Читать книгу Das kleine Narrcoticum - Thomas C. Breuer - Страница 15
ОглавлениеDenkingen
Wer an Denkingen denkt, dem fällt womöglich gleich das „Schmierseifen-Attentat“ vom 23. September 1966 ein, als die Heubergbahn zwischen Spaichingen und Reichenbach am Heuberg stillgelegt wurde, und bei der letzten Fahrt – was ist das Gegenteil von Jungfernfahrt? Entjungfernfahrt doch wohl nicht? – haben die Anrainer aus Protest die Schienen im Autunnel mit Schmierseife „einge – ja, schmiert“, so dass sich die Lok keinen Wank mehr bewegen konnte. Den Alt-66ern von Denkingen schießt heute noch das Augenwasser ins Gesicht, nur geholfen hat es letztlich nichts, und ohne Bahn ist man seither angeschmiert.
Dabei bräuchte man dringend ein Herausstellungsmerkmal, hat man doch Schwierigkeiten, sich zu behaupten in einer Welt, die immer unübersichtlicher wird: Denkingen, Denklingen (obschon im Oberbayerischen gelegen), die Verwechslungsgefahr ist groß, wenngleich nicht so groß mit den verschiedenen Zimmerns des Südens, der Schömbergs, Immendingens und Schwenningens. Gib im Navi, wenn du nach Fridingen an der Donau willst und alphabetisch nicht so gut sortiert bist, Friedingen ein und du landest sonstwo, jedenfalls irgendwo bei Singen. Da können sich z. B. die Deppenhausener nur beglückwünschen – so mag nun wirklich kein Ort heißen.
So hat man sich in seiner Not von seinen Nachbargemeinden dazu bequatschen lassen, sich am Projekt „Nachhaltigkeitsregion N! Region FÜNF G“ zu beteiligen, die – überraschenderweise – fünf Gemeinden mit dem Anfangsbuchstaben G zusammenführt: Galdingen, Gdeisslingen, Gdenkingen, Gfrittlingen und Gwellendingen. Oder steht FÜNF G vielleicht für das neue Mobilfunknetz? Keiner weiß es. Man weiß nur, dass es Dreifaltigkeitsberg heißt und nicht Nachhaltigkeitsberg. Denkingen z. B. heißt ja nur Denkingen und nicht: Nachdenkingen – und die Figur von Auguste Rodin „Der Denker“ und nicht „Der Denkinger“. Stattdessen hat man einen Narrenbrunnen errichtet.
Dafür floriert die Fasnet tadellos, in der Besetzung „Plätzle-Narr“, „Pfarrbach-Weib“ und „Gelbe Kutte“. Diese Figuren sind endemisch. Bereits, so meint die Chronik, im Jahre 1729 wurde der Pfarrer Ferdinand Stöckhl von der päpstlichen Nuntiatur in Luzern dazu vergattert, den „Christenlehrpflichtigen“ das Fasnetsweckle zu reichen, merkwürdigerweise am 19. Juli. Haben wir es hier mit einer exorbitanten Zeitverschiebung zu tun?
Die erste Narrenzunft von 1949 hielt genau drei Jahre, dann war es vorbei wegen zu geringer Beteiligung. Wesentlich später entstanden kühne Gedanken im örtlichen „Think Tank“, und keine zehn Jahre nach dem Schmierseifen-Attentat etablierte sich endlich die neue Narrenzunft, und seither ist nach dem Ansäen am Schmotzigen durch „Hackerweiber“ (bei denen es sich aber nicht um die Gefährtinnen von Computer-Nerds handelt), „Ausscheller“ und „Ansäer“ von hohem Ansehen kein Halten mehr. Der Narrensamen (dabei sind nicht die Lappen gemeint, die Fennoskandinavien bewohnen und erst seit den siebziger Jahren Samen heißen) wird von den Christenlehrmenschen großzügig verteilt, auf dass sich zur kommenden Fasnet hinreichend Nachwuchs einstellt, wobei diesem Ritual etwas dezent Anzügliches innewohnt, ebenso wie in einer Zeile des Narrenmarsches: „Bura rücket Eier raus, der Segen kommt in Stall und Haus“
Darüber einmal nachzudenken, wäre verschwendete Zeit, und somit ist es an der Zeit, das Land der Dichter und Denkinger wieder zu verlassen.