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Kapitel 2

Zur gleichen Zeit kreuzte, in der Gegend des Karibischen Meeres, in der sich die ›Coronation‹ augenblicklich befand, noch ein anderes, größeres Schiff langsam gegen Strömung und Wind. Es handelte sich um ein Dreimaster, der wesentlich länger als eine normale britische Korvette war, aber bei weitem nicht als Linienschiff bezeichnet werden konnte, denn dazu war er viel zu rassig und zu schmal gebaut. Das mit Waffen aller Art überreich ausgestattete Schiff trug den Namen ›Esperanza‹ und es fuhr unter portugiesischer Flagge.

Die vier Offiziere des Dreimasters machten schon Äußerlich den Eindruck, als entstammten sie einer wilden Bande von Räubern und Dieben, und der Eindruck täuschte nicht.

Ihr Anführer war Miguel Álvarez de Cardenas y Allende, ein über zwei Zentner schwerer, großer und massiger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, der seit dem Verlust seines rechten Armes von allen nur noch ›El Manco‹ genannt wurde. Er war überraschend elegant gekleidet. Trotz der unerträglichen Hitze trug er eine Fantasieuniform, die die eines jeden Generals oder Admirals weit in den Schatten stellte: lange Röhrenhosen, die in hohen Schaftstiefeln steckten, dazu kam ein schwarzer Uniformrock, der fast bis zu den Kniekehlen reichte und ein goldverzierter Dreispitz. Um die Taille des Mannes, die schon mehr dem Äquator glich, schlang sich ein Koppel, an dem mit Riemen und Schleppkette ein kostbarer Degen baumelte. Der rechte Ärmel des Uniformrocks hing leer herunter. Vor Jahren war er einmal an den Falschen geraten und hatte im Kampf seinen Arm eingebüßt. Was aus dem anderen geworden war, ließ sich später nicht mehr feststellen. Kenner der Verhältnisse wollen allerdings wissen, dass der Betreffende so behandelt worden sei, dass er noch im Sterben die Mutter verflucht habe, die ihn einst geboren hatte.

›El Mancos‹ Erster Offizier hieß Ramon. Seine Statur war nicht weniger hünenhaft als die des Capitáns, aber doch wesentlich schlanker. Er war ein schwarzhaariger, bleichgesichtiger Mann – ein richtiger Girolamo Savonarola-Typ. Sein Fanatismus und seine Unerbittlichkeit stand der des italienischen Dominikaners und Bußpredigers in nichts nach; allerdings nicht auf religiösem Gebiet. Aber ganz sicher hätte er nicht gern dessen Schicksal geteilt: eingekerkert, gefoltert und zum Tode verurteilt, um dann zunächst gehängt und anschließend verbrannt zu werden. Sehr wahrscheinlich war der Erste Offizier um einiges mehr zu fürchten, als der Capitán. Denn ›El Manco‹ war zwar ebenso tapfer wie brutal, aber Ramon war gegen ihn ein wahrer Sadist!

Außer diesen beiden hatten nur noch zwei Unterführer einen gewissen Einfluss: Das waren ›Relámpago‹ und ›Pie Zopo‹, deren richtige Namen mit der Zeit völlig in Vergessenheit geraten waren.

›Relámpago‹ war ein junger, fuchsgesichtiger Mann unbestimmbarer Herkunft mit muskelbepacktem Oberkörper. ›Pie Zopo‹, der schwärzer als die Nacht bei Neumond war, hatte ›El Manco‹ vor über zehn Jahren aus spanischer Gefangenschaft befreit. Seit damals war er seinem Patrón in Treue verbunden und gehörte zu dem engen Kreis derer, die sich ihm gegenüber durchaus einmal eine kritische Bemerkung herausnehmen durften, für die jeder andere ohne jeden Zweifel hart bestraft worden wäre. Doch zumeist hielt er seine Zunge im Zaum und schwieg. Er war ein melancholischer Mittvierziger, der zudem sehr unter einer unklaren Erkrankung seines Magens litt. Da er trotzdem ununterbrochen starken alkoholischen Getränken zusprach und fast ständig betrunken war, tobte in seinem Bauch schon zu Lebzeiten vierundzwanzig Stunden am Tag das Fegefeuer.

»Leider ist uns schon lange nichts mehr vor die Kanonen gekommen«, maulte ›El Manco‹ mürrisch.

Ramon nickte und schwieg.

»Aber was nicht ist, kann ja noch werden«, fügte der Capitán nicht minder mürrisch hinzu.

Relámpago‹ und ›Pie Zopo‹ beschränkten sich aufs Zuhören. Letzterer war wieder einmal viel zu betrunken, um überhaupt eine vernünftige Äußerung von sich geben zu können, und ›Relámpago‹ viel zu klug, um sich unnötig die Zunge zu verbrennen. Er wusste nur zu gut, dass es ›El Manco‹ gar nicht schätzte, wenn jemand seine Geistesblitze kommentierte.

»Immerhin haben wir in letzter Zeit genügend Beute gemacht«, meinte Ramon nachdenklich. »Wir sind nicht darauf angewiesen, jeden kleinen Brotfresser mitzunehmen, der uns vor die Kanonen kommt. Lasst uns auf lohnende Ziele warten.«

Der Capitán war anderer Ansicht. Unwillig schüttelte er den Kopf. »Schau dich um, die Mannschaft wird faul und träge ... Ich greife jedes Ziel an, das sich mir bietet, ohne Rücksicht auf den Nutzen.«

»Du bist der Capitán«, bestätigte Ramon verschlagen. Er ließ sich nicht anmerken, wie sehr er selbst gern der Anführer gewesen wäre, und er hütete sich, derartige Gedanken laut werden zu lassen – noch hing er an seinem Leben.

Es entstand eine lange Pause, die erst von einem zerlumpt gekleideten Läufer unterbrochen wurde. »Schiff ahoi!«, meldete er respektvoll. »Acht Strich backbord querab. Sieht aus wie eine Mischung aus Korvette und Schnellsegler.«

»Dann hoffen wir mal, dass uns deren Capitán noch nicht gesichtet hat«, meinte ›El Manco‹ und zeigte ein diabolisches Lächeln. »Gegen einen Schnellsegler haben wir sonst keine Chance.«

Zu seiner Beruhigung schienen auch die anderen seiner Meinung zu sein. Nur Ramon konnte sich vorlaut nicht zurückhalten. »Dann sollten wir so tun, als hätten wir die Korvette nicht bemerkt!«

Der Capitán nickte. »Das dürfte das beste sein«, bestätigte er. »Wir bleiben dran ... Aber vorsichtig. Wir werden bis zum Einbruch der Dunkelheit folgen. Sollte sich dann eine Möglichkeit bieten, treffe ich eine neue Entscheidung.« Er wandte sich an ›Relámpago‹ und ›Pie Zopo‹: »Wir drehen auf neuen Kurs ein. Alles weitere wird euch ohnehin klar sein!«

Die beiden Angesprochenen gingen zum Kommandostand hinüber, setzten ihre Bootsmannpfeifen an die Lippen und pfiffen durchdringend. »An die Segel!«, brüllte ›Relámpago‹ lauthals. »Fertigmachen zum Wenden! Ruder hart Steuerbord! Neuer Kurs Nordwest!«

»Nordwest liegt an!«, rief der Steuermann gleich darauf zurück.

»Ich will, dass ihr auch den letzten Fetzen Leinwand setzt«, kommandierte ›Relámpago‹ weiter. »Die Kanonen laden, ausrennen und Feuerbereitschaft melden!«

Seine Befehle wurden mit erstaunlichem Eifer ausgeführt. Die aus verkommenen Menschen aller Nationen bunt zusammengewürfelte Mannschaft zeigte eine für Piraten seltene Disziplin. Aber alle wussten, warum: Die vier Offiziere verstanden keinen Spaß! Erst bei ihrer vorletzten Ausfahrt hatten sie einen ihrer Kameraden an der Rahnock aufgeknüpft. Ihnen klangen noch die Worte ihres Capitáns in den Ohren, der gebrüllt hatte, dass der Mann dort so lange hängen solle, bis er von selbst abfällt.

Gehorsam wich das Schiff von seinem südlichen Kurs ab und wand seinen Bug nach Nordwesten. Mittlerweile war auch das letzte Hilfssegel gesetzt worden, und die ›Esperanza‹ nahm die Verfolgung auf.

»Ich nehme genau den gleichen Kurs wie die Korvette«, erklärte der Capitán, während er begann auf dem Achterkastell auf und ab zu gehen. Das tat er immer, wenn er über einen Plan nachdachte. »Besser wäre es freilich, den Gegner in weitem Boden zu umgehen und ihm den Weg abzuschneiden. Aber dazu sind wir leider nicht schnell genug. Also gibt es nur eines: So vorgehen, wie ich eben befohlen habe, und im Übrigen darauf warten, bis sich bei Nacht ein günstiger Moment ergibt.«

»Da besteht nur wenig Hoffnung, dass es so kommt«, meinte Ramon und strich sich übers Kinn.

›El Manco‹ zuckte die Achseln. »Warten wir es doch einfach ab, Ramon!« Seine kohlschwarzen Augen blickten den Ersten durchbohrend an, der darauf verlegen nickte. Dann nahm er seine Wanderung wieder auf, die ihn erneut von Steuerbord nach Backbord führte. Immer wieder verharrte er für einige Sekunden, ehe er weiter über die Planken schritt.

Inzwischen bereitete sich die Besatzung für alle Fälle auf einen Kampf vor. Sorgfältig wurden die Kanonen überprüft, ehe man sie lud und ausrannte. Gleichzeitig wurde Reservemunition an Deck gehievt. Lange Messer und Enterbeile blitzten im Sonnenlicht, und Musketen ragten in ihren Halterungen über die Bordwand.

***

Der Sohn des Admirals

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