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Kirche und Ökonomie

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Ein besonderes Merkmal der mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte ist die Rolle der Kirche als Inhaberin von Land, Vermögen, Einkünften und Herrschaftsrechten. Bischöfe und Äbte wurden seit dem frühen Mittelalter von Königen und Fürsten mit Regierungsaufgaben betraut und erhielten dafür weltliche Herrschaftsrechte über Städte und Länder. Das gesamte Mittelalter über rief diese Nähe der Kirche zur weltlichen Macht Kritik hervor, ohne dass es jemals zu einer völligen Trennung von Geistlichem und Weltlichem gekommen wäre. Fromme Stiftungen sorgten ebenfalls dafür, dass sich der Landbesitz der Bischofskirchen, Klöster und Stifte immer weiter ausdehnte. Hinzu kam, dass die Kirche zwar durch Kriege oder Entfremdung Einbußen an Rechten und Gütern erlitt, dass Kirchengut aber grundsätzlich als unveräußerlich galt. Dies führte dazu, dass sich um 700 bereits circa ein Drittel des gesamten bewirtschafteten Bodens im Frankenreich im Besitz der Kirche befand. Dies konnte nicht ohne kulturelle und wirtschaftliche Folgen bleiben. Eine sichtbare Auswirkung waren massive Kirchengebäude aus Stein oder Backstein, in deren Bau und Erhalt circa ein Viertel der Kircheneinnahmen flossen. Eine andere Konsequenz war die Herstellung von aufwändigen Handschriften aus teurem Pergament, in denen kirchliche und klassische Texte überliefert wurden. Produziert wurden in Klöstern nicht nur Manuskripte, sondern auch Textilien, Werkzeuge und nicht zuletzt sogar Waffen. Nicht nur das Kloster St. Gallen war – modern gesprochen – eine Art »Rüstungsbetrieb« schwarz. Einzelne Klöster und Kirchen wurden dadurch – trotz der Kritik von Asketen und Reformern – zu kleinen und großen Wirtschaftsunternehmen.

Landesherren und Stadtregierungen standen dem kirchlichen Reichtum ambivalent gegenüber. Einerseits war die Kirche auf vielfältige Weise mit der politischen Herrschaft verbunden – zum Nutzen beider Seiten. Andererseits erfreuten sich die kirchlichen Güter häufig einer rechtlichen und steuerlichen Immunität. Bereits Karl der Große hatte 811 den Bischöfen und Äbten in einem Kapitular die Frage gestellt, ob denn derjenige der Welt entsagt habe, der an nichts anderes denke, als wie er auf jede mögliche Art und Weise seinen Besitz vermehren könnte, sei es durch Verheißung himmlischen Lohns, sei es durch Androhung von Höllenstrafen, wobei die rechtmäßigen Erben um ihr Erbe gebracht und aufgrund ihrer Notlage veranlasst würden, ihre Zuflucht zu Diebstahl und Raub zu nehmen. Die starke Zunahme des Kirchenbesitzes führte Jack Goody unter anderem darauf zurück, dass die Kirche zahlreiche Heiratsbeschränkungen durchsetzen konnte, weshalb sich die Kontinuität von Familien und Familienbesitz verringert habe. Dies habe die Chance der Kirche erhöht, an die Stelle der Erben zu treten. Über Goodys These wird seit 30 Jahren gestritten. Dagegen steht fest, dass die weltlichen Obrigkeiten das gesamte Mittelalter über versuchten, den Besitz der »Toten Hand« zu begrenzen oder zu Steuerleistungen heranzuziehen. »Tote Hand« bezeichnet zumeist unbewegliche Wirtschaftsgüter, die aufgrund des Stifterwillens nicht veräußert werden dürfen und somit dem Privatrechtsverkehr entzogen sind.


Der St. Galler Klosterplan (vor 830). Der Plan stellt einen Idealplan dar und ist die älteste überlieferte Architekturzeichnung im westlichen Europa. Die einzelnen Gebäude wurden teilweise mit Einrichtungsgegenständen wie Betten oder Tischen gezeichnet. Ein großer Teil der Gebäude, beinahe die Hälfte, war für die wirtschaftlichen Aktivitäten der Mönche und ihrer weltlichen Angestellten vorgesehen. In den Werkstätten sollten u. a. Sattler und Schuhmacher, Schildmacher und Messerschleifer, Gerber und Drechsler, Walker und Grobschmied ihrer Arbeit nachgehen.

Für den mittelalterlichen Land- und Immobilienmarkt hatte das kirchliche Veräußerungsverbot weitreichende Konsequenzen: Weil ein Verkauf von Kirchengütern nicht vorgesehen war, bildeten sich Transaktionsformen, bei denen nicht Eigentum, sondern Nutzungsrechte übertragen wurden. Wenn abhängige Bauern ihre Bauernhöfe oder einzelne Äcker verkauften, so gaben sie nicht das Eigentum an diesen Gütern weiter, sondern lediglich die jeweiligen Nutzungsrechte. Die Transaktion setzte daher in der Regel den Konsens des Grundherrn als Eigentümer voraus. Eine im frühen Mittelalter häufig auftretende Leiheform bildete die Prekarie, bei der ein Grundherr einem Bauern auf Lebenszeit oder für mehrere (bis zu drei) Generationen einen Bauernhof samt Land übertrug und dafür Abgaben erhielt. Die Prekarie ging in vielen Fällen auf die Initiative von Bauern zurück, die ihr Land – aus Not oder Strategie – einem Grundherrn übertrugen und es als Prekarie zurückerhielten. Das verlorene Eigentumsrecht am Land war manchmal weniger wichtig als der gewonnene Schutz des Grundherrn. Die kirchlichen Grundherren wurden umgekehrt zwar zu den rechtlichen Eigentümern, erhielten aber keinerlei Nutzungsrechte. Ihr Gewinn beschränkte sich auf die Abgaben und die Hoffnung, das Land einmal ganz zu besitzen.

In Bezug auf die landwirtschaftliche Praxis, auf die Höhe der Abgaben, die Anzahl der Frondienste und den sonstigen Umgang mit den hörigen Bauern unterschieden sich kirchliche hingegen vermutlich wenig von weltlichen Grundherrschaften. Für die wirtschaftshistorische Forschung bilden sie aus einem anderen Grund dennoch eine wichtige Quellengrundlage: Kirchliche Grundherren legten seit dem 9. Jahrhundert zunehmend auf eine schriftliche Verwaltung Wert. Texte wie die karolingischen Polyptycha liefern wichtige Informationen zur frühmittelalterlichen Grundherrschaft – und steigerten möglicherweise die Effizienz der landwirtschaftlichen Betriebe. Ob dies das Leben der abhängigen Bauern verbesserte, ist freilich ungewiss.

Kleriker und Mönche beschrieben in ihren historiografischen und hagiografischen Texten auch ihre Vorstellungen einer christlichen Ökonomie, die dem kommerziellen Handeln und dem Reichtum ambivalent gegenüberstand, den Preis- und Zinswucher verdammte und die Genügsamkeit lobte. Dies waren kirchliche Grundpositionen, die das gesamte Mittelalter über wiederholt wurden. Es handelte sich jedoch eher um Idealvorstellungen monastischer Lebensformen als um ein Abbild frühmittelalterlicher Praktiken.

Bauern und Banker

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