Читать книгу Medizinische Grundlagen der Heilpädagogik - Thomas Hülshoff - Страница 11
Оглавление2Sozialmedizinische Grundlagen
Gespräche von Menschen jenseits des 30. Lebensjahres drehen sich nicht selten um Gesundheit bzw. deren Fehlen, nämlich die Krankheit. Da wird von schweren Unfällen, Operationen oder chronischen Krankheiten bei Verwandten und Freunden und auch von den eigenen Malaisen berichtet. Alle medizinischen Fortschritte täuschen nicht darüber hinweg, dass wir nach wie vor im Laufe unseres Lebens erkranken und dass uns diese Thematik zutiefst beunruhigt.
Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach zu sein: Gesund ist, wer kein ärztlich festzustellendes Leiden aufweist, bei dem eine „Diagnose“ fehlt. Bei näherem Hinsehen stellen sich die Dinge komplizierter dar: Was ist mit den chronischen Rückenschmerzen, die sich weder röntgenologisch noch funktionsdiagnostisch zeigen? Sie führen dennoch dem Patienten erhebliches Leid zu und lassen ihn möglicherweise vorübergehend arbeitsunfähig sein. Hier müssen wir von „Störungen der Befindlichkeit“ und dem (meist naturwissenschaftlich) objektivierbaren Befund unterscheiden. Das ist aber eine spezielle, oft zu kurz gegriffene Sichtweise, wenn man nur dem objektiven Befund „Krankheitswert“ zuweist. Umgekehrt: Einem medizinischen Bonmot zufolge sind gesunde Menschen lediglich solche, die noch nicht ausreichend untersucht wurden. Irgendetwas, so könnte man sarkastisch formulieren, findet sich immer. Gerade die Möglichkeiten neuerer Gentests, aber auch eine immer detaillierter ausfallende biochemische oder durch bildgebende Verfahren gestützte Diagnostik können kleine Abweichungen des „Normzustandes“ zeigen. Man scheint somit nicht gesund, sondern „noch nicht krank“ zu sein.
Wenn man aber Krankheit als einen „regelwidrigen“ Zustand versteht, bei dem körperliche Funktionen, Messgrößen oder Befunde nicht im Normbereich stehen, so muss man sich fragen, was denn unter einer solchen Norm zu verstehen ist. Der Arzt und Anthropologe Schiefenhövel berichtet beispielsweise von Gebieten Afrikas, in denen Würmer in der menschlichen Blase als „Norm“ zu betrachten sind – zweifellos lästig, zweifellos unangenehm, angesichts ihrer Alltäglichkeit aber letztlich „normal“. Messgrößen und Befunde, so führt er weiter aus, werden maßgeblich von trendsetzenden Medizinern und Bevölkerungsschichten etabliert. Manche solcher Befunde unterliegen auch bestimmten Moden und dem „Zeitgeist“.
So war um 1900 in den meisten internistischen Lehrbüchern ein niedriger Blutdruck weder als Symptom noch als Krankheitseinheit zu finden. Um 1950 herum maß man diesem Symptom eine große Bedeutung bei, die mit ihm verbundenen Schwindelattacken oder das „Unwohlsein“ galten nun als krankhaft. In der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts hingegen relativierte sich das Bild wieder.
Erschöpfungssyndrome unterschiedlicher Ausprägung werden nicht in jeder Gesellschaft gleichermaßen als Krankheit angesehen. Wenn, dann werden sie kulturell bedingt oft unterschiedlich attributiert: Engländer scheinen eher an „nervösen Leiden“ zu erkranken, bei Franzosen finden wir die „crise du foie“ – also eine Art Leberbeeinträchtigung, während Deutschen chronischer Stress und Erschöpfung „auf’s Herz schlägt“ und vermehrt zu funktionalen Herzbeschwerden führt.
Was wir für krank oder gesund, für normal oder bedenklich halten, ist also keineswegs nur ein objektiv gegebener, naturwissenschaftlich zu messender Befund. Es richtet sich auch stark nach kulturellen Begebenheiten.
So kann man im „Struwwelpeter“ Heinrich Hoffmanns, erschienen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, zahlreiche Verhaltensweisen finden, die damals als Charakter- oder Erziehungsschwäche klassifiziert (und von Hoffmann entsprechend bestraft) wurden. In den vergangenen 160 Jahren hat eine derartig starke „Medikalisierung“ stattgefunden, dass von den ehemaligen Charakterschwächen nicht mehr allzu viel übrig geblieben ist: Paulinchen wurde zur Pyromanin, der Struwwelpeter ist ebenso wie der bitterböse Friedrich eher depressiv-depriviert, Hans-Guck-in-die-Luft könnte an einer Absence leiden, der Suppenkasper weist eine Anorexie auf, und im Zappelphilipp erkennen wir das hyperkinetische Syndrom. Ob mit einem solchen Paradigmenwechsel allerdings viel gewonnen wurde oder lediglich ein (wertend-normatives) Stigma durch ein neues (medikalisiertes) ersetzt wurde, sei dahingestellt.
Erfahrungsgemäß erkennt man die Kultur- bzw. Epochenabhängigkeit von Krankheitsauffassungen erst aus der Distanz. So wurde angesichts der enormen Fortschritte in der naturwissenschaftlich orientierten Medizin zu Beginn des 20. Jahrhunderts und des seinerzeit vorherrschenden Paradigmas einer Industriegesellschaft der Körper häufig als eine Art Fabrik vorgestellt, bei der die Leber entgiftet, das Herz pumpt, der Darm Nahrung transportiert und das Gehirn steuert. Dies war ebenso richtig wie kurz gegriffen. Am Ende des 20. Jahrhunderts entstanden, gesellschaftlich bedingt, neue Paradigmen, die auch in der Medizin Einzug hielten. Momentan wird der Mensch eher mit einem Netzwerk verglichen, bei dem vor allem die Interaktion unterschiedlicher Funktionseinheiten im Vordergrund des Interesses stehen.
Psychoneuroendo-krinoimmunologie
Neue Paradigmen gehen von Wechselwirkungen verschiedener Systeme aus, wie sie eine neue und sehr erfolgreiche Fachrichtung, die Psychoneuroendokrinoimmunologie, postuliert. Demzufolge gibt es enge Wechselwirkungen zwischen psychischen Phänomenen (also Gefühlen, Vorstellungen und kognitiven Prozessen, die in unserem Gehirn repräsentiert werden), neurophysiologischen Phänomenen, die sich als Aktivität unseres Nervensystems beschreiben lassen, endokrinen Prozessen, die durch Hormonausschüttung charakterisiert sind und immunologischen Prozessen, die maßgeblich von den Zellen unseres Abwehrsystems abhängen und dafür sorgen, dass wir uns vor pathogenen Keimen schützen können. Nach neueren Erkenntnissen gibt es zwischen diesen Systemen zahlreiche Verbindungen und Zusammenhänge. Darauf wird weiter unten noch näher eingegangen.
WHO
Auch die Weltgesundheitsorganisation, derzufolge Gesundheit „ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“ (Waller 2013, 10) ist, formuliert in diesem zugegeben hohen Anspruch einen Gesundheitsbegriff, der eine Verknüpfung körperlicher, seelischer und sozialer Faktoren intendiert. Unterschiedliche Krankheitsmodelle können mehr oder weniger dazu beitragen, Krankheiten und die von ihnen betroffenen Kranken, also Patienten (wörtlich: „Leidende“), zu verstehen und ihnen beizustehen. Im Folgenden sollen acht solcher Krankheitsmodelle kurz mit ihren Möglichkeiten und Grenzen vorgestellt werden.
Medizinisches Krankheitsmodell: Ein klassisch-medizinisches, vorwiegend naturwissenschaftlich orientiertes Krankheitsmodell definiert Krankheit als einen regelwidrigen Funktionszustand körperlicher Organe, der eine spezifische Ursache, bestimmte Grundstörungen, typische Symptome und eine beschreibbare Prognose aufweist. So wäre z. B. ein Diabetes mellitus zu definieren als ein Mangel des Blutzucker steuernden Hormons Insulin, der auf einen Zelluntergang in der Bauchspeicheldrüse zurückzuführen ist. Er ist durch Durst, Benommenheit, vermehrtes Wasserlassen u. a. spezifische Symptome von geschulten Therapeuten zu erkennen und erlaubt unter bestimmten therapeutischen Prämissen eine normale Lebenserwartung. Ein solches Krankheitsmodell ermöglicht die Erforschung von Ursachen und Verlaufsform ebenso wie gezielter, oft naturwissenschaftlich begründeter und hinsichtlich ihres Erfolges objektivierbarer Behandlungsmethoden. Der rasante Fortschritt der Medizin des 19. und 20. Jahrhunderts beruht zum größten Teil darauf, dass sich Ärztinnen und Ärzte dieses naturwissenschaftlichen Paradigmas bedienten. Als es gelang, Insulin als Hormon zu identifizieren und zu synthetisieren, war die bis 1920 immer tödlich verlaufende „juvenile Zuckerkrankheit“ behandelbar. Sie ermöglichte, wenigstens im Prinzip, eine bedingte Gesundheit und normale Lebenserwartung.
Kritisch anzumerken ist allerdings, dass ein ausschließliches Beachten naturwissenschaftlich orientierter Kriterien möglicherweise nur Teilaspekte einer Erkrankung erfasst. Dass es außerdem die Dominanz von Ärzten stärkt und bei strenger Auslegung diätetische, psychologische, pädagogische und sozio-kulturelle Aspekte ebenso wenig berücksichtigt wie die dem Patienten und seinem unmittelbaren Umfeld innewohnenden Potenziale, ist ebenfalls ein des Öfteren angebrachter Kritikpunkt.
Evolutionsbiologische Krankheitsmodelle: Eine etwas andere, gleichwohl biologische Facette bieten die Krankheitsmodelle der „Evolutionsmedizin“. Der zufolge lässt sich zumindest ein Teil von Krankheiten mit der Conditio humana, der menschlichen Beschaffenheit, die sich in Hunderttausenden von Jahren evolutionär entwickelt hat, erklären.
ultimate vs. proximate Ursachen
Demzufolge kann man ultimate von proximaten Ursachen unterscheiden. Unmittelbare (proximate) Ursachen eines Diabetes sind mit den entsprechenden Funktionsausfällen der Bauchspeicheldrüse bereits oben angezeigt worden. Unter evolutionären (ultimaten) Gesichtspunkten allerdings kann sich Diabetes zunehmend in einer Bevölkerungsgruppe durchsetzen, weil er durch die neuen Lebensbedingungen in einer hochtechnisierten Gesellschaft nicht mehr zu unmittelbarer Gefährdung führt und somit verstärkt vererbbar ist.
Evolutionsmedizin
In ihrem lesenswerten und gut verständlichen Lehrbuch gehen die Ärzte und Evolutionsbiologen Nesse und Williams (2000) der Frage nach, warum wir krank werden. Aus evolutionsmedizinischer Sicht werden hier genannt:
a)Abwehr- und Verteidigungsmechanismen: Husten, Schnupfen, Fieber u. a. m. sind demzufolge keine krankhaften und möglichst zu behandelnden Symptome, sondern vielleicht sinnvolle Möglichkeiten, mit denen Keime bekämpft oder nach draußen befördert werden. Bei der normalen Grippe kann die Erhöhung der Körpertemperatur durch ein Bad oder einen Saunagang möglicherweise zu einem vermehrten Absterben von Krankheitserregern führen und den Heilungsprozess beschleunigen. Unter solchen Gesichtspunkten können fiebersenkende Medikamente unter Umständen kontraproduktiv werden. Nichtsdestotrotz kann es natürlich einen graduellen Anstieg von Fieber geben, der lebensbedrohlich ist und eine solche Maßnahme nötig macht.
b)Auch Infektionen können als evolutionär bedingter, nie endender Wettlauf zwischen sich aufrüstenden Keimen und dem darauf reagierenden Immunsystem des Menschen gesehen werden. Demzufolge wäre unser antibiotikagestützter Sieg über Krankheitserreger nur ein vorläufiger.
c)Veränderte Umweltbedingungen können dazu führen, dass evolutionär angelegte körperliche Parameter (z. B. unsere Affinität zu süßen, fetten und stark gewürzten Speisen) zunehmend dysfunktional werden. Unter Steinzeitbedingungen war es wichtig, sich die wenigen hochkalorischen Nahrungsmittel, die man bekam, einzuverleiben. In einer Überflussgesellschaft können Blutgefäßablagerungen, Durchblutungsstörungen u. v. m. die Folge sein.
d)Genetisch tradiert und vererbt wird alles, was den Erbträger nicht daran hindert, erfolgreich Kinder in die Welt zu setzen und diese großzuziehen. Folglich können eine Reihe von Krankheitspotenzialen (z. B. Krebs des höheren Lebensalters) unbeschadet weitergegeben werden.
e)Unter „Designer-Kompromissen“ verstehen die Autoren den Preis, den die Individuen in der Evolutionskette für Weiterentwicklung zahlen. Mehrfach wurde beispielsweise das Rückgrat umfunktioniert: Von der torpedoförmigen Struktur eines wasserbewohnenden Lebewesens ging es über die „Brückenkonstruktion“ des landerobernden Wirbeltieres zur „Turmkonstruktion“ des aufrechtgehenden Homo sapiens. Das geht für 30 Jahre (und die sind zur Aufzucht der Nachgeborenen notwendig) problemlos vonstatten. Danach kommen die Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und die chronischen Rückenschmerzen zum Tragen.
Eine solche evolutionäre Sichtweise auf die Entstehung von Krankheiten ermöglicht eine Vielzahl neuer diagnostischer und therapeutischer Ansätze. Auf diese kann hier allerdings im Einzelnen nicht eingegangen werden.
Psychosomatische Krankheitsmodelle: Psychosomatische Krankheitsmodelle gehen weiter und formulieren Wechselwirkungen zwischen körperlichen Phänomenen und seelischen Erkrankungen, die in Kap. 2.2 noch detaillierter besprochen werden.
Stress-Coping-Modell: Ähnliches gilt für das von Canon und Lazarus vorgestellte Stress- und Stress-Coping-Modell, das vor allem Zusammenhänge zwischen Krankheit, Stress und Stressbewältigung fokussiert. Auch dies wird in Kap. 2.2 näher erläutert werden.
Biopsychosoziales Krankheitsmodell: Neuere Ansätze der Sozialmedizin und insbesondere der Sozialpsychiatrie entwickelten biopsychosoziale Krankheitsmodelle, die Krankheiten, ihre Ursachen, Entstehungen und Manifestationen jeweils auf biologischer, psychischer und sozialer Ebene untersuchen. Auch die Therapieansätze sind demzufolge mehrdimensional. Insbesondere wird auch auf Wechselwirkungen biologischer, psychischer und sozialer Faktoren eingegangen.
So kann beispielsweise eine Depression biologisch (Serotoninmangel), psychisch (Verlusterlebnis) oder sozial (Vereinsamung) (mit-)begründet sein, und die Behandlung kann pharmako-, psycho- und sozialtherapeutisch erfolgen, wobei die Faktoren verschiedener Ebenen interagieren (Näheres in Hülshoff 2001, 86ff).
Soziologische Krankheitsmodelle: Soziologische Krankheitsmodelle untersuchen dagegen die soziale Bedeutung von Krankheit.
Rollenmodell von Parsons
Im „Rollenmodell“ von Parsons findet sich eine zwar häufig kritisierte, letztlich aber auch heute noch aktuelle Beschreibung der Rolle des Kranken. Demzufolge beinhaltet die Krankenrolle zum einen eine temporäre Befreiung von sozialen Pflichten: Der kranke Rekrut wird vom Wehrdienst freigestellt, beim erkrankten Kind kann eine temporäre Schulbefreiung erfolgen. Zum anderen wird der Betroffene nicht für die Krankheit verantwortlich gemacht. Wurde bis in die 1960er Jahre Alkoholismus als Charakterschwäche angesehen, so wird Abhängigkeit vom Alkohol seit 1968 als Krankheit anerkannt. Dies brachte eine erhebliche Entlastung der Patienten mit sich. Allerdings hat, so Parsons, der Patient die Verpflichtung, gesund werden zu wollen, wozu er entsprechend der Erwartung seiner Umgebung fachkundige Hilfe aufsuchen muss – eine Anforderung, der nicht alle alkoholkranken Menschen nachgehen.
sozialeRandgruppen
Ein anderer Zweig der Medizinsoziologie befasst sich mit der Frage, ob die Zugehörigkeit zu sozialen Randgruppen die Auftrittswahrscheinlichkeit von Krankheiten erhöht. Nach einschlägigen Studien, auf die hier nicht eingegangen werden kann, tut sie das: Häufigkeit und Schwere von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Erkrankungen, psychischen und Suchterkrankungen korrelieren eindeutig mit der Zugehörigkeit zur sozialen Schicht. Auch die Lebenserwartung armer Menschen – selbst in Wohlstandsgesellschaften – ist signifikant niedriger als die von gut situierten Bürgern.
Labeling-Approach
Eine dritte Fragestellung medizinisch-soziologischer Forschung befasst sich damit, inwieweit insbesondere chronische und psychische Erkrankungen einschneidende Folgen für den Sozialkontakt und die gesellschaftliche Partizipation haben. Der so genannte „Labeling-Approach“ (Etikettierungsansatz) geht davon aus, dass eine Vielzahl von Krankheiten auf Seiten der Umgebung zu mehr oder weniger starren Rollenerwartungen führt, unter denen der Patient mitunter mehr leidet als unter der Krankheit selbst. So wird fälschlicherweise Epilepsie mitunter mit intellektueller Behinderung verbunden – über 90% aller Menschen mit hirnorganischen Krampfanfällen leben und arbeiten jedoch völlig unauffällig in oft sehr verantwortlichen Positionen (s. Hülshoff 2008, 213ff).
Risikofaktoren-Modell: Das Risiko-Faktoren-Modell versucht, den vielschichtigen Faktoren, die einer Krankheit zugrunde liegen können, gerecht zu werden, indem hier gleichzeitig medizinische, psychologische und soziologische Krankheitsrisiken Beachtung finden. So kann beispielsweise eine Bronchialkrebs-Erkrankung durch eine biologisch-genetisch begründete Vulnerabilität (Verletzlichkeit) mit verursacht sein, ihr Auftreten aber in engem Zusammenhang mit dem Rauchverhalten gesehen werden. Dieses wiederum speist sich auch aus psychologischen Momenten (der Stressbelastung, dem süchtigen Verhalten, den individuellen Lebenserfahrungen etc.) und gesellschaftlichen Phänomenen, die z. B. über Werbung, Gruppenkonformität, epochale Einflüsse oder Gesetzeslage das Rauchen begünstigen oder präventiv zu erschweren versuchen. Hinzu kommt, dass es physikalische, chemische und psychosoziale Faktoren gibt, die unabhängig vom Rauchen ihrerseits das Krebsrisiko beeinflussen können – Asbestbelastung, Strahlenexposition u. a. Faktoren mehr.
Theologische und philosophische Ansätze: Auch philosophische und theologische Ansätze zur Krankheitserklärung bzw. Bewältigung lassen sich finden. Im Wort „Heil“ bzw. „Heilung“ gibt es bereits den Hinweis, dass hierunter ursprünglich eine Wiederherstellung ganzheitlichen Wohlbefindens verstanden wurde. Die ers-ten Heilkundigen waren nicht nur Medizinmänner und -frauen, sondern hatten oft auch priesterliche Funktionen. Krankheit wurde nicht nur als körperlich-dysfunktionales Phänomen verstanden, sondern galt auch als eine Störung des sozialen Miteinanders sowie eine Entfremdung von Natur und transzendentalem Hintergrund. Dementsprechend erforderte Heilung eine Aussöhnung mit dem eigenen Körper, der Sozietät (dem Stamm, dem Klan), aber auch mit der Gottheit.
Wenn Kinder krank werden, findet sich nicht selten das Phänomen, dass sie ihre Erkrankung mit dem eigenen Verhalten in Verbindung bringen. Es kommt der menschlichen Psyche offensichtlich sehr nahe, eigenes Fehlverhalten für die Erkrankung verantwortlich zu machen. Es gehört viel menschliche Reife und Selbsterkenntnis dazu, Krankheit als ein evolutionsbedingtes Phänomen zu erkennen, das uns Menschen schicksalsbedingt zu gegebener Zeit und in unterschiedlichem Ausmaß überkommt. Oft genug regredieren wir in der Krankheit aber wieder und suchen, ähnlich wie in unserer Kindheit, nach Krankheitsgründen, die mitunter mit quälenden Schuldgefühlen korrespondieren. Das Wissen um diese Vorgänge ermöglicht eine befreiende, kathartische Aussprache und die Überwindung solcher Schuldgefühle.
Es bleibt aber festzuhalten, dass es vielen Menschen wichtig ist und mitunter auch gelingt, gerade auch in der Krankheit einen Sinn zu entdecken. Das Krankheitserleben hat nämlich durchaus Auswirkungen auf unser Selbstbewusstsein. Aus Kinderheilkunde wie mütterlichen und großmütterlichen Erfahrungen wissen wir, dass Kinder nach schweren Kinderkrankheiten (z. B. Masern) nicht nur immunologisch, sondern auch seelisch, körperlich und geistig einen Wachstumsschub durchmachen können. Dass das Immunsystem an durchgemachten Erkrankungen lernt und vor anderen Krankheiten gefeit ist, leuchtet ein. Aber auch die Erfahrung der Hilflosigkeit und die Überwindung derselben, die Möglichkeit zu regredieren, verwöhnt und versorgt zu werden sowie das körperlich wie emotional beglückende Erlebnis, wieder zu Kräften zu kommen, verändert Selbsterfahrung und Selbstbewusstsein erheblich, selbst wenn dies nicht immer ausgedrückt werden kann. Insofern kann auch im Krankheitsprozess ein subjektiv erlebter und im Lebenskontext nachzuvollziehender Sinn gesehen werden.
Fragt man sich, welches der hier kurz angerissenen Krankheitsmodelle „das Richtige“ ist, zeigt sich sehr schnell, dass die Frage so falsch gestellt ist. Vielmehr kann man überlegen, welche Aspekte der hier vorgestellten Krankheitsmodelle im Einzelfalle in der Lage sind, besonders gelungen zum Verständnis von Krankheit und Krankem sowie zur Förderung eines ganzheitlich orientierten Heilungsprozesses beizutragen.
Behinderung
Kurz soll noch auf den Begriff der Behinderung eingegangen werden. So ist im Sinne des Schwerbehindertengesetzes eine Behinderung „die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht“ (zit. n. Hörning in Schwarzer 2010, 26). Diese eher defizitorientierte und individuumzentrierte Betrachtung ist nicht unproblematisch.
Nach einer älteren Definition der Weltgesundheitsorganisation (neuere Definitionen betonen mehr Chancen, Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten) lässt sich der Behinderungsbegriff in die Aspekte der Schädigung (impairment), der Funktionseinbuße (disability) und der Beeinträchtigung (handicap) differenzieren.
Entscheidend ist nicht nur das Ausmaß der Schädigung: Vergleichsweise große Hirnverletzungen können ggf. mit nur geringfügigen Lähmungen oder anderen Funktionseinbußen einhergehen – und umgekehrt. Außerdem kann der Schweregrad von Funktionseinbußen auch von medizinisch-rehabilitativen Behandlungen, heilpädagogischen und anderen Förderungen und nicht zuletzt von der biografisch-individuellen Persönlichkeitsentwicklung abhängen.
Benachteiligung
Letztendlich sind aber neben der Schädigung und den Funktionseinbußen vor allem Beeinträchtigungen und Benachteiligungen zu beachten, da sie wesentlich die Partizipation am soziokulturellen Leben erschweren können. Gerade im Bereich der „Beeinträchtigung“ gilt ganz besonnders, dass man behindert wird: Beispielsweise durch unüberwindbare Bahnsteigkanten, unzugängliche Eingänge, aber auch durch Stigmatisierungen und inadäquate Einstellungen von Mitmenschen.
Paradigmenwechsel
Die Diskussion um Beeinträchtigung und Behinderung hat sich im Rahmen verschiedener Paradigmenwechsel verändert. So war das vorherrschende (und heute noch relevante) Paradigma der 1960er Jahre das „Normalisierungsprinzip“, in dem erstmals formuliert wurde, dass auch und gerade Menschen mit Behinderung ein an dem normalen Alltag ihrer nicht behinderten Mitmenschen orientiertes Leben, so normal wie möglich, führen sollten. Beispielsweise sollte durch Barrierenreduktion und Teilhabe am Arbeitsprozess auch eine Integration in das soziokulturelle Leben einer Gesellschaft ermöglicht werden, wobei das Integrationsparadigma wesentliche Gedanken des Normalitätsprinzips aufwies und um den Gedanken der Partizipation erweiterte.
Schließlich war das „Assistenzprinzip“ ein weiterer paradigmatischer Fortschritt: Heilpädagogen, Ärzte, Heilerziehungspfleger und andere Berufsgruppen wurden nun zunehmend als professionelle Dienstleister verstanden, die von Menschen mit Behinderung in Anspruch genommen werden konnten, wobei der Behinderte der Auftraggeber war. Das Assistenzprinzip beinhaltet also wesentliche Aspekte der Autonomie und Selbstbestimmung behinderter Menschen, die selbst am besten einschätzen können, was hilfreich für sie ist.
Das Inklusionsparadigma schließlich geht noch über den Gedanken der Integration hinaus: Menschen mit Behinderung, so kann man vereinfachend formulieren, partizipieren nicht nur an einer Gesellschaft, sondern sie sind einer ihrer essentiellen Bestandteile und definieren sie mit. Eine Gesellschaft, in der für Menschen mit Behinderung kein Platz ist oder nur Randplätze vorgesehen sind, wird kälter und unmenschlicher – und zwar für alle ihre Mitglieder. Das Verdrängen der Möglichkeit, als Eltern eines behinderten Kindes oder infolge von Alter, Krankheit oder Unfall selbst behindert zu sein, führt individuell wie gesellschaftlich zu erheblichen Fehlentwicklungen. Die Inklusion von Menschen und Gruppen mit und ohne Behinderung in einer sich als soziokulturelle Einheit verstehenden Gemeinschaft ist also für das Funktiuonieren einer humanen Gesellschaft unabdingbar.
Zusammenfassend ist also zu sagen: Krankheiten und Behinderungen können als ein komplexes Geschehen verstanden werden, das den Menschen in seiner körperlichen, seelischen und sozialen Dimension betrifft. Eine im wohl verstandenen Sinne ganzheitliche Medizin wird dies berücksichtigen und neben den primär körperlichen Symptomen und Funktionsstörungen das emotionale Erleben und die psychosozialen Interaktionen berücksichtigen. Versteht man Krankheit als Überforderung und Krise des Menschen, die sich auf diesen drei Ebenen zeigt, so lässt sich dies in besonderer Weise am Beispiel der Stressreaktion verdeutlichen:
Hier greifen körperliche, seelische und soziale Faktoren ineinander und führen dazu, dass unterschiedliche Stressoren zu körperlich-seelischen Reaktionen führen, die subjektiv als Stress erlebt werden und körperlich Erschöpfungssyndrome und Krankheiten verursachen können. Die sozialen Gegebenheiten tragen darüber hinaus ganz wesentlich dazu bei, ob und inwieweit dieser Stress bewältigt wird oder ob es zu einer chronischen Überforderung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen kommt. Hierauf wird im folgenden Kapitel eingegangen.
Am Anfang eines Seminars zum Thema „Krise und Krankheit“ steht mitunter eine Übung, in der die Studierenden gebeten werden, die Augen zu schließen und sich möglichst entspannt hinzusetzen. Nach einer kleinen „meditativen Reise durch den eigenen Körper“ werden sie gebeten, sich an die letzte Krankheit zu erinnern: „Woran waren Sie erkrankt? Wo wohnten Sie zu dieser Zeit? Mit welchen Menschen standen Sie in Verbindung? Welche Aufgaben standen – abgesehen von Krankheit und Gesundung – zu dieser Zeit für Sie an? Welchen Verlauf nahm die Krankheit, und welche Faktoren und welche Menschen haben zur Gesundung beigetragen? Wie fühlten Sie sich nach der Gesundung? Gab es Veränderungen im Leben, und welche Aufgaben standen nun an?“
Eine weitere, vertiefende Übung kann darin bestehen, die wesentlichen erinnerten Krankheiten des bisherigen Lebens auf eine linke Spalte eines Bogens zu schreiben und auf der rechten Spalte die Lebenssituation und Entwicklungsaufgaben der jeweiligen Zeit festzuhalten. Mitunter zeigt sich, dass Krankheit und Gesundheit zumindest subjektiv korrelieren mit bestimmten Herausforderungen anderer, beispielsweise sozialer Art, die sich manchmal wie ein roter Faden durch das bisherige Leben durchziehen. Krankheit, so hat es den Anschein, tritt besonders in Phasen des Übergangs und subjektiv als Stress erlebte Herausforderung auf. Zwar gibt es externe Krankheitsfaktoren, die mehr oder weniger unabhängig einen Menschen krank machen, doch können mitunter Zusammenhänge zwischen sozialem und subjektivem Empfinden und einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit bestehen: Jeder kennt das Phänomen, dass er in Zeiten schweren körperlichen oder seelischen Stresses eine erhöhte Infektanfälligkeit aufweist. In Zeiten psychischen und sozialen Wohlbefindens hingegen kann sich unsere Resilienz gegenüber Infektionen erhöhen.
Krankheitsgewinn
In der psychosomatischen Medizin sind solche Zusammenhänge schon seit langem bekannt. So stellen psychosomatisch orientierte Ärztinnen und Ärzte bei Auftreten einer Krankheit auch die Schlüsselfrage: „Warum diese Krankheit und warum jetzt“? Sie gehen dabei u. a. auch von der Erkenntnis aus, dass eine Krankheit primären und sekundären Krankheitsgewinn mit sich bringen kann. Unter Letzterem versteht man die Fürsorge, Rücksichtnahme, Zuwendung und Rollenbefreiung, die eine Krankheit möglicherweise zur Folge hat: Man wird von Hausarbeiten entlastet, krankgeschrieben und von der Verantwortung für momentane Schwächen befreit, wie das bereits im Rollenmodell von Parsons zum Ausdruck gekommen ist (s. Kap. 2.1). Darüber hinaus kann körperliche Krankheit aber auch Ausdruck eines intrapsychischen, unbewusst verlaufenden und momentan unteroptimal gelösten Konfliktes sein. In diesem Fall sprechen wir von primärem Krankheitsgewinn. Er besteht darin, dass der Konflikt zunächst nicht offen zutage treten muss.
Ein 15-jähriges Mädchen litt unter wiederholten augenscheinlich „epileptischen“, tatsächlich jedoch psychogenen Anfällen, die sehr den Krampf-anfällen seines hirnorganisch geschädigten Bruders ähnelten. Die in diesen psychogenen Anfällen demonstrierte Ohnmacht korrespondierte mit dem lange unbewussten Unwillen des Mädchens, im Gastronomiebetrieb der Eltern zu arbeiten.
Der primäre Krankheitsgewinn der Konfliktentlastung kann so groß sein, dass die Patienten aus gutem, nämlich subjektivem (und unbewusstem), Grund eine Konfliktanalyse abwehren. Darauf müssen anamnestisches Gespräch und Diagnostik Rücksicht nehmen.
Erfahrene psychosomatisch orientierte Ärzte werden also zunächst nach den Beschwerden und Gründen des Kommens fragen und der geschilderten Symptomatik breiten Raum lassen. Neben einer körperlichen Untersuchung, mit der der Patient mit seinen körperlichen Beschwerden ernst genommen wird, wird auch nach dem genauen Zeitpunkt des Beschwerdebeginns gefragt werden. Erst in einem dritten Schritt kann man sich die Lebenssituation bei Beschwerdebeginn vergegenwärtigen. Dabei können Veränderungen, Schicksalseinbrüche oder Situationen bei Krankheitsrückfällen zur Sprache kommen. Nun wird der Patient schrittweise in der Lage sein, auch lebensgeschichtliche Verbindungen zu knüpfen: Wann war ich in ähnlicher Weise krank, wie verlief die Gesundung und welche sozialen Faktoren waren daran beteiligt? Erst in einem weiteren Schritt schließlich kann sich der Patient darüber im Klaren werden, welche Rolle seine Krankheit, sein Krankheitserleben, Lebensereignisse und seine bisherige Biografie spielen, und diese Gesichtspunkte in das Bild seiner Persönlichkeit integrieren. Nun gewinnt die Frage nach dem „Grund der Krankheit“ eine neue Dimension.
Die engen Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Krankheit und psychosozialer Belastung werden aber nicht nur, wie bisher gezeigt, auf psychologischer Ebene, sondern sozusagen ganz basal auf der körperlichen Ebene deutlich. Bereits in Kap. 2.1 wurde auf die engen Zusammenhänge zwischen Psyche, zentralem Nervensystem, Endokrinium und Immunsystem eingegangen. Diese Zusammenhänge sollen am Beispiel der Stressentstehung und -bewältigung noch etwas vertieft werden.
StressEustress
Physikalische, chemische, biologische oder psychosoziale Faktoren (Stressoren) können ein Individuum belasten und eine Stressreaktion auslösen. Der Stressor wird von unserem Sensorium o. a. Außenposten des Körpers (z. B. der Haut) aufgenommen und vom zentralen Nervensystem als Stressor erkannt. Dies führt zu einer Reaktion des Limbischen Systems, wodurch das Gefühl der Bedrohung, bei Hilflosigkeit das der Angst, bei möglichem Ausweg das der Energie, des Ärgers und der Wut entsteht. In einer „flight and fight reaction“ wird nun die Ausschüttung von Stresshormonen ausgelöst, zu denen vor allem die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin gehören. Sind dem Individuum Flucht oder Angriff möglich, führt die hormonbedingte Aktivität von Herz-Kreislauf-Funktionen, Lungenfunktion, motorischen Systemen etc. zu einer körperlichen Reaktion, die Energie verbraucht. In aussichtslosen Situationen hingegen kommt es zu einer lähmenden Erstarrung, die wir als panische Angst wahrnehmen und die nicht selten mit körperlichen und seelischen Erscheinungen der Depression einhergeht: Niedergeschlagenheit, Lustlosigkeit, Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Verzweiflung u. v. m. können Symptome sein, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann (s. Hülshoff 2012, 86ff). In jedem Fall aber führt diese Stressreaktion dazu, dass andere Körperfunktionen (Fortpflanzungsfunktion, Reparaturvorgänge, aber auch die Funktion unseres Immunsystems) zweitrangig und folglich gedrosselt werden.
Geht der Stress rasch vorüber oder kommt es zu häufigen Erholungspausen, so wechselt die sympathotone Erregung mit vagotonen Ruhephasen ab. Wir sprechen von Eustress, der dem Körper angemessen ist und gut verarbeitet werden kann.
Erschöpfungs-syndrom
Ein zu starker, pausenloser Stress, der nicht adäquat abgearbeitet werden kann, führt hingegen zu Erschöpfungssyndromen. Diese gehen psychisch oft mit dem Erleben einer Depression einher und können auf der körperlichen Ebene, vor allen Dingen durch eine vermehrte Cortisolausschüttung, zu einer schweren Schädigung des Immunsystems führen. Wir werden nun krankheitsanfälliger und sind unter Umständen ernsthaft gesundheitlich gefährdet.
Beim Stressgeschehen kommt es nicht nur zu einer physischen Belastung, sondern auch zu einer starken psychischen Anspannung. Erst diese emotionalen Erregungszustände – hervorgerufen durch unterschiedliche Auslöser – verursachen die relativ einheitlichen somatischen Stressreaktionen. Als stressassoziierte Emotionen werden oft Angst, Wut, Aggression sowie Trauer und Niedergeschlagenheit genannt.
Stresserleben
Ob eine Belastungssituation allerdings als Stress erlebt wird, hängt oft nicht allein von der Belastung selbst, sondern von weiteren Faktoren ab: So kann es zu Stress kommen, wenn die Erholungspausen zu kurz sind und nicht zur Regeneration ausreichen, wenn Bewältigungsversuche zur Lösung des Problems wiederholt scheitern, das Individuum keinen Ausweg mehr sieht oder wenn es zu einer zu dichten Folge stressender Ereignisse kommt.
Potenziell haben Menschen die Möglichkeit, mit eher aktiven oder mit eher passiven Stressreaktionen zu reagieren, wobei die individuellen Ausformungen naturgemäß beträchtlich variieren. Aktives Stressgeschehen besteht in Kampf, Konfrontation und aktiver Herangehensweise. Dagegen ist der passive Stress durch Rückzug, Passivität und Ausweichen von Auseinandersetzungen gekennzeichnet, was sich in den Gefühlen der Hilflosigkeit und Depression niederschlagen kann. Sofern es sich um Dauerstress handelt, kann ein solches passives Verhalten möglicherweise mit psychosomatischen Erkrankungen einhergehen. Ob es dazu kommt, hängt aber nicht nur von der objektiven Belastung, sondern auch von der Vorstellung des Menschen vom Ausmaß der Belastung und ihrer Bewältigungsmöglichkeiten ab.
So kann für den einen ein Umzug eine willkommene Abwechslung oder eine Verbesserung seiner Lebensverhältnisse sein, während der Zweite damit vor allem soziale Verluste assoziiert. Vor allem bisherige Lebenserfahrungen (Life-Events), ein objektiv vorhandenes soziales Netz bzw. dessen Fehlen sowie bisher erfolgreiche oder fehlgeschlagene Lösungsversuche (Coping-Verhalten) sind ausschlaggebende Faktoren dafür, wie Stress erzeugend ein Ereignis bewertet wird.
psychosozialer Stress
Stress, so wurde bereits angedeutet, entsteht nicht nur durch physikalische oder chemische Noxen, sondern auch und gerade im psychosozialen Kontext. Zunächst soll angemerkt werden, dass es exogene Stressfaktoren in einer hochindustrialisierten Gesellschaft gibt, denen ihre Mitglieder zu einem beträchtlichen Teil unterworfen sind, ohne dass sie sich so ohne weiteres davon frei machen könnten. Die zunehmende Anforderung an berufliche Flexibilität kann beispielsweise ein solches Stresspotenzial darstellen. Von Jugendlichen wird z. T. erwartet, dass sie möglicherweise mehrfach in ihrem späteren Leben den Beruf wechseln. Es wird von ihnen erwartet, dass sie sich an eine schnell ändernde Umwelt anzupassen verstehen und sich mit den sich immer schneller verändernden Bedingungen im Arbeitsbereich erfolgreich auseinander setzen. Dabei sei z. B. an die Entwicklung in der Informationstechnologie erinnert (der Frage, inwieweit das Arbeiten am Bildschirm oder mit hochtechnisierten Überwachungs- und Steuerungssystemen Stress hervorruft, kann hier nicht weiter nachgegangen werden).
Durch zunehmende gesellschaftliche Veränderungen kommt es häufig auch zu sozialen Rollenveränderungen und damit verbundenen Krisen. Die damit oft einhergehende Verunsicherung kann ebenfalls Stress auslösen oder verstärken. Schließlich gibt es zahlreiche physische Belastungen (Lärm, Allergene, verschiedene Umweltbelastungen etc.), die ihrerseits psychosozialen Stress verstärken können. Ein besonders wichtiger sozialer Aspekt ist die Arbeitslosigkeit. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass von Arbeitslosigkeit bedrohte oder betroffene Menschen oft in hohem Maße an Stress leiden. In verschiedenen Untersuchungen wurde aufgezeigt, dass bei einer Belegschaft insbesondere in der Phase zwischen Ankündigung und endgültiger Schließung eines Betriebes erhebliche Anzeichen für das Vorliegen von Stress auftraten – mit einer Reihe z. T. ernster körperlicher Auswirkungen. Die Tatsache, dass insbesondere Dauerarbeitslosigkeit ein sozialmedizinisch besonders relevantes Problem darstellt, kann hier nur am Rande erwähnt werden. So sollte man sich vor Augen halten, dass es bei aller Subjektivität von Stresserleben und den zweifellos individuell sehr unterschiedlichen Bewältigungsmöglichkeiten gesellschaftlich gehäuft auftretende belastende und Stress erzeugende Faktoren gibt, von denen hier nur einige genannt wurden.
Life-Events
Kurz soll noch darauf eingegangen werden, wie Menschen Belastungen erleben und bewältigen. Dem Psychiater Holms war aufgefallen, dass nach dem Ausbruch verschiedener Erkrankungen sehr häufig eine Summierung einschneidender Veränderungen in der Lebenssituation der Betroffenen vorausgegangen war, z. B. ein Wechsel des Arbeitsplatzes, Änderungen der Familiensituation etc. Hieraus wurde die Hypothese abgeleitet, dass die krankheitsfördernde Belastung abhängig sei von vorausgegangenen einschneidenden Lebensereignissen, die man „Life-Events“ nannte.
Zahlreiche Forschergruppen versuchten, z. T. mit Fragebögen und Skalen, solche einschneidenden Veränderungen und ihre Belastung zu erfassen und ihre Bedeutung für die Stressreaktion zu analysieren. Trennung der Ehepartner scheint besonders stress-auslösend zu sein, doch wurden zahlreiche andere stressende Lebensereignisse beschrieben. An Stressoren im Zusammenhang mit Herzkrankheiten sind beispielsweise in erster Linie Lebensunzufriedenheit, insbesondere Unzufriedenheit im Beruf, gefolgt von Situationen von Verlassenheit, dem Verlust enger Bezugspersonen sowie berufliche Unsicherheit zu nennen. Ein Zusammenhang zwischen den „Life-Events“ und dem Stress, unter Umständen sogar Erkrankungen, konnte statistisch aufgezeigt werden. Es stellte sich aber heraus, dass nicht nur die Belastung an sich, sondern vor allem die Tatsache, ob und wie Menschen diese Belastung bewältigen konnten, ausschlaggebend dafür war, ob und in welchem Maße sich Stressreaktionen bildeten.
Stressbewältigung (Coping)
Die Bewältigung von Stress (Coping) hängt von einigen Voraussetzungen ab: Entscheidend ist zunächst, wie die Belastung von Betroffenen bewertet wird. Menschen versuchen zunächst einzuschätzen, welche Bedeutung eine Belastung für sie und ihr Wohlergehen hat. Mit anderen Worten: Wie sehr etwas belastet, hängt davon ab, wie einschneidend und wichtig die Belastung für das weitere Leben des Betroffenen ist. Zum Zweiten wird subjektiv bewertet, welche Bewältigungsmöglichkeiten dem Menschen zur Verfügung stehen. Als stressig wird ein Ereignis erst dann erlebt, wenn der Betroffene keine adäquate Möglichkeit mehr sieht, mit der Belastung fertig zu werden. Dies führt zur Frage nach der Bewältigungsfähigkeit:
■Problemorientiertes Coping: Prinzipiell kann ein Mensch in extremer Belastung entweder das Problem direkt angehen, man spricht von „problemorientiertem Coping“. In diesem Fall wird der Mensch versuchen, die belastenden Faktoren auszuschalten, sie zu umgehen oder durch persönliche gezielte Problemlösung die Ursache des Stresses zu bewältigen. Dabei kann die Situation sowohl alleine durch persönliche als auch durch kollektive Bewältigungsmöglichkeiten (soziale Unterstützung, soziales Netzwerk, soziale Integration) geleistet werden.
■Emotionsregulierendes Coping: Eine andere Form der Stressbewältigung wird als „emotionsregulierendes Coping“ bezeichnet, das sich vorwiegend darauf beschränkt, mit der emotionalen Erregung fertig zu werden, die eine Stresssituation ausgelöst hat. Wenn – vereinfacht gesagt – die Stresssituation nicht zu ändern ist, kann zumindest versucht werden, mit den sie begleitenden Gefühlen wie Ärger, Wut oder Trauer besser umzugehen und sie zu verarbeiten. Auch Entspannungsübungen u. a. Methoden dienen zumindest z. T. diesem Zweck.
Wenn Krankheit mitunter im Gefolge psychosozialen Stresses und sozialer Überforderung auftritt, dann wird deutlich, dass auch die Bewältigung eines solchen Stresses über somatische (medizinische) Behandlung und individualzentrierte Psychotherapie hinausgehen muss. Krankheit hat neben physikalisch-biologischen und intrapsychischen oft auch soziale Ursachen, in der Regel auch soziale Auswirkungen und Begleiterscheinungen, die auf der sozialen Meso- und Makroebene ihre Beachtung finden müssen.
Der Paradigmenwechsel vom rein naturwissenschaftlichen zum biopsychosozialen Krankheitsmodell (vgl. Kap. 2.1) führte seit den 1980er Jahren zum Modell der „Salutogenese“, einem 1979 von Antonovsky eingeführten Begriff, bei dem es um die Stärkung von gesundheitserhaltenden Faktoren geht. Antonovsky fragte sich, warum gleiche Stressoren (s. Kap. 2.2) bei einer Person zu chronischer Belastung oder Krankheit führen, bei anderen hingegen nur zu einer kurzen Krise oder sogar einer späteren Verbesserung des Allgemeinzustandes, warum also Menschen trotz großer psychischer oder physischer Belastungen gesund bleiben können.
Gesundheits-förderung
Solche zur Salutogenese (lat.: salus = Heil, gr.: Genesis = Entstehung) beitragenden, gesundheitsfördernden Faktoren werden heute als „Resilienzfaktoren“ (Schutzfaktoren) bezeichnet. Sie können u. a. aus einer genetisch bedingten, geringeren Vulnerabilität (beispielsweise hinsichtlich einer Depression), Temperamentsunterschieden, Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit, einem positiven Selbstwertgefühl, einer inneren Kontrollüberzeugung oder dem Vertrauen auf Selbsthilfemöglichkeiten bestehen. Auch soziale Faktoren wie Gesprächsmöglichkeiten auf der Metaebene (beispielsweise bei schicksalsbedingten Lebenskrisen) oder familiärer Schutz können sich gesundheitsfördernd auswirken. In der Ottawa-Charter der WHO von 1986 wurde Gesundheitsförderung wie folgt definiert: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu bewegen (vgl. Schwarzer 2010, 70f). Um ein umfassendes, körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen, sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. In WHO-Nachfolgekonferenzen wurden spezielle Handlungsbereiche und Entwicklungsfelder der Gesundheitsförderung entwickelt. So befasste sich beispielsweise die 8. Globale Gesundheitsförderungskonferenz in Helsinki im Jahr 2013 schwerpunktmäßig mit dem Thema der gesundheitlichen Chancengleichheit unter Einbeziehung aller relevanten Politikfelder (Lehmann 2013).
In der „International Classification of Functioning, Disability and Help“ (ICF) von 2001 wird besonderer Wert auf das Aktivitätspotenzial und die Partizipation behinderter Menschen gelegt. Es ist aber wichtig, sich klarzumachen, dass Behinderung nicht mit Krankheit identisch ist: Zwar können Krankheiten zu Behinderung führen und Behinderung manchmal mit erhöhter Vulnerabilität einhergehen, aber eine Behinderung selbst ist keine Krankheit, sondern eine „Variante der Daseinsform in der Vielfalt menschlicher Daseinsformen“ (Nicklas-Faust, zit. in Hülshoff 2010, 2).
Die oben genannten Resilienzfaktoren können also auch bei Menschen mit Behinderung dazu führen, trotz vielfältiger Belas-tungen und Krisen gesund zu bleiben und ein gelingendes wie teilhabendes Leben trotz und mit zum Teil erschwerten Bedingungen zu führen. Die notwendigen Rahmenbedingungen einer so verstandenen Gesundheitsförderung auf sozialer und politischer Ebene umfassen gemäß der eingangs erwähnten Ottawa-Charter der WHO unter anderem „Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung […], soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit“ (zit. nach Michel in Schwarzer 2010, 71). Es ist aufschlussreich, dass sich diese Aussage keineswegs exklusiv auf Menschen mit Behinderung, sondern, (wenn man so will inklusiv), auf alle Menschen einer Gesellschaft bezieht.
2.4Soziale Dimensionen von Krankheit
Der zehnjährige Kevin wird wegen heftiger, chronischer Kopfschmerzen, Spiel- und Lernunlust sowie des dringenden Verdachtes einer erheblichen kindlichen Depression in die Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik überwiesen.
Anamnese und familientherapeutische Gespräche und eine „Helferkonferenz“ mit Eltern, Lehrer und begleitendem Sozialarbeiter ergeben folgende Hintergründe: Der 50-jährige Vater ist seit drei Jahren arbeitslos, nachdem er zuvor lange Zeit wegen eines Alkoholproblems erhebliche Schwierigkeiten am Arbeitsplatz hatte. Die Mutter hat ebenfalls mit depressiven Verstimmungen zu tun und hat seit ihrer Jugend heftige Migräneanfälle. Kevins 13-jährige Schwester leidet unter Asthma bronchiale, das vor allem in Spannungssituationen vermehrt auftritt. Die ebenfalls in der Familie lebende Großmutter ist wegen einer massiven Herzinsuffizienz auf konstante medizinische und mitunter pflegerische Hilfe angewiesen.
Der vorherrschende Bindungsmodus in dieser Familie ist der des Mitleidens und Mitleids. Gerade weil man sich wertschätzt und liebt, möchte man dem anderen Leid ersparen: Wer am meisten leidet, so die Tradition dieser Familie, bekommt die meiste Beachtung, Zuwendung und Schonung. Am Anfang dieser Familientradition besteht also ein durchaus verständliches, von Mitmenschlichkeit, Achtung und Liebe geprägtes Bild der familiären Beziehung. Verabsolutiert hingegen führten solche nun erstarrenden Beziehungsmuster dazu, dass nur noch Leid beachtet wird: Jede Regung von Lebensfreude, Spontaneität oder Aggression führte dazu, dass man aus dem Blickpunkt geriet oder mit Aufgaben überfordert wurde. So wurden in der hier vorgestellten Familie Aufgaben im Haushalt oder unangenehme Konfrontationen dem jeweils „Gesündesten“ angetragen. Schlimmer noch: Der Bindungsmodus des Mitleidens wurde zur Chiffre familiärer Zugehörigkeit und Solidarität. Lebensfreude und Vitalität konnte sich der Einzelne kaum noch gestatten, wurde es doch als eine Art „Verrat“ an den anderen gesehen.
Zur Symptombesserung und schließlich zur Heilung des zehnjährigen Kevin trug bei, dass ihn Eltern und Großmutter von entwicklungshemmendem „Mitleiden“ freisprachen und verdeutlichten, dass sie sich über seine Vitalität freuen, auch wenn sie selbst aus den unterschiedlichsten Gründen belastet sind. Wichtig war aber ebenso, dass der Junge in Schule und Übermittagsbetreuung altersentsprechende Aufgaben fand, dass es ihm gelang, zunächst in einem Fußballverein, später in einer Jugendgruppe tragfähige Kontakte zu knüpfen, und dass ihm das „Helfersys-tem“, maßgeblich durch die temporäre sozialpädagogische Familienhilfe repräsentiert, Hilfestellung bei seiner Individuation gab. Darüber hinaus lebt Kevin in einer Gesellschaft, die neben familiärem Zusammenhang auch Individuation und persönliche Entwicklung als einen eigenständigen Wert postuliert.
Indexpatient
An diesem Beispiel wird deutlich, dass die zweifellos somatischen, funktionell sehr wirksamen Schmerzen des „Indexpatienten“ in ihrem sozialen Kontext eine noch andere Bedeutung finden, als wenn man sie isoliert sieht. Auch eine „Therapie“, die die psychosozialen Aspekte berücksichtigt, wird sich nicht mit autogenem Training und schmerzlindernder Medikation begnügen – so sinnvoll solche Maßnahmen sein mögen.
Wie mit einem Teleskop kann man den Fokus der Aufmerksamkeit auf die somatischen, psychischen oder sozialen Komponenten einer Erkrankung richten. So können auf der somatischen Ebene genetische Faktoren (z. B. eine veranlagungsbedingte Überreaktion auf Schmerzen), zelluläre Faktoren (z. B. ödematöse Bezirke) oder Fehlfunktionen (Minderdurchblutung oder Blutdruckschwankungen) eine Rolle beim Entstehen von Kopfschmerzen spielen. Auf der psychischen Ebene können verdrängte Konflikte und damit verbundener primärer Krankheitsgewinn ebenso wie ein ängstliches Beobachten körperlicher Fehlfunktionen oder das Gefühl von Niedergeschlagenheit, Depression und Hoffnungslosigkeit das subjektive Empfinden von Kopfschmerzen beeinflussen. Auf der sozialen Ebene, um die es in diesem Kapitel vorrangig geht, kann man das Mikro- vom Meso- und Makrosystem unterscheiden.
Mikro-/Meso-/Makrosystem
Zum Mikrosystem gehören die nächsten Angehörigen und Bezugsgruppen, insbesondere die Familie. Ihre Regeln, Beziehungs- und Kommunikationsmuster, soziale Unterstützung sowie Bindungs- bzw. Ablösemuster beeinflussen maßgeblich das Erleben des Einzelnen auch bei Krankheit und Krankheitsempfinden. Zum Mesosystem zählen wir Netzwerke sowie Institutionen im mittleren Sozialbereich: Wenn Kevin in die Kinder- und Jugendpsychiatrische Abteilung kommt und hier Distanz zum familiären Geschehen gewinnt, so ist dies ebenso zum Mesosystem zu zählen wie die Aktivitäten von Schule, Sportverein, Jugendgruppe und sozialpädagogische Familienhilfe. Dies alles spielt sich aber im soziokulturellen Kontext der Gesellschaft und der Zeit, in der Kevin lebt, ab. Die Gemeinde und die in ihr verorteten Schulen, Krankenhäuser und Jugendgruppen, der Informationsgrad der Bevölkerung über Krankheiten und Krankheitseinstellungen, die öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung hierzu, epochale Einflüsse und „Vorurteile“ sowie kulturelle und politische Rahmenbedingungen sind hier von Bedeutung. Auf all diesen Ebenen werden zum einen die Entstehung und der Verlauf von Krankheit beeinflusst, zum anderen speist sich auch das Krankheitsempfinden von solchen sozialen Faktoren.
soziale Faktoren
Nach Misek-Schneider (in Schwarzer 2010, 31ff) lassen sich soziale Faktoren im Prozess der Krankheitsentstehung, im Verlauf der Krankheit sowie bei der Krankheitsbewältigung aufzeigen. So kann der Ausbruch einer Krankheit durch psychosoziale Momente mitbestimmt werden, wenn beispielsweise in Zeiten überhöhter und unphysiologischer beruflicher Beanspruchung ein Erschöpfungssyndrom zu erhöhter Infektanfälligkeit führt oder drohende Arbeitslosigkeit Bluthochdruck, Ängste und eine koronare Herzkrankheit begünstigen. Aber auch ob und wann die aufgetretenen Beschwerden vom „Patienten“ als Krankheitszeichen wahrgenommen und adäquat behandelt werden, wird maßgeblich von sozialen Faktoren beeinflusst: Je aufgeklärter und ausgebildeter der Betroffene, je höher sein sozialer Status und je größer seine finanziellen Ressourcen sind, desto eher wird er adäquate medizinische Hilfe suchen und finden. Bereits im Vorfeld von Erkrankung, nämlich im Ernährungs- und Gesundheitsverhalten, zeigen sich eindeutige Korrelationen zwischen sozioökonomischem Status und einem der Gesundheit zuträglichen Verhalten (wenngleich es natürlich individuelle Ausnahmen gibt). Allgemein kann gesagt werden, dass Armut, Unwissenheit und niedriger Sozialstatus ein erhebliches Gesundheitsrisiko sind, auch in hochtechnisierten Gesellschaften.
Compliance
Auch ist die „Compliance“ von Bedeutung. Darunter versteht man, dass der Patient die ärztliche Diagnose und die zur Heilung oder Rehabilitation notwendigen Maßnahmen akzeptiert und eigenverantwortlich mitträgt. Kommunikation und Interaktion zwischen Patient und Behandelndem sowie sozialem Umfeld, mithin soziale Faktoren, tragen also maßgeblich zur Gesundung bei und beeinflussen die Krankheitsprognose.
Krankheitserleben
Das Erleben von Krankheit speist sich zum einen aus intrapsychischen Faktoren, die maßgeblich durch die bisherige Lebenserfahrung und Biografie, aber auch einschneidende Life-Events (also Lebensereignisse ähnlicher Bedeutung) sowie bisheriger Heilungs- bzw. Problemlösungserfahrungen bestimmt sind. Auch Abwehrmechanismen im Krankheitserleben, z. B. das Verleugnen einer Krankheit, das Rationalisieren und Abspalten von Gefühlen, das Projizieren von Wut und Ärger auf andere oder die Regression in kleinkindliche Verhaltensweisen, sind eher psychischen Komponenten zuzuordnen. Aber wie ein Patient seine Krankheit erlebt, hängt auch von der Einstellung der Umwelt ab. Beispielsweise können primäres wie sekundäres Krankheitsverhalten sozial beeinflusst werden, wenn Menschen über die Maßen behütet, segrediert oder hospitalisiert werden. Auch gesellschaftliche Vorurteile (man spricht hier von Stigmatisierung) können das Krankheitserleben beeinflussen.
So berichtete eine Mutter eines etwa 20-jährigen, an schizophrener Psychose erkrankten Mannes voller Verzweiflung, dass sie mit niemandem, insbesondere nicht mit Nachbarn, darüber sprechen könne. „Wenn er nur Krebs hätte, dann könnte ich darüber reden und mir der Anteilnahme meiner Nachbarn sicher sein – aber bei Schizophrenie? Ich möchte nicht, dass wir für verrückt gehalten werden!“, war der verzweifelte Kommentar der betroffenen Familienangehörigen.
Schließlich hängt die Bewältigung von Krankheit maßgeblich vom sozialen Umfeld ab. Vor allem dem Begriff des „Coping“, der Bewältigungsprozesse, die wir bereits in Kap. 2.1 kennen gelernt haben, kommt hier in drei unterschiedlichen Spielarten eine besondere Bedeutung zu:
■Zum einen ist hier die aktive Beschäftigung mit der Krankheit und die konstruktive Begegnung mit der individuellen Situation und der Bewältigung derselben zu nennen.
So ist beispielsweise chronische Krankheit oder Behinderung häufig mit Verlusterlebnissen gepaart. Der Verlust eines Organs, einer bisherigen Fertigkeit oder von Teilen des sozialen Status geht mit Trauer einher, die durchlebt und durcharbeitet werden muss, um die Krise zu überwinden und zu neuen Aufgaben zu reifen.
■Zum Zweiten kann Coping darin bestehen, sich hin zu anderen Aktivitäten, Einstellungen und Werten zu orientieren.
Ein 20-jähriger Chemielaborant war nach einem tragischen Verkehrsunfall querschnittsgelähmt und konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben. Nach einjähriger Rehabilitation und anfänglicher Krisen- und Depressionsphase wandte er sich einem Studium und späteren Beruf zu, den er auch via Rollstuhl ausüben konnte, und entwickelte zunehmend die Fähigkeit zu einem erfüllten Berufs- und Familienleben.
■Schließlich besteht Coping auch darin, andere Menschen aufzusuchen und soziale Kontakte zu knüpfen.
Die große Bedeutung von Selbsthilfegruppen besteht nicht nur darin, dass man sich gegenseitig informiert, beispielsweise über adäquate Therapien und kompetente Ärzte oder rechtliche Situationen. Sie besteht auch darin, Verständnis, Halt und Empathie von anderen Betroffenen zu bekommen, die sich wie sonst niemand in die eigene Lage hineinversetzen können. Darüber hinaus ermöglichen solche sozialen Netzwerke natürlich auch eine Information der breiten Öffentlichkeit sowie politische Aktivitäten und die Wahrnehmung spezifischer Interessen.
Mitunter besteht professionelle sowie nichtprofessionelle, vom sozialen Umfeld geleistete Hilfe weniger in im eigentlichen Sinne kausaler Hilfe, sondern darin, einfach zuzuhören. Oft reicht das aus, kann sogar das Entscheidende sein. Es ist wichtig, die Ängste, Nöte und Belastungen des anderen wahr- und ernst zu nehmen.
professionelleBegleitung
Fragt man sich, inwieweit soziale oder pädagogische Begleitung auf den drei hier beschriebenen sozialen Ebenen im Gefolge von Krankheit hilfreich sein kann, so gilt zunächst festzuhalten, dass nicht jeder kranke Mensch der Hilfe von Sozialarbeitern oder Heilpädagogen bedarf. Zur Aufgabe von Sozialarbeit und Heilpädagogik werden Krankheiten und die mit ihnen verbundenen Krisen erst dann, wenn die Selbsthilferessourcen des Betroffenen und seiner Bezugsgruppe – zumindest nach ihrer Ansicht – ausgeschöpft sind und die Toleranzschwelle überschritten ist. Aber die Unterstützung durch Sozialarbeiter und Heilpädagogen kann immer nur punktuell sein. Eine Hilfe für alle Probleme mit allen denkbaren methodischen Instrumenten der Päd-agogik ist eine Überforderung sowohl für das Klienten-System wie auch für den beruflichen Helfer. Folglich sind Entscheidungen darüber notwendig, welches das zentrale Problem im Klienten-System ist, dessen Bearbeitung am ehesten Entlastung erwarten lässt – aber auch Entscheidungen darüber, welches die hierfür geeignete Methode und Vorgehensweise ist.
Die Aufgabe der Medizin besteht in der Besserung oder möglichst der Heilung von Krankheiten. In sozialer Arbeit und Heilpädagogik geht es hingegen um die Mobilisierung vorhandener Kräfte, die Wiederherstellung oder Erhaltung der Handlungsfähigkeit im sozialen Umfeld sowie die Veränderung menschlicher Beziehungen. Nicht die Heilung oder medizinisch-pflegerische Betreuung des „Patienten mit Schlaganfall“ ist Aufgabe der Heilpädagogik, sondern Hilfen zu geben, sich mit den veränderten Gegebenheiten unter Ausschöpfung eigener und externer Ressourcen im sozialen Umfeld zu behaupten.
Kompetenzen
Pädagogen und Sozialarbeiter intervenieren hierbei vor dem Hintergrund instrumenteller Kompetenz (z. B. sozialmedizinischem Basiswissen), reflexiver Kompetenz (der bewussten Einbeziehung ihrer eigenen Persönlichkeit) und Sozialkompetenz (u. a. die Fähigkeit, Nähe und Distanz herzustellen). Dabei können Heilpädagogen und Sozialarbeiter auf der individuellen Ebene sowie der Mikro-, Meso- und Makroebene intervenieren:
■Bezogen auf den individuellen Bereich können sie beispielsweise rekonvaleszenten Krebspatienten ebenso wie chronisch-psychotisch Erkrankten unterstützend zur Seite stehen.
■Auf der Ebene des Mikrosystems wird die Familie und ihre Organisation, beispielsweise Regeln und Grenzen einer Kinder misshandelnden Familie, fokussiert.
■Auf der Ebene des Mesosystems finden sich Einrichtungen des sozialen Netzwerks, z. B. Nachbarschaftshilfe, Selbsthilfegruppen etc., ebenso wie Organisationen und Institutionen des Gesundheitssystems, z. B. Krankenhaus, Beratungsstellen etc.
■Zum Makrosystem gehören gesellschaftliche Rahmenbedingungen – beispielsweise der Zustand der deutschen Psychia-trie nach der Psychiatrieenquette.
Die hierzu notwendige instrumentelle, reflexive und soziale Kompetenz sollte im Rahmen des Studiums, adäquat begleiteter Praktika nebst Supervision und durch die beruflichen Erfahrungen vermittelt werden. Im Rahmen dieses Lehrbuchs gilt es auch, die wichtigsten psychosozialen Faktoren heilpädagogisch besonders relevanter Krankheitsbilder vorzustellen. Hierzu gehören z. B. unterschiedliche Behinderungsformen, die erfahrungsgemäß mit besonderen sozialen Problemen und Stigmata einhergehen können. Hinsichtlich des Kindes- und Jugendalters sind Entwicklungsstörungen, Gewalterfahrungen und Jugendkrisen zu nennen, wenn es um die pädagogische Begleitung in sozialen Krisen geht.
Es bleibt festzuhalten, das sowohl bei der Entstehung, als auch beim Verlauf und Erleben sowie bei der Überwindung von Krankheit bzw. bei der Bewältigung bleibender Krankheitsfolgen nicht nur körperliche und psychische, sondern zum großen Teil auch soziale Faktoren eine nicht zu verleugnende Rolle spielen. Solche sozialen Faktoren lassen sich auf der Ebene des Individuums, seiner unmittelbaren sozialen Umgebung (z. B. Familie), der sozialen Mesoebene, in der der Patient lebt, sowie im soziokulturellen Kontext (Makroebene) feststellen. Aufgabe der Heilpädagogik ist es auch, bei subjektiver oder objektiver Überforderung des Kranken und seiner sozialen Umgebung die Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) durch spezifische Methoden und Konzepte zu fördern. Dadurch trägt sie dazu bei, dass der kranke oder behinderte Mensch trotz bzw. mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ein menschenwürdiges, ihm angemessenes und ihn zufrieden stellendes Leben führen, sich adäquat entfalten und weiterentwickeln kann, dass er befriedigende soziale Bindungen und Interaktionen erfährt und am sozialen und kulturellen Leben teilnimmt.
Krankheit ist ein Phänomen, das auch im Kindesalter untrennbar zum menschlichen Leben gehört. Sie wird zunächst als Belastung, vielleicht sogar als Not erlebt. Hilflos müssen bis dato vitale Kinder damit umgehen, dass sie an das Bett gefesselt sind, Schmerzen haben, an Vitalität verlieren oder zunehmend wieder abhängig werden. Ebenso hilflos müssen Eltern erleben, wie ihr geliebtes Kind an einer vielleicht noch nicht zu diagnostizierenden Krankheit erkrankt und mehr oder weniger gefährdet ist. Vielleicht werden auch medizinische Maßnahmen nötig, die eine Trennung von Kind und Eltern (und sei sie nur vorübergehend) erforderlich machen – für beide Teile oft seelisch schmerzhaft. Nur zu verständlich, dass Eltern ihren Kindern Krankheiten ersparen wollen und Kinder in Krankheit ein ungerechtes Phänomen sehen.
Aber andererseits ist Kindheit ohne Krankheit nicht denkbar. Denn in der Kindheit kommt der Körper mit vielen Krankheitserregern zum ersten Mal in Kontakt. Das sich erst entwickelnde und stabilisierende Immunsystem ist sozusagen auf Krankheit angewiesen, um zu seinen Funktionen ausreifen zu können. Nicht umsonst sprechen wir von „Kinderkrankheiten“, an denen sich Kinder im Vorschulalter gehäuft anstecken.
Aber nicht nur körperlich, sondern auch seelisch (emotional wie geistig) wachsen Kinder in der Auseinandersetzung mit Krankheit. Eltern und Großeltern wissen ebenso wie erfahrene Kinderärzte zu berichten, dass Kinder nach durchstandener körperlicher Krankheit auch emotional wie kognitiv einen Entwicklungsschub durchmachen, dass sie „nachreifen“ und an Autonomie und Selbständigkeit gewinnen. Man hat fast den Eindruck, dass die Erfahrung einer überstandenen Krankheit und die Lust an der wiedergewonnenen Vitalität auch in ganz anderen Bereichen menschlichen Erlebens einen solchen Wachstumsschub auslösen kann. Vor allem die Erfahrung, in tiefer Regression und krankheitsbedingter Erschöpfung nicht allein gelassen zu werden, sondern liebevolle Zuwendung und Hilfe zu bekommen, verbunden mit der Erfahrung, dass auch tiefe Erschöpfung und Apathie ein zu überwindender menschlicher Zustand ist, sowie das Erleben der wieder neu gewonnenen Vitalität und Kraft ermöglichen es dem Kind, auch in späteren Krankheitssituationen nicht die Hoffnung zu verlieren.
Mit anderen Worten: Ob wir krank werden dürfen, ob wir Zeit zur Gesundung haben, ob wir Schonraum einerseits, liebevolle Zuwendung und Versorgung andererseits und ein langsames Hineinführen an unsere kindspezifischen Aufgaben nach Gesundung erfahren, prägt wesentlich, wie wir im Erwachsenenalter mit Krankheit (und auch sonstigen Krisen) umgehen. Die Erinnerungen an die Krankheiten unserer Kindheit sind dabei oft sehr detailliert und vor allem sehr emotionsbesetzt: Vermutlich werden Sie sich an die Krankheiten ihrer Kindheit, insbesondere an Krankenhausaufenthalte erinnern. Dagegen sind andere, durchaus auch bedeutende Ereignisse ihrer Kindheit demgegenüber eher verblasst.
Wie Kinder Krankheit erleben
Das kindliche Erleben von Krankheit ist ein anderes als das im Erwachsenenalter. Das hängt vor allem mit der allgemeinen kognitiven und emotionalen Entwicklung im Kindesalter zusammen.
kognitives Krank-heitsverständnis
Hinsichtlich der kognitiven Entwicklung kann man nach Piaget ein präoperationales Entwicklungsstadium von einem konkret operationalem sowie einem formal-operationalen Stadium unterscheiden:
■Im präoperationalen Stadium des Drei- bis Sechsjährigen konzentrieren sich Kinder auf das unmittelbar wahrnehm- und beobachtbare, hinsichtlich der Krankheit also auf sichtbare oder fühlbare Symptome. Kinder dieses Alters haben kaum Verständnis für Zusammenhänge zwischen Ereignissen, also ein funktionsfähiges Verständnis für Ursache und Wirkung. Dies führt zu einer wenig realistischen Vorstellung über Krankheitsursachen und Verläufe. So kann beispielsweise ein Diabetes mellitus „als Strafe für Naschen“ interpretiert werden, ein Bruch als Konsequenz eines „zappeligen Verhaltens“, auch wenn dies jeglicher Realität entbehrt.
Auch haben Kinder Schwierigkeiten, mehrere Zustände gleichzeitig zu betrachten, so dass sie wenig Verständnis für Prozesshaftigkeit von Erkrankungen aufbringen. Ihr Egozentrismus im Denken (ihr eigener Blickwinkel steht im Mittelpunkt und sie können sich schlecht in die Perspektive anderer hineindenken) macht es ihnen schwer, in der möglicherweise schmerzhaften Intervention eines Arztes (dem „Pieks“) die helfende Absicht zu sehen: Sie interpretieren das für sie schmerzhafte Erlebnis aus ihrem kindlichen Empfinden heraus.
■Im Alter von sieben bis elf Jahren, dem konkret operationalen Entwicklungsstadium, liegt demgegenüber ein vermehrtes Verständnis für einfache Zusammenhänge zwischen Sachverhalten vor, so dass hier Krankheitsursache und -wirkung auf einer sehr konkreten Ebene verstanden werden: So mag ein Neunjähriger verstanden haben, dass Bakterien mit Antibiotika bekämpft werden können – und solange dies sehr drastisch und plastisch geschieht, weiß er das auch einzuordnen.
Zunehmendes Verständnis für Prozesshaftigkeit von Erkrankungen lassen Kinder dieses Alters auch schon unangenehme therapeutische Verfahren in Kauf nehmen, um einen späteren Heilungserfolg zu erreichen. Allerdings müssen diese Maßnahmen noch konkret sichtbare Verbindungen miteinander aufweisen, sollen sie von Kindern verstanden und emotional akzeptiert werden. So verstehen sie insbesondere konkrete Sachverhalte, die ebenso konkret beschrieben werden, also konkrete Symptome, konkrete Therapien etc., während die Abstraktionsfähigkeit noch wenig ausgeprägt ist.
■Erst jenseits des zwölften Lebensjahres, im formal-operationalen Entwicklungsstadium des Jugendalters, haben sie Verständnis auch für komplexe Funktionszusammenhänge. Sie erlangen die Fähigkeit, abstrahierte Modelle (auch Krankheitsmodelle) zu verstehen und zu übertragen, sowie die Fähigkeit, Sachverhalte aus verschiedensten Perspektiven zu betrachten: So ist eine Jugendliche mit Anorexia nervosa möglicherweise in der Lage, ihre Krankheit nicht nur individualbezogen, sondern auch aus gesellschaftlicher oder feministischer Perspektive zu interpretieren.
Todesvorstellungen
Auch die Vorstellung von der Endlichkeit des eigenen Lebens unterliegt Entwicklungsschritten: Erst ab dem neunten Lebensjahr entwickeln Kinder eine ungefähre Vorstellung von der Endgültigkeit des Todes. Zuvor können sie bei Geburtstagen auf einen Angehörigen warten, auf dessen Beerdigung sie gewesen sind, oder sie verbinden mit dem Begriff des Todes eine Assoziation, die dem des Schlafs ähnlich ist. Aber erst jenseits des zwölften Lebensjahres begreifen Kinder, dass der biologische Tod etwas Unwiderrufliches, Unumkehrbares und Endgültiges ist und dass (glaubensabhängige) Jenseitsmodelle sich zwar mythologisch aus Erlebtem speisen, letztlich aber nicht vorstellbar sind.
Objekt und Raum
Entwicklungsbedingt ist auch der Objektbegriff: Bis etwa zum Ende des zweiten Lebensjahres kann sich ein Kind nicht vorstellen, dass seine Eltern auch außerhalb seines Sehfeldes existieren. So ist beispielsweise für ein Kleinkind, dessen Eltern jenseits der Besuchszeit das Krankenhaus verlassen, nicht deutlich, dass die Eltern weiterhin existieren und verlässliche Bezugspersonen sind. Eng mit dem Objektbegriff ist auch das Raumdenken verbunden. Erst sehr langsam dehnt sich das Begreifen von Raum von dem unmittelbaren Nahbereich des Zimmers, der Wohnung auf das Zuhause und das nähere Umfeld aus: Je kleiner das Kind, desto schwerer die Gewöhnung an neue Räumlichkeiten, was insbesondere bei längeren Krankenhausaufenthalten zu beachten ist.
Kausalität und Zeit
Das kausale Denken entwickelt sich mit zweieinhalb bis drei Jahren. Jetzt fangen Kinder an, nach dem Warum zu fragen, und können in Ansätzen begreifen, dass z. B. Eltern nicht immer im Krankenhaus sein können. Deren Abwesenheit wird jetzt zunehmend nicht mehr als Bestrafung des Kindes, sondern als Sachzwang anderer Genese verstanden. Doch wird dieses noch keineswegs immer tragfähig akzeptiert.
Dasselbe gilt auch für den Zeitbegriff: Die menschliche Fähigkeit, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu leben, entwickelt sich relativ spät. Erst am Ende des dritten Lebensjahres taucht die Frage des „Wann“ auf. Das Zeitgefühl orientiert sich zunächst am Tagesrhythmus, größere Zeitabstände (z. B. das Wiedergesundwerden nach absehbarer Zeit) können frühestens ab dem vierten Lebensjahr ansatzweise begriffen werden. Regelmäßige Rhythmen und eine verlässliche Tagesstruktur sind also bei gesunden, erst recht bei kranken Kindern sehr wichtig. Größere Zeitabläufe wie Wochenperioden oder monatliche bzw. jahreszeitliche Rhythmen werden erst jenseits des vierten Lebensjahres als solche erkannt: Brauchtumsriten, Adventskalender etc. können hier wichtige Hilfen zur Etablierung des Zeitbegriffes darstellen.
Hinsichtlich des kranken Kindes im Krankenhaus heißt dies, dass Kinder schon bei geringfügigen Verspätungen oder Veränderungen des Tagesrhythmus panisch reagieren können: Hat sich ein Kind erst einmal daran gewöhnt, dass der Vater grundsätzlich um 15.00 Uhr – nämlich immer dann, wenn nachmittags der Kuchen verteilt wurde – zu Besuch kommt, kann es kaum verstehen, geschweige denn akzeptieren, dass der Vater sich wegen eines Verkehrsstaus um 20 Minuten verspätet.
emotionalesKrankheitserleben
Kinder können sich Krankheiten nicht logisch erklären. Daher neigen sie dazu, Krankheiten einer äußeren Urheberschaft zuzuschreiben. Sie empfinden sich bei Schmerzen schlecht behandelt, bedroht oder bestraft. Je nach der Vorstellung, mit der Schmerzen assoziiert wurden, kann das Kind auch mit Ärger, Wut, Unterwerfung und Schuldgefühlen reagieren. Manche Kinder kapseln sich ab und ziehen sich zurück, andere erwarten in besonderer Weise Aufmerksamkeit und Liebe von den Bezugspersonen. Schuldgefühle (objektiv völlig fehl am Platze, subjektiv jedoch sehr häufig) resultieren teilweise aus frühkindlichen Vorstellungen von „Bestrafung“ durch Krankheit – ein Phänomen, dass wir gelegentlich selbst bei Erwachsenen vorfinden, wenn sie in kindliche Krankheitsbewältigungsschemata regredieren. Elterliche unbedachte Äußerungen können ein ihres tun, solche Fehlentwicklungen zu fördern. Stattdessen ist es wichtig, in kindgemäßer Art und Weise andere Erklärungsmus-ter für die Krankheitsentstehung anzubieten.
Bewegungs-einschränkung
Letztlich bietet Krankheit eine Belastung durch die Einschränkung des natürlichen Bedürfnisses eines Kindes nach ständiger Bewegung. Folglich werden Kinder im Krankheitsfall oft ungeduldig, zappelig oder quengelig. Mitunter können sie auch aufgrund ihrer Bewegungsarmut aggressiv werden. Vor allem die Abhängigkeit von pflegenden Personen (auch den Eltern) kann von den Kindern als narzisstische Kränkung erlebt werden.
Symbole
Wichtig ist schließlich, dass sich Kinder in und über Krankheit vor allem symbolisch äußern: Im Spielen, auch im Rollenspiel, im Umgang mit Kasperle u. a. Puppen, in Zeichnungen, in den Reaktionen auf vorgelesene Geschichten und in vielen anderen kindgemäßen und kindadäquaten Interaktionen können Kinder ihre Nöte, ihre Ängste und ihr Erleben von Krankheit und Gesundung viel besser ausdrücken als in rein verbalen Gesprächen. Dies zu berücksichtigen ist eine wichtige Aufgabe begleitender Heilpädagogik.
Krankheitsgruppen
Natürlich bestehen große Unterschiede, ob ein Kind vorübergehend an einer zwar heftigen, letztlich aber harmlosen Kinderkrankheit wie z. B. den Masern erkrankt oder eine lebensbedrohliche Leukämie aufweist. Es ist hier nicht der Ort, jedes einzelne Krankheitsbild, das im Kindesalter auftreten könnte, dezidiert zu besprechen: Dazu wird auf die weiter unten angeführte Fachliteratur verwiesen. Stattdessen soll ein erster Überblick über mögliche Krankheitsgruppen gegeben werden, der den Studierenden eine erste Orientierung bietet.
Akut bedrohliche Krankheiten: Akut bedrohliche Krankheiten können (anders als häufig bei Erwachsenen) im Kindesalter sehr plötzlich und akut auftreten und häufig genug ebenso schnell wieder verschwinden. Beispiele hierfür sind die Austrocknung (Exsikkose) und der Pseudo-Croup.
Exsikkose
Die Austrocknung (Exsikkose) kann schon nach ein bis zwei Tagen heftigen Erbrechens, Nahrungsverweigerung, Flüssigkeitsverlust durch Fieber und Schwitzen sowie wässrige Durchfälle auftreten. So können Säuglinge, die mehrere Tage diese Symptome aufweisen, 10% ihres Körpergewichts verlieren, was sie in einen lebensbedrohlichen Zustand versetzt (Erwachsene würden Vergleichbares gar nicht mehr überleben können). Säuglinge mit eingefallenen Augen, trockener Haut, trockener Zunge, der Unfähigkeit, zu speicheln oder Tränen zu produzieren, sind also hochgradig gefährdet und gehören sofort in die Klinik. Dort lässt man ihnen eine Flüssigkeitssondierung oder eine Infusionsbehandlung zuteil werden, und oft sind sie schon nach wenigen Stunden oder einigen Tagen wieder völlig gesund. Anderenfalls allerdings sind schwere Hirnschädigung oder sogar der Tod durch Austrocknung möglich.
Pseudo-Croup
Ebenso ist der Pseudo-Croup als ein solcher kindlicher Notfall zu werten. Hierbei handelt es sich um eine akute entzündliche Erkrankung des Kehlkopfes und der Bronchialschleimhaut, die mit Schleimhautanschwellung, Sekretbildung und akuter Luftnot einhergeht. Typische Symptome des Pseudo-Croups sind Luftnot, inspiratorischer Stridor (also Schwierigkeiten beim Einatmen, oft mit „juchzenden“ Geräuschen), ein Anstieg der Pulsfrequenz, ein charakteristisch-bellender Husten sowie die Angst der Kinder, zu ersticken. Die Behandlung muss sofort erfolgen, da eine Zunahme der Symptome (man unterscheidet vier Stadien des Pseudo-Croups) im vierten Stadium zu Erstickung führen kann. Die Grundprinzipien der Sofortmaßnahme sind Beruhigung, feuchte und kalte Luft und ggf. – falls vorhanden – Kortison in öliger Suspension, das in den Enddarm eingeführt wird und innerhalb von Minuten wirkt.
Der Pseudo-Croup ist im Kindergartenalter besonders häufig anzutreffen, weil die zuführenden Luftwege hinsichtlich ihres Querschnitts in diesem Alter relativ klein sind und (für Erwachsene harmlose) Infekte der oberen Luftwege mit den damit verbundenen Schleimhautschwellungen aufgrund der anatomischen Verhältnisse sehr schnell zu einer Verengung der Luftwege führen: Jenseits des sechsten bis siebten Lebensjahres tritt der Pseudo-Croup relativ selten auf. Manche Kinder sind durch ihre anatomischen Verhältnisse und ihre konstitutionell bedingte Infektanfälligkeit sowie aufgrund ihres Lebensalters besonders croup-anfällig. Deshalb soll nicht verschwiegen werden, dass auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen: Insbesondere Smog- und Inversionslagen führen zu einer stärkeren Belastung der Atemwege und vermutlich auch deswegen zu einer stärkeren Gefährdung durch Pseudo-Croup.
Infektiöse Kinderkrankheiten: Eine nächste Gruppe von Kinderkrankheiten besteht in Infekten der oberen Luftwege, so genannten Common-Cold-Krankheiten, sowie den infektiösen „Kinderkrankheiten“. Letztere können in erster Annäherung in virale und bakterielle Krankheiten eingeteilt werden.
bakterielleKrankheiten
Bakterielle Krankheiten werden von Bakterien, einzelligen Lebewesen, hervorgerufen. Da Bakterien sich fortpflanzen und einen Stoffwechsel aufweisen, sind sie – anders als Viren – prinzipiell durch chemische Substanzen „zu vergiften“ (Anti-Biotikum: gegen das bakterielle Leben gerichtet). Bakterielle Erkrankungen – und nur sie – können also prinzipiell durch Antibiotika behandelt werden.
virale Krankheiten
Demgegenüber sind Viren im Grunde nichts anderes als Erbsubstanzen, eingehüllt in Eiweißhüllen, die auf Wirtszellen angewiesen sind und sich nicht von alleine verstoffwechseln und fortpflanzen können. Ihre medikamentöse Behandlung ist deswegen so schwierig, weil es nur selten gelingt, einen Virus zu schädigen, die Wirtszelle aber nicht.
Folgende Krankheiten werden von Viren hervorgerufen (und sind deswegen prinzipiell nicht mit Antibiotika zu behandeln): Masern, Röteln, Windpocken, Gürtelrose und Mumps. Von Bakterien werden u. a. Tuberkulose, Scharlach, Keuchhusten, Tetanus und Salmonellen hervorgerufen.
Eine infektiöse Kinderkrankheit (Infektionskrankheit) entsteht, wenn Infektionserreger – Viren oder Bakterien – durch eine Eintrittspforte in den Körper gelangen. Solche Eintrittspforten können der Nasen-Rachen-Raum sein, wenn via Tröpfcheninfektion, insbesondere durch Husten, die Erreger weiterverbreitet werden. Aber auch von der „Hand in den Mund“ können Bakterien in den Magen-Darm-Trakt geraten. Durch den Darm ausgeschieden und durch unzureichende Handhygiene weiterverbreitet, können sie über Spielzeug oder Nahrungsmittel in den Mund geraten und somit weitere Kinder infizieren. Auch die verletzte Haut ist eine potenzielle Eintrittspforte.
Inkubation
Unter der Inkubationszeit versteht man die Zeit, in der sich die Keime im Körper vermehren, ohne bereits Krankheitssymptome auszulösen. Oft sind die Kinder in dieser Zeit schon ansteckend, obwohl sie noch keine Krankheitszeichen zeigen – dies führt dann dazu, dass sich ganze Kindergartenkohorten infizieren.
■Erste unspezifische Krankheitszeichen zeigen sich in der Prodromalphase, in der die Kinder oft uncharakteristisch Fieber, Husten, Schnupfen oder Durchfall aufweisen und allgemein matt und apathisch wirken. All dies sind unspezifische Krankheitsabwehrzeichen: Durch das Fieber wird z. B. die Körpertemperatur so erhöht, dass Bakterien an weiterer Ausbreitung und Vermehrung gehindert werden. Durch die Schleimhautschwellung und das Ausstoßen von Sekret soll die Keimzahl ebenso vermindert werden wie durch Erbrechen oder Durchfall. Mattigkeit und Erschöpfung sind Reaktionen des Körpers, der der Schonung um seiner Regeneration Willen bedarf.
■Spezifische Krankheitszeichen treten in der Manifestationsphase auf: Hier haben wir dann die beispielsweise für Masern oder Windpocken typischen Krankheitszeichen, die eine Diagnose und damit Prognose ermöglichen.
Immunreaktionen
Schließlich wird sich das Immunsystem des Körpers so weit mit den als Antigenen wirkenden Krankheitskeimen befassen, dass zunächst unspezifische, später spezifische Antikörper gebildet werden. Diese immunologische Abwehr führt zum einen dazu, dass Krankheitskeime umflossen und phagozytiert, also verdaut, zum anderen durch das Bombardement von körpereigenen Abwehrstoffen koaguliert, also verklumpt, werden. Jedenfalls lernt das Immunsystem, mit fremden Krankheitserregern umzugehen – ein Vorgang, den wir als „Immunisierung“ oder „Feiung“ bezeichnen. Bei einer späteren Auseinandersetzung mit denselben Keimen hat das Immunsystem gelernt, gegen Keime spezifisch vorzugehen, so dass eine Krankheit ausbleibt. Krankheiten mit lebenslanger Immunisierung sind beispielsweise die Masern, Krankheiten mit nur sehr geringfügiger Immunisierung die Grippe-Epidemien. In letzterem Falle verändern sich die Erreger so häufig, dass eine Krankheitserkennung oft nur über Monate oder höchstens Jahre möglich ist.
Impfung
Dem Prinzip der Immunisierung liegen auch die Impfschemata zugrunde. Unter aktiver Impfung verstehen wir die Kontamination des Körpers mit abgeschwächten, abgestorbenen oder nur partikulären Krankheitskeimen. Das Immunsystem lernt, mit diesen Bruchstücken von Krankheitskeimen umzugehen, und ist immun gegen die in der freien Wildbahn auftauchenden Krankheitskeime. Manchmal muss parallel eine Passivimpfung durchgeführt werden, bei der den gefährdeten Personen Antikörper in Form von Seren appliziert werden. So dient z. B. bei der Tetanusimpfung nach akuter Gefährdung die Passivimpfung dazu, eine akute Infektion zu verhindern. Die parallel durchgeführte Aktivimpfung triggert das Immunsystem, um einer späteren nochmaligen Tetanusinfektion vorzubeugen.
Chronische Erkrankungen: Das chronisch kranke Kind muss sich über lange Zeit mit den Folgen seiner Schwierigkeiten und Krankheiten auseinander setzen und daran adaptieren – sinngemäß Ähnliches gilt auch für sein familiäres Umfeld. Dabei sind in diesem psychosozialen Adaptationsprozess Krankheitsbedingungen, Entwicklungsdimensionen, die Reaktionen der sozialen Umwelt sowie das familiäre Reaktionsgefüge von ausschlaggebender Bedeutung.
Psychosomatische Störungen: Eine weitere Kategorie kindlicher Erkrankungen besteht in psychosomatischen Störungen des Kindesalters. Als Beispiel wird in Kap. 9 die Enuresis aufgeführt. Einem psychosomatischen Symptom liegt oft eine enge Wechselwirkung zwischen psychischer Störung oder Not und körperlicher Manifestation zugrunde. Dabei sind einseitige Schuld- und Kausalitätszuweisungen fehl am Platze.
So kann beispielsweise im Einzelfalle die Adipositas als Folge einer Deprivation oder Depression und als Versuch, orale Lustbefriedigung anstelle anderer tragfähiger Frustrationsbewältigungsstrategien zu finden, gesehen werden. Andererseits führt die Adipositas mit den damit verbundenen möglichen Stigmatisierungen, Hänseleien oder Isolierungstendenzen und Insuffizienzgefühlen reziprok wiederum oft zu vermehrtem depressivem Rückzug. Dies kann in einer Endlosschleife erneute orale Lustbefriedigung zur Folge haben. Körperliche und seelische Dimensionen verstärken sich also in einem zirkulären Prozess. Es gibt psychosomatische Störungen, bei denen eher die körperliche Dimension, andere, bei denen eher die seelische Dimension im Vordergrund steht.
Psychische Krankheiten: Psychische Krankheiten im Kindes- und Jugendalter sind von zunehmender Bedeutung und betreffen Medizin wie Heilpädagogik gleichermaßen: Depressionen und Angstsyndrome beispielsweise sind zweifellos Krankheiten des Kindes- bzw. Jugendalters, jedoch manifestieren sie sich vorwiegend auf der seelischen Ebene. Näheres hierzu in Kap. 9.
Behinderungen: Auf Behinderungen im Kindes- und Jugendalter wird in den folgenden Kapiteln detailliert eingegangen. Als exemplarische Beispiele werden u. a. Autismus und geistige Behinderung beschrieben.
Parasitäre Erkrankungen: Für die Pädagogik sind parasitäre Krankheiten insofern von einer gewissen Bedeutung, als sie einerseits epidemiologisch, andererseits hinsichtlich ihrer psychosozialen Stigmatisierung belastend sein können.
So können beispielsweise Juckreiz, zerkratzte Stellen und weiß anhaftende Strukturen an den Haaren Hinweise auf einen Befall mit Kopfläusen sein. In einem solchen Fall müssen nicht nur die Haare hinsichtlich des Befalls mit Läusen, sondern auch der Nissen, der oft fest anhaftenden Eier behandelt werden.
Auch die Krätzmilbe geht mit außerordentlich starkem Juckreiz, vor allem nachts und in Wärme, einher. Kratzspuren an den Händen, insbesondere in den Fingerzwischenräumen, sind charakteristisch, ebenso Milbengänge in diesem Bereich. Krätzmilben verbreiten sich vor allem bei Körperkontakt sowie engem Zusammenleben und einem Nichttrennen der Wäsche. Dies erfordert u. a. eine ausreichend lange Behandlung der Betroffenen, aber auch das Abkochen der Wäsche bzw. Spezialbehandlung nichtkochbarer Wäsche. Falls erforderlich, muss das gesamte familiäre Umfeld behandelt werden.
An diesen beiden Beispielen (zu nennen wären noch weitere, wie z. B. der Befall mit Flöhen) zeigt sich, dass parasitäre Erkrankungen häufig dann auftauchen, wenn Menschen auf engstem Raum zusammenleben. Zwar können mangelhafte hygienische Verhältnisse solchen Erkrankungen Vorschub leisten, doch muss dies keineswegs zwangsläufig der Fall sein. Kinder können sich auch auf einem Kindergeburtstag mit einem der eben genannten Erreger infizieren und der Befall von Kopfläusen oder Krätzmilben ist keineswegs zwangsläufig mit sozial schwierigen Verhältnissen gekoppelt.
Stigmatisierung
Dennoch kann der Befall mit diesen Krankheitserregern sozial in besonderer Weise stigmatisierend sein – insbesondere deswegen, weil die Kinder erst dann wieder in den Schulunterricht kommen dürfen, wenn eine Heilung durch den Kinderarzt bzw. das Gesundheitsamt bestätigt wurde. Aufgabe einer möglicherweise stattfindenden begleitenden Pädagogik ist hier nicht nur die hygienischen Maßnahmen, sondern auch die potenziellen sozialen Stigmatisierungsphänomene sowie die individuellen seelischen Kränkungen zu kennen und empathisch aufzuarbeiten.
Das Kind im Krankenhaus
Schließlich soll noch kurz auf das Kind im Krankenhaus eingegangen werden. Kinder können zum einen wegen kurzfristiger und temporärer Störungen (z. B. Operationen) in ein Krankenhaus eingewiesen werden. So dramatisch dieses Geschehen im Erleben von Kindern und Eltern ist, so schnell ist es unter günstigen Bedingungen aber auch erledigt und verarbeitet. Anders sieht es aus, wenn Kinder beispielsweise aufgrund einer Krebserkrankung über lange Zeit, mitunter Monate oder sogar Jahre, immer wieder einmal ins Krankenhaus müssen und dieses fast schon zum „zweiten Zuhause“ wird. Meist ist das Kind im Krankenhaus einer großen Anzahl ihm unbekannter Funktionsträger und Menschen ausgesetzt und kann dies nur schwer in sein Erleben integrieren. Das Krankenhaus ist eine Welt mit Instrumenten, Geräten und Operationssälen, endlos langen Gängen, vielfach sich gleichenden Türen, eigenartigen Gerüchen, vielen fremden Menschen unbekannter Herkunft und noch unbekannterer Kleidung. Diese ist dem Kind oft sehr fremd und lässt es sich nach einer vertrauten Umgebung sehnen. Die Krankenhaus-atmosphäre kann das Kind verwirren und schwer überschaubar sein.
Mit Hilfe der Eltern ist es leichter, diesen Zustand zu ertragen und sich auf die Begegnung mit neuen Menschen einzulassen. Die Verunsicherung schreitet fort, wenn Kinder in fremden Umgebungen und von fremden Menschen mit Untersuchungen und Maßnahmen konfrontiert werden, die sie als bedrohlich empfinden. Untersuchungen, Spritzen, Fieber messen, Verband wechseln und präoperative Vorgänge können zu Ängsten, mitunter auch zu Schmerzen führen. Unzählige, insbesondere ungewohnte Dinge verunsichern das Kind und müssen von geduldigen und verständnisvollen Eltern und Pädagogen aufgefangen oder bearbeitet werden. Trennung von den Eltern kann den Stress zusätzlich erhöhen, weswegen die Anwesenheit der Eltern so weit wie möglich von Nutzen ist. Die fremde Umgebung bedarf vertrauter Bezugspersonen, ausreichender Vorbereitungszeit, bekannter Gesichter etc.
Fremde Pflegepersonen sollten von den Eltern vorgestellt und positiv konnotiert werden. Wechselnde Pflegepersonen könnten durch Gruppenpflege oder ein Bezugspflegesystem ergänzt werden. Unverständliche Signale oder medizinische Fachsprache bedürfen der Übersetzung in eine kindgemäße Sprache, die von dem Kind auch verstanden werden kann, wobei auf die oben schon genannte Symbolik einzugehen ist. Auch die Nahrung und der Tagesablauf können als ungewohnt und unbekannt klassifiziert werden. Ähnliches gilt für Erziehungsstil u. a. Anforderungen, die im positiven Falle von Krankenschwestern, pädagogischem Personal und Eltern gemeinsam abgesprochen werden. Auch sollten alle beteiligten Erwachsenen auf noch nicht verstandene Krankheitsphantasien, Ängste und inadäquate kindliche Auseinandersetzungen mit dem unbekannten Geschehen eingehen können. Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sind ebenfalls Faktoren, auf die Erwachsene Rücksicht nehmen sollten.
Hospitalisierung
Eine längerfristige Trennung von Kindern und ihren Eltern kann im Rahmen eines stationären Aufenthaltes zu schweren seelischen Hospitalisierungsschäden führen. Diese sind zunächst durch eine Phase des Protestes gekennzeichnet – Kinder protes-tieren energisch, lautstark und mitunter wütend gegen diese Trennung –, werden dann aber von einer Phase der Verzweiflung und schließlich der Verleugnung abgelöst. Deshalb ist es besonders wichtig, Eltern und Kindern viel gemeinsame Zeit zu ermöglichen. Geschieht dies nicht, kann in einer zweiten Phase der Verzweiflung das Kind zwar äußerlich ruhiger werden, zeigt allerdings zunehmende Apathie und Monotonie, hat wenig Interesse an der Umwelt und verfällt schließlich in eine tiefe Trauer um Vater und Mutter.
Schließlich kann bei längerem Aufenthalt ohne täglichen Besuch der Eltern das Kind seinen seelischen Schmerz nicht länger ertragen, es verdrängt und verleugnet ihn und damit auch die Gefühle für die Eltern. Nach außen wirkt das Kind zwar wieder aufgeschlossener, und es versucht sein Bestes aus der Situation zu machen. Häufig ist jedoch zu beobachten, dass die Kinder in dieser Situation von ihren Eltern keine Notiz mehr zu nehmen scheinen und sich nicht mehr für sie interessieren – sie haben die Trauer verdrängt. Es handelt sich hier nicht um einen Adaptationsvorgang, sondern um eine ernste seelische Krise der Kinder. Um Verhaltensstörungen, Angstneurosen und seelischen Hospitalismus zu vermeiden, ist also ein intensiver und tragfähiger Kontakt zwischen Eltern und Kindern vonnöten.
Krankenhaus-pädagogik
Pädagogen sollten Eltern die dafür notwendige Hilfe geben. Das fängt bei Beratung auch in finanzieller und arbeitsrechtlicher Hinsicht an, geht weiter über systemische Familienberatung und Familientherapie (auch gesunde Geschwisterkinder sind hierbei mit einzubeziehen) und führt schließlich zu psychoedukativen Gesprächen. Bei diesen werden Eltern über die kindlichen Adap-tations- und Verarbeitungsmöglichkeiten körperlicher Krankheit informiert. Der Krankenhauspädagogik kommt darüber hinaus auch eine pädagogisch-therapeutische Aufgabe in Bezug auf die kranken Kinder zu. Diese können häufig erst im Spiel, in der Zeichnung, in der Musik und bei anderen kreativen Gestaltungsmöglichkeiten über ihre Ängste, Nöte und Sorgen berichten.
Neben den quasi therapeutischen Aktivitäten ist die Hauptaufgabe eines krankenhauspädagogischen Dienstes aber die, Kindern auch bei längerem Krankenhausaufenthalt ein adäquates Umfeld zu geben, das ihre kindliche Entwicklung ermöglicht und perpetuiert. Auch kranke Kinder sind nicht in erster Linie Patienten, sondern Kinder. Einerseits ist unbestreitbar, dass die primäre Aufgabe eines Krankenhauses in Diagnostik, Therapie und Pflege besteht. Das Primat ärztlicher und pflegerischer Tätigkeit soll nicht bestritten werden. Andererseits ist als „dritte Säule“ der Begleitung kranker Kinder auch die Pädagogik vonnöten. Ihr muss ein neben dem medizinisch-pflegerischen Aspekt ausreichendes räumliches, zeitliches und personelles Gewicht zugestanden werden.
Im Zusammenhang mit Krankheit und Behinderung, insbesondere aber im heilpädagogischen Diskurs, gilt es, auch ethische Fragestellungen zu beachten. Dabei versteht man unter dem griechischen Begriff des „Ethos“ die Gewohnheit, die Sitte und den Brauch, im weiteren Sinne auch das Bestreben, auf der Grundlage von Überlegung und Einsicht in einer Situation das erforderliche Gute zu tun (Dederich, in: Greving 2007, 211). Nun ist dieses Bemühen zweifellos als ein Prozess anzusehen, der in soziokulturelle Rahmenbedingungen eingebettet und bisweilen einem Erosionsprozess ausgeliefert ist. Somit ist es sinnvoll, ethische Grundsätze zu untersuchen, zu reflektieren und moralisches Handeln zu begründen, was der Kern der „Ethik“ ist. nach Dederich sind in der gegenwärtigen Behindertenpädagogik ethische Fragestellungen aus drei Gründen von Bedeutung:
Zum einen sind dies Gründe systematischer Art, weil sich Heilpädagogik mit Fragen ihrer eigenen Legitimation und ihres Selbstverständnisses beschäftigen muss, wenn sie den ihr anvertrauten Klienten ein gutes, gelingendes und teilhabendes Leben (unter anderem durch Bildungsangebote und Gesundheitsversorgung) ermöglichen will. Zum Zweiten führen gravierende gesellschaftliche Veränderungen durch Fortschritte in den Naturwissenschaften, insbesondere der Biomedizin, zu neuen ethischen Herausforderungen, auf die gleich noch näher eingegangen wird. Und drittens führen soziokulturelle Entwicklungen zu Lebenswirklichkeiten, die unmittelbar Inklusion und Exklusion beeinflussen und im Rahmen der sogenannten „Utilitarismusdiskussion“ ebenfalls ethische Fragestellungen aufwerfen. Dederich nennt eine Reihe von Problemen und Erfahrungsfeldern, die mit besonderen ethischen Herausforderungen verbunden sind:
1.Die sogenannte „optionale Geburt“, die sich aus Möglichkeiten (und Gefahren) von Gentechnologie, Pränataldiagnostik, Präimplantationsdiagnostik sowie Fertisilationstechnologie ergeben.
2.Die Möglichkeit von „Spätabtreibungen“ hat zu heftigen Diskussionen (Stichwort: Kind als „Schaden“) geführt.
3.Mit der eben schon genannten Reproduktionstechnologie und der damit ggf. verbundenen Selektion entflammte eine erneute Kontroverse um eugenische Fragestellungen, also der „Auswahl von erhaltens- und schützenswertem Leben“.
4.Solche eugenischen Fragestellungen finden sich auch, wenn es um Dauer und Umfang lebenserhaltender bzw. lebensverlängernder Maßnahmen (auch bei Menschen mit schweren Behinderungen oder z. B. im Wachkoma) geht.
5.Genereller stellt sich die Frage der Eugenik bei der Stamm-zellforschung und beim therapeutischen sowie reproduktiven Klonen bzw. der sogenannten „verbrauchenden“ Embryonenforschung.
6.In einer Reihe von eugenischen, aber auch anderen bioethischen Überlegungen findet sich zunehmend auch eine Untersuchung von Nutzen und Kosten im Rahmen ökonomisierender Bemühungen, was meist als „Utilitarismus“, also dem größtmöglichen Nutzen für eine größtmögliche Anzahl von Menschen, bezeichnet wird.
7.Auch wenn es darum geht, die unveräußerliche Person eines Menschen in ihrer Einzigartigkeit zu sehen, deren Menschenrechte und Menschenwürde es zu betonen und zu erhalten gilt, ist man auf ethische Diskurse angewiesen. Dabei geht es, wie Dederich richtig betont, „keineswegs nur um medizinische Spezialprobleme, sondern um eine viel grundsätzlichere Ebene, nämlich um das Verhältnis unserer Gesellschaft zu (von ihr selbst produzierten) Randgruppen und Minderheiten – zu denjenigen, die als anders, abweichend, nicht passend etc. eingestuft werden. In dieser Hinsicht verweisen die Pläne der „Bioethik“ auf ein sozialethisches Grundproblem, nämlich auf das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren behinderten Mitgliedern.“ (Dederich in Greving 2007, 215).
8.Ethik kann also auch als Schutzbereich, als eine Antwort auf potenzielle Gefährdungen behinderter und als Minderheit erlebter Menschen gesehen werden. Hierbei geht es um die Anerkennung von Vielfalt und Differenz und die Erkenntnis, dass der Mensch in seiner Sensibilität und Verwundbarkeit und Endlichkeit einmalig und einzigartig ist, so dass jeder Mensch (nicht nur der behinderte Mensch) auf unser aller Verantwortung für andere Menschen verweist. Mit dem Verzicht auf eine Negativbewertung von Behinderung und der Anerkennung von Vielfalt und Differenz geht letztlich auch eine Inklusion einher, also die Erkenntnis, dass auch behinderte Menschen konstituierende Mitglieder der Sozietät sind.
Kurz soll noch wegen der Bedeutung im gegenwärtigen Diskurs auf die Begriffe „Euthanasie“ und „Eugenik“ eingegangen werden.
Euthanasie
Euthanasie (gr.: eu = gut, thanos = Tod) meint einen „schmerzlosen und würdigen“ Tod. Belastet ist dieser Begriff durch Diskussionen Ende des 19. sowie des gesamten 20. Jahrhunderts, bei denen Euthanasie mit der Tötung schwer bzw. unheilbar Erkrankter einherging. Wurde zunächst straffrei die Tötung von Menschen auf deren eigenes Verlangen diskutiert, so ging es später auch um die Tötung von Menschen, die sich aufgrund schwerer Verletzungen oder Behinderungen hierzu nicht (mehr) äußern konnten (Neugeborene mit schweren Behinderungen, Komapatienten). Insbesondere im verbrecherischen System des Nationalsozialismus werden eugenische mit euthanasie-bezogenen Aspekten verbunden, was zunächst zu einem theoretischen, menschenverachtenden Diskurs (Stichworte: „Nutzlose Esser, Ballastexistenzen“) führte. Bald darauf jedoch wurden diese Menschen in großer Zahl ermordet. Rezente Diskussionen zur Straffreiheit des Tötens auf Verlangen oder zur sog. Sterbehilfe (nicht zu verwechseln mit Sterbebegleitung, s. u.) differenzieren zwischen aktiver Sterbehilfe (dem Töten auf Verlangen), passiver Sterbehilfe (dem Abbruch oder der Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen) sowie indirekter Sterbehilfe (beispielsweise der Gabe von Schmerzmitteln mit der unbeabsichtigten Nebenwirkung des schnelleren Todeseintritts). Auf diese sehr komplexe Diskussion, auch im Zusammenhang und ggf. in Abgrenzung von Patientenverfügungen, ebenso wie beispielsweise die Rechtslage in den Niederlanden oder in der Schweiz, kann hier nicht näher eingegangen werden – es wird auf den ausgezeichneten Übersichtsaufsatz von Michael Wund (in Greving 2007, 24ff.) hingewiesen. Darin wird u. a. auch auf die Gefahr der Ausweitung der passiven Sterbehilfe, beispielsweise bei Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, im Wachkoma oder bei Demenzerkrankungen eingegangen.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass eine Verbesserung der Sterbebegleitung, beispielsweise der Schmerztherapie im Rahmen der sog. Hospizbewegung, eine wesentlich bessere und menschlichere Alternative darstellt. Betroffene, die sich hierzu äußern können, fürchten vor allem Schmerzen, allein gelassen zu werden oder eine würdelose Behandlung.
Eugenik
Eugenik (gr.: eu = gut, genesis = entstehen) beschäftigt sich mit der „Verbesserung“ des menschlichen Erbgutes und ist nach den verbrecherischen Maßnahmen des sog. „Dritten Reichs“ in Verruf geraten. Neuere eugenische Diskussionen ergeben sich aufgrund der Pränataldiagnostik mit konsekutivem Schwangerschaftsabbruch sowie einer hiermit verbundenen humangenetischen Beratung, der In-vitro-Fertilisation (künstlichen Befruchtung) und der Auswahl bestimmter Eizellen bzw. Embryonen, der keimbahnbezogenen Gentherapie und der intensiven Diskussion dieser Entwicklungen in der Heilpädagogik und der Behindertenbewegung. Insbesondere von letzterer wird mit großer Besorgnis gesehen, dass Behinderung zunehmend als Schaden angesehen wird, den (ggf. auch durch Selektion) zu verhindern sich Eltern und Ärzte nicht nur berechtigt, sondern schlimms- tenfalls sogar verpflichtet fühlen könnten.
Wir sehen: Mit dem ethischen Diskurs um Biotechnologie, Euthanasie und Eugenik werden Fragen aufgeworfen, die auch, aber keineswegs nur Menschen mit Behinderung angehen – Fragen, die den Kern menschlicher Personalität und menschlicher Würde eines Jeden von uns betreffen.
2.7Übungsfragen und Literaturhinweise
Überprüfen Sie Ihr Wissen!
5.Welche psychosozialen Krankheitsmodelle kennen Sie und worin unterscheiden sie sich von primär naturwissenschaftlich orientierten Paradigmen?
6.Erläutern Sie die Begriffe des primären und sekundären Krankheitsgewinns.
7.Beschreiben Sie die Stressreaktion und erläutern Sie die Begriffe des problemlösenden sowie des emotionsregulierenden Copings.
8.Inwiefern unterscheidet sich das kindliche Krankheitserleben von dem in der Adoleszenz?
Literaturhinweise
Beck, D. (1985): Krankheit als Selbstheilung. Frankfurt/M.
Nach Beck stellen körperliche Krankheiten oft einen Versuch dar, eine seelische Verletzung auszugleichen, einen inneren Verlust zu kompensieren oder einen unbewussten Konflikt zu lösen. Körperliches Leiden ist oft ein seelischer Selbstheilungsversuch.
Lown, B. (2012): Die verlorene Kunst des Heilens. Anleitung zum Umdenken. Frankfurt/M.
Der renommierte Kardiologe und Nobelpreisträger geht in seiner beruflichen Autobiografie auf Grundlagen ärztlichen Handelns ein. Seine außerordentlich empathischen, kenntnisreichen und praxisbezogenen Erfahrungsberichte zeugen von einer tief gehenden Auseinandersetzung mit menschlichen Grunderfahrungen und der Ambivalenz medizinischen Fortschritts.
Miketta, G. (1992): Netzwerk Mensch. Psycho-, Neuro-, Immunologie: Den Verbindungen von Körper und Seele auf der Spur. Stuttgart
Sachlich fundiertes, sehr informatives und gut zu lesendes Buch, in dem neue Denkansätze über das Funktionieren unseres Körpers in Gesundheit und Krankheit dargestellt werden. Dabei wird der Körper als vernetztes System verstanden.
Nesse, R., Williams, G. C. (2000): Warum wir krank werden. Die Antworten der Evolutionsmedizin. München
Unser Körper ist immer noch auf die Lebensbedingungen der Steinzeit eingestellt. Aus der Perspektive der Evolutionsbiologie ergeben sich überraschende neue Antworten auf die Frage, warum wir überhaupt krank werden. Originell und gut lesbar stellen die Autoren neuere Erkenntnisse dieses Forschungsbereichs dar.
Schwarzer, W. (Hrsg.) (20107): Lehrbuch der Sozialmedizin für Sozialarbeit, Sozial- und Heilpädagogik. Dortmund
Breit gefächerte Einführung in die Sozialmedizin, in der insbesondere auch psychogene und neurogene Störungen sowie Behinderungen und chronische Erkrankungen erläutert werden.