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Der kleine Peugeot 206 passierte die Ortschaft Litzelsdorf. Sifkovits verließ die Bundesstraße, um über die Landstraße nach Stinatz zu gelangen. Zugegebenermaßen war die Straße in sehr schlechtem Zustand und würde dringend ein Service benötigen, aber die Landschaft, die sich neben ihr bot, war es wert, über diesen Fleckerlteppich zu fahren.

Sifkovits sah zur rechten Hand die wunderschönen Nadelwälder. Ein Anblick, an dem er sich nicht sattsehen konnte. Zur linken abgeerntete Maisfelder. Er blieb bei einem Feldweg stehen und genoss den Duft des Waldes und eine himmlische Ruhe machte sich in ihm breit. Kurz fühlte sich Sifkovits wieder wie der Sechsjährige, der er einmal gewesen war. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie er mit seinem Papa durch den Wald streifte und Eierschwammerl suchte. Er saß mit seinem Papa vor dem Feuer, um Knackwürste zu grillen. Ein Geschmack, den er längst verloren glaubte.

Sifkovits zwinkerte flüchtig mit den Augen und war wieder in der Realität. Vor ihm nach wie vor der Wald. Wie damals. Unberührt, unschuldig, rein und lebendig. Als würden die großen Nadelbäume eine Einladung für neue Abenteuer aussprechen. Es ist, dachte der Inspektor, als würden die vielen Saubermacher die Hauptschuld an der Umweltverschmutzung tragen. Zum Glück haben sie auf diesen Flecken Erde vergessen.

Als Sifkovits in Stinatz ankam, parkte er sein Auto direkt vor dem Haus seiner Mutter. Ein furchtbares Schleifgeräusch der Bremsen schallte durch das friedliche Dorf. Das Bankerl vor dem Haus war voll besetzt. Die ganze Kopftuchmafia war anwesend. Es wurde der Uhudler getrunken, den Sifkovits tags zuvor mit seiner Mutter beim Weingut Priela gekauft hatte. Alle waren in eine heftige Diskussion über Zinsen und Banken verwickelt.

„Servus, Kojak!“, rief Maikits.

Sifkovits ging zu der Gruppe.

„Was machst denn du schon wieder da?“, fragte seine Mutter.

„Ich hab Sehnsucht nach dir gehabt, Mama“, antwortete ihr Sohn.

Baba durchschaute ihn sofort, trotzdem freute sie sich über sein überraschendes Erscheinen.

„Was ist? Trinkst einen Uhudler mit?“

Maikits wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern schenkte dem Inspektor ein Glas voll.

„Nein, danke. Nur ein heißes Wasser. Den Tee hab ich selber mit.“

Die alte Frau Resetarits schüttelte den Kopf.

„Jetzt trinkst noch immer den Käs-Tee. Warum trinkst keinen Uhudler?“

„Ich vertrag den Wein leider nicht so gut“, antwortete Sifkovits.

Frau Resetarits ließ nicht locker.

„Weißt du, warum ich so alt geworden bin?“

„Weil dein Mann sehr früh gestorben ist“, warf die dicke Frau Grandits ein.

„Das auch, aber hauptsächlich, weil ich jeden Tag ein Glas Wein genieße.“

Baba zog die Augenbrauen hoch.

„Hilda, du trinkst 365 Gläser Wein im Jahr?“

Sofort protestierte Frau Resetarits.

„Bist narrisch! Viel mehr!“

Heiteres Gelächter machte sich auf der Bank breit.

Maikits ging in seinen Laden, der direkt daneben lag, und kochte für Sifkovits heißes Wasser auf. Der Inspektor tauchte einen Beutel Käsepappeltee in die Tasse. Sie trug die Aufschrift „Für ein Burn-out habe ich keine Zeit“. Sifkovits wusste genau, dass Maikits das Wort Burn-out noch nie gehört hatte, geschweige denn schreiben konnte. Bei dem Greißler aus Stinatz musste man Angst haben, dass er nicht das Gegenteil bekam. Ein „Mir ist fad“-out sozusagen.

Frau Resetarits konnte für den Teegenuss des Inspektors kein Verständnis aufbringen. Vielleicht lag es daran, dass sie bereits ihr drittes Achterl Uhudler trank.

„Also, Schiffi, wenn’st schon einen Tee trinkst, dann trink doch einen rumänischen!“

Auf der Bank erweckte diese Bemerkung blitzartig Neugierde.

„Was ist denn ein rumänischer Tee?“, fragte Frau Grandits.

„Ein altes Rezept von den Huzulen*“, führte Frau Resetarits aus. „Man nimmt ein großes Häferl, dann wirft man eine Münze rein. Danach gibt man ein bissl Schwarztee und Milch dazu. Bis man die Münze nicht mehr sieht.“

„Ja, und? Was ist so besonders daran?“, fragte Baba ungeduldig.

Frau Resetarits setzte zur Pointe an.

„Danach füllst du die Tasse mit einem Obstler auf, so lange, bis du die Münze wieder sehen kannst.“

Wieder heiteres Gelächter auf der Bank. Sifkovits lachte verhalten mit. Er fand es aber an der Zeit, die weinselige Stimmung zu stören.

„Wisst ihr irgendwas über den alten Stipsits?“

Auf der Bank wurde es ruhiger.

„Ja, der ist tot!“, sagte Frau Grandits.

„Und sonst nix?“

Baba erkannte, warum ihr Sohn plötzlich erneut in Stinatz aufgetaucht war.

„Spatzl, ermittelst du wegen dem Stipsits? Es war doch ein Unfall!?“

„Eh, Mama. Ich bin da wegen einem Hühnerdiebstahl in Olbendorf. Mich würde interessieren, was der Stipsits für ein Mensch war.“

Frau Resetarits wusste sofort etwas dazu zu sagen.

„Er war ein Netter! Er hat ausgeschaut wie ein Bär.“

Sifkovits dachte, dass Bären grundsätzlich nett aussahen, aber nicht zwingend nett sein mussten.

„Wollen wir ihm nicht die Wahrheit sagen?“, fragte Frau Grandits in die Runde.

Die Blicke gingen hin und her wie bei einem Tischtennisspiel.

„Sag’s du, Resl!“, ergriff Maikits das Wort.

Die dicke Frau Grandits leerte ihr Glas in einem Zug. Anschließend atmete sie noch einmal tief durch. Unüberhörbar. Dieses theatralische Vorspiel war ihr spürbar wichtig.

„Schau, Schiffi, er war ein Geschäftsmann. Er war immer freundlich, aber er war …“ Frau Grandits machte eine Pause und senkte ihren Blick nach unten. „Du kannst dich nicht mehr erinnern. Der alte Stipsits hat gemeinsam mit dem alten Priela Uhudler gemacht. Doch dann wurde der Wein bei uns verboten. Eine Katastrophe für die beiden. Später hat es das Gerücht gegeben, dass der alte Stipsits gemeinsam mit dem alten Priela Uhudler aus dem Osten ins Burgenland geschmuggelt hat. Plötzlich konnte man bei den beiden unter der Hand wieder Uhudler kaufen. Das Geschäft hat hervorragend funktioniert. Was ich weiß – Hilda, du wirst dich vielleicht auch erinnern –, haben die beiden den Direktträgerwein aus Rumänien bezogen.“

Frau Resetarits nickte wissend.

„Stimmt. Aus Rumänien haben sie den Wein geholt. Weil er dort am billigsten war. Durch den Eisernen Vorhang konnte man damals mit genügend Schmiergeld so gut wie alles nach Österreich bringen“, führte Frau Resetarits aus.

Maikits fiel auch noch etwas dazu ein.

„Was wirklich eigenartig war: Wie der alte Priela vor ein paar Jahren gestorben ist, hat der alte Stipsits den Weinkeller bekommen. Den mit dem Strohdach. Alle haben gedacht, den wird der junge Priela kriegen. Irgendwas ist an der Geschichte nicht sauber abgelaufen.“

Maikits nahm einen kräftigen Schluck von seinem Uhudler.

„Der schmeckt fantastisch“, posaunte er in die Runde. „Heute fühl ich mich wieder wie ein Adeliger!“

„Bist ja auch einer, Maikits“, sagte Baba.

„Warum?“, fragte der Greißler.

„Weilst mit einem Kaiserschnitt auf die Welt gekommen bist“, sagte Frau Resetarits.

Wieder brachen alle in großes Gelächter aus.

„Was ist, Schiffi? Willst den Wein nicht einmal kosten?“, fragte Maikits.

Sifkovits verneinte.

„Is’ eh besser, wenn der Wein bei der Hitz’ so lange steht, schmeckt er wie ein Glühwein“, sagte Maikits.

Sifkovits lächelte gequält mit.

„Sonst gibt’s nichts über den alten Stipsits?“, bohrte der Inspektor nach.

„Na ja“, setzte Frau Grandits an. „Seit einem Dreivierteljahr war der Stipsits irgendwie anders. So angespannt. Normalerweise war der Stipsits leutselig. Auf einmal hat man ihn ständig auf der Raika gesehen. Das weiß ich von der Silvia. Die wohnt gleich daneben.“

Frau Resetarits bemerkte ätzend dazwischen: „Na sicher war er viel auf der Bank, weil er auch keine Zinsen bekommen hat.“

Frau Grandits ließ sich durch diesen Kommentar nicht aus der Ruhe bringen.

„Schau, Schiffi, ich will niemanden beschuldigen, aber es ist schon komisch, dass genau seit einem Dreivierteljahr eine rumänische Familie nach Burgauberg gezogen ist. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang mit dem Schmuggel von damals. Der eine Rumäne arbeitete immerhin beim Stipsits.“

Kurz kehrte Ruhe auf der Bank ein. Die Sonne war noch kräftig. Ein alter Traktor passierte die Gesellschaft. Der Mann hinterm Steuer grüßte freundlich. Noch lange waren die tuckernden Geräusche zu hören, ehe die Stille wieder zurückkehrte.

„Wo wohnt die rumänische Familie?“, durchbrach der Inspektor das kollektive Schweigen.

„In Burgauberg. Sie haben das Haus von der verstorbenen Hirschmann gemietet. Popescu ist ihr Name“, antwortete seine Mutter. „Weißt du, wo das ist?“

Ihr Sohn nickte. Dann stand er auf und ging zu seinem Auto.

„Wo fährst du hin?“, wollte seine Mutter wissen.

„Ich komm gleich“, sagte er knapp.

Kurz darauf war der kleine Peugeot in Richtung Burgauberg verschwunden.

Baba erhob sich von der Bank.

„Warum hast du ihm nicht alles erzählt?“, fragte sie Frau Grandits.

„Weil es nur ein Gerücht ist. Die Toten soll man in Frieden ruhen lassen!“, antwortete die dicke Dame.

„Wenn mein Sohn ermittelt, kommt er ohnehin drauf.“

Mit diesen Worten ging Baba zurück in ihr Haus.

„Vielleicht wollten sie es so?“, rief Frau Grandits in den Innenhof von Sifkovits Mutter.

„Vielleicht aber auch nicht!“, brüllte Baba zurück.

* Bergvolk in den Karpaten

Die Uhudler-Verschwörung

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