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ОглавлениеKapitel 3
An Bord der ›Coronation‹ war der Dreimaster nicht unbeobachtet geblieben. Captain Moore trat einen Schritt vom Balustradestand am Kommandoheck der Korvette zurück, schob das reichverzierte Messingfernrohr wieder zusammen und gab sich den Anschein völliger Sorglosigkeit.
Als er nach einer halben Stunde immer noch nicht auf das Auftauchen des fremden Schiffes reagiert hatte, kam sein Erster Offizier zu ihm aufs Achterdeck hinauf. Er lächelte, wenn auch etwas gezwungen, und gab sich betont locker. Retcliffe hatte eine fliehende Stirn und stumpfes mittelblondes Haar, das sich allmählich lichtete. Die feine, maßgeschneiderte dunkelblaue Uniform vermochte weder die schmale Brust und die spitzen Schultern noch die breiten Hüften zu verbergen. Obwohl der Lieutenant deutlich jünger war als Moore, schien er die Jugend bereits hinter sich gelassen zu haben und näherte sich dem gesetzten Alter mit Riesenschritten. Respektvoll trat er zur Linken des Captains und wagte einen Vorstoß. »Wenn Ihr erlaubt, Sir!«, erkundigte er sich in Habachtstellung. »Ist eine Frage gestattet?«
Moore warf ihm einen ungnädigen Seitenblick zu. »Nur frei heraus, Mr. Retcliffe, sprecht.«
»Mir bereitet der Dreimaster in unserem Rücken Sorge, Sir. Wollen wir ihn nicht zwingen, Farbe zu bekennen?«
»Dazu sehe ich keinerlei Veranlassung, Mr. Retcliffe«, erwiderte Moore. Seine in Runzeln gelegte Stirn zeigte, dass er seine Autorität durch den Vorschlag seines ersten Offiziers in Zweifel gezogen sah.
»Es könnte sich aber durchaus um eine spanische Fregatte handeln, Sir!«
»Ach, Unfug! Ihr seht Gespenster, Mr. Retcliffe! Ein geschulter Blick sollte Euch genügen, zu erkennen, dass dieses Schiff nicht von spanischer Bauart ist!«
»Ihr meint also, es sei ein Engländer?«
»Durchaus möglich.«
»Mit Verlaub, Sir«, wagte der Lieutenant seinen Zweifel anzubringen, »warum setzt sich der Kommandant dann nicht mit uns in Verbindung?«
»Das müsst Ihr schon ihn fragen, nicht mich.«
»Erlaubt Ihr, dass ich zu ihm hinüber signalisieren lasse?«
»Sobald ich dergleichen beabsichtige, werdet Ihr das rechtzeitig erfahren, Mr. Retcliffe! Seid gefälligst nicht so vorlaut! Ihr seid an Bord, um die Befehle des Captains auszuführen, nicht aber, um ihm Vorschläge zu unterbreiten, Mr. Retcliffe!«
»Aye, Aye, Sir!«
Damit war das Gespräch beendet.
Zwei Minuten später schlug die Schiffsglocke achtmal an, und sofort eilte ein blutjunger Kadett zum Kommandostand. Er drückte seinen Hut noch einmal fest auf seinen Kopf, nahm Haltung an und meldete dem Captain: »Acht Glasen, Sir!«
»Ist gut, Mr. Hynd«, murmelte Moore wohlwollend. »Der Wind kommt von raumschots. Lassen die Gaffsegel setzen, den Baum abfieren und Rahsegel setzen!«
»Sofort, Sir!« Augenblick gab Hynd die erforderlichen Befehle, während Moore zufrieden lächelnd neben ihm stehenblieb.
Er hatte eine Schwäche für den jungen Mann, die allerdings weniger auf menschlicher Sympathie beruhte, sondern dem Umstand geschuldet war, dass die Familie Hynd im Mutterland über ausgezeichnete Verbindungen verfügte, die bis ins Oberhaus reichten. Und es entsprach Captain Moores Naturell, rücksichtslos und gemein gegen all jene zu sein, die sich nicht wehren konnten. Bei allen anderen denen er eine gewisse, vielleicht auch nur indirekte, Macht zutraute, schmeichelte er sich ein. Noch einmal warf er einen Blick durch sein Fernrohr, ehe er über die Treppe unter Deck verschwand.
Hynd übernahm von Lieutenant Retcliffe die vierstündige Wache bis um acht Uhr am Abend. Schnell hatten sie dazu erforderlichen Formalitäten abgewickelt.
Eigentlich hätte der Lieutenant jetzt dienstfrei gehabt, denn um die Führung des Schiffes brauchte er sich nicht mehr zu kümmern. Aber er war zutiefst davon überzeugt, dass ein Offizier zur See seiner Majestät, König George II., rund um die Uhr im Dienst sei, und beschloss deswegen, das fremde Schiff nicht aus den Augen zu lassen. Höchstpersönlich enterte er dazu den Mastkorb, das sogenannte ›Krähennest‹. Dort nahm er sein Fernrohr zur Hand und sah zur ›Esperanza‹ hinüber.
»Eine sonderbare Sache ist das«, murmelte er kopfschüttelnd vor sich hin. »Sieht fast aus wie eine englische Fregatte; ... aber nur fast!« Ein Wasserfahrzeug dieser eigenartigen Bauweise habe ich noch nie zu Gesicht bekommen, dachte er bei sich. Aber für mich steht unumstößlich fest, dass es nicht auf einer spanischen Werft gebaut wurde … ganz gleich, dass es einen spanischen Namen führt. »›E S P E R A N Z A‹«, buchstabierte er laut und brummte: »Hm … könnte auch ein portugiesischer Name sein.« Er versuchte die Beflaggung auszumachen. »Richtig! Es ist ein Portugiese!«
Wäre Lieutenant Retcliffe nicht, wie die gesamte Mannschaft, neu in Westindien gewesen, dann hätte ihm der Name des Schiffes einiges gesagt. Er würde ihm eine grauenhafte Geschichte erzählt haben, in der die Begriffe ›Seeräuberei‹, ›Mord‹, ›abstoßende Gewaltakte‹ und ›Vergewaltigung‹ eine bedeutende Rolle spielten. So aber wusste er sich das Geheimnis nicht zu deuten.
Retcliffe blieb noch eine Dreiviertelstunde im Mastkorb. Erst als die ›Esperanza‹ ihren Kurs um einige Strich nach Steuerbord versetzte, glaubte er, annehmen zu dürfen, dass das Interesse des fremden Kommandanten an der ›Coronation‹ erloschen sei. Beruhigte kletterte an Deck zurück und suchte sich ein ruhiges Plätzchen, um verbleibenen Teil seiner Freiwache zu verschlafen. Schlaf hatte er auch dringend nötig, denn das mörderische Klima Westindiens setzte ihm und seiner Gesundheit arg zu.
*
Allmählich brach die Nacht herein. Die Sonne vollendete ihren Lauf am Himmel und ging im Westen unter. Nach einer kurzen Spanne der Dämmerung senkte sich tiefe Dunkelheit über das Karibische Meer.
Auf diese Stunde hatte Capitán ›El Manco‹ gewartet. Er gab Befehl, einige Strich nach Backbord einzudrehen und die Geschwindigkeit der ›Esperanza‹ aufs äußerste zu erhöhen.
»Was hast du vor?«, fragte Ramon.
›Relámpago‹ und ›Pie Zopo‹ hielten sich wie immer als getreue Schatten im Hintergrund.
»Das ist leicht zu erraten.« ›El Manco‹ zeigte ein abstoßendes Grinsen. »Die Nacht ist mondlos. Der Dunst über dem Wasser wird die Sterne erst in gut zwei Stunden heraustreten lassen. Wenn wir vor Ablauf dieser Zeit die ›Coronation‹ eingeholt und kampfunfähig geschossen haben, sind wir Sieger. Wenn das nicht gelingen sollte, breche ich die Verfolgung ab und gebe meine Absicht auf.«
*
Der Vorsicht entsprechend segelte die ›Coronation‹ mit allen Positionslaternen nach Westen. Captain Moore, der mehr in den Geschäftsräumen der britischen Admiralität als auf See groß geworden war, kannte die Vorschriften genau und achtete peinlichst darauf, dass diese auch befolgt wurden.
*
Der Kommandant auf der ›Esperanza‹ war diesbezüglich weniger kleinlich. Wie selbstverständlich hatte ›El Manco‹ bei Einbruch der Nacht den Befehl: ›Pfeifen und Lunten aus!‹ gegeben. Außerdem hatte er ausdrücklich verboten, die Positionslaternen an Back- und Steuerbord, sowie an den Masten und am Heck zu setzen. Wie ein dunkler Schatten schob sich der Dreimaster über die sich nur leicht kräuselnde Karibische See. Nur hin und wieder holte das Schiff unter der leichten Dünung nach Backbord über, um sich gleich darauf, in allen Stützen und Balken ächzend, wieder zu erheben.
Die Artilleriemannschaft war auf ihrem Posten. Ihre Lunteneisen glommen seit Stunden unter dem Schutz großer Segeltuchblenden. Kein Lichtschein konnte zur ›Coronation‹ hinüberdringen, die, illuminiert wie ein Christbaum, ihre Bahn zog.
*
Für die Korvette sollte sich die trügerische Ruhe der milden Nacht bald in einen brodelnden Hexenkessel verwandeln.
Ein alter, erfahrener Matrose stand am Ruder der ›Coronation‹, während Captain Moore persönlich, die soeben übernomme Hundswache hielt. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine vollen, genusssüchtigen Lippen. Er glaubte zu wissen, dass nun nichts mehr schief gehen könne. Inzwischen hatte sich sein Schiff schon sehr weit den Gewässern um Jamaica genähert. Jeden Moment glaubte er, in Berührung mit einem eigenen Schiffsverband zu kommen. Dann war alles gut.
Im Innersten seines Herzens ein Feigling, berührte Moore die nachmittägige Begegnung mit dem sonderbaren Dreimaster doch wesentlich mehr, als er Lieutenant Retcliffe gegenüber zugegeben hatte. Er war sogar fast der gleichen Meinung gewesen, wie der viel jüngere Erste Offizier, hatte diese aber unterdrückt, um Retcliffe nicht recht zu geben. Denn das wäre für ihn gegen alle erprobten Regeln seemännischer Subordination gewesen.
Ein leiser Schritt hinter seinem Rücken ließ ihn herumfahren. »Ich dachte, Ihr hättet Euch längst zur Ruhe begeben, Mr. Retcliffe!«, rügte er seinen Ersten Offizier in schulmeisterlicher Manier.
»Ich finde einfach keine Ruhe, Sir«, brach es aus Retcliffe gequält heraus.
»So? … Ihr findet also einfach keine Ruhe?«
Der Lieutenant zuckte die Achseln. »Verzeiht, Sir. Ich komme gerade aus dem ›Krähennest‹. Ein schwarzer Schatten verfolgt uns beharrlich. Es ist der Dreimaster von heute Nachmittag! Er segelt ohne Licht, ja sogar ohne Positionslaternen!«
Moore überwand seinen Ärger. »Ihr seht Gespenster, Mr. Retcliffe«, zwang er sich zu sagen. »Was macht Euch so sicher, dass der schwarze Schatten mit dem Dreimaster identisch ist?«
»Mein Gefühl, Sir!«
»Seit wann gibt ein britischer Marineoffizier etwas auf seine Gefühle, Mr. Retcliffe?«
»Die Gefühle sind es nicht allein, Sir!«, erwiderte der Lieutenant. »Entert auf, und Ihr werdet selbst sehen, was auch der letzte Matrose sieht! Der Schatten verfolgt uns, und er hat nichts Gutes im Sinn!«
»Alles Unsinn!«, murmelte der Captain wider besseres Wissen. »Was kann uns schon passieren? Die Geschütze sind ausgerannt und geladen. Die Mannschaft schläft daneben an Deck. Außerdem brauche ich nur noch mehr Leinwand setzen zu lassen und wir sind schnell genug, um selbst dem Teufel aus der Hölle davonzusegeln! Es gibt kein schnelleres Schiff auf dem Karibischen Meer als das unsere.«
Lieutenant Retcliffe verzichtete auf eine Antwort. Mit einer vagen Geste wandte er sich ab. Mit dem Captain ist nicht zu reden. Mag das Unheil seinen Lauf nehmen, dachte er bei sich, wenn es das Schicksal so bestimmt hat, soll es so sein. Unwillkürlich musste er an die acht Glasen denken, die erst vor einer Viertelstunde geschlagen worden waren. Sie bedeuteten für ihn und alle Seeleute nicht nur das Ende einer Wache, sondern waren auch Symbol für den Übergang vom Leben zum Tod. Zu oft schon hatte er den viermaligen Doppelschlag bei einer Bestattung eines Kameraden vernommen. Ein schlechtes Omen, das sein Bauchgefühl nur noch zusätzlich verstärkte.
***