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Kapitel 2

Wenige Wochen später ereigneten sich in London einige Vorfälle, die das britische Empire aufrüttelten und monatelang in Atem hielten. Und all das begann zu einem Zeitpunkt, da man in der Metropole eine große Ausstellung vorbereitete, die ›Empire of India Exhibition‹ und mit Besuchern aus aller Herren Länder rechnete. Ganz genau fing es an einem stillen, wenig geschäftigen Vormittag am Effektenschalter der ›Bank of London‹ an, als sich gegen zehn Uhr ein distinguierter Fremder nach dem Kurs der ›Murchinson Oil Development‹ erkundigte.

»Einen Augenblick bitte, Sir. Ich werde sofort nachschauen.« Der Bankangestellte holte aus einer Lade eine mit Papieren gefüllte Mappe hervor, blätterte darin und ließ seinen Zeigefinger über eine tabellarische Aufstellung wandern. »Ah … hier habe ich es …« Er blickte wieder auf und korrigierte den Sitz seiner Hornbrille. »Die standen mal deutlich besser … aktueller Kurs: drei Pfund fünfzehn Pence.«

Der Fremde machte ein unangenehm überraschtes Gesicht.

»Eine ungesunde Spekulation … Ich verwünsche meine Leichtgläubigkeit, die mich veranlasst hat, diese Aktien zu kaufen«, murmelte der Mann halblaut vor sich hin.

»Wertpapiere locken mit hohen Gewinnen, aber man kann auch viel verlieren, Sir«, wagte der Schalterbeamte zu bemerken.

»Ich habe fünfhundert Anteile dieser Company gezeichnet«, erklärte der Fremde, »und sehe mich gezwungen diese wieder zu veräußern … auch wenn es einen nicht unerheblichen Verlust für mich bedeutet.« Er öffnete den Gurt seiner Ledertasche, entnahm ihr ein dickes Aktienbündel und schob es dem Bankangestellten zu. »Wenn Sie so kulant wären?«

Der Mann hinter dem Schalter nickte freundlich, sah die Wertpapiere durch und schrieb eine Anweisung für den Zahlschalter aus.

»Sie können sich den Betrag dort drüben auszahlen lassen«, sagte er lächelnd und deutete auf den entsprechenden Kollegen.

»Haben Sie vielen Dank.« Der Fremde nickte freundlich und begab sich zur Auszahlung. »Von Aktien habe ich bis auf weiteres genug«, bemerkte er voller Galgenhumor.

Der Bankangestellte nickte freundlich, ließ ihn die ausgezahlte Summe prüfen, und unterließ es einen Kommentar abzugeben.

Kaum hatte der Fremde das Geld in seiner Aktentasche verstaut und die Bank verlassen, stürzte ein Mann atemlos in den Schalterraum. Mit einem Taschentuch wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn. Nachdem er wieder ein wenig zu Luft gekommen war, erklärte er den Direktor der Bank sprechen zu wollen.

Den Einwand, dass Direktor Livingston nicht für jedermann zu sprechen sei, schnitt er damit ab, dass er seine Erkennungsmarke zeigte und sich als Detective Sergeant Carter vorstellte. Diese Erklärung wirkte wie ein Zauberstab im Märchen. Der eben noch so ablehnende Beamte ließ sich auf der Stelle mit Direktor Livingston verbinden und winkte einem Boy. Dann bat er den Kriminalbeamten, dem jungen Burschen zu folgen, der diensteifrig den Paternoster betrat. Es waren noch keine fünf Minuten seit dem Eintreffen Carters in der Bank vergangen, als er schon vor dem Direktor des Geldinstitutes stand.

»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuch, Detective Sergeant Carter?«, erkundigte sich Livingston, der hinter einem mit Papieren überladenen Schreibtisch saß und ihn leicht beunruhigt ansah. »Wenn Scotland Yard zu uns kommt, steckt immer etwas dahinter.«

Carter zog den Bund seiner Hose höher und legte die Aktenmappe, die er unter seinem linken Arm mit sich trug, auf einen kleinen Tisch. Dann wischte er sich erneut mit dem Taschentuch über die Stirn.

»Mit Verlaub, Direktor Livingston«, begann der Detective mit ernstem Gesicht. »Ich möchte nur bei Ihnen nachfragen, ob Ihrem Haus heute Aktien der ›Murchinson Oil Development‹ angeboten wurden. Und wenn ja, haben Sie diese Wertpapiere angekauft?«

»›Murchinson Oil Development‹?« Livingston runzelte die Stirn. »Das sagt mir so aus dem Stehgreif nichts, aber wir werden das gleich haben.« Der Direktor erhob sich und griff nach der Hörmuschel seines Wandtelefons.

Carter verfolgte, wie er einige kurze Worte mit dem Mitarbeiter der Effektenkasse sprach und ihn aufforderte zu ihm heraufzukommen.

»Mister Wickham, unser Kassierer, wird gleich hier sein«, erklärte Livingston, während er die Hörmuschel einhängte und sich seinem Besucher zuwandte. »Wie er mir sagte, hat er gerade welche angekauft. Das ist noch keine Viertelstunde. Der Bankier sah den Sergeant fragend an. Eine gewisse Unsicherheit war ihm anzumerken. »Stimmt mit den Wertpapieren etwas nicht?«

»Das ist ärgerlich!«, brummte Sergeant Carter verstimmt. »Also bin ich zu spät gekommen … Ja, es kann sein, dass etwas damit los ist … Höchstwahrscheinlich sogar. Aber wir wollen uns davon erst einmal überzeugen.«

Livingstons Sekretär öffnete die Tür und ließ den Mitarbeiter vom Effektenschalter eintreten.

Der Direktor machte die Herren bekannt.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren, Mister Wickham«, sagte Carter, einen Blick auf seine Taschenuhr werfend. »Wie ich gerade von Direktor Livingston hörte, haben Sie Aktien der ›Murchinson Oil Development‹ angekauft … Kann ich die bitte einmal sehen?«

»Ich habe sie direkt mitgebracht«, erwiderte der Kassierer etwas verunsichert. »Hier sind sie …«

Der Sergeant nahm Wickham das Aktienpaket aus der Hand und trat damit ans Fenster. Er vertiefte sich intensiv in die Papiere und blätterte sie gewissenhaft durch. Dann fingerte er ein Notizbuch aus der Tasche, verglich etwas, was weder Wickham noch Livingston sehen konnten, und blätterte erneut in den Wertpapieren.

»Donnerwetter! Alle Achtung! Sehr geschickt gemacht!«, stellte er nach eingehender Prüfung anerkennend fest. Er wandte sich an den Direktor. »Nun, Mister Livingston, leider bekamen wir erst heute morgen Wind von der Sache! Der Drucker, bei dem die Stücke bestellt wurden, schöpfte Verdacht und teilte uns die Nummern mit … Hier … sehen Sie selbst … 8225 bis 8725 … Stimmt genau mit unserer Information überein.«

Direktor Livingston, der sich wieder hinter seinem Schreibtisch niedergelassen hatte, erhob sich und trat nervös auf den Sergeant zu.

»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass die Papiere gefälscht sind?« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Das ist ja Unsinn! … Wer kann schon ein Interesse daran haben, derart schlecht dotierte Papiere zu fälschen? Wenn sich ein Mensch mit so etwas abgibt, dann wird er doch sehr viel bessere Werte nehmen!«

Carter legte die Aktien auf den kleinen Tisch neben seiner Aktenmappe und lächelte überlegen.

»Wenn Sie Banknoten fälschen würden, würden Sie da nicht auch eher kleine Werte nehmen? Bei Fünfpfundnoten schaut der Kassierer doch sehr viel genauer hin, meinen Sie nicht auch? Heißt es nicht: ›Many a little makes a mickle‹3

»Sie haben recht, Sergeant«, räumte Livingston zähneknirschend ein.

Carter zog eine abgegriffene Ablichtung aus seinem Notizbuch und zeigte sie dem Kassierer. »Werfen Sie bitte einmal einen Blick auf dieses Bild … Sieht der Mann, der die Papiere verkauft hat, dem Burschen ähnlich?«

Wickham warf einen Blick auf die Fotografie.

»Das ist der Mann! … Er gleicht ihm wie ein Ei dem anderen«, rief er überrascht aus und nestelte an seiner Fliege, als sei ihm der Hemdkragen zu eng geworden.

»Es gibt aber nur den einen«, erwiderte der Sergeant, zufrieden mit dem Erfolg. »Nur er kann ein solches Ding drehen … Der Bursche tritt und vielen Namen auf: Lord Cavendish, Marchese Giordano, Freiherr zu Holzhausen, oder ganz einfach …Konstantin Dumitrescu!«

Direktor Livingston machte einen förmlichen Luftsprung und starrte Carter an.

»Was sagen Sie?«, stotterte er aufgeregt. »Der Fälscher Dumitrescu ist in England … in London?! Aber, … dann haben wir Banker ja keine ruhige Minute mehr vor uns!«

Carter stellte sich in Positur und rückte seinen Hosenbund ganz gewaltig hoch.

»Kein Angst, Mister Livingston!«, entgegnete er beruhigend. »Lassen Sie ihn ruhig in London sein. Er wird schon bald ausgespielt haben. Wenn Sie übermorgen um acht Uhr früh zu uns in den Yard kommen …«

»Zu Chief Inspector Bingley vom Dezernat für Falschmünzerei?«, hakte der Direktor nach.

»Nein! Um diese Angelegenheit kümmert sich Detective Inspector Brown!« Der Sergeant steckte Foto, Notizbuch und Aktien in seiner Aktentasche. »Den Fall Konstantin Dumitrescu hat der Inspector übernommen …«

»Ich kenne Inspector Brown.«

Carter klemmte sich die Aktenmappe unter den Arm, rückte noch einmal den Hosenbund höher und reichte dem Bankdirektor die Hand.

»Umso besser, Sir. Er erwartet Sie also übermorgen um acht Uhr … und ich hoffe, dass dann auch dieser famose Mister Dumitrescu zugegen sein wird. Was ich dazu beitragen kann, das wird geschehen.« Er deutete eine leichte Verbeugung an und setzte sich seinen Hut auf. »… Auf Wiedersehen, meine Herren!«

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