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3.
ОглавлениеAm folgenden Abend kehrte der Burgherr zurück. Wir saßen beim Abendessen. Sven, der den Tag über in der Schmiede gearbeitet hatte, erzählte eine alte Rittersage. Es ging um magische Waffen. Nebenbei schlürfte er seine Suppe. Kat saß neben mir und rollte mit den Augen beim Anhören heroischer Taten aus vergangenen Zeiten. Sven tat so, als bemerkte er es nicht und wenn Kat vernehmlich seufzte, redete er lauter. Hin und wieder blickte er zu Kat und mir herüber, und wenn er meinte, Kat bekäme es nicht mit, nickte er mir versöhnlich zu. Ich wusste, dass er litt. Aber sein Stolz verbot ihm, sich etwas anmerken zu lassen. Lyana saß zwischen Kat und Sven. Sie hörte seiner Erzählung zu. Ihre Miene zeigte keine Regung, wie so häufig.
Als das Hornsignal vor dem Turm ertönte, blickte ich in die Runde. „Gehen wir runter und begrüßen unseren Dienstherrn?“
Kat schüttelte den Kopf. „Er hat es ja ohnehin nicht so mit Begrüßungszeremonien. Da müssen wir nicht gerade während dem Essen aufspringen. Er wird sowieso hier durchkommen, wenn er nach oben geht.“
Mit mulmigem Gefühl blieb ich sitzen und löffelte meine Fischsuppe. Sie schmeckte vorzüglich, aber ich konnte mich nicht mehr auf das Essen konzentrieren. Auch Sven, Kat und Lyana schienen zu lauschen.
Es dauerte nicht lange, bis die Treppentür zum Erdgeschoss aufflog und der Burgherr im Kettenhemd hereinpolterte. Er stiefelte zum Tisch, zerrte sich den Helm vom Kopf und warf ihn auf die Tischplatte. Dann schnallte er den Zweihänder vom Rücken, lehnte ihn gegen den Tisch und warf sich auf einen Stuhl. Der Stuhl ächzte.
„Ahh,“ stöhnte Zosimo.
Wir sahen ihn aufmerksam an, bereit, aufzuspringen, um uns zu verbeugen, aber noch würdigte er uns keines Blicks. Er beugte sich über den Tisch und langte nach dem nächsten Bierhumpen. Es war meiner. Der Zwerg setzte ihn an die Lippen und trank ihn in einem Zug aus. Bierschaum rann ihm in den Bart.
„Smut,“ schrie er, während er sich den Schaum vom Mund wischte. „Smut! Bei allen Höllendämonen, du fauler Ochse, warum hast du nicht für mich eingedeckt? Ich hab gesagt, ich bin zum Abend wieder da!“
Ein dienernder Smut erschien und stellte ein silbernes Gedeck vor den Schweiß ausdünstenden Krieger.
„Sehr wohl, Herr, bitte sehr,“ stotterte er.
Zosimo zog laut durch die Nase hoch, dann hob er den Deckel der Fischterrine an. „Was ist denn das für ein Fraß! Gibt es nichts Anständiges zu essen mehr in dieser Burg?“
Smut wand sich unter wiederholten Verbeugungen.
„Mach uns augenblicklich was Ordentliches, du fauler Sack!“ brüllte Zosimo.
Der Koch murmelte etwas Unverständliches und verschwand aus dem Saal.
„Und bring Wein, hörst du? Bier zum Abendessen - wo gibt's denn so was?“ schrie Zosimo ihm hinterher.
Sobald Smut zur Tür hinaus war, langte Zosimo nach der Suppenkelle und schüttete sich eine große Portion Fischsuppe auf den Teller. Schlürfend löffelte er die Suppe, riss sich Weißbrot ab und kaute schnaufend mit halb geschlossenen Augen. Wir wechselten verstohlene Blicke. Wie verhielt man sich einem solchen Dienstherrn gegenüber? Sven nahm als erster seinen Löffel in die Hand und aß weiter. Nach einigen Augenblicken taten wir es ihm nach. Smut kam mit einer Weinkaraffe und schenkte Zosimo Wein in einen silbernen Becher. Für uns stellte er Zinnbecher auf den Tisch. Wortlos verschwand er wieder. Nach kurzer Zeit schob Zosimo rülpsend den leeren Teller weg und lehnte sich zurück. Zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, blickte er uns an. Wir hörten auf, zu essen und erwiderten seinen Blick schweigend.
„Marduk!“
Wir sahen ihn abwartend an.
„Die heilige Tempelstadt Marduk! Der Tempel, in dem bis vor zweitausend Jahren der heilige Gral aufbewahrt wurde, bevor die Seefahrer ihn raubten. Ihr habt ihn wiederentdeckt!“
Kat senkte den Kopf in einer angedeuteten Verbeugung. „Es freut uns, wenn wir Euch und Eurem Volk einen Dienst erwiesen haben.“
„Das habt ihr! Prinzregent Helgrim wird uns mit höchsten Ehren überhäufen, wenn er davon erfährt! Das heilige Marduk! Nicht allein, dass wir den Gral wiederhaben – so gut wie, jedenfalls - und ich das Weisheitselixier herstellen kann, nach dem meine Vorväter jahrhundertelang gesucht haben, auch unser heiligster Kultort ist wiederentdeckt! Ihr habt keine Ahnung, was das bedeutet! Der Segen Grugnis, des Prinzregenten und aller Fürsten Karrakadars - mich eingeschlossen - ist euch gewiss!“
„Und sicherlich,“ antwortete Kat, „wird auch unser Lohn entsprechend ausfallen.“
„Da könnt ihr absolut sicher sein,“ knurrte der Burgherr. „Die Zwergenvölker werden sich einen und Karrakadar wird zu neuer Blüte erstehen. Ihr werdet dabei nicht vergessen werden.“
„Vorerst würde uns das vereinbarte Silber genügen,“ sagte Kat höflich.
Der Zwerg warf ihr einen feindseligen Blick zu.
„Ja, ja!“ grollte er.
Eine Pause unangenehmen Schweigens folgte. Kat blickte den Zwerg wütend an.
„Darf ich Euch eine Frage stellen?“ warf ich ein.
Zosimo knurrte: „Nämlich?“
„In der zerstörten Tempelstadt haben wir ein magisches Tor gefunden, das den Angriffen der Feinde standgehalten hat...“
Zosimo nickte. „Die magische Pforte zum Allerheiligsten. Sie öffnet sich nur dem rechtmäßigen König Karrakadars, dem Gralsträger. In den Hallen hinter diesem Tor wurde die Gralsmagie gewirkt, auf der die Macht der Könige Karrakadars beruhte.“
„Warum haben die Zwerge damals den Gral nicht hinter dem Tor verborgen?“ wollte Sven wissen.
„Der Gral wurde dem Heer in Kriegszeiten voran getragen. War das Königreich in Gefahr, wirkte der Karrak nicht im Verborgenen. Er übte seine Macht allem Volk sichtbar aus.“
„Vorhin,“ bemerkte Lyana, „habt Ihr von Eurem Prinzregenten gesprochen. Euer Reich hat keinen König?“
„So ist es,“ brummte Zosimo. „Prinzregent Helgrim aus dem Geschlecht der Taskarro konnte bis zum heutigen Tage nicht gekrönt werden. Für die Krönungszeremonie ist der Karrak vonnöten. Wenn Helgrim durch die Magie des heiligen Karraks als rechtmäßiger Thronfolger bestätigt sein wird - zwar nicht in der alten Königsfeste, dem Krönungsort der Könige Karrakadars, aber Dank eurer Entdeckung im Gralstempel - dann werden alle Fürsten meines Volks sich ihm beugen. Die Zwerge werden dem Karrak folgen und dem rechtmäßigen König. Dieses Ziel zu erreichen, haben meine Väter und ich einen heiligen Eid geschworen.“
Er sah uns mit blitzenden Augen an. „...und ihr auch!“
Wütend funkelte er Kat an. „Und du faselst von schnödem Silber!“
Kat blickte dem Zwerg in die Augen. „Das eine wird dem anderen nicht im Wege stehen, Herr.“
„Ha!“ rief der Zwerg. „Edelmut und Selbstlosigkeit sind Rittertugenden!“
„Solange wir nicht in den heiligen Ritterstand erhoben sind, werden wir unser Dasein von schnödem Silber fristen müssen,“ meinte Kat.
Der Koch kam herein und stellte eine Platte mit gegrilltem Fleisch und kaltem Braten auf den Tisch.
„Bitte untertänigst zu verzeihen, Herr,“ murmelte er zwischen den Zähnen hindurch. „Die Pasteten kommen noch. Sie brauchen ihre Zeit im Ofen.“
„Pasteten!“ schnappte der Zwerg und griff sich eine Fleischscheibe mit den Fingern. „Ihr Menschen könnt alle nicht kochen! Ich möchte einmal, einmal nur wieder ein richtiges Stück Brot zwischen die Zähne bekommen. Von einem gut gesottenen Grottenmolch ganz zu schweigen!“
Der Koch zog hinter Zosimos Rücken eine unflätige Grimasse, die nur wir sehen konnten. Mit den Händen machte er eine Bewegung, als würde er ein Handtuch auswringen. Dann verließ er den Saal.
„Im Kloster las man uns eine Stelle aus dem „Buch der Historien“ vor,“ nahm ich das Gespräch wieder auf. „Dort hieß es, Gorloin, der Hohepriester des Seefahrervolks, habe sich im Gebirge im Norden beim „Auge der Weisheit“ niedergelassen. Sie glauben, zur Wintersonnenwende werde das „Licht der Weisheit“ die Welt erleuchten und alle Ungläubigen mit Feuer verbrennen. Steht tatsächlich so etwas in dem Buch geschrieben?“
Zosimo schaute mich zweifelnd an. „Hört sich nach einer Falschübersetzung an. Die Sage vom Gang Gorloins ins Gebirge ist dort allerdings geschildert.“
Kat hatte den Wortwechsel gespannt verfolgt. „Können wir die korrekte Übersetzung hören?“
Zosimo musterte uns. „Warum nicht? Kommt mit in die Bibliothek.“
Im dritten Stock folgten wir Zosimo durch die Geheimtür im Wandschrank in die Zauberkunde-Bibliothek. Der Burgherr entzündete den Leuchter vor dem Fenster. Hinter den trüben Scheiben warf der Sonnenuntergang einen roten Lichtfinger über die See bis an die Burgklippe. Im Raum war es kalt. Das Fenster klemmte seit Wochen und ließ sich nicht schließen. Das „Heilige Buch der Historien“ lag aufgeschlagen auf dem achteckigen Tisch. Vorsichtig blätterte Zosimo in den brüchigen Pergamentseiten.
Er suchte eine Weile, bis er meinte: „Hier ist die Stelle, von der ihr gesprochen habt.“
Mit zusammengekniffenen Augen buchstabierte er den Text.
„In eurer Sprache müsste es ungefähr so heißen: Gorloin, von den Menschen der Küste mit Waffengewalt geschlagen, zog sich nach Norden ins Gebirge zurück, wo er sich in der Bergfeste Kurmuk Dakar niederließ. Sie ist das älteste unserer Heiligtümer, vom edelsten der Fürstengeschlechter erbaut. Nun aber wird von Gorloins Macht vernichtet, wer sich der Feste nähert. Niemand kann ihm Auge in Auge gegenübertreten, ohne den Verstand zu verlieren und zu sterben. In Kurmuk Dakar harrt Gorloin der Zeit, zu der er die Küste erneut mit Krieg überziehen und erobern wird.“
Zosimo sah grimmig auf. „Der Fall Kurmuk Dakars, der Königsfeste, Sitz der Königsgeschlechter der Vorzeit, war eine Katastrophe, genau wie die Zerstörung Marduks. Bis heute wagt sich kein Zwerg in jene Gebirgsregion, wo den Legenden nach die alte Königsfeste liegt.“
Kat wunderte sich: „Wie kamen die Mönche darauf, im Norden befinde sich ein „Auge der Weisheit“? Im Text ist keine Rede davon. Sie haben mit einer magischen Linse danach ausgeschaut und dabei wirklich den Verstand verloren!“
Zosimo verzog den Mund. „Kurmuk Dakar bedeutet „wachsames Auge“, nicht „Auge der Weisheit“! Diese Mönche waren des Karrakadarischen offenbar nicht mächtig.“
Ich musste an das Grab auf den Geisterklippen denken. „Erinnert ihr euch an die Inschrift in Gorgons Grab? Dort hieß es, wenn der Gral ins Heiligtum zurückkehrt, wird Gorgon aus dem Grab auferstehen und mit einer Meergeborenenarmee die Küste erobern.“
„Und Gorloin wird aus den Bergen herabsteigen und an der Küste ein Reich gründen,“ ergänzte Lyana.
Zosimo blickte ärgerlich von ihr zu mir. „Was soll das heißen: „wenn der Gral ins Heiligtum zurückkehrt“? Aus dem Kulttempel der Seefahrer wollen wir ihn ja gerade herausholen!“
Keiner von uns wusste eine Antwort darauf.
Etwas anderes ging mir durch den Kopf. „Gorloin, der Hohepriester der Meergeborenen, hat vor zweitausend Jahren gelebt. Aber irgendetwas existiert dort oben im Norden.“
Sven nickte. „Ich hab's selbst gesehen, oder besser: Es hat mich gesehen. Da ist ein Auge. Ein lebendiges Auge! Und es ist kein menschliches Auge!“
Zosimo zuckte mit den Achseln. „Was auch immer dieser Gorloin in den Bergen für eine Teufelei gewirkt hat - die Ritter Karrakadars werden damit fertig werden, sobald die Macht des Grals sie vereinigt.“
Lyana und ich wechselten einen Blick. Ich fragte mich, ob der Zwerg nicht eine Riesendummheit vorhatte. Lyana nickte nachdenklich.
Kat trat einen Schritt auf den Zwerg zu. „Wenn wir morgen mit Euch den Gral aus dem verborgenen Kultraum geholt haben, dann möchten wir den Lohn für die sechs Wochen ausgezahlt bekommen, die wir in Eurem Auftrag unterwegs waren. Sechs Silberlinge für jeden!“
„Morgen?“ rief Zosimo. „So lange warten wir nicht! Es ist noch nicht einmal Mitternacht. Wir holen den Gral jetzt herauf!“
Wir starrten unseren Dienstherrn an. Vor kaum einer Stunde war er von seinem Gewaltritt zurückgekehrt. Er musste gestern und heute ohne Pause von Tagesanbruch bis zur Abenddämmerung durchgeritten sein. Und in Marduk hatte er bestimmt nicht ausgeruht, sondern die Höhlenstadt erkundet. Nicht einmal das Kettenhemd hatte er abgelegt. Erschöpfung war ihm nicht anzumerken. Die kleinen Augen in dem roten Gesicht funkelten vor Unternehmungslust.
„Was ist?“ rief er. „Wie lange wollt ihr dastehen und Löcher in die Luft gaffen? Ab Marsch! Runter ins Tempelgewölbe!“
Er nahm einen hühnereigroßen, rötlich glänzenden Edelstein von einem Samtkissen im Regal: den „Rubin der Schlange“, den wir auf den Geisterklippen entdeckt hatten.
Lyana befahl er: „Bring dein magisches Schwert!“
Wir wollten den Bibliotheksraum bereits verlassen, als er Luft holte und sich aufrichtete.
„Diese Stunde wird in die Annalen Karrakadars eingehen. Der heilige Karrak kehrt aus der Versenkung zurück! Und ich werde sein Träger sein.“
Zosimos Augen blinkten feucht, als er murmelte: „... der Meister des Gralselixiers!“
***
Vor unseren Zimmern im dritten Stock sagte Kat: „Holt eure Waffen.“
Wir gingen hintereinander die Wand entlang, um den golddurchwirkten Teppich nicht betreten zu müssen, der bis auf einen schmalen Streifen an der Wand den Boden des Zentralraums bedeckte.
Ich verzog mein Gesicht. „Waffen?“
„Sicher! Wir gehen auf jeden Fall bewaffnet da runter. Die Nacht bricht an und wir wissen nicht, was für Seegeborenen-Geisterspuk uns unten erwartet. Auf den Geisterklippen konnten wir auch nicht einfach so in Gorgons Grab hineinlatschen und den Rubin herausholen.“
Bei dem Gedanken an die tödliche Falle, die um ein Haar unser Ende gewesen wäre, wurde mir mulmig. „Das kommt jetzt ganz schön plötzlich.“
Ich war nicht darauf vorbereitet, schon wieder meine Haut zu riskieren.
Kat zuckte mit den Schultern. „Nützt ja nichts.“
Sie ging ins blaue Zimmer, gürtete Lichthüter um und band ihr Haar zu einem Zopf zusammen.
Im ersten Stock stand das abgebrochene Abendessen noch auf dem Tisch. Während wir den Saal durchquerten, kam von der anderen Seite der Koch in die Halle. Er trug ein Silbertablett mit duftenden Fleischpasteten.
„Was ist jetzt wieder los? Doch kein Festgelage mehr?“
„Stell die Pasteten ruhig hin, wir sind gleich wieder da,“ rief Kat ihm im Vorbeigehen zu. „Wir holen nur mal eben was aus dem Keller rauf.“
Mit großen Augen blickte der Koch uns nach.
Zosimo erwartete uns in der Säulenhalle im unteren Kellergeschoss. Als wir vor ihn traten, kniff er die Augen zusammen.
„Voll bewaffnet - wie zur Parade?“
Sven maß den Zwerg mit den Augen. Den Zweihänder hatte er auf den Rücken geschnallt.
„Man soll niemals irgendwo hingehen, ohne seine Waffe mitzunehmen. Das war eine der ersten Lektionen, die Ihr mich gelehrt habt, Herr.“
„So?“ Zosimo musterte zweifelnd Svens heiliges Schwert.
Kat trat einen Schritt vor. „Als wir auf den Geisterklippen im Grab des Seegeborenen-Heerführers den Rubin der Schlange und die Runentafeln entdeckten, sind wir von Untoten angegriffen worden. Möglicherweise müssen wir unten ebenfalls gegen irgendeinen Spuk kämpfen, wenn wir den Gral heraufholen wollen.“
„Da könntet ihr auch wieder recht haben,“ brummte der Zwergenkrieger.
Er ging ein paar Schritte in die Halle. „Totter,“ brüllte er. „Totter, wo steckst du?“
Im Torbogen des gegenüberliegenden Gewölbes erschien der Turmverwalter. Er hielt sich mit einer Hand am Torbogen fest. Sein graues Haar stand wirr nach allen Seiten vom Kopf ab.
„Herr?“
„Hol mir mein Schwert!“ fuhr Zosimo ihn an.
„Sehr wohl, hoher Herr, Euer Schwert,“ lallte Totter.
Er peilte den Durchgang zum Treppenhaus an, ließ den Torbogen los und wankte quer durch den Saal.
„Beeil dich!“ schrie Zosimo ihm nach.
Während er auf Totters Rückkehr wartete, stiefelte der Zwerg unruhig in der Halle auf und ab. Sein Blick fiel auf eine der Porträtbüsten in den Wandnischen zwischen den Bogendurchgängen. Er blieb stehen und betrachtete das Antlitz. Es war eindeutig zwergisch: breitgesichtig mit mächtiger Nase und kleinen Augen, die unter massigen Augenbrauen hervorlugten, Halbglatze und Vollbart.
„Orek, mein Urahn! Heute wird das Werk, das du begonnen hast, seinen Abschluss finden. Der Karrak kehrt zu seinem Volk zurück! Fünfeinhalb Jahrhunderte haben die Trismegisto danach geforscht. Die Mühen unseres Geschlechts waren nicht vergeblich. Ich kann es kaum erwarten - wo bleibt der dusslige Totter? Totter!“
Die letzten Worte brüllte er in Richtung Treppenhaus.
Es dauerte nicht lange, bis Totter in der Halle erschien. Schnaufend reichte er dem Burgherrn seinen Zweihänder. In der anderen Hand hielt er eine Arkebuse mit brennender Lunte.
„Euer Schwert, Herr,“ keuchte Totter. „Ich habe mich ebenfalls bewaffnet, für alle Fälle.“
Er warf meinen Gefährten und mir einen bösartigen Blick zu.
„Aha, sehr schön,“ knurrte Zosimo. „Du kannst hier oben an der Pforte Wache halten und herunterkommen, wenn wir dich rufen.“
„Sehr wohl, Herr,“ zischte Totter. „Wie Ihr wünscht.“
Zosimo schnallte sein Schwertgehänge auf den Rücken und marschierte zwischen Reihen von Weinfässern hindurch zu der Pforte zum vorzeitlichen Labyrinth.
„Auf zur Tat! Der Gral ruft uns!“
Zosimo nach stiegen wir die Stiege zum Zentralraum des Labyrinths hinab. Zosimos Großvater hatte ihn zum Grugnitempel umgebaut. Wie beim ersten Mal trug Zosimo den magischen Rubin mit ausgestrecktem Arm vor sich her. Der Stein leuchtete strahlend rot, als wir den Tempelraum betraten.
Kat neigte ihren Kopf an mein Ohr. „Was er wohl mit dem Rubin will? Wenn der Zentralraum gefunden ist, hat der Stein seine Aufgabe erfüllt!“
Ich musste grinsen. „Vielleicht findet er es feierlich.“
Wir stellten uns vor den steinernen Meergeborenenaltar, auf dem die Grugnistatue auf einer nachträglich aufgesetzten Marmorplatte stand. Zosimo sah sich unruhig um.
Außer Atem raunte er Lyana zu: „Los, betätige den Schlüssel!“
Lyana blickte uns fragend an. Kat und ich legten die Hände an die Schwertgriffe. Kat nickte stumm. Lyana zog Grugar aus der Scheide. Die Schwertscheide wirkte ihre Illusion. Triumphgebrüll aus den Kehlen hunderter Krieger hallte in den Gängen des Labyrinths wieder.
„Alarm!“ brüllte Zosimo.
Er riss den Zweihänder aus der Halterung und stürmte zur Tempeltür.
„Schlagt sie zurück,“ kreischte er. „Lasst sie nicht hereinkommen.“
Wir beachteten ihn nicht. Durch das abebbende Gebrüll war das schleifende Geräusch gegeneinander reibender Steinplatten zu hören. Die Grugnistatue auf dem Altar schwankte.
„Vorsicht!“ schrie Kat.
Wir sprangen zur Seite. Die Augen der Grugnistatue blitzten auf. Sven riss den Zwerg von der Tür weg. Zwei krachende Blitze schlugen ein, wo Zosimo gestanden hatte. Die Marmorplatte auf dem Altar hob sich. Die Götterstatue kippte nach vorn. Mit ohrenbetäubendem Krachen schleuderte sie Blitze gegen den Fußboden, bevor sie am Boden zerschellte. Die Marmorplatte glitt polternd hinterher und zerbrach. Steinstaub füllte die Luft. Ich wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Es roch verbrannt.
Hinter der Staubwolke um den Altar kam Totter hervor, die Büchse im Anschlag.
„Benötigt Ihr Hilfe, Herr?“
„Nein!“ keuchte Zosimo außer sich vor Wut. „Geh zurück auf deinen Posten und warte, bis du gerufen wirst!“
Totter betrachtete die Verwüstung im Tempelraum, kehrte kopfschüttelnd um und verschwand auf der Stiege.
Nach und nach legte sich der Staub. Schaler, abgestandener Geruch breitete sich aus. Die Deckplatte des Schlangenaltars war hochgeklappt und verdeckte das Innere vor unseren Blicken. Wir gingen an den Trümmern der Grugnistatue vorbei um den Altar. Er war hohl. Im blauen Licht der magischen Standleuchter sahen wir im Inneren eine Treppe steil nach unten führen.
Zosimo starrte die Stufen hinab. „Licht! Wir brauchen ein Licht!“
Ich winkte ab. „Nicht nötig.“
Kat war schneller als ich. Zosimo riss die Augen auf, als das magische Licht in ihrer Hand aufleuchtete.
„Leif, kannst du uns sagen, ob da unten Feinde sind?“
Zosimo blickte zwischen uns hin und her. „Woher will er das wissen? Wir werden nachsehen müssen.“
Ich zog mein Schwert. Es glänzte harmlos.
„Keine Feinde!“
Mit hochgezogenen Brauen betrachtete der Burgherr mein Schwert. „An euch ist mehr dran, als man auf den ersten Blick meint.“
„Klar,“ meinte Kat hochmütig. „Eigentlich sind wir unbezahlbar.“
Zosimo überhörte ihre Bemerkung. Er hob seinen Zweihänder und schwang ein Bein über den Altarrand.
„Leuchte mir,“ befahl er Kat. „Ich gehe vor.“
„Vielleicht,“ warf ich vorsichtig ein, „sollte ich zuerst gehen, Herr. Dort könnten Fallen sein.“
„Fallen?“
„Es ist eine Fähigkeit von ihm,“ erklärte Lyana. „Er erkennt Fallen, wo andere nicht mal im Traum an eine denken würden.“
Zögernd musterte Zosimo mich.
„Na gut,“ knurrte er. „Geh vor.“
Einer nach dem andern stiegen wir in den Altar und tasteten uns über die steilen Stufen abwärts. Kat hielt die Hand mit dem Licht über meine Schulter. Fallen konnte ich keine entdecken. Abgestandene Luft drang uns entgegen. Am Fuß der Treppe tat sich eine runde Steinkammer auf. Die Wand entlang zog sich ein Relief, auf dem Scharen von Kriegern mit gehörnten Helmen dargestellt waren. Sie schienen einem Schlangenungeheuer zu huldigen, dessen gewundener Leib die Hälfte des Wandreliefs einnahm. In der Mitte der Steinkammer führten Stufen auf eine kreisförmige Plattform, auf der ein vier Fuß hoher Sockel stand. Weitere Durchgänge waren nicht zu sehen.
Zosimo drängte sich hinter uns in die Kammer.
„Und?“ schnaufte er atemlos. „Wo ist der Gral?“
„Vielleicht gibt es irgendwo eine Geheimtür,“ meinte Kat.
Sie schritt das Wandrelief ab. Ihre Stiefel knirschten auf Steinschutt. Vielen Kriegergestalten waren die Gesichter abgeschlagen worden.
Kat verzog das Gesicht. „Das sieht wie ein Menschenopfer aus, was hier abgebildet ist.“
„Das ist doch gleichgültig!“ schrie Zosimo. „Wo ist der Gral?“
Ich suchte Wände, Boden und den Sockel in der Raummitte ab, dann auch die gewölbte Decke. Ich fand nichts, was auf eine Geheimtür oder einen geheimen Mechanismus hindeutete.
„Vielleicht ist der Zugang magisch verborgen,“ vermutete der Zwergenkrieger, dessen Gesicht einen immer verzweifelteren Ausdruck annahm.
Lyana schüttelte den Kopf. Sie tastete nach dem Amulett, das sie um den Hals trug. „Hier gibt es keine Magie.“
„Das kann nicht sein,“ kreischte der Zwerg. „Er muss hier sein. Reißt eure Augen auf!“
Sven blickte den über Kopfhöhe liegenden Reliefrand entlang. „Da steht doch was. Seht ihr das?“
Am Rand des Reliefs verlief eine Inschrift rings um das Gewölbe. Sie schien nachträglich eingemeißelt worden zu sein, nachdem der obere Teil des Reliefs dafür ohne Sorgfalt abgeschlagen worden war.
Kat hielt ihr Licht nahe an die Schriftzeichen. „Das ist alte Hochsprache,“ meinte sie verwundert. „Nicht der Dialekt des Meergeborenen-Volkes.“
Zosimo schritt langsam die Inschrift ab. „Ich, Fedurin der Vierte von Barhut erschlug im dreizehnten Jahr meiner Herrschaft Gorgon, den Heerführer des Meervolks. Ich zerstreute ihr Heer und brannte ihre Siedlungen mit Feuer nieder. Ich eroberte ihre heiligen Stätten und jagte sie aufs Meer hinaus. Ich nahm ihr heiliges Kultgefäß und brachte es nach Halbaru, in meine Stadt, auf dass die Küsten Barhuts nie mehr von den Meerleuten heimgesucht würden.“
Der Zwergenkrieger ließ den Zweihänder zu Boden fallen und raufte sich den Bart. „...brachte das heilige Kultgefäß nach Halbaru! Wo auch immer das liegen soll!“
Er stieß einen gellenden Wutschrei aus. Brüllend vor Zorn trampelte er auf dem Schutt herum. Wir sahen uns betroffen an. Was würde jetzt kommen?
Es kam, was ich befürchtete.
Zosimo sah uns mit Zorn sprühenden Augen an. „Was steht ihr da herum und glotzt? Beschafft mir den Gral! Findet dieses Halbaru, holt den Gral da raus und bringt ihn her! Was gafft ihr mich so an? Wozu bezahle ich euch überhaupt?“
Kat fand als erste ihre Fassung wieder.
Sie trat einen Schritt vor und machte den Ansatz einer Verbeugung. „Selbstverständlich werden wir uns auf die Suche nach dem heiligen Gral machen. Gleich nach der Schneeschmelze ziehen wir los.“
Zosimo sah aus, als müsste ihm der Kopf in Stücke zerspringen. „Nach der Schneeschmelze? Sofort zieht ihr los. Morgen mit dem ersten Tageslicht seid ihr unterwegs! Ich höre wohl nicht richtig? Habe ich euch vereidigt, damit ihr euch den Winter über bei mir vollfressen könnt? Fort mit euch, marsch! Bei Sonnenaufgang will ich euch hier nicht mehr sehen. Und wehe, ihr tretet mir ohne den Gral wieder unter die Augen!“
Er hob seine Waffe auf, drehte sich um und verschwand die Treppe hinauf.
Wir standen da und starrten dem Zwerg nach.
„Oh, ich fasse es nicht!“ stöhnte Kat.
Sie setzte sich auf die Stufen vor dem Steinsockel, auf dem der Gral vor Zeiten gestanden haben musste, und stützte den Kopf in die Hände.
„Nach allem, was wir für ihn getan haben!“ Wuttränen rannen ihr die Wangen herunter. „Und bei alldem haben wir noch keinen müden Kreuzer gesehen für unseren Dienst!“
Ich setzte mich neben sie. Lyana und Sven taten es mir nach.
„Scheiße!“ schluchzte Kat.
Sie ließ ihren Tränen freien Lauf.
Nach einer Weile meinte Sven: „Na ja, auf die Dauer wäre es hier sowieso langweilig geworden. Dann gehen wir eben auf Gralssuche.“
„Aber doch nicht morgen!“ rief Kat. „Ich muss mit dem Bogen umgehen können, wenn wir losziehen – und Lyana muss Schwertkampf beherrschen. Und überhaupt brauchen wir eine bessere Ausrüstung!“
Sven nickte bedächtig. „Im Grunde müsste ich auch noch was üben...“
„Wir müssen das nicht auf uns sitzen lassen,“ meinte ich. „Wir können hingehen und ihm unsere Bedingungen stellen. Erst einmal soll er uns den Lohn für den letzten Auftrag auszahlen und dann sehen wir weiter.“
„Genau!“ Kat sah grimmig auf. „Euch soll er Helme und Schilde mitgeben. Und ich brauche einen Bogen – einen Helm vielleicht auch, ich weiß noch nicht.“
„Mit einem Schild kann ich nichts anfangen, ich brauch' beide Hände für mein Schwert,“ meinte Sven. „Ein Kettenhemd wär' gut.“
„Ein Kettenhemd wird er dir nicht geben. So was kostet ein Vermögen.“
„Mal schauen,“ sagte Sven nachdenklich, „vielleicht doch.“
„Auf jeden Fall werden wir unseren Lohn neu verhandeln,“ rief Kat. „Wenn er uns schon vor dem Winter wieder auf Entdeckungsfahrt schicken will, dann verlangen wir mindestens das Doppelte!“
„Und wenigstens eine Woche Vorbereitungszeit, wie vor der letzten Reise auch,“ meinte Lyana.
Ich nickte. „Wir sagen ihm, wir müssen erst Nachforschungen in der Bibliothek darüber anstellen, wo dieses Halbaru liegt. Vielleicht finden wir ja irgendwelche Aufzeichnungen darüber.“
Kat sah mich herausfordernd an. „Wo Halbaru liegt? Man kann es von der Turmzinne aus sehen. Die Ruinenstadt an der Spitze der Landzunge im Norden! Da wette ich mit dir darum.“
„Selbst wenn das stimmt – nach der Sage, die Wieland erzählt hat, haben sich die Barhuter ja die Küste herauf nach Norden zurückgezogen – wir müssen ihm das ja nicht auf die Nase binden.“
„Also gut,“ Sven klatschte sich auf den Oberschenkel und stand auf. „Dann nennen wir ihm morgen unsere Bedingungen.“
Kat stand ebenfalls auf. „Morgen sollen wir nach seiner Vorstellung unterwegs sein. Wir gehen jetzt gleich zu ihm!“
***
Im Weinkeller trafen wir auf Totter. Er hatte seine Arkebuse mit gelöschter Lunte neben der Stiege abgestellt und war dabei, sich einen Schoppen Wein zu genehmigen. Er sah uns mit unverhohlener Bosheit aus glasigen Augen entgegen.
„Totter, wo ist der Burgherr? Wir müssen ihn sprechen,“ fuhr Kat ihn an.
„Der Herr hat sich zur Ruhe begeben. Er wird heute nicht mehr zu sprechen sein,“ lallte der Greis mit hämischem Grinsen.
Kat beachtete ihn nicht weiter. „Kommt,“ fauchte sie. „Dann wecken wir ihn eben!“
Auf dem Esstisch im ersten Stock standen die unangerührten Pasteten. Inzwischen dufteten sie nicht mehr. Wir durchquerten den Saal und stiegen in den zweiten Stock hinauf. Vor der Tür mit dem Burgwappen stellten wir uns auf. Sven klopfte erst leise, dann heftig. Nichts geschah. Kat drückte die Klinke herunter. Die Tür war abgeschlossen.
„Herr,“ rief ich, „Herr, wir müssen Euch sprechen!“
Ich hämmerte gegen die Tür. Keine Reaktion.
„Mist,“ murmelte Kat. „Was machen wir jetzt? Das Schloss knacken?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß, wie wir in Zosimos Schlafgemach kommen, ohne uns am Türschloss zu betätigen. Kommt!“
Ich führte die Gefährten in Zosimos Studierzimmer und von dort in den Geheimgang hinter der Wandkarte. Im Raum mit den Stellhebeln und dem Kästchen mit den magischen Kristallstäben zeigte ich ihnen die Tür zu Zosimos Schlafzimmer.
„Gut,“ sagte Kat grimmig. „Gehen wir rein und sagen ihm, wie wir uns das vorstellen. Er kann sich ja überlegen, ob er darauf eingehen will. Wenn nicht, lassen wir uns auszahlen und verschwinden!“
Leise öffneten wir die Tür und schlüpften in das dunkle Schlafgemach. Kat ließ magisches Licht aufleuchten. Die grünen Bettvorhänge waren zugezogen. Lautes Schnarchen drang dahinter hervor. Die Branntweinkaraffe auf der Anrichte war leer. Der Zinnbecher lag umgestürzt daneben. Ich stellte ihn vorsichtig wieder auf.
Hoffentlich ist er noch ansprechbar.
Ich zog die Bettvorhänge zurück. Der Zwerg lag in Kettenhemd und Stiefeln auf dem Bett.
„Zosimo!“ rief Kat laut.
Der Burgherr blinzelte verschlafen. „Was?“
„Herr Trismegisto, wir müssen mit Euch reden!“
Zosimo riss die Augen auf. Er starrte Kat an und fuhr auf.
„Was soll das?“
Er schwang die Beine aus dem Bett und sah uns entgeistert an. Sein Blick wanderte zu unseren Waffen.
„Herr, wir bitten darum, unseren Lohn ausgezahlt zu bekommen,“ sagte Kat hart.
„Und für den neuen Auftrag verlangen wir den doppelten Lohn: zwei Silberlinge pro Woche für jeden!“ ergänzte ich.
Zosimo starrte zwischen Kat und mir hin und her.
„Das ist ja wohl das Letzte!“ stieß er hervor.
Lyana warf ruhig ein: „Und wir brauchen eine bessere Ausrüstung. Einen Bogen, Pfeile, Helme und Schilde.“
„Und sieben Tage Vorbereitungszeit, bevor wir aufbrechen,“ knurrte Sven.
„Jetzt reicht's aber!“ tobte der Zwerg. „Habt ihr vielleicht noch einen Wunsch?“
Kat schürzte die Lippen und sah Sven, Lyana und mich an. „Also, wenn Ihr schon danach fragt...“
„Raus, sofort!“ donnerte Zosimo. „Was erlaubt ihr euch!“
Er sprang auf und blickte nach der Waffenkammer. Ich ging zu der kleinen Tür, schlug sie zu und stellte mich davor. Der Zwerg starrte mich mit offenem Mund an. Kat trat einen Schritt auf ihn zu, die Hand am Schwertgriff.
„Wenn Ihr nicht darauf eingehen wollt, Herr, dann zahlt uns nur unseren Lohn aus und wir gehen unserer Wege.“
Auch Sven und Lyana traten auf ihn zu.
Zosimo sah sie mit aufgerissenen Augen an.
„Verrat,“ kreischte er. „Totter! Zu Hilfe!“
Ich ging durch das Wohnzimmer und schloss die Tür zur Mittelhalle auf.
„Totter!“ brüllte ich in die Halle. „Wo steckst du? Dein Herr verlangt nach dir!“
Tatsächlich hörte ich hastige Schritte von der Treppe her. Der Kerl musste uns nachgeschlichen sein. Totter torkelte in die Halle.
„Was wünscht der Herr?“ fragte er atemlos.
Laut genug, dass Zosimo es hören konnte, sagte ich: „Der Herr verlangt nach Branntwein! Bring sofort welchen herauf!“
Dann zeigte ich auf das zur Hälfte geleerte Weinglas auf dem Wohnzimmertisch. „Und nimm das da mit! Die ganze Zeit über, die unser Herr fort war, hast du hier nicht aufgeräumt, du fauler Hund. Es ist eine Schande!“
Totter ächzte. Er murmelte irgendetwas, nahm das Weinglas und die vollen Aschenbecher vom Tisch und verschwand.
Langsam ging ich zurück ins Schlafgemach. Zosimo saß mit hängenden Armen auf dem Bett. Er sah mich vernichtet an. Kat kniete sich vor ihm auf ein Bein. Mit einem Nicken bedeutete sie uns, es ihr nachzutun. Einer nach dem anderen knieten wir uns vor unseren Dienstherrn, ein Bein aufgestellt und bereit, sofort wieder aufzuspringen.
„Herr, wir werden Euch den Gral beschaffen, unserem Schwur getreu,“ sagte Kat versöhnlich. „Aber wir brauchen Vorbereitungszeit. Für diese Aufgabe müssen wir besser gerüstet sein. Wenn wir uns Hals über Kopf in das Abenteuer stürzen und darin umkommen, habt Ihr auch nichts davon.“
„Nun ja, also gut, meinetwegen,“ knurrte der Zwerg, sichtlich erleichtert über die versöhnliche Wendung. „Aber nicht länger als sieben Tage! Dann zieht ihr los.“
„Wir werden in sieben Tagen aufbrechen,“ antwortete Kat höflich. „Für den doppelten Lohn. Schließlich hat Euch schon unsere letzte Fahrt mehr Gewinn eingebracht, als unser Auftrag lautete: immerhin ist Marduk wiederentdeckt.“
Zosimo öffnete empört den Mund. Wir standen wortlos auf, die Hände an unseren Waffen.
Er schloss den Mund wieder. Dann rang er nach Luft. „Gut, einverstanden. Zwei Silberlinge pro Woche für jeden. Wenn ihr den Gral unversehrt hierher bringt.“
Kat neigte den Kopf. „In Ordnung, Herr.“ Grimmig fügte sie hinzu: „Der Gral ist mehr wert, als alle Schätze Karrakadars!“
Zosimo brummte etwas Unverständliches. Es klopfte und Totter kam herein.
„Der Branntwein, Herr.“
„Den kann ich gebrauchen!“ rief Zosimo. „Und wo sind die Becher? Warum hast du dämliche Kröte keine Becher mitgebracht?“
Totter torkelte einen Schritt zurück. „Der Becher des Herrn steht ja auf der Anrichte.“
„So,“ schimpfte der Burgherr. „Und sollen wir alle fünf aus einem Becher trinken? Bring uns die Becher aus dem Sekretär im Wohnzimmer.“
Der Greis machte eine ungeschickte Verbeugung. „Sehr wohl, Herr.“
Totter brachte die Becher und Zosimo scheuchte ihn fort. Er goss fünf Zinnbecher randvoll mit Branntwein und reichte sie uns.
„So,“ knurrte er. „Jetzt trinken wir auf die Wiederherstellung der Macht Karrakadars. Und auf unseren Prinzregenten Helgrim von Taskarro. Und auf euch, ihr Halunken.“
Er leerte seinen Becher in einem Zug.
„Ihr seid mir schon die richtigen Teufelskerle.“
***
Wir verließen Zosimos Gemächer durch die Vordertür.
In der Halle meinte Kat: „Gehen wir noch runter in den Saal?“
Ihr Blick blieb an Sven hängen.
Er nickte. „Ein Becher Wein wäre jetzt gut.“
Im Saal machte sich Kat über die Pasteten her.
„Wollt ihr auch?“ fragte sie mit vollem Mund. „Die sind lecker.“
Sven machte Feuer in einem Kamin und entzündete einen Leuchter. Nachtwind heulte hinter den Fenstern. Ein undichter Fensterflügel klapperte. Die Kerzen des Deckenleuchters waren nahezu heruntergebrannt und flackerten verlöschend im Luftzug. Wir holten uns Wein und Pasteten und setzten uns vor den Kamin.
Kat blickte gedankenverloren ins Feuer. „Und ich hab mich so auf einen Winter am Kaminfeuer gefreut.“
Sven hob die Schultern und schaute sie an. „Vielleicht lohnt sich die Anstrengung. Wenn das wahr ist, was der Zwerg sagt, wird uns sein Prinz mit Ehren überhäufen.“
Kat sah ihm in die Augen. „Ein paar friedliche Wochen mit den Menschen, die ich liebe, wären mir wichtiger als Ruhm und Ehre.“
Sven sah auf seinen Weinbecher. Er nahm einen großen Schluck.
„Nun ja,“ murmelte er.
„Eins müsst ihr mir erklären,“ lenkte ich ab. „Wie ist König Fedurin in das Gralsgewölbe gelangt?“
Kat zuckte mit den Schultern. „Seine Magier werden ihm den Zugang geöffnet haben. Es müssen mächtige Zauberer gewesen sein. Die Seegeborenen und dieser Gorloin waren ja auch nicht von Pappe.“
„Sein Vorfahr Fedurin der Erste war Träger eines Drachentöters,“ überlegte Sven. „Vielleicht hat er den von seinen Vätern übernommen.“
„Aber er konnte ihn im Krieg nicht führen,“ wandte ich ein. „Nicht gegen Menschen.“
Eine Weile lang blickten wir schweigend in die Flammen.
Dann sagte Lyana in die Runde: „Bevor wir losziehen, möchte ich etwas mit euch besprechen. Etwas, was mir sehr wichtig ist.“
Ich sah sie an. „Nämlich was?“
Sie blickte ernst zurück. „Keine Raubzüge oder Überfälle mehr. Wir greifen niemanden an, um an irgendwelche Gegenstände zu kommen - und sei es der Gral! Wir morden nicht mehr, egal aus welchem Grund, ob für unseren Auftrag oder sonst was. Könnt ihr euch damit einverstanden erklären?“
Kat sah verbissen in die Flammen.
„Nicht wir haben sie angegriffen, sondern die Mönche haben uns überfallen und wollten uns ermorden!“ fauchte sie.
„Fangt nicht wieder damit an,“ beschwichtigte ich. „Lyana hat recht. Wenn wir nicht angegriffen werden, müssen wir auf niemanden losschlagen. Ich hab keine Lust mehr, zu rauben und zu morden, auch nicht im Namen des Herrn Zosimo Trismegisto.“
Kat sah mich wild an. „Das sagst du jetzt, weil's dir gut geht. Aber wenn wir erst so richtig im Dreck sitzen, dann überlegst du dir das nochmal!“
„Ich bin dabei,“ sagte Sven nachdrücklich. „Ich habe auf mein Schwert geschworen, keinen Menschen zu morden und denen, die es wert sind, zu Hilfe zu kommen.“
Kat blickte finster vor sich hin.
„In Ordnung,“ flüsterte sie. Säuerlich fügte sie hinzu: „Wir werden noch richtig edle Menschen werden.“
Mit einem Mal sprang Lyana auf. Stumm deutete sie in den Saal. Ich hörte ein Flüstern. Die Kerzen des Deckenleuchters erloschen. In der Schwärze erkannte ich die Umrisse einer gehörnten Gestalt. Ein Kettenhemd blinkte. Aus der unförmigen Mundhöhle drang heiseres Krächzen. Der untote Seegeborenenkrieger reckte die Hand nach Lyana aus. Seine andere Hand ruhte auf der silbrig glänzenden Axt in seinem Gürtel. Hart klingende Worte in fremder Sprache drangen uns an die Ohren. Dann verschwamm die Erscheinung, verwehte wie Nebel in der Tiefe des Saals.
Wir waren in die Höhe gefahren und starrten ins Dunkel. Es erschienen keine Geister mehr. Die Schwärze blieb undurchdringlich.
„Jetzt beginnt der Spuk sogar hier,“ flüsterte Kat. Ihr Atem flatterte. „Draußen auf den Geisterklippen - auf der Ebene von Vollmersend - in den Ahnenhügeln – und jetzt auf Dwarfencast!“
„Ihr Heiligtum befindet sich unter dem Turm,“ erinnerte Lyana.
Ich sah sie an. „Er hat mit dir gesprochen, genau wie im Grab in den Ahnenhügeln.“
Kat holte Luft. „Es muss dein Schwert sein – Grugar.“
„Was wollen sie von Lyana?“ grübelte ich. „Sie kann ihnen den Gral nicht herbeihexen – falls sie hinter dem her sind.“ Ich wandte mich an Kat. „Im Doppelgrab in den Ahnenhügeln hast du den Geist verstanden.“
Sie nickte blass. „Ich hatte mir die Schlangenohrringe aus der Amphore vor dem Kistengrab angesteckt, erinnert ihr euch? Dort, wo du deinen magischen Dolch herhast, Leif. Erst war mir, als könne ich das Meer rauschen hören. Dann erschienen die Geisterkrieger.“
„Was war es noch, was die erzählten?“ wollte Sven wissen.
„Sie haben Lyanas Schwert gegrüßt. Und sie meinten, mit ihrer Hilfe würde der Gral ins Heiligtum zurückkehren.“
„Genau das besagt die Prophezeiung in Gorgons Grab!“ rief ich.
„Und sie meinten, dann würden sie wiederkehren...“ flüsterte Kat. „Sie würden sich Frauen nehmen und Leben erlangen... Was immer das heißen soll.“ Sie unterdrückte ein Schaudern.
Sven schnaubte. „Wir lassen uns nicht bange machen. Zosimo weiß, was er tut. Die Gralsmagie wird diesem Geisterspuk ein Ende machen. Dabei helfen wir dem Zwerg.“ Er sah uns herausfordernd an. „So lautet unser Auftrag!“
Kat sah nicht überzeugt aus.
Wir warteten noch eine Weile, dann gingen wir zu unseren Zimmern hinauf. Am Kamin sitzen mochte keiner mehr.
Vor unseren Zimmern meinte Kat zu Sven: „Willst du wirklich wieder allein in deinem Zimmer schlafen?“
„Ich will in meinem Zimmer schlafen,“ entgegnete er. „Von allein war nie die Rede.“
Kat verzog das Gesicht. Sie öffnete die Tür zum blauen Zimmer. „Wie du willst. Du weißt ja, wo wir sind...“
Sven schüttelte den Kopf. „Gute Nacht, ihr zwei. Gute Nacht, Lyana.“
Dann verschwand er in seinem Zimmer.