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5.

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Wir ruderten die Jolle an der Hafenmole vorbei in den Wind und nahmen Kurs nach Norden. Der Wind war stärker geworden und die Wellenkämme höher. Weiße Gischt sprühte über die See. Unter den nordostwärts rasenden Wolken jagten kreischende Möwen dahin. Die Jolle tanzte heftig in den Wellen. Kat klammerte sich an den Wanten und der Bordwand fest. Sie versuchte, ein zuversichtliches Gesicht zu machen, aber es gelang ihr nicht wirklich.

Lyana saß im wehenden roten Kleid neben Kat an luv und blickte abwechselnd aufs Meer, auf die im Wind ziehenden Wolken, auf die Segel und die von Sven bedienten Schoten, die er mal laufen ließ, mal weiter einholte. Sie schien zufrieden mit dem, was sie sah. Schließlich beugte sie sich über das Reisigbündel zu ihren Füßen und löste die Schnüre, mit denen es verknotet war. Eine nach dem anderen warf sie die Ruten ins Meer.

„Jetzt brauch' ich das Reisig nicht mehr.“

Sven und ich sahen ihr mit offenem Mund zu.

Die ist ja total irre, fuhr es mir durch den Kopf. Und so eine haben wir mitgenommen.

Vorsichtig holte sie aus dem Bündel einen Bogen und zwei Dutzend gefiederte Pfeile hervor. Das Reisig warf sie über Bord.

Lächelnd blickte sie Sven und mich an. „Du bekommst keine Stelle als Schankmädchen, wenn du bewaffnet daherkommst. Für die Kerle ist es normal, Waffen zu tragen, aber ein Mädchen soll immer nur „ja mein Süßer“ sagen und schüchtern die Wimpern niederschlagen, egal, wie sehr ihr Freier nach Bier stinkt. Ein bewaffnetes Hafenmädchen will keiner haben.“

In der ersten Bucht hinter Torglund warfen wir Anker, damit die Frauen ihre Reisekleider anziehen konnten. Sven und ich standen am Bug und beobachteten tausende von Kormoranen, die in den Felsen ihre Nester errichtet hatten. Das Geschrei der Vögel übertönte noch das Tosen der Brandung.

„Ihr dürft euch umdrehen, Männer,“ rief Lyana. „Es sind keine gefährlichen weiblichen Geheimnisse mehr zu sehen!“

Ich schaute Sven an, er blickte ratlos zurück. Was war das jetzt für ein Spruch?

„Aber süß ist das schon von den beiden,“ sagte Kat hinter uns, „lieber die Vogelkolonie da zu beobachten, als uns was abzugaffen.“

„Zu zweit könnt ihr richtig eklig sein,“ rief ich, während ich mich umdrehte.

Kat hatte Wams, Hosen und Stiefel an. Die junge Frau an ihrer Seite war kein Hafenmädchen. Im Heck stand eine Waldläuferin in Lederhosen und hellem Lederwams. Die Ärmel waren über die gesamte Länge mit Lederfransen verziert. Im Gürtel trug sie ein langes Messer mit Geweihgriff. Einzig das lederne Stirnband war geblieben. Doch zu dieser Kleidung wirkte es in keiner Weise mehr unpassend.

***

„Ich hab gedacht, du bist eine Schankmagd,“ rief ich Lyana durch den Wind zu, als die Jolle mit vollen Segeln über die Wellen tanzte. „Solche hatten wir in dem Landgasthof bei unserem Heimatdorf auch.“

Jedes Mal, wenn die Jolle über einen Wellenkamm ritt, sprühte der Wind uns schaumige Gischt in die Gesichter, bevor das kleine Boot ins Wellental herunterglitt, um auf der nächsten Woge erneut himmelwärts zu klettern.

„Ach, ich bin schon alles Mögliche gewesen,“ rief Lyana zurück. „Schankmädchen, Marketenderin, Hafendirne, Taschendiebin - alles, womit es sich gerade durchkommen ließ.“

„Du hast dich doch nicht immer schon so durchgeschlagen, oder?“

„Nein.“ Sie blickte den über den Himmel rasenden Wolken nach. „Aber wo ich früher gelebt habe, wollte ich nicht mehr bleiben.“

„Ging mir genauso,“ rief Kat. „Ich hab auch von zu Hause Reißaus genommen.“

„Ich bin im Wald aufgewachsen,“ erzählte Lyana, gegen den Wind anschreiend. „Mein Vater war Wildbeuter und Fallensteller. Um die Blockhütte, in der wir lebten, breitete sich der Wald wie ein grüner Ozean nach allen Himmelsrichtungen bis zum Horizont.“

Der Wind heulte in der Takelage, als wollte er Lyanas Erinnerungen davonwehen.

„Vater und ich lebten allein. Von meiner Mutter hat Vater nie gesprochen. Wir bekamen nur selten andere Menschen zu Gesicht. Mein Vater brachte mir bei, Fährten zu lesen, dem Wild nachzustellen, die Rufe der Tiere zu erkennen. Ich hätte mir nie ein anderes Leben vorstellen können.“

Verloren blickte sie vor sich hin. „Vorletzten Herbst wurde Vater krank. Seine Krankheit wurde schnell schlimm. Ich habe ihn gepflegt. Im Winter ist er gestorben. Ich begrub ihn bei der kleinen Hütte, in der er mit mir gelebt hatte, seit ich denken kann.“

Eine Weile lang schwieg Lyana und blickte einer einsam im Sturm segelnden Möwe nach.

„Danach konnte ich dort nicht mehr bleiben. Der Wald, die Hütte - es war alles wie ohne Leben, wie tot. Ich bin nach Norden gegangen - zu Fuß, mit dem Eselkarren, per Schiff, zu Pferd, immer nordwärts. Hab gelernt, mich durchzuschlagen. Manchmal war's bitter. Vor zwei Monaten bin ich nach Torglund gekommen. Als ihr heute Vormittag sagtet, ihr seid nach Norden unterwegs, dachte ich, das ist ja mein Weg. Da bin ich mitgekommen.“

„Sei froh, dass du einen solchen Vater hattest,“ rief Kat grimmig. „Meiner war anders.“

***

Gegen Abend entdeckten wir an der sich endlos hinziehenden Steilküste einen Küstenausläufer, in dessen Windschatten wir Anker warfen. Das Donnern der nahen Brandung übertönte den Wind. Schauer winziger Wassertröpfchen sprühten von den Felsen herüber. Die Jolle zerrte an den Ankertauen, auf und ab schwankend in den hohen Wellen. Vor den Felsentürmen der Küste wirkte unser Boot sehr klein und zerbrechlich.

Nach dem kargen Abendimbiss ergab sich ein Problem. Egal was wir uns ausdachten, es war einfach nicht genug Platz in der Jolle, um uns alle vier zwischen den schmalen Seitenbänken schlafen zu legen. Lyana schlug vor, eine Nachtwache einzuteilen und abwechselnd zu schlafen, aber Kat wollte davon nichts wissen. Nach langem Hin und Her entschied Kat trotz heftigem Protest von Sven und mir, sich auf dem Bug schlafen zu legen. Ganz egal, was wir vorbrachten, es war ihr nicht auszureden. Wenn sie sich einmal zu einer Sache entschieden hatte, dann blieb es dabei. Also rollten Lyana, Sven und ich uns auf den nassen Heckplanken in unsere Decken. Kat kletterte aufs Vorschiff und wickelte sich mittschiffs vor dem Mast in ihre Decke.

Ich war in einen dumpfen Halbschlaf gesunken, als ein lautes Aufplatschen neben dem Boot mich aufschrecken ließ. Heftiges Gurgeln und Klatschten im Wasser. Mit einem Satz war ich an der Bordwand und hängte mich mit dem Oberkörper über Bord. Meine Hand fuhr durchs Wasser und erwischte die Ecke eines Kleidungsstücks.

„Sven! Kat ist über Bord!“ Meine Stimme überschlug sich.

In einem Atemzug war Sven an meiner Seite. Gemeinsam hievten wir die wie eine nasse Katze strampelnde Kat ins Boot. Kat krümmte sich aufs Deck, hustete und kotzte Wasser.

„Wie ich das hasse!“ kreischte sie, als sie wieder Luft bekam.

Sven und ich redeten beruhigend auf sie ein. „Ist ja gut, Kat, es ist ja nichts passiert.“

„Ich hasse es!“ schrie sie aus vollem Hals.

„Kat, werd' ruhig!“

Aber Kat schrie weiter. „Jedes vernünftige Schiff hat eine Reling! Das hier ist gar kein Schiff, ein schwimmender Holzpantoffel ist das!“

„Kat, bitte!“

„Keine Spanne fahr ich mehr in dieser Nussschale!“

„So hör doch...“

„Keine einzige Spanne! Bringt mich sofort an Land!“

„Kat! ...“

„Sofort!“

Lyana hatte Kats Decke aus dem Wasser gefischt. Sie stellte sich zu uns.

„Jetzt hört mal auf, um sie rumzutanzen, Männer. Geht nach vorn und schaut euch die Landschaft an, damit ich dem Mädchen die nassen Klamotten ausziehen und sie ordentlich abrubbeln kann.“

Wir taten, was sie sagte. Hinter uns hörten wir Kat heulen, bibbern und Verwünschungen ausstoßen, während Lyana ihr die Kleider abstreifte und sie mit einer Decke trocken rieb.

***

Am nächsten Tag verschlechterte sich das Wetter. Stürmischer Wind ging aus West-Nordwest. Regenschauer verschleierten die Sicht. Dunkle Wolken rasten über uns dem Land entgegen. Im Norden schob sich eine schwarze Wolkenwand vor den Horizont und bildete mit der grauen See eine einzige brodelnde Masse. Immer wieder mussten Sven und ich die Jolle hart an den Wind bringen, um nicht an die Uferfelsen getrieben zu werden. Eiskaltes Wasser kam über und Lyana begann, mit einem Holzeimer zu lenzen. Kat saß mit bleierner Miene beim Mast auf der Seitenbank, klammerte sich mit beiden Händen fest und blickte ausdruckslos zum Ufer hinüber.

Am späten Nachmittag, nach Stunden ermüdenden Segelns hart am Wind wurde die Steilküste niedriger. Der Regen hörte auf, doch im Norden wälzten sich schwarze Wolkenmassen über den Horizont. Unsere Finger waren klamm vor Kälte, Haar und Kleidung durchnässt. Trotz Lyanas Anstrengungen standen unsere Füße in einer knöchelhoch schwappenden Lache.

Hinter einer felsigen Landzunge knickte die Küstenlinie nach Nordosten ab und wir konnten die Jolle ostwärts vor den Wind bringen. In der Abenddämmerung wichen die Uferfelsen einem flachen, kiesbedeckten Strand mit hohen Dünen. Wir steuerten das Boot durch die rollende Brandung, bis Kies unter dem Schiffsboden knirschte und von achtern ein Brecher nach dem anderen über das Boot hereinbrach. Sven und ich sprangen ins Wasser und begannen, die Jolle ans Ufer zu ziehen. Lyana sprang uns nach und auch Kat stieg wortlos ins Wasser und legte mit Hand an. Mit vereinten Kräften, durchnässt und mit von der Kälte tauben Händen zerrten wir unser Schiff auf den Strand.

Der Abendhimmel im Westen hatte eine blutrote Färbung angenommen. Nach Norden zu verschwand der Horizont hinter grauen Regenschleiern. Wir entfachten ein großes Lagerfeuer in den Dünen, rückten nahe an die Flammen und aßen Salzhering, Zwieback und Äpfel. Nach dem Essen holte Lyana eine Flöte hervor. Sie setzte sie an den Mund und stimmte eine sanfte, wehmütige Melodie an. Die leise durch den Wind dringenden Töne besänftigten die bitteren Gefühle, welche Kälte und Erschöpfung in mir hinterlassen hatten. Sven setzte sich näher an die heruntergebrannte Glut und Kat rückte an ihn heran und lehnte sich gegen seine Schulter. Ich setzte mich abseits auf einen kleinen Findling und übte, Licht hervorzubringen.

Ich gab mir keine Mühe. Der Schrecken um Kat letzte Nacht und die Strapazen des Tages hatten mich ausgelaugt. Ich hatte nicht mehr den Willen, irgendetwas zu erreichen. Die sanften, traurigen Klänge von Lyanas Flöte wehten vom nachglühenden Lagerfeuer herüber. Ich schloss die Augen. Vor meinem inneren Auge entstand das Bild der leuchtenden Kugel in Katrinas Hand - oder war es meine eigene? Deutlich sah ich das Licht vor mir.

Elean.“ Ich flüsterte es beiläufig.

So oft hatte ich das Wort in den letzten Tagen bei meinen Übungen ausgesprochen, dass es wie von selbst auf meine Lippen kam, wenn ich an das Licht in meiner Hand dachte. Ich öffnete die Augen. Noch immer sah ich das Leuchten in meiner Hand. Die Flötenklänge brachen ab.

„Hat das irgendwas zu bedeuten?“ hörte ich Lyana fragen.

„Er übt nur zaubern,“ antwortete Kat.

Und mir rief sie zu: „He, Leif, du kannst es! Bravo!“

Es war das erste Mal an diesem Tag, dass Kat etwas sagte. Seit sie sich letzte Nacht von Lyana beruhigt endlich im Boot niedergelegt hatte, hatte sie kein Wort mehr von sich gegeben. Sie hatte sich in Lyanas Decke eingerollt und den Kopf unter die Decke gezogen, um liegen zu bleiben, bis wir am Morgen die Anker lichteten.

Lyanas Flöte nahm ihre sehnsuchtsvolle Melodie wieder auf. Unter dem dunkelnden Nachthimmel saß ich und ließ das Licht auf meiner Hand mal heller, mal schwächer werden, dann wieder ganz aufhören und neu aufleuchten. Es war vollkommen einfach. Ich wusste, dass ich es hatte.

Kalter Nachtwind wehte um unser Lager und die Glut war erloschen, als Lyana die Flöte wegpackte und sich zum Schlafen in ihre Decke rollte. Ich stand auf, um meine eigene Decke zu holen. Sven und Kat saßen aneinander gelehnt bei der Asche des Lagerfeuers. Kat hatte ihren Kopf auf Svens Schulter gelegt und die Augen geschlossen. Noch lange, nachdem ich mich in meine Decke gerollt hatte, um schlaflos in den schwarzen Himmel zu starren, saßen sie zusammen, ohne sich zu regen. Schließlich trennten sie sich stumm und vorsichtig voneinander, um jeder unter die eigene Decke zu kriechen.

***

Diesiges Morgenrot stand im Osten, als Sven und ich zum Strand hinuntergingen, um nach dem Wetter zu sehen. Lyana war dabei, Feuer zu machen. Kat hatte sich in ihrer Decke noch nicht geregt. Kurz vor Morgengrauen hatte der Wind noch zugenommen. Er kam aus Nord-Nordwest – beinahe aus der Richtung, in die wir segeln wollten. Am Strand brachen sich vier bis fünf Fuß hohe Wellen.

Sven blickte besorgt nach Norden, wo eine schwarze Wand den Horizont verdeckte. Wetterleuchten drang daraus hervor. Vor der Wand rasten brodelnde Wolkenmassen über den Himmel.

„Kein gutes Wetter,“ überlegte ich. „Was sagst du?“

„Tja,“ Sven kratzte sich im Nacken. „Wenn's noch schlimmer wird, werden wir an Land machen müssen. Ist immerhin flacher Strand hier.“

„Wird verdammte Kreuzerei,“ meinte ich. „Viel Strecke werden wir heute nicht machen.“

Sven zuckte mit den Achseln. „Wir versuchen's. Allemal besser, als hier festzusitzen.“

Langsam nickte ich. „Müssen bloß höllisch aufpassen.“

Wir gingen zum Lagerfeuer zurück, wo Lyana Salzheringe mit Äpfeln in einer Schale garte. Ein kleiner Teekessel dampfte in der Glut.

Nach dem Morgenimbiss räumten wir das Lager auf und verstauten das Gepäck in der Jolle. Lyana warf einem Blick an den Nordhimmel.

„Seid ihr sicher?“

„Geht schon noch,“ meinte Sven.

Lyana zuckte mit den Achseln.

Unter Svens Kommando drehten wir die Jolle mit dem Bug zur See, setzten die Segel und schoben sie mit vereinten Kräften in die Brandung. Die Segel knatterten im stürmischen Wind. Mit jedem Brecher schoben wir die Jolle Stück für Stück in tieferes Wasser. Als die eiskalten Wellen uns bis zur Brust reichten, kletterten wir ins Boot und schoben mit den Ruderriemen weiter, bis die Jolle zwischen den Brechern nicht mehr auf Grund aufsetzte. Sven trimmte die Segel, ich griff die Steuerpinne, der Wind drückte in die Leinwand und das kleine Segelboot neigte sich in Lee bis nahe an die Wasseroberfläche. Wir stampften durch die Wellen vom Land weg.

Die Jolle kämpfte mit dem Sturmwind. Ich hielt die Steuerpinne mit beiden Händen und wandte alle Kraft auf, um nicht vor den Wind abzufallen. Nach eineinhalb Stunden war ich am Ende. Haushohe Wellenberge nahmen uns die Sicht. Immer öfter drohten Böen mir das Ruder aus der Hand zu reißen. Die nasse Kleidung klebte mir am Körper. Arme und Beine spürte ich nicht mehr.

Ich wollte Sven zurufen, es hätte keinen Sinn mehr, als Lyana unvermittelt schrie: „Geh vor den Wind! Da!“

Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie auf eine schwarze, von Blitzen durchzuckte Wand, die von Norden heranraste. Schwarze Wolkenmassen breiteten sich mit irrsinniger Geschwindigkeit wie Riesenhände von der Orkanwand her über den Himmel aus.

„Was ist das?“ schrie Kat durch den heulenden Wind.

„Das,“ brüllte ich zurück, „ist ein Sturm!“

Wie eine Sturmmöwe flog die Jolle mit vollen Segeln dem Ufer zu. Der Himmel verfinsterte sich. Aus der heranrasenden Wand grollte Donner.

Alle guten Sterne, lasst uns an Land kommen, betete ich.

Wir waren noch eine Viertelmeile vom Land entfernt, als ich dreihundert Fuß vor dem Strand mehrere Reihen kurzer, hoher Wellen aufschäumen sah.

„Sandbank!“ rief Sven.

Heiliges Schwert und alle Götter, die es gibt!

Eine Sandbank dreihundert Fuß vom Land! Eine Sandbank, auf der unser Boot aufsetzen und von den Orkanbrechern zerschmettert werden würde. Dreihundert Fuß Wasser zwischen uns und dem rettenden Land. Dreihundert Fuß sturmgepeitschtes Wasser, um darin zu ertrinken.

Mein Stern, der du über meiner Geburt geschienen hast! Der du meine Mutter in Wehen gesehen hast, lass nicht zu, dass Kat und Lyana ertrinken! Bring die beiden heil ans Ufer! Ich will in meinem Leben keinen Fuß mehr auf ein Boot setzten, wenn du uns dies eine Mal noch lebend an Land kommen lässt! Nur dies einzige Mal noch!

Mit dem Sturm raste die Jolle auf die Brecher vor der Sandbank zu. Dann umgab uns brodelndes, schäumendes Chaos. Wasser ergoss sich von achtern ins Boot, Wasser schäumte von den Seiten herein. Einen Moment lang ragte nur der Mast mit den zum Zerreißen gespannten Segeln aus der schäumenden Flut. Mit schleifendem Knirschen rannte der Bootsboden auf die Sandbank. Kat kreischte auf. Eine haushohe Welle wälzte sich von hinten heran, ergriff die Jolle, schleuderte sie herum und hob sie über die Sandbank. Ich zerrte mit aller Kraft an der Ruderpinne. Das trudelnde Boot richtete den Bug zum Strand.

Dreihundert Fuß noch! Das Deck war bis zum Bordrand vollgelaufen, aber die Jolle trieb weiter in Richtung Ufer. Kat und Lyana klammerten sich triefend nass an den Bordrand. Sven hielt sich am Mast und richtete die Fock aus. Hinter uns zuckten Blitze über den schwarzen Himmel.

Vor dem Strand türmten sich übermannshohe Brecher. Als wir auf die erste Reihe der Brecher trafen, ließen wir die Segel fallen. Wasser schäumte, gurgelte um uns, über uns, dann knirschte der Kiel im Sand. Sven und ich sprangen aus dem Boot.

„Raus aus dem Boot, an den Strand!“ schrie ich den Frauen zu.

Sie sprangen ins zum Meer zurückflutende Wasser. Hinter uns türmte sich haushoch der nächste Brecher. Doch statt um ihr Leben zu rennen, packten Lyana und Kat genau wie Sven und ich die Jolle am Bordrand, um sie mit dem nächsten Brecher zum Ufer zu zerren.

Der Brecher war über uns. Oben, unten, zu allen Seiten Wasser. Das Boot wurde von der Flut angehoben und wollte zurück ins Meer. Ich hielt den Atem an, presste die Augen zu und zerrte das störrische Schiff dem Ufer entgegen. Drei Brecher später hatten wir die Jolle halb auf dem regengepeitschten Strand. Weiter reichten unsere Kräfte nicht. Sven kletterte ins Boot und warf den Frauen ein Ersatzsegel als Regenschutz zu. Dann warf er beide Anker über Bord und schleppte sie in die Dünen. Ich löste Taljen und Wanten und hob den Mast aus der Verankerung, um Mast, Spieren, Segel und Rigg auf den Strand zu schleifen. Blitze schlugen krachend in die Dünen, der Sturm brüllte. Der Wolkenbruch verwandelte den Sandstrand in einem Sumpf.

Steifgefroren und benommen vor Erschöpfung torkelte ich über die Düne, hinter der Kat und Lyana mit der Segelbahn verschwunden waren. Auf dem landseitigen Dünenhang hatten sie das Segel ausgebreitet. Sturzbäche strömten mir um die Füße, während ich zu ihnen unter die Plane kroch. Wir hockten uns dicht aneinander. Regengüsse trommelten auf die Plane. Wir knieten in strömendem Wasser. Kurze Zeit später kam Sven unter die Plane gekrochen.

Donner krachte und über die Düne heulte der Sturm. Stockfinstere Schwärze umgab uns, in kurzer Folge von gleißenden Blitzen unterbrochen.

„Hab ich das vorhin richtig verstanden, Leif,“ rief Kat in das Sturmbrausen zwischen zwei Donnerschlägen hinein, „du willst in deinem Leben kein Boot mehr betreten, wenn wir heil an Land kommen?“

„Och... also... da musst du dich verhört haben,“ stotterte ich. „Seeleute rufen so manches, wenn sie in einen Sturm geraten.“

Nach einer Weile meinte Kat: „Diesmal war es gefährlich, oder?“

***

Stunden später ließ der Sturm nach. Der Donner entfernte sich. Immer seltener zuckten Blitze. Unablässig prasselte der Regen auf die durchweichte Segelbahn, die wir mit Köpfen und Schultern über uns hielten. Wir saßen in knöcheltiefem, von Rinnsalen durchflossenem Schlamm. Lyana hatte die Idee, eine Hälfte der Plane unter uns auszubreiten und uns mit der anderen Hälfte von oben gegen den Regen zu schützen.

Den Rest des Tages und die Nacht verbrachten wir aneinandergelehnt unter der vom Regen triefenden Plane. Mein Rücken und meine Glieder schmerzten, ich schauderte vor Nässe und Kälte, zwischen jemandes hartem Ellenbogen und Svens Schulter vergeblich nach einer bequemen Position suchend. Svens Kopf rollte alle paar Augenblicke gegen meinen. Wieder und wieder zischte Lyana mir zu, ich solle mein Knie bei mir lassen.

„Abenteurer sein macht irre Spaß,“ murmelte ich.

Niemand antwortete mir.

Ich wachte aus einer schlafähnlichen Betäubung auf, als Lyana sich reckte, um unter der Plane hervorzukriechen. Diesiges Morgenlicht sickerte unter dem Rand der Segelbahn hindurch. Ich kroch Lyana nach ins Freie. Der Regen hatte aufgehört bis auf ein feines Nieseln. Nebeldunst stieg aus den Dünen. Der Boden war schlammig. Der Wind hatte nachgelassen, doch es war empfindlich kalt. Auch Sven und Kat krochen unter der Segelplane hervor und blinzelten mit übernächtigten, missmutigen Gesichtern in die Landschaft.

„Nicht zu glauben, dass es irgendwo in der Welt warme, trockene Plätze gibt,“ brummte ich.

„Und Gasthöfe mit Kaminfeuer und warmem Essen!“ bemerkte Sven.

Lyana klopfte sich mit den Händen den Körper ab, um warm zu werden.

„Mein Vater hat mir beigebracht, die Füße in eiskaltes Wasser zu tauchen und dann trocken zu reiben, wenn man von der Nacht durchgefroren ist,“ sagte sie. „Danach wird einem warm.“

Sven schaute mürrisch. „Na, viel Spaß dann auch,“ knurrte er.

„Erst mal was Trockenes haben zum Abtrocknen,“ meinte ich.

„Unsere Decken im Boot sind trocken geblieben,“ erinnerte sich Kat.

Das Boot!

Ich rannte die Düne hinauf und blickte hinunter zum Strand. Die Jolle war weg.

Sven war mir nachgekommen und blickte auf die graue, regenverschleierte See. Kat und Lyana kamen hinterher.

„Dort!“ Sven zeigte auf die Sandbank draußen im Meer.

Auf der Sandbank lag unser Boot. Die Jolle war auf die Seite gekippt, aber anscheinend unbeschädigt.

„Oh verdammte Scheiße!“ murmelte ich. „Da kommen wir nicht mehr ran.“

Sven sah mich wütend an. „Das kommt von deinen dämlichen Schwüren!“

„Nein,“ blaffte ich zurück, „das kommt, weil du die Anker nicht richtig festgemacht hast!“

„Haltet den Mund!“ befahl Lyana. „Wieso kommen wir da nicht mehr ran?“

„Das Wasser vor der Sandbank ist zu tief, da kommen wir unmöglich hinüber,“ erklärte ich ihr.

„Wieso nicht?“ rief Lyana. „Wir schwimmen!“

Sie lief mit großen Schritten die Düne hinunter zum Strand.

„Wir... was?“

Fassungslos rannten Sven, Kat und ich ihr hinterher. Lyana streifte sich im Laufen das Lederwams über den Kopf und warf es auf den Strand.

„Lyana, das Wasser ist eiskalt, schau dir die Wellen an, das geht nicht!“ schrie Sven ihr hinterher.

Lyana lief bis zu der unregelmäßigen Linie aus schaumigem Seetang, den die Wellen an den Stand spülten. Rasch zog sie die Stiefel von den Füßen und zog Hose und Hemd aus. Splitternackt watete sie ins Wasser.

„Lyana, das ist Selbstmord!“ schrie Sven. „Bei der Kälte bist du in ein paar Atemzügen erfroren! Das hat keinen Sinn!“

Lyana stand bis zum Bauchnabel in den Wellen. Jetzt legte sie sich bäuchlings ins Meer und kraulte in die See hinaus.

„Oh ihr Höllenhunde, sie ist wahnsinnig!“ murmelte Sven.

Er riss sich Regenüberwurf, Hemd und Schuhe herunter und watete ihr nur mit der Hose auf dem Leib ins Wasser hinterher. Draußen zwischen der Sandbank und dem Strand sahen wir Lyanas Kopf zwischen den Wellen auftauchen und verschwinden. Immer weiter entfernte sie sich vom Ufer.

„Lyana, komm zurück,“ rief Sven ihr nach.

Er ging weiter in die See hinein, doch als das Wasser ihm bis zur Brust reichte und die Wellen ihm ins Gesicht zu schlagen begannen, kehrte er um. Zitternd rieb er sich mit seinem nassen Hemd ab.

„Das schafft sie nie,“ keuchte er.

„Und selbst wenn,“ murmelte ich, „allein bekommt sie das Schiff nicht flott, geschweige denn, es ans Ufer zu rudern. Das hat überhaupt keinen Sinn.“

Wie gelähmt beobachteten wir, wie Lyanas Kopf in den Wellen auftauchte und wieder verschwand. Endlich hatte sie die Sandbank erreicht. Sie kletterte in die auf der Seite liegende Jolle. Kurz darauf kam sie wieder hervor und stürzte sich erneut in die See. Dann war nichts mehr von ihr zu sehen.

„Das war's,“ flüsterte Sven.

Und dann brüllte er: „Oh verdammte, höllenverfluchte Scheiße!“

Voller Entsetzen blickten wir aufs Meer hinaus. Wir konnten den Blick nicht von den grauen Wellen zwischen der Sandbank und dem Ufer lösen.

„Lyana,“ schrie Kat aus voller Kehle. „Lyana!“

Endlich tauchte ihr Kopf einen Steinwurf vom Ufer entfernt zwischen den Brechern auf. In langen Zügen durchschwamm sie die Wellentäler. Sie tauchte durch die Wellen hindurch.

Kat weinte vor Erleichterung. Sven und ich sahen atemlos zu, wie Lyana vor dem Stand aus einem schäumenden Brecher stieg. Nackt und blaugefroren kam sie uns entgegen. Um ihre Hüfte hatte sie eine Ankerleine geknotet.

„Jetzt seid ihr dran, Männer.“

Wasser rann über ihre Haut, als sie uns vor Kälte schlotternd die Leine reichte.

„Ich muss mir was anziehen und zusehen, dass ich warm werde.“

Während Lyana ihre Lederkleidung überstreifte, zerrten Sven, Kat und ich unter Aufgebot all unserer Kräfte die Jolle von der Sandbank und holten sie ans Ufer. Schiffsrumpf und Deck waren unbeschädigt. Ich setzte mich in den Sand und rang nach Luft. Mir war schwindlig vor Anstrengung. Vor mir sprang Lyana auf dem Strand auf und ab.

Kat erholte sich als erste.

„Wie wär's mit Frühstück?“

***

In den nächsten Tagen blieb das Wetter beständig. Der steife Wind kam überwiegend aus westlicher Richtung. Wir kamen gut voran. Immer wieder zogen Regenschauer über die See. Die Sonne blieb hinter einer grauen Wolkendecke verborgen.

Die Nächte verbrachten wir in den Dünen hinter dem sandigen Ufer. Sven gelang es bei jedem Wetter, ein prasselndes Lagerfeuer zu entfachen. Selbst im strömenden Regen brachte er im nassen, dampfenden Holz eine zischende Flamme zustande. Er sprach mit dem Feuer. Er befahl ihm, zu brennen, und das Feuer gehorchte ihm.

Wir rückten dicht an die Flammen, trockneten die klamme Kleidung am Körper. Kat achtete darauf, nicht zu nahe bei Sven oder mir zu sitzen. Wenn Sven sich neben sie setzte, stand sie auf und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite des Feuers. War die Glut niedergebrannt, holte Lyana ihre Flöte hervor und spielte wehmütige Melodien in die Nacht hinaus. Die sanften Klänge ihrer Flöte waren schöner als alle Musik, die ich je gehört hatte.

Unsere Vorräte gingen zur Neige, als wir am Abend des sechsten Tages nach dem überstürzten Aufbruch aus Torglund die grauen Umrisse einer Steilküste in der Ferne ausmachten. Sie löste die eintönige Dünenlandschaft der vergangenen Tage ab.

Tags darauf segelten wir an einer bleichen Steilküste entlang. An vielen Stellen waren Grasnarben und Erdreich in die See gerutscht und hatten tiefe Täler in der Küstenlinie hinterlassen. Regen und Nebel beschränkten unsere Sicht auf wenige Meilen. Gegen Mittag sichteten wir einen Einschnitt in der Steilküste. Dahinter wurde die Küste höher. Im Nebel ragten dunkle Baumsilhouetten über den Rand der Klippe. Im hinteren Teil der Bucht lag ein halbes Dutzend Boote an einem kleinen Sandstrand. Ein hölzerner Steg führte vom Ufer ins Wasser. Kisten und Reusen lagen am Strand aufgestapelt. Eine steile, in den Fels gehauene Stiege führte zur Küste hinauf. Es war das erste Anzeichen einer Siedlung, seit wir Torglund verlassen hatten.

„Das muss Lüdersdorf sein!“ rief ich.

„Und da vorne - “ Lyana zeigte die Küstenlinie hinauf, „ - ist das vielleicht die Burg, von der ihr gesprochen habt?“

In der Ferne, wo die Sicht sich in treibenden Nebelfetzen verlor, ragte auf einer Felsnadel einen Steinwurf vor der Küste ein massiger Turm aus dem Nebel. Rings um das vorletzte Stockwerk verlief eine Zinne. Ich hatte den Eindruck, vom Dach des obersten Stockwerks her bläuliches Flackern wahrzunehmen. Aber vielleicht täuschten mich die Nebelschwaden, die geisterhaft um die klobige Rundburg trieben.

„Dwarfencast,“ murmelte Sven.

„Sieht nicht sehr einladend aus,“ kommentierte Kat.

„Ach was,“ rief ich, „klar machen zur Einfahrt in die Bucht. Leute, wir sind da!“

***

Unser Anlegemanöver wurde von zwei alten Männern beobachtet, die bei den Reusen beschäftigt waren. Sven und ich ruderten die Jolle in die Bucht. Die Frauen legten die Segel zusammen. Die beiden Alten kamen an den Steg und schauten Pfeife rauchend zu, wie wir das Boot festmachten. Sie trugen löchrige, ausgeblichene Hosen und Hemden. Ihre runzligen Gesichter waren von ungekämmten Haaren und Bärten umgeben. Wir luden unser Reisegepäck aus - Rucksack, Ledertaschen, Seesäcke, Waffen und Decken.

Sven stieg auf den Steg und streckte sich. „Endlich! Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich die Segelei satt habe!“

Er wandte sich an die beiden Alten am Ufer. „Den Sternen zum Gruß! Gibt's hier in der Gegend ein vernünftiges Gasthaus?“

Die beiden ließen ihre Pfeifen qualmen und betrachteten uns, unser Gepäck und das kleine Segelboot voller Misstrauen.

„Habt in dem Sturm vor ein paar Tagen wohl die Orientierung verloren?“ knurrte der eine.

Kat band ihre Decke oben auf ihren Rucksack, schnallte ihr Schwert um, schulterte den Rucksack und kam den Steg herunter zum Ufer.

„Ist das hier nicht Lüdersdorf?“

„Schon,“ murmelte der Alte mit der Pfeife im Mund. „Hier gibt es weit und breit keine andere Siedlung als Lüdersdorf.“

Der andere Fischer fragte: „Habt ihr Verwandte hier oder kennt ihr jemandem im Dorf?“

„Eigentlich nicht,“ antwortete Kat. „Wir wollen zum Rittergut Dwarfencast.“

Der Fischer nahm kopfschüttelnd die Pfeife aus seinem zahnlosen Mund. „Da wollt ihr nicht hin - da wollt ihr ganz bestimmt nicht hin.“

„Wieso nicht?“ fragte Kat.

Der Alte guckte sie mit zusammengekniffenen Augen an.

„Ich weiß nichts von Dwarfencast,“ knurrte er in warnendem Tonfall. „Ich weiß auch nichts über den Herrn von Dwarfencast und ich weiß nichts über seine entsetzlichen Experimente. Und weil ich nichts weiß,“ fügte er grimmig hinzu, „brauchst du mich auch nichts darüber zu fragen!“

Währenddessen trug Sven Seesäcke, Decken und Waffen den Steg herunter. Lyana und ich nahmen Mast und Takelage ab und verstauten das Rigg im Boot.

„Und wo ist das Gasthaus?“ rief Sven den beiden Alten zu.

Der zahnlose Fischer schüttelte den Kopf. „Das nächste Einkehrhaus mit Bewirtung ist in Torglund. Das sind fünf Segeltage von hier bei gutem Wetter. Aber das Wetter ist jetzt nicht gut.“

Sven stöhnte auf. „Da kommen wir gerade her!“

„Na,“ brummte der andere Alte, „bei Stolka oben im Dorf gibt's eigentlich immer einen heißen Grog. Wenn ihr Glück habt, hat sie auch noch was Warmes zu essen übrig. Versucht es halt. Stolkas Hütte ist die mit den Bänken davor.“

Lyana und ich zogen die Jolle auf den Strand neben die Fischerboote. Die beiden Alten schauten uns mit zusammengekniffenen Augen nach, während wir in unsere Regenumhänge gehüllt die Steilküste hinaufstiegen.

Oben fuhr kalter Wind durch unsere Kleider. Ein schlammiger Weg wand sich zwischen strohgedeckten Hütten hindurch. Unter den Dächern sickerte der Qualm der Herdfeuer hervor. Links vom Dorf führte eine Anhöhe auf einen dichten Laubwald. In den braun und gelb verfärbten Baumkronen rauschte der Regen. Zu den anderen Seiten war Lüdersdorf umgeben von öder grasbewachsener Ebene, in der keinerlei Zeichen menschlicher Bebauung zu erkennen waren.

Das Dorf sah verlassen aus. Die Strohdächer dampften im Regen. Irgendwo bellte ein Hund, als wir zwischen die Hütten traten. Vor einer stand eine grobe Holzbank. Sie war nass und verfault.

„Willkommen bei Stolkas Wirtsstube,“ murmelte Sven verdrießlich.

„Bis nach Dwarfencast sind es noch ein paar Stunden Fußmarsch,“ meinte Kat. „Ich könnt' vorher einen heißen Grog vertragen.“

„Versuchen wir's.“ Ich stapfte durch den Schlamm zur niedrigen Hüttentür.

Eine gedämpfte Stimme antwortete von drinnen auf mein Klopfen. Die Tür klemmte. Sie knarrte, als ich sie aufschob. Wärme schlug mir entgegen. Hinter der Tür lag ein niedriger Raum mit einem in den Lehmboden eingelassenen Herdfeuer. Ein Kessel hing über dem Feuer. Beim Herdfeuer stand eine kleine füllige Frau mit strähnigem Haar und kräftigen Armen und hantierte mit Küchengerät. Den restlichen Raum nahmen drei einfache Tische mit Bänken ein. Kienspäne brannten auf den Tischen zur Beleuchtung. Am hintersten Tisch saßen drei Männer, der Kleidung nach zu urteilen Fischer aus dem Dorf. Sie hatten dampfende Tonbecher vor sich und rauchten ihre Pfeifen. Der Qualm des Herdfeuers zog unter der aus Rundhölzern gefertigten Decke entlang und suchte sich durch den Spalt zwischen Wand, Decke und dem überhängenden Strohdach einen Weg nach draußen.

Die Frau an der Herdstelle starrte uns schweigend an, als wir gebückt durch die niedrige Tür hereinkamen. Unschlüssig standen wir im Raum, in unsere Regenumhänge gehüllt, Rucksäcke und Taschen auf dem Rücken, mit schlammigen Schuhen und Stiefeln, die Waffen an den Gürteln. Wasser troff aus unseren Überwürfen und bildete eine Pfütze am Boden. Eine Weile lang sagte niemand etwas.

Endlich redete Kat die Frau an. „Den Sternen zum Gruß. Kann man bei dir einen heißen Grog bekommen?“

„Und was Warmes zu essen!“ forderte Sven.

„Tja, es gibt aber nur Fischsuppe,“ antwortete die Frau.

Sie hatte eine raue Stimme.

„Ganz egal was,“ rief Sven, während er den Seesack an der Wand abstellte und sich den Regenüberwurf abstreifte, „so lange es keine Salzheringe und keine Äpfel sind!“

Wir zwängten uns auf eine Bank. Die Frau füllte dampfendes Getränk aus einem Kessel in Tonbecher und brachte die Becher an den Tisch.

„Das kostet drei Kreuzer für Suppe und Brot und einen Kreuzer für jeden Grog!“ sagte sie mit fester Stimme.

Dennoch zitterten ihre Hände, als sie die Becher auf den Tisch stellte. Sie musterte uns unsicher.

„In Ordnung,“ meinte Lyana.

Sie holte die Geldbörse hervor, die sie seit Torglund bei sich trug, knüpfte sie auf und spähte hinein. Die Frau beobachtete sie misstrauisch.

„Oh,“ murmelte Lyana. „Damit kann ich nicht bezahlen.“

Ich erhaschte einen Blick auf den Inhalt des Lederbeutels. Es waren lauter Goldtaler.

„Ich mach' das schon,“ sagte ich und holte Mutters Säckchen hervor.

Als ich es öffnete, zog ich ein langes Gesicht. Es waren nur Silberlinge darin, keine einzige kleinere Münze.

Der Gesichtsausdruck der Wirtin schwankte zwischen Ärger und Furcht. „Was? Könnt nicht bezahlen, oder?“

Ich warf einen Silberling auf den Tisch. „Kannst du das wechseln?“

Die Fischer in der Ecke machten lange Hälse. Die Wirtin wurde bleich.

„So viel Geld hat keiner hier im Dorf,“ murmelte sie. „Gar keiner. Selbst wenn sie alle zusammenlegen nicht.“ Zögernd blickte sie auf. „Ich kann Tronden bitten, euch ein Schwein zu schlachten. Seine Sau hat vor zwei Monaten Ferkel geworfen. Das kann ich euch am Spieß braten, wenn ihr wollt.“

„Ein Huhn reicht völlig aus,“ meinte ich. „Wir wollen heute noch weiter. Nimm den Silberling!“

„Zwei Hühner! Über dem Feuer gegrillt.“ bestimmte Kat. „Wir haben seit Tagen nichts Ordentliches zu essen gehabt.“

„Und bis die Hühner fertig sind, nehmen wir Suppe und Brot,“ rief Sven. „Und schenk' noch Grog nach!“

Er hatte seinen Becher schon ausgetrunken.

Wir aßen, als hätten wir monatelang gehungert. Ein mageres Mädchen mit verängstigtem Gesicht und dunklen Ringen unter den Augen brachte einen Topf mit Schmalz und ein Schälchen Salz zu dem frisch gebackenen Brot.

„Deine Suppe schmeckt köstlich,“ rief Sven der Wirtin mit vollem Mund zu.

Er hatte bereits den dritten Becher Grog geleert. Über dem Herdfeuer grillten die Hühner am Spieß. Fett tropfte in die Glut und der Raum füllte sich mit Bratenduft. Ich leerte meinen Holzteller Suppe und lehnte mich an die Wand. In der Wärme der Schankstube trockneten meine klammen Kleider nach und nach. Der heiße Grog brannte mir im Leib.

Die drei Fischer in der Ecke, zwei bärtige Alte und ein junger Mann, beobachteten uns schweigend.

„Sagt mal,“ sprach ich die drei an, „könnt ihr uns sagen, welches der kürzeste Weg nach Dwarfencast ist?“

Die Alten blickten mich stirnrunzelnd an.

„Da wollt ihr doch nicht etwa hin?“ fragte der Jüngere.

Kat sah von ihrem Essen auf. „Was ist denn mit der Burg, dass alle so geheimnisvoll darum tun? Warum sollen wir da nicht hingehen wollen?“

„Niemand will da hingehen,“ sagte einer der Alten mit rauchiger Stimme. „Freiwillig schon gar nicht.“

„Was ist denn da, auf Dwarfencast?“ bohrte Kat weiter.

Aber der Alte brummte nur: „Werdet schon sehen. Was sollen wir uns in eure Angelegenheiten einmischen.“

Der junge Mann drehte sich zu uns um. „Der Wald auf der Nordseite vom Dorf ist nicht geheuer,“ raunte er. „Menschen verlaufen sich dort und tauchen nie wieder auf. Vor ein paar Wochen ist Bedlars Sohn dort verschwunden. Er sagte, er hätte im Wald ein Mädchen getroffen, die wollte er wiedersehen. Seither hat ihn niemand mehr gesehen.“

„Vielleicht haben ihn Wölfe angefallen?“ überlegte ich.

„Den hat was Schlimmeres gefressen als Wölfe,“ murmelte einer der Alten grimmig.

Lyana lachte auf. „Man wird doch nicht von Wölfen gefressen, nur weil man im Wald unterwegs ist.“

Anderthalb Stunden und etliche Grogs später hatten wir die Grillhühner verzehrt. Satt und benommen von der rauchigen Wärme döste ich mit halb geschlossenen Augen auf der Bank. Neben mir lehnte Sven mit dem Kopf an der Wand und schnarchte mit offenem Mund. Lyana und Kat unterhielten sich leise.

„So Leute!“ Kat schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Machen wir, dass wir loskommen. Wir wollen vor Einbruch der Nacht bei der Burg sein.“

Ich reckte mich und rieb mir das Gesicht.

Hinter der Hand verbarg ich ein Gähnen. „Na komm, Sven. Bringen wir die letzten Meilen hinter uns.“

Sven schnarchte.

„Verdammt,“ schimpfte Kat. „Sven, wach auf, du versoffener Küstenpirat!“

Sven machte keine Anstalten, aufzuwachen. Kat stand wütend auf. Sie ging an der überraschten Wirtin vorbei, griff sich einen Kübel mit Putzwasser und schüttete Sven den Inhalt über den Kopf.

„Aufwachen!“ befahl sie.

Sven fuhr schreiend hoch und ruderte mit den Armen.

„Sandbank!“ brüllte er.

„Bist du endlich wach, du Rindvieh?“ herrschte Kat ihn an. „Steh auf! Wir gehen weiter!“

Verständnislos sah Sven sich um. „Was? - weiter? - wieso weiter?“

Ich stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. „Komm schon. Heute Abend sind wir in Dwarfencast!“

Dwarfencast

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