Читать книгу Die Uhudler-Verschwörung - Thomas Stipsits - Страница 7

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Gruppeninspektor Sifkovits vom LKA Eisenstadt steuerte seinen grünen Peugeot 206 von Burgauberg in Richtung Stinatz. Die beiden Ortschaften lagen nicht weit voneinander entfernt und Sifkovits entschloss sich, den Weg über Hackerberg zu nehmen. Dieser Weg war zwar etwas länger, aber viel schöner, da er an einigen kleinen Weinkellern von Burgauberg vorbeiführte. Man hatte einen herrlichen Blick über die üppige Hügellandschaft, die im goldenen Herbstlicht noch stimmungsvoller wirkte. Die kleine Straße führte an einem Pferdegestüt vorbei, dahinter konnte man die Golfanlage Stegersbach erkennen. Von einer Linkskurve, wo ein alter Hof mit unzähligen landwirtschaftlichen Geräten stand, sah man die Therme Stegersbach in voller Pracht. Das Südburgenland zeigte sich an diesem Tag von seiner schönsten Seite.

Sifkovits war auf Kurzbesuch in Stinatz. Zurzeit gab es im Landeskriminalamt Eisenstadt wenig zu tun und seine Frau, eine Medizinerin, war wieder einmal mit „Ärzte ohne Grenzen“ in Kenia. Er hatte gerade beim Weingut Priela einige Flaschen Uhudler besorgt. Vor allem für seine Mutter, die neben ihm am Beifahrersitz saß. Er selbst hatte eine Flasche Uhudler-Likör mitgenommen. Es kam sehr selten vor, dass Sifkovits Alkohol trank und wenn, dann wollte er ihn genießen. Uhudler-Likör schien ihm dafür das richtige Getränk zu sein.

Das Weingut Priela war eines der beiden Weingüter, die in Burgauberg Uhudler in großen Mengen produzierten, das Weingut Stipsits das andere. In den alten Zeiten hatten die beiden Weinbauern zusammengearbeitet. Doch als der junge Priela nach dem Tod seines Vaters das Weingut übernahm, wurde aus der einstigen Partnerschaft Rivalität. Sifkovits’ Mutter Baba zog es vor, bei Priela zu kaufen. Ihr war der Uhudler vom Weingut Stipsits zu sauer.

Natürlich kann man über die Qualität von Uhudler streiten. Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn. Im Südburgenland hat der Uhudler einen festen Platz in der Gesellschaft. „Was brauchen wir Marihuana, wir haben Uhudler!“, wurde oftmals gescherzt. Es entspricht sicher nicht der Wahrheit, dass man nach einer Flasche Uhudler glücklich wird, nach der zweiten blind und nach der dritten wieder glücklich. Dennoch haben es Uhudler selten in die Top 10 der besten Weine der Welt geschafft.

Der junge Markus Priela arbeitete schon lange daran, das Image des Uhudlers aufzuwerten. Er bot nicht nur Wein und Likör aus der Isabella-Traube, sondern auch Frizzante, Sirup, Marmelade, Seife, Schokolade, Essig, Met und sogar eine eigene Pflegecreme an. „Wenn du dir die Creme ins Gesicht schmierst, verschwinden nach einer Stunde deine Falten. Weil du dann so einen Rausch hast, dass du sie nicht mehr siehst.“ Also quasi das Hasch-Cookie der Weinindustrie – mit einem Augenzwinkern gesprochen.

Markus Priela hatte in den letzten Jahren seinen Konkurrenten Alois Stipsits in Sachen Marketing und Verkauf weit hinter sich gelassen. Alois Stipsits agierte und produzierte immer noch wie früher, die Zeit hatte ihn überholt. Mit seinen 68 Jahren wollte Stipsits auch nicht mehr jedem Trend folgen. „Einen Wein trinkt man, Punkt“, war seine Ansicht. Alois Stipsits hatte früher mit dem Vater von Markus zusammengearbeitet. Sie hatten sich den einzigen Weinkeller in Burgauberg geteilt, der mit einem Strohdach gedeckt war. Noch dazu handelte es sich bei dem Keller um einen der ältesten strohgedeckten im ganzen Südburgenland. Natürlich war das in so einem kleinen Ort wie Burgauberg eine Attraktion.

Nach dem Tod von Prielas Vater fiel der Keller an Alois Stipsits. Eine Tatsache, die den jungen Priela bis heute schmerzte.

Stipsits produzierte in den alten Fässern einen Uhudler wie damals. Es war unmöglich, denselben Uhudler in einem modernen Gärverfahren herzustellen. Es fehlte eben das gewisse Etwas. Ähnlich wie bei alten Reindln, in denen sich über Jahre das Aroma eingebrannt hat. Wenn man einem Braten einen All-inclusive-Urlaub schenken möchte, dann legt man ihn in so ein Reindl und schiebt es in den Ofen. So bekommt man den köstlichsten Braten. All die neuen Bräter werden nie diese geschmackliche Höhe erreichen. So verhält es sich auch mit einigen anderen „klassischen“ Gegenständen. Eine alte Bauernkommode aus dem 18. Jahrhundert wird ein Blickfang bleiben. Auch 2070. Ob ein Möbelstück vom schwedischen Möbelhaus jemals diesen Status erreichen wird, sei dahingestellt.

Als Sifkovits eine kleine Anhöhe hinauffuhr, sah seine Mutter auf der rechten Seite ein Polizeiauto. Oben angekommen öffnete sich ein wunderbarer Rundblick auf die Landschaft und das alte Kellerstöckl. Neben Polizei waren auch Rettung und Feuerwehr zu sehen. Sie parkten direkt vor einem Weinkeller mit strohgedecktem Dach.

„Schau, Spatzl! Was ist da beim Stipsits los?“, rief Baba neugierig.

Sifkovits wurde ebenfalls auf die Einsatzfahrzeuge aufmerksam.

„Komm, fahr hin. Ich möcht schauen, was da los ist.“

Sifkovits verstand das als Befehl seiner Mutter. Er kam der Aufforderung nach, weil auch in ihm eine gewisse Neugier aufstieg. Er lenkte seinen kleinen Peugeot nach rechts in die Zufahrtsstraße, die zum Weinkeller führte. Prompt wurde der Wagen von einem Uniformierten aufgehalten. Mit unüberhörbaren Schleifgeräuschen kam der Wagen zum Stehen.

„Hier ist gesperrt, fahren Sie bitte wieder zurück“, sagte der Beamte freundlich, aber bestimmt.

„Was ist denn hier passiert?“, fragte Baba.

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht!“

Der Beamte machte offensichtlich keinen Hehl daraus, dass die beiden Insassen hier unerwünscht waren.

„Jetzt sag was!“, befahl Baba ihrem Sohn.

„Ja, sofort.“ Sifkovits wandte sich dem Beamten zu. „Sie haben recht. Uns geht das nichts an, aber vielleicht die Polizei.“

„Mein Sohn ist nämlich ein Kollege von Ihnen. Aber er ist nimmer uniformiert“, sagte Baba mit einer gewissen Schadenfreude.

Der Beamte musterte den Mann hinter dem Steuer. Sifkovits trug, wie immer, seine ockerfarbige Chinohose, seine ockerfarbige Ballonmütze, sein weißes Hemd und seine graue Strickweste. Er sah etwas zerzaust aus und wirkte nicht gerade seriös.

„Darf ich Ihren Ausweis sehen?“, fragte der Beamte.

„Gern.“ Sifkovits kramte in seinen Taschen. Er schenkte dem Beamten ein Lächeln, mit dem er noch um etwas Geduld bat.

„Wird das heute noch was?“ Langsam riss dem Polizisten die Geduld.

„Gleich. Irgendwo muss er sein.“

„Vielleicht hast ihn zu Hause vergessen?“, sagte seine Mutter, dann wandte sie sich dem Polizisten zu. „Wenn er mich nicht hätte, dann würde er sogar seinen Kopf vergessen. Vor zwei Jahren wollten’s nach Griechenland fliegen. Wenn ich nicht seinen Kasten aufgeräumt hätte, würde er jetzt noch am Flughafen sitzen. Ohne Pass. Seine Frau hat ja keine Zeit für ihn.“

Sifkovits unterbrach seine Mutter.

„Mama, ich glaube nicht, dass das den Herrn interessiert.“

Der Gesichtsausdruck des Beamten bestätigte Sifkovits’ Annahme.

„Bitte drehen Sie jetzt um oder ich muss Sie aufschreiben.“

Sifkovits merkte, dass er nur mehr wenig Zeit hatte. Er öffnete das Handschuhfach, das mit lautem Krachen aus der Verankerung brach. Unzählige Beutel Käsepappeltee fielen vor die Füße seiner Mutter.

„Da ist er!“, rief seine Mutter und hielt den Ausweis triumphierend in ihrer Hand.

Der Beamte warf einen Blick auf die verschmutzte Hülle.

„Die Hülle könnten Sie einmal austauschen, Herr Gruppeninspektor.“

„Ich weiß. Mache ich gleich am Montag“, versicherte Sifkovits.

„Und Ihre Bremsbeläge dürften auch schon sehr abgefahren sein.“

Dem Beamte fielen außerdem noch die Hagelschäden auf der Motorhaube des Peugeot auf.

„Haben S’ vergessen gestern das Auto reinzustellen? Gestern war ein starker Hagel. Ihre Motorhaube ist total zernepft.“

„Ja, ich hab’s vergessen, aber ist das nicht eh schon wurscht?“, fragte der Gruppeninspektor.

Zum ersten Mal kam dem Beamten ein Lächeln aus. Sofort nutzte Sifkovits diese Chance.

„Darf ich mich kurz umsehen?“

„Ja, gern. Kommen S’ weiter.“

Der Beamte begleitete Sifkovits zum Weinkeller. Seine Mutter blieb unter heftigen Protesten im Wagen zurück.

Alois Stipsits lag vor seinem Keller auf einer Trage und wurde gerade mit einem weißen Tuch zugedeckt. Sifkovits fiel unter den vielen Einsatzkräften ein bekanntes Gesicht auf: Die Gemeindeärztin Maria Wiedermann, eine schlanke Frau Ende vierzig unterhielt sich mit einem Feuerwehrmann.

„Hallo, Maria“, grüßte der Inspektor seine Bekannte freudig.

„Servus, Schiffi. Was machst denn du da?“, wollte die Ärztin wissen.

„Ich war gerade mit meiner Mutter in der Gegend. Was ist denn passiert?“, fragte er.

„Ein Unfall. Der alte Stipsits hat vergessen, den Gärgas-Ventilator einzustecken. Die Gärgase in dem kleinen Keller führten dann zu einer Bewusstlosigkeit und in weiterer Folge zum Atemstillstand.“

Wiedermann zog ihre Schulter nach oben, um anzudeuten, dass wir alle Fehler machen.

„Das ist ja furchtbar. Und du bist dir sicher?“, bohrte Sifkovits nach.

„Ja. Er hat eine Wunde am Kopf, die auf einen Sturz infolge der Bewusstlosigkeit hindeutet. Es ist bedauerlicherweise nicht das erste Mal, dass solche Unfälle in der Gegend passieren. Erinnere dich an den Udo. Das ist eben das Problem bei diesen alten Weinkellern. So romantisch sie auch sind, du stehst immer mit einem Fuß im Grab. Ein kleiner Fehler – und aus. Der Stipsits hatte ohnehin Probleme mit seinem Herz. Zwei Bypässe und ein kleiner Hinterwandinfarkt vor drei Jahren. Mit einer dementsprechenden Vorbelastung sollte man sich keiner CO2-Emission aussetzen. Ein unsichtbarer Tod. Leider.“

Sifkovits mochte Marias Sachlichkeit, die immer mit einem Schuss Mitgefühl gewürzt war.

„Was schreibst du in den Totenschein?“, wollte Sifkovits wissen.

„Herz-Kreislauf-Versagen. Ganz klassisch.“

Sifkovits nickte. Er bewunderte die kleinen Landärzte. Leider gab es nur mehr wenige und diese mussten sehr große Gebiete betreuen. Da blieb kaum Zeit für ausführliche Untersuchungen und genaue Diagnosen. So kam es auch immer wieder vor, dass Todesfälle schnell abgehandelt wurden.

„Multiorganversagen“ schrieb Maria bei älteren Menschen zum Beispiel ausgesprochen oft in den Totenschein. Alter Mensch legt sich hin und steht in der Früh nicht mehr auf.

Im Hintergrund sah Sifkovits zwei weinende Frauen. Sie waren unterschiedlichen Alters und versuchten, einem Uniformierten Auskünfte zu geben.

„Das sind die Ehefrau und die Tochter des Verunfallten“, klärte Maria den Inspektor auf. „Die Tochter hat ihren Vater heute am späteren Vormittag gefunden.“

Sifkovits nickte verständnisvoll.

„Darf ich mir den Toten einmal anschauen?“, fragte er seine Bekannte.

Maria bejahte und zog das weiße Laken weg.

Alois Stipsits war ein kleiner, dicklicher Mann mit einem liebenswerten Gesicht. Mit etwas Fantasie erinnerte der Tote an den Bären Winnie Puuh. Er trug eine blaue Jeans mit braunem Ledergürtel, ein kariertes Hemd, eine blaue Regenjacke und grüne Gummistiefel. An den Sohlen der Stiefel klebte Erde. Sifkovits registrierte die Kopfverletzung, die durch den Sturz verursacht worden war. Alois Stipsits sah aus, als würde er schlafen.

„Danke, Maria“, sagte der Inspektor zur Gemeindeärztin.

Stipsits wurde wieder zugedeckt. Gleich würde die Bestattung kommen, um die Leiche mitzunehmen. Frau Dr. Wiedermann wandte sich an Sifkovits.

„Und, Schiffi, bleibst du länger im Südburgenland?“

„Nein. Ich muss morgen wieder nach Eisenstadt. Ich bin gekommen, weil ich meiner Mutter geholfen habe, Holz für den Winter zu hacken. Sie hat zwar eh genug, aber dann ist sie beruhigt und ruft mich nicht jeden Tag an“, antwortete der Inspektor.

„Schade“, sagte Wiedermann. „Bei unserem Fall gibt es leider für dich nichts zu tun.“

In diesem Augenblick rückte die Feuerwehr ab. Nach einem kurzen Disput mit Baba Sifkovits, die nicht im Traum daran dachte, ihren Sohn zu rufen, damit er mit dem Peugeot Platz machte, entschlossen die Männer sich, den Feuerwehrwagen links durch die Wiese zu steuern. Ein Flurschaden war die Folge. Sifkovits rannte dem Einsatzwagen hinterher.

„Entschuldigen Sie. Könnten Sie kurz stehen bleiben?“, rief der Inspektor.

Der Einsatzwagen bremste abrupt ab.

„Was ist los?“, blaffte der Einsatzleiter der Feuerwehr.

„Gruppeninspektor Sifkovits vom LKA Eisenstadt.“ Sifkovits wies sich aus. „Haben Sie den Toten geborgen?“, wollte er wissen.

„Ja. Wir sind mit Atemschutz rein. Er lag leicht verdreht auf dem Boden. Im Keller haben wir eine hohe CO2-Belastung gemessen. Ein schrecklicher Unfall“, gab der Einsatzleiter als Antwort.

„Könnte es ein Selbstmord gewesen sein?“, fragte Sifkovits nach.

„Das glaube ich nicht. In der Regel legen sich Selbstmörder auf den Boden und warten, bis sie bewusstlos werden. Der Tote hat eindeutig im Keller gestanden und sackte dann erst zu Boden.“

Sifkovits kratzte sich unter seiner Kappe. „Danke.“

Er verabschiedete sich vom Einsatzleiter, der beim Wegfahren einen weiteren Flurschaden verursachte, und ging zurück zum Keller. Auf der Höhe seines Peugeot hörte er ein „Was ist passiert?“ von seiner Mutter. Als er mit „Unfall“ antwortete, drang ein „Gut, dann fahr ma!“ aus dem Auto. Sifkovits gab seiner Mutter zu verstehen, dass er noch kurz mit den Hinterbliebenen reden wolle.

„Aber beeil dich! Sonst essen wir erst am Nachmittag.“

„Ja, Mama. Gleich fahren wir“, versicherte er seiner Mutter.

Bettina und Christa Stipsits standen nach wie vor bei dem Uniformierten. Das Gespräch schien dem Ende zuzugehen. Sie sahen den zerzaust aussehenden Mann auf sich zukommen.

„Grüß Gott. Sifkovits vom LKA Eisenstadt. Mein aufrichtiges Beileid.“ Er schüttelte den beiden Frauen die Hände. „Ich weiß, das ist sehr schwer für Sie. Dürfte ich Ihnen trotzdem eine kurze Frage stellen?“

Der Uniformierte mischte sich ein.

„Ich habe schon alles aufgenommen, Herr Inspektor.“

„Passt schon“, sagte Christa Stipsits. Sie war eine attraktive Dame Mitte sechzig. Die Schminke im Gesicht war verschmiert und Sifkovits sah, dass ihre Hände leicht zitterten. „Was wollen Sie denn wissen?“

„Nicht viel“, versuchte Sifkovits gleich Druck aus der Befragung zu nehmen. „Nur ganz kurz, wie Sie ihn gefunden haben und was er am Vortag gemacht hat.“

Der Beamte wollte dem Inspektor zu verstehen geben, dass er auch diese Informationen bereits habe. Sifkovits legte die Hand auf die Schulter des Kollegen.

„Danke. Sie können jetzt gehen.“

Der Polizist blickte etwas verdutzt drein, dann entfernte er sich von der Gruppe. Im Hintergrund musste ein Wagen der Bestattung einem kleinen Peugeot ausweichen. Dadurch war die Wiese nun auf beiden Seiten der Zufahrt kaputt.

Sifkovits kramte seinen Block heraus. Frau Stipsits begann zu erzählen.

„Tagsüber war alles normal. Mein Mann war am Vormittag in Stegersbach. Dann hatten wir Mittagessen. Am Nachmittag war er bei der Familie Popescu. Wahrscheinlich haben sie etwas wegen dem Uhudler besprochen. Der Adrian arbeitet seit einem halben Jahr bei meinem Mann. Hat ihm bei der Ernte geholfen und wurde mit der Zeit Mädchen für alles. Wir haben am Abend gemeinsam gegessen und nach der ZIB hat er gesagt, dass er noch in den Keller fährt. Das hat er öfter gemacht. Er war ja stolz auf seinen Uhudler. Kurz vor neun hat er mich angerufen und mir mitgeteilt, dass er dort bleibt und oben im Zimmer übernachtet.“

„War das ungewöhnlich?“, fragte Sifkovits.

„Nein, gar nicht. Der Papa hat gern oben im Zimmer geschlafen. Meistens las er in alten Büchern über Wein“, sagte die Tochter des Toten. „Am nächsten Tag bekam ich einen Anruf von der Raika in Stinatz, dass mein Papa nicht zu einem Termin erschienen sei. Am Handy war er nicht erreichbar, also bin ich hergefahren und hab ihn gefunden.“

Bettinas Augen füllten sich erneut mit Tränen.

„Ich weiß nicht, wie oft ich gesagt habe: ‚Papa pass auf. Sei vorsichtig mit dem Ventilator.‘ Es ist ihm schon ein paar Mal passiert, dass er vergessen hat, den Ventilator einzustecken. Gott sei Dank war da immer jemand in seiner Nähe. Es passiert leider zu oft. Es gab einen Bauern bei uns, Udo Leitner, dem ist dasselbe passiert.“

Sifkovits hakte ein.

„Daran kann ich mich dunkel erinnern. Das war sehr tragisch, oder?“, fragte er.

„Und wie. Der Udo ist zusammengebrochen, und als seine Frau Manuela nachschauen wollte, ist sie auch vom CO2 bewusstlos geworden und beide sind gestorben. Eine ganze Familie wurde ausgelöscht nur wegen dieser Unachtsamkeit.“

Bettina war sichtlich mitgenommen. Sifkovits merkte, dass es an der Zeit war, das Gespräch zu beenden.

„Ich gebe Ihnen noch meine Karte. Falls Sie reden möchten.“

Frau Stipsits nahm die Karte an sich und las: „Markus Priela. Alles rund um den Uhudler“ – sie schaute Sifkovits verwirrt an.

„Oh, Verzeihung, da ist mir ein Fehler passiert“, entschuldigte sich der Inspektor.

„Ja, ja. Gehen S’ nur zum Priela. Bei denen geht’s nur ums Marketing, bei uns geht es um Qualität. Entscheidend ist nicht die Werbung, sondern die Ware. Aber die zählt heutzutage nichts mehr.“

Frau Stipsits war sichtlich enttäuscht vom Inspektor.

„Es war wirklich ein Zufall, dass ich dort war. Das nächste Mal kaufe ich bei Ihnen den Wein, versprochen“, versuchte er die Situation zu beruhigen.

„Wissen S’ was, Herr Inspektor? Das nächste Mal, wenn wir uns sehen, dann schenk ich Ihnen den Wein. Brauchen S’ nicht beim Priela kaufen!“

Der Inspektor bedankte sich überschwänglich und verabschiedete sich.

„Ihr Vater hat gern bei meinem Mann gekauft“, rief Frau Stipsits ihm nach.

Der Inspektor lächelte.

Als Sifkovits bei dem großen Audi des Verstorbenen ankam, hielt er inne. Zärtlich strich er über die Motorhaube. Danach legte er seine Hände auf das Dach und fuhr mit ihnen bis ans Heck des Wagens. Alles glatt.

„Schönes Auto“, sagte der Uniformierte von vorhin. „Aber leider nicht in unserer Preisklasse.“

Sifkovits nickte.

„Sagen S’ einmal, wann hat es gestern gehagelt?“, fragte er den Polizisten.

„Ah … das war, glaube ich, kurz vor neun.“

„Und wie lange hat der Hagel gedauert?“

Der Polizist überlegte kurz.

„Zehn, zwölf Minuten ungefähr“, gab er zur Antwort.

„Danke.“

Sifkovits stapfte links am Keller vorbei in Richtung der darüber liegenden Wohnung. Noch außen, vor dem Eingangsbereich, ging er auf die Knie und bewegte sich auf allen vieren. Es sah lächerlich aus.

„Alles in Ordnung, Herr Inspektor?“, fragte der Beamte.

„Ja. Alles gut, ich habe nur meinen Bleistift verloren“, log Sifkovits.

Seine Körperhaltung erinnerte an eine Yoga-Position. Die Suche war erfolgreich. Da waren Fußspuren, und zwar solche, die nicht von Gummistiefeln sein konnten.

„Was ist jetzt? Ich muss kochen!“, rief seine Mutter.

„Komme gleich!“

Sifkovits bedankte sich bei dem Beamten und ging Richtung Auto. Kurz davor drehte er sich noch einmal um und lief zu den zwei Frauen.

„Eine Frage noch, Frau Stipsits“, sagte er entschuldigend.

„Bitte!“

„Wann hat Sie Ihr Mann angerufen?“, fragte Sifkovits.

„Kurz vor neun. Warten Sie, ich kann im Handy nachschauen.“ Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche.

„Um 20.53 Uhr. Wir haben eine Minute telefoniert“, sagte sie.

Sifkovits kratzte sich erneut unter der Kappe.

„Hat Ihr Mann gesagt, wo er ist?“

„Ja, im Keller. Warum?“, wollte Frau Stipsits wissen.

„Nur so. Wiederschauen.“ Sifkovits ging gedankenversunken zurück zu seinem Auto.

„Bist jetzt endlich fertig?“, wetterte Baba.

Sifkovits gab keine Antwort. Er setzte sich hinter das Steuer und blickte auf den großen Audi.

„Ich weiß, dass dir so ein Auto gefällt. Aber vergiss es, du kannst es dir nicht leisten. Wenn deine Frau eine normale Praxis hätte, dann vielleicht, aber dort unten verdient sie ja nichts …“

Sifkovits unterbrach seine Mutter.

„Das Auto hat keine Hagelschäden“, sagte er in Gedanken.

„Was?“

„Es müsste aber welche haben“, sprach er weiter.

„Ich kenn mich überhaupt nicht mehr aus. Wovon redest du?“, wollte Baba wissen.

„Nix. Fahren wir, Mama.“

In Stinatz angekommen wählte Sifkovits die Nummer der Staatsanwaltschaft. Ein Fehler, wie sich bald herausstellen sollte.

Die Uhudler-Verschwörung

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