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4. Andrej

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Kurze Zeit später verabschiedet sich Valerie. Ich habe meinen Kaffee noch nicht ausgetrunken und bleibe daher im Wohnzimmer sitzen, um nachzudenken. Pierre müsste bald nach Hause kommen. Ich bin gespannt, was er zu dem Erscheinen Valeries sagen wird. Die Stadt mit dem Ingenieurbüro, in dem die beiden arbeiten, ist auf dem halben Weg nach Paris, also werde ich wohl am besten eine Nacht dort bleiben. Doch wie die Begegnung mit Andrej ausgehen wird, ist mir noch vollkommen unklar. Auch wie ich ihm die Wahrheit näher bringen werde, weiß ich noch nicht. Vermutlich wird das ganz davon abhängen, was für ein Typ Andrej ist. Ich muss auf jeden Fall vorsichtig sein, denn wenn er einen hysterischen Anfall bekommt, wenn er meine Zähne sieht, sollten wir uns nicht in der Öffentlichkeit befinden, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Nun, vielleicht ist der Kerl auch eine Niete und alles, was bei der Begegnung herauskommen wird, ist die klare Empfehlung an Valerie, ihn fallen zu lassen. Nicht dass sie jemals die Tendenz gehabt hätte, auf mich zu hören. Aber wenn er ein unsympathischer Dreckskerl ist, werde ich ihm die Existenz der übernatürlichen Welt nicht offenbaren. Valerie wird dann ziemlich sauer auf mich sein, aber das ist eine Entscheidung, die sie mir überlassen muss. Und mit dem Ärger von Val kann ich leben, unsere Freundschaft besteht ja praktisch sowieso nicht mehr.

Aber ich hoffe, dass alles gut geht. Wenn Andrej ein guter Kerl ist und ich die beiden wieder zusammenbringen kann, dann wird Valerie vielleicht doch einsehen, dass in mir noch ein Stück der alten Trish steckt, mit der sie einmal so gut ausgekommen ist. Wenigstens für ein paar Jahre könnte ich mich dann an der Vergangenheit festhalten, so tun, als wäre es noch wie früher. Das wird es zwar nie wieder sein, aber ich habe das Gefühl, als bräuchte ich Zeit, um mich an all die Veränderungen zu gewöhnen, die der Verrat von Baxter mit sich gebracht hat.


Ich bin so tief in Gedanken versunken, dass ich die Präsenz an unserer Eingangstüre erst bemerke, als Pierre sie schon aufgeschlossen hat. Schnell springe ich auf und empfange meinen Ehemann mit der ihm gebührenden Aufmerksamkeit. Pierre lächelt mir entgegen, als ich in seine Umarmung sinke.

«Na, mein Schatz. Hast du mich vermisst?»

Ich tue so, als müsste ich nachdenken.

«Vermisst? Ich weiß nicht, was soll ich denn vermisst haben?»

«Na das hier.»

Damit gibt mir Pierre einen langen Kuss. Ich strahle ihm in die Augen.

«Ja, ich glaube, das habe ich vermisst.»

«Du Arme. Ich werde dir öfter einen Kuss geben müssen, damit du dir einen Vorrat anlegen kannst.»

«Das ist eine ausgezeichnete Idee.»

Lächelnd ziehe ich ihn ins Wohnzimmer, wo Charles bereits wartet. Pierre bestellt einen Wein und ich schließe mich an, Kaffee habe ich heute genug getrunken. Ich will nicht sofort mit meinen Neuigkeiten herausplatzen, also frage ich zuerst nach den normalen Vorkommnissen des Tages.

«Nun, hast du jemanden für das Büro gefunden?»

«Ich denke schon. Eine Frau mittleren Alters aus der Gegend, die schon Erfahrung in dem Gebiet hat. Sie will nach einer Kinderpause wieder in den Beruf zurück und erst einmal halbtags arbeiten. Wenn du dein ok gibst, dann kann sie in einer Woche anfangen.»

«Klar, zeig mir einfach die Unterlagen und schildere mir deine Eindrücke. Wenn du sagst, sie ist geeignet, dann habe ich nichts dagegen.»

«Ich habe bei ihr ein gutes Gefühl. Wenn du ihr die Auftragsbearbeitung übergibst, dann kannst du mich begleiten, wenn ich die Weine für die nächste Saison aussuche. Und wie war dein Tag so?»

«Turbulent»

«Turbulent? Gab es Probleme mit der Spätlese?»

«Nee, da war alles Bestens Aber zuerst habe ich beinahe jemanden umgebracht und dann ist jemand aufgetaucht, den ich niemals erwartet hatte.»

Pierre zieht die Augenbrauen hoch und schaut mich an.

«Erzähl.»

Also erzähle ich ihm zuerst von unserem Monsieur Dupont und schließlich von Valerie. Pierre ist ein wunderbarer Zuhörer. Zwar traue ich mich nicht, ihm zu sagen, wie dicht ich wirklich daran war, Monsieur Dupont in die Hölle zu schicken, aber ich muss zumindest so viel erzählen, dass Pierre weiß, dass der Kerl sich eventuell beschweren oder mir gar die Polizei auf den Hals schicken wird. Aber letzteres glaube ich eigentlich nicht mehr, denn wenn sie bisher nicht aufgetaucht ist, dann ist das ein klares Zeichen dafür, dass er sich nicht traut, mich anzuzeigen.


Monsieur Dupont wird relativ schnell abgetan. Pierre glaubt auch nicht, dass er den Mumm hat, gegen mich vorzugehen. Doch bei Valerie runzelt er die Stirn und scheint überhaupt nicht froh zu sein.

«Bist du sicher, dass du so etwas für sie tun willst?»

«Sie ist ziemlich am Ende, du hättest sie sehen müssen. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst.»

«Trish, das hat sie sich alles selbst zuzuschreiben. Und sie hat dir wehgetan. Meinst du nicht, dass ich nicht bemerkt hätte, wie sehr du darunter gelitten hast, dass sie sich abgewandt hat?»

Ah, daher weht der Wind.

«Du hast ja Recht, Pierre. Ich sehne mich immer noch danach, von ihr akzeptiert zu werden, sie wieder meine Freundin nennen zu können. Das ist meine Chance, die Sache wieder geradezubiegen.»

«Ich weiß nicht. Und was ist, wenn dieser Andrej ein Widerling ist?»

«Tja, das kann ich auch nicht sagen. Ich muss mich einfach auf meinen Instinkt verlassen. Schlimmstenfalls fahre ich unverrichteter Dinge wieder weg und Valerie ist noch wütender als vorher. Dann kann sie mir alle Schuld zuschieben und vielleicht darüber wieder Halt im Leben finden.»

Pierre schaut mich ernst an und nimmt mich dann in den Arm.

«Aber du würdest dir deswegen noch Jahre Vorwürfe machen. Ich sehe ja ein, dass du es versuchen willst, aber sei vorsichtig, ja? Menschen reagieren oft sehr irrational und feindselig auf uns. Deswegen ist es ja auch richtig, dass wir unsere Existenz geheim halten. Valerie ist ein typisches Beispiel von jemandem, der seine eigenen Fehler auf uns abwälzt. Wenn etwas schiefgeht, dann wird sich dieses Denken in ihr durchsetzen. Du musst dir dann sagen, dass du alles getan hast, was möglich ist. Okay?»

Seine Sorge um mich lässt ein warmes Gefühl in mir aufsteigen. Er hat wie immer vollkommen Recht. Ich wünsche mir Valerie zurück, aber mehr als ich jetzt tun will, kann ich nicht tun. Und wenn das nicht funktioniert, wie Val sich das vorstellt, dann darf sie es nicht mir anlasten. Tut sie es dennoch, dann muss ich mich von ihr distanzieren, dann sind wir endgültig geschiedene Leute. Mit einem Kuss besiegele ich diesen inneren Entschluss. Ich bin, der ich bin und auch Valerie muss lernen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin, oder aufhören, in meinem Leben eine Rolle zu spielen.


Während des gesamten folgenden Tages geht mir die bevorstehende Reise in die Heimatstadt von Valerie durch den Kopf. Die erste Frage ist natürlich, was ich anziehen soll. Ich plane, kurz nach Mittag dort zu sein, um mich mit Andrej für den Abend zu verabreden. Für eine Einführung in die übernatürliche Welt ist die Nacht einfach geeigneter. Es besteht zwar eine gewisse Gefahr, dass Andrej die Abwesenheit von Valerie für eigene Pläne nutzt, aber genau das ist der Grund, warum mein Outfit so wichtig ist. Ich darf nicht zu lässig ankommen, aber auch nicht zu formal. Andrej muss neugierig sein, weil ich ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen will. Die Frage ist also, was ihn neugierig stimmen wird.

Meine Wahl fällt schließlich auf ein neues Kostüm, das ich mir vor kurzem gekauft habe, weil ich tatsächlich immer mehr abnehme. Tante Anna hat zwar gesagt, dass sich das bald einpendeln wird, aber die Speckröllchen, vor denen ich mich früher immer gefürchtet habe, weil meine Sucht nach Crêpes und Co zu stark war, sind wohl jetzt kein Thema mehr. Deshalb habe ich das Kostüm auch sehr figurbetont und eng gekauft. Pierres Augen haben ziemlich geleuchtet, als er mir sagte, dass es mir ausgezeichnet steht. Zusammen mit eleganten Schuhen und einer passenden Feinstrumpfhose sollte das ausreichen, um die Neugier jedes Mannes zu wecken, der nicht gerade ein Eunuch ist.

Nachdem die Kleidungsfrage geklärt ist, sind die anderen logistischen Details kein Problem mehr. Das Navi wird mir den Weg zu dem Ingenieurbüro zeigen und ganz in der Nähe finde ich auch ein Hotel, in dem ich ein Zimmer vorbestelle. Ich könnte zwar noch in der Nacht nach Hause fahren, als Vampirin brauche ich nicht mehr ganz so viel Schlaf wie früher, aber auf der anderen Seite gibt es keinen Grund, die Sache nicht gemütlich angehen zu lassen. So habe ich den ganzen Abend, um Andrejs Weltbild auf den Kopf zu stellen und kann auch noch beobachten, wie er das Ganze aufnimmt.

Es gelingt mir sogar, Pierre dazu zu überreden, mir seinen Ferrari zu überlassen. Der Ferrari ist Pierres absoluter Lieblingswagen, ein Sportwagen der alten Schule, mit einem Sound, bei dem er immer ganz träumerische Augen bekommt. Ich durfte ihn früher ab und zu mal fahren, aber nur in Pierres Begleitung und immer hat Pierre dabei einen schmerzvollen Gesichtsausdruck bekommen. Als Mensch hatte ich mich nicht getraut, mehr als 150 zu fahren, vor den höheren Geschwindigkeiten hatte ich einfach zu viel Respekt. Das hat Pierre aber als Vergewaltigung des Motors empfunden, ein Sportwagen soll schließlich ausgefahren werden.

Seit meiner Verwandlung habe ich aber keine Probleme mehr mit der Geschwindigkeit. Meine Reflexe und mein Gefühl für das Auto sind ungleich besser geworden und auch meine Sehfähigkeiten sind nicht mit früher zu vergleichen. Und selbst, wenn ich einen Unfall bauen würde, so würde mich meine vampirische Konstitution Situationen überleben lassen, bei denen ich früher sofort tot gewesen wäre. Es ist immer noch selten, dass ich den Ferrari fahren darf, aber das liegt vor allem daran, dass Pierre selbst viel zu gerne damit fährt.


Nachdem alles geklärt ist, mache ich mich an dem verabredeten Tag auf den Weg in die Mitte Frankreichs. Die Fahrt verläuft ohne besondere Vorkommnisse, ich genieße das gemütliche Fahren auf der Autobahn, das Wetter ist trocken und auf den Straßen relativ wenig los. Auf diese Weise bin ich bereits kurz nach Mittag am Ziel. Daher fahre ich zuerst zu dem Hotel, wo ich den Wagen parken kann. Das Ingenieurbüro ist von dort nur drei Querstraßen entfernt. Die Stadt macht den typischen Eindruck einer französischen Provinzstadt. Man sieht viele alte, aber nett aussehende Häuser. Die Straßen sind verwinkelt und bestehen teilweise noch aus Kopfsteinpflaster. Es gibt kleine Geschäfte für den täglichen Einkauf und natürlich einen Marktplatz mit Kirche, um den sich alles Leben gruppiert.

Es ist genau die Art Stadt, in der ich mir Valerie immer vorgestellt habe. Es wäre auch höchst ungewöhnlich, wenn sich hier eine größere Gruppe von übernatürlichen Wesen herumtreiben würde, zumindest keine Vampire. Die bevorzugen einfach die größeren Städte. Vielleicht könnte man hier eine Gruppe Werwölfe finden, die mögen die freie Natur sehr gerne, wie mir Tante Anna mal erzählt hat. Aber ich hoffe, dass ich keine treffe, denn soviel ich weiß, stehen sie den Vampiren im Allgemeinen sehr feindselig gegenüber.

Ich verschiebe einen ausführlichen Bummel durch die Stadt auf später und konzentriere mich erst einmal darauf, eine Verabredung mit einem fremden Mann zu bekommen. Das Ingenieurbüro liegt im Erdgeschoss eines etwas moderneren Hauses, in dem verschiedene Firmen, Ärzte und Anwälte untergebracht sind. Hinter dem Eingang befindet sich ein Empfang, von dem mir eine relativ junge Frau entgegenblickt.

«Guten Tag, Madame», begrüßt sie mich freundlich.

«Guten Tag. Ich würde gerne zu Monsieur Bonnet.»

«Sehr gerne. Kann ich bitte ihren Ausweis sehen?»

Ich gebe ihr meinen Ausweis und sie überträgt meine Daten in eine Liste.

«Monsieur Bonnets Büro befindet sich dort den Gang herunter, dann nach links durch das Großraumbüro, das zweite Büro auf der linken Seite.»

Ich bedanke mich und mache mich auf die Suche. Von dem Gang zweigen verschiedene Besprechungsräume, eine Küche und Toiletten ab und an dessen Ende befinden sich zwei große, offene und lichtdurchflutete Räume. Ich wende mich nach links. Der Raum enthält etwa zehn bis fünfzehn Arbeitsplätze, die meisten sind mit einem Schreibtisch, einem Computer und einem großen Zeichentisch ausgestattet. Überall arbeiten Menschen, von denen etwa ein Drittel Frauen sind. Die Meisten sitzen an ihren Computern und haben irgendwelche technischen Zeichnungen vor sich oder Tabellen mit Zahlen und Diagrammen. Dergleichen habe ich oft bei Valerie gesehen, die sich ja in die technische Richtung spezialisiert hatte. Ich selbst bin kein Freund dieses technischen Krams, mir sind lebende Pflanzen viel lieber.


Während ich zu dem Büro gehe, zu dem mich die Empfangsdame gewiesen hat, fallen einige Blicke auf mich. Die Frauen runzeln die Stirn, die Männer machen große Augen und vergessen ihre Arbeit. Offensichtlich wirkt mein schickes Outfit. Ich muss ein wenig lächeln, während ich immer stärker im Mittelpunkt des Interesses stehe. Früher wäre mir das unangenehm gewesen, aber jetzt macht mir so viel Aufmerksamkeit nichts mehr aus. Als Vampirin bin ich allen Menschen hier an Kraft und Schnelligkeit überlegen.

Das Büro, an dessen Eingang sich ein Schild mit der Aufschrift „A. Bonnet“ befindet, ist leer, daher schaue ich mich suchend um. Ich versuche zu erraten, wer der Anwesenden wohl Andrej ist. In der Nähe des Büros sitzt ein Mann mittleren Alters, der meinen Blick bemerkt hat.

«Sie wünschen?»

«Ich suche Monsieur Bonnet.»

Der Mann steht auf, schaut sich ebenfalls um und blickt dann in Richtung des Fensters, wo ich eine Gruppe von drei Leuten sehe, die über eine Zeichnung gebeugt zu sein scheinen.

«Andrej» ruft der Mann laut.

Aus der Gruppe blickt ein schlanker Mann mit schwarzen, kurzgeschnittenen Haaren auf.

«Besuch für dich.»

Der Blick Andrejs fällt auf mich. Er runzelt die Stirne, sagt ein paar Worte zu den anderen beiden und kommt dann auf mich zu. Das gibt mir die Gelegenheit, ihn in Ruhe zu betrachten. Er ist hochgewachsen, etwa einen halben Kopf größer als ich, und mit einer dunkelroten Jeans und einem blauen Hemd bekleidet. Sein Gesicht ist markant, er hat klare Konturen, einen leichten Schatten um das Kinn, eine kleine Nase und lebhafte Augen. Sein Gang ist energiegeladen und athletisch. Ein interessanter und schöner Mann, so viel muss man Valerie lassen. Er blickt mir interessiert entgegen, der offene und neugierige Blick gefällt mir. Als er mich erreicht, streckt er mir ohne Umschweife seine Hand zur Begrüßung hin.

«Guten Tag, Madame. Ich bin Monsieur Bonnet.»

«Guten Tag Monsieur. Ich heiße Trish Polignac. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit für mich?»

«Aber selbstverständlich. Bitte kommen Sie in mein Büro. Kaffee?»

«Gerne. Mit Milch ohne Zucker bitte.»

Während Andrej einen Kaffeeautomaten bedient, der in seinem Büro steht, setze ich mich und versuche, einen Eindruck von dem Menschen zu bekommen, der hier arbeitet. Alles sieht aus, als wäre es an seinem Platz, also ist Andrej vermutlich recht ordentlich, aber sein Schreibtisch ist weniger aufgeräumt. Möglicherweise versinkt er in seiner Arbeit, so dass seine Ordnungsliebe dann in den Hintergrund tritt. Die Bewegungen, mit denen er den Kaffee bereitet, sind präzise, obwohl er ab und zu einen neugierigen Seitenblick auf mich wirft. Doch er hält sich zurück, bis er eine Tasse vor mir abstellt.


Andrej nimmt auf seinem Bürostuhl Platz.

«Wie kann ich ihnen helfen, Madame Polignac?»

Ich nehme einen Schluck von dem Kaffee, das Aroma ist sanft, die Milch frisch. Ich lächele ihm zu.

«Es tut mir leid, sie hier während ihrer Arbeitszeit zu überfallen, aber mein Anliegen ist eher privater Natur.»

Das vertieft die Verwirrung auf seinem Gesicht.

«Aha, und darf ich fragen worum es sich handelt.»

«Ich würde gerne über eine gemeinsame Freundin mit ihnen reden. Es ist sehr wichtig. Da ich nur heute in der Gegend bin, wollte ich sie bitten, dass wir uns heute Abend bei einem gemütlichen Glas Wein treffen, um uns in Ruhe unterhalten können.»

Andrej scheint nicht zu wissen, was er aus mir machen soll. Er überlegt einen Moment.

«Um welche Freundin handelt es sich?»

«Aber Monsieur Bonnet. Wo wäre denn der Spaß bei einer solchen Unterhaltung, wenn ich ihnen alle Geheimnisse sofort verraten würde? Treffen Sie sich heute Abend mit mir und Sie werden es herausfinden.»

«Es ist nicht meine Angewohnheit, mich mit einer fremden Frau so ohne weiteres privat zu treffen.»

«Tun sie einfach so, als wäre es ein geschäftliches Treffen. Sie haben doch sowieso nichts vor heute Abend, nicht wahr?»

«Nein, das habe ich tatsächlich nicht.»

Ich kann geradezu sehen, wie Neugierde und Unsicherheit in ihm kämpfen. Schließlich siegt der Blick auf meine Figur. Welcher Mann kann schon einem geheimnisvollen Rendezvous mit einer hübschen, jungen Frau widerstehen?

«Na gut, ich gebe zu, Sie machen mich neugierig. Haben sie einen besonderen Ort im Sinn?»

«Nein, ich kenne mich hier nicht aus. Schlagen Sie etwas vor.»

«Nicht weit von hier gibt es einen sehr guten Italiener.»

«Nein, ich esse abends nichts. Mir wäre ein Weinlokal lieber.»

«Na gut. In der Rue du General Leclerc gibt es ein gutes Weinlokal, die sieben Amphoren. Wäre ihnen sieben Uhr Recht?»

«Ja, das hört sich gut an. Ich werde da sein.»

Damit beende ich meine Kaffee und erhebe mich.

«Dann will ich Sie nicht weiter von ihrer Arbeit abhalten. Auf Wiedersehen und bis später.»

Andrej ist ebenfalls aufgestanden und gibt mir zum Abschied die Hand. Seine ist warm und angenehm, vermutlich bemerkt er, dass sich meine sehr kalt anfühlt. Aber er sagt nichts.

Damit verlasse ich das Büro und gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin. Nicht nur Andrejs Augen ruhen auf mir und ich höre sogar, wie jemand hinter mir seinem Kollegen etwas höchst Unanständiges zuflüstert. Wie gut, dass Pierre nicht dabei ist, er würde diesen Männern vermutlich so viel Angst einjagen, dass sie sich für Wochen nicht mehr trauen würden, hinter einer Frau her zu starren.


Nachdem ich so den ersten Schritt, Andrejs Weltbild ins Wanken zu bringen, erfolgreich hinter mich gebracht habe, habe ich den Nachmittag frei. Ich benutze ihn für rein touristische Aktivitäten und schaue mir das Städtchen genauer an. Viel hat es eigentlich nicht zu bieten, zumindest nicht im Vergleich zu den Mittelmeer Städten, die ich gewohnt bin. Die Größe der Stadt ist wohl ausschließlich darauf zurückzuführen, dass sich hier früher zwei wichtige Handelswege getroffen haben und dadurch ein größerer Marktflecken entstanden ist. Aber für Touristen gibt es wenig Interessantes, selbst das hiesige Kloster ist weniger bedeutend als das in Lorgues.

Da ich noch etwas Zeit habe, nachdem ich alles gesehen habe, gehe ich ins Hotel und mache mich ein wenig frisch. Das größte Problem sind wie immer meine Haare. Wie soll man nur seine Frisur richten, wenn man kein Spiegelbild hat? Ich muss sie also rein nach Gefühl ordnen, aber irgendwie befürchte ich, dass ich wie eine Vogelscheuche aussehe. Wenn Andrej es wagt, darüber zu lachen, dann wird er die unangenehme Seite von Vampiren kennenlernen.

Schließlich ist es Zeit und ich hole tief Luft. Er hat einen netten und interessanten Eindruck gemacht, Valerie hat ausnahmsweise einen sehr guten Geschmack bewiesen. Ich hoffe, meine Mission gelingt, aber ich ahne, dass es nicht einfach werden wird. Andrej scheint einen scharfen und sehr skeptischen Verstand zu haben.

Als ich das Weinlokal betrete, bin ich ein wenig zu früh, aber Andrej sitzt bereits da. Er erhebt sich, um mich zu begrüßen und ich lasse zu, dass er mich zu meinem Stuhl führt und mir hilft, mich hinzusetzen. Eigentlich bin ich für die modernere Variante der Mann-Frau Beziehungen, aber ich bin solche Gesten inzwischen gewöhnt. Pierre ist in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen und zeigt mir oft auf diese Weise, wie wertvoll ich ihm bin. Andrej scheint auch eine Erziehung der alten Schule genossen zu haben. Er fragt mich auch nicht sofort aus, sondern reicht mir die Weinkarte.

«Und Sie wollen wirklich nichts essen? Ich lade Sie auch ein.»

«Nein danke. Nur einen Wein.»

Mit einem kurzen Blick auf die Karte überzeuge ich mich davon, dass dieses Lokal tatsächlich recht gut sortiert ist, dann reiche ich sie aber zurück an Andrej.

«Suchen Sie bitte aus.»

«Rot oder Weiß?»

«Einen roten bitte.»

Er wirft mir einen scharfen Blick zu, als wüsste er, dass ich ihn auf die Probe stelle und bestellt dann einen Bordeaux Superieur, den wir auch in unserem Angebot haben. Je nach Jahrgang ist das tatsächlich eine ausgezeichnete Wahl.

«Nun, Madame Geheimnisvoll. Was verschafft mir jetzt die Ehre dieses Treffens?»

«Wie schon gesagt, eine gemeinsame Freundin hat mich gebeten, mit ihnen zu reden.»

«Wer und worüber?»

«Die Angelegenheit ist ein wenig delikat. Ich bin mir keineswegs sicher, ob ich tatsächlich mit ihnen darüber reden soll.»

Das hat er nicht erwartet, jetzt runzelt er die Stirn, als wäre er tatsächlich ärgerlich.

«Nicht? Was soll dann das Ganze hier?»

«Aber Monsieur Bonnet. Seien sie doch ein wenig geduldig. Wir haben den ganzen Abend vor uns und ich würde sie gerne etwas kennenlernen. Ich möchte wissen, was sie für ein Mensch sind.»

«Warum sollte ich einer fremden Frau erzählen, was für ein Mensch ich bin?»

«Ich muss ja auch keine fremde Frau bleiben.»

Das weckt anscheinend sein Interesse. Er betrachtet mich scharf und scheint schließlich zu einer Entscheidung zu kommen.

«Nun gut, dann Sie zuerst. Wer sind Sie?»

«Ich bin Trish Polignac.»

«Trish hört sich nicht gerade Französisch an.»

«Ich bin von Geburt auch eine Amerikanerin, geboren und aufgewachsen in Kalifornien.»

«Und wie kommt es, dass Sie hier in Frankreich leben?»

Blutgefährtin 3

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