Читать книгу Das kleine Narrcoticum - Thomas C. Breuer - Страница 5
ОглавлениеVorwort
Im September 2018 erschien mein doch sehr spezielles Buch über die – überwiegend Rottweiler – Fasnacht, des Titels „fas.net“. Selbst verlegt und über sog. Stubenlesungen in Rottweil und Umgebung vermarktet, d. h. wir haben die Lesungen angeboten und die Gastgeber Freunde, Bekannte, Römer, Mitbürger eingeladen, die ich dann in allen möglichen Haushalten mit Texten versorgt habe. Mitte 30 sind es dann geworden, sogar mit Außenterminen wie z. B. im Museum Narrenschopf in Bad Dürrheim, bei der Narrenzunft in Schramberg, selbst ein Yoga-Studio in Villingen durfte nicht fehlen. Über 500 Bücher konnte ich so direkt an den Leser bringen, einige ausgesuchte Geschäfte führten den Titel am Lager.
Wie ein Schmetterlingsjäger war ich Monate zuvor lang durch die Botanik gestreift, ohne Netz allerdings, aber mit gezücktem Notizbuch: Beinharte Recherche ist schließlich in diesem Geschäft das A und O, und auch die ganzen Lügen wollen sauber und schlüssig formuliert sein. Schon das Niederschreiben hat großen Spaß gemacht, die sog. „Marktdurchdringung“, wie man das heutzutage nennt, noch viel mehr, zumal dieses Buch eben ohne jedwede finanzielle Unterstützung entstanden war, also ohne Crowdfunding, Cloudfunding, Stipendien, Darlehen, Mäzene oder dgl. – ich konnte schreiben, was ich wollte und war von daher auch voll verantwortlich, nicht zuletzt dafür, das Buch unter die Leute zu bringen: Deshalb die Stubenlesungen. Früher kam der Mann mit der Brockhaus-Enzyklopädie ins Haus, der Vorwerk-Vertreter folgte auf dem Fuße (und mancherorts auch Johnny Walker), heute steht die Dame der Firma Thermo-Mix im Wohnzimmer, die auf den Spuren der Tupperware oder Avon-Repräsentantinnen wandelt. Und dann kam ich, umsonst und drinnen, und oft wurde sogar die „gute Stube“ bereitwillig geöffnet.
Lesungen als Matinee, zur Vesperzeit, zum abendlichen Umtrunk. In einem Fall im Neubauviertel eines Dorfes, wo der Haushaltsvorstand kleinlaut zugab, mit der Fasnet nichts am Hut zu haben, so dass wir alle mehr oder weniger unschlüssig herumsaßen, selbst ich während meiner Lesung. Dieser Abend zählte zu den weniger beglückenden Erlebnissen wie auch jener Nachmittag, an dem sich die Familienmitglieder riesig freuten, einander wiederzusehen – ich hoffe, ich habe nicht allzu sehr gestört. Komisch, dass einem die Ausnahmen eher im Gedächtnis haften bleiben als das Gros – also etwa neunzig Prozent – der Veranstaltungen. Allgemein erfreute ich mich lebhaften Interesses, aufmerksamer Zugewandtheit und überwältigender Großzügigkeit, und bald jeder hatte eine Geschichte zu erzählen wie z. B. der Redakteur des Schwarzwälder Boten, der sich um einen Kollegen des Kölner Stadt-Anzeigers kümmern sollte, weswegen man im oberen Teil der Rottweiler Hauptstraße den Narrensprung abnahm. Nach etwa einer Stunde Larven und Kleidle fragte der Rheinländer: „Wann kommen denn endlich die Wagen?“ (Meine Tochter hat im zarten Alter von zwei Jahren ihren ersten „Veedelszooch“ in Köln absolviert – und die „Kamelle“ zurückgeworfen.)
Mal eher großes Publikum, also für Lesungen, mal Stuhlkreis. Als Bonus die gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeit, schon am frühen Vormittag Alkohol zu konsumieren. Für mich das Schönste: Dieses Projekt bewegte sich innerhalb eines überschaubaren Rahmens, vor allem geographisch, und der Aufwand war gering: Es gab ja kaum Gepäck außer dem Manuskript und den Büchern. Expeditionen führten mich in Teile der Stadt, von deren Existenz ich zuvor keine Ahnung gehabt hatte, und obendrein war es aufschlussreich, die Wohnstuben der Rottweiler Bürger kennenzulernen und herauszufinden, wer bei wem sitzt und warum. Das hat die Landkarte noch einmal neu sortiert. Natürlich könnte das kompromittierende Berichte über die örtliche Innenarchitektur zeitigen – ich werde mich hüten, denn ich will ja wiederkommen dürfen. Ich liebe diese Art von Unmittelbarkeit, das Improvisierte. Manche hatten sogar die Möbel umgeräumt oder ihre Werkstatt, wie der lokale Kult-Schuster. Bauliche Veränderungen wurden meines Wissens jedoch nicht vorgenommen.
Jetzt ist der Nachfolger fertig, und den Radius habe ich erweitert, auf die gesamte Region Schwarzwald-Baar-Heuberg (inklusive weniger Abstecher), den Schwerpunkt bilden weiterhin die bisweilen bizarren Rituale der Fasnet, allerdings werden auch andere Themen berücksichtigt, wie Events, Sitten und Gebräuche, lukullische Spezialitäten in dieser Region zwischen Tuttlingen und Villingen-Schwenningen sowie Balingen und Rottweil, die selten in den Fokus gerät und noch seltener in die Schlagzeilen.
Rottweil, im Sommer 2020