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Die Wirtschaft im frühmittelalterlichen Byzanz

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Die Deutung der oströmisch-byzantinischen Geschichte hat sich im 20. Jahrhundert gleichermaßen verändert. Seit dem Mittelalter dominierte im westlichen Europa eine vorurteilsbeladene Sicht, die das oströmische Kaiserreich als dekadente und halborientalische Despotie wahrnahm. Edward Gibbon verewigte dieses Bild in seiner berühmten History of the Decline and Fall of the Roman Empire, die zwischen 1776 und 1789 veröffentlicht wurde. Aus dieser Perspektive wurde die Entwicklung der byzantinischen Wirtschaft als eine Geschichte des Niedergangs geschrieben. Allerdings interessierte sich die ältere Geschichtsschreibung wenig für sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Faktoren, sondern konzentrierte sich vor allem auf Verfassung und Außenpolitik. Die moderne Geschichtsforschung zeichnet ein differenziertes Bild des oströmisch-byzantinischen Kaiserreichs und betont insbesondere seine Vermittlungsfunktion zwischen West und Ost. Im Zuge dieser Revision erfolgte auch eine Neudeutung der byzantinischen Wirtschaftsgeschichte.

Byzanz umfasste die reichen östlichen Provinzen des Imperium Romanum, in denen Griechen, Armenier, Syrer, Ägypter und andere Völker lebten, die alle seit Jahrhunderten hellenisiert, also vom griechischen Kulturkreis beeinflusst waren. Politisch standen der Kaiser, seine Verwaltung und das Militär immer wieder vor großen Herausforderungen, da das Reich im Nahen Osten von den Sassaniden und auf dem Balkan von Germanen, Slawen und Awaren bedrängt wurde. Zu politischen Turbulenzen kam es unter anderem aufgrund von internen Streitigkeiten über die Nachfolge des Kaisers sowie über die richtige Auslegung der christlichen Glaubenslehre. Die sozioökonomischen Strukturen des oströmischen Reichs blieben in den ersten Jahrhunderten seiner Geschichte stark den überlieferten Traditionen verbunden. Bis zur Justinianischen Pest in der Mitte des 6. Jahrhunderts und der Expansion der Araber im 7. Jahrhundert besaß das oströmische Reich möglicherweise den größten Wohlstand in der damaligen Welt. Diese Finanzkraft bildete die Basis für die kurzfristigen Rückeroberungen in Italien und Nordafrika im 6. Jahrhundert. Die Kriege sind zugleich ein Zeichen für den Antagonismus, der sich zwischen den ehemaligen Reichshälften in West und Ost herausgebildet hatte.

Die Grundlage der wirtschaftlichen Prosperität bildete die Landwirtschaft. Ihr Erfolg zeigte sich unter anderem in der Vielfalt an Nahrungsmitteln, die Reisende aus dem Westen in Konstantinopel bewunderten. Geografie und Klima der topografisch heterogenen Reichsteile sorgten dafür, dass die Landwirtschaft unter sehr unterschiedlichen Bedingungen gedieh. In den meeresnahen Gebieten dominierte der Anbau von Getreide, Wein und Oliven. An den Ufern des Nils in Ägypten lagen seit Jahrhunderten die Anbauzonen mit dem höchsten Getreideertrag des Mittelmeerraums. Bis zur arabischen Eroberung blieb dieses Land die Kornkammer des Reichs. Im Landesinneren, auf dem Balkan und in Kleinasien wurde dagegen hauptsächlich Viehzucht betrieben. Die Organisationformen der byzantinischen Landwirtschaft waren ebenfalls vielfältig: Es gab Großgrundbesitzer mit abhängigen Bauern und Lohnarbeitern, daneben aber auch freie Bauern, die ihr eigenes Stück Land bebauten.

Die Versorgung mit ausreichend Nahrungsmitteln ermöglichte einen Bevölkerungsanstieg im oströmischen Reich von geschätzten 17 Millionen im 4. Jahrhundert auf 26 Millionen im 6. Jahrhundert. Konstantinopel war in dieser Zeit mit bis zu 400.000 Einwohnern die mit Abstand größte Stadt Europas. Dies förderte wiederum den Handel innerhalb des Reichs und über die Reichsgrenzen hinweg. Während des frühen Mittelalters blieb Konstantinopel das wichtigste Handelszentrum Europas. Erst im 12. Jahrhundert wurde es von Venedig abgelöst. Bis dahin war die Stadt am Bosporus der Verkehrsknotenpunkt mit dem größten Warenumschlag zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer sowie zwischen Europa und Asien.

Die Wirtschaft von Byzanz wurde durch einen zentralistischen Staat gesteuert und als wichtige Steuerquelle gefördert. Der Staat kontrollierte sowohl den Binnen- als auch den Außenhandel und behielt sich einzelne Warenmonopole sowie das Monopol der Münzausgabe vor. Die von Konstantin I. (275–337) eingeführten Goldmünzen (Solidi), die ein Gewicht von 4,55 Gramm und eine Reinheit von 24 Karat hatten, blieben das gesamte frühe Mittelalter der Standard für den internationalen Handel im östlichen Mittelmeerraum. Die staatlichen Einnahmen, die hauptsächlich für das Heer verwendet wurden, beruhten auf einem Steuersystem, dessen Strukturen bis ins römische Imperium zurückreichten. Der Großteil der Einnahmen stammte aus direkten Steuern auf Land und Vermögen. Indirekte Steuern sowie Einnahmen aus staatlichen Betrieben und Zöllen machten einen weiteren Teil der staatlichen Einnahmen aus. Die individuelle Belastung der Bauern wurde von Präfekturen und deren administrativen Unterabteilungen berechnet. Ab dem 7. Jahrhundert belief sich die Grundsteuer auf circa vier Prozent.

Das Eparchenbuch Leos des Weisen (ein Eparch war ein Statthalter) ist ein Handbuch aus dem 10. Jahrhundert zur Regulierung von Handel und Gewerbe in Konstantinopel. Es enthält Zolltarife, Zunftstatuten, Preise, geografische Bestimmungen für die Ausübung von 19 verschiedenen Gewerben sowie allgemeine Verhaltensregeln für die Kaufleute. Ob die detailliert ausformulierte Norm auch der Praxis entsprach, ist schwer zu sagen. Das Buch belegt jedoch den Anspruch des byzantinischen Staates, Handel und Gewerbe zu kontrollieren. Folgende Bestimmungen betreffen den Seidenhandel:

»Um die Aufnahme in die Zunft der Seidenhändler zu erhalten, müssen fünf Mitglieder des Handwerks gegenüber dem Eparchen bezeugen, dass der Kandidat eine Person ist, die würdig ist, das Handwerk auszuüben. Er wird dann in die Zunft aufgenommen und kann ein Geschäft eröffnen. Sein Eintrittsgeld in die Zunft beträgt sechs Nomismata.«

Die ältere Forschung hat insbesondere die Veränderungen ab dem 8. Jahrhundert als einen Niedergang, eine Feudalisierung oder Vermittelalterlichung des byzantinischen Reichs interpretiert. Diese Veränderungen hätten zu einem stetigen Rückgang der Bevölkerung geführt, die im 11. Jahrhundert ihren Tiefpunkt erreicht habe. Insbesondere für die Landbevölkerung sei dies mit einer Verschlechterung der rechtlichen und ökonomischen Situation verbunden gewesen, da sie ihre Eigenständigkeit verloren hätte und in großen Grundherrschaften (Latifundien) von den Grundherren ausgebeutet worden sei. Den Kaufleuten sei es in dem verkleinerten und zunehmend verarmten Reich nicht besser ergangen. Während sich ihr Umsatz verringerte, habe die Steuerlast zugenommen. Byzanz sei auf diese Weise immer mehr zu einem bürokratisch erstarrten und repressiven Staat geworden.

In der Tat veränderte sich das oströmische Reich in Folge der Justinianischen Pest, der in der Mitte des 6. Jahrhunderts circa ein Viertel der Bevölkerung zum Opfer fiel. Allein in Konstantinopel sank die Bevölkerung von mehreren Hunderttausend auf 50.000. Zudem brachte die Expansion der Araber im 7. Jahrhundert den Verlust der wirtschaftlich prosperierenden Reichsteile im Nahen Osten und nördlichen Afrika mit sich. Die neuere Forschung interpretiert diese Entwicklung freilich nicht mehr allein als Niedergang, sondern als Transformation und Anpassung an neue Verhältnisse. Durch den Verlust der südlichen Provinzen verlagerte sich der wirtschaftliche Kernraum des Reichs nach Kleinasien, auf den Balkan und in die Regionen am Schwarzen Meer und somit in bisher weniger dicht besiedelte Regionen. Zwar weitete sich der Großgrundbesitz aus, doch die ländliche Wirtschaft basierte weiterhin auf kleinen Familienbetrieben, unabhängig vom Status der Menschen oder den Rechten der Bauern an ihrem Land.

Die Verwandlung des oströmischen Reichs folgte einer anderen Chronologie als die des westlichen Europas. Bis zu den Erschütterungen im 6. und 7. Jahrhundert änderte sich wenig an den antiken gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen, und das Reich erlebte eine Phase ökonomischer Prosperität. Der Übergang zum »mittelalterlichen« Byzanz begann im 8. Jahrhundert. Die jüngere Forschung sieht allerdings bereits im 10. Jahrhundert Ansätze eines wirtschaftlichen Aufschwungs, der wie in Westeuropa das hohe Mittelalter über andauerte, im Falle von Byzanz genauer gesagt bis zum Vierten Kreuzzug 1204. Zeichen dafür sind beispielsweise die enger werdenden Kontakte zu den Warägern im östlichen Europa. Im Jahr 988 konvertierte Wladimir, der Fürst der Rus, zum Christentum. Damit begann die enge religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Verbindung von Byzanz mit dem östlichen Europa, in dem sich der orthodoxe Ritus ausbreitete. Im Süden wurden Städte wie Antiochia und Inseln wie Kreta im 10. Jahrhundert wieder zurückerobert. Die Handelskontakte zum fatimidischen Ägypten, welches mit dem Kalifat in Bagdad um die Vorherrschaft in der islamischen Welt kämpfte, verstärkten sich. Pilger und Kaufleute aus dem europäischen Westen besuchten Konstantinopel ebenfalls in verstärktem Maße, um in der größten Stadt Europas Handel zu treiben, die berühmten Reliquien zu bewundern oder um von dort weiter ins Heilige Land zu reisen. Die politischen und wirtschaftlichen Erfolge des 9. und 10. Jahrhunderts bildeten das Fundament für die sogenannte Makedonische Renaissance, in der das Reich eine neue kulturelle Blüte erlebte.

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