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Heilige Ekstase

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Als Begründer der modernen Schamanismus-Forschung gilt der rumänische Religionswissenschaftler Mircea Eliade. Er betrachtete den Schamanismus als eine rituelle Praxis, mittels derer der Schamane bewusst (nämlich durch bestimmte Techniken, die tranceartige Zustände hervorrufen) außerkörperliche Erfahrungen induziert. Ziel der Praxis sei es, den gewöhnlichen Bewusstseinszustand zu verändern und die subjektive Wirklichkeit zu transzendieren, um mit den Göttern oder Geistern – das heißt: gewöhnlich unsichtbaren Entitäten – in Kontakt zu treten. „Eine allererste Definition dieses komplexen Phänomens“, schreibt Eliade, „wäre: Schamanismus = Technik der Ekstase“.5

Von der jüngeren Forschung wurde diese Definition übernommen:

Die wichtigste, schlechthin unabdingliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Séance aber war, daß der Schamane in Trance fiel, genauer: in Ekstase geriet, das heißt ganz Seele wurde und sich so vom Leib befreien und ins Jenseits begeben konnte. Dazu hatten Schamanen in aller Welt eine Fülle von ‚Techniken‘ entwickelt.6

Das altgriechische Wort ἔκστασις (ekstasis: „Ekstase“) bezeichnet das „Aus-sich-Heraustreten“, die „Begeisterung, Verzückung“. „Als Ekstase wird das in höchster Form von Erregung stattfindende ‚Heraustreten der Seele‘ aus den Körpergrenzen bezeichnet“.7

Ekstase ist ein Bewusstseinsphänomen, bei dem die Grenzen zwischen Ich und Nicht-Ich durchlässig sind und das mitunter als Verzückung, Rausch, Trance, Besessenheit, Enthusiasmus oder Begeisterung beschrieben wird. Psychische Zustände des Außersichseins können durch halluzinogene Stoffe, durch Drogen und Alkohol, aber auch durch asketische Übungen oder rituellen Tanz hervorgerufen werden. […] Berichte über ekstatische Erlebnisse handeln von Reisen in die Ferne, zu Göttern, Geistern und in den Himmel. Schamanen beziehen ihre Kraft und Erkenntnisse über medizinische Mittel häufig aus ekstatischen Reisen zu den Geistern, die für die Heilung der Menschen zuständig sind.8

Der Begriff „Ekstase“ ist insbesondere im Kontext der vorchristlichen Mysterien im antiken Griechenland gebräuchlich (Eleusis, Delphi, Dodona etc.). Ein bestes Beispiel für diese heidnischen Ekstasekulte der Hellenen sind die Dionysien, rituelle Festspiele und Verkleidungskulte zu Ehren des Rauschgottes Dionysos, die fest in der griechischen Kultur verwurzelt waren. In archaischer Zeit bestanden die Dionysien aus wilden Umzügen, bei denen die Teilnehmer unter Trommelrhythmen und Obertonmusik freudentaumelnd durch die Wälder brausten. Die weiblichen Kultanhängerinnen des Dionysos nennt man „Mänaden“; sie hüllen ihre nackte Haut in Hirschkalbfelle, werfen tanzend ihre Köpfe in den Nacken und empfinden keinen Schmerz – ihr Name deutet auf den Schamanismus (μανία [mania]: „Raserei“). Die männlichen Kultanhänger nennt man Satyrn; sie sind Mischwesen aus Mensch und Tier und transzendieren die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis – „Ekstase“ bedeutet immer auch „das Aus-der-Kultur-Heraustreten“. Die Dionysien dienten als eine Art „Ventil“ und Ausgleich zur gesellschaftlichen (apollinischen) Ordnung; sie waren die gezielt eingeleitete Erfahrung des ‚ganz Anderen‘. Zwar waren die griechischen Mänaden und Satyrn wohl keine Schamanen im engeren Sinne, doch lässt sich am Beispiel der archaischen Dionysien vorzüglich festmachen, wie eine schamanisch strukturierte Kultur aussehen kann.

Schamanismus bei den Germanen

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