Читать книгу Doofenschwur - Thomas Kämpf - Страница 4
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Jan Klusmann saß in seinem Wagen und wartete. Er war ungeduldig, dabei hatte er den Brief vor nicht einmal zehn Minuten eingeworfen - durch den Zeitungsschlitz seiner Haustür, geradewegs in die Diele seines Hauses, in dem er seit gut fünf Tagen nicht mehr wohnte. Er starrte angespannt auf den Eingangsbereich, in der Hoffnung, dass sie das Haus verließ. Aber dazu war es noch zu früh.
Viel zu früh.
Nervös schaute er auf die Uhr.
"Also ich stelle mir das so vor", sagte Jan, ohne seine beiden Freunde anzusehen, die mit ihm im Auto warteten. Neben ihm saß Matze auf dem Beifahrersitz und gähnte laut. Norman hockte auf der Rückbank und blickte zwischen den beiden auf die Straße.
"Es ist jetzt genau dreizehn Uhr zwanzig", fuhr Jan fort. "Das heißt, die Zwillinge liegen seit ungefähr zwanzig Minuten im Bett. Heute ist Samstag, da gab's einen dieser selbstgekochten Gemüsebreie, irgendwas mit Karotten oder Kohlrabi, was weiß ich. Susanne holt sich die Rezepte aus so einem alternativen Kochbuch: Kinder ernähren wie zu Großmutters Zeiten. Na, jedenfalls sind sie danach immer pappsatt. Fünf Minuten, dann schlafen Sie tief und fest.
Um kurz nach eins geht Susanne duschen. Das macht sie jeden Samstag, bevor sie in ihr Fitnessdress schlüpft, um sich gemütlich auf die Couch zu fläzen. Eigentlich bedeutet Fitness, sich bewegen, aber das Einzige, was Susanne bewegt, ist ihr Zeigefinger, wenn sie eine Seite ihres neuesten Kriminalromans umblättert. Oder aber es ist der Daumen, mit dem sie die Fernbedienung des Fernsehers dazu nutzt, um zwischen Arte, EinsFestival und den Comedyserien auf Pro7 hin und her zu schalten.
Manchmal frage ich mich, wie sie ihre Figur bei dem Mangel an Bewegung und dem unglaublichen Konsum von gezuckerten Milchkaffee halten kann. Wobei - im Grunde lebt sie gesund. Sie ist Vegetarierin, was bei einer Grundschullehrerin nichts Besonderes ist. Ich selbst brauche mein Fleisch und hole es mir außerhalb der heimischen Küche. Aber das wisst ihr ja.
Nach einem ausgiebigen Duschvorgang föhnt Susanne ihr Haar. Das braucht Zeit. Bei der Masse ihres Haars gute zehn Minuten. Gleich darauf zieht sie ihren bequemen, figurlosen Fitnessdress über und wirft noch schnell einen prüfenden Blick ins Kinderzimmer.
Die Zwillinge liegen gemeinsam in einem Bettchen. Manchmal kommt es da ungewollt zu Kollateralschäden, wenn eins der Ärmchen sich verselbständigt. Ich kann mir direkt vorstellen, wie sie da so zusammenliegen. Max schläft gern auf den Bauch, Lea viel lieber auf den Rücken. Ihre Gesichter haben sie dann einander zugewandt. Gott, das treibt mir die Tränen in die Augen, wenn ich nur daran denke.
Entschuldigt. Ich muss mir mal eben die Nase putzen.
So! Schon besser.
Wo waren wir? Ach so, ja. Also ... Gleich, nachdem Susanne Max zugedeckt hat - er strampelt sich gern frei -, hüpft sie beschwingt die Treppe hinunter. Sie summt dabei immer ein Liedchen. Einen Schlager. Irgendwas aus den Siebzigern oder von Andrea Berg. Auf jeden Fall kommt sie an der Haustür vorbei, wo bereits mein Brief auf sie wartet. Sie wird sich wundern, weil der Umschlag so groß und dick ist. Stirnrunzelnd nimmt sie ihn mit in die Küche. Wenn es was zu lesen gibt, braucht Susanne ihren gezuckerten Milchkaffee, den sie mit unserem Espressokocher macht. Dazu vertilgt sie mindestens drei amerikanische Schokoladenplätzchen. Es kann auch mal die ganze Packung sein, wenn das Buch besonders spannend ist.
Während also das Wasser im Espressokocher zu sieden beginnt und sie sich das erste Plätzchen in den Mund schiebt, öffnet sie den Umschlag. Entweder wird ihr beim Anblick meines Briefes schlagartig der Appetit vergehen, oder aber das Gegenteil ist der Fall. Bei plötzlicher Aufregung nämlich überkommt Susanne grundsätzlich eine unstillbare Fressattacke, wodurch sie die Schokoladenplätzchen ratzekahl verputzen wird, noch bevor der Kaffee fertig ist.
Ich tippe auf die Fressattacke. Mehr noch. Ich glaube, sie wird den Kaffee vergessen, sich die Kekse schnappen und mit dem Brief ins Wohnzimmer gehen, was wiederum zur Folge hat, dass die Gummidichtung des Espressokochers zu schmelzen beginnt.
Aber so weit sind wir ja noch nicht.
Susanne ist natürlich neugierig, wenn sie es sich auf der Couch gemütlich macht. Wir schreiben uns nämlich schon lange keine Briefe mehr, erst recht nicht Briefe solchen Ausmaßes. Kein Wunder also, dass sie unbedingt wissen will, was ich ihr alles zu sagen habe.
Und trotzdem wird sie skeptisch sein, wenn sie zu lesen beginnt.
Aber immerhin - sie wird lesen."
Jan lehnte sich entspannt in seinem Sitz zurück und verschränkte erwartungsvoll die Arme.