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6.

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Es dämmerte, als wir die Wetterberge erreichten. Zwischen hohen Kiefern stiegen wir längs der Steilküste einen Berghang hinauf. Im Lauf der Jahrtausende hatte die See sich in das Gebirge hineingefressen. Schroff und steil fielen die Bergflanken zum Meer ab. Unten lagen vom Salzwasser gebleichte Baumskelette.

Der Regen hatte aufgehört, aber eisiger Wind zerrte an unserer Kleidung und ließ sie nicht trocknen. Wir hatten den Kamm der Anhöhe noch nicht erreicht, als im Bergwald über uns ein langgezogenes Heulen zu hören war. Es jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Weiter entferntes Geheul antwortete. Wir blieben stehen.

Kat blickte alarmiert in die Runde. „Was war das?“

„Wölfe,“ sagte Lyana. „Kein Grund zur Beunruhigung. Das sind scheue Tiere. Sie meiden die Menschen.“

Wir gingen weiter. Auf der anderen Seite der Bergflanke hatte sich das Meer tief in die Küste gefressen und wir stiegen die Steilküste entlang den Hang hinab bis zur nächsten Hügelflanke. Noch mehrere Male war das schauerliche Geheul in den Bergen zu hören. Manchmal antwortete ein ganzes Rudel auf einen einsamen, langgezogenen Ruf.

Gut, dass Lyana sicher ist, dass sie menschenscheu sind, dachte ich.

Aber das unheimliche Gefühl, das mich ergriffen hatte, wollte nicht vergehen.

Kat ging voraus. Jetzt blieb sie stehen und drehte sich zu uns um.

„Wie lange wollen wir noch gehen? Das Wettergebirge scheint sich noch über Meilen hinzuziehen. Heute werden wir es nicht mehr durchqueren.“

„Suchen wir uns eine windgeschützte Stelle für die Nacht,“ meinte Sven. „Für den ersten Marschtag sind wir lange genug gewandert.“

Wir stiegen von der Küste weg zu einem Felsvorsprung hinauf, der ein schmales Dach über einer Terrasse am Hang bildete. Der Platz bot wenig Schutz vor Wind und Regen, aber wir machten uns keine Hoffnung, vor Anbruch der Nacht einen besseren Unterschlupf zu finden. Wir suchten Holz zusammen und entfachten ein Lagerfeuer. Bald dampfte Lyanas Teekessel in der Glut und wir machten uns über Brot, Käse und Schinken aus unseren Vorräten her.

Klagendes Wolfsgeheul erscholl im Wald über uns.

„Ich bin eigentlich nicht gerade empfindlich,“ meinte Kat kauend. „Aber dieses Heulen finde ich schauderhaft.“

Lyana zuckte mit den Achseln. „Hier im Norden heulen sie intensiver als in den Wäldern im Süden. Vielleicht sind sie auch größer.“

„Aber genauso menschenscheu wie die Wölfe im Süden, meinst du?“ wollte Sven wissen.

„Zumindest würde ich das vermuten.“

„Das beruhigt mich jetzt nicht wirklich,“ bemerkte ich.

Als wir gegessen und Tee getrunken hatten und in Mäntel und Umhänge gehüllt an der Glut zusammenrückten, meinte ich zu Kat: „Sing doch noch mal das Lied von heute Nachmittag, das von der im Meer versunkenen Stadt. Ich hab es im Sturmwind nicht richtig gehört.“

Kat sah Sven und Lyana an. „Wollt ihr?“

Beide nickten. Kat richtete sich auf. Versonnen blickte sie in die heruntergebrannte Glut. Um uns brach die Nacht herein. Stürmischer Wind heulte in den Kronen der Kiefern. Nach einer Weile stimmte Kat das Lied an, erst leise und zaghaft, aber von Strophe zu Strophe wurde ihr Gesang sicherer. Nur bei der Strophe von der einstigen Liebe ihres Herzens zitterte ihre Stimme.

Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde

klingen Abendglocken dumpf und matt,

Uns zu geben wunderbare Kunde

von der alten Wunderstadt.

In der Fluten Schoß hinabgesunken

blieben unten ihre Trümmer stehn.

Ihre Zinnen lassen helle Funken

widerscheinend auf dem Wasser sehn.

Und der Schiffer, der den Zauberschimmer

einmal sah in hellem Abendrot,

Nach derselben Stelle schifft er immer,

ob auch rings umher die Klippe droht.

Aus des Herzens tiefem, tiefem Grunde

klingt es mir wie Glocken, dumpf und matt:

Ach, sie geben wunderbare Kunde

von der Liebe, die geliebt es hat.

Eine schöne Welt ist da versunken,

ihre Trümmer blieben unten stehn,

Lassen sich als helle Himmelsfunken

oft im Spiegel meiner Träume sehn.

Und dann möcht ich tauchen in die Tiefen,

mich versenken in den Widerschein,

Und mir ist als ob mich Himmelswesen riefen

in die alte Wunderstadt herein.“

Das Lied verklang leise und zaghaft, wie es begonnen hatte. Schweigend blickten wir in die glühende Asche. Während Kat sang, war Lyana näher zu mir gerückt und hatte ihre Schulter gegen meine gelehnt. Ich sah Tränen in ihren Augen schimmern. Auch Sven zog geräuschvoll durch die Nase hoch. Die Dunkelheit war nahe herangerückt und zwischen den schwarzen Kiefernstämmen brauste der Wind.

***

Wir saßen lange um die Aschenglut, aus der hin und wieder knisternd blaue Flammen hervorbrachen, bis die letzten Holzkohlen verbrannt waren. In der stürmischen Nacht heulten die Wölfe. Das Geheul kam nicht mehr von weit weg aus den Bergen. Auch unterhalb von uns und zu den Seiten waren die schauerlichen Stimmen zu hören.

Als keine hundert Schritt entfernt ein Wolf laut in der Dunkelheit heulte, meinte Sven: „Wir sollten noch mal Holz nachlegen und das Feuer wieder entfachen. Ich hab nicht den Eindruck, dass diese Wölfe sehr menschenscheu sind.“

Niemand widersprach ihm. In Kats und meinem magischen Licht suchten wir alles Klaubholz um unser Lager zusammen, das wir finden konnten und entzündeten das Feuer erneut. Der prasselnde Feuerschein tauchte die Umgebung in tiefe Schwärze. Lyana spannte ihren Bogen auf.

„Lasst uns abwechselnd wachen während der Nacht,“ meinte sie. „Diese Tiere verhalten sich anders als die Wolfsrudel, denen ich im Süden begegnet bin.“

Auch Kat nahm ihren Bogen und spannte ihn auf. „Sie werden wohl kaum in den Umkreis des Feuers kommen,“ überlegte sie unsicher.

Sven blickte auf das Lagerfeuer. „In ein, zwei Stunden ist das Feuer 'runtergebrannt. Mehr Holz haben wir nicht.“

Ich versuchte, das Grauen zu verdrängen, das das klagende Geheul in mir hervorrief und schnaubte: „Wir werden uns doch von so ein paar Viechern keine Angst einjagen lassen!“

Lyana starrte in die Dunkelheit hinaus. Ohne die Blickrichtung zu ändern nahm sie einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf. Ich schaute in dieselbe Richtung, und da sah ich sie. In der Schwärze außerhalb des Feuerscheins glühte ein Paar schmaler, roter Augen. Gleich daneben ein weiteres. Atemlos blickte ich um das Lager. Sie waren überall. Der Lagerplatz vor der Felswand war umschlossen von rotglühenden Augenpaaren.

„Das sind keine Wölfe,“ zischte Lyana. „Das ist was anderes!“

Vorsichtig standen wir auf. Sven riss Herodin aus der Halterung an seinem Rucksack. Der Zweihänder blitzte hell auf und für einen Moment sahen wir die Umrisse der schwarzen Wölfe zwischen den Bäumen. Die Tiere grollten kehlig und wichen ein paar Schritt zurück. Als der Lichtblitz erlosch, rückten die Augenpaare wieder an den Rand des vom Feuer erhellten Kreises heran. Ich zog mein Schwert. Es glühte blau in der Dunkelheit. Kat und Lyana hielten ihre Bögen mit aufgelegten Pfeilen bereit und spähten in die Finsternis.

„Was um alles in der Welt sind das für Biester?“ flüsterte Kat.

„Das sind keine normalen Tiere,“ raunte Lyana. Ihre Stimme flatterte.

Mir schlug das Herz bis zum Hals. Der eine Blick auf die riesigen Tierleiber hatte mir genügt. Die Bestien hatten die Größe von einjährigen Kälbern. Fingerlange Reißzähne starrten zwischen ihren aufgerissenen Lefzen.

„Stellt euch nebeneinander vor die Felswand, damit wir Rückendeckung haben,“ flüsterte Kat. Auch ihre Stimme zitterte.

Langsam wichen wir an die Wand zurück. Grollendes Knurren aus vielen Kehlen ertönte aus der Dunkelheit jenseits des Feuerscheins. Der Halbkreis der Augenpaare zog sich enger um das Feuer. Verzweifelt versuchte ich, das Zittern meiner Hände zu beherrschen und mein Schwert ruhig zu halten.

Wenn die auf uns losgehen, sind wir geliefert! Vier oder fünf können wir abwehren, aber das ganze Rudel...

Mühsam unterdrückte ich den Drang, aufzuschreien und in Panik loszurennen.

Kat atmete heftig. „Was ist, ihr feigen Mistviecher!“ schrie sie heraus. „Greift an!“

Ein markerschütterndes Heulen brach aus der Dunkelheit. Ich spürte, wie mir der Atem stockte. Meine Hand krampfte sich um den Schwertgriff. Ein großer Schatten löste sich aus der Finsternis. Gelbe Reißzähne in einem geifernden Rachen. Die Bestie jagte in den Feuerschein und setzte zum Sprung an. Kehliges Grollen brandete rings umher auf. Sven brüllte etwas und sprang vor. Herodin sprühte blau-weiße Funken. Ich hatte das Feuerwort auf den Lippen.

Aber die Bestie sprang nicht. Sie machte ein dünnes, japsendes Geräusch, setzte sich mit einer halben Drehung auf die Hinterläufe und viel zuckend auf die Seite. Ein Pfeil stak ihr im Hals. Ein zweiter Pfeil hatte den Baumstamm neben ihr getroffen.

Das Grollen erstarb.

„Voris!“ Ich jagte einen Feuerstrahl über das verendende Tier hinweg ins Dunkel.

Im Licht der Stichflamme sahen wir die schwarzen Rücken der Wölfe zwischen den Baumstämmen davonhuschen.

Ich rang nach Luft. Vor meinen Augen tanzten Sterne. Erst jetzt merkte ich, dass ich die ganze Zeit über kaum geatmet hatte. Neben mir flatterte Kats Atem. Sie stützte sich mit den Händen auf die Knie und starrte zu dem zuckenden Tierkörper herüber, der sich vor dem Lagerfeuer am Boden wälzte. Sven stand mit erhobenem Schwert da und spähte um sich. Immer noch mit rasendem Puls sah ich, wie Lyana scheinbar völlig ruhig auf das zuckende Tier zuschritt, ihr Waidmesser aus dem Gürtel zog, den mit den Kiefern um sich schnappenden Wolf am Ohr packte und ihm die Kehle durchtrennte.

Dickes Blut quoll aus dem Schnitt und bildete eine Lache um Lyana und das schwarze Tier. Ein letztes Zittern durchlief den schweren Tierkörper. Dann erstarrte er mit von sich gestreckten Läufen. Lyana ließ den Kopf des Wolfs in die Blutlache fallen und kniete sich zu der Bestie herab, betrachtete sie genau. Wir traten zu ihr. Kat kniete sich neben Lyana.

„Dieser Wolf sieht irgendwie - krank aus,“ grübelte sie.

Ich betrachtete die blutunterlaufenen, gebrochenen Augen. Das schwarze Fell war räudig. Trotz seiner enormen Größe und der kräftigen Muskelstränge unter dem Fell machte das Tier einen mageren Eindruck.

„Vielleicht Tollwut?“ mutmaßte Sven.

„Ich glaub' nicht,“ überlegte Kat. „Ich kenn' mich mit Tierkrankheiten nicht aus, aber wie Tollwut sieht das nicht aus.“

Lyana fuhr mit der flachen Klinge des Waidmessers über das Bauchfell des Tierkadavers. „Dieses pechschwarze Fell, die roten Augen, die überlangen Reißzähne - das kommt mir ganz unnatürlich vor. Die Wölfe, denen ich im Süden begegnet bin, waren grau oder graubraun...“

„Egal,“ meinte Sven grimmig. „Hauptsache, wir sind sie los.“

***

Die Nacht durch hielten wir abwechselnd Wache. Ich behielt mein Schwert in der Hand, als ich mich schlafen legte. Die ganze Nacht über zeigte es ein schwaches blaues Glühen. Ich fand keinen Schlaf, obwohl ich todmüde war vom Marschieren und der durchgestandenen Gefahr. Ich wälzte mich in meiner Wolldecke hin und her und wartete auf die Morgendämmerung. Immer wieder riss ich die Augen auf und starrte auf mein schwach leuchtendes Schwert. Tief in der Nacht ertönte in weiter Ferne ein einsames Heulen. Aber es näherten sich keine Wölfe mehr.

Gegen Morgen musste ich doch eingeschlafen sein, denn als ich die Augen auftat, prasselte ein kleines Feuer vor dem Felsüberhang. Lyana hockte davor und kochte Tee. Neben mir gähnte Sven und reckte sich. Kat lag in ihre Decke gerollt. Die Luft war feucht und es war empfindlich kalt. Unser Atem stieg als weißer Dunst auf. Unterhalb des Lagerplatzes zogen Nebelschwaden vom Meer heran.

Ich kroch zum Feuer und ließ mir von Lyana einen Becher Tee reichen. Mit klammen Fingern schlürfte ich den heißen Kräutertee. Sven setzte sich neben mich und nahm ebenfalls einen Becher. Kat schlief noch.

Wir sprachen wenig. Mit einer Hand tastete ich nach meinem Schwert und nahm es auf. Es glühte blau.

„Wir sollten machen, dass wir aus diesen verdammten Bergen herauskommen.“

Ich stand auf und weckte Kat, die mein „guten Morgen“ mit Flüchen beantwortete. Sie setzte sich mit verbiestertem Gesicht ans Feuer und kaute lustlos ein Stück zähes Brot. Wenige Schritt entfernt lag der Wolfskadaver, den wir am Abend nicht weggeschafft hatten. Keiner von uns hatte Appetit. Wir aßen gerade genug, um uns für den Marsch zu stärken. Dann rafften wir unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Weg über die Bergflanken längs der Küste.

Im Lauf des Vormittags lichtete sich der Nebel, doch es blieb kalt. Der stürmische Wind vom Vortag hatte nachgelassen. Aus einer grauen Wolkendecke fiel feiner Regen. Ein Wald aus alten Kiefern breitete sich über Abhänge und zerklüftete Erhebungen, die wir überstiegen, der von tiefen Einschnitten durchbrochenen Küstenlinie folgend. Immer wieder verlegten umgestürzte Kiefernstämme uns den Weg. Dazwischen breitete sich das Geäst junger Eichendickichte aus. In windgeschützten Senken standen dichte Haselsträucher, die uns zu mühsamen Umwegen zwangen.

Nach zwei oder drei Stunden Wandern, immer wieder unterbrochen von der Suche nach Wegen durch das Dickicht, war ich erschöpft wie nach einem vollen Tagesmarsch. Klamme Kälte kroch durch meine feuchten Kleider, meine Hände und Füße fühlten sich taub an. Wir stapften nur noch langsam voran. Missmutig starrte ich durch den nicht enden wollenden Bergwald längs der Küste. Kat blieb stehen.

„Sind wir wenigstens die Wölfe losgeworden?“ fragte sie mich. „Lass mal dein Schwert sehen.“

Ich zog meine Klinge.

„Nein,“ meinte ich grimmig. „Sie kommen näher - oder etwas anderes!“

Die Klinge glühte hell.

Dann hörten wir sie heulen auf dem Berghang über uns, als hätten sie nur darauf gewartet, dass wir erschöpft anhalten würden.

„Weiter!“ stieß Kat hervor. „Vielleicht greifen sie tagsüber nicht an.“

Sven deutete auf den gegenüberliegenden Berghang, der nahezu senkrecht zum Meer hin abbrach. Unten donnerte die Brandung gegen den Fels.

„Dort drüben wird das Unterholz lichter.“

Die Kronen der Kiefern auf dem vor uns liegenden Hang waren braun, viele Bäume waren vom Sturm umgebrochen. Tote Stämme und Äste lagen über den Hang verstreut. Wir beschleunigten unsere Schritte. Als das Geheul erneut ertönte, diesmal hinter uns und nicht weit entfernt, löste Kat ihren Helm vom Rucksackgurt, setzte ihn auf und zurrte ihn am Kinn fest. Ich holte meinen Schild nach vorn. Lyana nahm ihren Bogen und griff in die Gürteltasche nach der Bogensehne.

„Geht schon mal weiter,“ meinte sie. „In einem Augenblick komme ich nach.“

Aber Kat murmelte: „Ich sollte meinen auch aufspannen. Vielleicht treffe ich nächstes Mal besser.“

Mit zitternden Händen spannte sie die Sehne auf. Lyana nahm ihr den Bogen ab, prüfte die Sehne, schüttelte den Kopf und spannte sie erneut auf, während Sven und ich unruhig von einem Fuß auf den anderen traten. Ich spähte nervös umher. Oben auf dem Hang glaubte ich schwarze Schatten zwischen den Bäumen zu sehen, aber vielleicht gaukelte mir meine überreizte Fantasie nur etwas vor.

Als Lyana fertig war, schob ich mein Schwert in die Gürtelschlaufe und wir stiegen zwischen Strauchwerk und umgestürzten, vermodernden Stämmen in die Senke hinab. Mein Puls ging schnell. Kälte und Erschöpfung hatte ich vergessen. Immer wieder sahen wir uns um, aber die Wölfe kamen nicht in Sichtweite. Wir hörten sie heulen und grollen, oben auf dem Hang und hinter uns.

Unten überquerten wir einen steinigen Bach und stiegen auf der anderen Seite durch das Dickicht hangaufwärts. Als wir aus dem Einschnitt herauskamen, lichtete sich das Unterholz. Vor uns lag ein ansteigender Hang mit abgestorbenen und umgestürzten Kiefern. Vertrockneter Farn bedeckte den Boden. Der Hang wurde zur Landseite von einer Felswand begrenzt, die oben auf der Hanghöhe bis hundert Fuß an die Abbruchkante heranrückte.

Während wir hastig den Hang hinaufstiegen, schnaufte Sven: „Seltsam hier - alles abgestorben!“

„Käfer machen so was manchmal,“ meinte Lyana, die mit leichten Schritten neben uns her ging, immer wieder nach den Seiten und zurück spähend.

„Sie fressen sich in Scharen unter der Rinde der Bäume durch und lassen ganze Landstriche absterben - aber wenn es Käfer waren, sollte frisches Unterholz da sein und nachwachsende junge Bäume. Hier ist alles tot.“

Ich blickte mich um. Schon eine Weile lang hatten wir kein Wolfsgeheul mehr vernommen. „Vielleicht sind sie auf der anderen Seite geblieben und wir sind sie los.“

Sven nahm mit geübtem Griff Herodin aus der Halterung.

Er schüttelte den Kopf. „Da drüben kommen sie.“

Von Lyanas Bogen schwirrte ein Pfeil. Zwischen den abgestorbenen Bäumen sprangen schwarze Schatten auf uns zu. Die vordersten waren keine zwanzig Schritt mehr entfernt. Es waren viele. Auf der Landseite wimmelte der Wald von pechschwarzen Bestien. Ihre roten Augen glühten selbst noch bei Tageslicht. Die Zungen hingen aus den aufgerissenen Rachen. Sie sprangen lautlos heran. Einer der vordersten überschlug sich in der Luft und blieb von einem Pfeil durchbohrt liegen. Ein zweiter japste auf und hinkte getroffen zur Seite.

„Da, du Scheißvieh!“ zischte Kat.

Ihr nächster Pfeil verschwand zwischen den Bäumen. Lyana schoss in rascher Folge einzelne Tiere ab, doch über die blutend am Boden Liegenden sprangen andere nach, dunkles Grollen ausstoßend. Ich schleuderte Feuerbälle. Mit lautem Krachen zerplatzten sie zwischen den schwarzen Fellrücken. Wölfe wälzten sich heulend in den Flammen. Und immer noch sprangen weitere durch die Flammen heran. Ihre Augenschlitze glühten.

„Das beeindruckt die nicht!“ keuchte ich. „Was für Höllenteufel sind das?“

Sven sprang mit lautem Schlachtgebrüll vor. Ein gleißender Lichtblitz ging von Herodin aus. Um die Zweihänderklinge tanzten blaue Flammen. Die Wölfe waren da. Ich riss mein Schwert aus dem Gürtel.

Stern meiner Geburt, erbarme dich, hilf uns!

Das Gebrüll einer Kriegerhorde zeigte an, dass Lyana Grugar gezogen hatte. Grollende, geifernde Fangzähne sprangen auf mich zu. Ich duckte mich hinter den Schild und stemmte mich dem Anprall entgegen. Der Stoß ließ mich taumeln. Ein röchelnder, aufgesperrter Rachen. Ich hieb mit dem Schild nach ihm, schlug das Schwert in schwarzes Fell. Klaffende Wunden, dunkelrotes Blut, das Röcheln und Grollen schwarzer Bestien um mich her, der Gestank ihrer Rachen. Ich hieb um mich wie rasend. Das dumpfe Geräusch von Stahl, der in Fleisch dringt, Blut, mein Blut, der Ärmel meines rechten Arms hing in Fetzen, helles Blut troff herab. Ich spürte nichts. Ich sah nur den Rachen, der auf mich zu sprang, stolperte zwischen am Boden liegenden Tierleibern zur Seite.

„Tahorved!“

Das geifernde Tier stemmte sich gegen die Sturmbö, die es zur Seite drückte. Es richtete seine glutroten Augen auf mich. Dumpfer Schmerz durchfuhr meinen Kopf. Das Tier wusste, dass ich Magie anwandte und wehrte sich dagegen! Mein Schwertarm fühlte sich lahm an. Brennender Schmerz fuhr durch den Arm, als ich der Bestie das Schwert zwischen die Kiefer trieb. Sie brach röchelnd zusammen. Meine Sicht vernebelte sich. Heftig atmend starrte ich umher. Um mich lagen zuckende, blutende Wolfsleiber. Reißzähne schnappten nach meinen Beinen. Ich trat mit voller Wucht zu. Knochen krachten.

Zehn Schritt entfernt wälzte sich Lyana unter einer schwarzen Bestie in einer Blutlache am Boden. Auf nichts anderes achtend stolperte ich auf sie zu. Meine Beine wollten mich nicht mehr tragen. Ihr Schwert lag eine Manneslänge entfernt am Boden.

Bei allen Sternen, ich bin zu spät, zu spät!

Ich knickte ein, fiel auf die Knie, raffte mich wieder auf und sprang auf die Kämpfenden zu. Lyana wälzte den erschlaffenden Wolfskörper von sich herunter und zog ihr blutiges Waidmesser aus seinen Eingeweiden. Ihre Lederkleidung war mit Blut besudelt, ich konnte nicht erkennen, ob es ihr eigenes oder das der Bestie war. Zuckende, aufgeschlitzte Kadaver lagen um sie her.

„Leif,“ schrie Lyana auf. „Dein Arm! Du bist verletzt!“

Das Schwert glitt mir aus der Hand. „Macht nichts,“ keuchte ich atemlos. „Nicht so schlimm - nicht der Rede wert.“

Dann wurde mir schwarz vor Augen.

***

Ich erwachte davon, dass kribbelnde Wärme durch meinen Arm fuhr. Ich lag ausgestreckt auf dem Rücken. Eine behelmte Gestalt beugte sich über mich. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich Kat. Neben ihr kniete Lyana. Ihr Gesicht und ihr Lederwams waren blutverschmiert. Sven stand hinter ihnen. Er lehnte sich auf sein Schwert und sah mich aufmunternd an.

„Na, da bist du ja wieder,“ sagte Kat zärtlich. Lyana atmete auf.

Ich ballte meine rechte Hand zur Faust und löste sie wieder. Es kribbelte schmerzhaft, aber ich konnte die Finger bewegen. Ich stützte mich auf die Ellenbogen und sah mich um. Überall lagen Wolfsleichen zwischen den toten Baumstämmen. Der Waldboden war dunkel von Blut. Hier und da war dünnes Fiepen zu hören. Am Rand meines Blickfelds versuchte ein Wolf, sich mit zertrümmerten Hinterläufen davonzuschleppen.

Kat rüttelte mich sanft an der Schulter. „Alles in Ordnung?“

Ich betrachtete meinen rechten Arm. Er war blutig und vernarbt. Ich konnte keine offenen Wunden mehr erkennen.

„Scheint ja so,“ brummte ich. Ich lächelte sie mühsam an. „Danke, Kat.“

„Muss sein,“ meinte sie forsch. Aber dann lächelte sie auch.

„Sechs Viecher!“ rief Sven mir zu. „Alle Achtung, Leif!“

„Lyana hat fast genauso viele niedergemacht - mit dem bloßen Waidmesser!“ meinte Kat.

Lyana versuchte, sich angetrocknetes Blut aus dem Gesicht zu wischen. „Ich kann mit dem sperrigen Schwert nicht umgehen.“

„Den Löwenanteil hat er erledigt,“ rief Kat mit einem Kopfnicken gegen Sven. „Wie er mit dem Schwert unter sie gefahren ist, das hättest du sehen müssen. Für mich blieb kaum noch was zu tun übrig. Er hat sie mir alle vor der Nase weggehauen.“

„Die hätten dich beißen können,“ knurrte Sven. „Den Gedanken mochte ich nicht.“

Kat richtete sich zu ihm auf.

„Mein Held!“ sagte sie mit sanftem Spott und strich ihm mit beiden Händen über die Brust.

Ich stand auf. Stechender Schmerz fuhr durch meinen rechten Fuß. Ich fluchte. Ich musste mir die Zehen verstaucht haben, als ich gegen den Wolfsschädel trat, vielleicht auch gebrochen.

„Noch was, worum ich mich kümmern muss?“ fragte Kat.

„Wartet mal einen Moment,“ raunte Lyana. „Erklärt mir lieber, was das da ist!“

Mit aufgerissenen Augen starrte sie zur Hanghöhe hinauf. Oben sah ich eine große Höhle in der Felswand. Rings um die Höhle lagen umgebrochene und abgeknickte tote Kiefernstämme. Sie sahen aus wie niedergemäht. Ich musste ein paar mal hinschauen, ehe ich erkannte, was Lyana meinte. Die Luft auf der Hanghöhe flimmerte. Gleichzeitig wurde es dunkler, als wenn ein Schatten aus der Höhle auf die Hangkuppe fiel. Ich hielt die Luft an.

„Was geschieht da oben?“ flüsterte Kat.

Die Dunkelheit vor der Höhle nahm zu. Es war, als würde das Licht weggeschluckt, als wäre im Umkreis der Höhle die Nacht hereingebrochen. Ein kalter Hauch wehte herab und trieb uns winzige Regentropfen in die Gesichter.

Kat sog scharf Luft ein. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!“

„Zauberei!“ vermutete ich. „Irgendeine teuflische Magie.“

Vor der Höhle bildete sich ein Bereich vollkommener Schwärze. Nicht einmal die Stümpfe der umgeknickten Stämme waren mehr zu erkennen. Es wurde eisig kalt. Von der Hügelkuppe her kam starker Wind auf. Er zerrte an unseren Kleidern und pfiff im Geäst der toten Kiefern. Ich starrte in den Bereich absoluter Finsternis vor der Höhle.

„Oh ihr Sterne,“ flüsterte ich. „Seht ihr das auch?“

Etwas in der Schwärze bewegte sich. Ich wusste nicht, wie meine Augen es ausmachen konnten, da es dort absolut nichts zu sehen gab. Und doch sah ich langgestreckte, magere Gliedmaßen - witternd rollte ein Kopf von einer Seite zur anderen. Ich sah es nicht mit den Augen. Das Bild formte sich von allein in meinem Geist, während ich in die Schwärze starrte.

„Lasst uns ganz schnell von hier verschwinden,“ keuchte Kat.

Sie zitterte am ganzen Leib.

Sven presste die Kiefer zusammen. Er hob sein Schwert. „Wir müssen da durch!“

„Da kommen wir nicht durch,“ schluchzte Kat, „nicht mal mit deinem Schwert, Sven. Das ist was richtig Böses!“

Ich sah mich nach der Schneise um, die der Bach zwischen die Hänge geschnitten hatte. Auf der anderen Seite war der Pflanzenwuchs normal. Wenn wir es bis dorthin schafften...

Was auch immer dort oben aus der Höhle herauskroch, es schien unsere Witterung aufgenommen zu haben. Ein Kopf mit schmalen, glühenden Augen wendete sich in unsere Richtung. Die glühenden Augen sahen mich an. Eine entsetzliche Lähmung ergriff mich. Ich glaubte, mich nicht mehr auf den Füßen halten zu können. Lyana murmelte ein Gebet. Unendlich langsam nahm sie ihren Bogen vom Boden auf und legte einen Pfeil auf. Sven ging schwer atmend einen Schritt vor.

„Ich hab geschworen, die Welt von solchen Ungeheuern zu befreien.“

Kat sagte nichts mehr. Stumm und blass starrte sie dem Kern der Schwärze entgegen, der uns den Hang herab entgegenkroch.

Zu spät, zu fliehen. Es hat uns bereits in seinem Bann!

Lyanas Pfeil schwirrte los und verschwand im Dunkel. Sie legte einen neuen auf, unablässig Gebete murmelnd. Ich konzentrierte mich. Ligeias Zaubersprüche kamen mir in den Sinn, mit denen sie die Lebensenergie rief. Ich strengte meinen Willen an und stieß die Zauberworte hervor. Was auch immer in der Schwärze auf uns zukam, es stieß einen hohlen, pfeifenden Laut aus. Der Wind steigerte sich zum eisigen Sturm. Und doch wurde mein Kopf klar. Um Svens Schwert herum leuchtete eine Aureole hellen, warmen Lichts. Kat stieß einen Fluch aus und zog ihr Schwert. Es sprühte Funken in ihrer Hand. Ich befahl dem Wind, zu schweigen, wie ich es bei Ligeia gesehen hatte. Und tatsächlich nahm der Sturm ab. Die lähmende Kälte verflog. Das Wesen in der Finsternis jagte auf uns zu. Ohrenbetäubendes Pfeifen erfüllte die Luft.

Ich schickte ihm einen Flammenstrahl entgegen. Das Pfeifen wurde schrill. Angst und Lähmung waren von mir abgefallen, nur leere Verwunderung war zurückgeblieben.

So also sterbe ich? Erschlagen von so etwas?

Ich handelte ohne zu denken. Neben Sven ging ich vor. Ich achtete nicht auf die stechenden Schmerzen in meinem Fuß. Svens Klinge durchdrang das Dunkel unmittelbar vor uns. Etwas flackerte unter seinem Schlag auf. Etwas Schwarzes peitschte durch die Luft. Ich hieb mein Schwert hinein. Ein rötlicher Blitz flammte auf. Sven holte zum neuen Schlag aus. Auf der anderen Seite blitzte Kats Schwert. Ein glühendes Augenpaar schoss auf mich herab. Ein schwarzer Schlund klaffte. In meinem Kopf explodierte heller Schmerz. Ich taumelte, verzweifelt mein Schwert umklammernd. Zwischen explodierenden Farben sah ich eine leuchtende Klinge zwischen die glühenden Augen krachen. Der Schmerz verschwand und ich rang nach Luft, riss meinen Schild hoch und hieb mit der Klinge auf die Schwärze vor mir ein. Es gab einen dumpfen Knall. Eine Welle von Gestank raubte mir den Atem.

Weiter drauf, da! Da du Teufel! Und da!

Eine Hand legte sich auf meine Schulter.

„Ich glaub', du kannst aufhören, Freund. Wir haben es besiegt.“

Keuchend starrte ich Sven an. Unter einem Riss in seinem Helm sickerte Blut hervor und der Überwurf auf seiner linken Schulter hing in Fetzen. Aber seine Augen strahlten in ruhigem Triumph. Immer noch flimmerte es vor meinen Augen. Ich hatte pochendes Kopfweh und in meinem Fuß brannte stechender Schmerz. Durch den flimmernden Schleier sah ich, dass die Dunkelheit verflogen war. Kat kniete am Boden und presste ihre Hand gegen den rechten Ellenbogen. Lyana hockte neben ihr und hielt ihr den ausgestreckten, blutenden Arm. Mit blassem Gesicht murmelte Kat ihren Heilzauber. Sven deutete mit dem Schwert auf den Boden vor uns.

„Komisches Ding, das da. Hab ich noch nie gesehen, so was.“

Vor uns lag eine graue Haut auf verbranntem Boden. Sie sah aus wie die leere Hülle eines mageren, langgliedrigen Wesens. Die langen, knotigen Finger und Zehen endeten in scharfen Krallen. Mindestens ein Dutzend Pfeile steckten in der ledrigen Haut. Sie war an mehreren Stellen aufgeplatzt.

Es war mir völlig egal, wogegen wir gekämpft hatten. Ich fühlte mich ausgewrungen und leer. Triumph konnte ich keinen empfinden. Ich spürte überhaupt nichts. Selbst die heftigen Schmerzen waren, als gehörten sie einem anderen. Trotz des starken Stechens in meinem Fuß humpelte ich zu Kat herüber.

„Geht's?“ fragte ich sie.

Sie biss sich auf die Lippen vor Schmerz. „Ich denke, es kommt wieder hin. Wenigstens ist der Arm nicht ganz abgerissen.“

„Oh...“

Lyana sah mich besorgt an. „Setz' dich lieber hin, bevor du der Länge nach hinschlägst!“

„Och...“ Ich wollte etwas erwidern, aber sie hatte recht.

Vorsichtig setzte ich mich auf den Boden und streckte das Bein mit dem verletzten Fuß aus.

„Haben wir nichts gegen Schmerzen dabei?“ murmelte ich.

Ich wollte nicht schon wieder ohnmächtig werden.

Es dauerte eine Weile, bis Kat sich so weit erholt hatte, dass sie Svens und meine Wunden mit ihrem Heilzauber behandeln konnte. Schließlich nahmen wir Waffen und Rucksäcke und zogen uns an den Rand der Steilküste zurück, einen Steinwurf abseits der grauen Haut, aus der eine heiße, schäumende Flüssigkeit in den Boden sickerte. Übelkeit erregender Gestank ging von der ledrigen Hülle aus. Über ihr flirrte die Luft.

Wir ließen einen Wasserschlauch kreisen. Sven holte eine lederne Trinkflasche aus seinem Rucksack, entkorkte sie und nahm einen großen Schluck. Dann reichte er sie mir.

„Da, nimm - nach der Viecherei!“

Es war Branntwein. Ich schluckte eine gute Portion herunter und nickte Sven dankbar zu. Der Branntwein durchglühte meinen Körper und schickte eine Welle wohliger Gefühle durch meinen schmerzenden Kopf. Ich nahm noch einen Schluck.

„Hab ich mir vor Aufbruch im Keller abgefüllt,“ grinste Sven grimmig. „Ich dachte, wenn man im Winter reist, kann man so was gebrauchen.“

Ich reichte Kat die Lederflasche. „Auch einen Schluck?“

Sie roch daran und setzte sie an die Lippen. Sie verzog kurz das Gesicht, schluckte, dann sah sie Sven erleichtert an.

„Das ist jetzt genau das Richtige!“ Ein wenig Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück.

Lyana trank ebenfalls, dann goss sie sich Branntwein in die hohle Hand und rieb ihr blutverkrustetes Gesicht ab.

„Wenn ich wüsste, dass wir damit das Schlimmste dieser Fahrt hinter uns haben, wäre ich richtig glücklich,“ meinte sie unheilvoll.

***

Kat, Sven und ich blickten aufs Meer hinaus, um nicht das Schlachtfeld ansehen zu müssen. Lyana ging zwischen den Wolfsleichen umher und sammelte Pfeile ein. Als sie fertig war, schulterten wir unser Gepäck und machten uns den Hang hinauf auf den Weg. Obwohl wir hungrig waren, konnte keiner von uns einen Bissen anrühren. Wir wollten rasten und essen, sobald wir den grausigen Ort hinter uns gelassen hatten.

„Und was war das jetzt?“ wollte Sven wissen, als wir an der grauen Lederhaut vorbeigingen.

Wo die Flüssigkeit aus dem Leichnam die Erde getränkt hatte, schlugen blaue Flammen aus dem Boden. Stechender Gestank hing in der Luft.

„Was weiß ich,“ meinte Kat. „Ein Dämon, ein Teufel aus der Hölle!“

„Nein, wirklich!“ beharrte Sven. „Was war das?“

„Woher sollen wir das wissen?“ gab Kat schroff zur Antwort. „An sich dürfte es so etwas überhaupt nicht geben.“

„Es war ein Dämon,“ sagte ich. „Ein Schattengeschöpf, ein untotes Wesen. Ligeia hat mich vor den Schatten gewarnt, die uns auflauern würden.“

Auf der Kuppe stiegen wir über umgeknickte, kreuz und quer liegende Baumstämme. Wir blieben nah am Rand der Steilküste, weg von der dunklen Höhle. Lyana blieb stehen und sah sich um.

„Hier hat ein Kampf stattgefunden. Vor nicht langer Zeit. Es kann nur ein paar Wochen her sein.“

„Woran siehst du das?“ wollte Kat wissen.

„Da sind Spuren vom Wölfen und von den Klauen dieses Monsters - und Stiefeltritte. Und hier ist Blut in den Boden gesickert. Hier drüben auch.“

Ich konnte nur einen dunklen Fleck im braunen, niedergedrückten Gras erkennen.

„Ich sehe keine Toten,“ meinte Sven.

Ich überlegte. „Vielleicht hat der Dämon sie in seine Höhle geschleppt.“

„Er müsste sie getragen haben,“ meinte Lyana. „Schleifspuren finde ich keine.“

„Oder über die Klippe geworfen,“ murmelte Kat.

Ihr Blick fiel auf etwas im Gras und sie kniete nieder.

„Wie viele haben hier gekämpft?“ wollte Sven wissen.

Lyana blickte sich auf der Kuppe um. „Ein einzelner Mann. Es scheint ein sehr heftiger Kampf gewesen zu sein.“

„Ein einziger Mann?“ rief Sven. „Lange kann der Kampf nicht gedauert haben!“

Kat kauerte am Rand der Klippe am Boden. Sie beugte sich über etwas vor ihr im Gras. Über ihre Wangen rannen Tränen.

Ich ging zu ihr und kniete mich neben sie. „Was ist da?“

Sie stieß einen schluchzenden Schrei aus. Entsetzt sah ich sie an. Ihre Finger schlossen sich um etwas, das sie aus dem in den Boden getrampelten Gras geklaubt hatte.

„Andreas!“ schluchzte sie. „Andreas!“

Lyana und Sven kamen heran. Behutsam nahm ich Kats Hände in meine. In ihrer Handfläche lag ein flaches metallenes Pillendöschen an einer zerrissenen Halskette.

„Es ist seines,“ weinte Kat. „Ich erkenne es wieder. Er trug es immer um den Hals.“

„Bist du sicher? Es kann ja auch ein Ähnliches sein,“ fand ich.

Sie schüttelte schluchzend den Kopf. Ihr Körper bebte. „Es ist seines. Auf der Rückseite sind seine Initialen!“

Plötzlich schrie sie gellend auf. „Andreas! Er ist tot! Er ist die Klippe herunter gestürzt! Der Dämon hat ihn in seine Höhle geschleppt und zerrissen! Bei den Göttern, Andreas!“

Sie sprang auf.

„Nein,“ behauptete Lyana. „Da hinten führen Fußspuren den Hang hinunter. Er ist dem Dämon entkommen.“

„Du lügst!“ schrie Kat. „Das sagst du nur, um mich zu trösten. Er ist tot, ich weiß es!“ Sie warf sich an den Rand der Klippe und starrte hinunter.

„Andreas!“ schrie sie wie von Sinnen.

Lyana packte sie an der Hand und zog sie zurück. „Komm mit, ich zeig' es dir.“

Willenlos ließ Kat sich von ihr zum gegenüberliegenden Hang führen.

„Hier sind seine Stiefelspuren, siehst du?“

„Nein!“

„Schau halt genau hin! Dort drüben der schmale dunkle Fleck im Gras, siehst du den? Da hat er das Blut von seinem Schwert abgewischt.“

Langsam zog Lyana die schluchzende Kat den Hang herab. „Und hier, siehst du die weißen Stofffetzen? Da drüben ist Blut auf den Boden getropft. Er hat sich offenbar einen Verband zurechtgeschnitten und angelegt.“

Kat setzte sich an einen Kiefernstamm und schloss die Augen. Sie weinte leise vor sich hin. Lyana setzte sich zu ihr und legte ihr die Hand auf den Oberarm. Sven und ich standen betreten dabei und wussten nicht, was wir tun sollten.

Nach einer Weile fragte Kat: „Allein? Wieso war er denn allein? Wo war denn diese Tallin, die Trümmelfurterin, mit der er zusammen war?“

„Es sind nur seine Stiefelspuren auf der Kuppe zu sehen,“ sagte Lyana. „Es war niemand bei ihm.“

Kat schniefte ein paar Mal. Dann drehte sie sich zur Seite und rotzte auf den Boden. Sie wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab.

„Also gut,“ sagte sie schroff. „Gehen wir.“

Sie verstaute die Pillendose in ihrem Rucksack. Dann warf sie mir einen trotzigen Blick zu, in dem ich maßlose Verachtung für alle Götter der Welt zu erkennen glaubte.

„Was ist?“ rief sie, „kommt schon!“

Mit forschen Schritten lief sie hangabwärts die Küste entlang. Sven zuckte mit den Achseln und ging ihr nach. Lyana und ich sahen uns an.

„Sie beruhigt sich auch wieder,“ meinte Lyana.

***

An einem Bach, der über Felsen ins Meer hinabstürzte, machten wir Rast und schlangen Wurst und fades Brot herunter. Bis zum Abend gingen wir über bewaldete Hügel die Küste entlang. Die nordwestlichen Ausläufer der Wetterberge erstreckten sich niedriger und weniger schroff vor uns. Hin und wieder zog ich mein Schwert. Die Klinge glühte nicht mehr.

In der Abenddämmerung erjagte Lyana ein Reh und wir richteten unterhalb einer mit Haselsträuchern bewachsenen Böschung unser Nachtlager aus. Wir verzehrten das gegrillte Wildbret schweigend. Nach dem Mahl holte Lyana ihre Flöte hervor. Die rauchigen, düsteren Töne, die sie spielte, passten zu meiner trüben Stimmung. Aber bald wurden die Melodien klarer und heller, spielten mit dem feuchten Wind in den Haselzweigen. Die leisen Töne atmeten in die Nacht hinaus. Lyana griff die Melodie des Liedes auf, das Kat letzte Nacht gesungen hatte, schwermütig und voller Liebeskummer zuerst, doch ihre Flöte verwandelte und verzauberte die traurige Melodie. Mit der sanften Musik wanderte meine Sehnsucht zu den Sternen, die milde und ewig hinter der grauen Wolkendecke strahlten.

Ich rückte nahe an Kat heran und legte ihr den Arm um die Schultern. Sie schien es nicht zu bemerken. Verloren blickte sie auf die kleine Pillendose in ihrer Hand.

***

Am anderen Morgen wanderten wir weiter durch hügeligen Küstenwald. Kalter Wind zerteilte die Frühnebel. Er brachte Regentropfen vom Meer heran. Eine dichte Wolkendecke überspannte Land und Meer bis weit in die regenverhangene Ferne.

„Regen, Nebel, Kälte,“ klagte Kat missmutig. „Grau, überall Grau, bis zum Horizont. Ich will den Göttern danken, wenn wir irgendwann auf dieser Fahrt noch einmal ein Fleckchen Sonne zu sehen bekommen.“

Eineinhalb Stunden später blickten wir von einer Anhöhe hinab auf eine von tiefen Fjorden eingeschnittene Küstenebene. Die Wildnis aus Gras und Heidekraut erstreckte sich unter durchziehenden Regenschleiern bis in weite Ferne, wo sich die Schatten hoher Berge grau und trist an die Küste heranzogen. Ihre Gipfel verschwanden in den dunklen Wolken.

„Die Wetterberge haben wir hinter uns, den Sternen sei dank,“ meinte Sven.

Kat blickte mit bitterer Miene über die Ebene.

„Wochen und Wochen durch menschenleere, öde Wildnis,“ seufzte sie. „Nur, um in vergessenen Ruinen nach einem Zwergengral zu suchen. Und am Ende finden wir ihn doch nicht.“

Lyana schaute von ihr zu Sven und schließlich zu mir. Unsere Blicke begegneten sich und ihre Augen zeigten den Anflug eines Lächelns.

„Zusammen kommen wir durch.“

Über der Ebene riss die Wolkendecke auf und ein blasser Fleck Sonnenlicht wanderte über das graue Land. Aber Kat dankte den Göttern doch nicht dafür.

Die Meergeborenen

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