Читать книгу Die rote Tinktur - Thomas Riedel - Страница 4

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»Es leuchtet! seht! – Nun läßt sich wirklich hoffen,

Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen

Durch Mischung – denn auf Mischung kommt es an –

Den Menschenstoff gemächlich componiren,

In einen Kolben verlutiren

Und ihn gehörig cohobiren,

So ist das Werk im Stillen abgethan.«

Johann Wolfgang. v. Goethe,

Faust II, 2.Akt, Laboratorium, 1832


Kapitel 1

D

as Gewölbe in dem sich das Laboratorium befand musste tief unter der Erde oder einem Felsen liegen, denn die grob behauenen Natursteinwände zeigten eine Feuchtigkeit, wie man sie häufig in Höhlen fand. Die zahlreichen Kerzen aus Hammeltalg brannten nur schlecht und dazu unregelmäßig. Hinzu kam eine Vielzahl an Schalenlampen, die mit in Öl getränkten Holzspänen versehen waren. In diesem Licht glitzerten die Wassertropfen wie kaltes, viele Jahrhunderte altes Eis.

Auch die Schweißtropfen im kalkigen Gesicht des großgewachsenen, breitschultrigen alten Mannes mit den langen schlohweißen Haaren funkelten, als er sich über den gläsernen Sarkophag beugte. Der ungewöhnliche Sarg war bis zum Rand mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt. Knapp unter der Oberfläche waren die Umrisse eines menschlichen Kopfes zu erkennen; tiefe Augenhöhlen und ein weit aufklaffender Mund, angefüllt mit der roten Substanz. Trotz der Kühle des Raumes war der Schädel langsam in Verwesung übergangen. Das Gesicht hatte begonnen sich zu verfärben und war von Tag zu Tag mehr aufgedunsen. Noch immer hing der süßliche Geruch der Vergänglichkeit im Gewölbe. Erst vor einer Stunde war er damit fertig geworden die letzten Drähte am kahlrasierten Kopf anzubringen und ihn zurück in die Flüssigkeit zu legen. Ein feines silbernes Röhrchen hatte er mit ruhiger Hand, präzise in die Halsschlagader eingebracht und anschließend eine kupferfarbene Metallklemme auf die Zungenspitze gesteckt.

Zufrieden über sein Werk blickte der alte Mann auf, als ein großer Kristall in phosphoreszierendem Grün zu flackern begann. Der sonst durchsichtige Bergkristall zuckte im rätselhaften Rhythmus eines Bewusstseins, das nicht von dieser Welt zu sein schien.

Der Weißhaarige atmete schwer, als er von der Flüssigkeit, die aus Menschenblut, Moospflanzen, zermahlenen Knochen, zersetztem menschlichen Fleisch und reichlich weiteren alchimistischen Substanzen bestand, mit einer kleinen kuppelförmigen, bauchigen Flasche mit langem Hals eine Probe entnahm. Mit schlurfenden Schritten brachte er die Phiole, die für ihn den Kosmos verkörperte, an das andere Ende des Gewölbes und stellte sie auf einen groben hölzernen Tisch, auf dem sich eine Menge Laborgegenstände befanden.

Er machte sich an einer Destillieranlage zu schaffen hantierte mit einem Keramiktopf und gab den Inhalt der kleinen Flasche hinein. Jetzt brachte er an dem Topf ein handbreites Rohr an, an dessen einem Ende eine Halbkugel mit drei Schnäbeln war und unter die er Kupferschalen stellte. Nun entzündete er eine Flamme unter der Keramik und studierte aufmerksam den Vorgang der Destillation. Mit einer Feder schrieb er seine Beobachtung auf ein Pergament nieder. Von einem Regal nahm er sich ein altes Buch, blätterte darin und verglich das Ergebnis mit seinen Notizen. Nach einer Weile ging er zurück zum gläsernen Sarg. Wie unter einem geheimnisvollen Bann stehend wartete er auf eine Reaktion.

Jeden Augenblick würde die Sonne ihren höchsten Stand erreicht haben, und die Energie, die ihm die rote Sonne lieferte würde den abgetrennten Kopf zum Leben erwecken. Dieses Mal würde es ihm gelingen. Es musste einfach gelingen! Er war alt und ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Immer wieder fiel sein Blick auf die zahlreich installierten Spiegel. Sie würden für ihn die mächtigen Strahlen der Sonne lenken.

Und dann geschah es!

Rötlich brach sich das Sonnenlicht in den speziell für diesen Zweck geschliffenen Gläsern. Unermessliche Energie floss über die Drähte in den Schädel. Dann zuckten, fast unmerklich die Lippen und doch warf die Flüssigkeit leichte Wellen. Das Zeichen war unübersehbar. Dazu kam das Flackern des Kristalls, von dem aus feine goldene Drähte zu zahlreichen Nervensträngen am Hals des Kopfes liefen. Das Flackern hatte an Intensität zugenommen.

Wieder starrte der alte Mann in die rötliche Lauge hinein, in der sich die Umrisse eines Gesichtes abzeichneten. Er stützte sich auf dem Rand des Behälters in dem sein Versuchsobjekt lag. Bewegten sich endlich dessen Augen? Nur schwach konnte er die papierdünnen Lider erkennen, unter denen sich kugelförmig die Pupillen abhoben. Zuckten vielleicht die Lider? Die Lippen hatten sich doch schon bewegt.

Und dann war es soweit!

Plötzlich schlug der Kopf die Augen auf.

Er starrte ihn an!

Der alte Mann lächelte zufrieden. Er wandte sich wieder der Destillation zu und vertiefte sich in seine Aufzeichnungen. Nach endlosen Jahren und vielen hundert Versuchsreihen war es ihm endlich gelungen. Er hatte den wichtigsten Schritt geschafft. Jetzt war der Rest ein Kinderspiel.


Die rote Tinktur

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