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23 Stunden zuvor. Der Leichenfund. Sonntag, 28. Januar.

Der Digitalwecker im Schlafzimmer von Stephanie Imboden und Joseph Ritter in Münsingen zeigte am Sonntag, 28. Januar 7.47 Uhr, als das Handy des Dezernatsleiters Leib und Leben bei der Kantonspolizei Bern mit dem Klingelton «Highway to Hell» von AC/DC unmissverständlich ankündigte, dass aus diesem noch jungen Tag mit grösster Wahrscheinlichkeit kein gemütlicher Sonntag in lockerer Freizeitkleidung werden sollte. Es meldete sich die Pikettzentrale der Kantonspolizei Bern.

Ritter erfuhr lediglich, dass bei einem kleinen Bootshaus in der Nähe der Kappelenbrücke in Hinterkappelen eine männliche Wasserleiche gefunden wurde. Der Besitzer des Holzhauses habe sofort die Nummer 117 angewählt und bleibe vor Ort, «ohne dass er etwas anrührt oder verändert», wie es weiter hiess. Die Seepolizei Wohlensee habe in der Zwischenzeit vermutlich bereits mit der Bergung der Leiche begonnen, der Kriminaltechnische Dienst der Kantonspolizei Bern KTD und das Institut für Rechtsmedizin IRM seien zum Fundort unterwegs, ebenso die Staatsanwaltschaft und zwei Taucher der Kantonspolizei.

Als Joseph Ritter – Stephanie Imboden hatte umgehend alle Mitglieder seines Teams telefonisch informiert, während ihr Partner kurz unter der Dusche stand – knapp 45 Minuten später am Wohlensee eintraf, war das Gebiet rund um das Bootshaus weiträumig abgesperrt und die Protagonisten waren vor Ort und an der Arbeit. Ritter begrüsste Staatsanwalt Max Knüsel, Veronika Schuler vom IRM, Georges «Schöre» Kellerhals und Eugen «Iutschiin» Binggeli vom KTD, Mediensprecherin Ursula Meister sowie die drei Mitglieder seines eigenen Teams, die ganz in der Nähe wohnten, Regula Wälchli und Elias Brunner bekanntlich in der Berner Länggasse, Stephan Moser im Kappelenring in Hinterkappelen.

Den Notarzt und den ebenfalls anwesenden Sanitätspolizisten kannte Ritter ebenso wie die beiden Streifenbeamten, die ihrerseits mit erklärenden Worten neugierige Spaziergänger mit ihren Hunden zurückhielten. Regula Wälchli, Elias Brunner und Stephan Moser waren entweder im Gespräch mit Mediensprecherin Ursula Meister oder befragten verschiedene Herumstehende, ob ihnen in den letzten Stunden irgendwelche Aktivitäten rund um das Holzhaus aufgefallen seien, ohne selber Gegenfragen nach dem «Warum?» zu beantworten. Das war nicht der Fall, sodass die Leute aufgefordert wurden, weiterzugehen. In der unmittelbaren Umgebung suchten die Spezialisten des KTD nach Spuren, auch in der steilen Böschung seitlich des Bootshauses. Staatsanwalt Max Knüsel – «der Staatser», wie er polizeiintern genannt wurde – telefonierte im Moment ganz offensichtlich in einer privaten Angelegenheit, weil er ausser Hörweite aller Anwesenden stand.

Ein aufgestelltes Sichtschutzzelt auf der Plattform des Bootshauses – dem eigentlichen Dach über den darunterliegenden Bootseinstellplätzen – liess Veronika Schuler vom IRM in Ruhe arbeiten. Ritter gesellte sich zu ihr.

«Veronika, ohne dich nerven zu wollen …»

«Kein Problem, J. R., ich habe bereits erste Erkenntnisse, die dir bestimmt weiterhelfen werden.»

«Du überrascht mich immer wieder. Ich höre.»

«Der Tod dürfte in den letzten vier Wochen eingetreten sein. Und: Der Mann wurde erschossen.»

«Veronika, im Ernst, bitte …»

Die Thurgauerin mit ihrem unverkennbaren Dialekt konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und begann mit Erklärungen zum Wetter. Die letzten drei Wochen hätten dem Wintermonat Januar alle Ehre gemacht, mit Tagestemperaturen meistens unter null Grad. «Doch erst die vergangenen 72 Stunden», gab Schuler zu bedenken, «brachten eine Art Tauwetter. Dennoch: Das unmittelbare Ufer des Wohlensees beim Fundort des Opfers war grösstenteils noch mit einer dünnen Eisschicht bedeckt, das den Verwesungsprozess der Leiche – in Bauchlage – erheblich verzögert hatte. Entsprechend schwierig war es an Ort und Stelle, auch nur einen ungefähren Todeszeitpunkt zu bestimmen. Dazu kam, dass Wasserleichen nicht gerade die bevorzugten Objekte der Rechtsmediziner waren.»

Durch das Fortschreiten der Verwesung, fuhr die Rechtsmedizinerin fort, sei es für die Ärzte besonders schwer, diese Art von Toten zu identifizieren und im Rahmen einer Obduktion Rückschlüsse auf die eigentliche Todesursache und ein mögliches Verbrechen zu ziehen. Aufgrund des häufig sehr schlechten Zustands von Wasserleichen könnten aus rechtsmedizinischer Sicht oft nur die Zähne, die Kleidungsstücke oder die DNA zur relativ eindeutigen Identifizierung dienen.

Generell lasse sich sagen, dass der Verwesungsprozess einer Leiche sofort nach dem Tod beginne. Ein wesentliches Merkmal einer Wasserleiche sei im Allgemeinen die sogenannte Waschhautbildung, ein Phänomen, das auch im Alltag zu beobachten sei, wenn jemand viel zu lange in der Badewanne liege. Bei vollständigem Fehlen von Luft, also wenn die Leiche unter Wasser liege, verwandle sich das Körperfett in Körperwachs. Dieses Wachs könne die äusseren Umrisse eines Leichnams wie einen Panzer konservieren. Das Aussehen könne man dadurch als aufgedunsen bezeichnen. Diese beiden Erscheinungen, also Waschhaut und Fettwachs, würden die Wasserleiche von einem Körper unterscheiden, der «auf dem Land» verwest.

«Es tut mir leid, J. R.», sagte Schuler, «mehr kann ich zum Todeszeitpunkt noch nicht sagen, ich mache mich aber sofort an die Arbeit. Näheres wohl morgen Montagvormittag. Einige Auffälligkeiten gibt es dennoch.»

«Nämlich?»

«Der Mann ist extrem korpulent, aber das siehst du ja selber. Die Kollegen von der Seepolizei hatten alle Mühe, ihn zu bergen. Und: Er wurde mit nur einem Schuss getötet, direkt ins Herz. Das Projektil steckt noch, ein Austrittsloch fehlt. Binggeli und Kellerhals suchen die Gegend nach einer Hülse ab. Der Tote hat mehrere Narben, die zum Teil von Operationen herrühren, aber auch solche, die nichts mit medizinischen Eingriffen zu tun haben.»

«Was meinst du damit?»

«Das muss ich noch erst herausfinden. Ich mutmasse aber, dass der Tote kein unbeschriebenes Blatt war.»

«Wegen der Tattoos?»

«Genau. J. R., schau dir diese widerlichen Tattoos einmal an, das hat mit Kunst nichts mehr zu tun, nicht mal mehr mit Provokation, das zeigt reine Aggression. Aber vielleicht helfen uns die Tattoos bei der Identifizierung. Gut möglich, dass Tätowierer hierzulande wissen, wer solche Motive sticht. Entschuldige den unprofessionellen Ausdruck, aber der Typ ist doch ein Psycho.»

«War, Veronika … war ein Psycho. Sag mal, was ist mit der Kleidung? Irgendwelche Hinweise?»

«Das musst du Iutschiin und Schöre fragen, sie haben das Zeugs bis auf die Shorts eingepackt. Auf den ersten Blick nichts Besonderes.»

Joseph Ritter bedankte sich bei Veronika Schuler für den Zwischenbericht und verliess das Schutzzelt. Ihm fiel auf, dass auf der gegenüberliegenden Seeseite inzwischen viele Schaulustige zu sehen waren, zum Teil mit Feldstechern oder mit grossen Kameraobjektiven bewaffnet. Es würde, so vermutete er, also nicht mehr lange dauern, bis Ursula Meister zu ihrem ersten Medieninterview kommen würde.

«So, Ritter, was lässt sich festhalten?», fragte Staatsanwalt Max Knüsel. «Wir haben einen Toten und viele offene Fragen», antwortete Ritter etwas schnippisch und ging dann gleich zu einem sachlichen Ton über: «Das IRM wird alles daransetzen, uns bis morgen Vormittag Erkenntnisse zu liefern. Möglicherweise werden auch die beiden Taucher, die im Einsatz sind, fündig. Was sicher ist: Morgen halten wir um 14.00 Uhr eine erste grosse Infositzung ab, es wäre gut, könnten Sie kommen, Herr Knüsel.»

«Danke, Ritter, ich denke, das lässt sich machen. Allerdings muss ich mich jetzt für heute entschuldigen. Halten Sie mich einfach auf dem Laufenden, falls sich Aussergewöhnliches tut. Und sonst, wie gesagt, bis morgen», entgegnete der Staatsanwalt und lief ohne weitere Bemerkung zu seinem Auto.

Bei dieser Gelegenheit kam Ritter wieder einmal in den Sinn, dass man allgemein wenig über die Person des Max Knüsel wusste. Unbestritten war er ein scharfsinniger Denker, ein möglicher Nachfolger des Generalprokurators, des Generalstaatsanwalts des Kantons Bern. Seine ungehobelte Ausdrucksweise indes brachte ihm jedoch immer wieder Kritik von Prozessbeobachtern ein, auch wenn er in letzter Zeit deutlich weniger Ausbrüche als früher hatte. Über sein Privatleben war so gut wie nichts bekannt, auch nicht über eine mögliche Partnerin oder Familie. Ich werde ihn bei passender Gelegenheit einmal direkt darauf ansprechen, dachte der Chefermittler, während er von weitem beobachtete, wie die beiden Herren des KTD dabei waren, flüssigen Gips in vorhandene Reifenspuren zu füllen.

Ein Mann mittleren Alters stand auf der Plattform, ziemlich unbeteiligt am Geschehen rund um ihn herum. Ritter vermutete in ihm den Besitzer des Bootshauses, eine richtige Annahme, da dieser sich Sekunden später als Christian Lüthi aus Boll vorstellte. Lüthi erzählte Ritter davon, dass er kurz nach 7.30 Uhr ins Bootshaus gekommen sei, um die jährliche Generalversammlung des Vereins Bootshaus Freizeit vorzubereiten, die auf 11.00 Uhr angesetzt war.

«Eine Generalversammlung an einem Sonntagmorgen, ist das nicht eher ungewöhnlich?»

«Nun, Herr Ritter, meine sechs Vereinskollegen und ich sind keine typischen Kirchengänger, wir haben vor Jahren schon immer den letzten Sonntag im Januar für diese Versammlung reserviert – und dies noch auf Jahre hinaus.»

«Und so eine Versammlung eines derart bedeutenden Vereins dauert bestimmt auch viele Stunden, nicht wahr?», witzelte Ritter, um eine lockere Gesprächsatmosphäre zu schaffen, worauf Lüthi die Türe aufschloss und ihn mit «Jaja, wir kommen aus Zeitdruck kaum dazu, den mitgebrachten Weissen zum Apéro zu trinken» in die gute Stube bat. «Stube» war in der Tat ein passender Ausdruck für den ungefähr 18 Quadratmeter grossen Aufenthaltsraum mit Sitzgarnitur, winziger Toilette und kleiner Küche ohne Strom und fliessendes Wasser. Die Wände waren mit Fotos von Hechten und anderen vergangenen Fischereierfolgen verziert. Eindeutig: Die Täterschaft hatte es überhaupt nicht auf das Haus abgesehen, die Türe wurde nicht aufgebrochen, dementsprechend fehlte im Innern auch nichts. Ritter und Lüthi traten Augenblicke später wieder auf die Plattform hinaus, von wo aus zwei Leute des IRM im Begriff waren, den Toten in einem länglichen Metallkörper in Richtung ihres Kleinlasters zu tragen, wobei sie im wahrsten Sinne des Wortes schwer zu tragen hatten. Sozusagen gleichzeitig mit dem Toten verabschiedete sich auch Veronika Schuler vom Fundort in Richtung Länggasse, Standort des IRM an der Bühlstrasse.

Christian Lüthi, seines Zeichens IT-Spezialist, zeigte Joseph Ritter den vermuteten Weg der Täterschaft zum Fundort. Ritter bat ihn, die Informationen, die er loswerden wollte, noch schnell zurückzubehalten. Er rief die beiden Kollegen des KTD zu sich, damit sie sich ebenfalls mit möglichen Details vertraut machen konnten. Eine halbe Minute später stellte Lüthi seine Hypothese auf.

«Auf unser Bootshaus stösst man nicht zufällig, man muss sich in der Gegend schon auskennen, um eine Leiche in den See zu werfen. Wurde der Mann eigentlich hier ermordet?»

«Das wird Gegenstand unserer Ermittlungen sein, das hängt sehr stark auch von den Erkenntnissen der Rechtsmedizin und des KTD ab. Aber fahren Sie fort, bitte, Herr Lüthi.» Dieser zeigte daraufhin in Richtung der Böschung.

«Eigentlich gibt es keinen anderen Weg zum Bootshaus als dieser schmale Weg, der im Winter aber immer vereist ist. Auch ich muss höllisch aufpassen, damit ig nid uf d’Schnure flüge. Meine Theorie: Anschliessend ist man von dort aus vermutlich in Richtung der Böschung am Haus vorbeigelaufen, hat den Mann getötet, worauf er in den See gefallen ist. Da die Strömung des Wassers auf unserer Seite des Sees verläuft, hat es die Leiche zum Bootsunterstand geschwemmt.»

«Womit wir zur Mutter aller Fragen kommen», unterbrach Eugen Binggeli die Ausführungen des Bootshaus-Mitbesitzers, «weshalb haben Sie denn die Leiche überhaupt gefunden?»

«Wie Herrn Ritter bereits mitgeteilt: Ich wollte die Generalversammlung unseres Vereins ordnungsgemäss vorbereiten, und da gehört es dazu, dass man vorher alles kurz inspiziert.»

«Kann man gelten lassen», erwiderte Binggeli trocken, worauf sich die beiden Kriminaltechniker in Richtung Bootsunterstand aufmachten. «Iutschiin, schaut dann den Weg und die Böschung genau an, vor allem links und rechts, vielleicht ist da ja jemand umgefallen und hat Spuren hinterlassen.»

Ritter wollte Geschichtliches zum Bootshaus in Erfahrung bringen. Christian Lüthi berichtete, dass 1934 acht Fischerkollegen beschlossen hatten, 130 Meter oberhalb der längst abgebrochenen alten Kappelenbrücke das Bootshaus und vier Schiffseinstellplätze zu bauen, was ein Jahr später auch realisiert wurde. 1938 kamen weitere vier Einstellplätze für Fischerboote dazu. Die Arbeiten hätten die acht Kollegen in ihrer Freizeit vorgenommen, um Geld für spätere Freizeitaktivitäten zu sparen. Heute sind einige der Mitbesitzer direkte Nachkommen jener Pioniere.


Bootshaus-Mitbesitzer Christian Lüthi aus Boll.

Gegen Mittag vermeldeten die beiden Taucher, dass sie beim Absuchen des Seegrunds zwar das eine oder andere gefunden hätten, keiner der Gegenstände schien aber einen Bezug zum Toten zu haben. Sicherheitshalber wurden drei Münzen, zwei Schlüssel und ein Sackmesser für den KTD in einen Beutel gesteckt.

«Hoppla! Das Sackmesser gehört mir, es ist mir im Herbst ins Wasser gefallen», freute sich Lüthi, «Danke sehr.»

Um 12.00 Uhr zeigte das Areal Auflösungserscheinungen, hatten die meisten Spezialisten doch ihre Arbeiten abgeschlossen, zumindest was den Fundort anbetraf. Das traf auch auf Christian Lüthi zu, der die angesagte Generalversammlung ausnahmsweise im Restaurant Bistro des Alterswohnheims Domicil Hausmatte in Hinterkappelen abhalten musste, sehr zum Erstaunen seiner Kollegen. Ursula Meister ihrerseits konnte die meisten Fragen der Medienschaffenden aus verständlichen Gründen noch nicht schlüssig beantworten, verwies deshalb auf eine voraussichtlich «morgen Montag um 16.00 Uhr stattfindende Medieninformation». Der Satz «Wir ermitteln in alle Richtungen, stehen erst am Anfang unserer Recherchen» fiel dabei einige Male. Einzig Eugen Binggeli und Georges Kellerhals blieben auf dem weiterhin abgesteckten Terrain zurück, noch immer auf der Suche nach möglichen Spuren. Zwei Kantonspolizisten stellen nach wie vor sicher, dass das Gelände nicht durch Unbefugte betreten wurde und mögliche Spuren vernichtet wurden.

Joseph Ritter hatte sich kurz zuvor in Richtung seines Büros zur Vorbereitung der Sitzung am Montag verabschiedet. Regula Wälchli, Elias Brunner und Stephan Moser begannen damit, mögliche Zeugen zu befragen, vor allem Mitglieder des Rowing Club Bern – der vor einigen Jahren vorgefertigte Teile des ehemaligen Restaurants Mistral der Migros während der Expo.02 übernehmen und damit sein Clubhaus am Wohlensee realisieren konnte – sowie Gäste im TCS Camping Bern-Eymatt. Das Besondere an diesem Campingplatz: Während der Wintermonate ist er seit der Saison 2016 /17 offiziell geschlossen, lediglich neun Holzchalets wurden vermietet, meistens an ausländische Touristen, die länger in der Schweiz blieben und Bern aus Ausgangspunkt für ihre Reisen wählten, oder aber an Aussteller bei der Bernexpo. Die Bernexpo ist das Messe- und Ausstellungsgelände von Bern. Die Bernexpo Groupe ist ein Live-Marketing-Unternehmen, das jährlich rund 30 Eigen- und Gastmessen sowie über 200 Kongresse und Gastveranstaltungen durchführt.

Wie nicht anders zu erwarten, waren die Auskünfte jener Aufenthalter, die an diesem Sonntagnachmittag im Camping anzutreffen waren, für Elias Brunner und Stephan Moser nicht sehr ergiebig. Das lag zum einen am Umstand, dass nicht alle Holzhütten belegt waren, aber auch daran, dass drei Mieter erst gestern eingecheckt hatten. Immerhin: Ein Koreaner, Herr Kim – mit seiner Frau in Europa unterwegs –, behauptete, am 21. Januar um 21.45 Uhr in der Nähe des Waldes ein Auto und laute Männerstimmen gehört zu haben, die aber kurz darauf verstummten. Das Auto fuhr nach seinen Angaben nach ungefähr zehn Minuten wieder weg, sicher aber noch vor 22.00 Uhr.

«Herr Kim, weshalb können Sie sich an Datum und Zeit so gut erinnern?», wollte Stephan Moser von Herrn Kim wissen, der fliessend Englisch sprach und alle Fragen mit asiatischer Zuvorkommenheit beantwortete. «Am Sonntagabend schaue ich immer die Frühnachrichten beim koreanischen KBS und die beginnen um 6.00 Uhr.»

«Und das wäre mit der Zeitverschiebung von acht Stunden 22.00 Uhr Schweizer Zeit am Vorabend. Könnte es aber nicht auch Montag oder Dienstag gewesen sein?»

«Nein, ich schaue die News nur am Montagmorgen, wenn wir im Ausland sind, auch wegen der Sportresultate vom Wochenende, vor allem beim Taekwondo. Das habe ich auch am letzten Sonntagabend gemacht. Eine Viertelstunde vorher bin ich vors Haus, um eine Zigarette zu rauchen, da habe ich das Motorengeräusch und die Stimmen gehört.»

«Und einen Schuss?»

«Nein, keinen Schuss.»

«Herr Kim, können Sie morgen Vormittag zu uns kommen, damit wir Ihre Aussagen protokollieren können? Das wäre sehr wichtig.» Mit dieser höflich formulierten Aufforderung überreichte Stephan Moser dem Koreaner seine Visitenkarte.

«Das mache ich. Kann ich bereits um halb acht kommen, damit Frau Kim und ich unseren Ausflug nach Montreux wie vorgesehen machen können?»


Das Campingareal des TCS in Bern-Eymatt.

Mit «Ja, gerne. Danke, Herr Kim, Sie haben uns sehr geholfen» verabschiedeten sich Brunner und Moser praktisch synchron, um sich auf den Weg zum Clubhaus des Rowing Clubs zu begeben.

«Stephan, kein Schuss. Was schliessen wir daraus, falls der Koreaner Ohrenzeuge war, was ich durchaus glaube?»

«Genau das ging mir auch durch den Kopf. Für mich ist unwahrscheinlich, dass man diesen Fettwanst zum Bootshaus getragen hat. Also ging man mit ihm dorthin, aus welchen Gründen auch immer. Und dort: Schalldämpfer, Sturz in den See. Würde sich auch mit der Version von Herrn Lüthi decken.»

«Ich teile deine Ansicht. Mal sehen, was das IRM rausfindet. Übrigens, unter uns beiden: Wie geht es dir denn?»

«Elias, es geht so. Mal besser, mal weniger gut. Weisst du, Dolores hat mich ja nicht Knall auf Fall verlassen, wir haben oft über dieses Stellenangebot beim Aussenministerium in Madrid gesprochen. So wie es aussieht, kann sie demnächst als Handelsattachée an eine spanische Botschaft nach Übersee wechseln.»

«Habt Ihr noch Kontakt?»

«Ja sicher, fast jeden Tag, wir haben uns ja in aller Freundschaft getrennt. Sie hat sich den Entscheid nicht leicht gemacht. Aber eine Fernbeziehung macht keinen Sinn, wir haben es versucht. Así es la vida, so ist das Leben. Sicher ist, dass ich demnächst aus der Wohnung im Kappelenring ausziehen werde, zu viel erinnert mich an sie.»

«Schon etwas in Aussicht?»

«Elias, du bist ja neugieriger als Regula … Ja, ich habe mir letzte Woche eine Wohnung beim Le-Corbusier-Platz angesehen, ich werde sie wohl nehmen. Dreieinhalb Zimmer, unmittelbar neben dem Freizeit- und Einkaufszentrum Westside gelegen.»

«Und gleich neben dem Alterswohnheim Senevita für die langfristige Lebensplanung.»

«Elias, du bist ein Lööli… Dolores lässt euch übrigens herzlich grüssen. Aber Schluss mit der Diskussion, da kommt Regula daher.»


Hier, beim Le-Corbusier-Platz im Westen von Bern, wird Stephan Moser wohl in eine Wohnung einziehen.

Regula Wälchli hatte nach ihren Erkundigungen beim Ruderclub nichts Greifbares zu vermelden. Sie erzählte davon, per Zufall auch noch mit Caroline Burri gesprochen habe, die praktisch vis-à-vis des Fundorts eine Praxis als Podologin betrieb, nach eigenen Angaben dort noch schnell etwas holen musste und die Gelegenheit für einen Spaziergang nutzte. Aber auch Burri konnte keine aussergewöhnlichen Beobachtungen vermelden.

Wohlensee

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