Читать книгу 30 Minuten An Krisen und Konflikten wachsen - Thomas Lorenz - Страница 13
Die Chance des Chaos
ОглавлениеMancher Leser wird sich jetzt denken: So komme ich aber nicht weit im Leben! Genau das ist die Kehrseite der Medaille. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht immer wieder dieses Bedürfnis nach Unordnung: morgens mal ohne Wecker leben, vielleicht doch noch mal den Arbeitgeber wechseln, die vielen attraktiven potenziellen Partner, die einem so auf der Straße begegnen, nicht alle links liegen lassen.
Für Kinder sind diese Auseinandersetzungen mit der existierenden Ordnung notwendig, um sich zu entwickeln. Sie werden von der Natur praktisch dazu gezwungen, in den Clinch mit Mama und Papa zu gehen. Wenn sie das nicht lernen, kommt es zum Phänomen der sogenannten „Muttersöhnchen“. Das sind die, die nie gelernt haben, sich zu lösen, die immer noch unreflektiert an Ordnungsmustern und Normen hängen.
Und hier liegt die Herausforderung: Ich muss die Welt, damit ich am Leben bleibe, einerseits eingrenzen und das herausnehmen und wiederholen, was meine Existenz sichert. Wiederholung heißt andererseits aber auch, dass etwas Neues zuzulassen nicht stattfindet. Entwicklung braucht also Entgrenzung. Das aber schafft Unordnung. Dann greifen alte Muster nicht mehr – wir sind so lange in der Krise, bis sich eine neue Ordnung stabilisiert hat und das Spiel von vorne beginnt. Zwischen diesen beiden Polen – Krise und Ordnung – existiert jedes Lebewesen. Wenn Sie das für sich akzeptieren können, wäre schon ein erster Schritt getan.
Als Nächstes gilt es zu akzeptieren, dass es uns Menschen in diesen Krisen-Situationen oft schwerfällt, anzuerkennen, dass wir, anders als Tiere oder Pflanzen, denken und immer auch bewusst anders handeln können. Dies ist wieder die viel zitierte Medaille mit zwei Seiten. Sie wird uns im Kapitel zum Thema Konflikt noch umfassend beschäftigen.
Einer Krise kann mit Annahme oder Verweigerung der Auseinandersetzung mit ihr begegnet werden. Zurückweichen bietet nur auf den ersten Blick eine Lösung. Es setzt persönliche Entwicklung aus, bedeutet Stillstand. Ohne Überschreiten von Grenzlinien ist eine erfolgreiche, über das Kindhafte hinausführende Sozialisation nicht möglich.
Was als krisenhaft erlebt wird, kann nur vom Einzelnen bestimmt werden. Aussagen wie „Ich krieg’/hab’ die Krise!“, „Ich habe Schmerzen!“ sind keine Aussagen, die von einem anderen als wahr oder falsch bewertet werden können. Sie sind unwiderlegbare persönliche Wahrheiten. Jemanden mit der Behauptung zu konfrontieren, er stecke in einer Krise, kann andererseits von diesem unwiderlegbar verneint werden. Krisen sind subjektive, einzigartige Erlebnisse. „Mein Freund hat Ähnliches erlebt und der hat Folgendes gemacht …“, „Das ist doch nicht so tragisch!“, solche Aussagen sind in dieser Situation nicht hilfreich.
Krisen sind die das Leben konstituierenden Bedingungen und nicht nur ein Merkmal unter vielen. Den Menschen ist es gegeben, diesen mit Annahme oder Ablehnung zu begegnen. Ziel sollte jedoch nicht Ablehnung sein, sondern sich an und durch Krisen zu entwickeln. Nehmen wir der Krise den Beigeschmack der Katastrophe. |