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Willkommen in der Vorstadt

Ich kam wie jeden Morgen mit Tobi vom Joggen. Der rote Porsche Boxster, der vor dem Haus der Ostermanns parkte, fiel mir sofort auf, als ich in unsere Straße bog. Auch Tobi schien von dem Wagen angetan. Schwanzwedelnd zog er mich hechelnd zu einem Urinfleck, der auf der glattpolierten Felge des Hinterreifens prangte.

Der Porsche Boxster ist ein schnittiges Ding. Wenn auch ein Frauenauto, das trotz seiner Sportlichkeit zierlich und klein wirkt. Dadurch erscheinen selbst Motor und Ventile feminin. Stutenantrieb halt. Ich weiß auch gar nicht, wofür ein Porsche Boxster gut ist. Ein echter Mann bevorzugt einen 900irgendwas. Zumindest etwas Kraftvolles. Immerhin dient das Auto ja dem Zweck, mangelnde Potenz zu kompensieren. Was aber kompensiert eine Frau?

Körbchengröße A?

Eine unterentwickelte Gebärmutter?

Manchmal will der Fahrer einem willigen Weibchen auch einfach nur signalisieren: "Hey, nimm mich, ich bin vielleicht nicht gut bestückt, aber kein anderer bringt dich nach dem Sex schneller wieder nach Hause."

Das ist mir bei einer Frau noch nie passiert. Andererseits hatte mich eine Frau auch noch nie nach meiner Handynummer gefragt, mich angetanzt oder mich zweideutig angelächelt. Selbst als WIR uns kennenlernten, Susanne, lief es brav und eindeutig unzweideutig ab. Dich interessierte nur das Seminar zur Verringerung des Ökologischen Fußabdrucks im Hinblick auf die Bekämpfung des Klimawandels. Für Männer hattest Du keinen Sinn. Erst als wir in Gruppenarbeit ein Diagramm zur Darstellung des Methanausstoßes von Nutzvieh erstellten, kamen wir über Deine vegetarische Lebenseinstellung ins Gespräch.

Mann, Du warst damals so was von leicht zu beeindrucken. Als Puddingvegetarier reichte es schon, wenn man Dir ernsthaft zuhörte und als Konsequenz einen Schokoriegel anstelle eines Rindersteaks vertilgte.

Aber was schreib ich da. Du weißt sehr gut, wie wir uns kennengelernt haben. Kommen wir also lieber auf den Porsche Boxster zurück, auf den Tobi neugierig schnüffelnd reagierte. Er unterzog das Hinterrad einer genauen nasalen Inspektion, hob kurz das Bein und folgte dann seinem Instinkt auf den Rasen, wo er sich mehrmals im Kreis drehte und schließlich das tat, was er eigentlich zwischen Parkein- und Parkausgang hätte tun sollen. Er hockte sich zum Kacken hin.

Seitdem die Ostermanns hier nicht mehr wohnten und der Rasen unkontrolliert gen Himmel wuchs, war es für Tobis Enddarm eine Selbstverständlichkeit, erst dort seine Tätigkeit aufzunehmen. Normalerweise hatte ich für solche Fälle stets einen Kackbeutel dabei, aber meistens, so auch heute, hatte ich ihn auf dem Küchentisch vergessen.

Zu allem Überfluss rollte auch noch ein Möbelwagen heran, der hinter dem Porsche parkte. Einem Geistesblitz zufolge holte ich mein Handy hervor und tat so, als hätte ich eine extrem wichtige SMS zu schreiben. Von der modernen Kommunikationsmöglichkeit abgelenkt, bekam ich angeblich weder mit, was mein Hund da machte, noch dass sich die Möbelpacker darüber amüsierten. Wohl aber bemerkte ich aus dem Augenwinkel heraus die Frau, die trotz des kühlen Märzmorgens in Hotpants und Spaghettishirt das Haus der Ostermanns verließ und auf mich zukam. Ich drehte mich demonstrativ zur Straße und ignorierte sie, wie auch meinen kackenden Hund.

"He, Sie da!", rief die Frau, doch ich widerstand dem Drang, von meinem Handy aufzusehen. "Hallo! Ich rede mit Ihnen!"

Ich tat überrascht. Als ich ihr aber ins Gesicht blickte, wurde aus der gespielten Überraschung eine ernstzunehmende Entgleisung jeglicher Gesichtsmuskulatur.

Nie zuvor hatte ich eine ebenmäßigere Anordnung aus Wangenknochen, Augen, Mund, Kinn und Nase gesehen, wie bei dieser asiatischen Mittvierzigerin. Umrahmt wurde die Komposition mimischer Merkmale von wallendem, schwarzem Haar, das ebenso wie ihre natürlich gebräunte Haut im Licht der Morgensonne erstrahlte. Arme und Beine waren filigran gearbeitet, zeugten jedoch in ihrer fein abgegrenzten Muskelmasse von sportlicher Aktivität. Ihre Brüste hingegen waren groß und üppig, vermissten aber den fehlenden BH in keiner Weise. Kurz: Sie war die wohl attraktivste Asiatin, der ich in den letzten Jahren begegnet war.

Liebe Susanne, bei der Gelegenheit muss ich etwas klarstellen. Als ich mich entschloss, Dir diesen Brief zu schreiben, bemühte ich mich um schonungslose Ehrlichkeit. Immerhin soll er Dir helfen, meine Beweggründe zu verstehen. Ich halte es daher für wichtig, meine Gefühle und Sehnsüchte, auch, wenn ich Dich damit verletzen sollte, offen zu legen. Nur so, glaube ich, bist Du in der Lage, am Ende eine Entscheidung zu treffen bzw. sie noch einmal zu überdenken. Außerdem warst Du ja immer für Offenheit in der Beziehung.

Schön, dann hätten wir das ja geklärt!

Kampflustig sah mich also die asiatische Schönheit mit ihren tiefschwarzen Augen an und zeigte mit ihrem langen Zeigefinger auf Tobi, der sie hechelnd anlachte. „Ihr Hund macht auf meinem Rasen."

"Ach, das ist Ihr Rasen?", fragte ich überrascht. "Hier haben doch mal die Ostermanns gewohnt."

"Kenne ich nicht."

"Horst Ostermann", sagte ich. „Er war Geschäftsführer bei einer Billigkette für Bürobedarf. Rieke, seine Frau, kassierte im Supermarkt vorn an der Ecke. Sie konnten die Raten fürs Haus nicht mehr bezahlen, als Horst seinen Job verlor. Konkurs. Bedauerliche Geschichte."

"Trotzdem macht ihr Hund jetzt auf meinen Rasen", sagte die asiatische Schönheit schnippisch. „Sie machen das doch hoffentlich weg!"

"Klar! Die Hinterlassenschaften meines Hundes mache ich immer weg."

"Ha!", lachte es hinter mir auf. Die alte Frau Kretschmer, Nachbarin von direkt gegenüber, stand feixend mit ihrem Rollator zwischen Porsche Boxster und Möbelwagen und schaffte es offenbar nicht den Bordstein hinauf. "Normalerweise kackt sein Köter auf mein Grundstück", geiferte sie. "Irgendwann werde ich diese Töle vergiften!"

"Frau Kretschmer", sagte ich mit gespielter Entrüstung und am liebsten hätte ich ein "Sie alte Dreckschleuder" nachgesetzt. Ich hasse diese Gewitterziege! Ja, Susanne, auch, wenn sie Dich an Deine Großmutter erinnert.

Noch ehe Frau Kretschmer weiter ihr Gift verspritzen konnte, war einer der Möbelpacker, die mittlerweile den Lkw verlassen hatten, herangetreten, um der alten Schachtel beim Erklimmen des Bordsteins zu helfen.

"Nehmen Sie Ihre Finger weg!", geiferte das alte Weib. "Ich lasse mich nicht von Polen begrapschen."

Der Möbelpacker blickte sie verdutzt an.

"Leugnen Sie nicht", fuhr die Kretschmer fort. "Sie sind Pole! Man sieht es an Ihrem runden Schädel. Ich weiß, wovon ich rede. Sie sehen aus wie Meister Proper. Ich hasse Meister Proper. Hat mir das antike Parkett verkratzt. Aus Polen kommt nichts Gutes."

"Ich bin Schwabe", sagte der Möbelpacker kleinlaut, der die alte Kretschmer um mindestens vier Köpfe überragte.

"So weit sind wir schon gekommen", fühlte sich Frau Kretschmer bestätigt. "Ein Schwabe, der leugnet ein Pole zu sein, ein kackender Köter und eine Chinesin, die bei den verschissenen Ostermanns einzieht. Er ging ja noch, aber sie war 'ne Schlampe."

"Auch wenn es nicht so aussieht", sagte die asiatische Schönheit mit einem Lächeln, das eine Reihe strahlend weißer Zähne entblößte, "aber ich bin in Deutschland geboren."

"Ja sicher. Und Mao war Betriebsrat beim Chinamann um die Ecke." Kopfschüttelnd hob die alte Kretschmer den Rollator auf den Bürgersteig. "Eine verschissene Welt, in der wir leben. Eine Chinesin … Hier … Bei uns!!! Wenn das mein Eberhard wüsste." Immer noch kopfschüttelnd rollte sie an uns vorbei und gab weitere Tiraden unverständlicher Beleidigungen von sich.

"Tja", sagte ich mit einem Schmunzeln. "Willkommen in der Vorstadt."

Ich erwartete ein Lachen als Antwort, musste aber feststellen, dass die exotische Nachbarsfrau erneut auf Tobis Haufen starrte.

"Ja, den mache ich dann jetzt mal weg", sagte ich tatendurstig und klopfte meine Hosentaschen nach einem Kackbeutel ab, der in Wahrheit ja auf unserem Küchentisch lag.

"Sie hätten nicht zufällig ...", begann ich und sah, wie die Exotin ihre Augen verdrehte und zu ihrem Porsche ging.

"Könnten wir--", begann nun auch der schwäbische Möbelpacker, dem aber sogleich mit einem endgültig aussehenden Wink der Mund verschlossen wurde.

Unbeirrt nahm die asiatische Schöne eine Kiste vom Beifahrersitz und kramte eine Gartenschippe heraus, die sie mir in die Hand drückte. "Damit müsste es gehen."

Ich hatte Mühe, Tobis Würste allesamt mit der Schippe aufzuklauben.

"Geht's?", fragte sie.

"Mit ein bisschen Geschick ... Mein Name ist übrigens Jan Klusmann. Ich wohne direkt nebenan."

"Valerie", antwortete sie und reichte mir ihre Hand.

Ich weiß nicht, ob Du Dich noch erinnern kannst, Susanne. Ich erzählte Dir damals, dass, als wir uns kennen lernten, ein Schauer durch meinen Körper direkt in meine Genitalien fuhr, als wir uns das erste Mal bei den Händen nahmen. Nie wieder löste eine Frau ein derart sexuell stimulierendes Gefühl durch bloße Berührung in mir aus. Nie wieder, bis an jenem Freitagmorgen.

Selbstverständlich gab ich dem Gefühl keine Chance ... Ich bin ja verheiratet ... Mit Dir ... Und ich war auch wirklich schon im Gehen begriffen, als sie mit ihrem Perlweißlächeln und einer warmen Stimme sagte: "Eigentlich mag ich Hunde. Ist das ein Labrador?"

"Richtig."

"Die mögen Wasser, nicht wahr?

"Eigentlich schon, aber nicht Tobi. Er hasst Wasser. Bei Spritzwasser fängt er an zu knurren. Tröpfelt es von oben, wird er bissig. Nur wenn es langsam von unten ansteigt, erstarrt er vor Angst und lässt alles über sich ergehen."

"Das habe ich ja noch nie gehört."

"Ich auch nicht, sonst hätte ich seinen Bruder gekauft."

Hatte sie vorher über Tobis rasseuntypische Merkmale nur gegrinst, lachte sie nun laut und aus vollem Herzen. Sie hatte ein hübsches Lachen, wenn es auch etwas dunkel klang. Ebenso ihre Stimme. Sie sprach sehr leise und schien hohe Töne vermeiden zu wollen. Das erweckte in mir den Wunsch, noch genauer hinzuhören und mir fiel auf, dass sie einzelne Silben und Buchstaben sehr deutlich aussprach, fast schon betonte. Sie opferte kein Vokal irgendeinem regional gesprochenen Dialekt. Und ebenso wie ihre Aussprache, wirkten bei ihr auch Haltung und Gestik formvollendet. Zudem schien sie auch zu wissen, wie man Small-Talk auf eine charmante Art und Weise beilegt. "Na, dann hoffe ich mal für Tobi, dass in den nächsten Tagen nicht die Polkappen schmelzen."

Sie wollte sich gerade dem schwäbischen Möbelpacker zuwenden, als der Jäger in mir, von dem ich seit Jahren nicht mehr wusste, dass er noch da war, sich zu Wort meldete und einen Vorstoß in Richtung Flirt wagte. "Und falls doch, suchen wir bei Ihnen Unterschlupf."

"Ich glaube nicht, dass mein Mann da mitspielen würde", sagte sie. "Er hasst Hunde."

Ich gebe zu, ich war ein wenig konsterniert. Die Art, wie sie mir gegenüber ihren Beziehungsstatus enthüllte, ließ keinen Zweifel darüber offen, dass sie an weiteren Flirts nicht interessiert war. Ich hielt es daher für das Beste, endlich den Heimweg anzutreten. Grußlos schob ich mich mit Tobis Leine in der einen und der Gartenschippe mit seinen Exkrementen darauf in der anderen Hand an der Gruppe vorbei, zurück in mein kleines Leben. Ich hatte Mühe, die Schippe so auszutarieren, dass die Köttel nicht über den Rand rollten.

"Wir sehen uns", hörte ich Valerie sagen, und ich bemerkte beinahe viel zu spät, dass sie mich meinte.

"So?", fragte ich, zu keiner intelligenteren Antwort fähig.

"Wegen der Schippe. Ich hole sie mir beizeiten ab." Sie zwinkerte mir vielsagend zu. Zumindest glaube ich, dass es vielsagend war. Ich war mir sicher, dass ihre Augen den ganzen Weg über, bis zu unseren Abfalltonnen, auf mir ruhten. Erst, als ich mich noch einmal zu ihr umdrehte, blickte sie verstohlen zur Seite. Ich war so erfreut darüber, dass ich vor lauter Euphorie nicht nur die Hundeköttel, sondern dummerweise gleich die ganze Schippe in den Eimer warf.

Mir ist vollkommen bewusst, Susanne, dass Du Dich noch sehr wohl an unser Gespräch erinnern kannst, dass wir nach meiner Begegnung mit Valerie in unserer Küche führten. Ist ja gerade mal eine Woche her. Aber es wäre fatal, wenn ich das einfach beiseiteschieben würde, in der Hoffnung, dass Du die ganze Geschichte plötzlich aus meiner Sicht siehst. Denn darum geht es ja: Dir meine Sicht zu vermitteln. Ich lasse deshalb alle Ereignisse, bei denen Du aktiv mitgewirkt hast, drin, natürlich nur, sofern sie der Erklärung beitragen. Auch, wenn Du es vielleicht als kleinlich und selbstgerecht empfindest, für mich ist wichtig, dass ich Dir meine komplette Gefühlswelt offenbare. Das geht natürlich nur, wenn ich Dir vermittele, wie ich mich bei unseren Gesprächen und Konfrontationen gefühlt habe. Und das wollt ihr Frauen doch immer, Männer, die über ihre Gefühle sprechen. Leider bedenkt ihr dabei nicht, dass es euch nicht immer gefallen könnte.

Ich kam mit einem ausgehungerten Tobi in die Küche. Du saßt mit den Zwillingen am Tisch und nahmst keinerlei Notiz von mir, nicht einmal, als ich Dich auf die Stirn küsste. Mittlerweile bin ich das gewohnt und ich schreibe es der Arbeit mit den Kindern zu. Zwillinge mit einem Schälchen Brei zu füttern erfordert ja auch sämtliche Aufmerksamkeit. Ich bin keine Mimose in solchen Dingen, wenn ich auch ab und zu den einen oder anderen verliebten Blick von Dir vermisse. Einen Blick, der sagt: "Schatz, du bist vierzig, hast einen Bauch und schütteres Haar bekommen, aber du bist immer noch mein Supermann." Männer brauchen so etwas, und ich ertappte mich dabei, wie ich mir Valeries verschämtes Wegsehen in Erinnerung rief.

"Hast du dich gerade mit unserer neuen Nachbarin unterhalten?", fragtest du, und ich vermied es, Dich anzusehen. Stattdessen gab ich Tobi sein Frühstück.

"Ja", antwortete ich "Kennst du sie?"

"Schick."

"Bitte was?"

"Schick Modediskont." Und schon fingst du an zu singen. "'Günstige Mode auf einen Blick, komm zu Schick! Der Schick Modediskont - auch in Ihrer Nähe!' Sogar dem Lokalfunk war es eine Meldung wert."

"DAS ist Valeries Mann?", purzelte es aus mir in einem schockierten Unterton heraus, der einem verheirateten Mann nun wirklich nicht zustand. Von Zeit zu Zeit bin ich wirklich froh darüber, dass Du, wenn Du gestresst bist, nur mit einem Ohr zuhörst. "Was zieht denn den Schick in unsere Gegend?"

Anstelle mir zu antworten, warfst du einen Blick auf die Küchenuhr. "O Mist, ich bin schon wieder spät dran. Übernimmst du mal?"

Ich nahm den Löffel entgegen und berührte unweigerlich Deine Hand. Der Luftzug, den Du bei Deinem plötzlichen Aufbruch verursachtest, wirbelte Dein Parfüm auf, das sich mit Deinem ureigenen Duft vermischte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich Zeit, Dich einen Moment näher zu betrachten. Ich brauchte nicht mehr.

Du bist bei Gott keine Exotin. Du hast auch nicht dieses einnehmende Lächeln oder die glänzende Sonnenbräune. Aber mit einem Mal bemerkte ich, wie hübsch Du doch warst. Nichts, aber auch gar nichts hattest Du in all den Jahren an Anziehungskraft eingebüßt. Es sind die Umstände, die uns manchmal voneinander wegtreiben lassen, weshalb wir den anderen nicht mehr als das wahrnehmen, was er in Wahrheit ist: ein begehrenswerter Mensch.

Ganz plötzlich fühlte ich mich, wie schon lange nicht mehr, zu Dir hingezogen. Sex hatten wir schon eine ganze Weile nicht mehr gehabt. Nicht, weil wir es nicht brauchten, sondern weil uns die Zeit dazu fehlte, weil der Alltag keine Spontaneität zuließ. Aber genau darauf kommt es an. Nicht mehr als eine kleine Zutat zum Glück, aber mit einer Auswirkung, die das Leben zweier Menschen nachhaltig beeinflusst. Und so fasste ich Dich an die Taille. Entschlossen, aber zugleich zärtlich. Dieser zeitlose Moment … ich wollte etwas davon an Dich weitergeben.

Fest zog ich Dich an mich und sah Dir tief in die Augen. "Was hältst Du davon, wenn wir den Tag einmal anders beginnen?", fragte ich. "So wie früher."

Ich nahm mir Valerie als Vorbild und senkte meine Stimme. Ich wollte, dass Du mir zuhörst, dass Du Dich von mir einfangen lässt.

"Heute geht's wirklich nicht", sprach's, und mir wurde klar, dass wir, trotz körperlicher Nähe, zu weit voneinander entfernt waren. "Ich habe Luise gebeten, heute etwas früher zu kommen, weil ich doch Erics Klasse übernehme. Ich muss sie für Montag auf die Klassenfahrt vorbereiten."

"Und du meinst nicht, dass sie ruhig mal eine Freistunde verdient haben? Luise kommt sowieso zu spät."

Kopfschüttelnd drücktest Du mich von Dir weg, um Deinem aufkommenden Ärger Luft zu verschaffen. "Wenn Luise zu spät kommt, möchte ich, dass Du mir Bescheid gibst! Sie kann nicht kommen und gehen, wann sie will!" Und damit hattest Du wieder einmal die Klippen gut umschifft.

Während ich geduldig das Frühstück der Zwillinge beendete, nahmst Du Dir alle Zeit der Welt, um dich fertigzumachen. So war ich immer noch im Jogger, als ich Dich, mit den Zwillingen auf den Arm, an der Haustür verabschiedete. Übrigens unser einziges Ritual nach fast fünf Jahren Ehe.

"Und sieh zu, dass du heute Abend pünktlich bist. Ich habe um fünf einen Friseurtermin", sagtest Du und gabst mir einen dieser nichtssagenden Küsse. Deine Verabschiedung von den Kindern war ungleich intensiver. Natürlich, Du warst ja in Eile.

"Tschüss, meine Mäuse", sagtest Du zu den Kindern. "Bis dann", sagtest Du zu mir.

"Ja, viel Spaß", antwortete ich.

"Werde ich nicht haben! Erics Klasse besteht fast vollständig aus Heulsusen. Die haben jetzt schon Heimweh, obwohl es erst Montag losgeht."

"Ignoriere einfach ihre Gefühle! Genau wie meine!", rief ich Dir nach, als Du gerade ins Auto stiegst. "Damit hast du ja Erfahrung!"

"Was hast du gesagt?"

"Ich sagte, wir brauchen noch Babynahrung!"

"Bring ich mi-hit!"

Wie gesagt, es ist immer wieder schön, wenn Du in Stresssituationen nicht richtig zuhörst.

Luise kam tatsächlich erst um zwanzig nach acht. Ich weiß, wir haben schon ausführlich über ihr Zuspätkommen gesprochen, aber ich halte es für wichtig, auch diesen Punkt nicht auszulassen. Bis heute glaubst Du mir ja nicht, dass Luise mir an diesem Morgen gezielt schöne Augen machte. Und selbst wenn sie es nur tat, um irgendwelche Vorteile zu erlangen, so hat mich doch gerade ihr Verhalten und Deine Reaktion darauf stark in meinen zukünftigen Handlungen beeinflusst.

Aber der Reihe nach.

Um zwanzig nach acht klingelte es also an der Tür. Ich hatte gerade die Kinder versorgt, mir das Duschen abgeschminkt - wofür gibt es Vierundzwanzigstundendeos - und war gerade dabei, mir die Krawatte zu binden, als Luise wie von der Tarantel gestochen an mir vorbei ins Haus stürmte.

Während Du bei Stress nicht zuhörst, Susanne, kennt Luise bei Stress kein Punkt und Komma. "Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich wieder durchgemacht habe, Herr Klusmann!", begann sie. "Es ist jedes Mal aufs Neue eine Himmelfahrt hierher! Der ganze Verkehr und die vielen Leute ... Und als wenn das nicht genug ist, ruft auch noch mein Freund über Handy an. Während ich Auto fahre! Das müssen Sie sich mal vorstellen. Er fragt mich, warum ich ihn am Wochenende versetzt habe, dabei hat er sich drei Tage nicht bei mir gemeldet. Hatte so viel zu tun. Ein Student der Volkswirtschaftslehre!" Spöttisch lachte sie auf und zeigte mir, also eigentlich ihm, einen Vogel.

"Luise", versuchte ich sie zu unterbrechen, musste aber feststellen, dass das keinen Sinn hatte. War Luise erst einmal in Fahrt, war es besser, sie ausreden zu lassen, bis sie von irgendetwas abgelenkt wurde. So folgte ich ihr in die Küche. Dann ins Wohnzimmer.

Zweifellos suchte sie die Kinder, war aber durchaus noch in der Lage, ihre Geschichte zu Ende zu bringen. "Während der mir also die Ohren vollquatscht, hält mich ein Polizeiwagen an. Die wollen vierzig Euro von mir, weil ich den bekifften Hirngespinsten meines Freundes lausche. Ich rede also auf den Bullen ein, noch mal ein Auge zuzudrücken. Macht er aber nicht. Ich sag bitte, bitte. Er sagt danke, danke und fängt voll dämlich an zu lachen. Ich sag, jetzt wollen wir mal aber wieder ernst werden. Er sagt, so heißt er mit Vornamen und lacht noch dämlicher als vorher. Nein, sagt er dann, eigentlich will er nur wissen, ob es mir Wert wäre, anstelle der vierzig Euro, die Sache auf eine andere Art und Weise zu erledigen. Ich lasse mir das Ganze durch den Kopf gehen, was nicht lange dauert, sag schließlich ja und konnte nach zehn Minuten endlich gehen. - Och, da seid ihr ja!"

Endlich hatte Luise die Zwillinge entdeckt, was für die nötige Ablenkung sorgte, um ihren Redefluss zu stoppen. Lea war gerade dabei, ihren Bruder eine Schnabeltasse voll Saft über den Kopf zu gießen, was Luise gerade noch verhindern konnte.

"Was wollte die böse Lea mit dir machen?", fragte sie und beugte sich zu Max hinunter, um ihm die paar Tropfen, die ihn erwischt hatten, aus den Haaren zu wischen. Dadurch rutschte ihre Jeans ein Stück weit hinunter und gab den Blick auf das Spitzenbündchen ihres Slips frei. Unweigerlich malte ich mir die Art und Weise aus, mit der Luise den Polizisten beschwichtigt hatte.

"Luise", sagte ich räuspernd. "Luise, ich glaube, wir müssen uns mal unterhalten. Das heißt, meine Frau wird das wohl tun, also ..."

Sofort stand Luise auf, stellte sich vor mich hin und blickte mich mit ihren unschuldigen Kulleraugen ebenso unschuldig an. Ihr Dekolletee war verrutscht, aber das bemerkte ich erst viel später. Ich schwöre, Susanne, ich schaffte es ohne Probleme, Luise konzentriert in die Augen zu sehen. Nach einer fünftel Sekunde aber, wanderte mein Blick automatisch auf ihre festen Brüste.

Luise ist aber auch ein hübsches Ding. Das ist Dir selbst auch schon aufgefallen. Trotz ihrer zwanzig Jahre wirkt sie, als wäre sie bereits durch alle Betten zwischen Wanne-Eickel und Timbuktu gehüpft. Es war als Mann unheimlich schwierig von ihrer einerseits unschuldigen, dann aber wieder verrucht schmutzigen Art nicht gefangen zu sein.

"Es geht um Ihr Zuspätkommen", versuchte ich den Faden wieder aufzunehmen.

"Aber ich habe Ihnen doch den Grund erklärt", antwortete Luise und atmete tief ein, worauf sich ihr Busen gefährlich hob.

"Eben. Und Sie müssen mir eins versprechen. Wenn meine Frau sie darauf anspricht, behalten Sie den Grund um Himmels willen für sich."

"Aber das war doch die Polizei in Schuld!"

"Trotzdem. Es könnte Sie ins schlechte Licht rücken. Ein Mann wie ich, kein Problem. Aber Frauen sind da sehr voreingenommen."

"Dann musste das Ihre Frau noch nie machen?"

Langsam wurde mir der Kragen ein wenig zu eng. "Schon, aber eher mit mir. Nicht mit einem Polizisten."

"Dann bieten Sie auch so etwas an?"

"Herrgott nochmal, Luise! Sie sind unsere Nanny."

"Ja, und?"

"Na das möchten Sie doch bleiben, oder nicht?"

"Klar! Sie geben doch ordentlich Trinkgeld." Sie verzog das Gesicht. "Na schön, dann mache ich das eben nicht bei Ihnen, sondern bei der Polizei."

"Moment, ich denke, Sie haben schon ... da ... was immer Sie machen mussten gemacht."

"Nein, Herr Klusmann, da habe ich doch nur das Formular ausgefüllt. Das Sicherheitsfahrtraining ist frühestens nächsten Monat."

"Was für 'n Training?"

"Das Sicherheitsfahrtraining, das ich anstelle des Bußgeldes machen muss. So spare ich immerhin vierzig Euro. Ist Ihnen nicht gut, Herr Klusmann?"

"Mir geht's bestens."

"Also sage ich Ihrer Frau nichts davon. Andererseits, wenn Sie wiederum Ihrer Frau nichts von meinem Zuspätkommen sagen, dann brauche ich nicht zu lügen."

"Luise ..." Ich stockte. Immer näher rückte sie an mich heran, hielt aber trotzdem genug Abstand, damit ihre Brustwarzen mich nicht berührten. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt.

"Letztlich war das ja die Schuld meines Freundes", erklärte mir Luise. "Er hat noch nicht so viel Lebenserfahrung wie Sie. Er weiß nicht, wie man eine Frau behandelt, sonst hätte er mich gefahren. Ist es nicht so, dass ein Mann seine Frau in jeder Lebenslage beschützen muss?" Luise ergriff meine Krawatte und rückte den Knoten zurecht. Fast beiläufig berührten die Knöchel ihrer Finger zaghaft mein Kinn und meine Wange. Und wieder brach mir der Schweiß aus. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich aus dieser Situation herauskommen sollte.

"Ich bin sicher, Sie wissen, wie man eine Frau behandelt." Sie benetzte mit der Zunge verführerisch ihre Lippen. "Natürlich wissen Sie das, sonst hätten Sie nicht eine so hübsche Frau. Ich frage mich, ob ich auch mal so viel Glück haben werde wie Frau Klusmann."

"Ich muss jetzt wirklich los", erwiderte ich hastig.

"Dann werden Sie Ihrer Frau nichts sagen?"

"Wenn Sie mir versprechen, dass es das letzte Mal war."

"Ich tue alles, was Sie wollen", sagte sie verführerisch.

"Schön, dann ziehen Sie sich ab morgen was Ordentliches an, sonst wird noch der Hund in der Pfanne verrückt." Ich tat einen Schritt zurück, griff nach meinem Sakko und stürzte aus dem Haus. Kaum, dass die Tür ins Schloss gefallen war, tupfte ich mir mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn.

Völlig perplex ging ich zum Auto und sah Valerie, die vom Lkw sprang und einen Karton von der Hebebühne nahm. Ein freundliches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie mich erblickte. Und wie heute Morgen, zwinkerte sie mir ein asiatisches Äuglein zu.

Langsam wurde es mir unheimlich. Was war denn auf einmal los? Da wird man jahrelang von keiner Frau beachtet, nicht einmal die eigene Frau erkennt deine Vorzüge, und auf einmal, ZACK!, lachen sie dich über die Straße hinweg an oder versuchen dich mit ihren Brustwarzen zu erstechen.

Okay, ich sehe förmlich, wie Du die Augen verdrehst, Susanne. Aber für mich war das eben ein schönes Geburtstagsgeschenk.

Moment ...

Auf einmal fiel mir auf, dass Du mir noch gar nicht zu meinem vierzigsten Geburtstag gratuliert hattest.

Doofenschwur

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