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Kapitel 2 - Abraham

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Um 3000 vor Christus

Auf einer Anhöhe stellten sie auf einem kargen und steinigen Feld, in Sichtweite der übriggebliebenen Trümmer einer durch einen Tsunami vor kurzem verwüsteten Stadt, einen riesigen Tisch aus Pinienholz auf. Niemand wohnte mehr in den Ruinen, welche etwa 90 Meter tiefer lagen.

Dabei meinte man, die Wesen, die diese Metropole bevölkert hatten, immer noch zu spüren, ihre Stimmen zu hören. Ein ausschweifendes, dekadentes, ein der Sünde anheimgefallenes, menschenverachtendes Leben - es war verschwunden.

Überbleibsel waren zur Mahnung gereichende klobige Brocken, welche dem Gottesgericht vorübergehend standhielten, jedoch mit der Zeit durch Verwitterung dem Vergessen anheimfallen würden. Die ganze Landschaft war öde und ausgetrocknet, bis auf die Stelle, an der die Überreste des urbanen Molochs zu sehen waren.

Mit etwas Phantasie konnte man sich vorstellen, dass jene Residenz einst pyramidenförmig nach oben gebaut und auf diese Weise für viele Menschen eine dauerhafte Bleibe geworden war. Selbst die hohe, aus großen Quadersteinen errichtete Stadtmauer war an einigen Stellen noch partiell zu erkennen.

Aufgrund des direkten Zugangs zu einem großen, dahinter liegenden See, war es keine Ansiedlung wie jede andere, sondern vielmehr eine Oase der Lebendigkeit mitten in der Wüste, der auf der entgegengesetzten Seite des Gewässers, im Osten, eine weitere, große Stadt gegenüber stand, die eine der Höhe nach schneckenförmige Bauweise aufwies. Diese brannte.

Die Flammen loderten derart mächtig empor, dass der nächtliche Himmel der eben erst begonnenen Nacht, durch den Widerschein des Feuers am Horizont, orange bis blutrot erstrahlte. Das Gewässer unterstützte dieses Schauspiel, indem es die Feuersbrunst imposant spiegelte.

Ungerührt vom Anblick dieser barbarischen Zerstörung setzte sich Dwarf, ein schlanker, sehniger Hüne mit schwarzen Haaren, als erster an den Tisch. Auf seiner bleichen Haut trug er am Hals ein glänzendes, glattgeschliffenes Amulett, in dessen Mitte ein grüner, rautenförmiger Edelstein saß.

Seine bernsteinfarben leuchtenden Augen lagen in tiefen Höhlen. Sie strahlten, wie sein Gesicht, wie sein ganzes Wesen, eine unnahbare, morbide Kälte aus, die einem frösteln ließ.

Seine blutleeren Lippen untermalten dies eindrucksvoll. Mit seinen langen, sehnigen Fingern, die in scharfkantigen Fingernägeln endeten, tippelte er ungeduldig auf den Tisch.

Dwarf gegenüber setzte sich Gorgon, dessen Markenzeichen seine prächtig glänzende Glatze war, die ein indisch aussehendes, expressives Gesicht umrahmte. Er war gut einen Kopf kleiner, deutlich behaarter sowie muskulöser als Dwarf.

Am Hals prangte ein prunkvoller, rubinroter Edelstein, in dessen Mitte eine karoförmige Vertiefung eingefräst war. Seine gelblichen Augen, die mit einer hochstehenden ovalen Pupille versehen waren, zeugten von Entschlossenheit.

Ergänzt durch die kräftigen, weiß hervorstechenden Zähne, verlieh ihm seine Mimik zudem etwas Raubtierhaftes, drückte Kraft und Wildheit aus. In etwas Abstand zum Tisch hatten die beiden Anführer ihre kostbaren, schillernden Schwerter, außerdem die runden, nach außen hin gewölbten, metallisch glänzenden Schilde abgelegt.

Gemeinsam warteten sie auf den Urteilsspruch ihrer Göttin, wobei sie sich nicht lange gedulden mussten. Mit einem hellen Lichtblitz schälte sich deren Sprecher als auch Stellvertreter aus dem Dunkel.

Groß und stattlich stand Erzengel Gabriel vor ihnen, erstrahlte in gleißendem Licht. Ein Mensch wäre in Ehrfurcht vor diesem Wesen, aus dem Feuerzungen prasselten, erstarrt, hätte er die sonnenähnlich wabernde Fläche gesehen.

Um die Angst der Erdenbewohner wissend, erschien sie ihnen daher gewöhnlich in ihrer Lieblingsgestalt, einer Frau, deren Aussehen, erhaben wie respekteinflößend, sie auch jetzt unverzüglich annahm. Ihre honigfarben glänzenden Haare umspielten alsbald ein liebliches, sehr weibliches Antlitz, in dem gleichwohl Entschlossenheit und Strenge ihren Platz hatten.

Unverkennbar waren ihr blauer Umhang, über einer aus feinem Leinen gewebten Toga, als auch die in der rechten Hand gehaltene weiße Lilie. Ihr hell leuchtender Schild brannte lautlos.

Neben ihr materialisierten drei weitere Erzengel, zu ihrer Rechten Michael, auf der linken Seite Raphael und Uriel, welche ihre urtypische Erscheinungsform beibehielten. Auffällig waren die von den Himmelswächtern hochgehaltenen Flammenschwerter, als deutliche Insignien ihrer Macht.

Mit ihren Sandalen aus einem glitzernden Geflecht, was an Sonnenstrahlen erinnerte, schwebte Gabriel, ebenso wie die drei anderen Himmelsboten, einige Zentimeter über dem Boden. Jeder der Anwesenden konnte die von den Körpern der Himmelsgesandten ausgehende Hitze spüren, deren Licht den Versammlungsort taghell aufleuchten ließ.

Begleitet wurden sie von Abraham, der die Vertretung der gesamten Menschheit repräsentierte sowie Lucifer, welcher zusammen mit Dwarf und Gorgon angeklagt war. Der einst mächtigste Erzengel war ein sogenannter Gefallener, der mutmaßlich letzte seiner Art.

Im Unterschied zu der bäuerlichen Kleidung von Dwarf und Gorgon trug Lucifer eine dunkel glänzende Rüstung aus dünnem Metall. Er und Abraham nahmen ebenfalls an der Tafel Platz.

Abraham war schon sehr alt, was man an den zahlreichen Falten in seinem Gesicht erkennen konnte. Man schätzte ihn auf weit über 100 Jahre, aber so genau wusste das niemand.

Seinen Kopf umrahmte ein dichter, schlohweißer Vollbart, ergänzt von einer immer noch ansehnlichen, weißen Haarpracht. Für die Menschen symbolisierte er Sitte und Moral, war er als Vorbild ein stets verlässlicher Gradmesser, der sie von Geburt an begleitete, so, als wäre er schon immer dagewesen

Als fester Bezugspunkt ihres Daseins, vermittelte er Zutrauen und bescheidene Zufriedenheit. Dies war auch wichtig, denn die Bauern in dieser Wüsten- und Steppenregion waren allesamt arme Geschöpfe, die von den mageren Erträgen eines mühsamen Ackerbaus oder von der Viehzucht leben mussten.

Ihr wahrer Reichtum bestand vorwiegend aus ihrem unerschütterlichen Glauben an SIE, ihre Göttin, sowie einigen wenigen, unbedeutenden Habseligkeiten. Abrahams Weisheit, welche sich schon in seinem Gesichtsausdruck zeigte, als auch seine Güte, seine Glaubensfestigkeit und Rechtschaffenheit, waren bei seinem Volk geschätzt.

Man merkte ihm physisch zwar die Verantwortung an, der Stammvater Israels und, zusammen mit seinem Sohn Isaak sowie seinem Enkel Jakob, der Erzvater der zwölf Stämme Israels zu sein, sah aber auch seinen hieraus resultierenden Stolz, die Würde in seinen Augen. Diese Last mit Freude zu tragen, war ihm, trotz seines biblischen Alters, eine spirituelle Ehre.

„Im Namen der Allmächtigen verkünde ich hiermit das Urteil“ begann Gabriel den Richterspruch.

Die Anwesenden erhoben sich von ihren Stühlen.

„Lucifer, Dwarf und Gorgon, ihr seid schuldig, die Menschheit in ihrer Entwicklung beeinflusst, genetische Mutationen gefördert, mit ihnen Nephilim gezeugt, sowie jene persönlich bedroht, missbraucht, versklavt und getötet zu haben.“

Eine kurze Pause trat ein. Abraham nickte bedächtig, mehr noch, er fühlte sich zufrieden, in der erwartungsvollen Hoffnung, Gerechtigkeit zu erfahren.

Obwohl er nicht alles verstand, wusste er, dass die Erhabene und ihre Engel das Rechte taten. Sie liebten die Erdengeschöpfe über alles.

So war es von Anfang an. Er hegte keinen Zweifel, dass der Himmel bedingungslos auf der Seite der Menschen stand.

„Die Schöpferin verurteilt dich, Lucifer, da du erneut gegen die Schöpfung rebelliertest, zu einer 5000 Jahre währenden Verbannung. Währenddessen wirst du deine Menschenform als männlicher Krieger beibehalten.

Du wirst in einen Komet eingeschlossen und einsam mit dem Schweifstern dessen Kreise in diesem Sonnensystem ziehen. Danach wirst du auf die Erde zurückkehren und dich erneut unter der Menschheit beweisen müssen.

Bestehst du die Probe, wartet dein vorgesehener Platz unter den Cherubim und Seraphim auf dich.“

Lucifer, welcher seine schwarzen Flügel, von denen er drei auf jeder Seite besaß, als einziger der Anwesenden stolz aufgerichtet hatte, grinste. Er hatte eigene Pläne - geheime Pläne -, von denen niemand wusste.

Sollte SIE doch jetzt triumphieren, zu guter Letzt würde er der Sieger sein. Irgendwann würde das Universum zu seinen Füßen liegen.

„Dwarf und Gorgon werden, zusammen mit ihren Anhängern, in eine Zwischendimension deportiert. Die beiden vereinten Amulette, die Dwarf und Gorgon als Zeichen ihrer Macht tragen, werden Abraham, stellvertretend für die Menschen, übergeben.

Es liegt hiernach im Ermessen der Erdenwesen, deren evolutionäre Entwicklung damit nicht mehr gestört werden kann, ob und wann jene eure Ächtung aufheben werden. Hierzu müssen die Amulette getrennt und das Pergament mit dem Urteil verbrannt werden.

Die beiden zerstörten Städte Sodom und Gomorrha werden nicht wieder aufgebaut und dienen der Mahnung. Die Menschen werden sich von diesen Städten fernhalten.

Das Tribunal ist beendet!“

Erzengel Gabriel erhob ihre Arme, mit der unmittelbaren Folge, dass Lucifer samt Dwarf und Gorgon verschwanden. Deren Plätze waren schlagartig leer, weshalb die Luft leise fauchend an jenen Stellen zusammenschlug.

Auf dem Tisch lagen zwei Amulette, die sich, wie von Geisterhand gelenkt, aufeinander zubewegten, schließlich langsam miteinander verschmolzen. Der grüne, rautenförmige Edelstein des glattgeschliffenen Amuletts passte wundersamerweise exakt in die karoförmige Vertiefung des rubinroten Edelsteins.

Daneben lag das Pergament, versehen mit dem Urteil, eingebrannt mit himmlischem Feuer in hebräischer Schrift. Gabriel blickte zu Abraham, nickte ihm mitfühlend zu, bat ihn, gut auf das Pergament, wie auch das Medaillon aufzupassen.

Kaum waren diese Worte verklungen, wurden die vier Erzengel erst milchig, dann durchscheinend, schließlich lösten sie sich auf. Zurück blieb für einen Moment die Wärme, die sie ausgestrahlt hatten, samt eines leichten Windzugs, der das entstandene Luftvakuum füllte.

Auf der Anhöhe wurde es dunkel. Alles war wieder so, wie es sein sollte.

Am Firmament leuchteten die Sterne in einer scheinbar perfekten, ewigen Ordnung göttlicher Schöpfung, welche immerwährende Beständigkeit, wenn auch trügerischer Art, suggerierte. Jeder leuchtende Punkt schien seinen unverrückbaren Platz zu haben.

Abraham erhob sich langsam. Der Aufenthalt im Kontinuum, die Urteilserstellung sowie deren Verkündigung mit sofortiger Bestrafung der Übeltäter, waren für seine Sinne überwältigend.

Er war müde, brauchte jetzt unbedingt etwas Ruhe. Auf dem Nachhauseweg, den er unverzüglich antrat, trug er das Pergament, welches er vorsichtig zusammengerollt hatte, samt Medaillon bei sich.

In der Ferne erhellte Sodom brennend die Nacht.

Die Sodom-Prophezeiung

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