ideen ich wie zu digitalem Papier bringen möchte. Ich tue diese für mehrere Stunden – und zweifellos entwickele ich eine Vorfreude, weil ich in diesem Moment weiß, dass ich meine Ideen und damit mich selbst ziemlich gut artikulieren kann. Ich stelle mich mir selbst auch sonst sehr selbstsicher vor, schon von Berufs wegen! Und in meiner Idealvorstellung bin ich genau so für andere Menschen präsent, wie Eckhart Tolle es auch beschreibt.

Es ist mir auch eine Freude, Menschen erklären zu können, dass die schönsten Dinge frei vom Zwang des Geldes sind, dass man an Ort und Stelle zum inneren Frieden zurückkehren kann, indem man jenen Teil des Verstandes ausschaltet, der sich mit der Vergangenheit und der Zukunft beschäftigt und dabei nichts Konstruktives (etwa zu einem praktischen Problem) beiträgt.

Den Anfang aller Probleme bilden vermutlich die Konzepte, die wir im Laufe unseres Lebens entwickeln. Konzepte, die keine Fragen mehr zulassen. Und wie entstehen Konzepte? Im Grunde durch angstschwangere Erfahrungen und Sehnsüchte, und durch Sprache, wenn auch lose Bilderwolken oder Kurzfilme im Kopf fast fundamentaler für unsere individuellen Sichten auf die Welt sind. Weil wir uns immer irgendwie ein Stück weit in eine vergangenheitsschwangere Zukunft hineinprojizieren.

In den meisten westlichen Vorstellungen besteht die Welt aus zwei Seiten: gut und böse, und von hier aus breiten sich die Interpretationen zu einem komplexen Delta aus, auf das wir intuitiv beharren, aber im Grunde nicht mehr auf die Ursprünge zurückführen können. Unsere Geduldsfäden sind so viel kürzer als jedes noch so kleine Rinnsal unseres Weltverständnisses. Ich hoffe, die Metapher wirkt, bevor sie anfängt zu hinken! Kampf oder Flucht – oder an Ort und Stelle einfrieren. Hm, vielleicht einfach mal Fragen stellen? Nein! Der Satz des ausgeschlossenen Vierten.

Das mentale Rauschen, der Hintergrundlärm in unserem Kopf ist quasi ein ständiges Erinnern daran, dass wir diese ganzen Konzepte unbedingt verteidigen müssen. Denn wir identifizieren uns so stark mit diesen Konzepten, dass eine Erschütterung derselbigen durch – sagen wir mal – realistische oder gar plausible Einwände anderer Menschen einem Verlieren des Bodens unter den Füßen gleichkommt. Stichwort: Ego-Tod.

In Gesprächen oder Auseinandersetzungen hat der rein praktische Verstand, die rationale Ratio, deshalb kaum eine Chance, zum Wohle aller beizutragen. Deswegen herrscht Krieg – immer und überall. Wir argumentieren tendenziell willkürlich oder kontraproduktiv, da wir unter dem Druck unseres Meisters stehen – der früher mal eigentlich unser Instrument war, aber sich über uns gestellt hat: Unser Verstand, die rechte Hand des Egos.

Wenn wir mal annehmen, dass es im Leben vor allem um Liebe gehen soll, dann ist in den meisten Fällen aber von einer bedingten oder bedinungungsvollen Liebe zu sprechen. Denn – der status quo: – wer unser Moralverständnis oder unsere Auffassung von einem gesellschaftlichen oder politischen oder wasauchimmer Leben nicht teilt, kann doch unsere Liebe nicht verdienen! Umso absurder aber, dass andere Menschen uns einfach so nehmen oder lieben, wie wir sind, obwohl wir anderer Meinung oder Auffassung sind. Und noch absurder, dass wir uns in solchen Momenten befreit oder geborgen fühlen. Wie funktioniert das?! Weil sie uns annehmen, und nicht unsere Vergangenheit oder Zukunft.

Eckhart Tolle formuliert in Jetzt! die Frage, ob man eigentlich seinen Verstand benutzt, wenn man ein Kreuzworträtsel löst oder eine Atombombe bauen kann. In erster Linie scheint sich dann unser Verstand wohl gern in Probleme zu verbeißen. Das Problem dahinter ist noch wichtiger als das Kreuzworträtsel oder die Atombombe. Sprich: Interessiert sich irgendjemand für die Atombombe – oder im Grunde nur für die Lösung eines Problems, auf eine Art und Weise, die ihm oder ihr nachhaltig erscheint?

Wie stehen Sie zu Atombomben?

Wahrscheinlich sind Sie ohnehin mit Ihren inneren Konflikten beschäftigt – und gehen dabei nicht einmal lösungsorientiert vor. Ein klassischer Ausspruch und auch Argument für eine lösungsorientierte Form der Beratung: Wenn Sie wissen, wie die Kopfschmerzen oder das gebrochene Bein entstanden ist – lindert das Wissen allein die Beschwerden? Wie wäre es stattdessen, wenn man sich rational und detektivisch mit dem Problem an sich beschäftigt? Wenn wir also das Problem betrachten, ohne das Gefühl zu haben, dass uns unser eigenes Ego über die Schultern schaut? Was wohl nötig werden lässt, zunächst das Ego zu betrachten, das unser Denken beeinflusst. Zeit, den Drahtzieher aus seinem Rattenloch zu holen – Zeit, ihn zu retten und ihm dann eine warme Milch mit Honig anzubieten. Denn nicht mal unser Ego weiß, wodurch und wie es sich auf diesen Posten hat einlassen können.

*

Im Laufe des Tages habe ich mich dazu entschieden, alles auf die Karte Schlaf zu setzen: Ich habe dafür Lebensmittel eingekauft, die den Stoffwechsel zugunsten des besseren Einschlafens ankurbeln. Ich werde später noch einen Abendspaziergang machen und mich ab einem gewissen Punkt des Tages von Bildschirmtätigkeiten trennen. Lesen, schreiben, Kamillentee trinken, eine Handvoll Walnusskerne essen. Was soll noch schief gehen?!

Ich bin mir relativ sicher, dass der Fokus auf guten Schlaf viele Fliegen mit einer Klappe schlägt. Sofortiges Einschlafen lässt keine Gedanken zu, die hie und da in Gefühle von Einsamkeit münden und mich besinnungslos Coronaschau, YouTube oder 9gag als Hintergrundrauschen einschalten lassen. Schnelles Einschlafen verheißt außerdem mehr Energie am nächsten Tag, was wiederum die Abhängigkeit von Koffein erübrigen könnte.

Buchstäblich zu einfach und offensichtlich! (Edit: Stimmt… )

Kein Koffein, kein belangloser Internetkonsum, stattdessen Energie und Fokus auf das, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Meine Schlafstörungen, die letzte Bastion? Ich weiß, dass so ziemlich alle modernen Religionen andere Ideen von Gott oder Göttlichkeit haben. Aber sofern ich diese meine Göttlichkeit da draußen oder in mir adressieren kann: Schenk mir Erleuchtung in Form von wenigstens sieben Stunden Filmriss am Stück!

Und damit Energie für einen Beruf, den man quasi notfalls ergreift, wenn Menschen im Privaten zusehends langweiliger werden – was für eine Überleitung. Langweilige Menschen wegen menschlicher Langeweile. Seelisch heimatlos, Angst davor, diesen ganzen Schwachsinn da draußen zu verpassen. Habt Solidarität mit den Armen – wobei es fast sinnvoller erscheint, dass die Armen Solidarität mit uns reichen armen Schweinen bekennen. Was rede ich da? Schreibt es in die Kommentarspalte!

Ich bin mein ganzes einziges irdisches Leben lang mit mir selbst zusammen

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