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Kapitel 3

D

ie langen feuerroten Haare umschmeichelten liebreizend ihr bleiches Gesicht mit den süßen Sommersprossen und der niedlichen Stupsnase. Anmutig und leicht wie eine Feder präsentierte sie einen Highland Dance, zu den Klängen einer einheimischen Bagpipe-Gruppe, die mit erstaunlichem Können gängige Popmusik zum Besten gab. Mühelos und mit einem strahlenden Lächeln auf ihren zart geschwungenen Lippen, drehte sie sich einer Primaballerina gleich immer wieder auf ihren Fußspitzen um ihre Achse. Es war eine Freude ihr zuzuschauen.

Lawson bewunderte ihre Schönheit, aber auch die Kraft, die Koordination und Disziplin, die sie bei der Ausführung der einzelnen Figuren an den Tag legte. Sie schien im Klang der Dudelsack-Rhythmen förmlich aufzugehen, während sich die anderen jungen Leute zwar auch voller Begeisterung, aber mit weit weniger Gefühl zur Musik bewegten. Es verwunderte ihn, dass sie keinen Partner an ihrer Seite hatte und völlig allein über die Tanzfläche schwebte, während andere Pärchen um sie herum miteinander schäkerten, lachten und sich verliebt tief in die Augen sahen.

»Die ist schon ein echt niedliches Ding, was?« Finn Donovan knuffte Alexander Lawson grinsend in die Seite. »Kein Wunder, dass du sie mit den Augen förmlich verschlingst, und das schon seit ungeschlagenen zehn Minuten.«

»Ach, hör auf!«, gab Lawson unwillig zurück.

Es ärgerte ihn, von seinem Studienkollegen ertappt worden zu sein, aber Donovan hatte vollkommen Recht mit seiner Beobachtung. Tatsächlich hingen seine Augen wie gebannt an dem Mädchen mit den aparten Gesichtszügen. Er hätte nicht genauer zu sagen gewusst, warum er sie mit einer solchen Ausdauer fixierte, sicher war aber, dass sie ihm gefiel und verdammt sexy aussah. Aber das war es nicht allein, denn hübsche Mädchen gab es an diesem Abend mehr als genug zu sehen. Sie hatte etwas Besonderes, eine bestimmte Ausstrahlung, der er sich einfach nicht entziehen konnte. Lawson fragte sich, wie alt sie wohl sein mochte. Siebzehn, achtzehn, oder vielleicht sogar ein wenig älter?

»Anstatt sie die ganze Zeit anzustarren, würde ich sie mal lieber zum Tanz auffordern!«, stichelte Donovan schmunzelnd. »Schließlich sind wir doch hierhergekommen, um einmal richtig auf die Pauke zu hauen, oder? Und wie du sicher schon bemerkt hast, sie hat ganz offensichtlich keinen Freund!«

Lawson schaffte es nicht sich von ihrem Anblick zu lösen. Geistesabwesend nickte ihm zu.

»Vielleicht sollte ich das wirklich tun«, murmelte er leise vor sich hin.

Der Augenblick sie anzusprechen schien günstig, denn sie tanzte gerade in ihrer unmittelbaren Nähe. Gerade als er auf sie zugehen wollte, bahnte sich ein grobschlächtiger Bursche den Weg zu ihr durch die Menge. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er bereits mehr als reichlich getrunken hatte. Sein derbes, krebsrotes Gesicht wirkte unsympathisch. Und noch weniger sympathisch machte ihn der Umstand, wie er das Mädchen gleich darauf brutal am Arm packte.

»Hey! Los, Kleine, du tanzt jetzt mit mir!«, forderte er grob.

Alexander Lawson hörte die derbe, raue Stimme des Burschen ganz deutlich. Er registrierte, wie das Mädchen direkt zusammenzuckte. Schmerzhaft, gerade so als habe man sie geohrfeigt, verzog sie das Gesicht. Mit aller Kraft versuchte sie sich ihm zu entwinden und seine Hand abzuschütteln. Aber der Kerl grinste sie nur unnachgiebig an und machte nicht geringsten Anstalten seinen Griff auch nur ein wenig zu lockern.

»Heute ist mir sogar die Tochter des Abdeckers willkommen! Zier‘ dich ruhig, Rothaar!«, stieß er höhnisch lachend aus, und versuchte, das sich heftig sträubende Mädchen mit Gewalt in seine Arme zu zerren. »Ich mag es, wenn du dich wehrst!« Dann wurde er anzüglich. »Wenn du im Bett ebenso temperamentvoll und leidenschaftlich bist, soll es mir nur recht sein!«

Der rohen Kraft des Burschen war sie nicht gewachsen. Hilfesuchend, fast flehend, wanderte ihr verängstigter Blick im Saal umher. Und obwohl viele der Anwesenden den brutalen Übergriff bemerkt hatten, schritt keiner von ihnen ein. Niemand wollte in den Vorfall hineingezogen werden, lieber wurde weggesehen.

Alexander Lawson war da anders. Er wurde sich seines Handelns erst bewusst, als er bereits neben dem betrunkenen, schwarzhaarigen Unruhestifter stand, um ihm mit einem heftigen, festen Ruck die Hand vom Arm des Mädchens zu reißen.

»Ganz friedlich, mein Bester!«, hörte er sich selbst sagen, und wunderte sich darüber, dass seine Stimme dabei so hart klang. »Sie werden sie auf der Stelle loslassen!«

Überrascht wandte sich der Bursche ihm zu und starrte ihn an.

»Was willst du Würstchen denn von mir? Suchst du etwa Streit, Mann?« In den Augen des Burschen blitzte es gefährlich auf. »Das Rothaar gehört mir, hast du verstanden!?«

Lawson wollte dem Grobschlächtigen gerade an den Kopf werfen, dass er ihn evolutionstechnisch mindestens zwei Stufen unter der eines Blutegels einstufte, aber er verkniff es sich. Es wäre nur auf eine wilde Schlägerei hinausgelaufen, und ob er die hätte für sich entscheiden können, wäre mehr als fraglich gewesen. Deutlich spürte er das Zittern des Mädchens. Mit ihren schmalen, filigranen Händen klammerte sie sich fest an ihn.

»Helfen Sie mir bitte«, bat sie ihn. In ihrer lieblichen Stimme klang ein ängstlicher Unterton mit.

»Wenn dir jemand hilft, dann bin ich das!«, reagierte Lawsons Nebenbuhler aggressiv. »Du kommst jetzt zu mir, Rothaar! Du gehörst mir!«

»Ich gehöre niemandem!« Die Stimme des rothaarigen Mädchens klang in diesem Moment scharf und schneidend. »Ich werde jetzt nach Hause gehen.« Sie sah Lawson fest in die Augen. »Und Sie werden sicher so nett sein, mich zu begleiten, oder?«

So, wie sie es gesagt hatte, war es ein Oder, das keinen Widerspruch zuließ. Und als wenn sie es durch ihr Handeln untermauern wollte, wartete sie seine Antwort nicht ab, sondern zog ihn direkt durch das Gewühl der Tanzenden auf den gegenüberliegenden Ausgang zu. Bevor der verdutzte Bursche begriffen hatte, wie ihm geschah, stand sie mit Lawson auf dem Gehweg vor dem historischen Dorfsaal.

Leicht irritiert schaute er sie an. Dann lächelte er.

»Sind Sie immer so resolut«, wollte er von ihr wissen, während sie im gleichen Augenblick wieder hilflos wirkend neben ihm stand.

Sie schüttelte den Kopf und strich sich ihre langen Haare nach hinten.

»Und? Wollen Sie wirklich schon nach Hause?«, erkundigte er sich. »Der Abend hat doch gerade erst begonnen.«

Sie zögerte und sah ihn prüfend an.

»Dorthin hinein mag ich jedenfalls nicht mehr«, meinte sie schließlich. »Wenn Sie mir allerdings einen anderen Vorschlag machen wollen, wäre ich unter Umständen einverstanden noch etwas mit Ihnen zu unternehmen.« Ein reizendes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Sie sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass man Sie schief ansehen wird, wenn Sie sich mit mir abgeben.«

»Mit einem Rothaar?«, scherzte Lawson. »Ich muss Ihnen ehrlich gestehen, dass ich Rothaarige gut leiden kann, besonders welche von Ihrem Schlag.«

Er bemerkte, wie das Mädchen zusammenzuckte. Ganz plötzlich standen ihr Tränen in den Augen. Erstaunt starrte er sie an.

»Was haben Sie?« Er war verunsichert. »Habe ich etwas gesagt, was Sie verletzt hat?«

Das hübsche Mädchen mit den süßen Sommersprossen schüttelte den Kopf und presste ihre Lippen merklich aufeinander.

»Nein«, erwiderte sie nach wenigen Sekunden der Stille mit fester Stimme. »Sie haben nichts Falsches gesagt. Sie kommen ja nicht von hier und können es nicht besser wissen. Aber bitte, bezeichnen Sie mich nie wieder als Rothaar.«

Obwohl sich Alexander Lawson darüber wunderte und gern den Grund dafür von ihr erfahren hätte, hakte er nicht weiter nach.

»Okay, abgemacht«, versprach er. »Und jetzt lade ich Sie zu einem Glas Wein in den ›Tipsy Landlord‹ ein.« Er lächelte sie an und streckte ihr höflich seine Hand entgegen. »Übrigens, ich heiße Alexander, Alexander Lawson und halte mich in der Gegend auf, um ein wenig in den alten Burgruinen von ›Dùn Gòrdan-Castle‹ zu graben. Normalerweise studiere ich Archäologie in Edinburgh.«

Sie verzog den Mund zu einem strahlenden Lächeln, das jeden Zahnarzt ins Schwärmen gebracht hätte und schüttelte ihm die mit sanftem Druck die Hand.

»Ja, ich weiß«, erwiderte sie. »Neuigkeiten verbreiten sich schnell im Dorf. Hier passiert ja sonst nicht viel. Es heißt, Sie sollen in der Ruine eine recht interessante Entdeckung gemacht haben. Alte Wandmalereien, stimmt’s?«

»Ja, das ist richtig«, bestätigte er. »Wenn Sie möchten, dann erzähle ich Ihnen etwas darüber.« Er schenkte ihr ein Lächeln. »Verraten Sie mir, wie Sie heißen? Dann können wir uns doch besser unterhalten.«

Das Mädchen wandte sich zum Gehen und zog ihn kurzerhand mit sich.

»Ich heiße Alannah«, sagte sie, »und wohne ganz in der Nähe der alten Ruine. Aber nun wäre es mir lieb, wenn wir in das Gasthaus gingen.« Sie strich sich wärmend mit einer Hand über ihren nackten Unterarm. »Es wird nämlich langsam ein wenig kühl hier draußen.«

»Na, dann sollten wir uns wirklich beeilen, Alannah«, schmunzelte er. »Ich finde auch, dass es sich bei einem Glas Wein viel angenehmer plaudert als hier im Freien.«

Er musste zwei drei schnelle Schritte machen, um aufzuschließen. Ganz Kavalier bot er ihr an, sich bei ihm unterzuhaken. Wenige Sekunden später waren die beiden bereits in der Dunkelheit verschwunden.

Das ›Tipsy Landlord‹ war eines von zwei Gasthäusern in dem verschlafenen Dorf nahe Kinloss. Im Gegensatz zum ›Potters Inn‹, verfügte es über eine kleine Anzahl an Gästezimmern. Lawson und seine Kommilitonen hatten hier ihr Quartier bezogen. Vorteilhaft war auch, dass es in unmittelbarer Nähe zur Burgruine lag, in der sie ihre Ausgrabungen durchführten. Die knappen zwei Meilen zur Festungsanlage konnte man durchaus bequem auf Schusters Rappen zurücklegen. Lawson schätzte die urige gemütliche Atmosphäre des Landgasthauses, welches noch in altschottischem Stil erbaut worden war. Er fand, dass die anheimelnde Schankstube, mit den vom Rauch geschwärzten Balken und den dicken Wänden, genau die richtige Umgebung für dieses geheimnisvolle Mädchen war, vom dem er nichts weiter wusste, als den Namen.

»Da wären wir also, Alannah«, sagte er, als er ihr einen der schweren Holzstühle zurechtrückte.

Geschmeidig glitt Alannah auf den Sitz, während er noch neben ihr stehen blieb.

»Was darf ich Ihnen zu trinken bestellen?«, erkundigte er sich galant. »Empfehlen würde ich Ihnen einen roten Cherry Wine der Highland Wineries. Er hat einen angenehmen vollfruchtigen süßen Kirschgeschmack. Er schmeckt wirklich ausgezeichnet, auch wenn es im Grunde genommen ein Dessert-Wein ist.«

»Wenn Sie meinen, … aber betrunken dürfen Sie mich nicht machen«, lächelte sie, und es gefiel ihr, dass er sie zu hofieren begann.

»Der Wein hat nur elf Prozent«, erklärte er, »und ich verspreche hoch und heilig, auf Sie aufzupassen.«

Seine leuchtend kobaltblauen Augen lösten sich von ihrem Gesicht, was ihr Gelegenheit gab, Atem zu schöpfen. Sie spürte ihren Herzschlag und den erhöhten Puls.

Beschwingt war Lawson zur Theke hinübergegangen, um dem Wirt seine Bestellung aufzugeben. Nur wenige Minuten später war er an den Tisch zurückgekehrt. Jetzt wo er ihr gegenübersaß, stieß er mit ihr an. Langsam fiel die erste Anspannung von ihm ab.

Alannah hatte sich eine Zigarette aus seiner Schachtel genommen, die er vor sich auf den Tisch gelegt hatte. Als er ihr, ganz Kavalier, Feuer geben wollte, stutzte er plötzlich.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er, »aber darf ich fragen, woher Sie diesen Ring haben?«

Für einen Augenblick hielt er ihre schmale, feingliedrige Hand fest. An ihrem Zeigefinger glänzte ein seltsames Schmuckstück im gedämpften Licht der Gaststube. Es war ein Siegelring. Schweres Silber rahmte einen geschliffenen und gravierten Onyx ein.

»Darf ich einmal sehen?«, fragte er interessiert, derweil er das Feuerzeug betätigte. Spannung lag seiner Stimme.

In seiner Stimme lag eine Spannung, die das rothaarige Mädchen verwunderte.

»Warum interessiert Sie dieser Ring so?«, fragend sah sie ihn an.

»Ach, das ist ein rein archäologisches Interesse«, erklärte Lawson. Ein Lächeln lag in den Grübchen seiner Augen, während er noch immer aufmerksam das Schmuckstück betrachtete. »Der Ring scheint sehr alt zu sein, und eine solche Gravur wie auf dem Stein, habe ich auch noch nie gesehen. Es handelt sich offenbar um ein ganz spezielles Symbol ...«

»Der Ring ist ein Erbstück«, fiel ihm Alannah ins Wort. »Er befindet sich bereits seit vielen Generationen im Familienbesitz. Aber mehr weiß ich auch nicht darüber. Als meine Mutter starb, hat sie mir ihn vererbt.«

»Ihre Mutter ist also tot«, konstatierte er mitfühlend.

»Mein Vater auch«, antwortete sie. Ihre Stimme klang traurig. »Jetzt lebe ich mit meinen drei jüngeren Geschwistern allein in der ehemaligen Hütte des Abdeckers nahe der Burg. Um für sie sorgen zu können, musste ich mein Studium in Dundee aufgeben, Grafikdesign im vierten Semester. Im Augenblick leben wir noch von dem Geld, das mir ein Vater hinterlassen hat, aber ohne die Hilfe von der Fürsorge geht es leider auch nicht. Im Augenblick kann ich daran leider nicht viel ändern. Meine Geschwister sind viel zu klein, um sie längere Zeit allein daheim zu lassen. Also muss ich nach Möglichkeit zu Hause sein und für uns durch kleine Aushilfsjobs etwas hinzuverdienen.« Sie senkte ein wenig ihren Blick. »Das ist also meine Geschichte. Sie ist sicher bei weitem nicht so interessant wie die Ihre.«

Das, was sie ihm erzählte berührte sein Herz. Lawson empfand plötzlich Mitleid mit dem zarten, hübschen Mädchen an seiner Seite.

»Oh, doch!«, antwortete er und es klang ehrlich. »Ich bewundere Sie. Und trotzdem stehen Sie hier außerhalb der Dorfgemeinschaft? Man benimmt sich Ihnen gegenüber so seltsam und zieht über Ihre Haarfarbe her ...«

»Nein, bitte nicht!«, wehrte sie wieder ab. Diesmal lag eine gewisse Auflehnung in ihrer Stimme. »Lassen Sie uns bitte nicht davon anfangen.«

Sie schenkte ihm einen unergründlichen Blick, schwieg, und für den Augenblick wusste jetzt auch er nichts Konkretes zu sagen. Im Gastraum, in dem sie zu dieser Stunde die einzigen Gäste waren, war es still. Nur den Pensionswirt, der im Hintergrund damit beschäftigt war Gläser auf Hochglanz zu polieren, war ab und an zu hören.

»Sie haben kein Vertrauen zu mir« stellte er nach einer Weile mit sanfter Stimme fest. »Ich habe das zu akzeptieren. Vertrauen kann man nicht erzwingen.«

Alannah senkte erneut den Blick. Sie schluckte.

»Später einmal«, antworte sie. »Vielleicht ... wer weiß?«

Lawson lächelte zufrieden.

»Darauf sollten wir anstoßen«, sagte er und hob sein Glas.

Nachdenklich trank sie den Rest des Kirschweines. Ein seltsamer, gehetzter Ausdruck machte sich plötzlich bei ihr bemerkbar.

»Wären Sie jetzt bitte so nett und würden mich nach Hause bringen, Alexander?«, bat sie ihn zaghaft.

»Wenn Sie das möchten«, lächelte er charmant. »Natürlich. Sehr gern sogar.«

Er schob seinen Stuhl zurück, umrundete den Tisch und half ihr dabei aufzustehen. Ihre Augen strahlten, und Lawson freute sich, dass sie würdigte, wie er sich um sie bemühte.

»Ich freue mich darauf, mit Ihnen auf dem Weg noch ein wenig plaudern zu können«, sagte er gewinnend, während er ihr ihren leichten Umhang über die Schulter legte.


Die rote Tinktur

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