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Kapitel 3

Die auf den stets belebten ›Capel Court‹ führenden großen Fensterflügel, des behaglich eingerichteten Arbeitszimmers, waren weit geöffnet. Im Raum stand ein freundlich dreinblickender, weißhaariger Gentleman, dem ein würdevoll aussehender, glatt rasierter Diener in schmucker Livree eine Nagelfeile reichte. Der Weißhaarige bedankte sich und blickte dem abgehenden Bediensteten schweigend nach.

Nachdenklich trat er ans Fenster und feilte behutsam am Zeigefingernagel der linken Hand herum. Als der junge Mann hinter ihm einen frischen Bogen Papier in die Schreibmaschine einlegte, wandte er sich ihm zu:

»Wann wird die ›Empire of India Exhibition‹ eröffnet, Sullivan?«

Der junge Mann unterbrach den Vorgang des Papiereinlegens und hob ein wenig den Kopf.

»Die Ausstellung eröffnet am Letzten dieses Monats, Herr Professor! Unwiderruflich am Dreißigsten!«

Der alte Herr feilte schweigend weiter.

»Die ganze Welt spricht von den ›Ceylon-Smaragden‹, die dort zu sehen sein werden«, ließ er sich nach einer kurzen Pause vernehmen. »Hm … Eine verdammt schwere Sache!«

»Schwere Sache?« Der junge Mann sah ihn verdutzt an. »Willst du die Steine stehlen, Flanagan?«

Der alte Herr stellte das Feilen ein, schüttelte missbilligend den Kopf und stand mit zwei raschen Schritten neben dem Schreibmaschinentisch.

»Bist du verrückt geworden?«, zischte er leise. »Wir sind hier nicht allein! Gewöhne dich endlich daran, dass ich Professor van den Broek bin!«

Der junge Mann kniff für einen Moment die Lippen zusammen und kratzte sich verlegen hinterm Ohr.

»Es ist mir nur so herausgerutscht … Weil du … Weil Sie von Diebstahl sprechen, Herr Professor.«

»Kein Mensch hat davon gesprochen, Sullivan!«, lächelte der alte Herr, in dessen Augen ein Funke aufblitzte und ebenso rasch wieder erlosch. »Leute, die einem soliden Gewerbe nachgehen, sollen an derartige Dinge nicht denken … Diesen Zeigefingernagel habe ich gemeint. Er ist völlig eingerissen. Es wird nicht ganz einfach sein, ihn wieder in Ordnung zu bringen!« Und nach einer kleinen Pause, die er dazu benutzte, den Nagel mit Hilfe der Feile vollends zu deformieren, sagte er bekümmert:

»Dürfte auch nicht so einfach sein!«

»Vielleicht geht es, wenn man eine Schere nimmt.«

»Sullivan«, erwiderte der alte Herr und zog erstaunt die buschigen Augenbrauen in die Höhe. »Was ist das wieder für eine unsinnige Idee? … Mit einer Schere ist den ›Ceylon-Smaragden‹ bestimmt nicht beizukommen!«

Jetzt war der junge Mann endgültig verwirrt.

»Gerade eben noch haben Sie von dem Fingernagel gesprochen, Herr Professor!«

Der alte Herr setzte sich auf die Lehne des Schreibtischfauteuils und spielte nachdenklich mit der Nagelfeile. »Aber gedacht habe ich an etwas anderes … Wie sagte schon der französische Bischof Talleyrand zum spanischen Gesandten Izquierdo?: Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen.«

Der junge Mann zog es vor, eine Erwiderung schuldig zu bleiben. Der eingerissene Fingernagel des Professors hatte ihn aus dem Konzept gebracht.

»Sagten Sie etwas, Sullivan?«, forderte ihn der Professor belustigt heraus. »Mir war so, als hätten Sie etwas gesagt.«

»Ich?« Sullivan machte große runde Augen. »Nein! … Ich wollte nur sagen, dass es angezeigt wäre, die Maniküre kommen zu lassen.«

Der alte Herr lachte. Er warf die Nagelfeile auf den Schreibtisch und rieb sich vergnügt das Kinn.

»Nein, wirklich! Und diese einfachste Sache der Welt ist mir nicht eingefallen … Lieber Sullivan, haben Sie die Liebenswürdigkeit, dem Diener zu klingeln!«

Sullivan erhob sich und drückte auf den neben der Tür befindlichen Klingeltaster. Dann beschäftigte er sich, ein wenig ratlos, wieder mit dem in der Schreibmaschine eingespannten Bogen Papier.

»James«, sagte er zu dem nach einer geraumen Weile eintretenden Diener, »der Professor benötigt dringend eine Maniküre!«

»Sehr wohl!« James machte eine gemessene Verbeugung. »Wird sofort hier sein … Im Hause gegenüber befindet sich ein Frisiersalon.«

Der Professor trat an das Fenster und sah dem sich entfernenden Diener nach. Mit aufmerksamen Blicken verfolgte er, wie James über die Straße ging und im Friseurgeschäft verschwand.

»Macht sich ausgesprochen dekorativ, dieser James, in seinem Livree … sehr dekorativ. Den hast du gut ausgewählt. Ich denke, er wird uns noch sehr nützlich sein.« Und gedanklich springend, folgte ein wenig abrupt: »Sag einmal, Poindexter, wenn du mit dem Abendzug nach Edinburgh fährst, kannst du doch schon morgen am Nachmittag wieder zurück sein?«

»Heute noch?«, versetzte der junge Mann erstaunt, den der Gedanke an sofortige Reise unangenehm berührte. »War der dieser Tag nicht schon anstrengend genug? Warum gerade heute?«

Professor van den Broek wechselte den Ton.

»Weil ich es für richtig halte«, sprach er nun mit einer Schärfe, die nur wenig zu einem alten Professor passen wollte. »Genügt das?!« Aufhorchend sank er wieder ein wenig in sich zusammen, als der Diener mit der Maniküre eintrat und rieb sich das Kinn. »Ja, lieber Sullivan, noch heute! Bitte bereiten Sie sich zur Abreise vor!«, bemerkte er salbungsvoll. Dann wandte er sich an die Maniküre: »Wie liebenswürdig von Ihnen, Miss, dass Sie sich bemühen! Ich hätte Ihnen den Weg gern erspart, aber wenn man einmal in die Jahre gekommen ist, wie ich, wird man leider bequem und muss die Jugend zu sich kommen lassen. Da, sehen Sie nur, was für ein böser Nagel. Werden Sie ihn noch retten können? … Ich danke Ihnen, James!«

Die Maniküre schenkte ihm ein Lächeln und machte sich an die Arbeit.

***

Wenige Minuten vor dem Abgang des Abendzuges der ›Great Western Railway‹ kam Professor van den Broek mit seinem Sekretär durch die Bahnhofssperre. Sullivan fertigte den Träger ab, der das Reisegepäck in einem leeren Abteil untergebracht hatte, und der alte Herr blätterte, ohne von der Nervosität der Reisenden Notiz zu nehmen und ohne sich durch ihr Stoßen und Drängen aus der Ruhe bringen zu lassen, gemächlich in einer Zeitung. Er nahm die Brille in die Hand und überlegte, was noch zu besprechen sei.

»Sie bringen also alles mit, Sullivan«, sagte er schließlich zu seinem Sekretär, der in erwartungsvoller Haltung vor ihm stand. »Alles! … Hüten Sie die indischen Kunstgegenstände wie Ihre Augäpfel.«

»Wird alles besorgt, Herr Professor van den Broek!«, rief er ihm aus dem Abteilfenster zu. »Ich bin vollständig im Bilde, Herr Professor!«

Die Abteiltüren wurden lärmend zugeschlagen. Die Schaffner drängten einzusteigen. Fenster wurden heruntergelassen und Taschentücher von Zurückgelassenen gezogen. Sullivan lehnte sich eben aus dem Abteilfenster, als ihm der alte Herr zurief:

»Auf Morgen also! Ruhen Sie sich auf der Fahrt und in Edinburgh nur aus. Der heutige Tag war anstrengend genug für Sie!«

»Danke, Herr Professor«, lächelte Sullivan.

Ein Zittern lief durch die Wagenreihe. Es folgte ein leichter Ruck, und der Zug rollte auf Gleis vier langsam aus der Halle, die sich allmählich leerte. Professor van den Broek winkte noch eine Weile. Inzwischen stand er ganz allein da. Bevor er den Bahnsteig verließ, putzte er mit einem Tuch noch seine Brille und setzte sie wieder auf.

»Die Ouvertüre hat begonnen!«, murmelte er schmunzelnd vor sich hin.

Langsam schritt er auf den Ausgang des Bahnhofs ›Paddington‹ im Westen des Bezirks ›Westminster‹ zu. Seinen Spazierstock mit dem auffallenden Elfenbeingriff nutzte er leicht als Stütze.

Flanagan

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