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Der Wert der Zeit

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Unsere gelebte Zeit steht in direkter Verbindung zu unseren Werten. Diese drücken sich darin aus, dass wir etwas »gut« oder »schlecht«, »wichtig« oder »unwichtig« finden. Manchen Dingen schreiben wir einen Wert zu, weil sie in unserem Leben eine besondere Rolle spielen, weil sie uns innerlich bewegen und motivieren; manche halten wir für wertvoll, weil sie sich als schlicht nützlich erweisen. Andere Werte wiederum gelten als absolute Werte, wie etwa die Menschenwürde. Es geht mir hier weniger darum, zwischen verschiedenen Arten von Werten zu unterscheiden. Ich beschäftige mich auch nicht mit der philosophischen Frage, ob Werte »objektiv« oder »subjektiv« sind. Es kommt mir vielmehr darauf an, wie Werte unseren Umgang mit der Zeit beeinflussen und umgekehrt.

Werte geben uns Orientierung. Sie können uns helfen, uns in der Welt zurechtzufinden. Sie bahnen uns einen Weg durch die Zeit, durch unser Leben. Ein gelingendes Leben kann nur derjenige führen, der sich auf die für ihn wirklich wichtigen Dinge konzentriert. Zeit ist Wert, das ist die zentrale These dieses Buches.

Die Zeit hat einen Wert für uns, weil wir sie brauchen, um unsere Ziele und Wünsche zu realisieren. Das zeigt sich schon daran, dass wir unsere Zeit nicht ohne Weiteres zur Verfügung stellen. Wenn Sie auf der Straße jemand fragen würde, ob er einfach mal zwei Stunden von Ihrer Zeit haben könnte, dann würden Sie vermutlich verwundert reagieren. Obwohl wir alle gern mal Zeit verschwenden, käme es den meisten wohl nicht in den Sinn, auf die eigene Zeit grundlos zu verzichten. Der Wert unserer Zeit liegt schließlich darin, dass wir sie für irgendetwas verwenden könnten. Wenn wir »keine Zeit« haben, dann haben wir keine Zeit »für etwas«. Das wird uns vor allem dann bewusst, wenn es um etwas geht, das uns besonders wichtig ist. Wenn wir etwa »keine Zeit« haben, Freunde zu treffen, Sport zu machen oder ins Kino zu gehen.

Zugleich haben Werte eine zeitliche Dimension. Was uns wirklich wichtig ist, das wollen wir auch in der Zukunft bewahren. Werte spielen eine stabilisierende, inegrative Rolle in unserem Leben, sie geben uns Halt. Sie schaffen einen Zusammenhang zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem. Was mir gestern wichtig wahr, das ist mir auch jetzt wichtig – und wird mir morgen wichtig sein. Werte haben Dauer, sie widerstehen der Flüchtigkeit der Zeit. Was uns nur jetzt wichtig ist, das hat keinen wirklichen Wert für uns.

Wenn wir zwischen »wichtig« und »unwichtig«, zwischen »gut« und »schlecht« nicht unterscheiden können, taumeln wir von einer Situation in die nächste, getrieben von unseren augenblicklichen Wünschen. Wer sich aber nur von seinen Wünschen treiben lässt, ohne diese je zu »bewerten«, also zu überlegen, ob er sich mit diesen Wünschen wirklich identifizieren kann, wird die eigene Lebenszeit kaum »wertvoll« gestalten können. Werte werden für uns überhaupt erst dann zu solchen, wenn wir sie wenigstens eine Zeit lang verfolgen. Wenn Ihnen etwa Musik wirklich wichtig ist, dann werden Sie auch Zeit darauf verwenden, vielleicht sogar ein Leben lang. Und manche Dinge können uns so wichtig sein, dass wir sie sogar über unseren Tod hinaus bewahren wollen.

Was uns nur einen Moment lang wichtig ist, das hat keinen echten Wert für uns.

Ob wir etwas für wichtig halten oder es für uns wirklich wichtig ist, darüber entscheidet, wie viel Aufmerksamkeit wir einer Sache tatsächlich zumessen. Wichtig ist das, worum wir uns sorgen, sagt der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt. Sich um etwas zu sorgen, das heißt, sich darum zu kümmern, Zeit und Mühe zu investieren. Sich um etwas sorgen kann man nur über eine größere Zeitspanne, schreibt Frankfurt. Zwar können wir nur einen Augenblick lang denken, dass etwas wichtig ist. Wir können uns etwas für ein paar Sekunden sehnlichst wünschen. Aber wirkliche »Sorge« kann sich nur über längere Zeit entwickeln.

Unsere Werte unterliegen der Bedingung zeitlicher Knappheit. Als endliche Wesen können wir uns nicht um alles sorgen, wir können nicht alles gleichermaßen wichtig nehmen. Manches muss uns auch schlicht egal sein. Nicht jeder Moment im Leben ist uns gleich wichtig. Es gibt Momente, auf die könnte man auch gern verzichten, zum Beispiel auf das Stehen in einer Warteschlange. Ein Leben aus lauter solchen Momenten erschiene uns nicht sehr lebenswert.

Wert braucht Zeit, Zeit braucht Wert. Wenn mir Dinge wichtig sind, mir aber schlicht die Zeit dazu fehlt, ihnen nachzugehen, dann läuft etwas falsch in meinem Leben. Wenn ich hingegen Zeit im Überfluss habe, aber nichts, was mir wirklich etwas bedeutet, dann wird das Leben sinnlos. Leere, ungenutzte Zeit bedeutet uns nichts. Was wir wollen, das ist erfüllte Zeit.

Wenn wir über »Zeitknappheit« klagen, dann meinen wir damit nicht nur »keine Zeit« zu haben; schließlich haben wir ja offenbar Zeit genug, um ihre Abwesenheit zu bedauern. Vielmehr klagen wir darüber, dass uns die Zeit fehlt, bestimmte andere Dinge zu tun oder zu erleben. »Ich habe leider keine Zeit« – das suggeriert, dass es mir unmöglich ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas Bestimmtes zu tun. Ich will es zwar vielleicht, aber ich kann leider nicht. Kein Wunder, dass die wohl am meisten verbreitete Ausrede darin besteht, einfach »keine Zeit« zu haben!

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